15

Katharina Bendixen - Gern, wenn du Willst

Embed Size (px)

DESCRIPTION

Katharina Bendixen Gern, wenn du willst Erzählungen poetenladen 2012

Citation preview

Page 1: Katharina Bendixen - Gern, wenn du Willst
Page 2: Katharina Bendixen - Gern, wenn du Willst
Page 3: Katharina Bendixen - Gern, wenn du Willst

Katharina Bendixen

Gern, wenn du willst

Erzählungen

poetenladen

Page 4: Katharina Bendixen - Gern, wenn du Willst

Erste Auflage 2012© 2012 poetenladen, LeipzigAlle Rechte vorbehaltenISBN 978-3-940691-32-3

Illustration und Umschlaggestaltung: Miriam ZedeliusDruck: Pöge Druck, LeipzigPrinted in Germany

Poetenladen, Blumenstraße 25, 04155 Leipzig, Germanywww.poetenladen-der-verlag.dewww.poetenladen.deverlag@poetenladen.de

Page 5: Katharina Bendixen - Gern, wenn du Willst

Das Mädchen 7

Ans Meer 17

Meine falschen Eltern 27

Hochzeitsvorbereitungen 35

Eine Tür geht auf 45

Abenteuer 53

Wir sind die Kranken 61

Gern, wenn du willst 69

Das Ende der Welt 75

Ich habe mich im Kino gesehen 85

Die drei Männer 93

Herzliches Beileid 101

In die Wälder 111

INHALT

Page 6: Katharina Bendixen - Gern, wenn du Willst
Page 7: Katharina Bendixen - Gern, wenn du Willst

111

IN DIE WÄLDER

Noch drei Tage, dann kommt der Krieg. Er ist überall zu spüren,auf den Straßen, in den Läden, in den Gesichtern der Menschen.Sie schauen verbissen, laufen schneller als sonst, schubsen sich ander Supermarktkasse zur Seite. Selbst in der S-Bahn ist es anders,es gibt mehr Schwarzfahrer, als sei nun schon alles egal. MeineSchwester und ich lösen pflichtbewusst unsere Karten und stellenuns in die Nähe der Tür. Ich frage einen jungen Mann, dessen dun-kle Locken mich traurig stimmen: „In drei Tagen geht es los,stimmt’s?“ Der junge Mann sieht mich an, als wüsste er nicht, wasich meine. „Der Krieg“, erkläre ich, „ich meine den Krieg.“ MeineSchwester gibt mir einen Stoß: Sie will nicht, dass ich mit ande-ren über den Krieg spreche. Möglicherweise verstehen sie michnicht, meint sie. Und wirklich, statt zu antworten, geht der jungeMann ein Stück zur Seite. Am Marienplatz steigt er aus und läu,ohne sich noch einmal umzudrehen, die Stufen zur Straße hinun-ter. Vielleicht wird es ihn bald nicht mehr geben. Er wird auf demMittelstreifen einer Autobahn liegen, die dunklen Locken vonBlut verklebt. Es ist besser, ich vergesse ihn. Wenn der Kriegkommt, darf man sein Herz nicht verschenken.

Wenn der Krieg kommt, gibt es nur wenige Möglichkeiten:Man bleibt zu Hause und sucht bei Bombardements Schutz in den

Page 8: Katharina Bendixen - Gern, wenn du Willst

112

Kellern. Man reist in die Provinz, zu Verwandten oder Freunden,in Dörfer oder Kleinstädte, wo die Häuser niedrig und Angriffe un-wahrscheinlich sind. Man wir seine Habseligkeiten ins Autound fährt in ein neutrales Land. Ich habe Angst, aber weit weg willich nicht. Ich schlage meiner Schwester vor, dass wir den Kriegdraußen hinter uns bringen, am Stadtrand. Meine Schwesterfragt: „Am Adlersee?“ – „Humbug“, sage ich, „der Adlersee ist vielzu leicht einzusehen. Wir gehen in die Wälder, die den Adlerseeumgeben.“ Die Wälder um den Adlersee sind voller Geheimnisse,mit dichten Bäumen und stachligen Sträuchern, aber wir sinddort sicherer als in der Stadt. Wir brauchen nur ein Zelt, außer-dem Vorräte für die nächsten Monate. Ich möchte einen Cam-pingkocher mitnehmen, am besten im Set mit acht Gaskartu-schen. Aber davon will meine Schwester nichts hören. An derKarlsstraße steigen wir aus. Wir kaufen im Supermarkt Dosenge-müse und suchen die Feinkostabteilung nach Gefriergetrockne-tem ab. Ein paar ältere Damen greifen in dieselben Regale wie wir.In meinem Rücken höre ich sie lachen. Wie können sie drei Tagevor dem Krieg lachen? Wie können sie sich drei Tage vor demKrieg die Lippen schminken? Ich will sie zur Vernun rufen, mitKriegen müssten sie sich doch bestens auskennen. Aber meineSchwester schiebt mich san Richtung Kasse. Für den Abendmöchte sie in der Stadtbibliothek eine DVD ausleihen. EinenFilm anschauen, drei Tage vor dem Krieg! „Was sollen wir sonstmachen“, fragt sie, „außerdem haben wir deinetwegen schon dasEssen gekau, jetzt bin ich mal dran.“ Ich beiße mir auf die Lip-pen. Wenn wir in den Wäldern angekommen sind, wird meine

Page 9: Katharina Bendixen - Gern, wenn du Willst

113

Schwester mir dankbar sein. Ich warte unten, während sie in derersten Etage eine DVD heraussucht. Auf der Hülle sind Wolken-kratzer abgebildet. Etwas von Woody Allen, vermu te ich.

Auf dem Rückweg stehen die Leute in der S-Bahn so dicht,dass wir uns nicht festhalten können. Immer tiefer saugt uns dieMenge in den Waggon. Am Bahnhof leert er sich mit einemSchlag. Wahrscheinlich waren das die Ängstlichsten, wahrschein-lich wollen sie noch heute Abend weg. Aber sie werden nicht weitkommen, an den Grenzen gibt es schon Sperren. Die kriegstaug-lichen Männer fischt man heraus, um sie in ein Heereslager zuschicken. Frauen mit medizinischer Ausbildung oder geschicktenHänden verpflichtet man für das Lazarett. Auf verschenkte Her-zen nimmt da niemand Rücksicht. Zu Hause verstauen wir dieDosen und Tuben in der blauen Plastikbox und starten den Film.Meine Schwester lacht zwei- oder dreimal, ich schlafe nach derHäle ein. Und das ist gut, denn ich habe solche Angst vor demKrieg, dass ich seit dem Winter o wach liege. Ich liege im Gäste-zimmer meiner Schwester, halte die Augen geschlossen und redemir ein, dass ich spätestens in der nächsten Nacht wieder schlafe.Ich werde gut schlafen, rede ich mir ein, selbst wenn ich anschei-nend die einzige bin, die alle anderen warnen kann, die einzige,die vom Krieg und von den Bomben weiß.

Am Morgen schlage ich vor, sofort aufzubrechen. Zwei Tage, einTag, man kann nie wissen, wann der Krieg beginnt. Mit dem Autofahren wir bis zum Adlersee, und dort verschwinden wir in denWäldern. Es wird ein paar Stunden dauern, bis wir einen guten

Page 10: Katharina Bendixen - Gern, wenn du Willst

114

Platz gefunden haben, einen Platz, an dem es sich in den nächs-ten Monaten aushalten lässt. Meine Schwester aber will sich zu-erst von ihrem Freund verabschieden: Sie ist eine von denen, dieihr Herz verschenkt haben. Vom Verabschieden halte ich aller-dings nicht so viel, ich hätte lieber einen Campingkocher. MeineSchwester verspricht: „Vielleicht kaufen wir später einen.“ –„Wirklich?“ Das hat sie noch nie gesagt. Ich setze mich auf denBeifahrersitz. Die Straßen sind voll, wahrscheinlich besorgen alledie letzten Vorräte, Konserven, Kerzen, kugelsichere Westen.

Der Freund meiner Schwester ist etwas kleiner als sie, aber ergehört nicht zu denen, die so etwas stört. „Zum Adlersee“, fragter, „was wollt ihr dort?“ Er hat Glück, dass er so klein ist, wahr-scheinlich lässt seine Einberufung deshalb auf sich warten.„Wegen des Kriegs“, murmelt meine Schwester, „das habe ich dirdoch erzählt.“ – „Du machst also mit“, sagt ihr Freund, „hast dunicht gesagt, du bringst sie weg?“ Meine Schwester wir mireinen Blick zu. „Ich dachte, ich probiere es noch ein paar Tage“,sagt sie, „beim letzten Mal ist es da wieder besser geworden.“ Ichweiß nicht, was sie meint, gab es schon einmal einen Krieg? Wirtrinken Tee aus großen Tassen, meine Schwester und ihr Freundreden über alles, nur nicht über den Krieg. Ich glaube nicht, dasses gut ist, die Wirklichkeit auf diese Weise wegzuschieben. Aberich sage nichts, ich will keinen Streit, schon gar nicht mit meinerSchwester. Ihr Freund muss sich ohnehin keine Sorgen machen,er wohnt in einem Gründerzeithaus. Seinem Keller werden dieBomben nichts anhaben können. Bevor wir gehen, benutze ich dieToilette. Ich schaue aus dem schmalen Fenster in den Hof. Die

Page 11: Katharina Bendixen - Gern, wenn du Willst

115

Kinder, die dort spielen, ahnen nicht, wie ihr Leben bald aussehenwird. Sie werden die Nächte in Kellern verbringen, und tagsübermüssen sie ihren Müttern helfen, den Schutt beiseite zu räumen.Manchmal kommt der Vater auf Heimaturlaub. Er setzt die Kin-der auf seine Schultern und spielt mit ihnen Schlachten nach, eheer wieder an die Front fährt. Es dauert nicht lange, bis er dort zu-rückbleibt. Tot liegt er auf dem Mittelstreifen, die dunklen Lockenvon Blut verklebt. Als ich wieder in den Flur treten will, stehen daschon meine Schwester und ihr Freund und küssen sich. EineWeile warte ich stumm auf der Schwelle, dann trete ich mit fes-tem Schritt nach draußen.

„Und wenn wir doch hierbleiben“, fragt meine Schwesterunten auf der Straße, „wenn der Krieg gar nicht kommt?“ – „Wirbrauchen noch den Campingkocher“, sage ich. Meine Schwesterwiderspricht: „Brauchen wir nicht.“ – „Wir brauchen ihn. Duhast es vorhin versprochen!“ – „Das ist doch verrückt“, rumeine Schwester. Ich renne los. Die nächste S-Bahn-Haltestelle istnicht weit entfernt. Ich glaube, von dort fährt die Eins ins Stadt-zentrum, vielleicht auch die Drei, ich bin lange nicht in der Innen-stadt gewesen. Ich höre, dass meine Schwester nahe hinter mir ist.Ich laufe schneller. Da sind schon die Treppen zur Station, einenFahrschein brauche ich nicht unbedingt zu lösen. Aber das Gleisoben ist leer, die S-Bahn gerade abgefahren. Ehe ich weiterrennenkann, grei meine Schwester nach mir. Ich warte, dass sie zuschreien beginnt, dass sie mir eine Ohrfeige gibt. Stattdessennimmt sie mich in den Arm und drückt mich an sich, ein wenigzu fest.

Page 12: Katharina Bendixen - Gern, wenn du Willst

116

In der Nacht krieche ich zu ihr ins Bett. Ich schiebe mich ansie heran, bis mein Rücken ihren Bauch berührt, und flüstere:„Morgen geht es los.“ – „Woher weißt du das mit dem Krieg ei-gentlich“, flüstert meine Schwester zurück. „Ich weiß es einfach“,sage ich, „aber es ist ganz leicht: Wenn du auf mich hörst, passiertdir nichts.“ Ich spüre, wie ihr Griff um meinen Bauch sich lockert,wie sie ein Stück von mir wegrutscht. Ich frage leise: „Du glaubstmir wohl nicht?“ – „Ich glaube dir“, sagt sie, „ich glaube dir, dassdu Angst hast.“ Ich spüre, dass sie zu weinen beginnt. Sie machtkein Geräusch dabei, aber ich spüre es an ihrem Atem und daran,dass ihr Bauch zuckt. Immer wieder zuckt er gegen meinen Rü-cken, und es dauert lange, bis sie sich beruhigt. Ich bin noch wach,als sie einschlä. Ich betrachte die roten Knöpfe in ihrem Zimmer,den Wecker, das Telefon, ein kleines Radio. In der Dunkelheitwird das Rot immer heller, die Punkte kommen näher, sie kom-men auf mich zu. Vielleicht sieht es so aus, wenn Bomben denNachthimmel erleuchten.

Wir frühstücken kaum etwas, uns ist beiden nicht gut. Ich nehmedie blaue Plastikbox, meine Schwester klemmt sich Schlafsäckeund Isomatten unter den Arm. Obwohl ich nur wenige Stundengeschlafen habe, entgeht mir nicht, wie meine Schwester dasHandy in ihre Jackentasche gleiten lässt. „Bist du verrückt“,schreie ich, „die orten uns sofort!“ Wir gehen die Treppen lang-sam hinunter: Die Box ist schwer, obwohl wir außer den Konser-ven und der Trockennahrung nur ein paar Tuben Zahnpasta ein-gepackt haben. Meine Schwester hat noch zwei Bücher dazu

Page 13: Katharina Bendixen - Gern, wenn du Willst

117

gelegt und eine Tasche mit Wechselwäsche, allerdings nur Sa-chen von mir. Ich verstehe nicht warum: Wenn wir einmal in denWäldern sind, kümmert uns nicht mehr, wie wir aussehen. Unskümmert nur noch das Überleben. Heute kann niemand mehrleugnen, dass der Krieg kommt: Die Straßen sind leer, die Lädengeschlossen, die Menschen vielleicht schon in ihren Kellern. Diewenigen, die unterwegs sind, wirken unruhig und aggressiv. Eheuns jemand unsere Vorräte abspenstig machen kann, knallen wirden Kofferraum zu, und meine Schwester gibt Gas.

An der Hauptstraße biegen wir ab, Richtung Schnellstraße.Hier sind mehr Autos unterwegs, wahrscheinlich letzte Flücht-linge, wie wir. Sind die schwarzen Punkte am Himmel schon dieersten Flugzeuge? Haben die Tankstellen noch geöffnet, habensie Campingkocher im Angebot? Wie lange werden unsere Kon-serven und die Trockennahrung reichen? Und woher weiß meineSchwester, dass man das Wasser aus dem Adlersee wirklich trin-ken kann? Auf einmal werde ich unsicher, ob diese Straße zumAdlersee führt. Ich glaube, wir sind längst an den Wäldern umden Adlersee vorbei. Vielleicht ist meiner Schwester ein besseresWaldstück eingefallen, eines, wo die Bäume lichter und die Sträu-cher weniger stachelig sind. Ich sehe nach links, meine Schwestersieht traurig aus. So ist es, wenn man in Kriegszeiten sein Herzverschenkt hat. Aber ich werde sie trösten, bis sie ihren Freundvergisst. Wir werden uns ein schönes Lager einrichten, mit unse-rem Zelt, den Schlafsäcken, unseren Vorräten. Nachts liegen wirnahe beieinander. Wir halten zusammen, bis der Krieg vorbei ist.Seit der Abfahrt haben wir kein Wort miteinander gesprochen,

Page 14: Katharina Bendixen - Gern, wenn du Willst

118

doch das muss kein schlechtes Vorzeichen sein. Unsere Herzenschlagen, wir haben an jeder Hand fünf Finger, der Wald nebender Autobahn ist grün, und vorn am Horizont fällt die ersteBombe.

Page 15: Katharina Bendixen - Gern, wenn du Willst

Katharina Bendixen verbindet in ihren Erzählungen surreale Momente miteiner realistisch präzisen Sprache. Wenn ganze Städte verschwinden, wennein unsichtbares Mädchen in die Umkleidekabine der Protagonistin vor-dringt oder eine Frau mit Männern aus verschiedenen Lebens abschnittensimultan in ihrer Wohnung lebt, dann sind wir in Katharina Bendixens ma-gischer Welt.

„Die raffiniert schlichte Sprache der jungen Leipziger Autorin KatharinaBendixen lässt ahnen, dass hier überall etwas tief nicht in Ordnung ist.“Burkhard Müller

Katharina Bendixen, geboren 1981, studierte Buchwissenscha und lebt alsAutorin und Übersetzerin in Leipzig. Für ihre Texte erhielt sie mehrere Aus-zeichnungen, unter anderem den Würth-Literaturpreis, den Wiener Werk-stattpreis und ein Aufenthaltsstipendium im Schloss Solitude. Nach ihremDebüt Der Whiskyflaschenbaum (poetenladen 2009) ist Gern, wenn duwillst ihr zweiter Erzählband.

poetenladen