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320 | © 2009 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim Chem. Unserer Zeit, 2009, 43, 320 – 326 Medizin aus dem Meer Kegelschnecken als Fundgrube neuer Wirkstoffe HEINRICH T ERLAU Besonders in marinen Lebensräumen, die durch eine große Konkurrenz um Platz und Nahrung geprägt sind, findet sich ein großer Variationsreichtum an Organismen, die Gifte zur Verteidigung oder zum Beutefang einsetzen. Die in den wärmeren Regionen der Meere lebenden Kegelschnecken haben aufgrund ihrer räuberischen Lebensweise im Laufe der Evolution eine Vielzahl pharmakologisch hochinteressanter Substanzen entwickelt. Einige dieser Substanzen haben das Potential, in der Klinik eingesetzt zu werden. DOI: 10.1002/ciuz.200900497 1 B

Kegelschnecken als Fundgrube neuer Wirkstoffe. Medizin aus dem Meer

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Medizin aus dem Meer

Kegelschnecken als Fundgrube neuer WirkstoffeHEINRICH TERLAU

Besonders in marinen Lebensräumen, die durch eine große Konkurrenz um Platz und Nahrung geprägt sind, findet sich ein großer Variationsreichtum an Organismen, die Gifte zur Verteidigung oder zum Beutefang einsetzen. Die in den wärmerenRegionen der Meere lebenden Kegelschnecken haben aufgrund ihrer räuberischen Lebensweise im Laufe der Evolution eine Vielzahlpharmakologisch hochinteressanter Substanzen entwickelt. Einige dieser Substanzen haben das Potential, in der Klinik eingesetzt zu werden.

DOI: 10.1002/ciuz.200900497

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Arzneimittel aus NaturstoffenBei der Suche nach neuen und besseren Arzneistoffen hatsich der Mensch seit jeher in der Natur bedient. So sind vie-le Naturstoffe, deren Derivate oder Analoga pharmakolo-gisch aktiv und es gibt eine ganze Reihe unterschiedlichs-ter Naturstoffe, die als Arzneistoffe medizinisch genutzt wer-den. Historisch gesehen stehen die Pflanzen als Quelle fürArzneimittel aus der „Apotheke Natur“ an erster Stelle. All-gemein bekannte Beispiele hierfür sind die analgetisch wirk-samen Substanzen Acetylsalicylsäure und Morphin, wobeisich Acetylsalicylsäure [15] von Salicin aus der Silberweideableitet und Morphin [16] aus dem Schlafmohn stammt.Neben den Pflanzen sind natürlich auch Mikroorganismenwichtige Naturstoffquellen, die z.B. als Produzenten ver-schiedener Antibiotika grundlegende Bedeutung haben. DieListe der Naturstoffe oder Naturstoffderivate, die auch heu-te als Medikamente eingesetzt werden, ist sehr lang undNaturstoffe haben eine große Bedeutung bei der Behand-lung verschiedener Erkrankungen.

Das Meer – eine nahezu unerforschte Quelle biologisch aktiver Substanzen

Im Gegensatz zu Substanzen aus Pflanzen und Mikroorga-nismen sind Naturstoffe aus Meeresorganismen relativ we-nig erforscht. Nach Schätzungen gibt es wahrscheinlich ca.500 Millionen verschiedene Verbindungen im Meer, von de-nen jedoch nur sehr wenige bekannt sind. Dies ist zu einemgroßen Teil auf Schwierigkeiten bei der Substanzgewinnungin den für den Menschen zum Teil schwer zugänglichenmarinen Lebensräumen zurückzuführen.

Zusätzlich ist eine erfolgreiche Kultivierung mariner Or-ganismen oft nur schwer zu realisieren. Interessanterweisezeigen viele der bisher untersuchten marinen Substanzenausgeprägte biologische Aktivitäten z.B. gegen Krebs, Ent-zündungen oder Malaria.

Diese ausgeprägten biologischen Aktivitäten könntendamit zusammenhängen, dass das Ökosystem Meer sehrkonkurrenzbetonte Habitate wie z.B. Korallenriffe enthält.Man geht davon aus, dass aufgrund der marinen Lebens-weise, die zum Teil mit einem enormen Konkurrenzdruckkorreliert ist, eine unbeschreibliche Vielzahl biologisch ak-tiver Substanzen entstanden ist. So besitzen viele im Meerlebende Organismen wie Seeanemonen oder Quallen „che-mische Waffen“. Zudem findet man bei Meeresorganismenzum Teil sehr komplexe Symbiosen wie etwa zwischenSchwämmen und Mikroorganismen. Bei diesen Symbiosenist zum Teil bis heute nicht klar, welcher Organismus derProduzent einer biologisch aktiven Substanz ist.

Ionenkanäle als Ziele biologisch aktiverSubstanzen

Bei den Untersuchungen zum Verständnis der Wirkungs-weise verschiedener Toxine von giftigen marinen aber auchterrestrisch lebenden Organismen fällt auf, dass häufig Io-nenkanäle und Rezeptoren die Zielmoleküle dieser Sub-stanzen sind [17].

Um dies zu verstehen, muss man sich die physiologischeBedeutung dieser Proteine vor Augen führen. Die elektri-sche Erregbarkeit von Zellen ist definiert durch die Fähig-keit dieser Zellen, Aktionspotenziale zu generieren. Untereinem Aktionspotenzial versteht man die kurzfristige Än-derung des Membranpotenzials einer Zelle. Ein Aktionspo-tenzial stellt das „Grund-Bit“ für Motorik, Sensorik und zen-tralnervöser Verarbeitung dar. Da bei der Immobilisierungeines Beutetieres z.B. eine Lähmung der Muskulatur durchein Gift hervorgerufen werden kann, ist in der Regel eineVeränderung der Generierung von Aktionspotenzialen immotorischen System die molekulare Ursache für die Im-mobilisierung.

Für die Ausbildung des Aktionspotenzials haben wie-derum Ionenkanäle eine grundlegende Bedeutung: Die Ak-tivität von Na+-Kanälen ist wichtig für die schnelle Ände-rung des Membranpotenzials (Depolarisation) einer Zelle,das Öffnen von K+-Kanälen für die Wiederherstellung desRuhepotenzials (Repolarisation). Ganz allgemein öffnen Io-nenkanäle auf ein Signal hin eine Pore, die in Abhängigkeitvon der Selektivität verschiedene Ionen entsprechend demlabilen Gleichgewicht von Konzentrationsgradienten undelektrischem Potenzial einer Zelle, dem sogenanntenNernst-Gleichgewicht, hindurchströmen lässt.

Neben der Bedeutung für die elektrische Erregbarkeitvon Zellen sind Ionenkanäle an ganz unterschiedlichen phy-siologischen Prozessen beteiligt. Dies spiegelt sich auch inder mittlerweile bekannten Anzahl der unterschiedlichenIonenkanäle wider. So kennt man heute über 100 Gene, diefür Kaliumkanäle kodieren, welche in unterschiedlichenGeweben der verschieden Organismen zu finden sind. In-teressanterweise finden sich jedoch auch schon in Bakterienund sogar Viren Gene, die für Kaliumkanäle kodieren. Dieszeigt, dass sich im Laufe der Evolution eine Vielzahl ver-schiedener Ionenkanäle entwickelt hat, die interessanter-

Abb. 1 Kegelschnecken leben räuberisch. A. Die Schale vonConus gloriamaris (aus [6]) B. Conus purpuracens auf Beute-fang (aus [13]) C. Rasterelektronemikroskopisches Bild einesZahnes der Kegelschnecke Conus obscurus (aus [7]).

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C

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weise oft in der Toxinwelt ihr Gegenstück finden. So scheintpermanent eine Art „Koevolution“ von Toxinen und den„dazugehörigen“ Zielmolekülen stattzufinden.

Kegelschneckengifte – 50 Millionen JahrePharmakologie erregbarer Zellen

Eine besonders erfolgreiche Gattung bei der GenerierungIonenkanal-gerichteter Toxine sind die im Meer lebendenKegelschnecken (Conidae). Kegelschnecken sind bekanntdurch ihre schönen Schalen, die oft auffällige Muster besit-zen (Abbildung 1). Weniger gut bekannt ist, dass es sich beidiesen Mollusken um räuberisch lebende Tiere handelt, diesich von anderen Schnecken, Würmern oder sogar Fischenernähren. Der Beutefang erfolgt durch die Injektion vonGiften in die Opfer, die dadurch bewegungsunfähig ge-macht und dann verschlungen werden. Um ein Opfer zuharpunieren, wird ein Zahn in die Spitze eines „Rüssels“(der Proboscis) verlagert und mit diesem Zahn das Opfergestochen und das Gift injiziert (siehe Abbildung 1; weite-re Informationen mit Video hierzu: http://video.national-geographic.com/video/player/animals/invertebrates-ani-mals/other-invertebrates/snail_cone.html).

Die chemische Analyse der Gifte der verschiedenen Ke-gelschneckenarten zeigte, dass es sich hierbei um einenkomplexen Cocktail aus einer Vielzahl biologisch aktiverPeptide, den Conotoxinen oder Conopeptiden handelt. Co-nopeptide sind Gen-kodiert (d.h. die einzelnen Peptide wer-den über Zwischenstufen aus einer dazugehörigen DNA ge-

neriert), interagieren mit unterschiedlichen Ionenkanälenund Rezeptoren und sind durch folgende Eigenschaften ge-kennzeichnet: Sie sind hochspezifisch, außergewöhnlichpotent und extrem vielfältig. Jede der über 500 bekanntenKegelschneckenarten hat wahrscheinlich ein artspezifischesGift entwickelt, dass aus bis zu 200 verschiedenen Cono-peptiden besteht. Daher geht man davon aus, dass es weitmehr als 50.000 verschiedene Conotoxine gibt, was eine imTierreich außergewöhnliche Variabilität einer Substanz-gruppe darstellt.

Conotoxine sind häufig Cystein-reiche Peptide, die ausVorläuferpeptiden enzymatisch gebildet werden. Anhandder verschiedenen Disulfidbrücken, die für die Struktur undFunktion der Peptide essenziell sind, werden Conotoxinein verschiedene Familien eingeteilt (Abbildung 2) [12]. DieUntersuchung der Wirkungen der Gifte von fischfangendenArten zeigte, dass die Wirkung des Gesamtgiftes sich min-destens in zwei Phasen unterteilen lässt: Eine schnelle Pha-se („excitotoxic shock“), die von einer massiven Übererre-gung des Beutetieres herrührt, gefolgt von einer neuro-muskulären Entkopplung („neuromuscular block“), die zueiner Erschlaffung des Beutetieres führt. Die verschiedenenGiftwirkungen konnten auf verschiedene Conotoxinfamili-en mit unterschiedlichen Zielmolekülen zurückgeführt wer-den: So ist eine Blockierung von Kaliumkanälen (κ-Cono-toxine) bei gleichzeitiger Inhibition der Inaktivierung vonNatriumkanälen (δ-Conotoxine) essenziell für die schnel-len Giftwirkungen [13]. Demgegenüber resultiert die neu-romuskuläre Entkopplung aus der Gesamtwirkung ver-schiedener Peptide, die präsynaptische Calciumkanäle (ω-Conotoxine), postsynaptische skelettmuskelspezifische Na-triumkanäle (μ-Conotoxine) und nikotinische Acetylcho-linrezeptoren (α-Conotoxine) blockieren (Abbildung 3).

Dies zeigt, dass es sich bei dem Gift der Kegelschneckenum einen Cocktail von Einzelkomponenten handelt, die je-weils hochspezialisiert mit einem Zielmolekül interagieren.

Kegelschnecken gibt es bereits seit 50 Millionen Jahren,was bezogen auf die gesamte Evolution eine kurze Zeit dar-stellt. Mit Blick auf die ausgefeilte Pharmakologie dieserPeptide ist dies jedoch eine Zeit, die die Forschung nutzenkann, indem sie versucht, die Wirkungsweise dieser Pepti-de zu verstehen um so neue, bisher unbekannte Wirkme-chanismen zu identifizieren („Lernen aus der Natur“).

Ein Beispiel hierfür sind Conotoxine, die mit Kalium-kanälen interagieren. Die hohe Anzahl der verschiedenenGene, die für Kaliumkanäle kodieren, führte zu der Ver-mutung, dass die Wahrscheinlichkeit für die Existenz vonConopeptiden, die mit diesen Kanälen interagieren, in denGiften der Kegelschnecken sehr hoch sein müsste. Den-noch ist es erst vor gut zehn Jahren gelungen, mit κ-Cono-toxin PVIIA das erste Conotoxin zu identifizieren, das mitKaliumkanälen interagiert [10, 13]. Mittlerweile sind meh-rere Conotoxine aus unterschiedlichen Peptidfamilien be-kannt, die an Kaliumkanäle binden (Abbildung 4). Interes-santerweise stellte sich hierbei heraus, dass Peptide mitganz unterschiedlicher Struktur ähnliche pharmakologische

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… die mit Kationenkanälen interagieren. Conopeptide werden entsprechend derZielmoleküle (Targets) in verschiedene Familien eingeteilt. Die für die dreidimen-sionale Struktur und die Funktion der Peptide wichtigen Disulfidbrücken-bildendenCysteine sind gelb hervorgehoben.

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Eigenschaften haben können [1]. Da spezifische Pharmakafür die Untersuchung der Struktur aber auch der Funktionvon Ionenkanälen eine große Bedeutung haben, könntendiese Ergebnisse für das molekulare Verständnis der Inter-aktion eines Pharmakons mit einem Kaliumkanal wichtigsein. So kann man etwa über die Interaktionsstellen einesToxins mit dem Kaliumkanal Informationen über die Be-deutung bestimmter Aminosäuren auf dem Ionenkanal fürdie pharmakologischen Eigenschaften des Proteins erhal-ten.

Zusätzlich scheinen die verschiedenen Interaktions-stellen von Peptid und Ionenkanal für die Spezifität wich-tig zu sein. Die Untersuchungen hierzu können bei diesenSubstanzgruppen für potenzielles „Drug Design“ bei einermöglichen Arzneimittelentwicklung beitragen.

Für Kaliumkanal-bindende Conopeptide konnte gezeigtwerden, dass sich die zugrunde liegenden molekularen In-teraktionen bei ähnlicher Targetspezifität stark unterschei-den können. Dies bedeutet, dass während der Evolution of-fensichtlich verschiedene Interaktionsmuster für die glei-che Bindung innerhalb der Kegelschneckengifte generiertwurden. Die Untersuchungen zum Verständnis dieser In-teraktionsmuster stehen erst am Anfang. Aufgrund von Un-tersuchungen zu Peptidtoxinen aus anderen Organismenwie Skorpionen oder Schlangen ist davon auszugehen, dassähnliche molekulare Mechanismen für die Interaktion mitKaliumkanälen auch dort zu finden sind, was darauf hin-deutet, dass vergleichbare molekulare Interaktionen mit Io-nenkanälen häufiger evolviert sind.

Conotoxine mit klinischem PotenzialNeben ihrer Bedeutung als Hilfsmittel für die Erforschungder Struktur und Funktion von Ionenkanälen besitzen Co-nopeptide ein großes Potenzial für pharmakologische undpharmazeutische Anwendungen. Da Ionenkanäle an sehrunterschiedlichen physiologischen und damit auch patho-physiologischen Prozessen beteiligt sind, sollten Conotoxi-ne, die in der Regel durch eine hohe Spezifität der Interak-tion mit dem jeweiligem Zielmolekül gekennzeichnet sind,auch klinisch relevant eingesetzt werden. Ein potenziellerEinsatz hängt im Wesentlichen von der Lokalisation undFunktion eines Ionenkanales (z.B. Muskel vs. Neuron) undvon den pharmakologischen Eigenschaften des Peptides ab.

Weltweit gibt es mittlerweile mehrere Arbeitsgruppenund Firmen, die sich zum Ziel gesetzt haben, Conotoxinezu identifizieren, die aufgrund ihrer Eigenschaften klinischeingesetzt werden können. Der Schwerpunkt der For-schung liegt hierbei auf Substanzen, die analgetisch wirken(Tabelle 1). So hat das mit spannungsabhängigen Ca++-Ka-nälen interagierende ω-Conotoxin MVIIA eine Zulassung alsSchmerzmittel (siehe nächsten Abschnitt), weitere Sub-stanzen befinden sich in der klinischen Testung [8].

Die analgetische Wirkung der einzelnen Peptide ent-steht durch die Wechselwirkung mit unterschiedlichen Io-nenkanälen und Rezeptoren wie z.B. spannungsabhängigeCa++- und Na+-Kanäle aber auch nikotinische Acetylcholin-

rezeptoren, Neurotensinrezeptoren und Glutamatrezepto-ren vom NMDA-Typ. Dies zeigt, dass Conopeptide über dieBeeinflussung unterschiedlicher am Schmerz beteiligter Sig-nalkaskaden analgetisch wirksam sein können und trägt zu-sätzlich zum besseren Verständnis der am Schmerz betei-ligten Signalkaskaden bei. So hat erst die Entdeckung, dass

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an einer neuromuskulären Endplatte. δδ-Conotoxine hemmen die Inaktivierung vonNa+-Kanälen (gelb); κκ-Conotoxine interagieren mit K+-Kanälen (blau); ωω-Conotoxi-ne blockieren spezifisch präsynaptische Ca++-Kanäle (grün); αα-Conotoxine blockie-ren nikotinische Acetylcholinrezeptoren (rot); μμ-Conotoxine blockieren spezifischNa+-Kanäle des Skelettmuskels (gelb). Die Kombination der Einzelwirkungen führtzur Immobilisierung des Beutetieres (nach [2]).

Nervenzelle

Muskelzelle

TAB. 1 CO N OTOX I N E M I T K L I N I S C H E M P OT E N Z I A L

Conuspeptid Zielmolekül Indikationω-MIIA N-Typ Ca++-Kanäle Schmerz

(Cav2,2)

ω-CVID N-Typ Ca++-Kanäle Schmerz(Cav2,2)

Contulakin-G Neurotensin- SchmerzRezeptor

χ-MrIA Noradrenalin- Schmerztransporter

α-Vc1.1 Nicotinische SchmerzAcetylcholin-

rezeptoren

Conantokin-G NMDA Rezeptoren Schmerz, Epilepsie

κ-PVIIA K+-Kanäle Herzinfarkt

μO-MrVIB Na+-Kanäle Schmerz

ωω-MVIIA ist alsSchmerzmittel zu-gelassen. Bis aufPVIIA und MRVIA,die sich in der prä-klinischen Phasebefinden, befan-den oder befindensich die anderenPeptide in der kli-nischen Testung(nach [8]).

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Diese Ergebnisse sind sehr spannend, da bisher die Be-deutung von Kaliumkanälen bei Reperfusionsschäden über-haupt nicht verstanden wird. Ferner sollte man bei einerVeränderung der Aktivität von Kaliumkanälen durch dasPeptid eigentlich auch Effekte auf die Aktionspotenzialfre-quenz der Herzmuskelzellen und damit auf die hämodyna-mischen Parameter erwarten. Derzeit wird an den moleku-laren Mechanismen, die diesen Befunden der cardiopro-tektiven Wirkung von PVIIA und weiteren ähnlich wirken-den Conopeptiden zugrunde liegen, gearbeitet. Neuere Be-funde zeigen, dass Conopeptide, die mit Kaliumkanälen in-teragieren, grundsätzlich auch bei weiteren Indikationeneinsetzbar sind.

Ein Conopeptid als Schmerzmittel Bei der Schmerzaufnahme und Schmerzfortleitung wird ei-ne schädigende Wirkung auf das Gewebe, die sogenannteNoxe über die elektrische Erregung von Schmerzrezepto-ren weitergeleitet. Diese sogenannten Nozizeptoren habenSynapsen im Hinterhorn des Rückenmarks. Für die Freiset-zung des Transmitters an diesen Synapsen müssen be-stimmte Ca++-Kanäle vom N-Typ (Cav2.2) aktiviert sein. Dasbei starken Schmerzen eingesetzte Morphin und auch an-dere Opiode wirken auf diese Synapse, indem über eine In-teraktion mit dem Opiodrezeptor vom μ-Typ G-Proteine ak-tiviert werden, was zu einer Blockade der Ca++-Kanäle führt(Abbildung 5).

Im Gegensatz zur Wirkungsweise von Morphin intera-giert das ω-Conotoxin MVIIA (Ziconotide oder Prialt®) nichtmit dem Opiodrezeptor, sondern direkt mit dem Ca++-Ka-nal. Diese Interaktion scheint sehr potent zu sein. So gehtman davon aus, dass MVIIA etwa 1000-fach stärker wirkt alsMorphium [11]. Zusätzlich scheint es unter ω-ConotoxinMVIIA wesentlich weniger zu Gewöhnungseffekten zu kom-men. Ein potenzielles Problem bei der Morphingabe ist,dass sich eine Toleranz ausbilden kann, die dazu führt, dassman immer mehr Substanz braucht, um eine bestimmteWirkung zu erzielen. Diese Toleranz könnte mit der indi-rekten, über die G-Proteine vermittelte Wirkung von Mor-phin auf den Ca++-Kanal zusammenhängen. Soweit bekannt,scheint eine ähnliche Toleranz bei der Gabe von ω-Cono-toxin MVIIA viel weniger aufzutreten.

Aufgrund von potenziellen Nebenwirkungen kannMVIIA nicht intravenös appliziert werden. Deshalb mussdieses Peptid über eine Pumpe intrathekal appliziert wer-den (Abbildung 5). Dies macht sofort deutlich, dass Prialt®

als Schmerzmittel nur unter besonderen Bedingungen ge-geben werden kann und sollte.

Eine genauere Beschreibung zu den Eigenschaften vonω-Conotoxin MVIIA finden sich in weiteren Artikeln zu die-sem Thema [5, 11].

AusblickDas Beispiel ω-Conotoxin MVIIA zeigt, dass Conotoxinepharmakologische Eigenschaften besitzen, die auch klinischrelevant sein können. Aufbauend auf die Erforschung die-

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die an Kaliumkanälenkanäle binden. A. Vergleich der Sequenz und der Struktur vondrei Conotoxinen, die an Kaliumkanäle binden. B. Alle drei Peptide aus A. blockie-ren den gleichen Kaliumkanal (Shaker aus Drosophila) (modifiziert nach [1] und[3]).

A

B

Kontrolle Kontrolle Kontrolle

ω-Conotoxine analgetisch wirken, gezeigt, dass N-Typ Ca++-Kanäle (Cav2.2) ein potenzielles Target für die Schmerzbe-handlung darstellen.

Neben ihrem Potenzial als Analgetika könnten Cono-peptide auch bei anderen Indikationen nützlich sein. So hatsich für das mit Kaliumkanälen interagierende Peptid κ-Co-nopeptid PVIIA gezeigt, dass dieses Peptid nach intraven-öser Applikation in vivo beim Kaninchen, Ratte und Hunddie Herzinfarktgröße verringert [4, 14]. Interessant hierbeiist, dass PVIIA auch dann protektiv wirkt, wenn es erst nachder Ischämie (Mangelversorgung mit Blut) und vor der Re-perfusion (Wiederdurchblutung) gegeben wird, was der kli-nischen Situation nahe kommt. Ferner werden die hämo-dynamischen Eigenschaften (Blutdruck, Herzfrequenz)durch PVIIA nicht verändert.

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ses biomedizinischen Potenzials von Conopeptiden ist da-von auszugehen, dass noch weitere Conotoxine mit inte-ressanten pharmakologischen Eigenschaften identifiziertund charakterisiert werden. Da es sich bei den Conotoxi-nen um Peptide handelt, ist nicht immer zu erwarten, dassdiese die erste Wahl speziell bei den Darreichungsformendarstellen. So können sie z.B. nicht gut oral verabreicht wer-den. Deshalb ist davon auszugehen, dass Conotoxine häu-fig selbst nicht als Medikament in Frage kommen. Die Un-tersuchung der pharmakologischen Eigenschaften dieserPeptide kann jedoch bei der Entwicklung neuer Leitstruk-turen sehr hilfreich sein.

ω-Conotoxin MVIIA ist eine der ersten Substanzen auseinem Meeresorganismus, die als Medikament verwendetwird. Somit sind Conotoxine bisher eines der wenigen Bei-spiele, wie aus einer Substanz eines marinen Organismusein Medikament geworden ist. Es ist davon auszugehen,dass die Untersuchung der pharmakologischen Eigenschaf-ten weiterer Conopeptide sowohl für das Verständnis derMechanismen von Erkrankungen als auch für die Entwick-lung neuer Leitstrukturen bei der Suche nach neuen Medi-kamenten wichtige Beiträge leisten wird.

Aufgrund der Vielzahl der noch unerforschten Lebens-formen im Meer ist zudem zu erwarten, dass es noch vieleverborgene „Schätze“ pharmakologisch wirksamer marinerNaturstoffe gibt, die es zu entdecken und zu heben gilt.

ZusammenfassungEin wichtiger Schritt bei der Entwicklung neuer Medikamen-te ist die Identifizierung von Substanzen mit neuen, krank-heitsrelevanten Wirkmechanismen. Diese Substanzen könnendann als Leitstrukturen Ausgangspunkt für die Weiterent-wicklung dieser Substanzgruppe zum eigentlichen Medika-ment sein. Eine der Strategien, neue Substanzen mit bisherunbekannten Wirkmechanismen zu finden, ist, in der Naturnach biologisch aktiven Verbindungen zu suchen und den Me-chanismus dieser Wirkungen zu untersuchen. Ein Beispiel fürdieses „Lernen aus der Natur“ ist die Analyse der Wirkungs-weise der Gifte von den räuberisch im Meer lebenden Kegel-schnecken.

Die Gifte der Kegelschnecken bestehen aus einer außeror-dentlichen Vielzahl von Peptiden, den Conopeptiden, von de-nen die einzelnen Peptide als absolute Spezialisten hochspe-zifisch mit verschiedenen Ionenkanälen und Rezeptoren inte-ragieren. Ionenkanäle und Rezeptoren sind membrangebun-dene Proteine, die praktisch in allen Zellen vorkommen und anden verschiedensten physiologischen Prozessen beteiligt sind.Aufgrund ihrer Bedeutung für die elektrische Erregbarkeit vonZellen sind Ionenkanäle häufig Zielmoleküle von Giften. Ver-schiedene Conopeptide befinden sich bereits in der klinischenErprobung und das analgetisch wirkende Peptid ω -ConotoxinMVIIA (Ziconotide; Prialt®) ist eines der ersten zugelassenenMedikamente aus einem marinen Naturstoff.

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Durch die spezifische Blockierung von präsynap-tisch lokalisierten N-Typ Ca++-Kanälen an den Sy-napsen der sensorischen Fasern wird die Transmit-terfreisetzung und somit die Schmerzfortleitungblockiert. Die Applikation von Prialt® erfolgt intra-thekal mittels einer Pumpe (rechts) (nach [9]).

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SummaryA major step during the development of new drugs is the iden-tification of a substance with a new mechanism of action thatis relevant for a certain disease. These substances potentiallycan be used as “lead structures” for the further developmentof the actual drug. One strategy to identify new substanceswith unknown modes of action is to look for biologically ac-tive substances occurring in nature and to investigate themechanism of action of these substances. A good examplefor this approach in “learning from nature” is the analysis ofthe mode of action of the venoms from the predatory marinecone snails.

The venoms of cone snails consist of an extraordinaryrepertoire of peptides, the conopeptides. Each peptide is a spe-cialist interacting specifically with a certain ion channel or re-ceptor protein. Ion channels are membrane bound proteinsthat are present in essentially all cells and are involved in awhole variety of different physiological processes. Due to theirrole for the electrical excitability of cells ion channels are of-ten targets for different toxins. Several conopeptides are al-ready within clinical development and the peptide ω -cono-toxin MVIIA (Ziconotide; Prialt®) with analgesic action is oneof the first marine substances that obtained approval as adrug.

Literatur und AnmerkungenDieser Artikel basiert auf einen Beitrag des Autors für das Magazin FOCUSuni-luebeck der Universität Lübeck.[1] S. Becker und H. Terlau, Toxins from cone snails: properties,

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Der AutorHeinrich Terlau, geboren 1959 in Hiddingsel,studierte Biologie in Münster und Göttingen. Erpromovierte 1990 in Tierphysiologie und waranschließend als wissenschaftlicher Mitarbeiter amMax-Planck-Institut für biophysikalische Chemie undam Max-Planck-Institut für experimentelle Medizin,Göttingen, tätig. 1998 schloss er die Habilitation fürPhysiologie ab. Seit 2005 ist er wissenschaftlicherMitarbeiter des Institutes für experimentelle undklinische Pharmakologie und Toxikologie der Uni-versität Lübeck. 2006 folgte die Habilitation fürPharmakologie und Toxikologie. Seit 2009 hat er dieVertretung einer Professur für Physiologie an derChristian-Albrechts-Universität Kiel inne. For-schungsschwerpunkte: Funktion und Pharmakologievon Ionenkanälen.

KKoorrrreessppoonnddeennzzaaddrreesssseenn:: Prof. Dr. Heinrich TerlauInstitut für experimentelle und klinische Pharmako-logie und ToxikologieUniversität Lübeck Ratzeburger Allee 16023538 Lübeck

und

Physiologisches InstitutChristian-Albrechts-Universität KielOlshausenstr. 4024098 [email protected]