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Kinder der Blauen Blume

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Band 51der Fernseh-Serie Raumpatrouille

H. G. Francis

Kinder derBlauen Blume

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Die ORION-Crew entdeckte in den Tiefen des Planeten Marsneben uralten, aber gut erhaltenen Anlagen der Invasorenauch einen Transmitter.

Nach gründlichen Überlegungen entschieden sich dieRaumfahrer dafür, sich von dem noch immer funktionieren-den Transmitter zur unbekannten Gegenstation befördern zulassen. Sie erlebten eine Überraschung, denn sie kamen an ei-nem Ort heraus, den sie alle noch gut aus einem Einsatzkannten, der vor langer Zeit stattfand: im stählernen Turm derDherrani auf dem Planeten Cassina.

Da sie sich damals mit den Verhältnissen auf Cassina ver-traut gemacht hatten, hielten sie es für ungefährlich, den Turmzu verlassen und die Außenwelt zu betreten. Sie erlebten einezweite Überraschung, die beinahe tödlich für sie ausgegangenwäre, denn die Pflanzen der Dschungelwelt Cassina griffen sieunerbittlich an – und der stählerne Turm hatte sich hinter ih-nen geschlossen.

Im letzten Augenblick tauchte ein fremdartiges Raumschiffauf und nahm die Todgeweihten an Bord. Doch damit fandensich die Raumfahrer als Gefangene der Vorthanier wieder, dieeinst als Hilfsvolk dem Rudraja dienten, aber die Erinnerun-gen daran fast vergessen haben. Dafür werden sie von Unan-dat beherrscht, dem Elektronengehirn ihrer riesigen Raumsta-tion, das seine ursprüngliche Programmierung im Lauf vielerJahrtausende verändern konnte. Die ORION-Crew wurde, mitAusnahme von Atan Shubashi, der auf dem Mars zurückblieb,nach Vortha verschleppt. Man behandelt die Raumfahrerfreundlich, doch man läßt sie nicht gehen. Mario de Montiverliebt sich in die Vorthanierin Erethreja und erfährt von ihr,welche Aktivitäten die Vorthanier unter der »Regierung« Un-andats entfalten.

Sie erfahren auch von einer Gruppe Vorthanier, deren Mit-glieder mit geheimnisvollen Kräften ausgestattet sind und sichanschicken, diese Kräfte anzuwenden: es sind DIE KINDERDER BLAUEN BLUME ...

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Die Hauptpersonen des Romans:Assimladja und Usqueesid – Zwei Kinder der Blauen Blume.Atan Shubashi – Er wartet auf dem Mars auf die Rückkehr seiner

Kameraden.Tunaka Katsuro – Direktor des GSD.Morales Töwaölö – Ein verachteter Indianer wird zum Retter der

Erde.Enrico Fardi – Ein Mutant mit bösen Plänen.

1.

Assimladja trat als erste aus dem Transmitter.Sie blickte sich verwirrt in der Station um, die ihr

fremd vorkam, obwohl sie sich nur in Details von derunterschied, die das Kind der Blauen Blume abgestrahlthatte. Auf dem Boden lagen einige Gebrauchsgegen-stände herum, die irgend jemand achtlos weggewor-fen hatte. Die Vorthanierin nahm einen Gürtel aufund legte ihn auf ein Podest, nachdem sie ihn sorg-fältig zusammengerollt hatte.

In der Station war es hell. Alle Geräte waren inOrdnung. Assimladja sah die Lichtzeichen der Kon-trollen und entdeckte nirgendwo ein Alarmlicht.Dennoch eilte sie kurz von Gerät zu Gerät und über-prüfte sie. Erst als sie festgestellt hatte, daß wirklichalles in Ordnung war, strahlte sie das Signal ab.

Sekunden später traf Irisandija ein.»Ist alles in Ordnung?« fragte sie mit sanfter Stim-

me. Assimladja lächelte über die naive Frage. Wennirgend etwas nicht in Ordnung gewesen wäre, hättesie das Signal nicht gegeben. Sie setzte zu einer ta-delnden Entgegnung an, als Elvedurija kam. Sie fuhrsich mit beiden Händen durch das blaue Haar, das

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ihren Kopf bedeckte, und ihre Augen schlossen sichzu schmalen Schlitzen.

»Was ist denn?« fragte sie. »Warum mußten wirsolange warten?«

»Du solltest mich kennen«, entgegnete Assimladja.»Du solltest wissen, daß ich sorgfältig und vorsichtigbin. Ich prüfe lieber zweimal, bevor ich euer Lebengefährde.«

»Pah«, machte Elvedurija. Sie fand stets alles über-trieben, was Assimladja unternahm. Wenn es nach ihrgegangen wäre, dann wäre alles schneller gegangen.Sie war bereit, etwas zu riskieren.

Yllyrhadja lächelte, als sie aus dem Transmitter trat.Graziös ging sie zu einem Gerät hinüber und lehntesich daran. Sie strich sich mit den Fingerspitzen überdie Wangen, um die samtartige Haut zu pflegen. Siewar nett und freundlich zu allen, nur wenn jemandbehauptete, daß sie nicht die schönste von allen war,konnte sie heftiges Temperament beweisen.

Als erster Mann kam Omdhurid aus dem Trans-mitter. Auch er lächelte und verzichtete auf Fragen.Er schien überhaupt nicht auf den Gedanken zukommen, daß irgendwo Schwierigkeiten auftauchenkönnten. So war sein Naturell. Anders Otsummid,der einen fast ängstlichen Eindruck machte. Er gingnicht so hochaufgerichtet und geschmeidig wie dieanderen Vorthanier. Ein unbeteiligter Beobachterhätte aus seiner Haltung schließen können, daß ersich allen anderen widerspruchslos unterordnete.Aber das täuschte. Otsummid verfügte über ein ge-sundes Maß an Selbstvertrauen und Intelligenz.

Usqueesid bildete den Abschluß. Ironisch lächelndblickte er sich um.

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»Ihr seid ja so ruhig«, sagte er. »Ohne mich kommtihr wohl nicht klar? Oder irre ich mich?«

»Ich glaube, daß wir ohne dich weniger Schwierig-keiten hätten«, erwiderte Elvedurija angriffslustig.

»Ruhig jetzt«, befahl Assimladja. »Ich will nichtsmehr hören. Wir wollen uns auf unsere Aufgabe kon-zentrieren. Das allein ist wichtig.«

»Gern«, sagte Usqueesid. »Dagegen ist nichts ein-zuwenden. Wo fangen wir an?«

Assimladja schaltete den Transmitter aus und blok-kierte die Programmierung, so daß niemand sie ver-ändern konnte, bevor nicht sieben Objekte gleicherMasse hindurchgegangen waren. Es war äußerst un-wahrscheinlich, daß überhaupt jemand diese Stationentdeckte, und noch unwahrscheinlicher war, daßdieser Entdecker dann den Transmitter anders pro-grammierte, um ein anderes Ziel anzusteuern. AberAssimladja dachte darüber gar nicht nach. Es warselbstverständlich für sie, daß sie eine derart über-flüssige Absicherung traf. Elvedurija beobachtete siespöttisch, sagte jedoch nichts. Sie wußte, daß sie As-simladja nicht mehr ändern würde, obwohl sie beideerst 17 Jahre alt waren und sich damit in einem Alterbefanden, in dem man sich noch ändern konnte,wenn man wollte.

Usqueesid schaltete ein Fernbeobachtungsgerät ein.Auf einem Bildschirm erschienen ein paar hellePunkte. Der Vorthanier drehte an einigen Knöpfen.Die Punkte verwischten sich, und einer von ihnenwuchs rasch an, bis er zu einer großen Scheibe ge-worden war, die den ganzen Bildschirm ausfüllte.

»Stell' doch mal scharf«, forderte Omdhurid unge-duldig.

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»Ich bin schon dabei«, erwiderte Usqueesid.»Du solltest ihn nicht stören«, sagte Assimladja ta-

delnd. »Er gibt sich Mühe.«»Das ist ja wohl auch das mindeste, was wir von

ihm erwarten können«, bemerkte Elvedurija.»Hast du die Worte Unandats vergessen?« fragte

Assimladja. »Sie fordern dich auf, freundlich, gedul-dig und sanft zu sein.«

»Ich habe sie nicht vergessen«, erklärte Elvedurija.»Die Worte leben in mir.«

Das Bild wurde scharf. Es zeigte einen blauen Pla-neten vor einem tiefschwarzen Hintergrund. Die Er-de.

»Wie schön«, sagte Irisandija ergriffen.»Fast so schön sie Ssassara Hjuul.« Yllyrhadja stie-

gen die Tränen in die Augen.»So habe ich mir diese Welt vorgestellt«, behaup-

tete Usqueesid.»Wir wollen einen Kontaktblock bilden, damit wir

die Gedanken der Bewohner dieses Planeten erfassenkönnen«, sagte Assimladja und streckte ihre Händeaus. »Kommt!«

Die anderen rückten näher zu ihr heran. Sie ergrif-fen sich bei den Händen und schlossen die Augen,um sich ganz auf die ferne Welt zu konzentrieren, diedas Beobachtungsgerät erfaßt hatte. Ihre psionischeEnergie floß zu Assimladja, die ein parapsychischesZentrum bildete. Assimladja wartete geduldig ab, bissie sich stark genug fühlte. Dann öffnete sie ihre Sin-ne für den Gedankenstrom, der von der Erde aus-ging.

Assimladja hatte sich eigentlich noch gar nichtrichtig mit den Menschen befaßt. Sie wußte, daß die

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Erde bewohnt war, und daß die Menschen nochnichts von der Lehre Unandats ahnten. Das war aberauch so ziemlich alles, was ihr bekannt war.

Eine Vorstellung davon, wieviel Menschen auf derErde lebten, hatte sie ebenso wenig wie die anderen.Daher traf sie die Gedankenflut, die von der Erde aus-ging, wie ein Schock. Sie taumelte zurück. Ihre Augenweiteten sich, und sie begann am ganzen Körper zuzittern. Panikartig zog sie sich zurück und verschloßsich gegen alle auf sie einströmenden Gedanken.

Sie ließ die Hände der anderen los und eilte zu ei-nem pontonförmigen Gerät, um sich zu setzen.

»Das habe ich nicht gewußt«, sagte sie stammelnd.Sie wiederholte ihre Worte noch einige Male. Das

war ein deutliches Zeichen dafür, wie heftig sie derSchock getroffen hatte. Den anderen erging es kaumbesser. Lediglich Usqueesid, der Spötter, zeigte sichrelativ unbeeindruckt.

»Wir wußten ja, daß sie nichts von Unandat wis-sen«, sagte Elvedurija. »Daß sie deshalb aber so an-ders sind, damit habe ich nicht gerechnet.«

Damit drückte sie aus, was auch die anderen emp-fanden.

»Wir wollen es noch einmal versuchen«, sagte As-simladja, als etwa eine halbe Stunde verstrichen warund sie sich wieder erholt hatten. »Dieses Mal wer-den wir aber vorsichtiger sein.«

»Wir sind besser vorbereitet«, stellte Usqueesidsachlich fest. »Dieses Mal wird es keinen Schock ge-ben.«

»Das glaube ich auch nicht.« Assimladja kehrte zuden anderen zurück und streckte die Hände auffor-dernd aus.

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Wieder konzentrierten sich die Vorthanier. Siesammelten ihre psionischen Kräfte, bis Assimladjaendlich vorsichtig ihre Sinne öffnete und die aus derFerne kommenden Gedanken der Milliarden Men-schen der Erde auf sich einströmen ließ.

Am meisten verwirrte und verunsicherte sie die Tat-sache, daß aus all diesen Gedanken kein gemeinsamerGrundgedanke und kein gemeinsames Hauptempfin-den herausleuchtete. Da war nichts von der Lehre Un-andats zu erkennen. Die Gedanken bildeten ein chaoti-sches Durcheinander. Eine Ordnung gab es nicht.

Assimladja brach in Tränen aus. Sie ließ die Händesinken und blickte die anderen an. Auch sie weintenvor Mitleid. Selbst Usqueesid hatte tränenfeuchteAugen.

»Sie kennen die Lehre Unandats wirklich nicht«,sagte Elvedurija erschüttert. »Bis jetzt habe ich esnicht geglaubt. Ich habe es mir nicht einmal vorstellenkönnen, daß es so etwas gibt. Wie ist das möglich?«

»Wie können sie überhaupt ohne Unandat leben?«fragte Irisandija verstört. Sie litt am meisten unter derLeere, die in dieser Gedankenflut gewesen war.

Omdhurid legte ihr tröstend den Arm um dieSchultern.

»Wir müssen ihnen helfen«, sagte er stockend. Erblickte Assimladja bittend an. »Nicht wahr, Assim-ladja? Das werden wir doch tun?«

»Sie tun mir so leid«, sagte Otsummid erschüttert.»Ich könnte es mir nie verzeihen, wenn wir ihnen dieLehre Unandats nicht vermitteln würden. Wir müs-sen es einfach tun.«

»Wir werden es tun«, versprach Assimladja. Sie lä-chelte unter Tränen. Sie streckte die Hände aus. »Ich

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freue mich, daß ihr so denkt und fühlt. Es macht michglücklich.«

*

Morales Töwaölö verzog keine Miene, als Jamy Ban-der den Quadulbehälter mit dem Fuß umstieß.

»Tut mir leid«, sagte der Lichtspruchtechniker.»Ehrlich.«

Er blickte auf Morales herab, der etwa vierzig Zen-timeter kleiner war als er. Der Indianer kniete sichnieder und sammelte die über den Boden verstreutenTeile auf, ohne zu protestieren oder Bander zurecht-zuweisen.

»Ich glaube, du bildest dir ein, daß ich das absicht-lich getan habe«, sagte der Lichtspruchtechniker. »Soist es doch, oder?«

Morales antwortete nicht.»Kannst du nicht den Mund aufmachen?« fragte

Bander gereizt.Der Indianer richtete sich auf, nachdem er das

letzte Teil aufgenommen und in den Kasten gelegthatte. Mit halbgeschlossenen Lidern stand er vor demTechniker.

»Ich erfülle meinen Vertrag«, sagte er. »Was störtdich daran?«

»Überhaupt nichts«, behauptete Bander.»Dann könntest du mich in Ruhe lassen«, erwiderte

der Brasilianer. »Und wenn du das nächstemal Qua-dule über den Boden verstreust, dann könntest duruhig daran denken, daß diese äußerst empfindlichsind und daß unser Vorrat so gut wie erschöpft ist.«

»Wir befinden uns bereits im Sonnensystem. In ei-

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ner Stunde landen wir auf der Erde. Da gibt es genugQuadule.«

»Ist das ein Grund, etwas absichtlich zu zerstören?«»Du behauptest also, ich hätte es absichtlich getan«,

sagte Bander. Seine Faust fuhr blitzschnell vor. DerIndianer versuchte, ihr auszuweichen, aber er warnicht schnell genug. Der Lichtspruchtechniker trafihn am Kinn und schleuderte ihn mit diesem Schlaggegen die Wand. Morales sackte zu Boden, richtetesich jedoch sogleich wieder auf. Doch nun hatte Ban-der Oberhand. Er schlug noch zweimal zu und trafentscheidend.

Der Brasilianer blieb auf dem Boden liegen. Er warnicht bewußtlos, aber doch so betäubt, daß er nichtmehr kämpfen konnte. Er blickte den Techniker aushalbgeschlossenen Augen an. In seinem braunen Ge-sicht zuckte kein Muskel.

Jamy Bander stand breitbeinig über ihm.»Willst du nicht aufstehen?« fragte er höhnisch.Morales Töwaölö antwortete nicht. Bander konnte

nicht erkennen, ob er diese Worte überhaupt gehörthatte. Die stoische Ruhe des Brasilianers reizte ihn. Erhatte das Verlangen gehabt, Morales zu demütigen,nun aber spürte er, daß er nicht wirklich an ihn her-ankam. Was er auch tat, es schien an ihm abzugleiten.

»Und was kommt jetzt?« fragte er hitzig. »Wirst dudir den Körper bemalen und die bösen Geister derRache anrufen?«

Morales schwieg und blieb liegen. Als Bander je-doch versuchte, ihm in die Seite zu treten, rollte ersich rasch weg, richtete sich halb auf, blieb auf demBoden sitzen und lehnte sich mit dem Rücken an dieWand. Er blickte den Techniker ausdruckslos an.

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»Mann«, schrie Bander. »Warum bist du nicht ein-fach im Urwald bei deinen Stammesgenossen geblie-ben? Was hast du bei uns zu suchen? Das ist nichtdeine Welt, Bananenfresser.«

»Bist du nun endlich fertig?« fragte Morales, alsBander seine Beschimpfung beendete. »Oder hast dunoch einige überzeugende Argumente mehr?«

Jamy Bander strich sich mit der Hand über die Au-gen, drehte sich um und ging davon. Er schwankteleicht, als sei er betrunken. Doch das war er nicht.Morales wußte, daß er nie trank.

Im Grunde genommen mochte er Jamy Banderganz gern, auch wenn dieser hin und wieder aus derRolle fiel und ihn dann schmählich beleidigte. Dochspäter tat es ihm dann stets leid, und bisher hatte derLichtspruchtechniker sich noch immer bei ihm ent-schuldigt.

So aber hatte Morales ihn noch nie gesehen.Er stand auf und folgte dem Techniker einige Me-

ter weit. Dann blieb er stehen.»Bander«, rief er. »Was ist mit dir los?«Der Lichtspruchtechniker drehte sich nicht um. Er

ging weiter, öffnete eine Tür und verschwand darin.Morales überlegte einige Sekunden lang, ob er ihmnoch weiter folgen sollte, wandte sich dann jedoch ab.Er hatte keinen Grund, sich um Bander zu kümmern.Bander hatte ihn geschlagen und war damit weit überalles hinausgegangen, was er sich bis dahin geleistethatte.

Der Brasilianer kehrte an seine Arbeit zurück. Ernahm die Quadule auf, entfernte die Verschalung ei-ner Wand und tauschte einige nicht mehr voll funkti-onsfähige Quadule gegen neue aus.

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Eine Erschütterung ging durch das Schiff.Morales stutzte. Er rieb sich das schmerzende Kinn

und blickte sich um. Er war allein in einem Gang ne-ben dem Haupttriebwerk. Erschütterungen währenddes Anflugs bei Unterlichtgeschwindigkeit auf dieErde? So etwas hatte er noch nicht erlebt.

Er fragte sich, was passiert sein konnte.War die MIROBE mit einem Meteoriten zusam-

mengestoßen?Unwahrscheinlich, sagte er sich. Der Frachtraumer

war – wie die meisten anderen Raumschiffe diesesZeitalters auch – gegen solche Zusammenstöße gesi-chert, so daß sie so gut wie nie auftraten.

Was aber konnte sonst das Raumschiff erschüttern?Morales wußte es nicht. Er war Quadultechniker

und Mädchen für alles an Bord der MIROBE. AlsRaumfahrer war er jedoch nicht ausgebildet. Er wärenicht in der Lage gewesen, die MIROBE allein zu flie-gen, einen Lichtspruch abzusetzen oder die Compu-terüberwachung vorzunehmen.

Er entschloß sich, Jamy Bander zu folgen und ihnzu fragen.

Als er sich der Tür näherte, durch die derLichtspruchtechniker verschwunden war, fühlte er,wie der Boden unter ihm schwankte. Er blieb stehen,schloß die Augen und konzentrierte sich. Er hatte sichnicht getäuscht. Das Raumschiff flog unruhig undwurde ständig leicht erschüttert. So war es noch niegewesen.

Er öffnete die Tür.»Bander?« rief er. »Wo bist du?«Im Werkzeugteileraum hielt Bander sich nicht auf.

Morales betrat kurzentschlossen den Triebwerks-

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raum, weil er hoffte, hier Chefingenieur Hannopanvorzufinden, aber auch Hannopan war nicht da.

Morales fühlte, wie es ihn kalt überlief. Hatten dieanderen Besatzungsmitglieder das Schiff verlassen,ohne ihn zu informieren? Er hielt es nicht für ausge-schlossen. Ohne das geringste Gefühl von Bitterkeitstellte er fest, daß er für die meisten doch nur der In-dianer war. Nicht gerade ein Tier, aber ein vollwerti-ger Mensch sicherlich nicht.

Es war möglich, daß sie gegangen waren, ohne anihn zu denken.

Er stieg in den zentralen Lift und fuhr nach oben.Sein Herz klopfte wild. Er wußte, wie wütend Kom-mandant Lapoint reagieren konnte, wenn er in dasHeiligtum der MIROBE eindrang, ohne gerufen wor-den zu sein.

Er erinnerte sich noch recht gut daran, was gesche-hen war, als er vor zwei Jahren die Hauptleitzentralebetreten hatte. Lapoint hätte ihn fast umgebracht.Hannopan hatte ihn daran gehindert. Er war es auchgewesen, der Lapoint veranlaßt hatte, ihn nur mit ei-ner Geldbuße zu belegen. Lapoint hatte ihm ein hal-bes Jahresgehalt gestrichen.

Seitdem war Morales nicht mehr in der Zentralegewesen.

Jetzt blieb ihm keine andere Wahl. Er mußte wis-sen, ob die anderen noch an Bord waren, oder ob erallein war.

Die Tür öffnete sich.Der Brasilianer betrat die Zentrale. Kommandant

Lapoint saß in seinem Sessel. Er hielt ein Blatt Papierauf den Knien. Er zeichnete eine Blume. Jamy Banderstand neben ihm. Er lächelte. Seine Augen glänzten.

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Chief Hannopan saß in einem anderen Sessel. Erwar völlig entspannt. Sein Kopf ruhte auf der Rük-kenlehne. Er hielt die Augen geschlossen. Moraleszweifelte nicht daran, daß er schlief.

Waffentechnikerin Mary O'Donnogan blickte aufihre Hände, die sie langsam drehte und wendete, alsforme sie mit ihnen aus einer unsichtbaren Masse ei-ne Skulptur. Sie lächelte ebenfalls. Computerspezia-list Bond tippte immer wieder andere Buchstaben-Zahlenkombinationen in die Tastatur des Computers.Er lachte hin und wieder leise auf, wenn die Ergeb-nisse aufleuchteten, und stellte sogleich neue Berech-nungen an.

Morales eilte zu ihm und legte ihm die Hand aufdie Schulter.

»Was tust du, Bond?« fragte er. »Bist du verrücktgeworden?«

Der Computertechniker beachtete ihn nicht. Mora-les packte ihn mit beiden Händen und schüttelte ihnheftig.

»Ich habe zwar keine große Ahnung davon«, sagteer, »aber ich weiß immerhin, daß der Computer 80Prozent aller Funktionen an Bord steuert. Selbst ichkann sehen, daß du mit diesen Manipulationen dasSchiff gefährdest. Nichts stimmt mehr. Sieh dich dochum. Überall rote Lichter.«

Eine Alarmpfeife heulte auf. Morales ließ die Hän-de sinken. Spätestens jetzt hätte einer von den ver-antwortlichen Offizieren in der Hauptleitzentralereagieren müssen. Sie hätten merken müssen, daßetwas nicht in Ordnung war. Aber sie reagierten ganzanders, als Morales erwartet hatte.

Chief Hannopan ging zum Steuerleitpult und

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schaltete die Alarmanlage kurzerhand aus. Es wurdestill in der Zentrale.

Der Indianer ging wortlos zum Hauptbildschirm.Er schaltete ihn ein. Das Raumschiff befand sich inder Nähe des Jupiter. Morales stellte mühelos fest,daß es an dem Planeten vorbeifliegen würde, sichihm dabei jedoch so näherte, daß es in die Mondbah-nen geriet. Ein derartiger Kurs konnte unmöglichvom Chefnavigator Barries programmiert wordensein.

Morales wollte Barries fragen, doch er sah, daß derNavigator nicht ansprechbar war. Er verhielt sichebenso wie die anderen. Die realen Probleme desRaumschiffs interessierten ihn nicht. Er schien sieüberhaupt nicht wahrzunehmen.

Morales eilte zum Kommandanten. Entschlossennahm er ihm das Blatt mit der Blumenzeichnungweg. Er hoffte, daß Lapoint nun wütend reagierenwürde. Der Kommandant nahm jedoch eine Naviga-tionskarte und begann erneut zu zeichnen. Moralesnahm ihm auch diese weg. Lapoint lehnte sich zu-rück, verschränkte die Arme vor der Brust undblickte glücklich lächelnd nach oben.

»Kommandant, das geht nicht gut«, sagte Moraleslaut. »Sie müssen etwas tun, oder wir rammen einender Jupitermonde.«

Lapoint tat, als habe er ihn nicht gehört.Morales blickte zum Hauptbildschirm. Ein Warn-

licht leuchtete pulsierend im Zentrum des Schirmesauf. Das war ein absolut klares Zeichen, das auchMorales verstand. Ein großes Objekt befand sich vorihnen. Das Raumschiff raste direkt darauf zu. Eskonnte nur einer der Jupitermonde sein.

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Morales schlug wütend zu. Seine flache Handklatschte Lapoint ins Gesicht. Der Kommandantrutschte fast aus dem Sessel, aber auch jetzt zeigte erkein Interesse für das Schiff. Er setzte sich wieder be-quemer im Sessel hin, lächelte zufrieden und schloßseufzend die Augen.

»Sagen Sie doch etwas, Lapoint«, schrie der India-ner. »Sagen Sie mir, wie ich das Schiff anhalten oderauf einen anderen Kurs bringen kann.«

Der Kommandant schwieg.In seiner Verzweiflung rannte Morales zum Steu-

erleitpult. Er riß alle Hebel in die Nullstellung zu-rück, drehte Knöpfe, drückte Tasten und schaltetealles, was er eindeutig genug erkennen konnte, zu-rück. Alle Systeme stellten ihre Arbeit ein. Nur denGeschwindigkeitsmesser ließ der Indianer weiterlau-fen. Er zeigte an, daß sich die MIROBE mit unver-minderter Geschwindigkeit dem Kollisionsobjekt nä-herte.

Damit war klar, daß alles, was er getan hatte, wir-kungslos geblieben war. Er hätte das Raumschiff nurretten können, wenn er vollen Gegenschub gegebenoder die MIROBE auf einen anderen Kurs gebrachthätte. Nun aber war es zu spät. Nur noch Minutenblieben, bis das Raumschiff mit dem Jupitermond zu-sammenprallte.

Morales ballte die Fäuste, als er begriff, daß ernichts für die Besatzung tun konnte. Ihm blieb nurnoch eines. Er mußte sich selbst retten. Er mußte dasRaumschiff verlassen.

Mit einer LANCET konnte er umgehen. Ein derar-tiges Beiboot war die letzte Chance, die er hatte.

Er verließ die Hauptleitzentrale. Zwanzig Sekun-

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den später war er bereits in der LANCET. Dann be-nötigte er noch einmal neunzig Sekunden, bis er dasBeiboot starten konnte. Mit hoher Beschleunigungverließ es den Frachtraumer, unmittelbar bevor diesermit dem achten Jupitermond kollidierte.

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2.

Irisandija schrie entsetzt auf.Yllyrhadja rief schluchzend: »Ich wußte nicht, daß

es solche Menschen unter ihnen gibt.«Und damit drückte sie genau aus, was die anderen

dachten und empfanden. Alle Vorthanier warenmaßlos überrascht. Keiner von ihnen hatte damit ge-rechnet, daß es das Ende für das Raumschiff bedeu-ten könnte, wenn sie sich mit der Besatzung befaßten.

»Ich verstehe das einfach nicht«, gestand Assim-ladja ein. Sie war die klügste und umsichtigste vonallen. Daß selbst sie nicht zu erklären wußte, was ge-schehen war, verunsicherte die anderen.

»Wir haben so etwas noch nicht erlebt«, sagte Us-queesid dennoch ruhig. »Deshalb sind wir über-rascht. Sollten wir uns aber nicht klar darüber sein,daß es immer Ausnahmen im Leben gibt? Nichts istbis ins Detail hinein so, wie wir es uns vorstellen undwünschen.«

»Ich kenne deine lose Zunge«, entgegnete Assim-ladja streng, »aber jetzt gehst du zu weit. Selbstver-ständlich gibt es etwas, das keine Ausnahme kennt.Hast du das vergessen?«

»Es gibt Unandat«, sagte Elvedurija.»Ich wollte nicht freveln«, beteuerte Usqueesid.»Dann sei lieber still«, befahl Assimladja.»Was machen wir denn nun?« fragte Omdhurid.

»Ich meine, wir müssen uns doch entscheiden. Wiegeht es weiter?«

»Wir fliegen zur Erde. Das ist der blaue Planetdort«, entschied Assimladja. »Daran ändert sich

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nichts. Aber wir wissen, daß es unangenehme Zwi-schenfälle geben kann. Wir sind nun darauf vorbe-reitet und können uns entsprechend verhalten.«

»Wir sind vorbereitet. Das ist richtig«, sagte Elve-durija in einem Ton, der klarstellte, daß für sie nochlange nicht alles besprochen war. »Was tun wir aber,wenn es wieder zu einem solchen Zwischenfallkommt?«

»Ich weiß es nicht«, gestand Assimladja ein. »Hateiner von euch eine Idee?«

Die anderen schwiegen, weil auch sie nicht wuß-ten, was sie im Wiederholungsfall tun sollten.

»Rekonstruieren wir erst einmal«, schlug Usquee-sid vor, als einige Minuten verstrichen waren. »Waswar die Ursache dafür, daß das Raumschiff außerKurs gekommen und dann mit einem Mond diesesPlaneten zusammengeprallt ist?«

»Das ist einfach zu beantworten«, erwiderte Elve-durija. Sie setzte sich auf ein Steuergerät und schlugdie schlanken Beine übereinander. »Dieser Mensch,den sie Indianer nennen, hat uns nicht gehört. Er isttaub.«

»Das ist richtig«, stimmte Usqueesid zu. Er lächelteanerkennend. »Während alle anderen unserer Bot-schaft lauschten, hantierte er an den Geräten in derHauptleitzentrale herum.«

»Er war verantwortlich dafür, daß der Raumer au-ßer Kurs kam«, bemerkte Irisandija. Für sie war stetsalles einfach. War aber tatsächlich einmal irgend et-was wirklich kompliziert, dann pflegte sie es zu igno-rieren.

In diesem Fall widersprach ihr niemand, da alle dergleichen Ansicht waren.

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»Was mich so entsetzt hat, ist die Tatsache, daßausgerechnet der an der Katastrophe Schuldige sichgerettet hat«, sagte Assimladja.

»Du bist unlogisch«, entgegnete Usqueesid, der dieChance nutzte, sich für den Verweis, den er erhaltenhatte, zu revanchieren. »Ist der Indianer nicht dereinzige, der sich Unandat noch verschließt? Währenddie anderen ihr Herz für Unandat geöffnet hatten, hater sich ihm nicht zugewandt. Unandat hat ihn ent-kommen lassen, damit er Gelegenheit erhält, sichspäter in Demut vor ihm zu beugen.«

Assimladja war verblüfft. Sie hatte nicht damit ge-rechnet, ausgerechnet von dieser Seite aus auf einenDenkfehler aufmerksam gemacht zu werden. Ihr Ge-sicht verfärbte sich und nahm eine dunkelblaue Tö-nung an.

Verwirrt sagte sie: »Wir wollen uns hier nicht län-ger aufhalten. In dieser Station befindet sich einRaumschiff. Das hat man uns jedenfalls gesagt. Wirwerden damit starten und zur Erde fliegen, um dortdie Lehre Unandats zu verbreiten. Das ist unsereAufgabe.«

»Je früher wir starten, desto lieber ist es mir«, ver-setzte Usqueesid, der seinen Triumph nur mühsamverbarg. »Hier finde ich es nämlich ziemlich langwei-lig.«

*

»Mein Name ist Morales Töwaölö. Ich bin Brasilianervom Stamm der Yanomamö. Ich komme vom RioBranco«, sagte Morales. Er fuhr sich erschöpft mit denHänden über das braune Gesicht. Unstet wanderten

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seine Blicke von einem der Offiziere zum anderen,die ihm gegenübersaßen.

Vor wenigen Minuten hatte ihn ein schneller Kreu-zer der Raumstreitkräfte der Erde mit der LANCETaufgenommen, nachdem er über Funk erklärt hatte,daß er selbst nicht in der Lage war, das Beiboot aufder Erde zu landen.

»Was ist passiert?« fragte der Kommandant. Er warein schwergewichtiger Mann mit breitem Kinn undeng beieinanderstehenden Augen.

Morales schilderte, was sich an Bord des Frach-traumers ereignet hatte. Er begann bei der Schlägerei,die er mit Jamy Bander gehabt hatte, und er endetemit seiner Flucht aus dem Raumschiff. Die Offizierehörten ihm zu, ohne ihn ein einziges Mal zu unter-brechen.

»Ist das alles?« fragte der Kommandant, als Mora-les verstummte.

»Das ist alles«, bestätigte der Indianer.Der Kommandant wandte sich an die anderen Of-

fiziere in der Hauptleitzentrale des Kreuzers.»Was sagt ihr dazu?« fragte er.»Klapsmühle«, antwortete der Chefnavigator.»Nein«, rief Morales protestierend. »Das war es

nicht. Die Offiziere hatten den Verstand nicht verlo-ren. Ich bin überzeugt davon, daß sie unter einemfremden Einfluß standen und keine Kontrolle mehrüber sich selbst hatten, während ich immun gegendiesen Einfluß war.«

»Das meine ich nicht«, erklärte der Chefnavigatorund verzog verächtlich die Lippen. »Ich bin der An-sicht, daß du in die Klapsmühle gehörst. Dort sollendie Psychiater erst einmal untersuchen, ob du über-

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haupt noch weißt, wovon du redest. Und dann sollensie herausfinden, wie du es fertiggebracht hast, diegesamte Mannschaft des Raumers auszuschalten, be-vor du ...«

Morales versteifte sich. Sein Gesicht wurde aus-druckslos. Die Beschuldigungen glitten von ihm ab.Seine Augen blickten ins Leere. Er hörte nicht mehr,was die Offiziere sagten.

Als das Raumschiff wenig später auf der Erde lan-dete, kamen zwei Männer in die Hauptleitzentrale.Sie lächelten Morales freundlich zu.

»Kommen Sie«, bat einer von ihnen. »Wir werdenIhnen helfen.«

»Ich bin völlig normal«, sagte der Indianer ruhig.»Mir fehlt nichts.«

»Das wissen wir«, antwortete der Arzt behutsam.»Machen Sie sich keine Sorgen. Wir bringen alles inOrdnung.«

Sie hörten ihm überhaupt nicht zu. Morales spürte,daß er sagen konnte, was er wollte. Sie hatten ihnentmündigt und behandelten ihn wie ein Kind, des-sen Worte ohnehin nichts zählten. Er fühlte sichdurch ihr Verhalten nicht gedemütigt, und er prote-stierte auch jetzt nicht. Er beugte sich ihnen nicht,aber er ging mit ihnen, weil er hoffte, daß sich ir-gendwann später die Gelegenheit ergeben würde,vernünftig mit ihnen zu reden. Irgendwann einmalmußten sie merken, daß er nicht verrückt war.

Als er im Gleiter zwischen den beiden Ärzten saß,lächelte er.

»Was werden Sie eigentlich tun, wenn es die Erdeerreicht?« fragte er erheitert.

»Wovon sprechen Sie?« erkundigte sich der Medi-

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ziner, der hinter den Steuerleitelementen saß. Er warüberhaupt der einzige, der etwas sagte.

»Ich meine das Fremde, das die Offiziere beeinflußthat. Was geschieht, wenn es zur Erde kommt undhier den gleichen Effekt hervorruft?«

Der Arzt blickte Morales an, und es schien, als seheer ihn zum ersten Mal wirklich. Doch gleich daraufveränderte sich wieder etwas in den Augen des Arz-tes. Sie begannen zu strahlen, und ein törichtes Lä-cheln glitt über die Lippen des Mediziners. Er hob dieHände und drehte sich langsam hin und her.

»Sie sehen aus wie Blumen, die sich im Wind be-wegen«, sagte der Indianer.

Der Arzt antwortete nicht. Auch sein Begleiterhatte alle Verbindungen zur Wirklichkeit verloren.Träumend saß er in den Polstern.

Morales begriff.Er packte den Arzt, der am Steuer saß, bei den Armen.»Hören Sie«, rief er. »Wachen Sie auf. Jetzt ge-

schieht genau das, was ich. Ihnen angekündigt habe.Die Fremden brechen zur Erde durch. Dort drüben inden Gebäuden befindet sich die Raumüberwachung.Begreifen Sie denn nicht? Man beeinflußt uns mit pa-rapsychischen Impulsen aus dem Weltraum herausund macht sich dadurch den Weg durch die Radar-überwachung frei.«

Die Ärzte reagierten nicht. Sie verhielten sich eben-so, wie die Offiziere der MIROBE es getan hatten. Siehatten kein Gefühl mehr für die Gefahr.

Sie träumten von Blumen.Morales stieg aus dem Gleiter. Er zögerte kurz,

dann rannte er zum Gebäude der Raumüberwachunghinüber. Niemand hielt ihn auf. Die Offiziere, die das

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Gebäude absichern sollten, lagen bäuchlings auf demRasen davor und betrachteten weltentrückt ein paarSommerblumen. Der Indianer lief an ihnen vorbei. Erstürmte eine Treppe hoch. Er wußte, daß die Haupt-beobachtungsstationen in den oberen Räumen waren.Das hatte er irgendwann einmal in einer Zeitschriftgelesen. Er riß eine Tür auf und blickte in einen gro-ßen Raum, in dem fünfzehn Männer und acht Frauenan großen Radarschirmen saßen.

Selbst für Morales zeichnete sich deutlich ein Ob-jekt ab, das sich im Landeanflug befand. Es war läng-lich und hatte die Form einer Zigarre.

Die Radarüberwachung aber träumte. Einige derFrauen zeichneten Blumen, so wie Kommandant La-point es getan hatte, andere saßen mit geschlossenenAugen in den Sesseln, als ob sie schliefen. Die meistenMänner lagen entspannt in den Sesseln und träumtenmit offenen Augen vor sich hin.

Morales eilte von einem zum anderen und ver-suchte, sie aus ihren Träumen zu reißen. Es gelangihm nicht.

Schließlich blieb er resignierend stehen. Seine Armesanken kraftlos herab.

»Es hat keinen Sinn«, sagte er laut. »Du schaffst esnicht.«

Alles war so, wie es in der Hauptleitzentrale derMIROBE gewesen war.

Würde es auch hier eine Katastrophe geben? Es sahso aus.

Morales drehte sich einmal um sich selbst. Dannwurde ihm bewußt, daß die Folgen für ihn nochweitaus gefährlicher sein konnten, als jene, die dasEnde des zerstörten Raumschiffes nach sich zog.

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Hatte man bisher angenommen, daß er den Verstandverloren hatte, so mochte man nun vielleicht glauben,daß er den Fremden half, die Hindernisse zu über-winden, die ihnen die terranische Raumabwehr ent-gegenstellte.

Der Indianer zog sich langsam aus der Halle zurück.Es war besser, wenn man ihn hier nicht sah. Ir-

gendein übereifriger Beamter konnte allzu leicht allesverdrehen.

Die Radarbilder wurden elektromagnetisch aufge-zeichnet. Wenn diese Phase der geistigen Beeinflus-sung vorüber war, dann war einwandfrei feststellbar,daß ein unbekanntes Flugobjekt in den Luftraum derErde eingedrungen war.

Morales beschloß, zu den Ärzten zurückzukehren.Er eilte durch die leeren Flure und verließ das Ge-

bäude. Die Offiziere lagen noch auf dem Rasen.Nichts hatte sich verändert. Die Ärzte waren nochnicht wieder Herr ihrer selbst.

Morales setzte sich in den Gleiter und wartete.Eine halbe Stunde verstrich.»Niemand wird zur Erde kommen und irgend je-

manden hier beeinflussen«, sagte der Arzt über-gangslos.

Morales wußte zunächst nicht, was er meinte. Ergrübelte über diese Worte nach, während der Medi-ziner den Gleiter startete. Dann ging ihm auf, daß derArzt auf die Frage geantwortet hatte, die er ihm ge-stellt hatte, bevor das Fremde plötzlich über ihn undseinen Kollegen gekommen war.

»Schauen Sie mal auf die Uhr«, bat der Brasilianer.»He, was ist das?« fragte der Arzt überrascht. »Ha-

ben Sie an der Uhr herumgespielt?«

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»Natürlich nicht«, antwortete Morales. »Sie wissen,daß so etwas bei diesen Uhren gar nicht möglich ist.Sie haben geträumt. Fast eine Stunde lang. Währenddieser Zeit standen Sie unter dem Einfluß einer frem-den Macht.«

»Ja, ja«, sagte der Arzt gelangweilt.»Warum rufen Sie nicht die öffentliche Zeit ab?«

fragte Morales und tippte gegen das Videophon.»Weil das nicht notwendig ist«, antwortete der

Arzt. »Nur weil ich mich geirrt habe? Es ist schonspäter als ich dachte. Na und?«

Morales lehnte sich seufzend zurück.»Es hat keinen Sinn«, sagte er. »Sie werden es nie be-

greifen. Aber einen Gefallen könnten Sie mir noch tun.«»Welchen?«»Rufen Sie die Raumüberwachung an und sagen

Sie ihnen, daß sie die Aufzeichnung der letzten Stun-de überprüfen sollen. Dabei werden sie feststellen,daß ein unbekanntes Flugobjekt die Radarschrankedurchbrochen hat.«

»Nun reicht es aber«, sagte der Arzt ärgerlich. »Ichhabe keine Lust, mich mit denen da anzulegen. Ma-chen Sie sich keine Sorgen. Es ist nichts passiert.«

»Könnten Sie es nicht dennoch versuchen?« fragteder Indianer. »Vielleicht ist einer da, der sich die Auf-zeichnungen ansieht. Das würde schon genügen.«

Der Arzt schüttelte den Kopf. Er glaubte, daß Mo-rales sich alles nur in seinem kranken Hirn eingebil-det hatte.

»Das gehört nicht zu meiner Therapie«, erklärte erund beschleunigte voll.

*

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»Es ist alles ganz einfach«, sagte Enrico Fardi. »Manmuß die Fragen nur auf die Gesetze der Natur redu-zieren. Alle unsere Probleme scheinen unerhört kom-pliziert zu sein, so daß sie kaum noch zu bewältigensind. Das ist alles verschrobener Unsinn, mit dem wiruns selbst belügen. Wir tun so, als seien wir so hoch-entwickelt, daß für uns die Gesetze der Natur nichtmehr gelten. Wir tun so, weil wir uns selbst schmei-cheln wollen.«

»Schmeicheln?« fragte Teco schüchtern. »Das ver-stehe ich nicht.«

Enrico Fardi stopfte sich ein Stück gebratenesFleisch in den Mund. Mit vollem Mund sprach erweiter.

»Natürlich wollen wir uns damit schmeicheln. Wirtun so, als seien wir höhere Wesen, dabei verhaltenwir uns aber wie die Hengste und Stuten in einerHerde von Wildpferden.«

»Verhalten wir uns denn so?« fragte der Zwerg.Der Mutant zupfte eine Fleischfaser aus den Zäh-

nen hervor, betrachtete sie und schob sie sich wiederin den Mund.

»Selbstverständlich«, antwortete er. »Wir kämpfenständig um eine Rangordnung. In jeder Gruppe Men-schen versucht jeder, seine Rangordnung zu finden,so wie es unter den Hengsten und Stuten auch ist. Esgibt Kämpfe. Nun gut, sie werden bei uns Menschennicht mehr mit Füßen und Zähnen ausgefochten,sondern mit Worten. Oder auch schon die Sitzord-nung, die wir am Tisch einnehmen.«

»Das ist richtig«, stimmte der zwergenhafte Tecozu und blickte sehnsüchtig auf das duftende Fleisch.

»Dieser Kampf um die Rangordnung setzt sich fort.

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Er charakterisiert unser ganzes Leben. Besonders deut-lich wird es im Berufsleben. Einige kommen gar nichterst auf den Gedanken, daß sie etwas anderes seinkönnten als Arbeiter. Andere kämpfen solange mitaller Kraft, bis sie Boß sind. Aber auch dann ist derKampf um einen höheren Rang noch nicht zu Ende.Er geht weiter um mehr Macht, um mehr Einfluß.«

»Ich verstehe«, flüsterte Teco.»Und so wie der einzelne um einen höheren Rang

kämpft, so kämpfen auch die Völker um eine Rang-ordnung. So war es früher, so ist es heute, und sowird es für alle Zeiten sein. Und das nicht nur auf derErde, sondern auch in der Galaxis. Siehst du, duZwerg, das ist es, was ich meinte. Die Menschen derErde dürfen nicht mit dem zufrieden sein, was sie er-reicht haben. Sie müssen versuchen, der Rangerste inder Galaxis zu werden. Und wenn sie das erreichthaben, müssen sie sich anderen Galaxien zuwendenund hier ihren naturgegebenen Anspruch auf denhöchsten Rang unter den Völkern geltend machen.«

»Und danach?« fragte Teco.»Diese Frage könntest du dir selbst beantworten,

wenn du zugehört hättest«, sagte Enrico Fardi. »Da-nach muß sich die Menschheit anderen Universenzuwenden. Aber was tut diese Menschheit? Sie gibtsich mit dem Rang eines Gleichen unter Gleichen zu-frieden. Das ist eine Haltung, die mich als Menschzutiefst beleidigt.«

Er wandte sich seinen Frauen zu, die in einem ver-tragslosen Zustand mit ihm zusammenlebten.

»Habt ihr mich verstanden?« herrschte er sie an.»Ja, Enrico«, antworteten sie alle drei gleichzeitig in

unterwürfigem Ton. »Wir haben verstanden.«

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»Ihr dürft gehen«, sagte er und unterstrich mit einerGeste, daß er allein mit Teco sein wollte. Die drei Frau-en erhoben sich aus den Sesseln und eilten aus demRaum. »Siehst du, Teco, das ist es, was ich meinte.«

Der Zwerg nickte.»Sie gehorchen Ihnen aufs Wort. Keine würde es

wagen, gegen Sie aufzubegehren.«»Sie haben die Rangordnung, die in diesem Haus

herrscht, ein für allemal akzeptiert. Und das ist gutso.« Der Mutant strich sich selbstzufrieden lächelndüber das bärtige Kinn. Er stand auf und ging zu ei-nem Fenster. Der zwergenhafte Teco blieb bei ihm. Erstellte sich auf hölzerne Stelzen, um ebenfalls ausdem Fenster sehen zu können.

Der Blick glitt über endlos weite Wälder. Der Palastdes Vorsitzenden des Raumfahrerverbandes lag imNaturschutzgebiet, das nahezu das gesamte Amazo-nasbecken umfaßte. Im Zeitalter der Industrialisie-rung war das Amazonasbecken zum Teil erschlossenworden. Doch Landerschließungen, Rodungen undUmweltverschmutzung hatten eine derart nachteiligeWirkung auf das ökologische Gleichgewicht gehabt,daß das Amazonasbecken unter Naturschutz gestelltworden war. Die Siedlungen waren wieder aufgege-ben worden. Der zivilisierte Mensch hatte sich ausdiesem Gebiet wieder zurückgezogen. Geblieben wa-ren nur die Eingeborenen, die hier seit Jahrtausendengelebt hatten – die Indianer. Sie lebten größtenteils inDörfern unter einfachen Lebensbedingungen, da vielevon ihnen alles abgelehnt hatten, was ihrem Wesennicht entsprach.

Einige Indianerstämme jedoch lebten unter Bedin-gungen, die durchaus mit denen der anderen Brasi-

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lianer zu vergleichen waren. Sie wohnten in elegan-ten Bungalows, wurden aus siedlungseigenenKraftstationen mit Energie versorgt und pflegten en-ge kulturelle Verbindungen zu anderen Menschenaußerhalb des Schutzgebiets. Sie bezogen ihr Ein-kommen aus Arbeiten, die mit dem regen Tourismusim Amazonasbecken zusammenhingen. Sie betreutenForschungsexpeditionen, die vor allem von Biologenimmer wieder unternommen wurden, oder sie arbei-teten im Dienste namhafter Naturforschungszentren.

Enrico Fardis Palast stand, wie schon gesagt, imNaturschutzgebiet. Er hatte den Befehl gehabt, ihnabzureißen, doch damit war die Naturschutzbehördebei ihm nicht durchgekommen. Er hatte seine Ver-bindungen spielen lassen. Der Abbruchbefehl waraufgehoben worden.

Teco raffte sich zu einer Frage auf, die weit überdas hinausging, was er bisher von sich gegeben hatte.

»Diese Theorien habe ich schon einige Male ge-hört«, sagte er. »Und doch klingt heute etwas anderesin Ihren Worten mit. Was ist es? Was veranlaßt Sie,diese Dinge heute abermals zu betonen? Ist etwaspassiert, wovon ich noch nichts weiß?«

Enrico Fardi drehte sich um und blickte den Zwergdurchdringend an. Seine blauen Augen weiteten sichein wenig. Tecos Lippen zuckten. Er wußte, daß Enri-co Fardi ihn jetzt telepathisch bis auf den Grund sei-ner Seele durchleuchtete. Er spürte davon überhauptnichts, aber es war ihm unangenehm. Dies war nichtdas erste Mal, daß der Mutant so etwas tat. Für Fardiwar es selbstverständlich, die Menschen genau aus-zuloten, mit denen er es zu tun hatte. Dennoch ver-spürte Teco heute ein besonderes Unbehagen.

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Der Mutant ging darüber hinweg.»Es ist etwas passiert«, erklärte er. »Eine fremde

Macht nähert sich der Erde. Sie will uns eine neueHeilslehre bringen.«

»Sie sieht sich also als ranghöher an als wir?«»Unsinn«, erwiderte der Mutant heftig. »Sie ordnen

sich selbst überhaupt nicht ein, sondern nur jenesWesen, dessen Lehren sie uns bringen wollen, Unan-dat, ist für sie der Höchste. Nach seinen Vorstellun-gen sollen alle leben.«

Teco lächelte.»Die Menschen werden sie hinauswerfen. Sie ha-

ben nicht viel für solche Dinge übrig.«»Die Menschen werden sich nicht dagegen wehren.

Das ist es ja. Die Fremden gehen mit parapsychischenKräften gegen die Menschheit vor. Oh, sie meinen esgut. Sie sind nicht böse, jedenfalls nicht in unseremSinn. Sie sind todtraurig darüber, daß wir von Unan-dat noch nichts wissen.«

»Sie werden unsere Abwehrstellungen nichtdurchbrechen.«

»Das haben sie längst getan, denn sie machen dieMenschen zu harmlosen Träumern.« Enrico Fardipackte den Zwerg und hob ihn von den Stelzen her-unter. »Das ist meine Chance, Teco. Darauf habe ichgewartet. Ich werde die Stunde nutzen und meineZiele durchsetzen. Die Menschheit wird zu träumenbeginnen, aber ich werde handeln. Und wenn dieMenschheit aus ihren Träumen erwacht, ist alles inmeinem Sinn geregelt. Verlaß dich darauf. Morgensieht die Erde anders aus.«

Er verließ die Halle. Sein Diener Teco schloß sichihm an.

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Sie stiegen zum Dach des Gebäudes empor, wo inversteckt angebrachten Nischen zahlreiche Gleiterparkten. Der Mutant wählte eine Maschine aus. DerZwerg setzte sich hinter das Steuer.

»Wohin?« fragte er.»Dumpfkopf«, sagte der Mutant ärgerlich. »Nach

Brasilia natürlich. Wohin sonst?«Teco startete, brachte die Maschine auf den richti-

gen Kurs und fragte: »Was werden Sie dort tun?«Enrico Fardi lächelte.»Ich sehe die Entwicklung deutlich vor mir«, sagte

er. »Die Fremden werden auch über Brasilia erschei-nen. Unter ihrem Einfluß werden die Menschen vor-übergehend vergessen, wer sie sind. Sie werden zuTräumern. So wird es auch in den verschiedenen Mi-nisterien der Provinzverwaltung sein. Dort aber lie-gen ganze Berge von meinen Änderungsvorschlägenund Vollmachtanträgen.«

»Jetzt verstehe ich«, entgegnete der Zwerg aner-kennend.

Enrico Fardi lehnte sich in den Polstern zurück. Erverschränkte seine Arme vor der Brust.

»Sicherlich werden sich später viele darüber wun-dern, daß meine Vorschläge und Anträge plötzlichabgezeichnet und damit genehmigt worden sind,aber dann ist es zu spät. Dann habe ich die Macht, dieich haben wollte, und ich bin im Besitz von zahllosenunterzeichneten und abgestempelten Dokumenten,die das bestätigen. Ich sagte ja, es hätte nicht besserkommen können.«

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3.

Das Raumschiff der Vorthanier passierte die ver-schiedenen Sicherheitsgürtel der terranischen Rau-mabwehr, ohne behindert zu werden oder irgendwoAlarm auszulösen.

»Ich sagte es euch ja«, triumphierte Omdhurid, derOptimist unter ihnen. »Sie sind friedlich, und das istschließlich das einzige, was wichtig ist.«

Irisandija lenkte das Raumschiff in eine Umlauf-bahn um die Erde, nachdem die verschiedenen Or-tungssysteme in kybernetischer Zusammenarbeit mitden Bordcomputern die Positionen der zahllosenkünstlichen Satelliten ausgemacht, aufgezeichnet undin den Kurscomputer eingegeben hatte, so daß dieserden Autopiloten mit entsprechenden Daten versorgenkonnte. Irisandija blieb als Pilotin nicht mehr viel zutun als den allgemeinen Kurs zu bestimmen. Und dastat sie nach den Anweisungen, die Assimladja ihrgab.

»Wir wollen nacheinander alle Kontinente über-fliegen«, sagte die Anführerin der Vorthanier. »Da-nach suchen wir uns ein Gebiet größter Vitalität aus.Von dem aus werde ich operieren. Ich möchte euchbitten, euch selbst die Bereiche auszusuchen, die ihrübernehmen wollt.«

»Ich werde bei dir bleiben«, erklärte Usqueesid.»Du brauchst einen Pragmatiker, der dafür sorgt, daßdu mit beiden Beinen auf dem Boden der Tatsachenbleibst.«

»Ach, und dafür bist du gerade der richtige, wie?«fragte Otsummid eifersüchtig. Er war sonst stets still

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und zurückhaltend. Wenn es jedoch um Assimladjaging, die er verehrte, dann konnte er recht tempera-mentvoll sein.

»Ich denke schon«, antwortete Usqueesid lässig.»Oder solltest du der Ansicht sein, daß du ... Nein.Das glaube ich nicht.«

»Usqueesid bleibt bei mir«, sagte Assimladja.Der stille Otsummid beugte sich widerspruchslos

ihrer Entscheidung.Omdhurid zeigte auf die Bildschirme, auf denen

die Umrisse des nordamerikanischen Kontinents zusehen waren. Andere Schirme des Ortungssystemszeigten verschieden gefärbte Zonen vor allem an denKüsten.

»Das gefällt mir«, sagte Omdhurid. »Dort gibt esviele Menschen.«

»Aber nur wenige Pflanzen«, wandte Elvedurijaspöttisch ein.

»Das stört mich nicht«, sagte Omdhurid. »Dannwerde ich die Menschen eben zu den Pflanzen füh-ren. Auch in diesem Land da unten gibt es genügendPflanzen. Man muß sie nur sehen wollen. Also. Bisspäter, meine Freunde.«

Er hob grüßend einen Arm. Seine samtblaue Hautverdunkelte sich, und er verschwand. Er teleportiertesich aus dem Raumschiff, um irgendwo auf demnordamerikanischen Kontinent zu rematerialisieren.

»An den nächsten Kontinent gehe ich«, erklärte Ot-summid, der noch nicht verwunden hatte, daß As-simladja ihn abgewiesen hatte.

»Einverstanden«, sagte Assimladja mit einem ver-steckten Lächeln. Sie wußte sehr wohl, was in ihmvorging, aber sie empfand nun einmal mehr für den

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temperamentvolleren und stets etwas ironischen Us-queesid.

Während das Raumschiff die Erde umrundete, ver-schwand einer der Vorthanier nach dem anderen ausder Hauptleitzentrale, bis Assimladja und Usqueesidallein waren. Der Raumer näherte sich dem südame-rikanischen Kontinent.

»Dort ist ein riesiges Waldgebiet«, stellte Assim-ladja mit leicht belegter Stimme fest. Sie fürchtete,Usqueesid könne die Situation zu einigen Bemerkun-gen nutzen, die nicht ganz im Sinn Unandats warenund außerdem nicht zu ihrem Einsatz paßten. Ihr Ge-sicht verfärbte sich und wurde dunkelblau. »Dortwerden wir es leichter haben, als die anderen, die esmit großen Menschenmassen zu tun haben. Hoffent-lich haben sie sich nicht überschätzt.«

»Jetzt unterschätzt du dich und uns«, erwiderteUsqueesid in der ihm eigenen, schleppenden Art.»Wir erlitten einen Schock, als wir feststellen mußten,daß die Bewohner dieses Planeten keine Ahnung vonUnandat haben. Ich gestehe, daß selbst mich dasMitleid fast überwältigt hat. Mittlerweile aber habenwir uns gefangen. Wir wissen, wie schrecklich dasalles für die Menschen der Erde ist, aber das Mitleidwird uns nicht mehr behelligen. Im Gegenteil. Ichweiß, daß wir bald auf der Hut sein müssen, damitwir von dem auf uns eindringenden Glücksgefühlnicht erdrückt werden. Oder irre ich mich?«

Assimladja dachte über seine Worte nach.»Nein, du irrst dich nicht«, antwortete sie nach ei-

niger Zeit. »Zu Anfang werden es nur wenige Men-schen sein, die die Lehre Unandats kennen. Aberdann werden es immer mehr werden, bis endlich alle

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in Unandat aufgehen. Das Glücksgefühl, das dieMenschen erfassen wird, wird den ganzen Planetenüberschwemmen, und wir werden in der Tat aufpas-sen müssen, daß wir darin nicht untergehen. Du bistein kluger Mann, Usqueesid.«

»Laß uns lieber teleportieren, bevor wir sentimentalwerden«, sagte er spöttisch. »Oder?«

Sie erblaute erneut und streckte zögernd eine Handaus. Er ergriff sie.

»Ich freue mich«, sagte er. »Wir haben eine schöneAufgabe.«

»Hoffentlich gibt es nicht so viele gefährliche Men-schen wie jener, durch dessen Schuld das Raumschiffzerstört wurde.«

»Es gibt bestimmt nicht viele«, erwiderte er trö-stend. »Ich kann es mir einfach nicht vorstellen, denndas wäre nicht im Sinn Unandats, der der Anfangund das Ende ist.«

Sie blickten sich an und teleportierten.Das Raumschiff flog weiter. Es blieb auf dem ein-

geschlagenen Kurs um die Erde, gelenkt vom Auto-piloten. Assimladja wußte, daß keinerlei Gefahr fürdas Raumschiff bestand. Es würde bald niemandenmehr auf der Erde geben, der es bedrohen konnte.

Die Vorthanier hatten keinerlei Bedenken, denMenschen die Lehre Unandats zu bringen. Keinervon ihnen dachte auch nur im entferntesten daran,daß ihr Feldzug für Unandat eine Versklavung derMenschheit bedeuten könnte. Sie alle waren fest da-von überzeugt, daß sie den Menschen das höchsteLebensglück brachten.

*

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Morales saß zwischen den beiden Ärzten, die hin undwieder ein Wort miteinander wechselten. Sie ver-hielten sich in seinen Augen närrisch, und je länger erbei ihnen blieb, desto deutlicher wurde ihm bewußt,daß er verloren war, wenn sie erst einmal die Klinikerreicht hatten. Man würde ihn in eine Zelle sperren,da man glaubte, er habe den Verstand verloren. EinRoboter würde ihn physisch versorgen, und ein Arztwürde die Aufgabe erhalten, ihn zu behandeln. Dader Einfluß der fremden Macht aber immer deutlicherwurde, stand für Morales fest, daß sich bald über-haupt kein Arzt mehr um ihn kümmern würde. Dannwürde er in der Kabine festsitzen und es nur noch miteinem Roboter zu tun haben, der nicht in der Lagewar, ihn daraus zu befreien.

Vorsichtig beobachtete er die Ärzte. Er war sichnicht ganz klar darüber, in welchem Zustand sie sichbefanden. Waren sie wirklich Herr ihrer selbst oderstanden sie unter dem fremden Einfluß? War dieserEinfluß ständig vorhanden, oder machte er sich nurhin und wieder für einige Sekunden bemerkbar?Oder war es umgekehrt? Wurden die Ärzte hin undwieder für einige Sekunden frei?

Der Gleiter landete auf dem Dach der Klinik.»Steigen Sie aus«, bat einer der beiden Ärzte

freundlich. Seine Augen waren völlig klar. Er zeigtewieder jenes Gebaren, mit dem er Morales von An-fang an begegnet war.

Der Indianer gehorchte. Er verließ den Gleiter undwartete mit hängenden Armen, bis beide Ärzte aus-gestiegen waren. Die Mediziner unterhielten sichüber ein Konzert, das sie in der Cosmophon-Anlageder Klinik gehört hatten. Morales beachtete sie nur

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am Rande. Einer von ihnen tippte den Indianer an,um ihm zu bedeuten, daß er losgehen sollte.

In diesem Moment handelte Morales.Seine rechte Faust fuhr hoch. Sie schlug krachend

gegen das Kinn eines der beiden Mediziner und fällteihn. Der andere Arzt schreckte zurück.

»Machen Sie doch keinen Unsinn«, bat er verstört.»Was tun Sie denn?«

»Keine Ahnung«, antwortete Morales. »Woher sollich das wissen? Ich bin doch verrückt.«

Er lachte und stürzte sich auf den Mediziner, derihn mit ungeschickten Armbewegungen abzuwehrenversuchte. Mühelos durchbrach der Indianer dieseVerteidigung. Seine Faust traf den Arzt in der Herz-gegend. Der Mediziner verfärbte sich und sackte aufdie Knie, so daß der wesentlich kleinere Indianer ihnbequem mit einem zweiten Schlag besiegen konnte.

Nun aber war der andere Arzt wieder auf den Bei-nen. Er umklammerte Morales von hinten und ver-suchte, ihm Mund und Nase zuzudrücken. Er war einweit gefährlicherer Kämpfer als sein jüngerer Kollege.Der Indianer drehte sich in seinen Armen, ließ sichüberraschend auf die Knie fallen und brachte denArzt auf diese Weise in eine Position, in der er umsein Gleichgewicht kämpfen mußte.

Geschickt kroch Morales rückwärts durch die Beinedes Arztes hindurch. Er stieß die Hände von sich, dieihn gepackt hatten und griff nach den Beinen desMediziners. Dieser erwartete, daß er versuchen wür-de, ihn nach vorn umzuwerfen. Das tat Morales je-doch nicht. Er wechselte eine Hand nach oben undkrallte sie in den Stoff der Jacke des Arztes. Danndrückte er einen Fuß gegen das freie Bein seines Geg-

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ners und warf diesen mit einem kräftigen Ruck nachhinten zu Boden. Er rollte sich zur Seite, so daß derMediziner nicht auf ihn fallen konnte.

Er hörte, wie der Arzt mit dem Kopf auf den Bodenschlug. Langsam richtete er sich auf. Die beiden Me-diziner lagen bewußtlos auf dem Dach. Er sah ihnenjedoch an, daß sie bald wieder zu sich kommen wür-den.

Er eilte zum Gleiter und öffnete den Koffer mit derNotausrüstung. Wie erhofft, fand er darin einigeAmpullen eines leichten Betäubungsmittels, wie esbei Notoperationen nach Verkehrsunfällen benutztwurde. Sie waren mit einer einfachen Injektionsnadelversehen, die auf Knopfdruck aus der Ampulle fuhr.

Morales nahm zwei Ampullen und versetzte seinenbeiden Gegnern eine leichte Narkose.

Nun wußte er, daß sie für wenigstens fünfzehn M i-nuten außer Gefecht waren. Das genügte ihm. In dieserZeit konnte er sich weit von der Klinik entfernt haben.

Er stieg in den Gleiter, startete und beschleunigtemit Höchstwerten. Er überlegte, wohin er sich wen-den sollte. Die Zukunft sah düster aus für ihn. Fragloswürde bald eine Fahndung nach ihm beginnen. Siewürde einem Geisteskranken gelten. Es bestand je-doch auch die Gefahr, daß die Raumfahrtbehörde ihnbeschuldigte, für den Untergang der MIROBE ver-antwortlich zu sein.

Morales wußte nicht mehr, worauf er hoffen sollte.War es gut für ihn, wenn die Fremden mit ihrem un-bekannten Einfluß die Verwirrung auf der Erde stei-gerten? Vielleicht geriet darüber in Vergessenheit,was mit der MIROBE geschehen war. Änderte sichdadurch sein Schicksal aber entscheidend? Was hatte

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er schon davon, wenn er frei blieb, die Menschheitaber von einer fremden Macht aus der Tiefe der Gala-xis versklavt wurde?

Er liebäugelte mit dem Gedanken, zu seinenStammesbrüdern am Rio Branco zu fliegen. Doch erwar sich dessen bewußt, daß man ihn bei den Yano-mamö zuerst suchen würde.

Er erinnerte sich allzu gut an die verächtlichenWorte Lapoints, des Kommandanten. Dieser hatte ihneinmal gefragt: »Warum gehst du nicht zu deinerMutter zurück?«

Die Mutter war für ihn der Stamm der Yanomamö.Die Mutter war für ihn der Dschungel am Rio Branco,war für ihn das einfache Leben unter Eingeborenen inder Wildnis. In diesen Worten lag auch die Behaup-tung, daß er als Wilder nicht für das Leben unter Zi-vilisierten geschaffen war. Mit ihnen hatte Lapointerklärt, daß er am falschen Platz lebte. Und hinter ih-nen verbarg sich der ganze Hochmut jener, die in ei-nem anderen Lebensbereich aufgewachsen waren.

Morales wußte, daß bei weitem nicht alle so dach-ten. Er wußte jedoch auch, daß die Zahl derer, die sodachten, nicht gerade gering war. Und auf diesewürde man hören, wenn man darüber diskutierte, woman ihn suchen sollte.

Er mußte genau das Gegenteil von dem tun, wassie von ihm erwarteten. Er durfte nicht in den Urwaldfliegen. Er mußte in der Stadt untertauchen. Warnicht auch die Stadt so etwas wie ein Dschungel?

Morales tippte die Daten von Rio de Janeiro in dieTastatur des Autopiloten ein. Dann lehnte er sich inden Polstern zurück und schloß die Augen. Er warmüde.

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»Hoffentlich hat der Gleiter keine Rückrufautoma-tik«, dachte er, bevor er einschlief.

*

Der Gleiter landete auf dem Parkdach der Raum-fahrtunterbehörde von Brasilien in der Provinzhaupt-stadt Brasilia.

»Alles sieht normal aus«, sagte Teco und blicktehinaus. »Ist es nicht ein wenig zu früh für einen An-griff?«

Enrico Fardi strich sich nachdenklich mit der Handüber das Kinn. Dann schüttelte er den Kopf.

»Das wird sich zeigen«, sagte er. »Ich habe das Ge-fühl, daß sich schon in den nächsten Minuten allesverändern wird. Das Fremde ist da. Es hat sich ausdem Weltraum in diese Region teleportiert. Ich spürees deutlich. Warum sollte es noch länger warten?«

»Was wird aus mir?« fragte der Zwerg ängstlich.Der Mutant lächelte beruhigend.»Du stehst unter meinem Schutz, Kleiner«, sagte er.

»Solange du in meiner Nähe bleibst, passiert dirnichts. Wenn du dich jedoch von mir entfernen soll-test, wird es dir genauso ergehen wie den anderen.«

Sie stiegen aus. Enrico Fardi ging auf einige Beam-ten zu, die aus einer Tür kamen.

In diesem Moment geschah es.Die eben noch ernst miteinander diskutierenden

Beamten blieben stehen. Sie sahen plötzlich entspanntund gelöst aus. Sie lächelten. Einer von ihnen gingauf einen Kasten mit Zierblumen zu und pflückte ei-ne Blüte ab. Verzückt drehte er sie vor dem Gesichthin und her. Die anderen waren aufmerksam gewor-

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den. Mit geradezu kindischem Eifer eilten sie zu ihm,um sich ebenfalls Blumen zu pflücken.

»Was ist mit ihnen?« fragte Teco. »Haben sie denVerstand verloren?«

»Es ist das Fremde«, erklärte der Mutant. »Es läßtsie in den Blumen eine Art Gottheit sehen.«

»Nicht schlecht«, sagte Teco bewundernd. »Wennalle so denken und handeln, ist die Welt für sie offen.Sie brauchen nur noch zu kassieren.«

»Das wäre eine Katastrophe«, erwiderte EnricoFardi. »Die menschliche Zivilisation würde zusam-menbrechen und sich in nichts auflösen. Soweit darfes nicht kommen. Ich werde den Prozeß vorher ab-brechen.«

»Sind Sie sich dessen sicher, daß Sie das auch kön-nen?«

Der Mutant schob die Oberlippe vor und wiegteden Kopf hin und her.

»Mir wäre wohler, wenn ich das wüßte«, sagte er.»Komm. Wir wollen keine Zeit verlieren.«

Er zog Teco mit sich. Der Zwerg lief neben ihm her,während er mit weit ausgreifenden Schritten durchdie Tür in das Gebäude ging. Einige Männer undFrauen kamen ihnen entgegen. Sie lächelten. Ihre Au-gen glänzten.

Der Mutant trat zur Seite, um die Beeinflußten vor-beizulassen.

Teco horchte in sich hinein. Ihm war, als vernehmeer eine flüsternde Stimme, die ihm einreden wollte,sich ganz auf Pflanzen zu konzentrieren. Ihm war, alssehe er eine blaue Blume vor sich, die sein ganzes Ge-sichtsfeld ausfüllte.

»Träume nicht«, sagte Enrico Fardi und stieß ihn

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an. Teco schreckte auf. Im ersten Moment wußte ernicht, wo er war.

»Was ist passiert?« fragte er.Fardi grinste.»Nichts. Das geht jetzt erst los.« Er marschierte

weiter. Schwerfällig schob er die Füße über den Bo-den, bewegte sich aber dennoch schnell voran, so daßder Zwerg Mühe hatte, bei ihm zu bleiben. Teco at-mete auf, als sie endlich einen Antigravschacht er-reicht hatten, der nach oben gepolt war. Zusammenmit dem Mutanten stieg er ein und ließ sich in dieHöhe tragen. Außer ihnen hielt sich niemand imSchacht auf.

Sie verließen ihn auf der Ministerialebene. Hierhatten jene Männer und Frauen ihre Büros, mit denenEnrico Fardi es bei seinen Auseinandersetzungen, ummehr Vorteile für die Raumfahrer herauszuschlagen,zu tun hatte.

Fardi betrat ein großräumiges Büro, in dem sichnur ein Mann aufhielt. Ein Schild auf seinem Arbeit-stisch wies ihn als den höchsten Beamten des süd-amerikanischen Kontinents für die Belange derRaumfahrt aus.

»Guten Morgen, Santana«, sagte Enrico Fardi. »Wieich sehe, geht es Ihnen gut.«

Der Beamte lag bäuchlings auf dem Teppich unddrehte verzückt ein paar Blumen in den Händen, dieer aus einer Vase genommen hatte. Die Vase war um-gestürzt und zerbrochen. Wasser hatte sich über denTeppich ergossen.

Santana reagierte nicht. Lächelnd sprach er mit denBlumen in seinen Händen. Teco hörte, daß er etwasvon Unandat sagte.

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»Wer ist Unandat?« fragte er, doch der Mutant gabihm keine Antwort.

Enrico Fardi ging zum Arbeitstisch des Beamtenund setzte sich in den Sessel, der dahinter stand. Ge-lassen prüfte er die Dokumente, die auf dem Tisch ineiner Mappe lagen. Eines davon faltete er zusammenund steckte es ein.

»Was ist das?« fragte der Zwerg. Er bewegte sichtänzelnd um den am Boden liegenden Beamten her-um.

»Eine Verfügung des Raumfahrtministeriums. Siepaßt mir nicht«, antwortete der Mutant. »Ebensowe-nig wie diese hier.«

Teco ging zu ihm und betrachtete das Dokument,das der Mutant ihm zeigte.

»Dabei genügt es jedoch nicht, es einfach ver-schwinden zu lassen. Ich muß mir etwas mehr Mühedamit geben.«

»Was haben Sie vor?«»Ich werde es ein wenig verändern.« Der Mutant

beugte sich tief über das Dokument. Er schloß dieAugen.

Teco beobachtete, wie sich die Buchstaben undZahlen in dem unterzeichneten und abgestempeltenDokument veränderten. Neue Buchstaben und Worteformten sich. Neue Sätze entstanden.

»Genügt das?« fragte der Zwerg, als Enrico Fardisich schließlich wieder aufrichtete. »Ich meine, es gibtdoch sicherlich Kopien davon. Sie sind so gebliebenwie das Original.«

Der Mutant lächelte. Er blickte auf den Beamten,der noch immer auf dem Boden lag und mit denBlumen spielte.

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»Na und?« fragte er. »Notfalls werde ich sie als Fäl-schungen zurückweisen.«

Er legte seine Hand auf das veränderte Dokument.»Dies hier ist das Original. Es ist mit einer

Schreibmaschine geschrieben worden. Schreibma-schinen bringen aber nicht nur Farbe auf das Papier,sondern hinterlassen bei jedem Buchstaben auch ei-nen feinen Eindruck im Papier. Fälschungen kannman mühelos dadurch entlarven, indem man dieseSpuren im Papier mit den Buchstaben vergleicht. Beidiesem Dokument hier stimmt alles überein. Ich habenicht nur die Buchstaben ausgelöscht und durch neueersetzt, ich habe auch die Eindrücke im Papier ent-sprechend geändert. So kann niemand beweisen, daßdies die Fälschung ist.«

Er griff zu einem anderen Dokument.»Sie sind erledigt«, sagte er. »Jetzt kann man mich

nicht mehr aufhalten. Ich habe mich soeben zumHauptbevollmächtigten des südamerikanischen Kon-tinents ernannt. Aber das ist erst der Anfang. Danachwerde ich Kontinent für Kontinent erobern, bis ichHerr über die Erde bin.«

»Herr über eine Erde, die aus allen Fugen geratenist«, bemerkte Teco mit einem Seitenblick auf den Be-amten auf dem Fußboden.

»Das spielt keine Rolle. Das ist nur vorübergehend.Ich werde dieses Problem rechtzeitig lösen.«

Der Beamte erhob sich, drückte sich die Blumenverzückt gegen das Gesicht und verließ den Raum.

»Wohin geht er?« fragte der Zwerg.»In den Wald, vermute ich«, antwortete der Mutant

rätselhaft. »Er macht es wie die anderen.«Dann wandte er sich wieder den Papieren auf dem

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Arbeitstisch zu. Er schien vergessen zu haben, wasum ihn herum passierte. Teco blieb noch einige Mi-nuten bei ihm am Arbeitstisch. Dann wurde es ihmlangweilig. Er ging zu dem großen Fenster, das eineWand des Raumes einnahm. Durch die Scheibenkonnte er auf Brasilia hinabsehen. Die Stadt, die einstdie Hauptstadt von Brasilien gewesen war, hattenichts mehr von ihrem ursprünglichen Aussehen ansich. Teco kannte das Bild, das Brasilia in der Ver-gangenheit einmal geboten hatte, aus den Ge-schichtsbüchern.

Doch er dachte nicht darüber nach, warum sich al-les verändert hatte.

Er hatte nur Augen für die Menschenmassen, dieaus den verschiedenen Gebäuden strömten. Auf denersten Blick sah es so aus, als verließen die Menschenihre Arbeitsstätten, um in ihre Wohnungen zurück-zukehren. Doch das Bild täuschte.

Niemand stieg in einen Gleiter, wie es normal ge-wesen wäre. Die Menschen gingen alle zu Fuß. Undalle bewegten sich in Richtung der Außenbezirke.

Es war, wie Enrico Fardi gesagt hatte.Die Menschen verließen die Stadt. Sie strömten in

den Wald. Dieser war allerdings so weit von dem Bü-ro entfernt, in dem Teco sich befand, daß er ihn kaumnoch sehen konnte. Aber er sah die endlos erschei-nenden Schlangen, die die Menschen bei ihremMarsch zum Wald bildeten.

Teco drehte sich um.»Was soll das?« fragte er verwirrt. »Ich verstehe

das nicht. Was wollen sie im Wald?«Der Mutant lehnte sich in seinem Sessel zurück. Es

wurde still im Raum. Zunächst wußte Teco nicht, was

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passiert war, bis Fardi auf das Gitter der Klimaanlagezeigte.

Die Klimaanlage war ausgefallen.Teco griff sich an den Kopf. Jetzt ging ihm auf, was

geschah. Der Ausfall der Klimaanlage signalisierteden Beginn einer Katastrophe.

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4.

Morales fiel auf, daß sich über Rio de Janeiro keineGleiter bewegten. Das war absolut ungewöhnlich.Noch niemals zuvor hatte der Indianer so etwas ge-sehen. Er kannte überhaupt keine Stadt auf der Erde,über der sich keine Gleiter in der Luft befanden. Somachte Rio de Janeiro auf den ersten Blick den Ein-druck einer ausgestorbenen, menschenleeren Stadt.

Bald jedoch bemerkte Morales, daß dieser ersteEindruck täuschte. In den Straßen der Außenbezirkewimmelte es von Menschen. Die ganze Stadt schienauf den Beinen zu sein. Und alle Menschen drängtensich aus der Stadt heraus, als sei in ihr die Pest ausge-brochen.

Morales fand keine Erklärung für das Verhaltender Bewohner von Rio de Janeiro. Er ließ den Gleitertiefer sinken, bis er in einer Höhe von nur etwa zehnMetern über die Köpfe der Menge hinwegflog. Nie-mand blickte zu ihm hoch. Niemand schien ihn zubemerken.

Der Indianer sah, daß viele Menschen die Gärtender Vorortvillen gestürmt hatten. Einige lagen aufdem Boden. Waren sie tot? Waren sie von der Mengezertrampelt worden?

Einige klammerten sich an die Stämme der Bäume.Sie zeigten das gleiche verklärte Aussehen, das ihmauch bei den Ärzten und beim Personal der Rau-mabwehr aufgefallen war.

Er horchte in sich hinein, vernahm jedoch nichts.Er flog langsam weiter, wobei er ständig nach links

und rechts blickte. Die sorgsam angelegten Gärten

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waren zerstört worden. Einige Male beobachtete er,daß Männer und Frauen Pflanzen ausrissen, um siesich ins Haar zu winden. Blumenbeete waren restlosgeplündert worden. Nicht einmal Unkraut war ver-schont worden, und die meisten Bäume hatten keineBlätter mehr.

Morales fühlte, wie es ihm kalt über den Rücken lief.In diesem Chaos würde es ihm leichtfallen, sich zu

verstecken. Eine Ordnung gab es nicht mehr. Deshalbwürde es niemandem gelingen, ihn hier aufzuspüren.Er war sich dessen bewußt, daß jemand, der noch freivon diesem Wahn war, ihn sofort mit seinem Gleiterentdecken würde. Solange er in der Maschine blieb,mußte er jedem auffallen, der noch klar denkenkonnte.

Gab es aber noch jemanden in Rio de Janeiro, derfrei war? Waren nicht alle bereits diesem unerklärli-chen Wahn verfallen?

Unweit von ihm explodierte etwas in einem klei-nen Bungalow. Morales sah, wie das Dach des Hau-ses in die Luft flog und in viele Einzelteile zerbarst.Flammen schlugen aus den Fenstern, und zwei weite-re Explosionen folgten, die zerstörten, was noch heil-geblieben war.

Doch niemand kümmerte sich um das Haus. DieMenschen wanderten daran vorbei, als sei nichts ge-schehen. Niemand versuchte, den herabregnendenTrümmerstücken auszuweichen. Morales sah, daß ei-ne Frau von einer herabstürzenden Dachplatte an derSchulter getroffen und zu Boden geworfen wurde.Die Männer und Frauen, die sich durch die Straßebewegten, kümmerten sich nicht um sie.

Der Indianer konnte nicht zusehen, wie sie verblu-

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tete. Kurzentschlossen landete er in einem Vorgarten,der von Pflanzen restlos befreit worden war. Ersprang aus dem Gleiter und schob sich durch dieMenschenmassen zu der Frau hin. Er beugte sichüber sie, um sie aufzuheben, als er bemerkte, daß ihreAugen bereits gebrochen waren. Es war zu spät.

Jemand stieß ihm ein Knie in den Rücken. Er verlordas Gleichgewicht und stürzte zu Boden. Bevor ersich erheben konnte, trat ihm jemand auf die Hand.Ein anderer setzte ihm den Fuß auf den Rücken undging über ihn hinweg, als sei er ein totes Hindernis.

Panik kam in ihm auf.Er versuchte, aufzustehen, aber immer wieder war da

ein Fuß, der ihn traf, so daß er immer wieder stürzte.Er kroch über den Boden, und er schrie gellend auf,

als ihm ein schwergewichtiger Mann auf die Finger-spitzen trampelte. Der Mann blieb stehen und blicktezu ihm herab, während Morales versuchte, seine Fin-ger unter seinem Stiefel hervorzuziehen.

»Was ist denn?« fragte der Mann. Seine Augenglänzten wie im Fieber. Sein Mund stand offen. Wirrhing ihm das Haar ins Gesicht.

»Meine Finger«, schrie der Indianer, während an-dere Füße seinen Leib trafen.

»Was?« Der Mann hob seinen Fuß und ging weiter,ohne begriffen zu haben, was er getan hatte.

Morales erkannte, daß ihm nun nur noch nackteGewalt half. Er schnellte sich mit aller Kraft hoch undschlug einem Mann die Faust in den Magen, bevor erihn erneut umrennen konnte. Der Mann taumeltestöhnend zurück, breitete die Arme haltsuchend ausund behinderte damit die Nachdrängenden.

Morales nutzte die Chance, die sich ihm bot. Er

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rannte los und drängte sich rücksichtslos durch dieMenge. Er stieß und boxte jeden aus dem Weg, derihn aufhalten wollte.

Er hatte nur ein Bestreben. Er wollte in die sichereKabine seines Gleiters zurück. Und er schwor sich,niemandem zu helfen, der durch das Verhalten derMenge in Gefahr geriet.

Als er bis auf zehn Meter an seinen Gleiter heran-gekommen war, glaubte er, es geschafft zu haben.

In diesem Moment tauchte ein riesiger Neger ne-ben der Maschine auf. Ihm sah Morales sofort an, daßer völlig klar und unbeeinflußt war.

»Halt«, schrie er. »Weg von der Maschine.«Der Neger blieb stehen, drehte sich um und blickte

ihn überrascht an. Er schien nicht damit gerechnet zuhaben, jemandem zu begegnen, der frei war. Als ersah, daß ihn ein Indianer vom Gleiter zurückhaltenwollte, setzte er ein verächtliches Lächeln auf.

»Was machst du hier?« fragte er herablassend. »Seitwann laufen Indianer außerhalb des Dschungels her-um?«

Morales hatte es satt, sich als primitiven Wildenansehen zu lassen. Er richtete sich stolz auf.

»Bueno«, sagte er. »Ich habe begriffen.«»Was hast du begriffen?« fragte der Neger.Morales zeigte auf die Menschen, die an ihnen vor-

beiströmten.»Sie alle stehen unter dem parapsychischen Einfluß

einer fremden Macht«, erklärte er. »Diese Macht istaus dem Kosmos gekommen. Das weiß ich genau.Selbst ein Narr wie du sollte erkannt haben, daß dasVerhalten dieser Menschen anomal ist, und daß ichmich völlig normal bewege. Statt mir Zusammenar-

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beit anzubieten, beschimpfst du mich.«Der Neger lächelte.»Ich wußte, daß du betteln würdest. Geh in den

Urwald, Kleiner. Aber laß mich in Ruhe.«Er wandte Morales den Rücken zu und wollte in

den Gleiter steigen. Der Indianer rannte auf ihn zu,schnellte sich in die Höhe und sprang ihm mit denFüßen in den Nacken.

Der Neger stürzte vornüber in den Gleiter. Müh-sam drehte er sich um, während Morales, der auf denBoden gefallen war, sich bereits wieder aufrichtete. Erpackte den Koloß bei den Füßen und riß ihn mit ei-nem Rück aus der Kabine heraus. Dann sprang erihm auf die Brust und hüpfte von hier aus in denGleiter hinein. Er schlug die Tür hinter sich zu, ver-riegelte sie und setzte sich hinter die Steuerelemente.

Als der Neger sich neben der Maschine aufrichtete,startete Morales und flüchtete. Für ihn war jetzt klar,wohin er sich wenden mußte. Dorthin, wo am wenig-sten Menschen waren. Zum Stadtzentrum.

*

»Wir sind noch nicht fertig hier«, sagte Enrico Fardi,als Teco zur Tür ging. »Wir haben noch mehr zu erle-digen.«

»Kann ich behilflich sein?« fragte der Zwerg. Erwartete an der Tür. Der Mutant kam zu ihm.

»Das wird sich zeigen«, sagte er. »Komm.«Sie eilten den Gang entlang zum Antigravschacht.

Ein rotes Licht leuchtete darüber. Es zeigte an, daßder Schacht nicht benutzt werden konnte, da keinAntigravfeld mehr bestand.

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»Das macht überhaupt nichts«, sagte Fardi. »ImGegenteil. Das kommt meinen Plänen sehr entgegen.«

Sie liefen sechs Treppen hinunter.»Hier ist das Sicherheitsministerium«, stellte Teco

fest. »Was suchen wir hier?«»Jaco Fabiolo«, erwiderte der Mutant und eilte mit

schlurfenden Schritten weiter. »Den obersten Anklä-ger der Provinz. Ein Intimfeind, Teco. Du solltest eseigentlich wissen.«

Sie näherten sich einer Infrarotschranke. EnricoFardi streckte eine Hand aus. Der Zwerg ergriff sieund führte den Mutanten, der die Augen schloß undsich auf die Infrarotschranke konzentrierte, um zuverhindern, daß sie reagierte und eine Kontrollkame-ra einschaltete. Niemand durfte später auf einem Filmsehen, daß er hiergewesen war.

Die beiden ungleichen Männer passierten die Kon-trolle und erreichten die Tür am Ende des Ganges.Fardi öffnete sie. In einem Büro saß eine Frau in ei-nem Sessel. Sie hielt die Augen geschlossen. Eine Or-chidee lag über ihrem Gesicht. Deutlich hörbar at-mete die Frau durch die Nase ein und aus. Sie sogden Duft der Blume in sich hinein.

»Hallo, Annita«, sagte der Mutant. Sie reagiertenicht.

Fardi eilte schlurfend an ihr vorbei zu einer weite-ren Tür und stieß sie auf. An einem ausladenden Ar-beitstisch saß ein korpulenter, dunkelhäutiger Mann.Er blickte kurz auf, als der Mutant und der Zwergeintraten, aber er erfaßte nicht, was geschah.

Fardi blieb neben der Tür stehen. Er lehnte sich mitdem Rücken an die Wand. Seine Augen vergrößertensich, und sein Gesicht wurde bleich, als er sich auf

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Staatsanwalt Jaco Fabiolo konzentrierte.»Dies ist das erstemal, daß ich dich ohne Beschüt-

zer erwische«, sagte er triumphierend. »Eine weitereBegegnung wird es für uns nicht mehr geben.«

Fabiolo erhob sich mit marionettenhaften Bewe-gungen.

»Was soll ich tun?« fragte er mit tonloser Stimme,ohne den Mutanten anzusehen.

»Geh hinaus«, befahl Fardi leise.Der Beamte gehorchte. Mit seltsam ungelenken

Bewegungen kam er hinter seinem Schreibtisch her-vor und verließ das Zimmer. Er ging an seiner Se-kretärin vorbei, ohne daß diese etwas merkte. EnricoFardi führte ihn auf den Gang hinaus.

»Und jetzt?« fragte der Staatsanwalt.»Geh weiter«, befahl der Mutant. »Immer weiter.

Geradeaus.«Sein Opfer gehorchte. Es ging weiter. Direkt auf

den Antigravschacht zu. Einige Male verzögerte esseine Schritte, so als kämpfe es gegen den fremdenWillen an, der es zwang, etwas zu tun, was es nichtwollte. Doch Enrico Fardi war stärker.

Der Mutant trieb Fabiolo mit seinen parapsychi-schen Sinnen in den Antigravschacht hinein. Dieses.Mal blockierte er die Infrarotbrücke nicht, so daß sichdie Kamera einschaltete. Das Objekt erfaßte jedochnur den Staatsanwalt, der in den Antrigravschachtstürzte. Jaco Fabiolo fiel in die Tiefe, ohne einen Lautvon sich zu geben. Vermutlich erfaßte er noch nichteinmal, was geschah.

Enrico Fardi kehrte ohne äußeres Zeichen einer Ge-fühlsregung in das Büro des Staatsanwalts zurück.Die Sekretärin hatte ihren Platz verlassen. Mit ver-

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zückter Miene schritt sie aus ihrem Arbeitszimmerauf den Gang hinaus.

Der Zwerg folgte ihr und blickte ihr nach.Er war versucht, sie zurückzurufen oder zu war-

nen, als er merkte, daß auch sie das rote Licht nichtbeachtete. Doch eine schwere Hand legte sich übersein Gesicht und hinderte ihn daran. Durch zwei Fin-ger hindurch beobachtete Teco, wie sie in den Anti-gravschacht ging und abstürzte, so wie zuvor ihrVorgesetzter.

Er erschauerte und zwang sich, an das Leben zudenken, was ihn erwartete, wenn Enrico Fardi seinZiel erreichte.

Der Mutant ließ ihn los. Er lachte dunkel.»Nur keine Nerven zeigen«, sagte er und zeigte

ihm damit deutlich an, daß ihm nicht entgangen war,was Teco empfunden hatte.

»Komm«, sagte der Mutant und kehrte in das Bürodes Anklägers zurück. Mühelos öffnete er mit seinenparapsychischen Kräften das komplizierte Schloß ei-nes Panzerraums, der sich dem Arbeitszimmer an-schloß. Ebenso überwand er die zusätzlichen Siche-rungen und Überwachungsanlagen.

»Warum gehen wir nicht?« fragte der Zwerg.»Weil wir hier noch viel zu tun haben«, antwortete

Fardi. Er betrat den Raum, der in zwei Hauptab-schnitte gegliedert war, in ein Archiv- und in ein Do-kumententeil. Der Mutant interessierte sich zunächstnur für das Archiv. Er betätigte die Tastatur desComputers telekinetisch, so daß keine Spuren zu-rückblieben, und rief die von ihm gespeicherten Da-ten ab. Auf einem Bildschirm erschien alles, was demobersten Ankläger von ihm bekannt war.

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»Unangenehm«, sagte Fardi. »Der Mensch hat sichsystematisch darauf vorbereitet, mich zu vernichten.«

Teco blickte auf den Bildschirm, und er erfuhr mehr,als ihm in all den Jahren an der Seite des Mutantenbekanntgeworden war. Er erschauerte erneut. EnricoFardi war skrupellos. Das hatte er immer gewußt.Aber er hatte nicht gewußt, mit welch beispielloserHärte der Mutant seine Karriere aufgebaut hatte.

Fardi lachte leise.»Siehst du, Teco. Der Mensch hatte nur Vermutun-

gen, aber keine klaren Beweise.«»Stimmt das alles, was da steht?«»Ich kann es nicht leugnen.« Die Schrift ver-

schwand vom Bildschirm. Enrico Fardi nahm Mani-pulationen direkt am Magnetband vor. Als wenigspäter abermals der Auszug aus der Akte desMutanten auf dem Bildschirm erschien, gab es darinfast nur noch positive Angaben.

Teco war verblüfft. Er hatte nicht für möglich ge-halten, daß der Mutant derart komplizierte Eingriffevornehmen konnte. Enrico Fardi war mit sich zufrie-den. Lächelnd wandte er sich den Akten seinerFreunde und Helfer zu. Auch über sie hatte der An-kläger allerlei Daten gesammelt, die ein denkbar ne-gatives Bild ergaben. Der Mutant änderte auch dieseAufzeichnungen, so daß der Nachfolger des Getötetenmit völlig falschen Informationen versehen wurde.

Aber auch jetzt war Fardi noch nicht zufrieden. Eröffnete die Dokumententresore. Er war entschlossen,die Gunst der Stunde so gut wie nur möglich zu nut-zen.

*

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Die Innenstadt von Rio de Janeiro war so leer, wieMorales es erwartet hatte. Zahllose Gleiter parktenauf den Dächern und in den Straßenschluchten. Dieöffentlichen Verkehrsmittel lagen still. Ein riesigesBürogebäude brannte. Die Flammen sprangen zu an-deren Gebäuden über, da sich niemand bemühte, denBrand einzudämmen oder die anderen Häuser zuschützen. Von See her wehte eine steife Brise, die allesnoch viel schlimmer machte. Wenn der Wind nichtdrehte, würde der größte Teil der Stadt in einigen Ta-gen in Schutt und Asche liegen.

Das erkannte Morales ganz klar.Er umkreiste das brennende Bürogebäude in wei-

tem Bogen und überlegte, was er tun konnte. Rio deJaneiro hatte, wie jede größere Stadt auf der Erdeauch, eine weitgehend robotorisierte Feuerwehr. Die-se arbeitete jedoch nicht selbsttätig, sondern mußtevon einem sorgfältig geschulten Einsatzkommandogeleitet werden. Dieses aber, so vermutete Morales,befand sich ebenfalls auf dem rätselhaften Marschaus der Stadt heraus.

Unwillkürlich fragte er sich, wie es in anderenStädten Südamerikas und der ganzen Welt aussah.Wanderten die Menschen überall auf der Erde ausden Städten heraus?

Morales entdeckte das Bürogebäude der MIROBE-Transportgesellschaft. Er landete auf dem Parkdach,ohne lange über den Grund nachzudenken. Die MI-ROBE war ihm etwas Vertrautes, und er versuchte in-stinktiv, sich an ihr zu orientieren.

Er verließ den Gleiter und eilte über das Parkdach zurEingangstür. Sie war unverschlossen. Auf dem Bodenlagen Papierbecher, Asche und Speisenreste herum.

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Morales betrat das Gebäude und überlegte, wohin ersich wenden sollte. Er kannte sich hier nicht aus. Er warin einem Zweigbüro in Sao Paulo eingestellt worden.

Zögernd stieg er in den Antigravschacht, ließ sichdarin absinken und entschloß sich dann kurzerhand,in der Direktionsetage auszusteigen. Er wandertedurch die luxuriös eingerichteten Räume und Hallen,ohne auf einen Menschen zu stoßen. Auch hier warendie Spuren eines allgemeinen Aufbruchs deutlich.

Umgestürzte Blumentöpfe, Kleidungsstücke undachtlos weggeworfene Kleinstcomputer lagen auf denTeppichen herum. Alle Türen standen offen. EinigeVideogeräte waren eingeschaltet. Auf den Bildschir-men war jedoch niemand zu sehen.

Morales setzte sich in den gepolsterten Sessel in ei-nem Büro, das ihm riesig erschien. Er wußte nicht,wer hier gearbeitet hatte, schloß jedoch aus der erle-senen Einrichtung, daß es ein besonders wichtigerMann gewesen sein mußte.

Er forderte die wichtigsten Rufnummern von Mon-tevideo an und rief eine ihm bekannte, große Firma indieser Stadt an. Die Verbindung kam augenblicklichzustande, brach jedoch sofort wieder zusammen.

Morales versuchte es erneut. Dieses Mal meldetesich der Teilnehmer nicht. Auch alle weiteren Versu-che, mit Montevideo zu sprechen, scheiterten.

Der Indianer schloß daraus, daß es in Montevideoähnlich aussah wie in Rio de Janeiro.

Er rief nacheinander Lima, Bogota und Mexiko-City an, aber ohne Erfolg.

Danach wandte er sich an die großen Städte Nord-amerikas und Kanadas.

Niemand antwortete ihm.

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Er lehnte sich im Sessel zurück und fuhr sich mitbeiden Händen über das schweißnasse Gesicht.

Bis zu diesen Minuten hatte er sich keine wahreVorstellung von der Katastrophe gemacht, die überdie Erde gekommen war. Jetzt wagte er es nicht, Eu-ropa anzurufen, weil er fürchtete, daß auch dieserKontinent schweigen würde.

Einer spontanen Eingebung folgend, wandte er sichan die Raumstationen, die sich in einer Kreisbahn umdie Erde bewegten, weil er sich sagte, daß die Men-schen dort nicht weglaufen konnten. Sie hatten nichtdie Möglichkeit, in die freie Natur hinauszuflüchten.

Er atmete erleichtert auf, als sich ein blondes Mäd-chen auf seinen Anruf meldete.

»Ich habe es schon nicht mehr für möglich gehal-ten, daß ich mit jemandem sprechen kann«, sagte erund fuhr sich mit der Hand durch das blauschwarzeHaar. »Endlich. Sie ahnen nicht, wie froh ich bin.«

Sie lächelte nur.»Ich brauche einen Rat«, fuhr er fort. »Hier auf der

Erde ist der Teufel los. Nichts funktioniert mehr. DieMenschen verlassen die Städte.«

Er stutzte.»Sagen Sie, hören Sie mir überhaupt zu?« fragte er.Sie blickte ihn freundlich lächelnd an. Ihre blauen

Augen leuchteten in einem eigenartigen Licht.»Lieben Sie Blumen?«Er zögerte.»Ja«, antwortete er schließlich.»Die blauen Blumen sind am schönsten«, fuhr sie

fort. »Haben Sie die blauen Blumen gesehen?«»Mein Gott«, sagte er. »Ich glaube, ich werde

wahnsinnig.«

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Er richtete sich auf.»Hören Sie mir doch zu«, brüllte er ins Mikrophon.

»Nehmen Sie sich zusammen und denken Sie nichtnur an Blumen. Es gibt wichtigere Dinge als Blumen.«

Sie schüttelte den Kopf.»Oh nein«, erwiderte sie sanft tadelnd. »Die Blu-

men sind allein wichtig.«»Geben Sie mir Ihren Boß«, forderte er.»Es gibt keinen Boß mehr«, erklärte sie. »Es gibt

nur noch Unandat. Unter ihm sind wir alle gleich.«»Ich bin bloß ein Indianer aus dem Dschungel.« Er

versuchte, sie zu provozieren und auf diese Weiseaufzurütteln.

»Vor Unandat sind alle gleich«, wiederholte sie.»Aber wenn Sie Indianer sind, dann sind Sie derblauen Blume näher als wir. Sie Glücklicher.«

Er hielt es nicht mehr aus. Er schaltete ab.Verzweifelt blieb er im Sessel sitzen. Er wußte, daß

die Menschheit verloren war. Es gab keinen Auswegmehr. Wer sollte das Fremde noch aufhalten, das dieMenschen beeinflußte? Niemand konnte das. Auch ernicht, obwohl er immun gegen ihre parapsychischenKräfte war.

Oder gab es doch eine Möglichkeit, ihnen zu wi-derstehen?

Morales erhob sich. Es hielt ihn nicht mehr im Ses-sel. Er brauchte Bewegung. Nachdenklich ging er imZimmer auf und ab.

Was konnte er denn schon tun? Sollte er gegen eineMacht kämpfen, die sich irgendwo auf der Welt ver-barg? Wo sollte er mit der Suche beginnen, und wassollte er tun, falls es ihm gelang, die Fremden tat-sächlich zu finden?

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Sollte er mit der Waffe in der Hand gegen sie vor-gehen? Er hatte noch niemals im Leben eine Waffe inder Hand gehabt, ausgenommen Jagdgewehre, und erwußte auch gar nicht, wie man damit umging. Woher,so fragte er sich, sollte er auch eine Waffe nehmen?

Kaum hatte er sich diese Frage gestellt, als er sichdessen bewußt war, wie wenig er begriffen hatte, wiees in der Stadt aussah. Er konnte alles haben, was erwollte. Er brauchte nur dorthin zu gehen, wo allesherumlag.

Eine Waffe konnte er sich auf den Polizeistationenholen oder in den Unterkünften der Militärs. Geldkonnte er sich beschaffen, soviel er wollte. Er kanntesich mit dem Kreditsystem aus. Daher spielte er mi-nutenlang mit dem Gedanken, die Daten bei denBanken zu manipulieren, bis er sich dessen bewußtwar, daß diese Maßnahme völlig sinnlos war. Washalf ihm ein Millionenkonto, wenn eine fremdeMacht aus dem Kosmos bestimmte, was auf der Erdegeschah?

Er konnte sich einen Lastengleiter nehmen und ihnin den Warenhäusern mit allem vollpacken, was erhaben wollte. Aber was sollte er mit diesen Dingen,wenn es kein Versteck gab, in dem er leben konnte?Als Versteck kam für ihn nur ein Schlupfwinkel imDschungel des Amazonasbeckens in Frage. Wie abersah es dort aus? Waren die Menschen dort auchschon versklavt? Und würden die Fremden nichtnach einiger Zeit systematisch nach solchen Men-schen suchen, die ihren geheimnisvollen Kräften wi-derstanden?

Sie mußten es tun, wenn sie ihre Macht festigenund erhalten wollten.

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Morales setzte sich wieder.Vielleicht war es das beste, wenn er hier in der

Stadt blieb und einfach nur abwartete. Hilfe konntenur von außen kommen. Zum Imperium gehörtenüber 400 Planeten, von denen die meisten allerdingsnur dünn besiedelt waren. Immerhin verfügte dasImperium über eine gewaltige Raumflotte. Diesemußte früher oder später aufmerksam werden. Undsie würde eingreifen. Daran zweifelte Morales nicht.

Er verließ das Büro. Nach einiger Zeit hatte er ei-nen Eßsalon gefunden. In der dazugehörigen Kücheentdeckte er erlesene Speisen, die in einer computer-gesteuerten Anrichte rasch zubereitet waren. Als ersie verzehrte, wurde ihm bewußt, daß auch von derRaumflotte keine Hilfe zu erwarten war.

»Sobald die Schiffe mit ihrer Besatzung in die Näheder Erde kommen, geraten sie unter den Einfluß derFremden. Und dann ist es aus«, sagte der Indianerlaut.

Er schob den Teller mit den gegrillten Filetspitzenvon sich. Plötzlich hatte er keinen Appetit mehr.

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5.

Das einzige Mitglied der ORION-Crew, das sich nochim Sonnensystem befand, war Atan Shubashi.

Er wartete seit einigen Tagen in der ORION IX aufdem Mars auf die Rückkehr der Crew, die denSchnellen Raumkreuzer verlassen hatte, um eine derBereitschaftsstellungen der Invasionsarmee der Ru-draja zu untersuchen.

Atan Shubashi hatte die Aufgabe, über Funk Kon-takt mit den Freunden und mit anderen Raumschif-fen der terrestrischen Flotte sowie dem Hauptquartierauf der Erde zu halten. Cliff McLane und seine Be-gleiter waren auf einen Transmitter gestoßen, der vonTECOM als Ferntransmitter identifiziert worden war,nachdem entsprechende Informationen zur Erde ge-funkt worden waren.

Obwohl Atan Shubashi die Freunde eingehend da-vor gewarnt hatte, den Transmitter zu benutzen, wa-ren Cliff McLane und seine Begleiter zu dem unbe-kannten Ziel aufgebrochen. Sie waren in den Trans-mitter gegangen.

Von diesem Zeitpunkt an war die Verbindung ab-gebrochen.

Atan Shubashi hatte einige Male Verbindung mitder Erde aufgenommen. Wesentliches hatte sich je-doch nicht ereignet. Da nun aber schon einige Tageverstrichen waren, ohne daß Cliff McLane sich zu-rückgemeldet hatte, entschloß sich Atan, den Galakti-schen Sicherheitsdienst zu verständigen.

Tunaka Katsuro, der Direktor des GSD, hatte sichentschlossen, zusammen mit einigen Assistenten

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selbst zum Mars zu fliegen.In der ORION IX wartete Atan Shubashi unruhig

auf dieses Kommando, von dem er sich Hilfe erhoffte.Seit über zwanzig Stunden hatte er keine Verbin-

dung mehr zur Erde gehabt. Er wußte nicht, was sichdort inzwischen ereignet hatte, und er spürte nichtsvon dem geistigen Einfluß der Vorthanier. Auch Tu-naka Katsuro und seine Männer waren völlig ah-nungslos, als sie in der Nähe der ORION IX landeten.Sie alle glaubten zu diesem Zeitpunkt noch, daß aufder Erde alles normal sei.

Atan Shubashi atmete auf, als Tunaka Katsuroendlich mit seinen Assistenten in der Nähe derORION IX landete. Er legte einen Raumanzug an undverließ den Schnellen Raumkreuzer. Alles war be-sprochen. Nun brauchten nicht mehr viele Worte ge-wechselt zu werden.

Katsuro hatte fünf Männer bei sich. Sie alle warenperfekt ausgebildete Assistenten, die ein hervorra-gendes Einsatzkommando bildeten.

Atan Shubashi begrüßte sie außerhalb der ORIONund machte sich sofort zusammen mit ihnen auf denWeg in die 15 Kilometer tiefe Schlucht. Weil CliffMcLane und seine Begleiter ihn bei dem Abstieg indie Schlucht ständig informiert hatten, wußte er rechtgut Bescheid. So kamen er und die Männer vom GSDwesentlich schneller voran, als zuvor die Freunde.

Die ORION-Crew hatte alle Sicherheits- und Ab-wehrsysteme überwunden und unschädlich gemacht,so daß Atan sich mit solchen Dingen nicht zu befas-sen brauchte.

So erreichte das Kommando die verlassene Trans-mitterstation der Rudraja wesentlich schneller als die

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Crew, die einige Tage vorher abgestiegen war.Vorsichtig drangen sie in die Station ein. Sie waren

ständig darauf gefaßt, angegriffen zu werden. Dochniemand stellte sich ihnen in den Weg. Ungehindertgelangten sie bis an den Transmitter, durch den CliffMcLane und seine Freunde verschwunden waren.

»Und was jetzt?« fragte Shubashi.»Abwarten«, entgegnete der Direktor des GSD ge-

lassen.Seine Assistenten untersuchten den Transmitter.

Schon wenig später meldete einer von ihnen: »DasGerät ist umgepolt worden. Wir können McLanenicht folgen.«

»Ist das sicher?« fragte Atan Shubashi.Der Assistent, der die Auskunft gegeben hatte, hob

die Arme.»Sicher ist nichts«, antwortete er. »Wir können nur

vermuten, daß der Transmitter sich entweder selbstumgepolt, also auf Empfang geschaltet hat, oder daßdiese Umstellung von der Gegenstation aus vorge-nommen worden ist. Tatsache aber ist, daß wirMcLane nicht folgen können.«

Atan Shubashi hatte die ganze Zeit über befürchtet,daß es so sein würde, aber er hatte sich bisher ge-scheut, die Konsequenzen zu durchdenken. Ratlosfragte er nun: »Und was machen wir jetzt?«

»Wir kehren zur ORION zurück«, entschied Tuna-ka Katsuro. »Zwei von meinen Männern bleiben hier.Sie sollen auf die Rückkehr der Crew warten.«

Der Direktor des GSD bestimmte zwei seiner Assi-stenten für diese Aufgabe, dann gab er den Befehlzum Aufbruch. Der mühsame Aufstieg aus derSchlucht begann.

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Einige Stunden später nahm Tunaka Katsuro Ver-bindung mit seinen Assistenten auf, die im Raum-schiff geblieben waren, um eine Nachricht an die Er-de weitergeben zu lassen.

»Wir hatten soeben eine Verbindung mit der Erde«,antwortete Dimi Kiapos, einer Assistenten. »Die Ver-antwortlichen haben recht eigenartig reagiert.«

»Was heißt eigenartig?« fragte Katsuro scharf.»Sie zeigten keinerlei Interesse für uns«, entgegnete

der Assistent.»Das müssen Sie mir schon erklären.«»Man hörte mir zu, ging aber überhaupt nicht auf

meine Worte ein«, sagte der Assistent. »Ich weiß auchnicht, was da los ist. Wir haben den Eindruck, daß dairgend jemand allzu kräftig Geburtstag gefeiert hat.«

»Es ist gut. Wir sind gleich oben«, erwiderte Katsu-ro beunruhigt.

So schnell, wie er es sich vorgestellt hatte, war deranstrengende Aufstieg allerdings nicht zu Ende. Erstvier Stunden später erreichte das Kommando dasRaumschiff. Atan Shubashi begleitete den Direktordes GSD an Bord des Raumers.

Katsuro eilte sofort zum Funkgerät, nachdem erden Raumanzug abgelegt hatte. Einer seiner Assi-stenten stellte die Verbindung zur Erde her.

»Nur das Ministerium für Gesundheitswesen undUmweltschutz meldet sich«, erklärte er. »Alle ande-ren Abteilungen am Mount Isa Schweigen. Selbst Re-gierungschef Han Tsu-Gol ist nicht zu erreichen.«

»Das gibt es doch gar nicht«, erwiderte Katsurokopfschüttelnd.

Der Bildschirm wurde hell. Die Ministerin für Um-weltschutz und Gesundheitswesen erschien im Bild.

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Katsuro stöhnte leise, als er sie sah.Roberta Calvari trug Blumen im Haar und eine

Blumenkette um den Hals. Ihr Blick wirkte entrückt.Katsuro verlor bei diesem Anblick die Nerven.»Was ist auf der Erde eigentlich los?« brüllte er sie

an.Roberta Calvari lächelte verträumt.»Diese Blumen sind wunderschön«, sagte sie leise,

»aber die Blaue Blume ist noch viel schöner.«Ihre Hand kam ins Bild, als sie ihr Gerät ausschal-

tete.»Versuchen Sie es noch einmal«, befahl Katsuro.Der Assistent bemühte sich, die Verbindung wie-

derherzustellen, doch es gelang ihm nicht. RobertaCalvari meldete sich nicht mehr, und auch die ande-ren Dienststellen schwiegen.

Atan Shubashi, der Direktor des GSD und die Assi-stenten blickten sich betroffen an. Niemand konntesich die Reaktion Roberta Calvaris erklären.

»Sind die auf der Erde denn alle verrückt gewor-den?« fragte Katsuro mit belegter Stimme.

Atan Shubashi schüttelte den Kopf.»Roberta Calvari sah aus, als ob sie unter dem Ein-

fluß eines Giftes stehe. Vielleicht ist sie auch auf an-dere Weise beeinflußt worden. Auf jeden Fall müssenwir sofort zur Erde zurückkehren. Und darüber hin-aus müssen wir Verbindung mit der Raumflotte auf-nehmen.«

»Das ist richtig«, sagte Katsuro. »Genau das wer-den wir auch tun.«

*

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Assimladja klatschte entzückt in die Hände.»Was für eine schöne Welt«, rief sie und drehte sich

zweimal um sich selbst. »Hättest du das erwartet,Usqueesid?«

Der Vorthanier stand auf einem umgestürzten, abernicht abgestorbenen Baum. Seine Hand glitt strei-chelnd über einige Orchideen hinweg, die aus einerBaumhöhlung emporwucherten.

»Eine wirklich schöne Welt«, bestätigte er. »Auchich bin überrascht, Assimladja.«

»Sieh doch die Blumen. Sie neigen sich uns zu. Siebegrüßen uns.«

Er hatte es bereits gemerkt. Er sprang vom Baumherunter und streckte die Hand aus.

»Komm, laß uns weitergehen«, sagte er. »Ichmöchte mehr von diesem Wald sehen. Ich spüre, daßes hier noch vieles Schöne gibt. Ich bin neugierig dar-auf.«

»Ich auch«, erwiderte sie und legte ihre Hand indie seine.

Sie schlenderten durch den Dschungel des Amazo-nasbeckens. Von ihren Gehirnen gingen Impulse aus,die die Menschen über Tausende von Kilometernhinweg beeinflußten. Weder Assimladja, die die gei-stige Tätigkeit aller Vorthanier koordinierte, nochUsqueesid waren dabei zu besonderer Konzentrationgezwungen. Ihre parapsychischen Sinne bewältigtendie ihnen gestellte Aufgabe spielerisch leicht.

Von den anderen Vorthaniern trafen telepathischeNachrichten ein.

»Nirgendwo gibt es Schwierigkeiten«, sagte As-simladja, obwohl sie wußte, daß Usqueesid dieseNachrichten ebenso auffing wie sie. Sie hatte das Be-

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dürfnis, sich ihm mitzuteilen und ihm auch mitWorten zu sagen, wie sehr sie sich über ihren Erfolgfreute. »Die Menschen der Erde öffnen ihre Herzenfür Unandat.«

Sie hatte keinerlei Eroberungsgelüste. Das Strebennach Macht war ihr fremd. Sie wollte die Erde unddie auf ihr lebenden Menschen nicht beherrschen. Siewollte nur, daß sie so glücklich waren wie sie selbstes auch war, und sie konnte sich nicht vorstellen, daßdie Menschen damit nicht einverstanden waren.

Zeigte die Reaktion der Menschen nicht, daß sie esbegrüßten, mit den Gedanken Unandats konfrontiertzu werden? Reagierten sie nicht schon auf die erstenImpulse, obwohl in ihnen lediglich die Existenz Un-andats offenbart und von seinen Lehren eigentlichnoch gar nichts gesagt wurde?

Assimladja wäre entsetzt gewesen, wenn irgendjemand ihr gesagt hätte, daß sie die Menschheit an denAbgrund geführt hatte. Vielleicht hätte sie noch nichteinmal begriffen, was damit überhaupt gemeint war.

Sie blieb stehen, als sie eine Bananenstaude ent-deckte. Die Blüte drehte sich ihr entgegen und öffnetesich weit, als wolle sie sich ihr in ihrer ganzen Schön-heit präsentieren. Assimladja glaubte an eine eigen-ständige, aktive Reaktion der Pflanze. Sie ahnte nicht,daß sie diese Reaktion mit ihren geistigen Impulsenhervorgerufen, ja, geradezu erzwungen hatte.

Assimladja berührte die Blätter der Staude undfühlte, wie die Vitalkräfte der Pflanze auf sie über-gingen.

Usqueesid griff nach den grünen Bananen undbrach sich einige davon ab. Die Früchte fielen ihmfast von selbst entgegen. Er schälte sie ab und aß sie.

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Danach gab er Assimladja eine Frucht, und auch sieverzehrte sie, um ihren Hunger zu stillen. Siebrauchte nicht viel, da sie einen Großteil ihres Ener-giebedarfs aus dem Fluß der Vitalkapazität der Pflan-zen stillte.

Über den beiden Vorthaniern kreischten ein paarAffen. Assimladja und Usqueesid blickten nach oben.

In panischem Schrecken zogen sich die Affen zurück.»Was haben sie?« fragte das vorthanische Mäd-

chen, das sich das Verhalten der Tiere nicht erklärenkonnte.

»Ich weiß nicht«, antwortete Usqueesid. »Jedenfallsbin ich froh, daß sie weg sind. Ich mag sie nicht.«

»Ich auch nicht. Ich verabscheue sie.«»Ob sie das spüren?«»Vielleicht.«Sie überquerten auf einem umgestürzten Baum-

stamm einen schmalen Fluß. Einige Äste die ihnen imWege waren, bogen sich von selbst zur Seite, um ih-nen Platz zu machen. Assimladja bemerkte einige Fi-sche, die vor ihnen flohen. Ein Schwarm Insekten stobauseinander, als sie sich ihm näherten. Und einigeVögel, die zufällig über sie hinwegflogen, ändertenplötzlich ihre Flugrichtung, um sich weiter von ihnenzu entfernen.

Assimladja beobachtete die Reaktionen der Tiere,und sie wurde sich dessen bewußt, daß sie augen-blicklich mit feindseligen Impulsen reagierte, sobaldsie Tiere sah. Sie erkannte, daß es nur diese Impulsesein konnten, die die Tiere vertrieben.

Ein schwarzer Panther schnellte sich über einigeÄste hinweg. Fauchend blieb er unter einem Buschstehen und duckte sich zum Sprung.

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Assimladja und Usqueesid fürchteten sich nicht,obwohl sie keine Waffe in den Händen hielten.

Sie blieben stehen und blickten das Raubtier an.Der schwarze Panther kroch lauernd auf sie zu,

flüchtete dann jedoch und verschwand im Unterholz.

*

Morales fuhr zusammen, als er völlig unvermutetSchritte hörte. Er hatte nicht damit gerechnet, inmit-ten der Stadt noch irgend jemanden anzutreffen.

Er sprang auf und eilte freudig erregt auf die Türdes Eßsalons zu, als plötzlich ein Schuß fiel. EtwasSchweres prallte gegen die Tür. Diese öffnete sich je-doch nicht. Und dann hörte der Indianer, wie jemandlaut stöhnend an der Tür herunterrutschte.

Er ließ die Hand, die er schon nach dem Öffnungs-mechanismus ausgestreckt hatte, sinken. Dann fuhrer herum, raffte Teller und Besteck zusammen undließ sie im Abfallschacht verschwinden. Er stellte denStuhl, auf dem er gesessen hatte, wieder ordentlichhin und eilte zur Anrichte. Darunter war ein kleinerSchrank. Er öffnete ihn, kroch hinein und schloß dieTür hinter sich.

Kaum war die Tür zu, als jemand den Salon betrat.»Hier ist niemand«, ertönte eine Stimme.»Bist du sicher?« fragte eine andere.»Ganz sicher.«Morales vernahm Schritte, die sich ihm näherten.

Jemand hantierte an der Anrichte herum und kün-digte dem anderen Steaks an. Minuten später war dasFleisch angerichtet.

»Es gibt doch immer noch welche, die sich nicht

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verrückt gemacht haben«, sagte einer der beidenMänner. »Willst du sie alle abknallen?«

»Ich beseitige jeden, der mir über den Weg läuft.Zeugen für später will ich nicht.«

»Glaubst du wirklich, daß es ein Später geben wird?«»Davon bin ich fest überzeugt. Vergiß nicht, daß

wir so etwas wie eine Raumflotte und einen Galakti-schen Sicherheitsdienst haben. Die werden sich etwaseinfallen lassen. Ich glaube einfach nicht daran, daßalles endgültig zusammenbricht. Irgendwann kommtalles wieder in Ordnung. Und dann, Juan, dann ha-ben wir ausgesorgt.«

»Warum gehen wir nicht in die Häuser der Reichenund plündern sie aus? Warum gehen wir nicht in dieBanken und holen uns soviel Gold, wie wir tragenkönnen?«

»Weil das alles keinen Sinn hat, Juan. Was hilft unsGold, wenn wir es nicht verkaufen können?«

»Und was helfen uns Beteiligungen?«»Wir beschaffen uns Beteiligungen an den größten

Handels- und Industrieunternehmen des Kontinents.Kleine Beteiligungen. Nicht über fünf Prozent. Dasfällt später kaum auf. Fünf Prozent von zehn oderZwanzig Milliarden sind jedoch eine gewaltigeSumme. Das ist mehr, als wir je mit Bankplünderun-gen erbeuten können. Und es genügt, wenn wir dieBeteiligungen in dieser Höhe von drei oder vier Un-ternehmen bekommen. Alle dazu notwendigen Ar-beiten kann ich jetzt durchführen, ohne daß später ei-ne Manipulation nachweisbar ist.«

»Jetzt verstehe ich«, erwiderte Juan. »Und was wirbis zum Neubeginn benötigen, beschaffen wir uns inden Warenhäusern und in den Depots.«

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»Du bist ein kluger Junge. Hoffentlich hast du auchbegriffen, weshalb es so wichtig ist, keine Zeugen zuhaben.«

»Habe ich.«Die beiden Männer verließen den Salon. Morales

wartete noch einige Minuten ab. Dann verließ er seinVersteck und sah sich vorsichtig um. Die beiden Ver-brecher waren weg.

Der Mann an der Tür war tot. Das Geschoß aus ei-ner altertümlichen Waffe hatte ihm die Brust zerris-sen.

Als Morales das sah, erkannte er, daß es keine Si-cherheit für ihn in der Stadt gab.

Er beschloß, Rio de Janeiro zu verlassen und dort-hin zu fliegen, wo er am meisten Schutz erwartenkonnte. In die Dschungel des Amazonasbeckens.Zum Stamm der Yanomamö. Dort gab es keine Ver-brecher, die das Elend der Menschheit rücksichtslosfür sich nutzten. Dort gab es einfache Menschen, de-nen er blind vertrauen konnte.

Yanomamö.Er eilte zum Treppenhaus, blieb stehen und horch-

te. Irgendwo unter ihm waren die beiden Männer, dieer belauscht hatte. Er stieg nach oben, nachdem ersich die Schuhe von den Füßen gestreift hatte.

Hin und wieder blieb er stehen und horchte. Erfürchtete, daß die Plünderer oben eine Wache aufge-stellt hatten. Stufe für Stufe arbeitete er sich voran, biser endlich das Parkdach erreicht hatte. Direkt vor derTür stand ein großer Gleiter, aber niemand hielt sichdarin auf.

Morales lief zu seiner Maschine, stieg ein und star-tete. Als er sich umdrehte, sah er, daß ein dunkelhaa-

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riger Mann in der Tür erschien und mit einem alter-tümlichen Gewehr auf ihn zielte. Er duckte sich. EinGeschoß zerschlug die Scheiben seines Gleiters. Erließ die Maschine steil abfallen, als sie über die Dach-kante hinausgeflogen war. Dann riß er sie herum undlenkte sie in die menschenleeren Straßenschluchtender Stadt.

Die Plünderer folgten ihm.Morales beschleunigte die Maschine bis zur

Höchstgeschwindigkeit und jagte sie in abzweigendeStraßen hinein. Der Gleiter flog oft nur wenige Meteran den steil aufsteigenden Wänden der Gebäudeentlang.

Der Indianer bekam feuchte Hände. Ihm erschie-nen die Manöver halsbrecherisch, obwohl er wußte,daß sie nicht sonderlich gefährlich waren. Die auto-matischen Einrichtungen des Gleiters sorgten dafür,daß er nicht kollidierte.

Hin und wieder drehte sich der Indianer um, undjedesmal hoffte er, die Verfolger abgeschüttelt zu ha-ben. Doch sie blieben ihm auf den Fersen, wohin ersich auch wandte, und welche Manöver er auch ver-suchte. Es war, als ob sein Gleiter ein Signal aussen-de, das den anderen anzeigte, welchen Fluchtweg erwählte.

Verzweifelt durchsuchte er die Maschine nach ei-ner Waffe, doch er fand nichts.

Nun blieb ihm nur noch ein Ausweg. Er schalteteauf Automatik um, programmierte Brasilia als neuesZiel ein und wartete. Wenig später geschah, was ererhofft hatte. Der Gleiter bog zur Seite ab, flog flachüber ein Parkdach hinweg und ging auf einen nord-westlichen Kurs.

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Morales verzögerte stärker, stieß die Tür auf undsprang hinaus. Er stürzte auf das Dach, rollte sich je-doch geschickt ab, so daß er sich nicht verletzte undrannte zu der offenen Eingangstür des Gebäudeshinüber. Er lief in das Haus und versteckte sich hintereiner Säule. Atemlos wartete er ab.

Einige Sekunden verstrichen. Dann raste der Glei-ter der Verfolger an ihm vorbei. Sie hatte noch nichtbemerkt, daß er ausgestiegen war. Doch damit hatteer nur eine Gnadenfrist gewonnen. Jetzt kam es dar-auf an, den Vorsprung auszubauen.

Er lief wieder auf das Dach hinaus und gelangteüber eine Brücke zu einem benachbarten Parkdeck.Auf diesem stand ein Gleiter. Er war startbereit. Mo-rales stieg ein, flog einen kleinen Bogen und flüchtetedann ebenfalls in nordwestlicher Richtung, befandsich aber etwa drei Kilometer weiter nördlich als diePlünderer. Er hoffte, daß diese umkehren würden,sobald sie entdeckten, daß er nicht mehr in der Ma-schine war, die sie verfolgten.

Aufmerksam beobachtete er das südwestlich vonihm gelegene Gebiet. Wenn er sich nicht geirrt hatte,mußten die Plünderer hier irgendwann zu sehen sein.Morales verließ bereits die Innenstadt, als er den an-deren Gleiter bemerkte. Die Maschine war nur füretwa eine Sekunde zu sehen. Sie bewegte sich in ent-gegengesetzter Richtung.

Der Indianer triumphierte. Sein Plan war aufge-gangen.

Er beschleunigte und lehnte sich in die Polster zu-rück. Bis zum Rio Branco war es noch weit.

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6.

Atan Shubashi versuchte von der ORION IX aus, CliffMcLane und die anderen Freunde zu erreichen. Dochsie meldeten sich nicht. Sie waren noch immer nichtzum Mars zurückgekehrt. Der Astrogator hinterließdie Nachricht, daß er mit GSD-Direktor Katsuro ab-fliegen würde.

Ihm war nicht wohl, als er zum GSD-Schiff hinü-berging. Er hatte das Gefühl, daß er in der ORIONbleiben und auf die Freunde warten sollte.

Als er die Zentrale des GSD-Schiffes betrat, nahmKatsuro Funkverbindung mit dem Kommandeur derim Sonnensystem stehenden 4. Strategischen Raum-flotte, der Wega-Flotte, auf. Nach dem Tod AdmiralMahaviras war Admiral Rod Hilvas Kommandeurdieser Flotte geworden.

Atan Shubashi sah, wie das Gesicht des Admiralsauf dem Bildschirm erschien. Er wußte, daß die Er-nennung dieses Mannes nur eine Übergangslösungsein sollte.

»Ich begrüße Sie, Admiral«, sagte Katsuro.»Was gibt es?« fragte der Admiral knapp.»Auf der Erde stimmt etwas nicht«, entgegnete der

Direktor des Galaktischen Sicherheitsdienstes. »Wirhaben ...«

»Ohne Befehle von T.R.A.V. kann ich nichts unter-nehmen«, erklärte Admiral Hilvas, ohne Katsuro aus-sprechen zu lassen. »Ganz gleich, ob auf der Erde et-was stimmt oder nicht. Ich halte die Flotte in Bereit-schaft. Das ist alles, was ich tun kann.«

Seine Augenbrauen wölbten sich.

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»Im übrigen habe ich den Eindruck, daß auf derErde alles in Ordnung ist.«

Katsuro schaltete zornig und enttäuscht ab, ohnezu versuchen, den Admiral umzustimmen.

»Wenn es so ist, schaffen wir es auch allein«, sagteer erregt.

Atan Shubashi sah ihm an, wie sehr er sich über diehochmütige Haltung des Admirals ärgerte.

»Es bleibt dabei, daß Sie mich zur Erde begleiten?«fragte Katsuro den Astrogator.

»Es bleibt dabei«, antwortete Shubashi.Der Direktor des GSD kam auf ihn zu. Sein Gesicht

entspannte sich, dann sagte er: »Gut. Ich danke Ihnen,Shubashi. Hiermit ernenne ich Sie zu meinem Stell-vertreter. Da T.R.A.V. nicht mehr antwortet, ist daswichtig. Nehmen Sie an?«

»Ich nehme an«, antwortete Atan Shubashi, dervon dieser Ernennung völlig überrascht wurde.

Katsuro drehte sich um.»Wir starten«, befahl er.Kurz darauf stieg das Raumschiff auf. Die ORION

IX blieb auf dem Mars zurück.

*

Assimladja blieb stehen und beugte sich über dieblühende Orchidee. Sie schloß die Augen und atmetetief durch die Nase ein. Nun wanderte sie schon denzweiten Tag durch den Urwald, und die Schönheitdieses Waldes berauschte sie immer mehr.

Als sie sich aufrichtete, empfing sie telepathischeSignale von den anderen Vorthaniern, die sich in an-deren Waldgebieten der Erde aufhielten.

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»Die Menschen sind glücklich über die BotschaftUnandats«, teilte Elvedurija mit.

Assimladja zog sich in sich selbst zurück und kap-selte sich damit gegen die anderen ab.

Unandat?Dachte sie nicht ununterbrochen an Unandat?Usqueesid blickte sie an. Er schüttelte den Kopf

und legte seine Hände an den goldenen Reif, der zurTelepathischen Verständigung diente.

»Was ist los?« fragte sie.»Du denkst nicht an Unandat«, erwiderte er. »Du

denkst schon lange nicht mehr an ihn. Eigentlich hastdu nicht mehr an ihn gedacht, seit wir in der Stationaus dem Transmitter gekommen sind.«

Assimladja war empört.»Wie kannst du so etwas behaupten?« fragte sie

zornig.»Es ist wahr«, sagte er mit fester Stimme. »Du

denkst nicht an Unandat. Keiner von uns denkt an ihn.«»Ich habe oft von Unandat gesprochen«, betonte sie

und pflückte eine Blüte ab, um daran zu riechen.»Du hast von ihm gesprochen«, bestätigte er, »aber

du hast gar nicht ihn gemeint. Dir ergeht es wie unsallen. Wir denken nur an die Blaue Blume.«

Ihre Augen weiteten sich.»Das ist wahr«, antwortete sie überrascht. »Ich

sehne mich nach der Blauen Blume. Es macht michfast krank, daß ich nicht in ihrer Nähe sein kann. Duhast recht. Die Sehnsucht nach der Blauen Blume warvon Anfang an da.«

Sie drehte sich um und lief bestürzt davon. Siehatte das Bedürfnis, allein zu sein. Usqueesid folgteihr langsam. Seine Worte hatten sie aufgewühlt, denn

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ihr war bewußt geworden, daß sie alle Gedanken anUnandat verdrängt hatte.

Das erklärte auch den Mißerfolg ihrer Mission.Sie hatten keinen Erfolg gehabt. Darüber war sich

Usqueesid klar geworden. Er selbst hatte sich langegegen die Erkenntnis gewehrt, daß alles anders ge-kommen war, als sie gedacht hatten. Jetzt aber war ersoweit, daß er darüber nachdenken konnte, ohne sichselbst mit Entschuldigungen und Ausflüchten zukommen.

Ihre Aufgabe war es gewesen, den Menschen derErde die Botschaft Unandats zu bringen und sie da-von zu überzeugen. Die Menschen reagierten deut-lich auf ihre geistigen Impulse. Das konnten sie mü-helos feststellen. Aber sie reagierten nicht so, wie esgeplant war. Sie sprachen auf das an, was die Vort-hanier selbst auch erfüllte. Die Sehnsucht nach derBlauen Blume.

Bei den Menschen zeigte sie sich dadurch, daß siesich allem zuwandten, was pflanzlich war, ohne ge-nauer zu differenzieren. Usqueesid zweifelte jedochnicht daran, daß auch das bald geschehen würde.

Wie war es möglich, so fragte er sich, daß so etwaseingetreten war?

Er blieb bei einem blühenden Busch stehen und be-rührte die Blüten. Deutlich fühlte er, wie etwas vonder Vitalität der Pflanze auf ihn überging.

War es das?War es der Strom der pflanzlichen Energie, der sie

veränderte?Er schloß zu Assimladja auf und wollte etwas sa-

gen, aber sie bat ihn mit einer freundlichen Geste zuschweigen. Sie brauchte noch Zeit.

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Usqueesid öffnete seinen Geist für die anderen Vort-hanier. Er wollte wissen, ob sie die Wahrheit auchschon erkannt hatten und wie sie darauf reagierten.

*

Morales erwachte und wußte zunächst nicht, wo erwar. Doch die Erinnerung kehrte rasch zurück. Errichtete sich auf und blickte aus dem Gleiter nachunten. Eine Schriftanzeige auf dem Instrumentenpultwies darauf hin, daß er sich Brasilia näherte. Doch erinteressierte sich kaum dafür.

Unter ihm breitete sich eine Wildnis aus, die nurzum Teil erschlossen war. Auf den zahllosen Lich-tungen und in den weniger dichten Wäldern sah erMenschen, die offenbar ziellos umherirrten. Keinervon ihnen blickte zu ihm auf. Niemand schien ihnüberhaupt zu bemerken.

Der Indianer verzögerte stark, schaltete auf manu-elle Bedienung um und ließ den Gleiter absinken, biser mit nur noch mäßiger Geschwindigkeit dicht überden Boden dahinglitt. So konnte er die Menschen bes-ser beobachten.

Fast alle sahen erschöpft aus. Ihre Kleidung warzerrissen, weil sie einfach so durch den Busch gelau-fen waren und auf keinerlei Hindernisse geachtethatten. Alle aber hatten sich mit Blumen behängt, vondenen die meisten mittlerweile verwelkt waren.

Morales brauchte nicht lange nachzudenken, umzu erfassen, was geschehen war.

Die von den Außerirdischen beeinflußten Men-schen hatten die Stadt verlassen und waren in die of-fene Landschaft gelaufen, um Blumen berühren zu

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können. Als Indianer kannte Morales das Geheimnisder Vitalität der Pflanzen, und so fiel es ihm nichtschwer, Zusammenhänge zu erkennen, die anderenverborgen blieben.

Doch niemand hatte sich Verpflegung mitgenom-men. Die Menschen hungerten. Sie hatten keinenSchlaf bekommen, und ihren Durst konnten sie nuraus den offenen Gewässern stillen, die zum Teil ver-seucht waren. Die ersten Folgen zeigten sich bereits.In einigen Tagen würde alles noch viel schlimmersein. Die Menschen würden verhungern, wenn diefremde Macht sie nicht freigab und zu einem norma-len Leben zurückkehren ließ.

Morales glaubte nicht daran, daß das geschehenwürde.

Zum ersten Mal wurde ihm klar, was die Katastro-phe für die Menschheit bedeutete.

Mit ihrer Waffe der Mentalen Beeinflussung konn-ten die Fremden die Erde innerhalb von wenigen Ta-gen entvölkern.

Verzweifelt fragte er sich, ob es noch irgend etwasgab, womit die Vernichtung der Menschheit aufge-halten werden konnte.

Konnte er selbst etwas tun?Wo verbarg sich der Feind? War er unerreichbar im

Weltraum? Oder hielt er sich irgendwo in der Näheauf?

Morales erinnerte sich daran, daß es außer ihmnoch andere Menschen gab, die unbeeinflußt blieben.Er hatte nur wenige davon getroffen, war aber festdavon überzeugt, daß es noch wesentlich mehr gab.Es kam nur darauf an, sie ausfindig zu machen undsich mit ihnen zusammenzutun.

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Aber war man dann wirklich weiter?Nicht, wenn nicht irgend jemand dabei war, der

wußte, wo die Fremden waren, und wie man sie an-packen konnte.

»Du träumst«, sagte er laut.Was halfen diese Gedanken? Hatte er nicht Men-

schen getroffen, die zwar frei waren, die aber garnicht daran dachten, sich mit ihm zusammenzutun,sondern die nur Reichtümer zusammenhäufen woll-ten, obwohl es eine Armut schon vorher gar nicht ge-geben hatte. Jeder Mensch auf der Erde konnte übersoviel Mittel verfügen, daß er sich ein angenehmesLeben leisten konnte. Was nützte es also den Plünde-rern, wenn sie Werte in Höhe von ein paar Millionenanhäuften?

Dafür hatte Morales nur ein verächtliches Lächelnübrig.

Mit diesen Menschen konnte er nicht zusammen-arbeiten. Sie hatten in ihm nur einen Feind gesehen,den es zu beseitigen galt. An den wirklichen Feind,der die Existenz der Menschheit bedrohte, hatten sienicht gedacht.

Wie sah es bei anderen Unabhängigen aus? Konnteer sich ihnen überhaupt nähern, ohne von ihnen an-gegriffen zu werden?

Er entschloß sich, das herauszufinden.Der Gleiter stieg wieder auf und beschleunigte.

Morales hätte den in den Wäldern herumirrendenMenschen gern geholfen, aber er wußte, daß er imGrunde genommen nichts tun konnte.

Die Lösung mußte irgendwo in der Stadt zu findensein. Dort gab es Menschen, die unbeeinflußt waren.Ihnen war klarzumachen, daß sie gegen das Fremde

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kämpfen mußten. Die Menschheit konnte nur gerettetwerden, wenn man die Fremden vernichtete.

Morales widerstrebte es, daran zu denken, daß ertöten mußte. Aber er sah keinen anderen Ausweg mehr.

Er überflog die ersten Häuser von Brasilia, als erplötzlich Widerstand verspürte.

Zunächst glaubte er, daß der Gleiter durch einentechnischen Defekt behindert wurde, aber dannmerkte er, daß das Fremde in ihm selbst war. SeineBlicke verschleierten sich.

Er kämpfte gegen das Fremde an, weil er fühlte,daß er verloren war, wenn es ihm nicht gelang, sichdagegen zu behaupten.

Er wollte die Hände heben, um sich die Schläfenmit den Fingern zu massieren, aber sie gehorchtenihm nicht. Schlaff sank er in die Polster zurück.

*

»Wir haben es geschafft«, sagte Enrico Fardi. »Jetztwird uns niemand mehr aufhalten.«

Er stand mitten im Computerzentrum von Brasiliaund blickte auf den Zwerg hinab.

»Natürlich habe ich erst Südamerika«, fuhr er fort.»Aber das ist mir um so sicherer. Niemand wird esmir mehr nehmen.«

Der Zwerg runzelte die Stirn.»Vielleicht weil niemand mehr da ist«, erwiderte

er.»Unsinn«, sagte der Mutant ärgerlich. »Es wird sich

alles wieder normalisieren. Wenn ich davon nicht vonAnfang an überzeugt gewesen wäre, hätte ich diesalles gar nicht erst begonnen.«

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Er stutzte. Seine Augen schlossen sich. Für einenkurzen Moment schwankte die mächtige Gestalt.

»Was ist los?« fragte Teco ängstlich.Er merkte, daß er plötzlich frei wurde. Der schüt-

zende Einfluß Fardis war verschwunden. Der Zwergfühlte die Impulse der Vorthanier. Er wehrte sich da-gegen, und es gelang ihm, sie ein wenig zurückzu-drängen, doch gleichzeitig bewegten sich seine Beine.Er schritt auf die Tür zu, öffnete sie und trat auf denGang hinaus. Er sah das rote Warnlicht am Zugangzum Antigravschacht, und er wußte, daß es seinenTod bedeuten würde, wenn er in den Schacht ging.Doch er blieb nicht stehen. Die Sehnsucht nach Blu-men trieb ihn immer weiter.

Er öffnete den Mund. Er wollte den Mutanten umHilfe rufen, doch kein Laut kam über seine Lippen.

Das rote Licht kam näher und näher. Er konnteschließlich nichts anderes mehr sehen als nur nochdieses rote Licht. Es war, als ob auf dieser Welt nichtsanderes mehr existierte.

Plötzlich aber legte sich ihm eine Hand auf dieSchulter. Seine Blicke klärten sich. Er war frei.

Aufschreiend fuhr er herum.Er stand am Abgrund. Nur Zentimeter trennten ihn

noch von der tödlichen Tiefe.»Was ist los mit dir, Kleiner?« fragte der Mutant.

»Hattest du Selbstmordabsichten?«Teco drängte sich an ihm vorbei, um ein wenig

vom Schacht abzurücken.»Überhaupt nicht«, sagte er keuchend. »Ich konnte

nicht anders. Ich sehnte mich plötzlich nach Blumen.Die Sehnsucht war so groß, daß ich einfach hinausge-hen mußte.«

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Enrico Fardi nickte.»Ohne mich bist du verloren, Kleiner«, bemerkte

er. »Ich würde dir raten, dich nicht noch einmal vonmir zu entfernen.«

»Freiwillig habe ich das nicht getan«, verteidigtesich der Zwerg. »Was war los? Warum haben Siemich verlassen?«

»Habe ich das?« Fardi lächelte. »Ich habe jemandengefunden, der mir gefährlich werden könnte. Er ist dadraußen irgendwo. Ich wollte ihn töten, aber es istmir nicht gelungen. Ich merkte gerade noch rechtzei-tig, was mit dir los war, und mußte meinen Angriffauf den anderen abbrechen.«

»Wer ist der andere?«»Ein Indianer«, sagte der Mutant verächtlich.

»Beim nächsten Mal werde ich ihn erwischen. Dannist das Problem erledigt. Ich kann jedoch nicht zweiDinge gleichzeitig tun. Wenn ich ihn angreife, kannich dich nicht schützen – und umgekehrt. Deshalbmuß ich dich erst in Sicherheit bringen, bevor ich ge-gen diesen Indianer vorgehe.«

Er machte eine abfällige Geste.»Aber das eilt nicht«, fügte er hinzu.

*

Assimladja blickte Usqueesid niedergeschlagen an.»Wir schaffen es nicht«, sagte sie. »Was sollen wir

tun?«»Das fragst du mich?« entgegnete er überrascht.

»Ausgerechnet die stets überlegene Assimladja, dienie etwas aus dem Gleichgewicht bringen kann?«

»Hör auf zu spotten«, bat sie. »Ich ertrage das

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nicht. Wir haben Unandat verraten. Damit werde ichnicht fertig.«

Er merkte, daß sie es ernst meinte, und verzichteteauf die ironischen Bemerkungen, die ihm auf derZunge lagen. Er sah, daß eine große, gefleckteSchlange, die wenigstens viermal so lang war wie erselbst, vor ihnen ins Wasser flüchtete. Er streifte einBlatt von einem Zweig, steckte es in den Mund undkaute darauf herum. Doch es schmeckte ihm nicht.Der Saft des Blattes war bitter. Er spie ihn aus.

»Ich weiß auch nicht, was wir tun sollen«, entgeg-nete er endlich. »Vielleicht sollten wir zurückkehrenund ganz offen zugeben, daß wir nicht schafften, waswir uns vorgenommen haben. Wir sind nicht für sol-che Expeditionen geeignet, oder wir müßten etwasvon der Blauen Blume mitnehmen, so daß wir nichtvor Sehnsucht krank werden, sondern uns auf unsereAufgabe konzentrieren können.«

»Wahrscheinlich hast du recht«, sagte sie. »Wirsollten verschwinden, bevor es zu spät ist. Ich spüredeutlich, daß sich in mir etwas verändert. Ich habeden Kontakt zu Unandat verloren.«

Das waren schlimme Worte, die selbst Usqueesidschockierten. Den Kontakt zu Unandat zu verlieren,hieß, ihn zu leugnen. Daß gerade Assimladja so etwassagte, machte alles noch viel schlimmer. Er wußte, daßsie es ehrlich meinte. Sie war nicht zu einer Lüge fähig.

Sie begriff, wie ihre Worte auf ihn gewirkt hatten.Sie eilte einige Schritte von ihm fort. Mit bebenderHand streichelte sie eine Orchidee, deren Blüten voneinigen blauen Farbtupfern durchsetzt waren.

Usqueesid wollte ihr folgen, als er plötzlich einebraune Gestalt zwischen den grünen Blättern entdek-

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ke. Der Mann war nur mit kurzen Hosen bekleidet,und das schwarze Haar reichte ihm bis auf dieSchultern herab. Dunkle Augen musterten den Vort-hanier, der sich instinktiv auf den Fremden konzen-trierte, um ihn von einem Angriff auf ihn abzuhalten.

Der Braune zuckte deutlich zusammen. Er flüchteteins Unterholz.

Bleib! rief ihm Usqueesid telepathisch zu. D ubrauchst keine Angst zu haben.

Der Indianer hörte nicht auf ihn. Er tauchte nichtwieder auf.

»Wer war das?« fragte Assimladja verwirrt.»Ein Jäger vielleicht«, entgegnete der Vorthanier

unsicher. »Er hätte uns helfen können.«»Niemand kann uns helfen«, sagte Assimladja resi-

gnierend.»Wir wollen es wenigstens versuchten«, sagte Usque-

esid. Er nahm ihre Hand. »Komm. Wir laufen ihm nach.«»Warum teleportieren wir nicht?«»Weil wir ihn dann vielleicht ganz aus den Augen

verlieren.« Sie liefen durch das dichte Unterholz zuder Stelle hin, an der der Indianer gewesen war.Deutlich konnten sie seine Spuren auf dem Boden se-hen. Die Äste der Büsche bogen sich zur Seite, um ih-nen Platz zu machen.

Mühelos folgten die beiden Vorthanier den Spurendes Indianers, der seine Richtung immer wieder ge-ändert hatte, so daß sie nicht vorausberechnen konn-ten, wohin er sich gewendet hatte. So sehr ihnen diePflanzen auch halfen, sie holten nicht soweit auf, daßsie den Indianer sehen konnten. Einige Male glaubtensie, ihn zu hören, doch jedesmal stellten sie danachfest, daß sie sich getäuscht hatten.

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Assimladja versuchte vergeblich, ihn telepathischzu erfassen. Sie stieß auf kein mentales Echo.

Schließlich blieb Usqueesid keuchend stehen.»Ich glaube, ich weiß jetzt, in welche Richtung er

flieht«, sagte er und streckte den rechten Arm aus.»Wir teleportieren dorthin. Dann erreichen wir ihn.«

Assimladja nickte nur. Sie war erschöpft. Die uner-füllte Sehnsucht nach der Blauen Blume zeigte nunauch körperliche Folgen. Usqueesid schloß seine Fin-ger fest um ihre Hand. Beide Vorthanier konzen-trierten sich auf die Teleportation. Das geschah sokurz und flüchtig, wie sie es gewohnt waren.

Als sie die Augen wieder öffnete, schrie Assimladjaleise auf.

»Es hat nicht geklappt«, sagte Usqueesid verstört.»Wir sind noch an der gleichen Stelle.«

»Wie ist das möglich?« fragte sie.»Ich weiß es nicht. Woher soll ich das wissen?«»Sei nicht gleich so aggressiv.«»Ich bin nicht aggressiv«, fuhr er sie zornig an. »Ich

mache mir nur Gedanken über dich. Du mußt etwasfalsch gemacht haben.«

»Warum ich? Warum kannst du es nicht gewesensein?«

»Du bist Assimladja«, antwortete er, als sei das dieganze Erklärung.

Sie zwang sich zur Ruhe.»Ich habe mich auf die Teleportation konzentriert

wie immer«, sagte sie. »Alles war ganz normal. Des-halb mußt du etwas falsch gemacht haben. Du hastmich durch irgend etwas gestört, so daß wir nichtspringen konnten.«

Sie hatten den Indianer vergessen, der sich nun in

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Sicherheit bringen konnte.»Also schön«, erwiderte er einlenkend. »Nehmen

wir an, daß ich es war, der gestört hat. Wir wollen dasnicht überbewerten. Ich habe dir einen Vorschlag zumachen.«

»Ich höre.«»Wir sollten die Erde verlassen. Wir sollten ins

Raumschiff zurückspringen und die anderen zu unsrufen. Dann sollten wir zur Transmitterstation zu-rückkehren und aus diesem Raumsektor verschwin-den.«

Assimladja überlegte. Sie horchte in sich hinein.Alles in ihr schrie nach der Blauen Blume. Diese be-deutete ihr mehr als alles andere. Sie konnte ohne dieBlaue Blume nicht leben. Als ihr das in dieser Deut-lichkeit bewußt wurde, erkannte sie auch, warum esihnen nicht gelungen war, sich zu teleportieren. Dieübersteigerte Sehnsucht nach der Blauen Blume ver-hinderte die notwendige geistige Konzentration, sodaß keine Teleportation zustande kam.

Sie streckte ihre Hand aus.»Wir werden uns sehr lange auf die Teleportation

konzentrieren«, sagte sie entschlossen. »Dann sprin-gen wir ins Schiff zurück. Wir werden alles verges-sen, was uns belastet. Wir werden nicht an die BlaueBlume denken, sondern nur an die Teleportation.«

Er ergriff ihre Hand. Sie schlossen die Augen undbereiteten sich auf die Teleportation vor.

Mehrere Minuten verstrichen, in denen sie schwei-gend nebeneinander standen.

»Jetzt«, sagte Assimladja schließlich.Der entscheidende Impuls kam. Er hätte die

Menschheit befreit, wenn er stark genug gewesen wä-

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re, die Teleportation einzuleiten. Er war es jedochnicht.

Als Assimladja die Augen wieder öffnete, befandensie und Usqueesid sich noch an der gleichen Stellemitten im Urwald des Amazonasbeckens.

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7.

Der Druck wich plötzlich von ihm.Morales riß den Gleiter herum, ohne nachzuden-

ken, und lenkte ihn in eine andere Richtung. Im er-sten Moment hatte er keinen anderen Wunsch, als ausBrasilia zu verschwinden. Doch dann regte sich derTrotz in ihm.

Hatte er sich nicht vorgenommen, hier in der Ver-waltungszentrale Kontakt zu anderen aufzunehmenund sich zusammen mit ihnen zu behaupten? Durfteer so schnell aufgeben?

Er brachte den Gleiter wieder auf den alten Kursund grübelte darüber nach, wer oder was ihn ange-griffen hatte. Sein Herz schlug rasend schnell. EineZeit lang hatte er das Gefühl gehabt, es werde von ei-ner unsichtbaren Faust zusammengepreßt. Jetzt wares wieder frei.

Die Angst wich maßlosem Zorn.Morales dachte nicht daran, sich einfach ausschal-

ten zu lassen. Die Jagdinstinkte des Indianers er-wachten in ihm. Er war lebengefährlich bedroht wor-den. Diese Herausforderung mußte er annehmen.Dies war etwas ganz anderes, als die beleidigendenWorte von Jamy Banders es gewesen waren. DerRaumfahrer hatte ihn nicht töten, sondern nur demü-tigen wollen, weil ihm das ein gewisses Überlegen-heitsgefühl gegeben hatte.

Darüber war Morales hinweggegangen.Jetzt aber wollte er nicht zurückstecken.Er beschloß, sich zunächst eine Waffe zu besorgen.

Das konnte kein Problem sein. In Brasilia gab es ge-

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nügend Sportclubs, Jagdgesellschaften und Großge-schäfte, in denen geeignete Waffen vorhanden waren.Er wollte bewußt keine modernen Waffen, weil ernoch nie eine von dieser Art in den Händen gehabthatte. Von seinen Jagdausflügen in den Dschungelaber kannte er die für die Jagd zugelassenen Geweh-re.

Er raste mit dem Gleiter in die StraßenschluchtenBrasilias hinein, wobei er darauf gefaßt war, plötzlichangegriffen zu werden. Doch er hatte Glück. Der Un-heimliche schlug nicht wieder zu.

Morales landete auf dem Parkdach eines Jagdclubs.Niemand hinderte ihn daran. Die Tür zu denClubräumen war offen. Er trat ein und sah sich um.

In Glasschränken waren etwa dreihundert für dieJagd zugelassene Gewehre der verschiedensten Art.Die Schränke waren nicht abgeschlossen, so daß erdas Glas nicht zu zerschlagen brauchte. Er schob dieScheiben zur Seite und nahm ein langläufiges Gewehrheraus, das ihm besonders gut gefiel. Es war nicht ge-rade leicht, lag aber hervorragend in der Hand. Diedazu gehörige Munition fand er in Schubladen unterdem Schrank. Er nahm fünfhundert Schuß mit.

Zufrieden lächelnd drehte er sich um.Er blickte direkt in die Mündung eines großkalibri-

gen Gewehrs, das eine hellhäutige Frau auf ihn rich-tete. Sie zielte auf seine Stirn.

»Keine Bewegung«, sagte sie mit fester Stimme.»Laß das Gewehr fallen.«

Er gehorchte.»Mit allem habe ich gerechnet, nur nicht damit«,

bemerkte er überrascht. »Ich hatte nicht gehofft, hierjemanden zu treffen, mit dem ich ...«

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»Sei still«, befahl sie.»Ich habe nicht vor, dir etwas zu tun«, erklärte er.

»Ich bin froh, daß ich endlich jemanden gefunden ha-be, der nicht von den Fremden beeinflußt wird, undder nicht plündert.«

»Dafür habe ich wiederum jemanden gefunden,der plündert«, erwiderte sie verächtlich. »Es scheintnur noch Verrückte und Aasgeier zu geben.«

»Man hat zweimal versucht, mich zu töten«, sagteer. »Ich fand es daher an der Zeit, mich endlich zubewaffnen, damit ich mich wehren kann.«

»Wer hat versucht, dich zu töten?« fragte sie.Er berichtete ihr, was vorgefallen war. Zögernd ließ

sie das Gewehr sinken.»Wenn ich nur wüßte, ob ich dir vertrauen kann«,

sagte sie unsicher.»Du kannst«, erwiderte er. »Und du mußt. Oder du

mußt mich töten.«»Ich könnte dich davonjagen.«»Das wäre keine Lösung. Ich könnte zurückkom-

men.«Sie stellte das Gewehr entschlossen zur Seite und

hob das Kinn. Morales sah, daß ihre Unterlippe zit-terte. Sie hatte Angst.

»Wir werden von jetzt an zusammenbleiben«, sagteer. »Wir müssen jenen finden, der mich mit geistigenKräften töten wollte. Vielleicht ist er mit den Fremdenidentisch, die alle unter ihren Bann zwingen.«

Er nahm das Gewehr und die Munition auf undging an ihr vorbei zur Tür. Dort blieb er stehen undblickte lächelnd zurück.

»Nun?« fragte er.Endlich begriff sie, daß sie ihm wirklich vertrauen

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konnte. Tränen stiegen ihr in die Augen.»Ich hatte mich schon aufgegeben.« Sie kam zu ihm

und streckte ihm die Hand entgegen. »Mein Name istManta.«

Sie war hellhäutig, hatte aber unübersehbar ne-groide Züge. Sie war größer als er, und sie war schö-ner als die meisten Freuen, denen er begegnet war.Sie trug einen leichten Jagdanzug aus einem weichenStoff, wie er ihn noch nie gesehen hatte.

»Ich glaube, ich weiß, wer der Angreifer gewesenist«, fuhr sie fort. »Es gibt hier in der Gegend einenMann, von dem man sagt, daß er ein Mutant ist. Vielebehaupten, daß er parapsychische Kräfte hat, aberniemand weiß es genau. Er könnte die Stunde für sei-ne Zwecke nutzen wollen.«

»Wer ist es?«»Enrico Fardi. Er ist der Vorsitzende des Raumfah-

rerverbandes. Er gilt als machthungriger Mann. Vielebefürchten, daß er eines Tages die Macht mißbrau-chen wird, die er durch die hinter ihm stehendenRaumfahrer hat. Wir sollten uns diesen Mann einmalansehen. Vielleicht ist er wirklich derjenige, den wirsuchen.«

Sie traten auf das Parkdach hinaus.»Da ist ein Gleiter«, rief Morales und zeigte auf ei-

ne Maschine, die etwa anderthalb Kilometer von ih-nen entfernt war. Manta lief in die Clubräume zurückund kam gleich darauf mit einem elektronischenFernglas wieder heraus. Sie setzte das Gerät an dieAugen und stellte es sorgfältig ein. Nachdem sie eini-ge Sekunden lang hindurchgesehen hatte, reichte siees dem Indianer.

»Es ist Enrico Fardi«, sagte sie.

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Durch das Glas sah Morales einen korpulenten Mann,der hinter den Steuerelementen des Gleiters saß.

»Er hat vier Arme«, rief er überrascht. »Zwei sindnormal lang, die anderen sind klein. Sie sehen ver-kümmert aus.«

»Gewöhnlich versteckt er das obere, verkümmerteArmpaar unter der Kleidung«, sagte sie. »Jetzt aberhält er das nicht für notwendig.«

Sie schürzte die Lippen.»Es ist so, wie ich gedacht habe. Er fühlt sich sicher,

und er will die Situation für seine Zwecke ausnutzen.Nur aus diesem Grund ist er hier in Brasilia. Bei ihmist Teco, der Zwerg. Man kann ihn nicht sehen, weiler zu klein ist. Wahrscheinlich liegt er hinten imGleiter in den Polstern. Man hat Enrico Fardi nochniemals ohne diesen Diener gesehen.«

»Gut«, sagte Morales. »Wir wissen jetzt, daß Fardiebenfalls immun gegen die Beeinflussungsstrahlungder Fremden ist. Alles andere sind nur Vermutungen.Was machen wir jetzt?«

»Mir wäre wohler, wenn ich das wüßte«, entgeg-nete sie. »Am liebsten würde ich ihn einfach erschie-ßen, so wie er es mit uns machen würde. Aber daskann ich nicht.«

»Würde er es bestimmt mit uns machen?« fragte erzweifelnd.

Sie hob das Gewehr an die Schulter und richtete esauf den Gleiter, schoß jedoch nicht.

In diesem Moment schlug Enrico Fardi zu. Mantawurde bleich. Sie ließ das Gewehr fallen und griffsich ans Herz. Morales wollte ihr zu Hilfe kommen,als sich ihm plötzlich etwas um die Brust legte undihn zu erdrücken drohte.

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»Hilf mir«, bat Manta keuchend. »So hilf mir doch.«Er konnte ihr nicht helfen.

*

Assimladja brauchte lange, bis sie den Schock über-wunden hatte. In dieser Zeit stand sie still unter ei-nem Baum und lehnte sich an einen Ast. Sie hielt dieAugen geschlossen und antwortete nicht auf die Fra-gen Usqueesids.

Sie war noch jung, und sie war noch niemals ge-scheitert. So war das Gefühl, versagt zu haben, völligneu für sie. Damit mußte sie erst einmal fertig werden.

Usqueesid erging es nicht anders als ihr, aber erwar robuster und weniger sensibel.

Als sie endlich wieder die Augen öffnete, warenStunden vergangen.

»Irgendwie geht es weiter«, sagte er. »Wir sindnoch jung. Warum sollte uns immer alles gelingen?Heißt es nicht in den Lehren Unandats, daß Schwie-rigkeiten dazu da sind, überwunden zu werden?«

»Unandat ist mir fern«, antwortete sie. »Ich weißkaum noch, wer er ist.«

Usqueesid setzte zu einer spöttischen Antwort an,als ihm bewußt wurde, daß es ihm ähnlich erging wieAssimladja. Er lachte unsicher.

»Da sind wir nun auf diese Welt gekommen, umdie Menschen hier mit der Botschaft Unandats zu be-glücken. Und was ist passiert? Die Bedingungen, diewir vorgefunden haben, haben uns umgedreht. Mirscheint, mit Unandat ist es nicht weit her, wenn es soleicht ist, ihn in die Vergessenheit zu schicken.«

Diese Worte waren ihr denn nun doch etwas zu

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extrem. Sie setzte zu einer heftigen Entgegnung an,als ein Hilfeschrei sie erreichte. Er hallte in ihnen wi-der, und beide wußten auf Anhieb, daß er nicht voneinem Vorthanier kam, sondern von einem Menschender Erde.

Usqueesid packte Assimladja am Arm.»Hast du das auch gehört?«»Ganz deutlich«, antwortete sie. »Wer kann das

gewesen sein?«»Ich weiß nicht, aber wir müssen uns darum küm-

mern. In dieser Stimme war etwas, was mich direktangesprochen hat. Es war etwas von der ... BlauenBlume.«

»Es war ganz fern darin verborgen«, bestätigte As-simladja, »aber es war da. Ich habe es auch gespürt.«

»Wir müssen helfen. Egal, wie wir es machen.« Erfaßte ihre Hand. »Wir müssen es noch einmal versu-chen. Wir wollen zu ihm springen.«

»Wir haben die Kraft verloren«, entgegnete sie.»Wir schaffen es. Bestimmt. Denke an die Blaue

Blume. Wenn wir ihn retten, wird er uns zur BlauenBlume führen. Das muß dir Kraft geben. Nimm dichzusammen.«

Sie lächelte zaghaft.»Wir schaffen es«, sagte sie. »Wenn du mir hilfst,

schaffen wir es.«Sie schlossen die Augen, hielten sich bei den Hän-

den und konzentrierten sich gemeinsam. Mit einemkurzen Druck seiner Hand zeigte Usqueesid an, daßsie springen wollten.

Als Assimladja die Augen wieder öffnete, befandsie sich auf einem Parkdach mitten in einer fremdenStadt. Vor ihr knieten ein dunkelhaariger Mann und

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eine schöne Frau, die gegen eine unsichtbare Kraftankämpften. Dabei befand sich die Frau in einer fasthoffnungslosen Situation, während der Mann offen-sichtlich ausreichenden Widerstand leistete. Von ihmaber war der Hilferuf gekommen.

»Los, schnell«, rief Usqueesid. Er warf sich auf dieFrau und teleportierte mit ihr.

Assimladja zögerte kurz.Der Mann blickte sie an. Sie glaubte, noch niemals

vorher in den Augen eines anderen Wesens so vielRuhe und innere Sicherheit gesehen zu haben.

Und das, obwohl er sich in Lebensgefahr befandund um Hilfe gerufen hat! dachte sie.

Deutlich spürte sie die parapsychische Kraft, dieauf ihn einwirkte und ihn vernichten wollte.

Sie legte dem Mann die Hand auf die Schulter undteleportierte mit ihm.

Als sie rematerialisierte, befand sie sich wieder ander Stelle in der Wildnis, von der aus sie zusammenmit Usqueesid gestartet war. Usqueesid war da. Erlag auf dem Boden und war bewußtlos. Die Frau, dieer gerettet hatte, war nicht da.

Assimladja fühlte sich so schwach, daß sie sichnicht auf den Beinen halten konnte. Die Teleportationhatte sie förmlich ausgelaugt. Sie stürzte zu Boden.Die Sinne schwanden ihr.

Während sie fiel, wurde ihr bewußt, daß es auchihr nicht gelungen war, die Rettungsaktion in ge-wohnter Weise durchzuführen, denn der Mann mitden ruhigen Augen war nicht bei ihr.

Sie hatte ihn irgendwo unterwegs verloren.

*

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Morales fand sich mitten im Dschungel auf einer An-höhe wieder. Er drehte sich um, als er jemandenstöhnen hörte. Manta kauerte auf dem Boden undpreßte sich die Hände gegen den Kopf.

»Wo sind wir?« fragte sie mühsam. »Was ist pas-siert?«

Der Indianer hatte keinerlei Beschwerden. Er fühltesich so, als sei überhaupt nichts geschehen.

»Steh auf«, sagte er. »Es wird schon besser wer-den.«

»Laß mich«, bat sie. »Ich brauche Ruhe.«Morales tat ihr den Gefallen und ließ sie allein. Er

sah sich um. Etwa fünfhundert Meter von ihnen ent-fernt stand ein weißes Haus auf einem Hügel. Es warein palastartiges Gebäude, wie er es zuvor nur in denvornehmen Vororten der Städte gesehen hatte. Es warmitten im Urwald errichtet worden. Kein anderesHaus befand sich in der Nähe. Dennoch irrten einigeMenschen durch die Wildnis. Innerhalb kürzesterZeit entdeckte der Indianer mehr als zwanzig ausge-mergelte Gestalten, die ziellos durch das Geländegingen, sich hier und dort Blumen pflückten und sichins Haar steckten.

Manta hatte sich endlich soweit erholt, daß sie sichaufrichten konnte. Sie war bleich. Morales fiel auf,daß ihre Pupillen unnatürlich geweitet waren.

»Wie geht es dir?«»Schon besser«, entgegnete sie. »Die Kopfschmer-

zen lassen nach.«Er legte den Arm um sie, nachdem er das Gewehr

in die linke Hand genommen hatte.»Hast du eine Ahnung, wo wir sind?«»Nein«, antwortete sie, blickte jedoch nicht in die

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Landschaft hinaus, sondern auf ihre Füße. »Ich erin-nere mich nur noch an diese seltsamen, blauen Ge-schöpfe. Sie sahen schön aus und waren mir irgend-wie sympathisch. Sie hatten Katzenaugen, und sieschienen intelligent zu sein.«

»Sie haben uns mit einer Teleportation gerettet«,sagte er. »Sie haben uns aus Brasilia herausgebracht,als Enrico Fardi uns töten wollte.«

Manta stöhnte leise. Sie hob den Kopf.»Enrico Fardi? Morales, das Haus da drüben gehört

Enrico Fardi.«»Bist du ganz sicher?«»Absolut. Ich weiß es genau. Ich bin schon einmal

hiergewesen. Vielleicht habe ich an dieses Haus ge-dacht, als die Blauen uns gerettet haben. Vielleichthaben sie uns deshalb hierher gebracht.«

»Ich weiß es nicht.« Der Indianer lächelte. »DieBlauen haben mich an etwas erinnert. An eine schöneBlume.«

Sie ging nicht auf seine Worte ein, sondern zeigteauf das Haus des Mutanten und sagte: »Laß unsdorthin gehen.«

»Bist du verrückt? Was passiert, wenn Fardi zu-rückkommt? Und er wird bald zurückkommen. Dasist doch wohl klar?«

»Ich weiß nicht, was dann passiert«, entgegnete sie.»Ich weiß jedoch, daß ich keine Hemmungen mehrhaben werde, auf ihn zu schießen.«

Morales dachte darüber nach, was sie gesagt hatte,während sie auf das Haus zugingen. Ihm wurde be-wußt, daß er das Problem Enrico Fardi lösen mußte.Was auch immer in Zukunft geschehen würde, derMutant würde ebenso zu den Überlebenden gehören

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wie Manta oder er selbst auch. Das bedeutete, daß ersich früher oder später mit ihm auseinandersetzenmußte.

Es war besser, jetzt anzugreifen, als später über-rascht zu werden.

»Ich möchte wissen, warum die Blauen uns gehol-fen haben«, sagte Manta, als sie das Haus schon fasterreicht hatten.

»Vielleicht haben sie unsere Gedanken aufgefangen,als der Mutant uns töten wollte«, entgegnete er. Dannblieb er stehen und schlug sich die flache Hand klat-schend vor die Stirn. »Wie konnte ich das übersehen!«

»Was ist los?« fragte sie. »Warum schreist du so?«»Die Blauen! Die Fremden! Sie sind es, die alle

Menschen beeinflussen, die Städte zu verlassen. Siesind es, die die Menschheit angegriffen haben. Ist dirdas nicht klar? Es sind unsere Feinde.«

»Aber uns haben sie gerettet.«»Das paßt doch nicht zusammen«, sagte er. »Man-

ta. Wenn wir die Blauen erschossen hätten, wären alleMenschen vielleicht wieder frei geworden.«

»Sie haben uns gerettet, und du denkst daran, siezu erschießen«, sagte sie vorwurfsvoll.

»Auf uns beide kommt es nicht an«, erwiderte erheftig. Er zeigt auf eine Gruppe von drei Frauen, dieunter einem Busch kauerten und mit Blumen spielten.»Sieh sie dir doch an. Sie verdursten und verhungern.Wir könnten sie füttern, aber das wäre sinnlos. Wirkönnen sie nur retten, wenn wir die Blauen töten.«

Er schüttelte den Kopf und lachte leise.»Alles ist ganz klar, aber was tun wir Narren? Wir

versuchen, uns gegenseitig umzubringen. Wir habenes gar nicht verdient, gerettet zu werden.«

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»Vielleicht wollen die Blauen es so? Vielleicht beein-flussen sie uns so, daß wir so handeln. Vielleicht habensie ihren Spaß daran.« Manta hielt inne und überleg-te. »Aber nein. Das kann ich mir nicht vorstellen.«

Sie ging zu den Frauen beim Busch. Eine von ihnenhatte eine leere Vase dabei. Manta nahm sie ihr ab,ging zu einem Bach, schöpfte Wasser und reichte esden Frauen. Obwohl diese unter Durst litten, nahmensie das Wasser nur zögernd an.

Morales hielt Manta nicht davon ab, die Frauen zuversorgen. Er wartete auch noch, als sie von einemBusch Beeren abpflückte und sie den Frauen in denMund stopfte. Danach wandte sich die schöne Frauab und kehrte zu ihm zurück.

»Laß uns weitergehen«, bat sie.Wenig später erreichten sie eine weiße Treppe, die

zum Haus Enrico Fardis hinaufführte. Sie stiegen dieStufen hoch. Bald konnten sie über die Baumwipfelhinwegsehen. Der Luftraum war frei. Kein Gleiternäherte sich ihnen.

Manta erriet seine Gedanken.»Wenn Fardi sofort nach unserem Verschwinden

aus Brasilia aufgebrochen ist, kann er in etwa zweioder drei Stunden hier sein. Vorher nicht. Vergißnicht, daß er einen Gleiter benutzen muß, währendwir von einer Sekunde zur anderen von den Blauenhierhergebracht wurden.«

Morales dachte darüber nach, warum die Blauensie alleingelassen hatten und warum sie nicht nocheinmal erschienen. Er fand jedoch keine befriedigen-de Antwort auf seine Fragen.

Das Haus war unverschlossen, so daß sie ungehin-dert eintreten konnten.

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»Und nun?« fragte Morales.»Ich will mir sein Arbeitszimmer ansehen.«»Was hast du davon? Warum interessiert dich das?«»Ich bin Journalistin«, erwiderte sie, und damit war

für sie alles beantwortet. Er verstand, was sie meinte.Es war ihr Beruf, neugierig zu sein. Sie vermutete,daß Enrico Fardi sein Amt mißbrauchte, und dies wardie beste Gelegenheit für sie, Beweise zu sammeln.Dabei war unwichtig für sie, ob sie diese in absehba-rer Zeit verwenden konnte oder nicht. Sie wollte nurwissen, ob ihr Verdacht berechtigt war.

Getrennt durchsuchten sie das Haus. Manta fanddas Arbeitszimmer des Mutanten. Dafür interessiertesich Morales nicht. Er entdeckte einen Raum, der mitKommunikationsgeräten bis unter die Decke gefülltwar. Während Manta Nachforschungen im Arbeits-zimmer betrieb, setzte Morales sich an die Geräte undversuchte, eine Verbindung mit irgend jemandem zubekommen, der noch frei denken konnte.

Fast eine Stunde lang rief er die größten Städte inallen Teilen der Welt an, ohne eine Antwort zu be-kommen.

Das Machtzentrum des terranischen Imperiumswar lahmgelegt worden. Die Macht lag nun in denHänden der Blauen.

Nachdem der Indianer das erkannt hatte, setzte erLichtsprüche in den Weltraum ab. Wenig später mel-dete sich der Kommandant eines Frachtraumschiffs.

»Was, zum Teufel, ist eigentlich auf der Erde los?«fragte er polternd. »Wieso meldet sich denn nie-mand?«

»Ich habe mich gemeldet«, antwortete Morales.»Ja, Sie haben sich gemeldet. Aber sonst schweigt

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alles auf der Erde. Kein Flottenkommando gibt Aus-kunft. Ich habe eine LANCET zur Erde geschickt. Sieist verschwunden.«

Der Indianer erklärte mit einigen Worten, was sichauf der Erde ereignet hatte.

»Wir benötigen dringend Hilfe«, sagte er. »Hilfekann nur von außen kommen.«

Der Raumschiffskommandant runzelte die Stirn. Erschüttelte den Kopf.

»Irrtum«, erwiderte er. »Was auch immer von au-ßen kommt, gerät sofort unter die Kontrolle derFremden. Die Menschen, die unbeeinflußt sind, sowie Sie, müssen es allein schaffen. Eine andere Mög-lichkeit gibt es nicht. Tun Sie sich mit allen zusam-men, die noch klar denken können, und dann räu-chern Sie die Blauen aus.«

Morales lehnte sich in seinem Sessel zurück.»Tun Sie mir einen Gefallen«, sagte er. »Sprechen

Sie mit einem Flottenkommando. Unterrichten Sie dieverantwortlichen Offiziere. Melden Sie sich anschlie-ßend wieder. Ich warte.«

»Also gut. Aber überlegen Sie inzwischen schonmal, was Sie für die Erde tun können.« Der Kom-mandant schaltete ab.

»Der hat gut reden«, sagte Manta ärgerlich. Siehatte den Raum betreten, ohne daß Morales es ge-merkt hatte. »So wie der es sich vorstellt, kommenwir nie weiter.«

Der Indianer erhob sich.»Hast du etwas gefunden?«»Nichts«, antwortete sie. »Enrico Fardi ist ein klu-

ger Mann. Belastendes Material hat er jedenfalls nichtso verwahrt, daß es leicht entdeckt werden kann.«

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Er blickte auf sein Chronometer.»Wir müssen damit rechnen, daß er kommt.« Er

nahm ihren Arm. »Wir wollen nachsehen.«Sie gingen auf eine Dachterrasse hinaus und blick-

ten nach Süden. Die Luft war klar und sauber. In derFerne zeichnete sich ein Punkt ab, der in der Sonneglitzerte.

»Das ist er«, sagte Manta. »Enrico Fardi kommt.«

*

Atan Shubashi kehrte in die Hauptleitzentrale desRaumschiffs zurück, als sich die Funkerin eines For-schungskreuzers meldete, der sich in der Nähe derErde befand. Am Instrumentenpult leuchtete auf ei-nem Bildschirm die Zahl 358 000. Der Raumer hattedie Mondbahn also bereits passiert und befand sichim direkten Anflug auf die Erde.

Tunaka Katsuro stand neben dem Hauptcomputer.»Eine ausnehmend schöne Frau«, sagte Atan Shu-

bashi leise, doch niemand reagierte auf diese Bemer-kung.

»Ich kann Sie nur davor warnen, in die Nähe derErde zu kommen«, sagte sie. »Da ist irgend etwas,was alle verrückt macht. Wir haben es selbst erlebt.Eine Automatikschaltung sorgte bei uns jedoch dafür,daß wir wieder von der Erde weggeführt wurden.«

Tunaka Katsuro trat an den Bildschirm und stelltesich vor.

»Dann sind Sie ja gerade der richtige Mann«, sagtesie, ohne sich beeindruckt zu zeigen, »aber auf derErde selbst richten Sie auch nichts aus.«

Der Direktor des GSD ließ sich genau berichten,

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was die Mannschaft des Forschungsraumschiffs er-lebt hatte. Er hörte geduldig zu, bis er meinte, alleserfahren zu haben.

»Danke«, sagte er. »Falls ich noch Fragen habensollte, werde ich mich bei Ihnen melden.«

Er schaltete ab.»Eine allgemeine geistige Beeinflussung also«, be-

merkte Atan Shubashi. »Was kann man dagegentun?«

»Eine vertrackte Situation«, entgegnete Katsuro.»Ich gebe zu, daß ich ratlos bin. Wir können nicht aufder Erde landen, weil wir dann die Kontrolle überuns selbst verlieren würden. Wir müssen aber vonder Annahme ausgehen, daß der Urheber der geisti-gen Beeinflussung auf der Erde ist.«

»Das bedeutet, daß wir nicht an ihn herankom-men«, ergänzte Atan Shubashi.

»Es muß eine Möglichkeit geben«, sagte Katsuroverzweifelt. »Wir können uns doch nicht damit ab-finden, daß wir nichts tun können.«

Atan Shubashi überlegte kurz. Dann entgegnete er:»Ich schlage vor, daß wir es so machen wie die Besat-zung des Forschungsschiffs. Wir sollten allerdingswesentlich näher an den Ort des Geschehens heran-gehen.«

»Wie meinen Sie das?«»Ich schlage vor, daß wir eine Sicherung einbauen.

Das Schiff muß automatisch wieder von der Erdestarten, wenn wir nicht ganz bestimmte Dinge in derrichtigen Reihenfolge verrichten. Das wäre unsereAbsicherung für den Fall, daß wir die Kontrolle überuns verlieren.«

»Sie haben doch gehört, alle Menschen verlieren die

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Kontrolle über sich, sobald sie in die Atmosphäre derErde eindringen«, erwiderte Katsuro hitzig.

»Davon bin ich noch nicht überzeugt. Ich halte esfür möglich, daß einige Besatzungsmitglieder immungegen die parapsychischen Impulse sind. Das findenwir aber erst heraus, wenn wir uns ihnen aussetzen.Diese Männer und Frauen können dann selbst ent-scheiden, was sie tun wollen, ob sie aussteigen oderwieder starten wollen. Ich hoffe nur, daß Sie und ichdabei sind.«

Katsuro nickte entschlossen.»Gut. So machen wir es«, entschied er. »Wir landen

am Mount Isa.«

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8.

»Er hat uns jetzt wahrscheinlich auch schon be-merkt«, sagte Manta. Sie strich sich eine dunkle Lockeaus der Stirn. »Er greift bald an. Hoffen wir, daß erdann schon in Schußweite ist.«

Morales lud sein Gewehr wortlos durch, legte sichauf den von der Sonne gewärmten Boden der Terras-se und baute die Munitionspäckchen so neben sichauf, daß er zügig nachladen konnte.

Die Frau an seiner Seite hatte nur zehn Patronen imMagazin ihres Gewehrs und keine Reserve.

»Warum holst du dir keine Laserhandwaffe HM4?« fragte er. »Ich habe drinnen eine gesehen.«

Sie schüttelte den Kopf und legte ihre Hand überdas Gewehrschloß.

»Diese Waffe ist zwar altertümlich im Vergleich zueiner HM 4, aber sie ist mir lieber«, erklärte sie. »Ichkann damit umgehen, weil ich sie oft bei der Jagd be-nutzt habe. Eine HM 4 habe ich erst einmal in derHand gehabt.«

Enrico Fardi kam schnell näher. Bald war der Glei-ter deutlich zu erkennen. Er flog direkt auf das Hauszu.

»Wir schießen, sobald er angreift«, sagte Manta.»Ich möchte mir selbst bei einem Mann wie Fardinicht nachsagen lassen, daß ich geschossen habe, oh-ne bedroht worden zu sein.«

Morales nickte. Er legte das Gewehr an und zielteauf den Mann hinter dem Steuer. Auf ihn zielte auchdie Brasilianerin. Einige Sekunden verstrichen, dannbäumte Manta sich auf. Sie schrie, schleuderte das

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Gewehr von sich und griff sich nach dem Hals, dervon einer unsichtbaren Gewalt zusammengepreßtwurde.

Der Indianer fühlte kaum etwas von dem telekine-tischen Angriff. Er schoß viermal. Die Scheibe desGleiters zersplitterte. Die Gestalt hinter den Steuer-elementen verschwand aus seiner Sicht. Der Gleiterraste heran und jagte heulend über die Terrasse hin-weg. Erst in diesem Moment sah Morales, daß EnricoFardi gar nicht hinter dem Steuer gesessen hatte.

Manta sank stöhnend neben ihm auf die Knie. Mitweit geöffneten Augen blickte sie ihn an.

»Du hast Teco erschossen«, sagte sie voller Ver-zweiflung. »Du hast den Zwerg getötet!«

Morales war wie gelähmt. Er hielt das Gewehr inden Händen, und er sah, daß der Gleiter einen weitenBogen flog und sich dann der Terrasse erneut näherte.

»Sieh mich doch nicht so an«, forderte er. »Du hät-test ebenso auf den Zwerg geschossen wie ich.«

»Ja. Das hätte ich getan«, gab sie stöhnend zu. Siehatte sich aufgegeben und machte noch nicht einmalden Versuch, nach dem Gewehr zu greifen. Moralesaber blickte dem Gleiter entgegen. Ihm fiel auf, daßEnrico Fardi nun hinter den Steuerelementen saß. DieFlugkabine wurde zusehends langsamer und ver-harrte schließlich in einer Entfernung von etwa fünf-hundert Metern in der Luft.

»Warum tut er das?« fragte Manta verwirrt. »Willer uns quälen?«

Sie verspürten keinen Druck und bemerkten auchsonst keine Anzeichen einer parapsychischen Beein-flussung.

Der Gleiter bewegte sich wieder. Langsam schwebte

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er auf sie zu. Morales hob das Gewehr an die Schulterund zielte auf den Mutanten. Dieser reagierte nichtdarauf. Er führte die Flugkabine weiter an die Terras-se heran.

»Nicht schießen«, schrie er, als er noch etwa hun-dert Meter von ihr entfernt war. »Ich gebe auf.«

»Das ist ein Trick«, behauptete die Brasilianerin.»Töte ihn, Morales.«

»Ich kann nicht auf einen Mann schießen, der sichnicht wehrt«, entgegnete der Indianer. »Wenn du ihnunbedingt tot sehen willst, dann nimm dein Gewehrund töte du ihn.«

Zögernd griff sie nach ihrer Waffe, hob sie an dieSchulter und zielte. Sie drückte jedoch nicht ab.

»Nicht schießen«, brüllte Enrico Fardi, der sich bisauf fünfzig Meter genähert hatte. »Bitte, nicht schie-ßen.«

»Warum, zum Teufel, bringt er uns nicht um?«fragte Manta. »Er könnte es doch tun. Er könnte unszerquetschen. Warum tut er es nicht?«

»Vielleicht kann er es gar nicht?« Morales ließ seinGewehr sinken. »Vielleicht ist er gar kein Mutant?Vielleicht war der Zwerg der Mutant, der alles fürFardi getan hat.«

Morales und das Mädchen schritten rückwärts, bissie mit den Schultern gegen die Hauswand stießen.Hier warteten sie ab.

Der Gleiter schwebte heran und landete auf derTerrasse.

»Er weint«, stellte Manta überrascht fest. »Fardiweint.«

Der Mutant stieg aus. Sein Gesicht war tränenüber-strömt.

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»Warum habt ihr ihn erschossen?« rief er, währender mit erhobenen Händen zu ihnen kam. »Warumhabt ihr es getan?«

»Weil das für uns die einzige Möglichkeit war, amLeben zu bleiben«, antwortete Morales.

Enrico Fardi blickte ihn fassungslos an.»Aber ihr konntet doch nicht wissen, daß er mein

Paraverstärker ist«, sagte er stammelnd. »Niemandhat es gewußt. Selbst Teco hatte keine Ahnung. Eswar ein Geheimnis, das ich stets gewahrt habe.«

Morales ließ sich nicht anmerken, wie überrascht erwar. Er tat so, als sei für ihn alles klar gewesen.

»Ohne den Zwerg sind Sie nichts«, sagte er. »Ohneihn haben Sie keinerlei parapsychische Fähigkeiten.«

Er sprach diese Worte im Ton einer Feststellungaus, wollte Enrico Fardi jedoch Informationen entlok-ken. Der Mutant fiel auf seinen Trick herein.

»Ohne Teco bin ich nichts«, gestand er. »Mit ihmzusammen konnte ich alles. Jetzt ist es vorbei.«

Zorn loderte in seinen Augen auf. Er ging auf Mo-rales zu, doch dieser hob das Gewehr und zielte aufihn.

»Keinen Schritt weiter«, sagte der Indianer, »sonstist es ganz vorbei mit Ihnen.«

Enrico Fardi blieb stehen.»Was wird jetzt aus mir?« fragte er verstört.»Das ist mir egal«, entgegnete der Indianer. »Sie

entgehen Ihrer Strafe nicht. Das ist sicher. Ver-schwinden sie.«

»Ich soll verschwinden? Dies ist mein Haus!« riefFardi.

»Dennoch sind Sie es, der geht. Wir bleiben hier.«Enrico Fardi sah ein, daß er verloren hatte. Er

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drehte sich um und kehrte zum Gleiter zurück. Ersetzte sich hinter das Steuer, startete und flog ab, oh-ne Morales oder Manta noch einen Blick zu gönnen.

*

Dieses Mal überwand Assimladja den Schockschneller.

Sie kam vor Usqueesid zu sich, und als er Minutenspäter aus der Ohnmacht erwachte, hatte sie sichschon völlig erholt. Sie strich mit den Händen übereinen üppig blühenden Busch und ließ die in derPflanze schlummernde Energie in sich überströmen.

Mit ihren telepathischen Sinnen nahm sie Verbin-dung zu den anderen Vorthaniern auf, um sich übersie zu informieren. Das Ergebnis der Kontakte warniederschmetternd.

Nur Usqueesid und sie selbst waren noch einiger-maßen handlungsfähig. Die anderen Vorthanier wa-ren so gut wie hilflos. Die Sehnsucht nach der BlauenBlume hatte sie völlig ausgelaugt.

»Ich weiß jetzt, wie ich uns alle retten kann«, teilteAssimladja mit.

»Beeile dich«, antwortete Elvedurija flehend. »Lan-ge halten wir nicht mehr durch.«

»Was hast du vor?« fragte Usqueesid, als sie dieVerbindung zu den anderen abgebrochen hatte.

»Wir haben einen Fehler gemacht«, entgegnete sie.»Wir haben uns bisher gegen die Gedanken der Men-schen abgeschirmt, weil wir glaubten, daß sie unsnichts geben, sondern uns behindern. Das trifft wahr-scheinlich sogar auf die meisten zu. Es gibt jedoch indiesem Gebiet einfache Menschen, die abseits der Zi-

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vilisation leben. Sie sind naturverbunden. Sie kennendie Geheimnisse der Pflanzen. Wir sind einem vonihnen begegnet. Er ist vor uns geflüchtet.«

»Der braune Mann mit den schwarzen Haaren!«»Ich habe meine Sinne geöffnet«, fuhr Assimladja

fort. »Und ich habe herausgefunden, daß ganz in derNähe eine Siedlung besteht, in der viele dieser Men-schen wohnen. Keiner von ihnen hat sich von unserenImpulsen beeinflussen lassen, so wie die anderen.Wir werden zu ihnen gehen und sie um Hilfe bitten.«

»Eine gute Idee«, lobte Usqueesid. »Wohin wendenwir uns?«

Assimladja streckte den rechten Arm aus undzeigte nach Nordosten.

»Dorthin. Es ist nicht weit.«Usqueesid stellte keine Fragen, sondern ging sofort

mit Assimladja los. Die beiden Vorthanier durch-querten ein Dschungelgebiet, das andere als un-durchdringlich angesehen hätten. Für sie stellte es je-doch kein Problem dar. Die Pflanzen bogen sich zurSeite und schufen ihnen auf diese Weise den Weg,den sie benötigten. So kamen sie rasch voran.

Nach etwa einer Stunde lichtete sich der Urwald.Ein kleines Indianerdorf tauchte vor den beiden

Vorthaniern auf. Aus einer strohgedeckten Hütte ka-men ein paar Kinder hervor und beobachteten sie mitgroßen Augen. Sie liefen nicht vor ihnen fort.

Die melancholischen Klänge eines Saiteninstru-ments, die aus dem Zentrum der Siedlung kamen,lockten die beiden Vorthanier magisch an.

»Ich glaube, wir sind am Ziel«, sagte Assimladja,und ihre Stimme bebte vor Erregung.

Der Eindruck der Primitivität täuschte.

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Es sah nur so aus, als lebten die Indianer unter ein-fachsten Bedingungen. Als die beiden Vorthanier nä-her herankamen, stellten sie fest, daß die Hüttenkomfortabel und modern gebaut waren. Sie boten nuräußerlich das Bild von Bauwerken einfachster Bau-weise. Unter der primitiv anmutenden Fassade aberverbargen sich moderne Häuser.

Assimladja, die furchtlos bis zur Dorfmitte gegan-gen war, blieb stehen, als ihr ein fast unbekleideterMann entgegentrat. Die Brust des Indianers war mitschwarzen Farbsymbolen versehen. Schwarze Bänderschmückten seine Arme.

Assimladja reichte ihm den goldenen Reif, den sieauf dem Kopf trug, um sich leichter mit ihm verstän-digen zu können.

Sie standen sich gegenüber und blickten sich an.Der Indianer schob sich den goldenen Ring über denKopf.

»Wir suchen die Blaue Blume«, teilte sie ihm tele-pathisch mit.

Er verstand sie.»Sprich mit Töwaölö«, empfahl er ihr.»Wie kann ich das tun?« fragte sie.»Er ist in dem weißen Haus auf dem Hügel«, ant-

wortete er.Damit konnte sie nichts anfangen. Um sie besser zu

informieren, beschrieb er ihr das Haus, das er meinte.Er verriet ihr, daß er Töwaölö beobachtet hatte. Aufgeheimnisvollen Wegen, die sie nicht erriet, war dieNachricht im Urwald verbreitet worden, daß Tö-waölö zurückgekehrt war.

»Wie komme ich dorthin?« fragte die Vorthanierin.»Ich bringe dich zu ihm«, versprach der Indianer.

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Er drehte sich um und ging zu einer unscheinbarenHütte. Zögernd folgten ihm die Vorthanier.

»Können wir ihm vertrauen?« fragte Usqueesid leise.»Bestimmt«, antwortete Assimladja. »Er ist unser

Freund.«Die anderen Indianer des Dorfes kamen aus ihren

Hütten. Schweigend beobachteten sie die beidenFremden, die sich so selbstverständlich durch dasDorf bewegten, als seien sie hier zu Hause.

Der Häuptling drückte einen Knopf an einemHolzpfahl. Die Hütte teilte sich surrend und enthüllteeinen Gleiter.

»Steigt ein«, bat der Indianer. »Ich fliege euch hin.«Assimladja und Usqueesid öffneten die Türen und

setzten sich in die Polster. Der Indianer startete. Leisesummend stieg der Gleiter auf.

»Dort ist es«, sagte der Indianer und zeigte nachSüdosten.

Assimladja sah ein Haus, das etwa fünf Kilometervon ihnen entfernt auf einer Anhöhe stand.

Sie glaubte zu wissen, wer dort weilte.Der Indianer ließ den Gleiter gemächlich über den

Dschungel dahintreiben.Als sie sich dem Haus bis auf etwa einen Kilometer

genähert hatten, stieg dort ein Gleiter auf und ent-fernte sich in schneller Fahrt. Der Indianer ließ sichdadurch nicht zu einem höheren Tempo verleiten.

Assimladja bemerkte zwei Gestalten, die vor demHaus standen. Wenig später erkannte sie sie. Es wa-ren jene Frau und jener Mann, die sie und Usqueesidvor dem Angriff des Mutanten gerettet hatten.

Der Gleiter landete auf der Terrasse, und der Mannmit den auffallend ruhigen Augen öffnete ihr die Tür.

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»Wir suchen die Blaue Blume«, sagte die Vortha-nierin. »Du weißt, wo sie ist.«

Morales wußte zunächst überhaupt nicht, wovonsie sprach, und er verstand sie auch nicht, als sie ihmeinen goldenen Reif auf den Kopf legte.

»Die Blaue Blume?« fragte er. »Was meinst du da-mit?«

Er sah, daß sie enttäuscht war. Hilfesuchendwandte er sich an den Häuptling, der den Gleiter ge-flogen hatte. Er wechselte einige Worte mit ihm.Dann hellte sich sein Gesicht auf.

»Ja«, sagte er. »Ich weiß, wo die Blaue Blume ist.«Er erfaßte die Sehnsucht nach der Blauen Blume,

die die Vorthanierin erfüllte, und er begriff, daß es le-bensnotwendig für sie war, daß diese Sehnsucht ge-stillt wurde.

Morales spürte, daß Assimladja und ihr Begleiterkrank waren. Ihr fremdartiges Aussehen störte ihnnicht. Sie waren für ihn Menschen wie andere auch.

Er wußte, daß sie für das Chaos verantwortlich wa-ren, das sich über die ganze Erde ausgebreitet hatte,aber er haßte sie nicht deswegen. Er machte ihnennoch nicht einmal einen Vorwurf, weil ihm der gol-dene Reif dazu verhalf, sie zu verstehen.

Er erkannte ihr Motiv, und er verstand sie, obwohlihm der Begriff Unandat überhaupt nichts sagte. Ererkannte lediglich, daß Unandat für die Vorthaniereine Gottheit war, die sie verehrt hatten, zu der sie je-doch die Verbindung verloren hatten. Er sprach sienicht darauf an, weil er wußte, daß er sie damit nurquälen würde.

Nun beantwortete sich die Frage, warum er undseine Stammesbrüder den geistigen Impulsen der

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Vorthanier nicht erlegen waren, wie von selbst. DerGrund war das innige Verhältnis, das sie zu denPflanzen und Tieren ihrer Umwelt hatten. Bei Mantaund den anderen Menschen, die sich als immun er-wiesen hatten, war eine mentale Unempfänglichkeitvorhanden, die sie schützte.

»Das Chaos muß ein Ende haben«, sagte die schöneBrasilianerin. »Die Menschen müssen wieder freiwerden und in die Städte zurückkehren.«

Sie stieß Morales aufmunternd an. Da sie keinenGoldreif hatte, konnte sie sich nicht mit den Vortha-niern verständigen.

»Sage es ihnen doch.«»Das hätte keinen Sinn«, antwortete er. »Sie können

das Chaos nicht von sich aus beenden, weil sie keineKontrolle über die von ihnen ausgehenden mentalenImpulse haben.«

»Dann müssen sie von der Erde verschwinden«,erklärte sie heftig. »Und das möglichst schnell.«

Morales schüttelte den Kopf.»Sie wollen nicht mehr weg. Sie wollen hier auf der

Erde bleiben. Es gefällt ihnen hier so gut.«»Das ist unmöglich. Sie können nicht die ganze

Menschheit vernichten, nur weil sie es hier imDschungel so hübsch finden.«

»Das wollen sie auch nicht«, erwiderte Morales ru-hig. »Ich werde sie zu einem Tempel führen. Dortwerden sie die von ihnen verehrte Blaue Blume fin-den. Ich hoffe, daß sie wieder gesund werden, wennsie sie sehen.«

»Und was geschieht, wenn sie nicht gesund wer-den?«

Er legte ihr besänftigend den Arm um die Schultern.

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»Dann werden sie die Erde verlassen, Manta. Dasist doch gar keine Frage.«

Assimladja bestätigte ihm, daß sie sich zurückzie-hen würden, wenn die Menschheit bedroht blieb.

»Wir gehen zu Fuß«, entschied Morales. »Es istnicht weit.«

Er stieg die Treppen hinunter. Die beiden Vortha-nier und Manta folgten ihm. Der Indianerhäuptlingstieg in seinen Gleiter und flog in gemächlichemTempo wieder zu seinem Dorf zurück. Er wußte, daßer sich nicht mehr um die Vorthanier zu kümmernbrauchte.

Was geschieht? hallte eine telepathische Stimme inMorales auf.

Sei ruhig, Elvedurija, antwortete Assimladja, undauch ihre Stimme vernahm Morales mit Hilfe desgoldenen Reifes. Alles wird gut.

Ich fühle mich so schwach, rief ein anderer Vorthanier.Sei geduldig, Irisandija, antwortete Assimladja.Auf diese Weise erfuhr Morales, daß insgesamt

sieben Vorthanier auf die Erde gekommen waren. Siealle waren am Ende ihrer Kräfte. Die Sehnsucht nachder Blauen Blume hatte sie nahezu zerstört.

Er führte die Vorthanier in den Urwald.Staunend beobachtete er, wie sich die Pflanzen be-

wegten und ihnen Platz machten. Zunächst glaubteer, daß der Wind die Pflanzen zur Seite drückte, dochschon wenig später sah er, daß sie sich auch gegenden Wind bogen.

»Wir tun nichts dazu«, teilte ihm Assimladja mit.»Die Pflanzen tun es von sich aus.«

Morales ging nicht auf ihre Worte ein. Die Reaktionder Pflanzen war ihm unheimlich.

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Er betrat einen schmalen Dschungelpfad, der umeinen kleinen See herumführte. Danach ging er übereinen Hügel weiter auf eine Landzunge hinaus, die ineinen zweiten See hineinragte. Ein betäubend süßerDuft schlug ihnen entgegen.

»Dort drüben ist es«, sagte Morales.Die Vorthanier schoben sich an ihm vorbei. Sie eil-

ten über die Landzunge zu einem verfallenen Tempelhin, auf dessen Mauern Hunderte von Orchideenwuchsen, die handtellergroße, samtblaue Blüten hat-ten.

Assimladja sank auf die Knie. Ihre bebenden Hän-de berührten einige Blüten.

Als Morales sich den Vorthaniern näherte, sah er,daß ihre Augen tränenfeucht waren.

Er legte den goldenen Reif ab, weil er sie nicht be-lauschen wollte. Aber auch ohne telepathische Ver-bindung erkannte er, daß die beiden Vorthanier einErfüllungserlebnis hatten, das sie von dem Bann erlö-ste, den jene geheimnisvolle Blaue Blume in ihnen er-richtet hatte.

Sie akzeptierten diese Orchideenart als die BlaueBlume der Erde. Ihr neigten sie sich zu. In ihr fandensie Ruhe.

Morales wartete geduldig ab.Eine volle Stunde verstrich, bis Assimladja und

Usqueesid sich wieder erhoben. Sie waren völligverwandelt. Nun sahen sie gesund, kräftig und schönaus. Ihre Haut hatte einen ganz anderen Glanz alsvorher. Sie schimmerte wie Samt, nachdem sie neuesLeben gewonnen hatte.

Morales legte den goldenen Reif an.In ihm klangen die glücklichen Stimmen aller

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Vorthanier auf. Nicht nur Assimladja und Usqueesidwaren erlöst. Auch die anderen Vorthanier waren es.

*

»Es ist niemand da«, sagte der Funker.»Das ist doch unmöglich«, entgegnete Katsuro. Der

Kreuzer war in der Raumbasis gelandet, ohne daß sichetwas Auffälliges ereignet hatte. Ungewöhnlich war,daß niemand in der Raumbasis auf die Funksprüchedes Kreuzers geantwortet hatte, aber das hatte manaufgrund der Ereignisse schon erwartet. Ganz undgar unglaubhaft dagegen erschien es Atan Shubashi,daß die Raumbasis verlassen worden sein sollte.

»Sie können doch nicht alle beeinflußt worden sein,wenn wir ausnahmslos verschont bleiben«, sagteKatsuro. »So etwas ist unvorstellbar.«

»Aber es ist so«, bemerkte Atan Shubashi. »Wirmerken nichts. Niemand an Bord hat sein Verhaltenauffällig verändert. Alles ist völlig normal.«

»Vielleicht hat die Beeinflussung inzwischen auf-gehört«, sagte der Kommandant des Raumschiffes.

»Möglich«, entgegnete der Direktor des GSD, »aberwenig wahrscheinlich.«

Der Funker versuchte erneut, mit irgend jemandemin der Raumbasis Verbindung zu bekommen, dochauch jetzt meldete sich niemand.

»Wir steigen aus und sehen uns in der Basis um«,befahl Katsuro. »Ich will wissen, was los ist.«

»Moment«, rief der Funker. »Ein Anruf.«Er schaltete ein Videogerät ein. Auf dem Bild-

schirm erschien das Gesicht eines südamerikanischenIndianers.

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»Mein Name ist Morales«, sagte der Indianer. »Ichfreue mich, daß ich endlich mit jemandem sprechenkann.«

»Wer sind Sie? Was wollen Sie?« fragte Katsuroungeduldig. »Wir haben im Moment Wichtigeres zutun, als mit Ihnen zu reden.«

»Ich möchte Sie nicht aufhalten«, sagte Moralesfreundlich. »Sie sollten jedoch wissen, daß es keineBedrohung für die Erde mehr gibt. Die Vorthanierhaben zu sich selbst gefunden. Die Blaue Blume hatsie gesunden lassen. Das wollte ich Ihnen nur ebensagen. Länger möchte ich Sie dann nicht aufhalten.Entschuldigen Sie die Störung.«

»Schalten Sie nicht ab«, brüllte Katsuro. »UmHimmels willen, schalten Sie nicht ab.«

»Wenn Sie es möchten, bleibe ich am Apparat«,erwiderte Morales.

»Erzählen Sie. Berichten Sie«, forderte der GSD-Direktor nervös. »Was haben Sie da von der BlauenBlume und von den Vorthaniern gesagt? Wir wissenvon nichts.«

Morales lächelte.»Die Vorthanier sind Kinder der Blauen Blume, ei-

ner Pflanze, die mit ihrer ungeheuer starken Vitalitäteinen ganzen Planeten beherrscht. Auf diesem Pla-neten sind die sieben Vorthanier aufgewachsen, diezur Erde gekommen sind, um uns Menschen mit denLehren Unandats zu beglücken.

Beim Anblick unseres blauen Planeten wurden sie andie Blaue Blume erinnert, und eine übergroße Sehn-sucht nach ihr wurde wach. Das schwächte die Vort-hanier glücklicherweise und lenkte sie von Unandat ab.Beim ersten Kontakt mit den Pflanzen der Erde setzte

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ein Veränderungsprozeß ein, dem sie sich nicht entzie-hen konnten. Damit verloren sie die Fähigkeit, uns dieLehren Unandats zu vermitteln. Da sie aber ständig andie Blaue Blume dachten, machten sie mit ihrer Sehn-sucht sozusagen die ganze Menschheit auf der Erdeverrückt. Die Sehnsucht übertrug sich auf die Men-schen. Nur sehr wenige wurden nicht davon erfaßt.

Die Menschen haben ihre Wohnungen verlassenund sich auf alles gestürzt, was pflanzlich ist. Nie-mand war noch Herr seiner selbst. Niemand war fä-hig, einen klaren Gedanken zu fassen.

Das ist nun glücklicherweise zu Ende. Die Vortha-nier haben sich unter Kontrolle. Ich habe sie zu einemTempel im Dschungel geführt, der von blau blühen-den Orchideen überwuchert ist. Damit schloß sich derKreis. Die Vorthanier fanden zu sich selbst, sie ge-sundeten und bekamen sich unter Kontrolle. Sie stel-len keine Gefahr mehr für die Menschheit dar. Über-all auf der Erde kehren die Menschen in ihre Woh-nungen und an ihre Arbeitsplätze zurück. Für vieleist das ein Problem, weil sie total erschöpft sind.«

Gebannt hörten Katsuro, Atan Shubashi und dieanderen in der Hauptleitzentrale zu.

»Dann sind Sie sozusagen der Retter der Mensch-heit«, sagte Atan Shubashi.

Morales wehrte bescheiden lächelnd ab.»Übertreiben Sie nicht«, bat er. »Ich habe nur getan,

was jeder andere auch getan hätte.«»Wir kommen«, kündigte Katsuro an. »Wir werden

sofort starten und zu Ihnen kommen. Geben Sie unsIhre genaue Position an.«

Morales gab ihm die geforderten Daten, da er aufeine derartige Frage vorbereitet war.

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»Die Vorthanier haben auch etwas von Cliff McLa-ne und den anderen Mitgliedern der ORION-Crewerwähnt«, schloß er. »Ich weiß jedoch nur, daß sienoch leben. Ich hatte keine Zeit, die Vorthanier näherzu befragen. Das können Sie ja auch viel besser alsich, da ich von der Crew lediglich die Namen kenneund ansonsten keine Ahnung habe, wo sie ist undwie sie dahingekommen ist.«

»Das übernehme ich«, sagte Atan Shubashi. »Aufjeden Fall danke ich Ihnen, Senhor Morales.«

»Morales ist mein Vorname«, entgegnete Morales.»Sie können also den Senhor ruhig weglassen. AlsIndianer bin ich das so gewohnt.«

ENDE