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Kinder der blauen Blume

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Band 51 der Fernseh-Serie Raumpatrouille

H. G. Francis

Kinder der Blauen Blume

Die ORION-Crew entdeckte in den Tiefen des Planeten Mars neben ur-alten, aber gut erhaltenen Anlagen der Invasoren auch einen Transmit-ter. Nach gründlichen Überlegungen entschieden sich die Raumfahrerdafür, sich von dem noch immer funktionierenden Transmitter zur unbe-kannten Gegenstation befördern zu lassen. Sie erlebten eine Überra-schung, denn sie kamen an einem Ort heraus, den sie alle noch gut auseinem Einsatz kannten, der vor langer Zeit stattfand: im stählernenTurm der Dherrani auf dem Planeten Cassina.

Da sie sich damals mit den Verhältnissen auf Cassina vertraut ge-macht hatten, hielten sie es für ungefährlich, den Turm zu verlassenund die Außenwelt zu betreten. Sie erlebten eine zweite Überraschung,die beinahe tödlich für sie ausgegangen wäre, denn die Pflanzen derDschungelwelt Cassina griffen sie unerbittlich an – und der stählerneTurm hatte sich hinter ihnen geschlossen.

Im letzten Augenblick tauchte ein fremdartiges Raumschiff auf undnahm die Todgeweihten an Bord. Doch damit fanden sich die Raumfah-rer als Gefangene der Vorthanier wieder, die einst als Hilfsvolk demRudraja dienten, aber die Erinnerungen daran fast vergessen haben.Dafür werden sie von Unandat beherrscht, dem Elektronengehirn ihrerriesigen Raumstation, das seine ursprüngliche Programmierung im Laufvieler Jahrtausende verändern konnte. Die ORION-Crew wurde, mitAusnahme von Atan Shubashi, der auf dem Mars zurückblieb, nachVortha verschleppt. Man behandelt die Raumfahrer freundlich, dochman läßt sie nicht gehen. Mario de Monti verliebt sich in die VorthanierinErethreja und erfährt von ihr, welche Aktivitäten die Vorthanier unter der»Regierung« Unandats entfalten.

Sie erfahren auch von einer Gruppe Vorthanier, deren Mitglieder mitgeheimnisvollen Kräften ausgestattet sind und sich anschicken, dieseKräfte anzuwenden: es sind DIE KINDER DER BLAUEN BLUME ...

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1.

Assimladja trat als erste aus dem Trans-mitter.

Sie blickte sich verwirrt in der Stati-on um, die ihr fremd vorkam, obwohl siesich nur in Details von der unterschied,die das Kind der Blauen Blume abge-strahlt hatte. Auf dem Boden lagen eini-ge Gebrauchsge-genstände herum,die irgend jemandachtlos wegge-worfen hatte. DieVorthanierinnahm einen Gür-tel auf und legteihn auf ein Po-dest, nachdem sieihn sorgfältig zu-sammengerollthatte.

In der Stationwar es hell. AlleGeräte waren inOrdnung. Assimladja sah die Lichtzei-chen der Kontrollen und entdeckte nir-gendwo ein Alarmlicht. Dennoch eiltesie kurz von Gerät zu Gerät und über-prüfte sie. Erst als sie festgestellt hatte,daß wirklich alles in Ordnung war,strahlte sie das Signal ab.

Sekunden später traf Irisandija ein.»Ist alles in Ordnung?« fragte sie mit

sanfter Stimme. Assimladja lächelte überdie naive Frage. Wenn irgend etwasnicht in Ordnung gewesen wäre, hätte siedas Signal nicht gegeben. Sie setzte zueiner tadelnden Entgegnung an, als El-vedurija kam. Sie fuhr sich mit beidenHänden durch das blaue Haar, das ihrenKopf bedeckte, und ihre Augen schlo-ssen sich zu schmalen Schlitzen.

»Was ist denn?« fragte sie. »Warummußten wir solange warten?«

»Du solltest mich kennen«, entgeg-

nete Assimladja. »Du solltest wissen,daß ich sorgfältig und vorsichtig bin. Ichprüfe lieber zweimal, bevor ich euer Le-ben gefährde.«

»Pah«, machte Elvedurija. Sie fandstets alles übertrieben, was Assimladjaunternahm. Wenn es nach ihr gegangenwäre, dann wäre alles schneller gegan-gen. Sie war bereit, etwas zu riskieren.

Yllyrhadja lä-chelte, als sie ausdem Transmittertrat. Graziös gingsie zu einem Ge-rät hinüber undlehnte sich daran.Sie strich sich mitden Fingerspitzenüber die Wangen,um die samtartigeHaut zu pflegen.Sie war nett undfreundlich zu al-len, nur wenn je-mand behauptete,

daß sie nicht die schönste von allen war,konnte sie heftiges Temperament bewei-sen.

Als erster Mann kam Omdhurid ausdem Transmitter. Auch er lächelte undverzichtete auf Fragen. Er schien über-haupt nicht auf den Gedanken zu kom-men, daß irgendwo Schwierigkeitenauftauchen könnten. So war sein Natu-rell. Anders Otsummid, der einen fastängstlichen Eindruck machte. Er gingnicht so hochaufgerichtet und geschmei-dig wie die anderen Vorthanier. Ein un-beteiligter Beobachter hätte aus seinerHaltung schließen können, daß er sichallen anderen widerspruchslos unterord-nete. Aber das täuschte. Otsummid ver-fügte über ein gesundes Maß an Selbst-vertrauen und Intelligenz.

Usqueesid bildete den Abschluß. Iro-nisch lächelnd blickte er sich um.

Die Hauptpersonen des Romans:

Assimladja und Usqueesid – ZweiKinder der Blauen Blume.

Atan Shubashi – Er wartet auf demMars auf die Rückkehr seiner Ka-meraden.

Tunaka Katsuro – Direktor des GSD.

Morales Töwaölö – Ein verachteterIndianer wird zum Retter der Erde.

Enrico Fardi – Ein Mutant mit bösenPlänen.

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»Ihr seid ja so ruhig«, sagte er. »Oh-ne mich kommt ihr wohl nicht klar?Oder irre ich mich?«

»Ich glaube, daß wir ohne dich weni-ger Schwierigkeiten hätten«, erwiderteElvedurija angriffslustig.

»Ruhig jetzt«, befahl Assimladja.»Ich will nichts mehr hören. Wir wollenuns auf unsere Aufgabe konzentrieren.Das allein ist wichtig.«

»Gern«, sagte Usqueesid. »Dagegenist nichts einzuwenden. Wo fangen wiran?«

Assimladja schaltete den Transmitteraus und blockierte die Programmierung,so daß niemand sie verändern konnte,bevor nicht sieben Objekte gleicherMasse hindurchgegangen waren. Es waräußerst unwahrscheinlich, daß überhauptjemand diese Station entdeckte, undnoch unwahrscheinlicher war, daß dieserEntdecker dann den Transmitter andersprogrammierte, um ein anderes Ziel an-zusteuern. Aber Assimladja dachte dar-über gar nicht nach. Es war selbstver-ständlich für sie, daß sie eine derartüberflüssige Absicherung traf. Alvedu-rija beobachtete sie spöttisch, sagte je-doch nichts. Sie wußte, daß sie Assim-ladja nicht mehr ändern würde, obwohlsie beide erst 17 Jahre alt waren und sichdamit in einem Alter befanden, in demman sich noch ändern konnte, wenn manwollte.

Usqueesid schaltete ein Fernbeob-achtungsgerät ein. Auf einem Bildschirmerschienen ein paar helle Punkte. DerVorthanier drehte an einigen Knöpfen.Die Punkte verwischten sich, und einervon ihnen wuchs rasch an, bis er zu einergroßen Scheibe geworden war, die denganzen Bildschirm ausfüllte.

»Stell' doch mal scharf«, forderteOmdhurid ungeduldig.

»Ich bin schon dabei«, erwiderte Us-queesid.

»Du solltest ihn nicht stören«, sagteAssimladja tadelnd. »Er gibt sich Mü-he.«

»Das ist ja wohl auch das mindeste,was wir von ihm erwarten können«, be-merkte Elvedurija.

»Hast du die Worte Unandats verges-sen?« fragte Assimladja. »Sie forderndich auf, freundlich, geduldig und sanftzu sein.«

»Ich habe sie nicht vergessen«, er-klärte Elvedurija. »Die Worte leben inmir.«

Das Bild wurde scharf. Es zeigte ei-nen blauen Planeten vor einem tief-schwarzen Hintergrund. Die Erde.

»Wie schön«, sagte Irisandija ergrif-fen.

»Fast so schön wie Ssassara Hjuul.«Yllyrhadja stiegen die Tränen in die Au-gen.

»So habe ich mir diese Welt vorge-stellt«, behauptete Usqueesid.

»Wir wollen einen Kontaktblock bil-den, damit wir die Gedanken der Be-wohner dieses Planeten erfassen kön-nen«, sagte Assimladja und streckte ihreHände aus. »Kommt!«

Die anderen rückten näher zu ihr her-an. Sie ergriffen sich bei den Händenund schlossen die Augen, um sich ganzauf die ferne Welt zu konzentrieren, diedas Beobachtungsgerät erfaßt hatte. Ihrepsionische Energie floß zu Assimladja,die ein parapsychisches Zentrum bildete.Assimladja wartete geduldig ab, bis siesich stark genug fühlte. Dann öffnete sieihre Sinne für den Gedankenstrom, dervon der Erde ausging.

Assimladja hatte sich eigentlich nochgar nicht richtig mit den Menschen be-faßt. Sie wußte, daß die Erde bewohntwar, und daß die Menschen noch nichtsvon der Lehre Unandats ahnten. Das waraber auch so ziemlich alles, was ihr be-kannt war.

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Eine Vorstellung davon, wievielMenschen auf der Erde lebten, hatte sieebenso wenig wie die anderen. Dahertraf sie die Gedankenflut, die von derErde ausging, wie ein Schock. Sie tau-melte zurück. Ihre Augen weiteten sich,und sie begann am ganzen Körper zuzittern. Panikartig zog sie sich zurückund verschloß sich gegen alle auf sieeinströmenden Gedanken.

Sie ließ die Hände der anderen losund eilte zu einem pontonförmigen Ge-rät, um sich zu setzen.

»Das habe ich nicht gewußt«, sagtesie stammelnd.

Sie wiederholte ihre Worte noch ei-nige Male. Das war ein deutliches Zei-chen dafür, wie heftig sie der Schockgetroffen hatte. Den anderen erging eskaum besser. Lediglich Usqueesid, derSpötter, zeigte sich relativ unbeein-druckt.

»Wir wußten ja, daß sie nichts vonUnandat wissen«, sagte Elvedurija. »Daßsie deshalb aber so anders sind, damithabe ich nicht gerechnet.«

Damit drückte sie aus, was auch dieanderen empfanden.

»Wir wollen es noch einmal versu-chen«, sagte Assimladja, als etwa einehalbe Stunde verstrichen war und siesich wieder erholt hatten. »Dieses Malwerden wir aber vorsichtiger sein.«

»Wir sind besser vorbereitet«, stellteUsqueesid sachlich fest. »Dieses Malwird es keinen Schock geben.«

»Das glaube ich auch nicht.« Assim-ladja kehrte zu den anderen zurück undstreckte die Hände auffordernd aus.

Wieder konzentrierten sich die Vort-hanier. Sie sammelten ihre psionischenKräfte, bis Assimladja endlich vorsichtigihre Sinne öffnete und die aus der Fernekommenden Gedanken der MilliardenMenschen der Erde auf sich einströmenließ.

Am meisten verwirrte und verunsi-cherte sie die Tatsache, daß aus all die-sen Gedanken kein gemeinsamer Grund-gedanke und kein gemeinsames Haup-tempfinden herausleuchtete. Da warnichts von der Lehre Unandats zu erken-nen. Die Gedanken bildeten ein chaoti-sches Durcheinander. Eine Ordnung gabes nicht.

Assimladja brach in Tränen aus. Sieließ die Hände sinken und blickte dieanderen an. Auch sie weinten vor Mit-leid. Selbst Usqueesid hatte tränen-feuchte Augen.

»Sie kennen die Lehre Unandatswirklich nicht«, sagte Elvedurija er-schüttert. »Bis jetzt habe ich es nicht ge-glaubt. Ich habe es mir nicht einmal vor-stellen können, daß es so etwas gibt. Wieist das möglich?«

»Wie können sie überhaupt ohne Un-andat leben?« fragte Irisandija verstört.Sie litt am meisten unter der Leere, diein dieser Gedankenflut gewesen war.

Omdhurid legte ihr tröstend den Armum die Schultern.

»Wir müssen ihnen helfen«, sagte erstockend. Er blickte Assimladja bittendan. »Nicht wahr, Assimladja? Das wer-den wir doch tun?«

»Sie tun mir so leid«, sagte Otsum-mid erschüttert. »Ich könnte es mir nieverzeihen, wenn wir ihnen die LehreUnandats nicht vermitteln würden. Wirmüssen es einfach tun.«

»Wir werden es tun«, versprach As-simladja. Sie lächelte unter Tränen. Siestreckte die Hände aus. »Ich freue mich,daß ihr so denkt und fühlt. Es machtmich glücklich.«

*

Morales Töwaölö verzog keine Miene,als Jamy Bander den Quadulbehälter mitdem Fuß umstieß.

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»Tut mir leid«, sagte derLichtspruchtechniker. »Ehrlich.«

Er blickte auf Morales herab, der et-wa vierzig Zentimeter kleiner war als er.Der Indianer kniete sich nieder undsammelte die über den Boden verstreu-ten Teile auf, ohne zu protestieren oderBander zurechtzuweisen.

»Ich glaube, du bildest dir ein, daßich das absichtlich getan habe«, sagte derLichtspruchtechniker. »So ist es doch,oder?«

Morales antwortete nicht.»Kannst du nicht den Mund aufma-

chen?« fragte Bander gereizt.Der Indianer richtete sich auf, nach-

dem er das letzte Teil aufgenommen undin den Kasten gelegt hatte. Mit halbge-schlossenen Lidern stand er vor demTechniker.

»Ich erfülle meinen Vertrag«, sagteer. »Was stört dich daran?«

»Überhaupt nichts«, behauptete Ban-der.

»Dann könntest du mich in Ruhe las-sen«, erwiderte der Brasilianer. »Undwenn du das nächstemal Quadule überden Boden verstreust, dann könntest duruhig daran denken, daß diese äußerstempfindlich sind und daß unser Vorratso gut wie erschöpft ist.«

»Wir befinden uns bereits im Son-nensystem. In einer Stunde landen wirauf der Erde. Da gibt es genug Quadu-le.«

»Ist das ein Grund, etwas absichtlichzu zerstören?«

»Du behauptest also, ich hätte es ab-sichtlich getan«, sagte Bander. SeineFaust fuhr blitzschnell vor. Der Indianerversuchte, ihr auszuweichen, aber er warnicht schnell genug. Der Lichtsprucht-echniker traf ihn am Kinn und schleu-derte ihn mit diesem Schlag gegen dieWand. Morales sackte zu Boden, richtetesich jedoch sogleich wieder auf. Doch

nun hatte Bander Oberhand. Er schlugnoch zweimal zu und traf entscheidend.

Der Brasilianer blieb auf dem Bodenliegen. Er war nicht bewußtlos, aberdoch so betäubt, daß er nicht mehrkämpfen konnte. Er blickte den Techni-ker aus halbgeschlossenen Augen an. Inseinem braunen Gesicht zuckte keinMuskel.

Jamy Bander stand breitbeinig überihm.

»Willst du nicht aufstehen?« fragte erhöhnisch.

Morales Töwaölö antwortete nicht.Bander konnte nicht erkennen, ob er die-se Worte überhaupt gehört hatte. Diestoische Ruhe des Brasilianers reizte ihn.Er hatte das Verlangen gehabt, Moraleszu demütigen, nun aber spürte er, daß ernicht wirklich an ihn herankam. Was erauch tat, es schien an ihm abzugleiten.

»Und was kommt jetzt?« fragte erhitzig. »Wirst du dir den Körper bemalenund die bösen Geister der Rache anru-fen?«

Morales schwieg und blieb liegen.Als Bander jedoch versuchte, ihm in dieSeite zu treten, rollte er sich rasch weg,richtete sich halb auf, blieb auf dem Bo-den sitzen und lehnte sich mit dem Rük-ken an die Wand. Er blickte den Techni-ker ausdruckslos an.

»Mann«, schrie Bander. »Warum bistdu nicht einfach im Urwald bei deinenStammesgenossen geblieben? Was hastdu bei uns zu suchen? Das ist nicht deineWelt, Bananenfresser.«

»Bist du nun endlich fertig?« fragteMorales, als Bander seine Beschimpfungbeendete. »Oder hast du noch einigeüberzeugende Argumente mehr?«,

Jamy Bander strich sich mit der Handüber die Augen, drehte sich um und gingdavon. Er schwankte leicht, als sei erbetrunken. Doch das war er nicht. Mo-rales wußte, daß er nie trank.

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Im Grunde genommen mochte erJamy Bander ganz gern, auch wenn die-ser hin und wieder aus der Rolle fiel undihn dann schmählich beleidigte. Dochspäter tat es ihm dann stets leid, und bis-her hatte der Lichtspruchtechniker sichnoch immer bei ihm entschuldigt.

So aber hatte Morales ihn noch niegesehen.

Er stand auf und folgte dem. Techni-ker einige Meter weit. Dann blieb er ste-hen.

»Bander«, rief er. »Was ist mit dirlos?«

Der Lichtspruchtechniker drehte sichnicht um. Er ging weiter, öffnete eineTür und verschwand darin. Moralesüberlegte einige Sekunden lang, ob erihm noch weiter folgen sollte, wandtesich dann jedoch ab. Er hatte keinenGrund, sich um Bander zu kümmern.Bander hatte ihn geschlagen und wardamit weit über alles hinausgegangen,was er sich bis dahin geleistet hatte.

Der Brasilianer kehrte an seine Ar-beit zurück. Er nahm die Quadule auf,entfernte die Verschalung einer Wandund tauschte einige nicht mehr vollfunktionsfähige Quadule gegen neue aus.

Eine Erschütterung ging durch dasSchiff.

Morales stutzte. Er rieb sich dasschmerzende Kinn und blickte sich um.Er war allein in einem Gang neben demHaupttriebwerk. Erschütterungen wäh-rend des Anflugs bei Unterlichtge-schwindigkeit auf die Erde? So etwashatte er noch nicht erlebt.

Er fragte sich, was passiert seinkonnte.

War die MIROBE mit einem Meteo-riten zusammengestoßen?

Unwahrscheinlich, sagte er sich. DerFrachtraumer war – wie die meisten an-deren Raumschiffe dieses Zeitalters auch– gegen solche Zusammenstöße gesi-

chert, so daß sie so gut wie nie auftraten.Was aber konnte sonst das Raum-

schiff erschüttern?Morales wußte es nicht. Er war Qua-

dultechniker und Mädchen für alles anBord der MIROBE. Als Raumfahrer warer jedoch nicht ausgebildet. Er wärenicht in der Lage gewesen, die MIROBEallein zu fliegen, einen Lichtspruch ab-zusetzen oder die Computerüberwa-chung vorzunehmen.

Er entschloß sich, Jamy Bander zufolgen und ihn zu fragen.

Als er sich der Tür näherte, durch dieder Lichtspruchtechniker verschwundenwar, fühlte er, wie der Boden unter ihmschwankte. Er blieb stehen, schloß dieAugen und konzentrierte sich. Er hattesich nicht getäuscht. Das Raumschiffflog unruhig und wurde ständig leicht er-schüttert. So war es noch nie gewesen.

Er öffnete die Tür.»Bander?« rief er. »Wo bist du?«Im Werkzeugteileraum hielt Bander

sich nicht auf. Morales betrat kurzent-schlossen den Triebwerksraum, weil erhoffte, hier Chefingenieur Hannopanvorzufinden, aber auch Hannopan warnicht da.

Morales fühlte, wie es ihn kalt über-lief. Hatten die anderen Besatzungsmit-glieder das Schiff verlassen, ohne ihn zuinformieren? Er hielt es nicht für ausge-schlossen. Ohne das geringste Gefühlvon Bitterkeit stellte er fest, daß er fürdie meisten doch nur der Indianer war.Nicht gerade ein Tier, aber ein vollwer-tiger Mensch sicherlich nicht.

Es war möglich, daß sie gegangenwaren, ohne an ihn zu denken.

Er stieg in den zentralen Lift undfuhr nach oben. Sein Herz klopfte wild.Er wußte, wie wütend Kommandant La-point reagieren konnte, wenn er in dasHeiligtum der MIROBE eindrang, ohnegerufen worden zu sein.

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Er erinnerte sich noch recht gut dar-an, was geschehen war, als er vor zweiJahren die Hauptleitzentrale betretenhatte. Lapoint hätte ihn fast umgebracht.Hannopan hatte ihn daran gehindert. Erwar es auch gewesen, der Lapoint ver-anlaßt hatte, ihn nur mit einer Geldbußezu belegen. Lapoint hatte ihm ein halbesJahresgehalt gestrichen.

Seitdem war Morales nicht mehr inder Zentrale gewesen.

Jetzt blieb ihm keine andere Wahl. Ermußte wissen, ob die anderen noch anBord waren, oder ob er allein war.

Die Tür öffnete sich.Der Brasilianer betrat die Zentrale.

Kommandant Lapoint saß in seinem Ses-sel. Er hielt ein Blatt Papier auf denKnien. Er zeichnete eine Blume. JamyBander stand neben ihm. Er lächelte.Seine Augen glänzten.

Chief Hannopan saß in einem ande-ren Sessel. Er war völlig entspannt. SeinKopf ruhte auf der Rückenlehne. Er hieltdie Augen geschlossen. Morales zwei-felte nicht daran, daß er schlief.

Waffentechnikerin Mary O'Donno-gan blickte auf ihre Hände, die sie lang-sam drehte und wendete, als forme siemit ihnen aus einer unsichtbaren Masseeine Skulptur. Sie lächelte ebenfalls.Computerspezialist Bond tippte immerwieder andere Buchstaben-Zahlenkom-binationen in die Tastatur des Compu-ters. Er lachte hin und wieder leise auf,wenn die Ergebnisse aufleuchteten, undstellte sogleich neue Berechnungen an.

Morales eilte zu ihm und legte ihmdie Hand auf die Schulter.

»Was tust du, Bond?« fragte er. »Bistdu verrückt geworden?«

Der Computertechniker beachtete ihnnicht. Morales packte ihn mit beidenHänden und schüttelte ihn heftig.

»Ich habe zwar keine große Ahnungdavon«, sagte er, »aber ich weiß immer-

hin, daß der Computer 80 Prozent allerFunktionen an Bord steuert. Selbst ichkann sehen, daß du mit diesen Manipu-lationen das Schiff gefährdest. Nichtsstimmt mehr. Sieh dich doch um. Über-all rote Lichter.«

Eine Alarmpfeife heulte auf. Moralesließ die Hände sinken. Spätestens jetzthätte einer von den verantwortlichen Of-fizieren in der Hauptleitzentrale reagie-ren müssen. Sie hätten merken müssen,daß etwas nicht in Ordnung war. Abersie reagierten ganz anders, als Moraleserwartet hatte.

Chief Hannopan ging zum Steuer-leitpult und schaltete die Alarmanlagekurzerhand aus. Es wurde still in derZentrale.

Der Indianer ging wortlos zumHauptbildschirm. Er schaltete ihn ein.Das Raumschiff befand sich in der Nähedes Jupiter. Morales stellte mühelos fest,daß es an dem Planeten vorbeifliegenwürde, sich ihm dabei jedoch so näherte,daß es in die Mondbahnen geriet. Einderartiger Kurs konnte unmöglich vomChefnavigator Barries programmiertworden sein.

Morales wollte Barries fragen, docher sah, daß der Navigator nicht an-sprechbar war. Er verhielt sich ebensowie die anderen. Die realen Problemedes Raumschiffs interessierten ihn nicht.Er schien sie überhaupt nicht wahrzu-nehmen.

Morales eilte zum Kommandanten.Entschlossen nahm er ihm das Blatt mitder Blumenzeichnung weg. Er hoffte,daß Lapoint nun wütend reagieren wür-de. Der Kommandant nahm jedoch eineNavigationskarte und begann erneut zuzeichnen. Morales nahm ihm auch dieseweg. Lapoint lehnte sich zurück, ver-schränkte die Arme vor der Brust undblickte glücklich lächelnd nach oben.

»Kommandant, das geht nicht gut«,

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sagte Morales laut. »Sie müssen etwastun, oder wir rammen einen der Jupiter-monde.«

Lapoint tat, als habe er ihn nicht ge-hört.

Morales blickte zum Hauptbild-schirm. Ein Warnlicht leuchtete pulsie-rend im Zentrum des Schirmes auf. Daswar ein absolut klares Zeichen, das auchMorales verstand. Ein großes Objekt be-fand sich vor ihnen. Das Raumschiff ra-ste direkt darauf zu. Es konnte nur einerder Jupitermonde sein.

Morales schlug wütend zu. Seine fla-che Hand klatschte Lapoint ins Gesicht.Der Kommandant rutschte fast aus demSessel, aber auch jetzt zeigte er kein In-teresse für das Schiff. Er setzte sich wie-der bequemer im Sessel hin, lächelte zu-frieden und schloß seufzend die Augen.

»Sagen Sie doch etwas, Lapoint«,schrie der Indianer. »Sagen Sie mir, wieich das Schiff anhalten oder auf einenanderen Kurs bringen kann.«

Der Kommandant schwieg.In seiner Verzweiflung rannte Mora-

les zum Steuerleitpult. Er riß alle Hebelin die Nullstellung zurück, drehte Knöp-fe, drückte Tasten und schaltete alles,was er eindeutig genug erkennen konnte,zurück. Alle Systeme stellten ihre Arbeitein. Nur den Geschwindigkeitsmesserließ der Indianer weiterlaufen. Er zeigtean, daß sich die MIROBE mit unvermin-derter Geschwindigkeit dem Kollisi-onsobjekt näherte.

Damit war klar, daß alles, was er ge-tan hatte, wirkungslos geblieben war. Erhätte das Raumschiff nur retten können,wenn er vollen Gegenschub gegebenoder die MIROBE auf einen anderenKurs gebracht hätte. Nun aber war es zuspät. Nur noch Minuten blieben, bis dasRaumschiff mit dem Jupitermond zu-sammenprallte.

Morales ballte die Fäuste, als er be-

griff, daß er nichts für die Besatzung tunkonnte. Ihm blieb nur noch eines. Ermußte sich selbst retten. Er mußte dasRaumschiff verlassen.

Mit einer Lancet konnte er umgehen.Ein derartiges Beiboot war die letzteChance, die er hatte.

Er verließ die Hauptleitzentrale.Zwanzig Sekunden später war er bereitsin der Lancet. Dann benötigte er nocheinmal neunzig Sekunden, bis er dasBeiboot starten konnte. Mit hoher Be-schleunigung verließ es den Frachtrau-mer, unmittelbar bevor dieser mit demachten Jupitermond kollidierte.

2.

Irisandija schrie entsetzt auf.Yllyrhadja rief schluchzend: »Ich

wußte nicht, daß es solche Menschenunter ihnen gibt.«

Und damit drückte sie genau aus,was die anderen dachten und empfanden.Alle Vorthanier waren maßlos über-rascht. Keiner von ihnen hatte damit ge-rechnet, daß es das Ende für das Raum-schiff bedeuten könnte, wenn sie sichmit der Besatzung befaßten.

»Ich verstehe das einfach nicht«, ge-stand Assimladja ein. Sie war die klügsteund umsichtigste von allen. Daß selbstsie nicht zu erklären wußte, was gesche-hen war, verunsicherte die anderen.

»Wir haben so etwas noch nicht er-lebt«, sagte Usqueesid dennoch ruhig.»Deshalb sind wir überrascht. Solltenwir uns aber nicht klar darüber sein, daßes immer Ausnahmen im Leben gibt?Nichts ist bis ins Detail hinein so, wiewir es uns vorstellen und wünschen.«

»Ich kenne deine lose Zunge«, ent-gegnete Assimladja streng, »aber jetztgehst du zu weit. Selbstverständlich gibtes etwas, das keine Ausnahme kennt.

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Hast du das vergessen?«»Es gibt Unandat«, sagte Elvedurija.»Ich wollte nicht freveln«, beteuerte

Usqueesid.»Dann sei lieber still«, befahl As-

simladja.»Was machen wir denn nun?« fragte

Omdhurid. »Ich meine, wir müssen unsdoch entscheiden. Wie geht es weiter?«

»Wir fliegen zur Erde. Das ist derblaue Planet dort«, entschied Assimlad-ja. »Daran ändert sich nichts. Aber wirwissen, daß es unangenehme Zwischen-fälle geben kann. Wir sind nun daraufvorbereitet und können uns entsprechendverhalten.«

»Wir sind vorbereitet. Das ist rich-tig«, sagte Elvedurija in einem Ton, derklarstellte, daß für sie noch lange nichtalles besprochen war. »Was tun wir aber,wenn es wieder zu einem solchen Zwi-schenfall kommt?«

»Ich weiß es nicht«, gestand Assim-ladja ein. »Hat einer von euch eineIdee?«

Die anderen schwiegen, weil auch sienicht wußten, was sie im Wiederho-lungsfall tun sollten.

»Rekonstruieren wir erst einmal«,schlug Usqueesid vor, als einige Minu-ten verstrichen waren. »Was war die Ur-sache dafür, daß das Raumschiff außerKurs gekommen und dann mit einemMond dieses Planeten zusammengepralltist?«

»Das ist einfach zu beantworten«,erwiderte Elvedurija. Sie setzte sich aufein Steuergerät und schlug die schlankenBeine übereinander. »Dieser Mensch,den sie Indianer nennen, hat uns nichtgehört. Er ist taub.«

»Das ist richtig«, stimmte Usqueesidzu. Er lächelte anerkennend. »Währendalle anderen unserer Botschaft lauschten,hantierte er an den Geräten in derHauptleitzentrale herum.«

»Er war verantwortlich dafür, daß derRaumer außer Kurs kam«, bemerkte Iri-sandija. Für sie war stets alles einfach.War aber tatsächlich einmal irgend etwaswirklich kompliziert, dann pflegte sie eszu ignorieren.

In diesem Fall widersprach ihr nie-mand, da alle der gleichen Ansicht wa-ren.

»Was mich so entsetzt hat, ist dieTatsache, daß ausgerechnet der an derKatastrophe Schuldige sich gerettet hat«,sagte Assimladja.

»Du bist unlogisch«, entgegnete Us-queesid, der die Chance nutzte, sich fürden Verweis, den er erhalten hatte, zurevanchieren. »Ist der Indianer nicht dereinzige, der sich Unandat nochverschließt? Während die anderen ihrHerz für Unandat geöffnet hatten, hat ersich ihm nicht zugewandt. Unandat hatihn entkommen lassen, damit er Gele-genheit erhält, sich später in Demut vorihm zu beugen.«

Assimladja war verblüfft. Sie hattenicht damit gerechnet, ausgerechnet vondieser Seite aus auf einen Denkfehleraufmerksam gemacht zu werden. Ihr Ge-sicht verfärbte sich und nahm eine dun-kelblaue Tönung an.

Verwirrt sagte sie: »Wir wollen unshier nicht länger aufhalten. In dieserStation befindet sich ein Raumschiff.Das hat man uns jedenfalls gesagt. Wirwerden damit starten und zur Erde flie-gen, um dort die Lehre Unandats zu ver-breiten. Das ist unsere Aufgabe.«

»Je früher wir starten, desto lieber istes mir«, versetzte Usqueesid, der seinenTriumph nur mühsam verbarg. »Hierfinde ich es nämlich ziemlich langwei-lig.«

*

»Mein Name ist Morales Töwaölö. Ich

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bin Brasilianer vom Stamm der Yano-mamö. Ich komme vom Rio Branco«,sagte Morales. Er fuhr sich erschöpft mitden Händen über das braune Gesicht.Unstet wanderten seine Blicke von ei-nem der Offiziere zum anderen, die ihmgegenübersaßen.

Vor wenigen Minuten hatte ihn einschneller Kreuzer der Raumstreitkräfteder Erde mit der Lancet aufgenommen,nachdem er über Funk erklärt hatte, daßer selbst nicht in der Lage war, das Bei-boot auf der Erde zu landen.

»Was ist passiert?« fragte der Kom-mandant. Er war ein schwergewichtigerMann mit breitem Kinn und eng beiein-anderstehenden Augen.

Morales schilderte, was sich an Borddes Frachtraumers ereignet hatte. Er be-gann bei der Schlägerei, die er mit JamyBander gehabt hatte, und er endete mitseiner Flucht aus dem Raumschiff. DieOffiziere hörten ihm zu, ohne ihn eineinziges Mal zu unterbrechen.

»Ist das alles?« fragte der Komman-dant, als Morales verstummte.

»Das ist alles«, bestätigte der India-ner.

Der Kommandant wandte sich an dieanderen Offiziere in der Hauptleitzen-trale des Kreuzers.

»Was sagt ihr dazu?« fragte er.»Klapsmühle«, antwortete der Chef-

navigator.»Nein«, rief Morales protestierend.

»Das war es nicht. Die Offiziere hattenden Verstand nicht verloren. Ich binüberzeugt davon, daß sie unter einemfremden Einfluß standen und keineKontrolle mehr über sich selbst hatten,während ich immun gegen diesen Ein-fluß war.«

»Das meine ich nicht«, erklärte derChefnavigator und verzog verächtlichdie Lippen. »Ich bin der Ansicht, daß duin die Klapsmühle gehörst. Dort sollen

die Psychiater erst einmal untersuchen,ob du überhaupt noch weißt, wovon duredest. Und dann sollen sie herausfinden,wie du es fertiggebracht hast, die ge-samte Mannschaft des Raumers auszu-schalten, bevor du ...«

Morales versteifte sich. Sein Gesichtwurde ausdruckslos. Die Beschuldigun-gen glitten von ihm ab. Seine Augenblickten ins Leere. Er hörte nicht mehr,was die Offiziere sagten.

Als das Raumschiff wenig später aufder Erde landete, kamen zwei Männer indie Hauptleitzentrale. Sie lächelten Mo-rales freundlich zu.

»Kommen Sie«, bat einer von ihnen.»Wir werden Ihnen helfen.«

»Ich bin völlig normal«, sagte derIndianer ruhig. »Mir fehlt nichts.«

»Das wissen wir«, antwortete derArzt behutsam. »Machen Sie sich keineSorgen. Wir bringen alles in Ordnung.«

Sie hörten ihm überhaupt nicht zu.Morales spürte, daß er sagen konnte, waser wollte. Sie hatten ihn entmündigt undbehandelten ihn wie ein Kind, dessenWorte ohnehin nichts zählten. Er fühltesich durch ihr Verhalten nicht gedemü-tigt, und er protestierte auch jetzt nicht.Er beugte sich ihnen nicht, aber er gingmit ihnen, weil er hoffte, daß sich ir-gendwann später die Gelegenheit erge-ben würde, vernünftig mit ihnen zu re-den. Irgendwann einmal mußten siemerken, daß er nicht verrückt war.

Als er im Gleiter zwischen den bei-den Ärzten saß, lächelte er.

»Was werden Sie eigentlich tun,wenn es die Erde erreicht?« fragte er er-heitert.

»Wovon sprechen Sie?« erkundigtesich der Mediziner, der hinter den Steu-erleitelementen saß. Er war überhauptder einzige, der etwas sagte.

»Ich meine das Fremde, das die Offi-ziere beeinflußt hat. Was geschieht,

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wenn es zur Erde kommt und hier dengleichen Effekt hervorruft?«

Der Arzt blickte Morales an, und esschien, als sehe er ihn zum ersten Malwirklich. Doch gleich darauf verändertesich wieder etwas in den Augen desArztes. Sie begannen zu strahlen, undein törichtes Lächeln glitt über die Lip-pen des Mediziners. Er hob die Händeund drehte sich langsam hin und her.

»Sie sehen aus wie Blumen, die sichim Wind bewegen«, sagte der Indianer.

Der Arzt antwortete nicht. Auch seinBegleiter hatte alle Verbindungen zurWirklichkeit verloren. Träumend saß erin den Polstern.

Morales begriff.Er packte den Arzt, der am Steuer

saß, bei den Armen.»Hören Sie«, rief er. »Wachen Sie

auf. Jetzt geschieht genau das, was ich.Ihnen angekündigt habe. Die Fremdenbrechen zur Erde durch. Dort drüben inden Gebäuden befindet sich dieRaumüberwachung. Begreifen Sie dennnicht? Man beeinflußt uns mit parapsy-chischen Impulsen aus dem Weltraumheraus und macht sich dadurch den Wegdurch die Radarüberwachung frei.«

Die Ärzte reagierten nicht. Sie ver-hielten sich ebenso, wie die Offiziere derMIROBE es getan hatten. Sie hatten keinGefühl mehr für die Gefahr.

Sie träumten von Blumen.Morales stieg aus dem Gleiter. Er

zögerte kurz, dann rannte er zum Gebäu-de der Raumüberwachung hinüber. Nie-mand hielt ihn auf. Die Offiziere, die dasGebäude absichern sollten, lagen bäuch-lings auf dem Rasen davor und betrach-teten weltentrückt ein paar Sommerblu-men. Der Indianer lief an ihnen vorbei.Er stürmte eine Treppe hoch. Er wußte,daß die Hauptbeobachtungsstationen inden oberen Räumen waren. Das hatte erirgendwann einmal in einer Zeitschrift

gelesen. Er riß eine Tür auf und blicktein einen großen Raum, in dem fünfzehnMänner und acht Frauen an großen Ra-darschirmen saßen.

Selbst für Morales zeichnete sichdeutlich ein Objekt ab, das sich im Lan-deanflug befand. Es war länglich undhatte die Form einer Zigarre.

Die Radarüberwachung aber träumte.Einige der Frauen zeichneten Blumen, sowie Kommandant Lapoint es getan hatte,andere saßen mit geschlossenen Augenin den Sesseln, als ob sie schliefen. Diemeisten Männer lagen entspannt in denSesseln und träumten mit offenen Augenvor sich hin.

Morales eilte von einem zum anderenund versuchte, sie aus ihren Träumen zureißen. Es gelang ihm nicht.

Schließlich blieb er resignierend ste-hen. Seine Arme sanken kraftlos herab.

»Es hat keinen Sinn«, sagte er laut.»Du schaffst es nicht.«

Alles war so, wie es in der Hauptleit-zentrale der MIROBE gewesen war.

Würde es auch hier eine Katastrophegeben? Es sah so aus.

Morales drehte sich einmal um sichselbst. Dann wurde ihm bewußt, daß dieFolgen für ihn noch weitaus gefährlichersein konnten, als jene, die das Ende deszerstörten Raumschiffes nach sich zog.Hatte man bisher angenommen, daß erden Verstand verloren hatte, so mochteman nun vielleicht glauben, daß er denFremden half, die Hindernisse zu über-winden, die ihnen die terranische Rau-mabwehr entgegenstellte.

Der Indianer zog sich langsam ausder Halle zurück.

Es war besser, wenn man ihn hiernicht sah. Irgendein übereifriger Beamterkonnte allzu leicht alles verdrehen.

Die Radarbilder wurden elektroma-gnetisch aufgezeichnet. Wenn diese Pha-se der geistigen Beeinflussung vorüber

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war, dann war einwandfrei feststellbar,daß ein unbekanntes Flugobjekt in denLuftraum der Erde eingedrungen war.

Morales beschloß, zu den Ärzten zu-rückzukehren.

Er eilte durch die leeren Flure undverließ das Gebäude. Die Offiziere lagennoch auf dem Rasen. Nichts hatte sichverändert. Die Ärzte waren noch nichtwieder Herr ihrer selbst.

Morales setzte sich in den Gleiterund wartete.

Eine halbe Stunde verstrich.»Niemand wird zur Erde kommen

und irgend jemanden hier beeinflussen«,sagte der Arzt übergangslos.

Morales wußte zunächst nicht, was ermeinte. Er grübelte über diese Wortenach, während der Mediziner den Gleiterstartete. Dann ging ihm auf, daß der Arztauf die Frage geantwortet hatte, die erihm gestellt hatte, bevor das Fremdeplötzlich über ihn und seinen Kollegengekommen war.

»Schauen Sie mal auf die Uhr«, batder Brasilianer.

»He, was ist das?« fragte der Arztüberrascht. »Haben Sie an der Uhr her-umgespielt?«

»Natürlich nicht«, antwortete Mora-les. »Sie wissen, daß so etwas bei diesenUhren gar nicht möglich ist. Sie habengeträumt. Fast eine Stunde lang. Wäh-rend dieser Zeit standen Sie unter demEinfluß einer fremden Macht.«

»Ja, ja«, sagte der Arzt gelangweilt.»Warum rufen Sie nicht die öffentli-

che Zeit ab?« fragte Morales und tipptegegen das Videophon.

»Weil das nicht notwendig ist«, ant-wortete der Arzt. »Nur weil ich michgeirrt habe? Es ist schon später als ichdachte. Na und?«

Morales lehnte sich seufzend zurück.»Es hat keinen Sinn«, sagte er. »Sie

werden es nie begreifen. Aber einen Ge-

fallen könnten Sie mir noch tun.«»Welchen?«»Rufen Sie die Raumüberwachung

an und sagen Sie ihnen, daß sie die Auf-zeichnung der letzten Stunde überprüfensollen. Dabei werden sie feststellen, daßein unbekanntes Flugobjekt die Radar-schranke durchbrochen hat.«

»Nun reicht es aber«, sagte der Arztärgerlich. »Ich habe keine Lust, mich mitdenen da anzulegen. Machen Sie sichkeine Sorgen. Es ist nichts passiert.«

»Könnten Sie es nicht dennoch ver-suchen?« fragte der Indianer. »Vielleichtist einer da, der sich die Aufzeichnungenansieht. Das würde schon genügen.«

Der Arzt schüttelte den Kopf. Erglaubte, daß Morales sich alles nur inseinem kranken Hirn eingebildet hatte.

»Das gehört nicht zu meiner Thera-pie«, erklärte er und beschleunigte voll.

*

»Es ist alles ganz einfach«, sagte EnricoFardi. »Man muß die Fragen nur auf dieGesetze der Natur reduzieren. Alle unse-re Probleme scheinen unerhört kompli-ziert zu sein, so daß sie kaum noch zubewältigen sind. Das ist alles verschro-bener Unsinn, mit dem wir uns selbstbelügen. Wir tun so, als seien wir sohochentwickelt, daß für uns die Gesetzeder Natur nicht mehr gelten. Wir tun so,weil wir uns selbst schmeicheln wollen.«

»Schmeicheln?« fragte Tecoschüchtern. »Das verstehe ich nicht.«Enrico Fardi stopfte sich ein Stück ge-bratenes Fleisch in den Mund. Mit vol-lem Mund sprach er weiter.

»Natürlich wollen wir uns damitschmeicheln. Wir tun so, als seien wirhöhere Wesen, dabei verhalten wir unsaber wie die Hengste und Stuten in einerHerde von Wildpferden.«

»Verhalten wir uns denn so?« fragte

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der Zwerg.Der Mutant zupfte eine Fleischfaser

aus den Zähnen hervor, betrachtete sieund schob sie sich wieder in den Mund.

»Selbstverständlich«, antwortete er.»Wir kämpfen ständig um eine Rang-ordnung. In jeder Gruppe Menschen ver-sucht jeder, seine Rangordnung zu fin-den, so wie es unter den Hengsten undStuten auch ist. Es gibt Kämpfe. Nungut, sie werden bei uns Menschen nichtmehr mit Füßen und Zähnen ausgefoch-ten, sondern mit Worten. Oder auchschon die Sitzordnung, die wir am Tischeinnehmen.«

»Das ist richtig«, stimmte der zwer-genhafte Teco zu und blickte sehnsüch-tig auf das duftende Fleisch.

»Dieser Kampf um die Rangordnungsetzt sich fort. Er charakterisiert unserganzes Leben. Besonders deutlich wirdes im Berufsleben. Einige kommen garnicht erst auf den Gedanken, daß sie et-was anderes sein könnten als Arbeiter.Andere kämpfen solange mit aller Kraft,bis sie Boß sind. Aber auch dann ist derKampf um einen höheren Rang nochnicht zu Ende. Er geht weiter um mehrMacht, um mehr Einfluß.«

»Ich verstehe«, flüsterte Teco.»Und so wie der einzelne um einen

höheren Rang kämpft, so kämpfen auchdie Völker um eine Rangordnung. Sowar es früher, so ist es heute, und sowird es für alle Zeiten sein. Und dasnicht nur auf der Erde, sondern auch inder Galaxis. Siehst du, du Zwerg, das istes, was ich meinte. Die Menschen derErde dürfen nicht mit dem zufriedensein, was sie erreicht haben. Sie müssenversuchen, der Rangerste in der Galaxiszu werden. Und wenn sie das erreichthaben, müssen sie sich anderen Galaxienzuwenden und hier ihren naturgegebenenAnspruch auf den höchsten Rang unterden Völkern geltend machen.«

»Und danach?« fragte Teco.»Diese Frage könntest du dir selbst

beantworten, wenn du zugehört hättest«,sagte Enrico Fardi. »Danach muß sichdie Menschheit anderen Universen zu-wenden. Aber was tut diese Menschheit?Sie gibt sich mit dem Rang eines Glei-chen unter Gleichen zufrieden. Das isteine Haltung, die mich als Mensch zu-tiefst beleidigt.«

Er wandte sich seinen Frauen zu, diein einem vertragslosen Zustand mit ihmzusammenlebten.

»Habt ihr mich verstanden?«herrschte er sie an.

»Ja, Enrico«, antworteten sie alle dreigleichzeitig in unterwürfigem Ton. »Wirhaben verstanden.«

»Ihr dürft gehen«, sagte er und unter-strich mit einer Geste, daß er allein mitTeco sein wollte. Die drei Frauen erho-ben sich aus den Sesseln und eilten ausdem Raum. »Siehst du, Teco, das ist es,was ich meinte.«

Der Zwerg nickte.»Sie gehorchen Ihnen aufs Wort.

Keine würde es wagen, gegen Sie aufzu-begehren.«

»Sie haben die Rangordnung, die indiesem Haus herrscht, ein für allemalakzeptiert. Und das ist gut so.« DerMutant strich sich selbstzufrieden lä-chelnd über das bärtige Kinn. Er standauf und ging zu einem Fenster. Derzwergenhafte Teco blieb bei ihm. Erstellte sich auf hölzerne Stelzen, umebenfalls aus dem Fenster sehen zu kön-nen.

Der Blick glitt über endlos weiteWälder. Der Palast des Vorsitzenden desRaumfahrerverbandes lag im Natur-schutzgebiet, das nahezu das gesamteAmazonasbecken umfaßte. Im Zeitalterder Industrialisierung war das Amazo-nasbecken zum Teil erschlossen worden.Doch Landerschließungen, Rodungen

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und Umweltverschmutzung hatten einederart nachteilige Wirkung auf das öko-logische Gleichgewicht gehabt, daß dasAmazonasbecken unter Naturschutz ge-stellt worden war. Die Siedlungen warenwieder aufgegeben worden. Der zivili-sierte Mensch hatte sich aus diesem Ge-biet wieder zurückgezogen. Gebliebenwaren nur die Eingeborenen, die hier seitJahrtausenden gelebt hatten – die India-ner. Sie lebten größtenteils in Dörfernunter einfachen Lebensbedingungen, daviele von ihnen alles abgelehnt hatten,was ihrem Wesen nicht entsprach.

Einige Indianerstämme jedoch lebtenunter Bedingungen, die durchaus mit de-nen der anderen Brasilianer zu verglei-chen waren. Sie wohnten in elegantenBungalows, wurden aus siedlungseige-nen Kraftstationen mit Energie versorgtund pflegten enge kulturelle Verbindun-gen zu anderen Menschen außerhalb desSchutzgebiets. Sie bezogen ihr Einkom-men aus Arbeiten, die mit dem regenTourismus im Amazonasbecken zusam-menhingen. Sie betreuten Forschungsex-peditionen, die vor allem von Biologenimmer wieder unternommen wurden,oder sie arbeiteten im Dienste namhafterNaturforschungszentren.

Enrico Fardis Palast stand, wie schongesagt, im Naturschutzgebiet. Er hatteden Befehl gehabt, ihn abzureißen, dochdamit war die Naturschutzbehörde beiihm nicht durchgekommen. Er hatte sei-ne Verbindungen spielen lassen. DerAbbruchbefehl war aufgehoben worden.

Teco raffte sich zu einer Frage auf,die weit über das hinausging, was er bis-her von sich gegeben hatte.

»Diese Theorien habe ich schon eini-ge Male gehört«, sagte er. »Und dochklingt heute etwas anderes in IhrenWorten mit. Was ist es? Was veranlaßtSie, diese Dinge heute abermals zu beto-nen? Ist etwas passiert, wovon ich noch

nichts weiß?«Enrico Fardi drehte sich um und

blickte den Zwerg durchdringend an.Seine blauen Augen weiteten sich einwenig. Tecos Lippen zuckten. Er wußte,daß Enrico Fardi ihn jetzt telepathischbis auf den Grund seiner Seele durch-leuchtete. Er spürte davon überhauptnichts, aber es war ihm unangenehm.Dies war nicht das erste Mal, daß derMutant so etwas tat. Für Fardi war esselbstverständlich, die Menschen genauauszuloten, mit denen er es zu tun hatte.Dennoch verspürte Teco heute ein be-sonderes Unbehagen.

Der Mutant ging darüber hinweg.»Es ist etwas passiert«, erklärte er.

»Eine fremde Macht nähert sich der Er-de. Sie will uns eine neue Heilslehrebringen.«

»Sie sieht sich also als ranghöher anals wir?«

»Unsinn«, erwiderte der Mutant hef-tig. »Sie ordnen sich selbst überhauptnicht ein, sondern nur jenes Wesen, des-sen Lehren sie uns bringen wollen, Un-andat, ist für sie der Höchste. Nach sei-nen Vorstellungen sollen alle leben.«

Teco lächelte.»Die Menschen werden sie hinaus-

werfen. Sie haben nicht viel für solcheDinge übrig.«

»Die Menschen werden sich nichtdagegen wehren. Das ist es ja. DieFremden gehen mit parapsychischenKräften gegen die Menschheit vor. Oh,sie meinen es gut. Sie sind nicht böse,jedenfalls nicht in unserem Sinn. Siesind todtraurig darüber, daß wir von Un-andat noch nichts wissen.«

»Sie werden unsere Abwehrstellun-gen nicht durchbrechen.«

»Das haben sie längst getan, denn siemachen die Menschen zu harmlosenTräumern.« Enrico Fardi packte denZwerg und hob ihn von den Stelzen her-

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unter. »Das ist meine Chance, Teco.Darauf habe ich gewartet. Ich werde dieStunde nutzen und meine Ziele durchset-zen. Die Menschheit wird zu träumenbeginnen, aber ich werde handeln. Undwenn die Menschheit aus ihren Träumenerwacht, ist alles in meinem Sinn gere-gelt. Verlaß dich darauf. Morgen siehtdie Erde anders aus.«

Er verließ die Halle. Sein Diener Te-co schloß sich ihm an.

Sie stiegen zum Dach des Gebäudesempor, wo in versteckt angebrachten Ni-schen zahlreiche Gleiter parkten. DerMutant wählte eine Maschine aus. DerZwerg setzte sich hinter das Steuer.

»Wohin?« fragte er.»Dumpfkopf«, sagte der Mutant är-

gerlich. »Nach Brasilia natürlich. Wohinsonst?«

Teco startete, brachte die Maschineauf den richtigen Kurs und fragte: »Waswerden Sie dort tun?«

Enrico Fardi lächelte.»Ich sehe die Entwicklung deutlich

vor mir«, sagte er. »Die Fremden werdenauch über Brasilia erscheinen. Unter ih-rem Einfluß werden die Menschen vor-übergehend vergessen wer sie sind. Siewerden zu Träumern. So wird es auch inden verschiedenen Ministerien der Pro-vinzverwaltung sein. Dort aber liegenganze Berge von meinen Änderungsvor-schlägen und Vollmachtanträgen.«

»Jetzt verstehe ich«, entgegnete derZwerg anerkennend.

Enrico Fardi lehnte sich in den Pol-stern zurück. Er verschränkte seine Ar-me vor der Brust.

»Sicherlich werden sich später vieledarüber wundern, daß meine Vorschlägeund Anträge plötzlich abgezeichnet unddamit genehmigt worden sind, aber dannist es zu spät. Dann habe ich die Macht,die ich haben wollte, und ich bin im Be-sitz von zahllosen unterzeichneten und

abgestempelten Dokumenten, die das be-stätigen. Ich sagte ja, es hätte nicht bes-ser kommen können.«

3.

Das Raumschiff der Vorthanier passiertedie verschiedenen Sicherheitsgürtel derterranischen Raumabwehr, ohne behin-dert zu werden oder irgendwo Alarmauszulösen.

»Ich sagte es euch ja«, triumphierteOmdhurid, der Optimist unter ihnen.»Sie sind friedlich, und das ist schließ-lich das einzige, was wichtig ist.«

Irisandija lenkte das Raumschiff ineine Umlaufbahn um die Erde, nachdemdie verschiedenen Ortungssysteme inkybernetischer Zusammenarbeit mit denBordcomputern die Positionen der zahl-losen künstlichen Satelliten ausgemacht,aufgezeichnet und in den Kurscomputereingegeben hatte, so daß dieser den Au-topiloten mit entsprechenden Daten ver-sorgen konnte. Irisandija blieb als Pilotinnicht mehr viel zu tun als den allgemei-nen Kurs zu bestimmen. Und das tat sienach den Anweisungen, die Assimladjaihr gab.

»Wir wollen nacheinander alle Kon-tinente überfliegen«, sagte die Anführe-rin der Vorthanier. »Danach suchen wiruns ein Gebiet größter Vitalität aus. Vondem aus werde ich operieren. Ich möchteeuch bitten, euch selbst die Bereicheauszusuchen, die ihr übernehmen wollt.«

»Ich werde bei dir bleiben«, erklärteUsqueesid. »Du brauchst einen Pragma-tiker, der dafür sorgt, daß du mit beidenBeinen auf dem Boden der Tatsachenbleibst.«

»Ach, und dafür bist du gerade derrichtige, wie?« fragte Otsummid eifer-süchtig. Er war sonst stets still und zu-rückhaltend. Wenn es jedoch um As-

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simladja ging, die er verehrte, dannkonnte er recht temperamentvoll sein.

»Ich denke schon«, antwortete Us-queesid lässig. »Oder solltest du der An-sicht sein, daß du ... Nein. Das glaubeich nicht.«

»Usqueesid bleibt bei mir«, sagte As-simladja.

Der stille Otsummid beugte sich wi-derspruchslos ihrer Entscheidung.

Omdhurid zeigte auf die Bildschir-me, auf denen die Umrisse des nordame-rikanischen Kontinents zu sehen waren.Andere Schirme des Ortungssystemszeigten verschieden gefärbte Zonen vorallem an den Küsten:

»Das gefällt mir«, sagte Omdhurid.»Dort gibt es viele Menschen.«

»Aber nur wenige Pflanzen«, wandteElvedurija spöttisch ein.

»Das stört mich nicht«, sagte Omd-hurid. »Dann werde ich die Menscheneben zu den Pflanzen führen. Auch indiesem Land da unten gibt es genügendPflanzen. Man muß sie nur sehen wol-len. Also. Bis später, meine Freunde.«

Er hob grüßend einen Arm. Seinesamtblaue Haut verdunkelte sich, und erverschwand. Er teleportierte sich ausdem Raumschiff, um irgendwo auf demnordamerikanischen Kontinent zu rema-terialisieren.

»An den nächsten Kontinent geheich«, erklärte Otsummid, der noch nichtverwunden hatte, daß Assimladja ihnabgewiesen hatte.

»Einverstanden«, sagte Assimladjamit einem versteckten Lächeln. Siewußte sehr wohl, was in ihm vorging,aber sie empfand nun einmal mehr fürden temperamentvolleren und stets etwasironischen Usqueesid.

Während das Raumschiff die Erdeumrundete, verschwand einer der Vort-hanier nach dem anderen aus derHauptleitzentrale, bis Assimladja und

Usqueesid allein waren. Der Raumer nä-herte sich dem südamerikanischen Kon-tinent.

»Dort ist ein riesiges Waldgebiet«,stellte Assimladja mit leicht belegterStimme fest. Sie fürchtete, Usqueesidkönne die Situation zu einigen Bemer-kungen nutzen, die nicht ganz im SinnUnandats waren und außerdem nicht zuihrem Einsatz paßten. Ihr Gesicht ver-färbte sich und wurde dunkelblau. »Dortwerden wir es leichter haben, als die an-deren, die es mit großen Menschenmas-sen zu tun haben. Hoffentlich haben siesich nicht überschätzt.«

»Jetzt unterschätzt du dich und uns«,erwiderte Usqueesid in der ihm eigenen,schleppenden Art. »Wir erlitten einenSchock, als wir feststellen mußten, daßdie Bewohner dieses Planeten keine Ah-nung von Unandat haben. Ich gestehe,daß selbst mich das Mitleid fast über-wältigt hat. Mittlerweile aber haben wiruns gefangen. Wir wissen, wie schreck-lich das alles für die Menschen der Erdeist, aber das Mitleid wird uns nicht mehrbehelligen. Im Gegenteil. Ich weiß, daßwir bald auf der Hut sein müssen, damitwir von dem auf uns eindringendenGlücksgefühl nicht erdrückt werden.Oder irre ich mich?«

Assimladja dachte über seine Wortenach.

»Nein, du irrst dich nicht«, antwor-tete sie nach einiger Zeit. »Zu Anfangwerden es nur wenige Menschen sein,die die Lehre Unandats kennen. Aberdann werden es immer mehr werden, bisendlich alle in Unandat aufgehen. DasGlücksgefühl, das die Menschen erfas-sen wird, wird den ganzen Planetenüberschwemmen, und wir werden in derTat aufpassen müssen, daß wir darinnicht untergehen. Du bist ein klugerMann, Usqueesid.«

»Laß uns lieber teleportieren, bevor

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wir sentimental werden«, sagte er spöt-tisch. »Oder?«

Sie erblaute erneut und streckte zö-gernd eine Hand aus. Er ergriff sie.

»Ich freue mich«, sagte er. »Wir ha-ben eine schöne Aufgabe.«

»Hoffentlich gibt es nicht so viele ge-fährliche Menschen wie jener, durchdessen Schuld das Raumschiff zerstörtwurde.«

»Es gibt bestimmt nicht viele«, erwi-derte er tröstend. »Ich kann es mir ein-fach nicht vorstellen, denn das wärenicht im Sinn Unandats, der der Anfangund das Ende ist.«

Sie blickten sich an und teleportier-ten.

Das Raumschiff flog weiter. Es bliebauf dem eingeschlagenen Kurs um dieErde, gelenkt vom Autopiloten. Assim-ladja wußte, daß keinerlei Gefahr für dasRaumschiff bestand. Es würde bald nie-manden mehr auf der Erde geben, der esbedrohen konnte.

Die Vorthanier hatten keinerlei Be-denken, den Menschen die Lehre Unan-dats zu bringen. Keiner von ihnen dachteauch nur im entferntesten daran, daß ihrFeldzug für Unandat eine Versklavungder Menschheit bedeuten könnte. Sie allewaren fest davon überzeugt, daß sie denMenschen das höchste Lebensglückbrachten.

*

Morales saß zwischen den beiden Ärz-ten, die hin und wieder ein Wort mitein-ander wechselten. Sie verhielten sich inseinen Augen närrisch. Und je länger erbei ihnen blieb, desto deutlicher wurdeihm bewußt, daß er verloren war, wennsie erst einmal die Klinik erreicht hatten.Man würde ihn in eine Zelle sperren, daman glaubte, er habe den Verstand verlo-ren. Ein Roboter würde ihn physisch

versorgen, und ein Arzt würde die Auf-gabe erhalten, ihn zu behandeln. Da derEinfluß der fremden Macht aber immerdeutlicher wurde, stand für Morales fest,daß sich bald überhaupt kein Arzt mehrum ihn kümmern würde. Dann würde erin der Kabine festsitzen und es nur nochmit einem Roboter zu tun haben, dernicht in der Lage war, ihn daraus zu be-freien.

Vorsichtig beobachtete er die Ärzte.Er war sich nicht ganz klar darüber, inwelchem Zustand sie sich befanden. Wa-ren sie wirklich Herr ihrer selbst oderstanden sie unter dem fremden Einfluß?War dieser Einfluß ständig vorhanden,oder machte er sich nur hin und wiederfür einige Sekunden bemerkbar? Oderwar es umgekehrt? Wurden die Ärzte hinund wieder für einige Sekunden frei?

Der Gleiter landete auf dem Dach derKlinik.

»Steigen Sie aus«, bat einer der bei-den Ärzte freundlich. Seine Augen wa-ren völlig klar. Er zeigte wieder jenesGebaren, mit dem er Morales von An-fang an begegnet war.

Der Indianer gehorchte. Er verließden Gleiter und wartete mit hängendenArmen, bis beide Ärzte ausgestiegen wa-ren. Die Mediziner unterhielten sich überein Konzert, das sie in der Cosmophon-Anlage der Klinik gehört hatten. Moralesbeachtete sie nur am Rande. Einer vonihnen tippte den Indianer an, um ihm zubedeuten, daß er losgehen sollte.

In diesem Moment handelte Morales.Seine rechte Faust fuhr hoch. Sie

schlug krachend gegen das Kinn einesder beiden Mediziner und fällte ihn. Derandere Arzt schreckte zurück.

»Machen Sie doch keinen Unsinn«,bat er verstört. »Was tun Sie denn?«

»Keine Ahnung«, antwortete Mora-les. »Woher soll ich das wissen? Ich bindoch verrückt.«

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Er lachte und stürzte sich auf denMediziner, der ihn mit ungeschicktenArmbewegungen abzuwehren versuchte.Mühelos durchbrach der Indianer dieseVerteidigung. Seine Faust traf den Arztin der Herzgegend. Der Mediziner ver-färbte sich und sackte auf die Knie, sodaß der wesentlich kleinere Indianer ihnbequem mit einem zweiten Schlag be-siegen konnte.

Nun aber war der andere Arzt wiederauf den Beinen. Er umklammerte Mora-les von hinten und versuchte, ihm Mundund Nase zuzudrücken. Er war ein weitgefährlicherer Kämpfer als sein jüngererKollege. Der Indianer drehte sich in sei-nen Armen, ließ sich überraschend aufdie Knie fallen und brachte den Arzt aufdiese Weise in eine Position, in der erum sein Gleichgewicht kämpfen mußte.

Geschickt kroch Morales rückwärtsdurch die Beine des Arztes hindurch. Erstieß die Hände von sich, die ihn gepackthatten und griff nach den Beinen desMediziners. Dieser erwartete, daß er ver-suchen würde, ihn nach vorn umzuwer-fen. Das tat Morales jedoch nicht. Erwechselte eine Hand nach oben undkrallte sie in den Stoff der Jacke desArztes. Dann drückte er einen Fuß gegendas freie Bein seines Gegners und warfdiesen mit einem kräftigen Ruck nachhinten zu Boden. Er rollte sich zur Seite,so daß der Mediziner nicht auf ihn fallenkonnte.

Er hörte, wie der Arzt mit dem Kopfauf den Boden schlug. Langsam richteteer sich auf. Die beiden Mediziner lagenbewußtlos auf dem Dach. Er sah ihnenjedoch an, daß sie bald wieder zu sichkommen würden.

Er eilte zum Gleiter und öffnete denKoffer mit der Notausrüstung. Wie er-hofft, fand er darin einige Ampullen ei-nes leichten Betäubungsmittels, wie esbei Notoperationen nach Verkehrsunfäl-

len benutzt wurde. Sie waren mit einereinfachen Injektionsnadel versehen, dieauf Knopfdruck aus der Ampulle fuhr.

Morales nahm zwei Ampullen undversetzte seinen beiden Gegnern eineleichte Narkose.

Nun wußte er, daß sie für wenigstensfünfzehn Minuten außer Gefecht waren.Das genügte ihm. In dieser Zeit konnteer sich weit von der Klinik entfernt ha-ben.

Er stieg in den Gleiter, startete undbeschleunigte mit Höchstwerten. Erüberlegte, wohin er sich wenden sollte.Die Zukunft sah düster aus für ihn.Fraglos würde bald eine Fahndung nachihm beginnen. Sie würde einem Geistes-kranken gelten. Es bestand jedoch auchdie Gefahr, daß die Raumfahrtbehördeihn beschuldigte, für den Untergang derMIROBE verantwortlich zu sein.

Morales wußte nicht mehr, worauf erhoffen sollte. War es gut für ihn, wenndie Fremden mit ihrem unbekannten Ein-fluß die Verwirrung auf der Erde stei-gerten? Vielleicht geriet darüber in Ver-gessenheit, was mit der MIROBE ge-schehen war. Änderte sich dadurch seinSchicksal aber entscheidend? Was hatteer schon davon, wenn er frei blieb, dieMenschheit aber von einer fremdenMacht aus der Tiefe der Galaxis ver-sklavt wurde?

Er liebäugelte mit dem Gedanken, zuseinen Stammesbrüdern am Rio Brancozu fliegen. Doch er war sich dessen be-wußt, daß man ihn bei den Yanomamözuerst suchen würde.

Er erinnerte sich allzu gut an die ver-ächtlichen Worte Lapoints, des Kom-mandanten. Dieser hatte ihn einmal ge-fragt: »Warum gehst du nicht zu deinerMutter zurück?«

Die Mutter war für ihn der Stammder Yanomamö. Die Mutter war für ihnder Dschungel am Rio Branco, war für

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ihn das einfache Leben unter Eingebore-nen in der Wildnis. In diesen Worten lagauch die Behauptung, daß er als Wildernicht für das Leben unter Zivilisiertengeschaffen war. Mit ihnen hatte Lapointerklärt, daß er am falschen Platz lebte.Und hinter ihnen verbarg sich der ganzeHochmut jener, die in einem anderenLebensbereich aufgewachsen waren.

Morales wußte, daß bei weitem nichtalle so dachten. Er wußte jedoch auch,daß die Zahl derer, die so dachten, nichtgerade gering war. Und auf diese würdeman hören, wenn man darüber disku-tierte, wo man ihn suchen sollte.

Er mußte genau das Gegenteil vondem tun, was sie von ihm erwarteten. Erdurfte nicht in den Urwald fliegen. Ermußte in der Stadt untertauchen. Warnicht auch die Stadt so etwas wie einDschungel?

Morales tippte die Daten von Rio deJaneiro in die Tastatur des Autopilotenein. Dann lehnte er sich in den Polsternzurück und schloß die Augen. Er warmüde.

»Hoffentlich hat der Gleiter keineRückrufautomatik«, dachte er, bevor ereinschlief.

*

Der Gleiter landete auf dem Parkdachder Raumfahrtunterbehörde von Brasili-en in der Provinzhauptstadt Brasilia.

»Alles sieht normal aus«, sagte Tecound blickte hinaus. »Ist es nicht ein we-nig zu früh für einen Angriff?«

Enrico Fardi strich sich nachdenklichmit der Hand über das Kinn. Dannschüttelte er den Kopf.

»Das wird sich zeigen«, sagte er.»Ich habe das Gefühl, daß sich schon inden nächsten Minuten alles verändernwird. Das Fremde ist da. Es hat sich ausdem Weltraum in diese Region telepor-

tiert. Ich spüre es deutlich. Warum solltees noch länger warten?«

»Was wird aus mir?« fragte derZwerg ängstlich.

Der Mutant lächelte beruhigend.»Du stehst unter meinem Schutz,

Kleiner«, sagte er. »Solange du in mei-ner Nähe bleibst, passiert dir nichts.Wenn du dich jedoch von mir entfernensolltest, wird es dir genauso ergehen wieden anderen.«

Sie stiegen aus. Enrico Fardi ging aufeinige Beamten zu, die aus einer Türkamen.

In diesem Moment geschah es.Die eben noch ernst miteinander dis-

kutierenden Beamten blieben stehen. Siesahen plötzlich entspannt und gelöst aus.Sie lächelten. Einer von ihnen ging aufeinen Kasten mit Zierblumen zu undpflückte eine Blüte ab. Verzückt drehteer sie vor dem Gesicht hin und her. Dieanderen waren aufmerksam geworden.Mit geradezu kindischem Eifer eilten siezu ihm, um sich ebenfalls Blumen zupflücken.

»Was ist mit ihnen?« fragte Teco.»Haben sie den Verstand verloren?«

»Es ist das Fremde«, erklärte derMutant. »Es läßt sie in den Blumen eineArt Gottheit sehen.«

»Nicht schlecht«, sagte Teco bewun-dernd. »Wenn alle so denken und han-deln, ist die Welt für sie offen. Sie brau-chen nur noch zu kassieren.«

»Das wäre eine Katastrophe«, erwi-derte Enrico Fardi. »Die menschlicheZivilisation würde zusammenbrechenund sich in nichts auflösen. Soweit darfes nicht kommen. Ich werde den Prozeßvorher abbrechen.«

»Sind Sie sich dessen sicher, daß Siedas auch können?«

Der Mutant schob die Oberlippe vorund wiegte den Kopf hin und her.

»Mir wäre wohler, wenn ich das

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wüßte«, sagte er. »Komm. Wir wollenkeine Zeit verlieren.«

Er zog Teco mit sich. Der Zwerg liefneben ihm her, während er mit weit aus-greifenden Schritten durch die Tür in dasGebäude ging. Einige Männer und Frau-en kamen ihnen entgegen. Sie lächelten.Ihre Augen glänzten.

Der Mutant trat zur Seite, um die Be-einflußten vorbeizulassen.

Teco horchte in sich hinein. Ihm war,als vernehme er eine flüsternde Stimme,die ihm einreden wollte, sich ganz aufPflanzen zu konzentrieren. Ihm war, alssehe er eine blaue Blume vor sich, diesein ganzes Gesichtsfeld ausfüllte.

»Träume nicht«, sagte Enrico Fardiund stieß ihn an. Teco schreckte auf. Imersten Moment wußte er nicht, wo erwar.

»Was ist passiert?« fragte er.Fardi grinste.»Nichts. Das geht jetzt erst los.« Er

marschierte weiter. Schwerfällig schober die Füße über den Boden, bewegtesich aber dennoch schnell voran, so daßder Zwerg Mühe hatte, bei ihm zu blei-ben. Teco atmete auf, als sie endlich ei-nen Antigravschacht erreicht hatten, dernach oben gepolt war. Zusammen mitdem Mutanten stieg er ein und ließ sichin die Höhe tragen. Außer ihnen hieltsich niemand im Schacht auf.

Sie verließen ihn auf der Ministeria-lebene. Hier hatten jene Männer undFrauen ihre Büros, mit denen EnricoFardi es bei seinen Auseinandersetzun-gen, um mehr Vorteile für die Raumfah-rer herauszuschlagen, zu tun hatte.

Fardi betrat ein großräumiges Büro,in dem sich nur ein Mann aufhielt. EinSchild auf seinem Arbeitstisch wies ihnals den höchsten Beamten des südameri-kanischen Kontinents für die Belangeder Raumfahrt aus.

»Guten Morgen, Santana«, sagte En-

rico Fardi. »Wie ich sehe, geht es Ihnengut.«

Der Beamte lag bäuchlings auf demTeppich und drehte verzückt ein paarBlumen in den Händen, die er aus einerVase genommen hatte. Die Vase warumgestürzt und zerbrochen. Wasser hattesich über den Teppich ergossen.

Santana reagierte nicht. Lächelndsprach er mit den Blumen in seinenHänden. Teco hörte, daß er etwas vonUnandat sagte.

»Wer ist Unandat?« fragte er, dochder Mutant gab ihm keine Antwort.

Enrico Fardi ging zum Arbeitstischdes Beamten und setzte sich in den Ses-sel, der dahinter stand. Gelassen prüfteer die Dokumente, die auf dem Tisch ineiner Mappe lagen. Eines davon falteteer zusammen und steckte es ein.

»Was ist das?« fragte der Zwerg. Erbewegte sich tänzelnd um den am Bodenliegenden Beamten herum.

»Eine Verfügung des Raumfahrtmi-nisteriums. Sie paßt mir nicht«, antwor-tete der Mutant. »Ebensowenig wie diesehier.«

Teco ging zu ihm und betrachtete dasDokument, das der Mutant ihm zeigte.

»Dabei genügt es jedoch nicht, eseinfach verschwinden zu lassen. Ich mußmir etwas mehr Mühe damit geben.«

»Was haben Sie vor?«»Ich werde es ein wenig verändern.«

Der Mutant beugte sich tief über dasDokument. Er schloß die Augen.

Teco beobachtete, wie sich die Buch-staben und Zahlen in dem unterzeichne-ten und abgestempelten Dokument ver-änderten. Neue Buchstaben und Worteformten sich. Neue Sätze entstanden.

»Genügt das?« fragte der Zwerg, alsEnrico Fardi sich schließlich wieder auf-richtete. »Ich meine, es gibt doch sicher-lich Kopien davon. Sie sind so gebliebenwie das Original.«

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Der Mutant lächelte. Er blickte aufden Beamten, der noch immer auf demBoden lag und mit den Blumen spielte.

»Na und?« fragte er. »Notfalls werdeich sie als Fälschungen zurückweisen.«

Er legte seine Hand auf das verän-derte Dokument.

»Dies hier ist das Original. Es ist miteiner Schreibmaschine geschrieben wor-den. Schreibmaschinen bringen abernicht nur Farbe auf das Papier, sondernhinterlassen bei jedem Buchstaben aucheinen feinen Eindruck im Papier. Fäl-schungen kann man mühelos dadurchentlarven, indem man diese Spuren imPapier mit den Buchstaben vergleicht.Bei diesem Dokument hier stimmt allesüberein. Ich habe nicht nur die Buchsta-ben ausgelöscht und durch neue ersetzt,ich habe auch die Eindrücke im Papierentsprechend geändert. So kann niemandbeweisen, daß dies die Fälschung ist.«

Er griff zu einem anderen Dokument.»Sie sind erledigt«, sagte er. »Jetzt

kann man mich nicht mehr aufhalten. Ichhabe mich soeben zum Hauptbevoll-mächtigten des südamerikanischen Kon-tinents ernannt. Aber das ist erst der An-fang. Danach werde ich Kontinent fürKontinent erobern, bis ich Herr über dieErde bin.«

»Herr über eine Erde, die aus allenFugen geraten ist«, bemerkte Teco miteinem Seitenblick auf den Beamten aufdem Fußboden.

»Das spielt keine Rolle. Das ist nurvorübergehend. Ich werde dieses Pro-blem rechtzeitig lösen.«

Der Beamte erhob sich, drückte sichdie Blumen verzückt gegen das Gesichtund verließ den Raum.

»Wohin geht er?« fragte der Zwerg.»In den Wald, vermute ich«, ant-

wortete der Mutant rätselhaft. »Er machtes wie die anderen.«

Dann wandte er sich wieder den Pa-

pieren auf dem Arbeitstisch zu. Er schienvergessen zu haben, was um ihn herumpassierte. Teco blieb noch einige Minu-ten bei ihm am Arbeitstisch. Dann wurdees ihm langweilig. Er ging zu dem gro-ßen Fenster, das eine Wand des Raumeseinnahm. Durch die Scheiben konnte erauf Brasilia hinabsehen. Die Stadt, dieeinst die Hauptstadt von Brasilien gewe-sen war, hatte nichts mehr von ihrem ur-sprünglichen Aussehen an sich. Tecokannte das Bild, das Brasilia in der Ver-gangenheit einmal geboten hatte, aus denGeschichtsbüchern.

Doch er dachte nicht darüber nach,warum sich alles verändert hatte.

Er hatte nur Augen für die Men-schenmassen, die aus den verschiedenenGebäuden strömten. Auf den erstenBlick sah es so aus, als verließen dieMenschen ihre Arbeitsstätten, um in ihreWohnungen zurückzukehren. Doch dasBild täuschte.

Niemand stieg in einen Gleiter, wiees normal gewesen wäre. Die Menschengingen alle zu Fuß. Und alle bewegtensich in Richtung der Außenbezirke.

Es war, wie Enrico Fardi gesagt hat-te.

Die Menschen verließen die Stadt.Sie strömten in den Wald. Dieser warallerdings so weit von dem Büro ent-fernt, in dem Teco sich befand, daß erihn kaum noch sehen konnte. Aber ersah die endlos erscheinenden Schlangen,die die Menschen bei ihrem Marsch zumWald bildeten.

Teco drehte sich um.»Was soll das?« fragte er verwirrt.

»Ich verstehe das nicht. Was wollen sieim Wald?«

Der Mutant lehnte sich in seinemSessel zurück. Es wurde still im Raum.Zunächst wußte Teco nicht, was passiertwar, bis Fardi auf das Gitter der Klima-anlage zeigte.

Page 23: Kinder der blauen Blume

Die Klimaanlage war ausgefallen.Teco griff sich an den Kopf. Jetzt

ging ihm auf, was geschah. Der Ausfallder Klimaanlage signalisierte den Be-ginn einer Katastrophe.

4.

Morales fiel auf, daß sich über Rio deJaneiro keine Gleiter bewegten. Das warabsolut ungewöhnlich. Noch niemals zu-vor hatte der Indianer so etwas gesehen.Er kannte überhaupt keine Stadt auf derErde, über der sich keine Gleiter in derLuft befanden. So machte Rio de Janeiroauf den ersten Blick den Eindruck einerausgestorbenen, menschenleeren Stadt.

Bald jedoch bemerkte Morales, daßdieser erste Eindruck täuschte. In denStraßen der Außenbezirke wimmelte esvon Menschen. Die ganze Stadt schienauf den Beinen zu sein. Und alle Men-schen drängten sich aus der Stadt heraus,als sei in ihr die Pest ausgebrochen.

Morales fand keine Erklärung für dasVerhalten der Bewohner von Rio de Ja-neiro. Er ließ den Gleiter tiefer sinken,bis er in einer Höhe von nur etwa zehnMetern über die Köpfe der Menge hin-wegflog. Niemand blickte zu ihm hoch.Niemand schien ihn zu bemerken.

Der Indianer sah, daß viele Men-schen die Gärten der Vorortvillen ge-stürmt hatten. Einige lagen auf dem Bo-den. Waren sie tot? Waren sie von derMenge zertrampelt worden?

Einige klammerten sich an dieStämme der Bäume. Sie zeigten dasgleiche verklärte Aussehen, das ihmauch bei den Ärzten und beim Personalder Raumabwehr aufgefallen war.

Er horchte in sich hinein, vernahmjedoch nichts.

Er flog langsam weiter, wobei erständig nach links und rechts blickte. Die

sorgsam angelegten Gärten waren zer-stört worden. Einige Male beobachteteer, daß Männer und Frauen Pflanzen aus-rissen, um sie sich ins Haar zu winden.Blumenbeete waren restlos geplündertworden. Nicht einmal Unkraut war ver-schont worden, und die meisten Bäumehatten keine Blätter mehr.

Morales fühlte, wie es ihm kalt überden Rücken lief.

In diesem Chaos würde es ihm leicht-fallen, sich zu verstecken. Eine Ordnunggab es nicht mehr. Deshalb würde esniemandem gelingen, ihn hier aufzuspü-ren. Er war sich dessen bewußt, daß je-mand, der noch frei von diesem Wahnwar, ihn sofort mit seinem Gleiter ent-decken würde. Solange er in der Ma-schine blieb, mußte er jedem auffallen,der noch klar denken konnte.

Gab es aber noch jemanden in Rio deJaneiro, der frei war? Waren nicht allebereits diesem unerklärlichen Wahn ver-fallen?

Unweit von ihm explodierte etwas ineinem kleinen Bungalow. Morales sah,wie das Dach des Hauses in die Luft flogund in viele Einzelteile zerbarst. Flam-men schlugen aus den Fenstern, undzwei weitere Explosionen folgten, diezerstörten, was, noch heilgeblieben war.

Doch niemand kümmerte sich umdas Haus. Die Menschen wanderten dar-an vorbei, als sei nichts geschehen. Nie-mand versuchte, den herabregnendenTrümmerstücken auszuweichen. Moralessah, daß eine Frau von einer herabstür-zenden Dachplatte an der Schulter ge-troffen und zu Boden geworfen wurde.Die Männer und Frauen, die sich durchdie Straße bewegten, kümmerten sichnicht um sie.

Der Indianer konnte nicht zusehen,wie sie verblutete. Kurzentschlossenlandete er in einem Vorgarten, der vonPflanzen restlos befreit worden war. Er

Page 24: Kinder der blauen Blume

sprang aus dem Gleiter und schob sichdurch die Menschenmassen zu der Frauhin. Er beugte sich über sie, um sie auf-zuheben, als er bemerkte, daß ihre Au-gen bereits gebrochen waren. Es war zuspät.

Jemand stieß ihm ein Knie in denRücken. Er verlor das Gleichgewichtund stürzte zu Boden. Bevor er sich er-heben konnte, trat ihm jemand auf dieHand. Ein anderer setzte ihm den Fußauf den Rücken und ging über ihn hin-weg, als sei er ein totes Hindernis.

Panik kam in ihm auf.Er versuchte, aufzustehen, aber im-

mer wieder war da ein Fuß, der ihn traf,so daß er immer wieder stürzte.

Er kroch über den Boden, und erschrie gellend auf, als ihm ein schwer-gewichtiger Mann auf die Fingerspitzentrampelte. Der Mann blieb stehen undblickte zu ihm herab, während Moralesversuchte, seine Finger unter seinemStiefel hervorzuziehen.

»Was ist denn?« fragte der Mann.Seine Augen glänzten wie im Fieber.Sein Mund stand offen. Wirr hing ihmdas Haar ins Gesicht.

»Meine Finger«, schrie der Indianer,während andere Füße seinen Leib trafen.

»Was?« Der Mann hob seinen Fußund ging weiter, ohne begriffen zu ha-ben, was er getan hatte.

Morales erkannte, daß ihm nun nurnoch nackte Gewalt half. Er schnelltesich mit aller Kraft hoch und schlug ei-nem Mann die Faust in den Magen, be-vor er ihn erneut umrennen konnte. DerMann taumelte stöhnend zurück, breitetedie Arme haltsuchend aus und behin-derte damit die Nachdrängenden.

Morales nutzte die Chance, die sichihm bot. Er rannte los und drängte sichrücksichtslos durch die Menge. Er stießund boxte jeden aus dem Weg, der ihnaufhalten wollte.

Er hatte nur ein Bestreben. Er wolltein die sichere Kabine seines Gleiters zu-rück. Und er schwor sich, niemandem zuhelfen, der durch das Verhalten derMenge in Gefahr geriet.

Als er bis auf zehn Meter an seinenGleiter herangekommen war, glaubte er,es geschafft zu haben.

In diesem Moment tauchte ein riesi-ger Neger neben der Maschine auf. Ihmsah Morales sofort an, daß er völlig klarund unbeeinflußt war.

»Halt«, schrie er. »Weg von der Ma-schine.«

Der Neger blieb stehen, drehte sichum und blickte ihn überrascht an. Erschien nicht damit gerechnet zu haben,jemandem zu begegnen, der frei war. Alser sah, daß ihn ein Indianer vom Gleiterzurückhalten wollte, setzte er ein ver-ächtliches Lächeln auf.

»Was machst du hier?« fragte er her-ablassend. »Seit wann laufen Indianeraußerhalb des Dschungels herum?«

Morales hatte es satt, sich als primi-tiven Wilden ansehen zu lassen. Er rich-tete sich stolz auf.

»Bueno«, sagte er. »Ich habe begrif-fen.«

»Was hast du begriffen?« fragte derNeger.

Morales zeigte auf die Menschen, diean ihnen vorbeiströmten.

»Sie alle stehen unter dem parapsy-chischen Einfluß einer fremden Macht«,erklärte er. »Diese Macht ist aus demKosmos gekommen. Das weiß ich ge-nau. Selbst ein Narr wie du sollte er-kannt haben, daß das Verhalten dieserMenschen anomal ist, und daß ich michvöllig normal bewege. Statt mir Zusam-menarbeit anzubieten, beschimpfst dumich.«

Der Neger lächelte.»Ich wußte, daß du betteln würdest.

Geh in den Urwald, Kleiner. Aber laß

Page 25: Kinder der blauen Blume

mich in Ruhe.«Er wandte Morales den Rücken zu

und wollte in den Gleiter steigen. DerIndianer rannte auf ihn zu, schnellte sichin die Höhe und sprang ihm mit den Fü-ßen in den Nacken.

Der Neger stürzte vornüber in denGleiter. Mühsam drehte er sich um, wäh-rend Morales, der auf den Boden gefal-len war, sich bereits wieder aufrichtete.Er packte den Koloß bei den Füßen undriß ihn mit einem Rück aus der Kabineheraus. Dann sprang er ihm auf die Brustund hüpfte von hier aus in den Gleiterhinein. Er schlug die Tür hinter sich zu,verriegelte sie und setzte sich hinter dieSteuerelemente.

Als der Neger sich neben der Ma-schine aufrichtete, startete Morales undflüchtete. Für ihn war jetzt klar, wohin ersich wenden mußte. Dorthin, wo am we-nigsten Menschen waren. Zum Stadt-zentrum.

*

»Wir sind noch nicht fertig hier«, sagteEnrico Fardi, als Teco zur Tür ging.»Wir haben noch mehr zu erledigen.«

»Kann ich behilflich sein?« fragteder Zwerg. Er wartete an der Tür. DerMutant kam zu ihm.

»Das wird sich zeigen«, sagte er.»Komm.«

Sie eilten den Gang entlang zum An-tigravschacht. Ein rotes Licht leuchtetedarüber. Es zeigte an, daß der Schachtnicht benutzt werden konnte, da keinAntigravfeld mehr bestand.

»Das macht überhaupt nichts«, sagteFardi. »Im Gegenteil. Das kommt mei-nen Plänen sehr entgegen.«

Sie liefen sechs Treppen hinunter.»Hier ist das Sicherheitsministeri-

um«, stellte Teco fest. »Was suchen wirhier?«

»Jaco Fabiolo«, erwiderte der Mutantund eilte mit schlurfenden Schrittenweiter. »Den obersten Ankläger der Pro-vinz. Ein Intimfeind, Teco. Du solltest eseigentlich wissen.«

Sie näherten sich einer Infrarot-schranke. Enrico Fardi streckte eineHand aus. Der Zwerg ergriff sie undführte den Mutanten, der die Augenschloß und sich auf die Infrarotschrankekonzentrierte, um zu verhindern, daß siereagierte und eine Kontrollkamera ein-schaltete. Niemand durfte später auf ei-nem Film sehen, daß er hiergewesenwar.

Die beiden ungleichen Männer pas-sierten die Kontrolle und erreichten dieTür am Ende des Ganges. Fardi öffnetesie. In einem Büro saß eine Frau in ei-nem Sessel. Sie hielt die Augen ge-schlossen. Eine Orchidee lag über ihremGesicht. Deutlich hörbar atmete die Fraudurch die Nase ein und aus. Sie sog denDuft der Blume in sich hinein.

»Hallo, Annita«, sagte der Mutant.Sie reagierte nicht.

Fardi eilte schlurfend an ihr vorbei zueiner weiteren Tür und stieß sie auf. Aneinem ausladenden Arbeitstisch saß einkorpulenter, dunkelhäutiger Mann. Erblickte kurz auf, als der Mutant und derZwerg eintraten, aber er erfaßte nicht,was geschah.

Fardi blieb neben der Tür stehen. Erlehnte sich mit dem Rücken an dieWand. Seine Augen vergrößerten sich,und sein Gesicht wurde bleich, als ersich auf Staatsanwalt Jaco Fabiolo kon-zentrierte.

»Dies ist das erstemal, daß ich dichohne Beschützer erwische«, sagte er tri-umphierend. »Eine weitere Begegnungwird es für uns nicht mehr geben.«

Fabiolo erhob sich mit marionetten-haften Bewegungen.

»Was soll ich tun?« fragte er mit

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tonloser Stimme, ohne den Mutanten an-zusehen.

»Geh hinaus«, befahl Fardi leise.Der Beamte gehorchte. Mit seltsam

ungelenken Bewegungen kam er hinterseinem Schreibtisch hervor und verließdas Zimmer. Er ging an seiner Sekretärinvorbei, ohne daß diese etwas merkte. En-rico Fardi führte ihn auf den Gang hin-aus.

»Und jetzt?« fragte der Staatsanwalt.»Geh weiter«, befahl der Mutant.

»Immer weiter. Geradeaus.«Sein Opfer gehorchte. Es ging weiter.

Direkt auf den Antigravschacht zu. Eini-ge Male verzögerte es seine Schritte, soals kämpfe es gegen den fremden Willenan, der es zwang, etwas zu tun, was esnicht wollte. Doch Enrico Fardi warstärker.

Der Mutant trieb Fabiolo mit seinenparapsychischen Sinnen in den Anti-gravschacht hinein. Dieses, Mal blok-kierte er die Infrarotbrücke nicht, so daßsich die Kamera einschaltete. Das Objekterfaßte jedoch nur den Staatsanwalt, derin den Antrigravschacht stürzte. JacoFabiolo fiel in die Tiefe, ohne einen Lautvon sich zu geben. Vermutlich erfaßte ernoch nicht einmal, was geschah.

Enrico Fardi kehrte ohne äußeresZeichen einer Gefühlsregung in das Bürodes Staatsanwalts zurück. Die Sekretärinhatte ihren Platz verlassen. Mit ver-zückter Miene schritt sie aus ihrem Ar-beitszimmer auf den Gang hinaus.

Der Zwerg folgte ihr und blickte ihrnach.

Er war versucht, sie zurückzurufenoder zu warnen, als er merkte, daß auchsie das rote Licht nicht beachtete. Docheine schwere Hand legte sich über seinGesicht und hinderte ihn daran. Durchzwei Finger hindurch beobachtete Teco,wie sie in den Antigravschacht ging undabstürzte, so wie zuvor ihr Vorgesetzter.

Er erschauerte und zwang sich, andas Leben zu denken, was ihn erwartete,wenn Enrico Fardi sein Ziel erreichte.

Der Mutant ließ ihn los. Er lachtedunkel.

»Nur keine Nerven zeigen«, sagte erund zeigte ihm damit deutlich an, daßihm nicht entgangen war, was Teco emp-funden hatte.

»Komm«, sagte der Mutant undkehrte in das Büro des Anklägers zurück.Mühelos öffnete er mit seinen parapsy-chischen Kräften das komplizierteSchloß eines Panzerraums, der sich demArbeitszimmer anschloß. Ebenso über-wand er die zusätzlichen Sicherungenund Überwachungsanlagen.

»Warum gehen wir nicht?« fragte derZwerg.

»Weil wir hier noch viel zu tun ha-ben«, antwortete Fardi. Er betrat denRaum, der in zwei Hauptabschnitte ge-gliedert war, in ein Archiv- und in einDokumententeil. Der Mutant interes-sierte sich zunächst nur für das Archiv.Er betätigte die Tastatur des Computerstelekinetisch, so daß keine Spuren zu-rückblieben, und rief die von ihm ge-speicherten Daten ab. Auf einem Bild-schirm erschien alles, was dem oberstenAnkläger von ihm bekannt war.

»Unangenehm«, sagte Fardi. »DerMensch hat sich systematisch daraufvorbereitet, mich zu vernichten.«

Teco blickte auf den Bildschirm, under erfuhr mehr, als ihm in all den Jahrenan der Seite des Mutanten bekanntge-worden war. Er erschauerte erneut. Enri-co Fardi war skrupellos. Das hatte erimmer gewußt. Aber er hatte nicht ge-wußt, mit welch beispielloser Härte derMutant seine Karriere aufgebaut hatte.

Fardi lachte leise.»Siehst du, Teco. Der Mensch hatte

nur Vermutungen, aber keine klarenBeweise.«

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»Stimmt das alles, was da steht?«»Ich kann es nicht leugnen.« Die

Schrift verschwand vom Bildschirm. En-rico Fardi nahm Manipulationen direktam Magnetband vor. Als wenig späterabermals der Auszug aus der Akte desMutanten auf dem Bildschirm erschien,gab es darin fast nur noch positive An-gaben.

Teco war verblüfft. Er hatte nicht fürmöglich gehalten, daß der Mutant derartkomplizierte Eingriffe vornehmenkonnte. Enrico Fardi war mit sich zufrie-den. Lächelnd wandte er sich den Aktenseiner Freunde und Helfer zu. Auch übersie hatte der Ankläger allerlei Daten ge-sammelt, die ein denkbar negatives Bildergaben. Der Mutant änderte auch dieseAufzeichnungen, so daß der Nachfolgerdes Getöteten mit völlig falschen Infor-mationen versehen wurde.

Aber auch jetzt war Fardi noch nichtzufrieden. Er öffnete die Dokumenten-tresore: Er war entschlossen, die Gunstder Stunde so gut wie nur möglich zunutzen.

*

Die Innenstadt von Rio de Janeiro war soleer, wie Morales es erwartet hatte.Zahllose Gleiter parkten auf den Dä-chern und in den Straßenschluchten. Dieöffentlichen Verkehrsmittel lagen still.Ein riesiges Bürogebäude brannte. DieFlammen sprangen zu anderen Gebäu-den über, da sich niemand bemühte, denBrand einzudämmen oder die anderenHäuser zu schützen. Von See her wehteeine steife Brise, die alles noch vielschlimmer machte. Wenn der Wind nichtdrehte, würde der größte Teil der Stadtin einigen Tagen in Schutt und Ascheliegen.

Das erkannte Morales ganz klar.Er umkreiste das brennende Büroge-

bäude in weitem Bogen und überlegte,was er tun konnte. Rio de Janeiro hatte,wie jede größere Stadt auf der Erdeauch, eine weitgehend roboterisierteFeuerwehr. Diese arbeitete jedoch nichtselbsttätig, sondern mußte von einemsorgfältig geschulten Einsatzkommandogeleitet werden. Dieses aber, so vermu-tete Morales, befand sich ebenfalls aufdem rätselhaften Marsch aus der Stadtheraus.

Unwillkürlich fragte er sich, wie esin anderen Städten Südamerikas und derganzen Welt aussah. Wanderten dieMenschen überall auf der Erde aus denStädten heraus? Morales entdeckte dasB ü r o g e b ä u d e d e r M I R O B E -Transportgesellschaft. Er landete aufdem Parkdach, ohne lange über denGrund nachzudenken. Die MIROBE warihm etwas Vertrautes, und er versuchteinstinktiv, sich an ihr zu orientieren.

Er verließ den Gleiter und eilte überdas Parkdach zur Eingangstür. Sie warunverschlossen. Auf dem Boden lagenPapierbecher, Asche und Speisenresteherum.

Morales betrat das Gebäude undüberlegte, wohin er sich wenden sollte.Er kannte sich hier nicht aus. Er war ineinem Zweigbüro in Sao Paulo einge-stellt worden.

Zögernd stieg er in den Antigrav-schacht, ließ sich darin absinken undentschloß sich dann kurzerhand, in derDirektionsetage auszusteigen. Er wan-derte durch die luxuriös eingerichtetenRäume und Hallen, ohne auf einen Men-schen zu stoßen. Auch hier waren dieSpuren eines allgemeinen Aufbruchsdeutlich.

Umgestürzte Blumentöpfe, Klei-dungsstücke und achtlos weggeworfeneKleinstcomputer lagen auf den Teppi-chen herum. Alle Türen standen offen.Einige Videogeräte waren eingeschaltet.

Page 28: Kinder der blauen Blume

Auf den Bildschirmen war jedoch nie-mand zu sehen.

Morales setzte sich in den gepolster-ten Sessel in einem Büro, das ihm riesigerschien. Er wußte nicht, wer hier gear-beitet hatte, schloß jedoch aus der erle-senen Einrichtung, daß es ein besonderswichtiger Mann gewesen sein mußte.

Er forderte die wichtigsten Rufnum-mern von Montevideo an und rief eineihm bekannte, große Firma in dieserStadt an. Die Verbindung kam augen-blicklich zustande, brach jedoch sofortwieder zusammen.

Morales versuchte es erneut. DiesesMal meldete sich der Teilnehmer nicht.Auch alle weiteren Versuche, mit Mon-tevideo zu sprechen, scheiterten.

Der Indianer schloß daraus, daß es inMontevideo ähnlich aussah wie in Riode Janeiro.

Er rief nacheinander Lima, Bogotaund Mexiko-City an, aber ohne Erfolg.

Danach wandte er sich an die großenStädte Nordamerikas und Kanadas.

Niemand antwortete ihm.Er lehnte sich im Sessel zurück und

fuhr sich mit beiden Händen über dasschweißnasse Gesicht.

Bis zu diesen Minuten hatte er sichkeine wahre Vorstellung von der Kata-strophe gemacht, die über die Erde ge-kommen war. Jetzt wagte er es nicht, Eu-ropa anzurufen, weil er fürchtete, daßauch dieser Kontinent schweigen würde.

Einer spontanen Eingebung folgend,wandte er sich an die Raumstationen, diesich in einer Kreisbahn um die Erde be-wegten, weil er sich sagte, daß die Men-schen dort nicht weglaufen konnten. Siehatten nicht die Möglichkeit, in die freieNatur hinauszuflüchten.

Er atmete erleichtert auf, als sich einblondes Mädchen auf seinen Anruf mel-dete.

»Ich habe es schon nicht mehr für

möglich gehalten, daß ich mit jemandemsprechen kann«, sagte er und fuhr sichmit der Hand durch das blauschwarzeHaar. »Endlich. Sie ahnen nicht, wiefroh ich bin.«

Sie lächelte nur.»Ich brauche einen Rat«, fuhr er fort.

»Hier auf der Erde ist der Teufel los.Nichts funktioniert mehr. Die Menschenverlassen die Städte.«

Er stutzte.»Sagen Sie, hören Sie mir überhaupt

zu?« fragte er.Sie blickte ihn freundlich lächelnd

an. Ihre blauen Augen leuchteten in ei-nem eigenartigen Licht.

»Lieben Sie Blumen?«Er zögerte.»Ja«, antwortete er schließlich.»Die blauen Blumen sind am schön-

sten«, fuhr sie fort. »Haben Sie die blau-en Blumen gesehen?«

»Mein Gott«, sagte er. »Ich glaube,ich werde wahnsinnig.«

Er richtete sich auf.»Hören Sie mir doch zu«, brüllte er

ins Mikrophon. »Nehmen Sie sich zu-sammen und denken Sie nicht nur anBlumen. Es gibt wichtigere Dinge alsBlumen.«

Sie schüttelte den Kopf.»Oh nein«, erwiderte sie sanft ta-

delnd. »Die Blumen sind allein wichtig.«»Geben Sie mir Ihren Boß«, forderte

er.»Es gibt keinen Boß mehr«, erklärte

sie. »Es gibt nur noch Unandat. Unterihm sind wir alle gleich.«

»Ich bin bloß ein Indianer aus demDschungel.« Er versuchte, sie zu provo-zieren und auf diese Weise aufzurütteln.

»Vor Unandat sind alle gleich«, wie-derholte sie. »Aber wenn Sie Indianersind, dann sind Sie der blauen Blumenäher als wir. Sie Glücklicher.«

Er hielt es nicht mehr aus. Er schal-

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tete ab.Verzweifelt blieb er im Sessel sitzen.

Er wußte, daß die Menschheit verlorenwar. Es gab keinen Ausweg mehr. Wersollte das Fremde noch aufhalten, das dieMenschen beeinflußte? Niemand konntedas. Auch er nicht, obwohl er immungegen ihre parapsychischen Kräfte war.

Oder gab es doch eine Möglichkeit,ihnen zu widerstehen?

Morales erhob sich. Es hielt ihn nichtmehr im Sessel. Er brauchte Bewegung.Nachdenklich ging er im Zimmer aufund ab.

Was konnte er denn schon tun? Sollteer gegen eine Macht kämpfen, die sichirgendwo auf der Welt verbarg? Wosollte er mit der Suche beginnen, undwas sollte er tun, falls es ihm gelang, dieFremden tatsächlich zu finden?

Sollte er mit der Waffe in der Handgegen sie vorgehen? Er hatte noch nie-mals im Leben eine Waffe in der Handgehabt, ausgenommen Jagdgewehre, under wußte auch gar nicht, wie man damitumging. Woher, so fragte er sich, sollteer auch eine Waffe nehmen?

Kaum hatte er sich diese Frage ge-stellt, als er sich dessen bewußt war, wiewenig er begriffen hatte, wie es in derStadt aussah. Er konnte alles haben, waser wollte. Er brauchte nur dorthin zu ge-hen, wo alles herumlag.

Eine Waffe konnte er sich auf denPolizeistationen holen oder in den Un-terkünften der Militärs. Geld konnte ersich beschaffen, soviel er wollte. Erkannte sich mit dem Kreditsystem aus.Daher spielte er minutenlang mit demGedanken, die Daten bei den Banken zumanipulieren, bis er sich dessen bewußtwar, daß diese Maßnahme völlig sinnloswar. Was half ihm ein Millionenkonto,wenn eine fremde Macht aus dem Kos-mos bestimmte, was auf der Erde ge-schah?

Er konnte sich einen Lastengleiternehmen und ihn in den Warenhäusernmit allem vollpacken, was er habenwollte. Aber was sollte er mit diesenDingen, wenn es kein Versteck gab, indem er leben konnte? Als Versteck kamfür ihn nur ein Schlupfwinkel imDschungel des Amazonasbeckens inFrage. Wie aber sah es dort aus? Warendie Menschen dort auch schon versklavt?Und würden die Fremden nicht nach ei-niger Zeit systematisch nach solchenMenschen suchen, die ihren geheimnis-vollen Kräften widerstanden?

Sie mußten es tun, wenn sie ihreMacht festigen und erhalten wollten.

Morales setzte sich wieder.Vielleicht war es das beste, wenn er

hier in der Stadt blieb und einfach nurabwartete. Hilfe konnte nur von außenkommen. Zum Imperium gehörten über400 Planeten, von denen die meisten al-lerdings nur dünn besiedelt waren. Im-merhin verfügte das Imperium über einegewaltige Raumflotte. Diese mußte frü-her oder später aufmerksam werden.Und sie würde eingreifen. Daran zwei-felte Morales nicht.

Er verließ das Büro. Nach einigerZeit hatte er einen Eßsalon gefunden. Inder dazugehörigen Küche entdeckte ererlesene Speisen, die in einer computer-gesteuerten Anrichte rasch zubereitetwaren. Als er sie verzehrte, wurde ihmbewußt, daß auch von der Raumflottekeine Hilfe zu erwarten war.

»Sobald die Schiffe mit ihrer Besat-zung in die Nähe der Erde kommen, ge-raten sie unter den Einfluß der Fremden.Und dann ist es aus«, sagte der Indianerlaut.

Er schob den Teller mit den gegrill-ten Filetspitzen von sich. Plötzlich hatteer keinen Appetit mehr.

Page 30: Kinder der blauen Blume

5.

Das einzige Mitglied der ORION-Crew,das sich noch im Sonnensystem befand,war Atan Shubashi.

Er wartete seit einigen Tagen in derORION IX auf dem Mars auf die Rück-kehr der Crew, die den Schnellen Raum-kreuzer verlassen hatte, um eine der Be-reitschaftsstellungen der Invasionsarmeeder Rudraja zu untersuchen.

Atan Shubashi hatte die Aufgabe,über Funk Kontakt mit den Freundenund mit anderen Raumschiffen der terre-strischen Flotte sowie dem Hauptquartierauf der Erde zu halten. Cliff McLaneund seine Begleiter waren auf einenTransmitter gestoßen, der von TECOMals Ferntransmitter identifiziert wordenwar, nachdem entsprechende Informa-tionen zur Erde gefunkt worden waren.

Obwohl Atan Shubashi die Freundeeingehend davor gewarnt hatte, denTransmitter zu benutzen, waren CliffMcLane und seine Begleiter zu dem un-bekannten Ziel aufgebrochen. Sie warenin den Transmitter gegangen.

Von diesem Zeitpunkt an war dieVerbindung abgebrochen.

Atan Shubashi hatte einige MaleVerbindung mit der Erde aufgenommen.Wesentliches hatte sich jedoch nicht er-eignet. Da nun aber schon einige Tageverstrichen waren, ohne daß CliffMcLane sich zurückgemeldet hatte, ent-schloß sich Atan, den Galaktischen Si-cherheitsdienst zu verständigen.

Tunaka Katsuro, der Direktor desGSD, hatte sich entschlossen, zusammenmit einigen Assistenten selbst zum Marszu fliegen.

In der ORION IX wartete Atan Shu-bashi unruhig auf dieses Kommando,von dem er sich Hilfe erhoffte.

Seit über zwanzig Stunden hatte erkeine Verbindung mehr zur Erde gehabt.

Er wußte nicht, was sich dort inzwischenereignet hatte, und er spürte nichts vondem geistigen Einfluß der Vorthanier.Auch Tunaka Katsuro und seine Männerwaren völlig ahnungslos, als sie in derNähe der ORION IX landeten. Sie alleglaubten zu diesem Zeitpunkt noch, daßauf der Erde alles normal sei.

Atan Shubashi atmete auf, als Tuna-ka Katsuro endlich mit seinen Assisten-ten in der Nähe der ORION IX landete.Er legte einen Raumanzug an und ver-ließ den Schnellen Raumkreuzer. Alleswar besprochen. Nun brauchten nichtmehr viele Worte gewechselt zu werden.

Katsuro hatte fünf Männer bei sich.Sie alle waren perfekt ausgebildete Assi-stenten, die ein hervorragendes Einsatz-kommando bildeten.

Atan Shubashi begrüßte sie außer-halb der ORION und machte sich sofortzusammen mit ihnen auf den Weg in die15 Kilometer tiefe Schlucht. Weil CliffMcLane und seine Begleiter ihn bei demAbstieg in die Schlucht ständig infor-miert hatten, wußte er recht gut Be-scheid. So kamen er und die Männervom GSD wesentlich schneller voran,als zuvor die Freunde.

Die ORION-Crew hatte alle Sicher-heits- und Abwehrsysteme überwundenund unschädlich gemacht, so daß Atansich mit solchen Dingen nicht zu befas-sen brauchte.

So erreichte das Kommando die ver-lassene Transmitterstation der Rudrajawesentlich schneller als die Crew, dieeinige Tage vorher abgestiegen war.

Vorsichtig drangen sie in die Stationein. Sie waren ständig darauf gefaßt, an-gegriffen zu werden. Doch niemandstellte sich ihnen in den Weg. Ungehin-dert gelangten sie bis an den Transmitter,durch den Cliff McLane und seineFreunde verschwunden waren.

»Und was jetzt?« fragte Shubashi.

Page 31: Kinder der blauen Blume

»Abwarten«, entgegnete der Direktor desGSD gelassen.

Seine Assistenten untersuchten denTransmitter. Schon wenig später meldeteeiner von ihnen: »Das Gerät ist umgepoltworden. Wir können McLane nicht fol-gen.«

»Ist das sicher?« fragte Atan Shu-bashi.

Der Assistent, der die Auskunft ge-geben hatte, hob die Arme.

»Sicher ist nichts«, antwortete er.»Wir können nur vermuten, daß derTransmitter sich entweder selbst umge-polt, also auf Empfang geschaltet hat,oder daß diese Umstellung von der Ge-genstation aus vorgenommen worden ist.Tatsache aber ist, daß wir McLane nichtfolgen können.«

Atan Shubashi hatte die ganze Zeitüber befürchtet, daß es so sein würde,aber er hatte sich bisher gescheut, dieKonsequenzen zu durchdenken. Ratlosfragte er nun: »Und was machen wirjetzt?«

»Wir kehren zur ORION zurück«,entschied Tunaka Katsuro. »Zwei vonmeinen Männern bleiben hier. Sie sollenauf die Rückkehr der Crew warten.«

Der Direktor des GSD bestimmtezwei seiner Assistenten für diese Aufga-be, dann gab er den Befehl zum Auf-bruch. Der mühsame Aufstieg aus derSchlucht begann.

Einige Stunden später nahm TunakaKatsuro Verbindung mit seinen Assi-stenten auf, die im Raumschiff gebliebenwaren, um eine Nachricht an die Erdeweitergeben zu lassen.

»Wir hatten soeben eine Verbindungmit der Erde«, antwortete Dimi Kiapos,einer Assistenten. »Die Verantwortli-chen haben recht eigenartig reagiert.«

»Was heißt eigenartig?« fragte Kats-uro scharf.

»Sie zeigten keinerlei Interesse für

uns«, entgegnete der Assistent.»Das müssen Sie mir schon erklä-

ren.«»Man hörte mir zu, ging aber über-

haupt nicht auf meine Worte ein«, sagteder Assistent. »Ich weiß auch nicht, wasda los ist. Wir haben den Eindruck, daßda irgend jemand allzu kräftig Geburts-tag gefeiert hat.«

»Es ist gut. Wir sind gleich oben«,erwiderte Katsuro beunruhigt.

So schnell, wie er es sich vorgestellthatte, war der anstrengende Aufstieg al-lerdings nicht zu Ende. Erst vier Stundenspäter erreichte das Kommando dasRaumschiff. Atan Shubashi begleiteteden Direktor des GSD an Bord desRaumers.

Katsuro eilte sofort zum Funkgerät,nachdem er den Raumanzug abgelegthatte. Einer seiner Assistenten stellte dieVerbindung zur Erde her.

»Nur das Ministerium für Gesund-heitswesen und Umweltschutz meldetsich«, erklärte er. »Alle anderen Abtei-lungen am Mount Isa Schweigen. SelbstRegierungschef Han Tsu-Gol ist nicht zuerreichen.«

»Das gibt es doch gar nicht«, erwi-derte Katsuro kopfschüttelnd.

Der Bildschirm wurde hell. Die Mi-nisterin für Umweltschutz und Gesund-heitswesen erschien im Bild.

Katsuro stöhnte leise, als er sie sah.Roberta Calvari trug Blumen im

Haar und eine Blumenkette um den Hals.Ihr Blick wirkte entrückt.

Katsuro verlor bei diesem Anblickdie Nerven.

»Was ist auf der Erde eigentlichlos?« brüllte er sie an.

Roberta Calvari lächelte verträumt.»Diese Blumen sind wunderschön«,

sagte sie leise, »aber die Blaue Blume istnoch viel schöner.«

Ihre Hand kam ins Bild, als sie ihr

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Gerät ausschaltete.»Versuchen Sie es noch einmal«, be-

fahl Katsuro.Der Assistent bemühte sich, die Ver-

bindung wiederherzustellen, doch es ge-lang ihm nicht. Roberta Calvari meldetesich nicht mehr, und auch die anderenDienststellen schwiegen.

Atan Shubashi, der Direktor des GSDund die Assistenten blickten sich betrof-fen an. Niemand konnte sich die Reakti-on Roberta Calvaris erklären.

»Sind die auf der Erde denn alle ver-rückt geworden?« fragte Katsuro mitbelegter Stimme.

Atan Shubashi schüttelte den Kopf.»Roberta Calvari sah aus, als ob sie

unter dem Einfluß eines Giftes stehe.Vielleicht ist sie auch auf andere Weisebeeinflußt worden. Auf jeden Fall müs-sen wir sofort zur Erde zurückkehren.Und darüber hinaus müssen wir Verbin-dung mit der Raumflotte aufnehmen.«

»Das ist richtig«, sagte Katsuro.»Genau das werden wir auch tun.«

*

Assimladja klatschte entzückt in dieHände.

»Was für eine schöne Welt«, rief sieund drehte sich zweimal um sich selbst.»Hättest du das erwartet, Usqueesid?«

Der Vorthanier stand auf einem um-gestürzten, aber nicht abgestorbenenBaum. Seine Hand glitt streichelnd übereinige Orchideen hinweg, die aus einerBaumhöhlung emporwucherten.

»Eine wirklich schöne Welt«, bestä-tigte er. »Auch ich bin überrascht, As-simladja.«

»Sieh doch die Blumen. Sie neigensich uns zu. Sie begrüßen uns.«

Er hatte es bereits gemerkt. Er sprangvom Baum herunter und streckte dieHand aus.

»Komm, laß uns weitergehen«, sagteer. »Ich möchte mehr von diesem Waldsehen. Ich spüre, daß es hier noch vielesSchöne gibt. Ich bin neugierig darauf.«

»Ich auch«, erwiderte sie und legteihre Hand in die seine.

Sie schlenderten durch den Dschun-gel des Amazonasbeckens. Von ihrenGehirnen gingen Impulse aus, die dieMenschen über Tausende von Kilome-tern hinweg beeinflußten. Weder As-simladja, die die geistige Tätigkeit allerVorthanier koordinierte, noch Usqueesidwaren dabei zu besonderer Konzentrati-on gezwungen. Ihre parapsychischenSinne bewältigten die ihnen gestellteAufgabe spielerisch leicht.

Von den anderen Vorthaniern trafentelepathische Nachrichten ein.

»Nirgendwo gibt es Schwierigkei-ten«, sagte Assimladja, obwohl siewußte, daß Usqueesid diese Nachrichtenebenso auffing wie sie. Sie hatte das Be-dürfnis, sich ihm mitzuteilen und ihmauch mit Worten zu sagen, wie sehr siesich über ihren Erfolg freute. »Die Men-schen der Erde öffnen ihre Herzen fürUnandat.«

Sie hatte keinerlei Eroberungsgelü-ste. Das Streben nach Macht war ihrfremd. Sie wollte die Erde und die aufihr lebenden Menschen nicht beherr-schen. Sie wollte nur, daß sie so glück-lich waren wie sie selbst es auch war,und sie konnte sich nicht vorstellen, daßdie Menschen damit nicht einverstandenwaren.

Zeigte die Reaktion der Menschennicht, daß sie es begrüßten, mit den Ge-danken Unandats konfrontiert zu wer-den? Reagierten sie nicht schon auf dieersten Impulse, obwohl in ihnen ledig-lich die Existenz Unandats offenbart undvon seinen Lehren eigentlich noch garnichts gesagt wurde?

Assimladja wäre entsetzt gewesen,

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wenn irgend jemand ihr gesagt hätte, daßsie die Menschheit an den Abgrund ge-führt hatte. Vielleicht hätte sie nochnicht einmal begriffen, was damit über-haupt gemeint war.

Sie blieb stehen, als sie eine Bana-nenstaude entdeckte. Die Blüte drehtesich ihr entgegen und öffnete sich weit,als wolle sie sich ihr in ihrer ganzenSchönheit präsentieren. Assimladjaglaubte an eine eigenständige, aktiveReaktion der Pflanze. Sie ahnte nicht,daß sie diese Reaktion mit ihren geisti-gen Impulsen hervorgerufen, ja, gerade-zu erzwungen hatte.

Assimladja berührte die Blätter derStaude und fühlte, wie die Vitalkräfteder Pflanze auf sie übergingen.

Usqueesid griff nach den grünen Ba-nanen und brach sich einige davon ab.Die Früchte fielen ihm fast von selbstentgegen. Er schälte sie ab und aß sie.Danach gab er Assimladja eine Frucht,und auch sie verzehrte sie, um ihrenHunger zu stillen. Sie brauchte nichtviel, da sie einen Großteil ihres Energie-bedarfs aus dem Fluß der Vitalkapazitätder Pflanzen stillte.

Über den beiden Vorthaniernkreischten ein paar Affen. Assimladjaund Usqueesid blickten nach oben.

In panischem Schrecken zogen sichdie Affen zurück.

»Was haben sie?« fragte das vortha-nische Mädchen, das sich das Verhaltender Tiere nicht erklären konnte.

»Ich weiß nicht«, antwortete Usquee-sid. »Jedenfalls bin ich froh, daß sie wegsind. Ich mag sie nicht.«

»Ich auch nicht. Ich verabscheuesie.«

»Ob sie das spüren?«»Vielleicht.«Sie überquerten auf einem umge-

stürzten Baumstamm einen schmalenFluß. Einige Äste die ihnen im Wege

waren, bogen sich von selbst zur Seite,um ihnen Platz zu machen. Assimladjabemerkte einige Fische, die vor ihnenflohen. Ein Schwarm Insekten stob aus-einander, als sie sich ihm näherten. Undeinige Vögel, die zufällig über sie hin-wegflogen, änderten plötzlich ihreFlugrichtung, um sich weiter von ihnenzu entfernen.

Assimladja beobachtete die Reaktio-nen der Tiere, und sie wurde sich dessenbewußt, daß sie augenblicklich mitfeindseligen Impulsen reagierte, sobaldsie Tiere sah. Sie erkannte, daß es nurdiese Impulse sein konnten, die die Tierevertrieben.

Ein schwarzer Panther schnellte sichüber einige Äste hinweg. Fauchend blieber unter einem Busch stehen und ducktesich zum Sprung.

Assimladja und Usqueesid fürchtetensich nicht, obwohl sie keine Waffe inden Händen hielten.

Sie blieben stehen und blickten dasRaubtier an.

Der schwarze Panther kroch lauerndauf sie zu, flüchtete dann jedoch undverschwand im Unterholz.

*

Morales fuhr zusammen, als er völligunvermutet Schritte hörte. Er hatte nichtdamit gerechnet, inmitten der Stadt nochirgend jemanden anzutreffen.

Er sprang auf und eilte freudig erregtauf die Tür des Eßsalons zu, als plötzlichein Schuß fiel. Etwas Schweres pralltegegen die Tür. Diese öffnete sich jedochnicht. Und dann hörte der Indianer, wiejemand laut stöhnend an der Tür herun-terrutschte.

Er ließ die Hand, die er schon nachdem Öffnungsmechanismus ausgestreckthatte, sinken. Dann fuhr er herum, raffteTeller und Besteck zusammen und ließ

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sie im Abfallschacht verschwinden. Erstellte den Stuhl, auf dem er gesessenhatte, wieder ordentlich hin und eilte zurAnrichte. Darunter war ein kleinerSchrank. Er öffnete ihn, kroch hineinund schloß die Tür hinter sich.

Kaum war die Tür zu, als jemand denSalon betrat.

»Hier ist niemand«, ertönte eineStimme.

»Bist du sicher?« fragte eine andere.»Ganz sicher.«Morales vernahm Schritte, die sich

ihm näherten. Jemand hantierte an derAnrichte herum und kündigte dem ande-ren Steaks an. Minuten später war dasFleisch angerichtet.

»Es gibt doch immer noch welche,die sich nicht verrückt gemacht haben«,sagte einer der beiden Männer. »Willstdu sie alle abknallen?«

»Ich beseitige jeden, der mir überden Weg läuft. Zeugen für später will ichnicht.«

»Glaubst du wirklich, daß es einSpäter geben wird?«

»Davon bin ich fest überzeugt. Ver-giß nicht, daß wir so etwas wie eineRaumflotte und einen Galaktischen Si-cherheitsdienst haben. Die werden sichetwas einfallen lassen. Ich glaube ein-fach nicht daran, daß alles endgültig zu-sammenbricht. Irgendwann kommt alleswieder in Ordnung. Und dann, Juan,dann haben wir ausgesorgt.«

»Warum gehen wir nicht in die Häu-ser der Reichen und plündern sie aus?Warum gehen wir nicht in die Bankenund holen uns soviel Gold, wie wir tra-gen können?«

»Weil das alles keinen Sinn hat,Juan. Was hilft uns Gold, wenn wir esnicht verkaufen können?«

»Und was helfen uns Beteiligun-gen?«

»Wir beschaffen uns Beteiligungen

an den größten Handels- und Industrie-unternehmen des Kontinents. KleineBeteiligungen. Nicht über fünf Prozent.Das fällt später kaum auf. Fünf Prozentvon zehn oder Zwanzig Milliarden sindjedoch eine gewaltige Summe. Das istmehr, als wir je mit Bankplünderungenerbeuten können. Und es genügt, wennwir die Beteiligungen in dieser Höhe vondrei oder vier Unternehmen bekommen.Alle dazu notwendigen Arbeiten kannich jetzt durchführen, ohne daß spätereine Manipulation nachweisbar ist.«

»Jetzt verstehe ich«, erwiderte Juan.»Und was wir bis zum Neubeginn benö-tigen, beschaffen wir uns in den Waren-häusern und in den Depots.«

»Du bist ein kluger Junge. Hoffent-lich hast du auch begriffen, weshalb esso wichtig ist, keine Zeugen zu haben.«

»Habe ich.«Die beiden Männer verließen den

Salon. Morales wartete noch einige Mi-nuten ab. Dann verließ er sein Versteckund sah sich vorsichtig um. Die beidenVerbrecher waren weg.

Der Mann an der Tür war tot. DasGeschoß aus einer altertümlichen Waffehatte ihm die Brust zerrissen.

Als Morales das sah, erkannte er, daßes keine Sicherheit für ihn in der Stadtgab.

Er beschloß, Rio de Janeiro zu ver-lassen und dorthin zu fliegen, wo er ammeisten Schutz erwarten konnte. In dieDschungel des Amazonasbeckens. ZumStamm der Yanomamö. Dort gab es kei-ne Verbrecher, die das Elend derMenschheit rücksichtslos für sich nutz-ten. Dort gab es einfache Menschen, de-nen er blind vertrauen konnte.

Yanomamö.Er eilte zum Treppenhaus, blieb ste-

hen und horchte. Irgendwo unter ihmwaren die beiden Männer, die er be-lauscht hatte. Er stieg nach oben, nach-

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dem er sich die Schuhe von den Füßengestreift hatte.

Hin und wieder blieb er stehen undhorchte. Er fürchtete, daß die Plündereroben eine Wache aufgestellt hatten. Stu-fe für Stufe arbeitete er sich voran, bis erendlich das Parkdach erreicht hatte. Di-rekt vor der Tür stand ein großer Gleiter,aber niemand hielt sich darin auf.

Morales lief zu seiner Maschine,stieg ein und startete. Als er sich um-drehte, sah er, daß ein dunkelhaarigerMann in der Tür erschien und mit einemaltertümlichen Gewehr auf ihn zielte. Erduckte sich. Ein Geschoß zerschlug dieScheiben seines Gleiters. Er ließ die Ma-schine steil abfallen, als sie über dieDachkante hinausgeflogen war. Dann rißer sie herum und lenkte sie in die men-schenleeren Straßenschluchten der Stadt.

Die Plünderer folgten ihm.Morales beschleunigte die Maschine

bis zur Höchstgeschwindigkeit und jagtesie in abzweigende Straßen hinein. DerGleiter flog oft nur wenige Meter an densteil aufsteigenden Wänden der Gebäudeentlang.

Der Indianer bekam feuchte Hände.Ihm erschienen die Manöver halsbreche-risch, obwohl er wußte, daß sie nichtsonderlich gefährlich waren. Die auto-matischen Einrichtungen des Gleiterssorgten dafür, daß er nicht kollidierte.

Hin und wieder drehte sich der In-dianer um, und jedesmal hoffte er, dieVerfolger abgeschüttelt zu haben. Dochsie blieben ihm auf den Fersen, wohin ersich auch wandte, und welche Manöverer auch versuchte. Es war, als ob seinGleiter ein Signal aussende, das den an-deren anzeigte, welchen Fluchtweg erwählte.

Verzweifelt durchsuchte er die Ma-schine nach einer Waffe, doch er fandnichts.

Nun blieb ihm nur noch ein Ausweg.

Er schaltete auf Automatik um, pro-grammierte Brasilia als neues Ziel einund wartete. Wenig später geschah, waser erhofft hatte. Der Gleiter bog zur Seiteab, flog flach über ein Parkdach hinwegund ging auf einen nordwestlichen Kurs.

Morales verzögerte stärker, stieß dieTür auf und sprang hinaus. Er stürzte aufdas Dach, rollte sich jedoch geschicktab, so daß er sich nicht verletzte undrannte zu der offenen Eingangstür desGebäudes hinüber. Er lief in das Hausund versteckte sich hinter einer Säule.Atemlos wartete er ab.

Einige Sekunden verstrichen. Dannraste der Gleiter der Verfolger an ihmvorbei. Sie hatte noch nicht bemerkt, daßer ausgestiegen war. Doch damit hatte ernur eine Gnadenfrist gewonnen. Jetztkam es darauf an, den Vorsprung auszu-bauen.

Er lief wieder auf das Dach hinausund gelangte über eine Brücke zu einembenachbarten Parkdeck. Auf diesemstand ein Gleiter. Er war startbereit. Mo-rales stieg ein, flog einen kleinen Bogenund flüchtete dann ebenfalls in nord-westlicher Richtung, befand sich aberetwa drei Kilometer weiter nördlich alsdie Plünderer. Er hoffte, daß diese um-kehren würden, sobald sie entdeckten,daß er nicht mehr in der Maschine war,die sie verfolgten.

Aufmerksam beobachtete er dassüdwestlich von ihm gelegene Gebiet.Wenn er sich nicht geirrt hatte, mußtendie Plünderer hier irgendwann zu sehensein. Morales verließ bereits die Innen-stadt, als er den anderen Gleiter be-merkte. Die Maschine war nur für etwaeine Sekunde zu sehen. Sie bewegte sichin entgegengesetzter Richtung.

Der Indianer triumphierte. Sein Planwar aufgegangen.

Er beschleunigte und lehnte sich indie Polster zurück. Bis zum Rio Branco

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war es noch weit.

6.

Atan Shubashi versuchte von derORION IX aus, Cliff McLane und dieanderen Freunde zu erreichen. Doch siemeldeten sich nicht. Sie waren noch im-mer nicht zum Mars zurückgekehrt. DerAstrogator hinterließ die Nachricht, daßer mit GSD-Direktor Katsuro abfliegenwürde.

Ihm war nicht wohl, als er zum GSD-Schiff hinüberging. Er hatte das Gefühl,daß er in der ORION bleiben und auf dieFreunde warten sollte.

Als er die Zentrale des GSD-Schiffesbetrat, nahm Katsuro Funkverbindungmit dem Kommandeur der im Sonnensy-stem stehenden 4. Strategischen Raum-flotte, der Wega-Flotte, auf. Nach demTod Admiral Mahaviras war AdmiralRod Hilvas Kommandeur dieser Flottegeworden.

Atan Shubashi sah, wie das Gesichtdes Admirals auf dem Bildschirm er-schien. Er wußte, daß die Ernennungdieses Mannes nur eine Übergangslö-sung sein sollte.

»Ich begrüße Sie, Admiral«, sagteKatsuro.

»Was gibt es?« fragte der Admiralknapp.

»Auf der Erde stimmt etwas nicht«,entgegnete der Direktor des Galakti-schen Sicherheitsdienstes. »Wir haben...«

»Ohne Befehle von T.R.A.V. kannich nichts unternehmen«, erklärte Admi-ral Hilvas, ohne Katsuro aussprechen zulassen. »Ganz gleich, ob auf der Erdeetwas stimmt oder nicht. Ich halte dieFlotte in Bereitschaft. Das ist alles, wasich tun kann.«

Seine Augenbrauen wölbten sich.

»Im übrigen habe ich den Eindruck,daß auf der Erde alles in Ordnung ist.«

Katsuro schaltete zornig und ent-täuscht ab, ohne zu versuchen, den Ad-miral umzustimmen.

»Wenn es so ist, schaffen wir es auchallein«, sagte er erregt.

Atan Shubashi sah ihm an, wie sehrer sich über die hochmütige Haltung desAdmirals ärgerte.

»Es bleibt dabei, daß Sie mich zurErde begleiten?« fragte Katsuro den Ast-rogator.

»Es bleibt dabei«, antwortete Shu-bashi.

Der Direktor des GSD kam auf ihnzu. Sein Gesicht entspannte sich, dannsagte er: »Gut. Ich danke Ihnen, Shu-bashi. Hiermit ernenne ich Sie zu mei-nem Stellvertreter. Da T.R.A.V. nichtmehr antwortet, ist das wichtig. NehmenSie an?«

»Ich nehme an«, antwortete AtanShubashi, der von dieser Ernennungvöllig überrascht wurde.

Katsuro drehte sich um.»Wir starten«, befahl er.Kurz darauf stieg das Raumschiff

auf. Die ORION IX blieb auf dem Marszurück.

*

Assimladja blieb stehen und beugte sichüber die blühende Orchidee. Sie schloßdie Augen und atmete tief durch die Na-se ein. Nun wanderte sie schon denzweiten Tag durch den Urwald, und dieSchönheit dieses Waldes berauschte sieimmer mehr.

Als sie sich aufrichtete, empfing sietelepathische Signale von den anderenVorthaniern, die sich in anderen Wald-gebieten der Erde aufhielten.

»Die Menschen sind glücklich überdie Botschaft Unandats«, teilte Elvedu-

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rija mit.Assimladja zog sich in sich selbst zu-

rück und kapselte sich damit gegen dieanderen ab.

Unandat?Dachte sie nicht ununterbrochen an

Unandat?Usqueesid blickte sie an. Er schüt-

telte den Kopf und legte seine Hände anden goldenen Reif, der zur Telepathi-schen Verständigung diente.

»Was ist los?« fragte sie.»Du denkst nicht an Unandat«, erwi-

derte er. »Du denkst schon lange nichtmehr an ihn. Eigentlich hast du nichtmehr an ihn gedacht, seit wir in der Sta-tion aus dem Transmitter gekommensind.«

Assimladja war empört.»Wie kannst du so etwas behaup-

ten?« fragte sie zornig.»Es ist wahr«, sagte er mit fester

Stimme. »Du denkst nicht an Unandat.Keiner von uns denkt an ihn.«

»Ich habe oft von Unandat gespro-chen«, betonte sie und pflückte eineBlüte ab, um daran zu riechen.

»Du hast von ihm gesprochen«, be-stätigte er, »aber du hast gar nicht ihngemeint. Dir ergeht es wie uns allen. Wirdenken nur an die Blaue Blume.«

Ihre Augen weiteten sich.»Das ist wahr«, antwortete sie über-

rascht. »Ich sehne mich nach der BlauenBlume. Es macht mich fast krank, daßich nicht in ihrer Nähe sein kann. Duhast recht. Die Sehnsucht nach der Blau-en Blume war von Anfang an da.«

Sie drehte sich um und lief bestürztdavon. Sie hatte das Bedürfnis, allein zusein. Usqueesid folgte ihr langsam. SeineWorte hatten sie aufgewühlt, denn ihrwar bewußt geworden, daß sie alle Ge-danken an Unandat verdrängt hatte.

Das erklärte auch den Mißerfolg ih-rer Mission.

Sie hatten keinen Erfolg gehabt. Dar-über war sich Usqueesid klar geworden.Er selbst hatte sich lange gegen die Er-kenntnis gewehrt, daß alles anders ge-kommen war, als sie gedacht hatten.Jetzt aber war er soweit, daß er darübernachdenken konnte, ohne sich selbst mitEntschuldigungen und Ausflüchten zukommen.

Ihre Aufgabe war es gewesen, denMenschen der Erde die Botschaft Unan-dats zu bringen und sie davon zu über-zeugen. Die Menschen reagierten deut-lich auf ihre geistigen Impulse. Daskonnten sie mühelos feststellen. Aber siereagierten nicht so, wie es geplant war.Sie sprachen auf das an, was die Vortha-nier selbst auch erfüllte. Die Sehnsuchtnach der Blauen Blume.

Bei den Menschen zeigte sie sich da-durch, daß sie sich allem zuwandten,was pflanzlich war, ohne genauer zu dif-ferenzieren. Usqueesid zweifelte jedochnicht daran, daß auch das bald geschehenwürde.

Wie war es möglich, so fragte ersich, daß so etwas eingetreten war?

Er blieb bei einem blühenden Buschstehen und berührte die Blüten. Deutlichfühlte er, wie etwas von der Vitalität derPflanze auf ihn überging.

War es das?War es der Strom der pflanzlichen

Energie, der sie veränderte?Er schloß zu Assimladja auf und

wollte etwas sagen, aber sie bat ihn miteiner freundlichen Geste zu schweigen.Sie brauchte noch Zeit.

Usqueesid öffnete seinen Geist fürdie anderen Vorthanier. Er wollte wis-sen, ob sie die Wahrheit auch schon er-kannt hatten und wie sie darauf reagier-ten.

*

Page 38: Kinder der blauen Blume

Morales erwachte und wußte zunächstnicht, wo er war. Doch die Erinnerungkehrte rasch zurück. Er richtete sich aufund blickte aus dem Gleiter nach unten.Eine Schriftanzeige auf dem Instrumen-tenpult wies darauf hin, daß er sich Bra-silia näherte. Doch er interessierte sichkaum dafür.

Unter ihm breitete sich eine Wildnisaus, die nur zum Teil erschlossen war.Auf den zahllosen Lichtungen und inden weniger dichten Wäldern sah erMenschen, die offenbar ziellos umher-irrten. Keiner von ihnen blickte zu ihmauf. Niemand schien ihn überhaupt zubemerken.

Der Indianer verzögerte stark, schal-tete auf manuelle Bedienung um und ließden Gleiter absinken, bis er mit nur nochmäßiger Geschwindigkeit dicht über denBoden dahinglitt. So konnte er die Men-schen besser beobachten.

Fast alle sahen erschöpft aus. IhreKleidung war zerrissen, weil sie einfachso durch den Busch gelaufen waren undauf keinerlei Hindernisse geachtet hat-ten. Alle aber hatten sich mit Blumenbehängt, von denen die meisten mittler-weile verwelkt waren.

Morales brauchte nicht lange nach-zudenken, um zu erfassen, was gesche-hen war.

Die von den Außerirdischen beein-flußten Menschen hatten die Stadt ver-lassen und waren in die offene Land-schaft gelaufen, um Blumen berühren zukönnen. Als Indianer kannte Morales dasGeheimnis der Vitalität der Pflanzen,und so fiel es ihm nicht schwer, Zusam-menhänge zu erkennen, die anderen ver-borgen blieben.

Doch niemand hatte sich Verpfle-gung mitgenommen. Die Menschenhungerten. Sie hatten keinen Schlaf be-kommen, und ihren Durst konnten sienur aus den offenen Gewässern stillen,

die zum Teil verseucht waren. Die erstenFolgen zeigten sich bereits. In einigenTagen würde alles noch viel schlimmersein. Die Menschen würden verhungern,wenn die fremde Macht sie nicht freigabund zu einem normalen Leben zurück-kehren ließ.

Morales glaubte nicht daran, daß dasgeschehen würde.

Zum ersten Mal wurde ihm klar, wasdie Katastrophe für die Menschheit be-deutete.

Mit ihrer Waffe der Mentalen Beein-flussung konnten die Fremden die Erdeinnerhalb von wenigen Tagen entvöl-kern.

Verzweifelt fragte er sich, ob es nochirgend etwas gab, womit die Vernich-tung der Menschheit aufgehalten werdenkonnte.

Konnte er selbst etwas tun?Wo verbarg sich der Feind? War er

unerreichbar im Weltraum? Oder hielt ersich irgendwo in der Nähe auf?

Morales erinnerte sich daran, daß esaußer ihm noch andere Menschen gab,die unbeeinflußt blieben. Er hatte nurwenige davon getroffen, war aber festdavon überzeugt, daß es noch wesentlichmehr gab. Es kam nur darauf an, sie aus-findig zu machen und sich mit ihnen zu-sammenzutun.

Aber war man dann wirklich weiter?Nicht, wenn nicht irgend jemand da-

bei war, der wußte, wo die Fremden wa-ren, und wie man sie anpacken konnte.

»Du träumst«, sagte er laut.Was halfen diese Gedanken? Hatte er

nicht Menschen getroffen, die zwar freiwaren, die aber gar nicht daran dachten,sich mit ihm zusammenzutun, sonderndie nur Reichtümer zusammenhäufenwollten, obwohl es eine Armut schonvorher gar nicht gegeben hatte. JederMensch auf der Erde konnte über sovielMittel verfügen, daß er sich ein ange-

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nehmes Leben leisten konnte. Wasnützte es also den Plünderern, wenn sieWerte in Höhe von ein paar Millionenanhäuften?

Dafür hatte Morales nur ein verächt-liches Lächeln übrig.

Mit diesen Menschen konnte er nichtzusammenarbeiten. Sie hatten in ihm nureinen Feind gesehen, den es zu beseiti-gen galt. An den wirklichen Feind, derdie Existenz der Menschheit bedrohte,hatten sie nicht gedacht.

Wie sah es bei anderen Unabhängi-gen aus? Konnte er sich ihnen überhauptnähern, ohne von ihnen angegriffen zuwerden?

Er entschloß sich, das herauszufin-den.

Der Gleiter stieg wieder auf und be-schleunigte. Morales hätte den in denWäldern herumirrenden Menschen gerngeholfen, aber er wußte, daß er im Grun-de genommen nichts tun konnte.

Die Lösung mußte irgendwo in derStadt zu finden sein. Dort gab es Men-schen, die unbeeinflußt waren. Ihnen warklarzumachen, daß sie gegen das Fremdekämpfen mußten. Die Menschheitkonnte nur gerettet werden, wenn mandie Fremden vernichtete.

Morales widerstrebte es, daran zudenken, daß er töten mußte. Aber er sahkeinen anderen Ausweg mehr.

Er überflog die ersten Häuser vonBrasilia, als er plötzlich Widerstand ver-spürte.

Zunächst glaubte er, daß der Gleiterdurch einen technischen Defekt behin-dert wurde, aber dann merkte er, daß dasFremde in ihm selbst war. Seine Blickeverschleierten sich.

Er kämpfte gegen das Fremde an,weil er fühlte, daß er verloren war, wennes ihm nicht gelang, sich dagegen zu be-haupten.

Er wollte die Hände heben, um sich

die Schläfen mit den Fingern zu massie-ren, aber sie gehorchten ihm nicht.Schlaff sank er in die Polster zurück.

*

»Wir haben es geschafft«, sagte EnricoFardi. »Jetzt wird uns niemand mehraufhalten.«

Er stand mitten im Computerzentrumvon Brasilia und blickte auf den Zwerghinab.

»Natürlich habe ich erst Südameri-ka«, fuhr er fort. »Aber das ist mir um sosicherer. Niemand wird es mir mehrnehmen.«

Der Zwerg runzelte die Stirn. »Viel-leicht weil niemand mehr da ist«, erwi-derte er.

»Unsinn«, sagte der Mutant ärger-lich. »Es wird sich alles wieder normali-sieren. Wenn ich davon nicht von An-fang an überzeugt gewesen wäre, hätteich dies alles gar nicht erst begonnen.«

Er stutzte. Seine Augen schlossensich. Für einen kurzen Momentschwankte die mächtige Gestalt.

»Was ist los?« fragte Teco ängstlich.Er merkte, daß er plötzlich frei wur-

de. Der schützende Einfluß Fardis warverschwunden. Der Zwerg fühlte dieImpulse der Vorthanier. Er wehrte sichdagegen, und es gelang ihm, sie ein we-nig zurückzudrängen, doch gleichzeitigbewegten sich seine Beine. Er schritt aufdie Tür zu, öffnete sie und trat auf denGang hinaus. Er sah das rote Warnlichtam Zugang zum Antigravschacht, und erwußte, daß es seinen Tod bedeuten wür-de, wenn er in den Schacht ging. Doch erblieb nicht stehen. Die Sehnsucht nachBlumen trieb ihn immer weiter.

Er öffnete den Mund. Er wollte denMutanten um Hilfe rufen; doch keinLaut kam über seine Lippen.

Das rote Licht kam näher und näher.

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Er konnte schließlich nichts anderesmehr sehen als nur noch dieses roteLicht. Es war, als ob auf dieser Weltnichts anderes mehr existierte.

Plötzlich aber legte sich ihm eineHand auf die Schulter. Seine Blickeklärten sich. Er war frei.

Aufschreiend fuhr er herum.Er stand am Abgrund. Nur Zentime-

ter trennten ihn noch von der tödlichenTiefe.

»Was ist los mit dir, Kleiner?« fragteder Mutant. »Hattest du Selbstmordab-sichten?«

Teco drängte sich an ihm vorbei, umein wenig vom Schacht abzurücken.

»Überhaupt nicht«, sagte er keu-chend. »Ich konnte nicht anders. Ichsehnte mich plötzlich nach Blumen. DieSehnsucht war so groß, daß ich einfachhinausgehen mußte.«

Enrico Fardi nickte.»Ohne mich bist du verloren, Klei-

ner«, bemerkte er. »Ich würde dir raten,dich nicht noch einmal von mir zu ent-fernen.«

»Freiwillig habe ich das nicht getan«,verteidigte sich der Zwerg. »Was warlos? Warum haben Sie mich verlassen?«

»Habe ich das?« Fardi lächelte. »Ichhabe jemanden gefunden, der mir ge-fährlich werden könnte. Er ist da drau-ßen irgendwo. Ich wollte ihn töten, aberes ist mir nicht gelungen. Ich merkte ge-rade noch rechtzeitig, was mit dir loswar, und mußte meinen Angriff auf denanderen abbrechen.«

»Wer ist der andere?«»Ein Indianer«, sagte der Mutant

verächtlich. »Beim nächsten Mal werdeich ihn erwischen. Dann ist das Problemerledigt. Ich kann jedoch nicht zweiDinge gleichzeitig tun. Wenn ich ihn an-greife, kann ich dich nicht schützen –und umgekehrt. Deshalb muß ich dicherst in Sicherheit bringen, bevor ich ge-

gen diesen Indianer vorgehe.«Er machte eine abfällige Geste.»Aber das eilt nicht«, fügte er hinzu.

*

Assimladja blickte Usqueesid niederge-schlagen an.

»Wir schaffen es nicht«, sagte sie.»Was sollen wir tun?«

»Das fragst du mich?« entgegnete erüberrascht. »Ausgerechnet die stetsüberlegene Assimladja, die nie etwas ausdem Gleichgewicht bringen kann?«

»Hör auf zu spotten«, bat sie. »Ichertrage das nicht. Wir haben Unandatverraten. Damit werde ich nicht fertig.«

Er merkte, daß sie es ernst meinte,und verzichtete auf die ironischen Be-merkungen, die ihm auf der Zunge la-gen. Er sah, daß eine große, gefleckteSchlange, die wenigstens viermal so langwar wie er selbst, vor ihnen ins Wasserflüchtete. Er streifte ein Blatt von einemZweig, steckte es in den Mund und kautedarauf herum. Doch es schmeckte ihmnicht. Der Saft des Blattes war bitter. Erspie ihn aus.

»Ich weiß auch nicht, was wir tunsollen«, entgegnete er endlich. »Viel-leicht sollten wir zurückkehren und ganzoffen zugeben, daß wir nicht schafften,was wir uns vorgenommen haben. Wirsind nicht für solche Expeditionen ge-eignet, oder wir müßten etwas von derBlauen Blume mitnehmen, so daß wirnicht vor Sehnsucht krank werden, son-dern uns auf unsere Aufgabe konzentrie-ren können.«

»Wahrscheinlich hast du recht«,sagte sie. »Wir sollten verschwinden,bevor es zu spät ist. Ich spüre deutlich,daß sich in mir etwas verändert. Ich habeden Kontakt zu Unandat verloren.«

Das waren schlimme Worte, dieselbst Usqueesid schockierten. Den

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Kontakt zu Unandat zu verlieren, hieß,ihn zu leugnen. Daß gerade Assimladjaso etwas sagte, machte alles noch vielschlimmer. Er wußte, daß sie es ehrlichmeinte. Sie war nicht zu einer Lüge fä-hig.

Sie begriff, wie ihre Worte auf ihngewirkt hatten. Sie eilte einige Schrittevon ihm fort. Mit bebender Hand strei-chelte sie eine Orchidee, deren Blütenvon einigen blauen Farbtupfern durch-setzt waren.

Usqueesid wollte ihr folgen, als erplötzlich eine braune Gestalt zwischenden grünen Blättern entdecke. Der Mannwar nur mit kurzen Hosen bekleidet, unddas schwarze Haar reichte ihm bis aufdie Schultern herab. Dunkle Augen mu-sterten den Vorthanier, der sich instink-tiv auf den Fremden konzentrierte, umihn von einem Angriff auf ihn abzuhal-ten.

Der Braune zuckte deutlich zusam-men. Er flüchtete ins Unterholz.

Bleib! rief ihm Usqueesid telepa-thisch zu. Du brauchst keine Angst zuhaben.

Der Indianer hörte nicht auf ihn. Ertauchte nicht wieder auf.

»Wer war das?« fragte Assimladjaverwirrt.

»Ein Jäger vielleicht«, entgegnete derVorthanier unsicher. »Er hätte uns helfenkönnen.«

»Niemand kann uns helfen«, sagteAssimladja resignierend.

»Wir wollen es wenigstens versuch-ten«, sagte Usqueesid. Er nahm ihreHand. »Komm. Wir laufen ihm nach.«

»Warum teleportieren wir nicht?«»Weil wir ihn dann vielleicht ganz

aus den Augen verlieren.« Sie liefendurch das dichte Unterholz zu der Stellehin, an der der Indianer gewesen war.Deutlich konnten sie seine Spuren aufdem Boden sehen. Die Äste der Büsche

bogen sich zur Seite, um ihnen Platz zumachen.

Mühelos folgten die beiden Vortha-nier den Spuren des Indianers, der seineRichtung immer wieder geändert hatte,so daß sie nicht vorausberechnen konn-ten, wohin er sich gewendet hatte. Sosehr ihnen die Pflanzen auch halfen, sieholten nicht soweit auf, daß sie den In-dianer sehen konnten. Einige Maleglaubten sie, ihn zu hören, doch jedes-mal stellten sie danach fest, daß sie sichgetäuscht hatten.

Assimladja versuchte vergeblich, ihntelepathisch zu erfassen. Sie stieß aufkein mentales Echo. Schließlich bliebUsqueesid keuchend stehen.

»Ich glaube, ich weiß jetzt, in welcheRichtung er flieht«, sagte er und streckteden rechten Arm aus. »Wir teleportierendorthin. Dann erreichen wir ihn.«

Assimladja nickte nur. Sie war er-schöpft. Die unerfüllte Sehnsucht nachder Blauen Blume zeigte nun auch kör-perliche Folgen. Usqueesid schloß seineFinger fest um ihre Hand. Beide Vortha-nier konzentrierten sich auf die Telepor-tation. Das geschah so kurz und flüchtig,wie sie es gewohnt waren.

Als sie die Augen wieder öffnete,schrie Assimladja leise auf.

»Es hat nicht geklappt«, sagte Us-queesid verstört. »Wir sind noch an dergleichen Stelle.«

»Wie ist das möglich?« fragte sie.»Ich weiß es nicht. Woher soll ich daswissen?«

»Sei nicht gleich so aggressiv.«»Ich bin nicht aggressiv«, fuhr er sie

zornig an. »Ich mache mir nur Gedankenüber dich. Du mußt etwas falsch ge-macht haben.«

»Warum ich? Warum kannst du esnicht gewesen sein?«

»Du bist Assimladja«, antwortete er,als sei das die ganze Erklärung. Sie

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zwang sich zur Ruhe.»Ich habe mich auf die Teleportation

konzentriert wie immer«, sagte sie. »Al-les war ganz normal. Deshalb mußt duetwas falsch gemacht haben. Du hastmich durch irgend etwas gestört, so daßwir nicht springen konnten.«

Sie hatten den Indianer vergessen,der sich nun in Sicherheit bringen konn-te.

»Also schön«, erwiderte er einlen-kend. »Nehmen wir an, daß ich es war,der gestört hat. Wir wollen das nichtüberbewerten. Ich habe dir einen Vor-schlag zu machen.«

»Ich höre.«»Wir sollten die Erde verlassen. Wir

sollten ins Raumschiff zurückspringenund die anderen zu uns rufen. Dannsollten wir zur Transmitterstation zu-rückkehren und aus diesem Raumsektorverschwinden.«

Assimladja überlegte. Sie horchte insich hinein. Alles in ihr schrie nach derBlauen Blume. Diese bedeutete ihr mehrals alles andere. Sie konnte ohne dieBlaue Blume nicht leben. Als ihr das indieser Deutlichkeit bewußt wurde, er-kannte sie auch, warum es ihnen nichtgelungen war, sich zu teleportieren. Dieübersteigerte Sehnsucht nach der BlauenBlume verhinderte die notwendige gei-stige Konzentration, so daß keine Tele-portation zustande kam.

Sie streckte ihre Hand aus.»Wir werden uns sehr lange auf die

Teleportation konzentrieren«, sagte sieentschlossen. »Dann springen wir insSchiff zurück. Wir werden alles verges-sen, was uns belastet. Wir werden nichtan die Blaue Blume denken, sondern nuran die Teleportation.«

Er ergriff ihre Hand. Sie schlossendie Augen und bereiteten sich auf dieTeleportation vor.

Mehrere Minuten verstrichen, in de-

nen sie schweigend nebeneinander stan-den.

»Jetzt«, sagte Assimladja schließlich.Der entscheidende Impuls kam. Er

hätte die Menschheit befreit, wenn erstark genug gewesen wäre, die Telepor-tation einzuleiten. Er war es jedochnicht.

Als Assimladja die Augen wiederöffnete, befanden sie und Usqueesid sichnoch an der gleichen Stelle mitten imUrwald des Amazonasbeckens.

7.

Der Druck wich plötzlich von ihm.Morales riß den Gleiter herum, ohne

nachzudenken, und lenkte ihn in eineandere Richtung. Im ersten Momenthatte er keinen anderen Wunsch, als ausBrasilia zu verschwinden. Doch dannregte sich der Trotz in ihm.

Hatte er sich nicht vorgenommen,hier in der Verwaltungszentrale Kontaktzu anderen aufzunehmen und sich zu-sammen mit ihnen zu behaupten? Durfteer so schnell aufgeben?

Er brachte den Gleiter wieder auf denalten Kurs und grübelte darüber nach,wer oder was ihn angegriffen hatte. SeinHerz schlug rasend schnell. Eine Zeitlang hatte er das Gefühl gehabt, es werdevon einer unsichtbaren Faust zusam-mengepreßt. Jetzt war es wieder frei.

Die Angst wich maßlosem Zorn.Morales dachte nicht daran, sich ein-

fach ausschalten zu lassen. Die Jagdin-stinkte des Indianers erwachten in ihm.Er war lebensgefährlich bedroht worden.Diese Herausforderung mußte er anneh-men. Dies war etwas ganz anderes, alsdie beleidigenden Worte von Jamy Ban-ders es gewesen waren. Der Raumfahrerhatte ihn nicht töten, sondern nur demü-tigen wollen, weil ihm das ein gewisses

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Überlegenheitsgefühl gegeben hatte.Darüber war Morales hinweggegan-

gen.Jetzt aber wollte er nicht zurück-

stecken.Er beschloß, sich zunächst eine Waf-

fe zu besorgen. Das konnte kein Problemsein. In Brasilia gab es genügend Sport-clubs, Jagdgesellschaften und Großge-schäfte, in denen geeignete Waffen vor-handen waren. Er wollte bewußt keinemodernen Waffen, weil er noch nie einevon dieser Art in den Händen gehabthatte. Von seinen Jagdausflügen in denDschungel aber kannte er die für dieJagd zugelassenen Gewehre.

Er raste mit dem Gleiter in die Stra-ßenschluchten Brasilias hinein, wobei erdarauf gefaßt war, plötzlich angegriffenzu werden. Doch er hatte Glück. DerUnheimliche schlug nicht wieder zu.

Morales landete auf dem Parkdacheines Jagdclubs. Niemand hinderte ihndaran. Die Tür zu den Clubräumen waroffen. Er trat ein und sah sich um.

In Glasschränken waren etwa drei-hundert für die Jagd zugelassene Geweh-re der verschiedensten Art. Die Schränkewaren nicht abgeschlossen, so daß er dasGlas nicht zu zerschlagen brauchte. Erschob die Scheiben zur Seite und nahmein langläufiges Gewehr heraus, das ihmbesonders gut gefiel. Es war nicht geradeleicht, lag aber hervorragend in derHand. Die dazu gehörige Munition fander in Schubladen unter dem Schrank. Ernahm fünfhundert Schuß mit.

Zufrieden lächelnd drehte er sich um.Er blickte direkt in die Mündung ei-

nes großkalibrigen Gewehrs, das einehellhäutige Frau auf ihn richtete. Siezielte auf seine Stirn.

»Keine Bewegung«, sagte sie mit fe-ster Stimme. »Laß das Gewehr fallen.«

Er gehorchte.»Mit allem habe ich gerechnet, nur

nicht damit«, bemerkte er überrascht.»Ich hatte nicht gehofft, hier jemandenzu treffen, mit dem ich ...«

»Sei still«, befahl sie.»Ich habe nicht vor, dir etwas zu

tun«, erklärte er. »Ich bin froh, daß ichendlich jemanden gefunden habe, dernicht von den Fremden beeinflußt wird,und der nicht plündert.«

»Dafür habe ich wiederum jemandengefunden, der plündert«, erwiderte sieverächtlich. »Es scheint nur noch Ver-rückte und Aasgeier zu geben.«

»Man hat zweimal versucht, mich zutöten«, sagte er. »Ich fand es daher ander Zeit, mich endlich zu bewaffnen,damit ich mich wehren kann.«

»Wer hat versucht, dich zu töten?«fragte sie.

Er berichtete ihr, was vorgefallenwar. Zögernd ließ sie das Gewehr sin-ken.

»Wenn ich nur wüßte, ob ich dir ver-trauen kann«, sagte sie unsicher.

»Du kannst«, erwiderte er. »Und dumußt. Oder du mußt mich töten.«

»Ich könnte dich davonjagen.«»Das wäre keine Lösung. Ich könnte

zurückkommen.«Sie stellte das Gewehr entschlossen

zur Seite und hob das Kinn. Morales sah,daß ihre Unterlippe zitterte. Sie hatteAngst.

»Wir werden von jetzt an zusam-menbleiben«, sagte er. »Wir müssen je-nen finden, der mich mit geistigen Kräf-ten töten wollte. Vielleicht ist er mit denFremden identisch, die alle unter ihrenBann zwingen.«

Er nahm das Gewehr und die Muniti-on auf und ging an ihr vorbei zur Tür.Dort blieb er stehen und blickte lächelndzurück.

»Nun?« fragte er.Endlich begriff sie, daß sie ihm

wirklich vertrauen konnte. Tränen stie-

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gen ihr in die Augen.»Ich hatte mich schon aufgegeben.«

Sie kam zu ihm und streckte ihm dieHand entgegen. »Mein Name ist Manta.«

Sie war hellhäutig, hatte aber unüber-sehbar negroide Züge. Sie war größer alser, und sie war schöner als die meistenFreuen, denen er begegnet war. Sie trugeinen leichten Jagdanzug aus einem wei-chen Stoff, wie er ihn noch nie gesehenhatte.

»Ich glaube, ich weiß, wer der An-greifer gewesen ist«, fuhr sie fort. »Esgibt hier in der Gegend einen Mann, vondem man sagt, daß er ein Mutant ist.Viele behaupten, daß er parapsychischeKräfte hat, aber niemand weiß es genau.Er könnte die Stunde für seine Zweckenutzen wollen.«

»Wer ist es?«»Enrico Fardi. Er ist der Vorsitzende

des Raumfahrerverbandes. Er gilt alsmachthungriger Mann. Viele befürchten,daß er eines Tages die Macht mißbrau-chen wird, die er durch die hinter ihmstehenden Raumfahrer hat. Wir solltenuns diesen Mann einmal ansehen. Viel-leicht ist er wirklich derjenige, den wirsuchen.«

Sie traten auf das Parkdach hinaus.»Da ist ein Gleiter«, rief Morales und

zeigte auf eine Maschine, die etwa an-derthalb Kilometer von ihnen entferntwar. Manta lief in die Clubräume zurückund kam gleich darauf mit einem elek-tronischen Fernglas wieder heraus. Siesetzte das Gerät an die Augen und stelltees sorgfältig ein. Nachdem sie einige Se-kunden lang hindurchgesehen hatte,reichte sie es dem Indianer.

»Es ist Enrico Fardi«, sagte sie.Durch das Glas sah Morales einen

korpulenten Mann, der hinter den Steu-erelementen des Gleiters saß.

»Er hat vier Arme«, rief er über-rascht. »Zwei sind normal lang, die an-

deren sind klein. Sie sehen verkümmertaus.«

»Gewöhnlich versteckt er das obere,verkümmerte Armpaar unter der Klei-dung«, sagte sie. »Jetzt aber hält er dasnicht für notwendig.«

Sie schürzte die Lippen.»Es ist so, wie ich gedacht habe. Er

fühlt sich sicher, und er will die Situati-on für seine Zwecke ausnutzen. Nur ausdiesem Grund ist er hier in Brasilia. Beiihm ist Teco, der Zwerg. Man kann ihnnicht sehen, weil er zu klein ist. Wahr-scheinlich liegt er hinten im Gleiter inden Polstern. Man hat Enrico Fardi nochniemals ohne diesen Diener gesehen.«

»Gut«, sagte Morales. »Wir wissenjetzt, daß Fardi ebenfalls immun gegendie Beeinflussungsstrahlung der Frem-den ist. Alles andere sind nur Vermutun-gen. Was machen wir jetzt?«

»Mir wäre wohler, wenn ich daswüßte«, entgegnete sie. »Am liebstenwürde ich ihn einfach erschießen, so wieer es mit uns machen würde. Aber daskann ich nicht.«

»Würde er es bestimmt mit uns ma-chen?« fragte er zweifelnd.

Sie hob das Gewehr an die Schulterund richtete es auf den Gleiter, schoß je-doch nicht.

In diesem Moment schlug EnricoFardi zu. Manta wurde bleich. Sie ließdas Gewehr fallen und griff sich ansHerz. Morales wollte ihr zu Hilfe kom-men, als sich ihm plötzlich etwas um dieBrust legte und ihn zu erdrücken drohte.

»Hilf mir«, bat Manta keuchend. »Sohilf mir doch.«

Er konnte ihr nicht helfen.

*

Assimladja brauchte lange, bis sie denSchock überwunden hatte. In dieser Zeitstand sie still unter einem Baum und

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lehnte sich an einen Ast. Sie hielt dieAugen geschlossen und antwortete nichtauf die Fragen Usqueesids.

Sie war noch jung, und sie war nochniemals gescheitert. So war das Gefühl,versagt zu haben, völlig neu für sie. Da-mit mußte sie erst einmal fertig werden.

Usqueesid erging es nicht anders alsihr, aber er war robuster und wenigersensibel.

Als sie endlich wieder die Augenöffnete, waren Stunden vergangen.

»Irgendwie geht es weiter«, sagte er.»Wir sind noch jung. Warum sollte unsimmer alles gelingen? Heißt es nicht inden Lehren Unandats, daß Schwierig-keiten dazu da sind, überwunden zuwerden?«

»Unandat ist mir fern«, antwortetesie. »Ich weiß kaum noch, wer er ist.«

Usqueesid setzte zu einer spöttischenAntwort an, als ihm bewußt wurde, daßes ihm ähnlich erging wie Assimladja. Erlachte unsicher.

»Da sind wir nun auf diese Welt ge-kommen, um die Menschen hier mit derBotschaft Unandats zu beglücken. Undwas ist passiert? Die Bedingungen, diewir vorgefunden haben, haben uns um-gedreht. Mir scheint, mit Unandat ist esnicht weit her, wenn es so leicht ist, ihnin die Vergessenheit zu schicken.«

Diese Worte waren ihr denn nundoch etwas zu extrem. Sie setzte zu einerheftigen Entgegnung an, als ein Hilfe-schrei sie erreichte. Er hallte in ihnenwider, und beide wußten auf Anhieb,daß er nicht von einem Vorthanier kam,sondern von einem Menschen der Erde.

Usqueesid packte Assimladja amArm.

»Hast du das auch gehört?«»Ganz deutlich«, antwortete sie.

»Wer kann das gewesen sein?«»Ich weiß nicht, aber wir müssen uns

darum kümmern. In dieser Stimme war

etwas, was mich direkt angesprochenhat. Es war etwas von der ... BlauenBlume.«

»Es war ganz fern darin verborgen«,bestätigte Assimladja, »aber es war da.Ich habe es auch gespürt.«

»Wir müssen helfen. Egal, wie wir esmachen.« Er faßte ihre Hand. »Wir müs-sen es noch einmal versuchen. Wir wol-len zu ihm springen.«

»Wir haben die Kraft verloren«, ent-gegnete sie.

»Wir schaffen es. Bestimmt. Denkean die Blaue Blume. Wenn wir ihn ret-ten, wird er uns zur Blauen Blume füh-ren. Das muß dir Kraft geben. Nimmdich zusammen.«

Sie lächelte zaghaft.»Wir schaffen es«, sagte sie. »Wenn

du mir hilfst, schaffen wir es.«Sie schlossen die Augen, hielten sich

bei den Händen und konzentrierten sichgemeinsam. Mit einem kurzen Druckseiner Hand zeigte Usqueesid an, daß siespringen wollten.

Als Assimladja die Augen wieder,öffnete, befand sie sich auf einem Park-dach mitten in einer fremden Stadt. Vorihr knieten ein dunkelhaariger Mann undeine schöne Frau, die gegen eine un-sichtbare Kraft ankämpften. Dabei be-fand sich die Frau in einer fast hoff-nungslosen Situation, während der Mannoffensichtlich ausreichenden Widerstandleistete. Von ihm aber war der Hilferufgekommen.

»Los, schnell«, rief Usqueesid. Erwarf sich auf die Frau und teleportiertemit ihr.

Assimladja zögerte kurz.Der Mann blickte sie an. Sie glaubte,

noch niemals vorher in den Augen einesanderen Wesens so viel Ruhe und innereSicherheit gesehen zu haben.

Und das, obwohl er sich in Lebens-gefahr befand und um Hilfe gerufen hat!

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dachte sie.Deutlich spürte sie die parapsychi-

sche Kraft, die auf ihn einwirkte und ihnvernichten wollte.

Sie legte dem Mann die Hand auf dieSchulter und teleportierte mit ihm.

Als sie rematerialisierte, befand siesich wieder an der Stelle in der Wildnis,von der aus sie zusammen mit Usqueesidgestartet war. Usqueesid war da. Er lagauf dem Boden und war bewußtlos. DieFrau, die er gerettet hatte, war nicht da.

Assimladja fühlte sich so schwach,daß sie sich nicht auf den Beinen haltenkonnte. Die Teleportation hatte sieförmlich ausgelaugt. Sie stürzte zu Bo-den. Die Sinne schwanden ihr.

Während sie fiel, wurde ihr bewußt,daß es auch ihr nicht gelungen war, dieRettungsaktion in gewohnter Weisedurchzuführen, denn der Mann mit denruhigen Augen war nicht bei ihr.

Sie hatte ihn irgendwo unterwegsverloren.

*

Morales fand sich mitten im Dschungelauf einer Anhöhe wieder. Er drehte sichum, als er jemanden stöhnen hörte.Manta kauerte auf dem Boden undpreßte sich die Hände gegen den Kopf.

»Wo sind wir?« fragte sie mühsam.»Was ist passiert?«

Der Indianer hatte keinerlei Be-schwerden. Er fühlte sich so, als seiüberhaupt nichts geschehen.

»Steh auf«, sagte er. »Es wird schonbesser werden.«

»Laß mich«, bat sie. »Ich braucheRuhe.«

Morales tat ihr den Gefallen und ließsie allein. Er sah sich um. Etwa fünfhun-dert Meter von ihnen entfernt stand einweißes Haus auf einem Hügel. Es warein palastartiges Gebäude, wie er es zu-

vor nur in den vornehmen Vororten derStädte gesehen hatte. Es war mitten imUrwald errichtet worden. Kein anderesHaus befand sich in der Nähe. Dennochirrten einige Menschen durch die Wild-nis. Innerhalb kürzester Zeit entdeckteder Indianer mehr als zwanzig ausge-mergelte Gestalten, die ziellos durch dasGelände gingen, sich hier und dort Blu-men pflückten und sich ins Haar steck-ten.

Manta hatte sich endlich soweit er-holt, daß sie sich aufrichten konnte. Siewar bleich. Morales fiel auf, daß ihrePupillen unnatürlich geweitet waren.

»Wie geht es dir?«»Schon besser«, entgegnete sie. »Die

Kopfschmerzen lassen nach.«Er legte den Arm um sie, nachdem er

das Gewehr in die linke Hand genom-men hatte.

»Hast du eine Ahnung, wo wirsind?«

»Nein«, antwortete sie, blickte je-doch nicht in die Landschaft hinaus,sondern auf ihre Füße. »Ich erinneremich nur noch an diese seltsamen, blau-en Geschöpfe. Sie sahen schön aus undwaren mir irgendwie sympathisch. Siehatten Katzenaugen, und sie schienenintelligent zu sein.«

»Sie haben uns mit einer Teleportati-on gerettet«, sagte er. »Sie haben uns ausBrasilia herausgebracht, als Enrico Fardiuns töten wollte.«

Manta stöhnte leise. Sie hob denKopf.

»Enrico Fardi? Morales, das Haus dadrüben gehört Enrico Fardi.«

»Bist du ganz sicher?«»Absolut. Ich weiß es genau. Ich bin

schon einmal hiergewesen. Vielleichthabe ich an dieses Haus gedacht, als dieBlauen uns gerettet haben. Vielleicht ha-ben sie uns deshalb hierher gebracht.«

»Ich weiß es nicht.« Der Indianer lä-

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chelte. »Die Blauen haben mich an etwaserinnert. An eine schöne Blume.«

Sie ging nicht auf seine Worte ein,sondern zeigte auf das Haus des Mutan-ten und sagte: »Laß uns dorthin gehen.«

»Bist du verrückt? Was passiert,wenn Fardi zurückkommt? Und er wirdbald zurückkommen. Das ist doch wohlklar?«

»Ich weiß nicht, was dann passiert«,entgegnete sie. »Ich weiß jedoch, daß ichkeine Hemmungen mehr haben werde,auf ihn zu schießen.«

Morales dachte darüber nach, was siegesagt hatte, während sie auf das Hauszugingen. Ihm wurde bewußt, daß er dasProblem Enrico Fardi lösen mußte. Wasauch immer in Zukunft geschehen wür-de, der Mutant würde ebenso zu denÜberlebenden gehören wie Manta oderer selbst auch. Das bedeutete, daß er sichfrüher oder später mit ihm auseinander-setzen mußte.

Es war besser, jetzt anzugreifen, alsspäter überrascht zu werden.

»Ich möchte wissen, warum dieBlauen uns geholfen haben«, sagteManta, als sie das Haus schon fast er-reicht hatten.

»Vielleicht haben sie unsere Gedan-ken aufgefangen, als der Mutant uns tö-ten wollte«, entgegnete er. Dann blieb erstehen und schlug sich die flache Handklatschend vor die Stirn. »Wie konnteich das übersehen!«

»Was ist los?« fragte sie. »Warumschreist du so?«

»Die Blauen! Die Fremden! Sie sindes, die alle Menschen beeinflussen, dieStädte zu verlassen. Sie sind es, die dieMenschheit angegriffen haben. Ist dirdas nicht klar? Es sind unsere Feinde.«

»Aber uns haben sie gerettet.«»Das paßt doch nicht zusammen«,

sagte er. »Manta. Wenn wir die Blauenerschossen hätten, wären alle Menschen

vielleicht wieder frei geworden.«»Sie haben uns gerettet, und du

denkst daran, sie zu erschießen«, sagtesie vorwurfsvoll.

»Auf uns beide kommt es nicht an«,erwiderte er heftig. Er zeigt auf eineGruppe von drei Frauen, die unter einemBusch kauerten und mit Blumen spiel-ten. »Sieh sie dir doch an. Sie verdurstenund verhungern. Wir könnten sie füttern,aber das wäre sinnlos. Wir können sienur retten, wenn wir die Blauen töten.«

Er schüttelte den Kopf und lachte lei-se.

»Alles ist ganz klar, aber was tun wirNarren? Wir versuchen, uns gegenseitigumzubringen. Wir haben es gar nichtverdient, gerettet zu werden.«

»Vielleicht wollen die Blauen es so?Vielleicht beeinflussen sie uns so, daßwir so handeln. Vielleicht haben sie ih-ren Spaß daran.« Manta hielt inne undüberlegte. »Aber nein. Das kann ich mirnicht vorstellen.«

Sie ging zu den Frauen beim Busch.Eine von ihnen hatte eine leere Vase da-bei. Manta nahm sie ihr ab, ging zu ei-nem Bach, schöpfte Wasser und reichtees den Frauen. Obwohl diese unter Durstlitten, nahmen sie das Wasser nur zö-gernd an.

Morales hielt Manta nicht davon ab,die Frauen zu versorgen. Er wartete auchnoch, als sie von einem Busch Beerenabpflückte und sie den Frauen in denMund stopfte. Danach wandte sich dieschöne Frau ab und kehrte zu ihm zu-rück.

»Laß uns weitergehen«, bat sie.Wenig später erreichten sie eine wei-

ße Treppe, die zum Haus Enrico Fardishinaufführte. Sie stiegen die Stufenhoch. Bald konnten sie über die Baum-wipfel hinwegsehen. Der Luftraum warfrei. Kein Gleiter näherte sich ihnen.

Manta erriet seine Gedanken.

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»Wenn Fardi sofort nach unseremVerschwinden aus Brasilia aufgebrochenist, kann er in etwa zwei oder drei Stun-den hier sein. Vorher nicht. Vergiß nicht,daß er einen Gleiter benutzen muß, wäh-rend wir von einer Sekunde zur anderenvon den Blauen hierhergebracht wur-den.«

Morales dachte darüber nach, warumdie Blauen sie alleingelassen hatten undwarum sie nicht noch einmal erschienen.Er fand jedoch keine befriedigende Ant-wort auf seine Fragen.

Das Haus war unverschlossen, so daßsie ungehindert eintreten konnten.

»Und nun?« fragte Morales.»Ich will mir sein Arbeitszimmer an-

sehen.«»Was hast du davon? Warum interes-

siert dich das?«»Ich bin Journalistin«, erwiderte sie,

und damit war für sie alles beantwortet.Er verstand, was sie meinte. Es war ihrBeruf, neugierig zu sein. Sie vermutete,daß Enrico Fardi sein Amt mißbrauchte,und dies war die beste Gelegenheit fürsie, Beweise zu sammeln. Dabei warunwichtig für sie, ob sie diese in abseh-barer Zeit verwenden konnte oder nicht.Sie wollte nur wissen, ob ihr Verdachtberechtigt war.

Getrennt durchsuchten sie das Haus.Manta fand das Arbeitszimmer desMutanten. Dafür interessierte sich Mo-rales nicht. Er entdeckte einen Raum, dermit Kommunikationsgeräten bis unterdie Decke gefüllt war. Während MantaNachforschungen im Arbeitszimmer be-trieb, setzte Morales sich an die Geräteund versuchte, eine Verbindung mit ir-gend jemandem zu bekommen, der nochfrei denken konnte.

Fast eine Stunde lang rief er diegrößten Städte in allen Teilen der Weltan, ohne eine Antwort zu bekommen.

Das Machtzentrum des terranischen

Imperiums war lahmgelegt worden. DieMacht lag nun in den Händen der Blau-en.

Nachdem der Indianer das erkannthatte, setzte er Lichtsprüche in den Welt-raum ab. Wenig später meldete sich derKommandant eines Frachtraumschiffs.

»Was, zum Teufel, ist eigentlich aufder Erde los?« fragte er polternd. »Wiesomeldet sich denn niemand?«

»Ich habe mich gemeldet«, antwor-tete Morales.

»Ja, Sie haben sich gemeldet. Abersonst schweigt alles auf der Erde. KeinFlottenkommando gibt Auskunft. Ichhabe eine Lancet zur Erde geschickt. Sieist verschwunden.«

Der Indianer erklärte mit einigenWorten, was sich auf der Erde ereignethatte.

»Wir benötigen dringend Hilfe«,sagte er. »Hilfe kann nur von außenkommen.«

Der Raumschiffskommandant run-zelte die Stirn. Er schüttelte den Kopf.

»Irrtum«, erwiderte er. »Was auchimmer von außen kommt, gerät sofortunter die Kontrolle der Fremden. DieMenschen, die unbeeinflußt sind, so wieSie, müssen es allein schaffen. Eine an-dere Möglichkeit gibt es nicht. Tun Siesich mit allen zusammen, die noch klardenken können, und dann räuchern Siedie Blauen aus.«

Morales lehnte sich in seinem Sesselzurück.

»Tun Sie mir einen Gefallen«, sagteer. »Sprechen Sie mit einem Flotten-kommando. Unterrichten Sie die verant-wortlichen Offiziere. Melden Sie sichanschließend wieder. Ich warte.«

»Also gut. Aber überlegen Sie inzwi-schen schon mal, was Sie für die Erdetun können.« Der Kommandant schalteteab.

»Der hat gut reden«, sagte Manta är-

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gerlich. Sie hatte den Raum betreten,ohne daß Morales es gemerkt hatte. »Sowie der es sich vorstellt, kommen wir nieweiter.«

Der Indianer erhob sich.»Hast du etwas gefunden?«»Nichts«, antwortete sie. »Enrico

Fardi ist ein kluger Mann. BelastendesMaterial hat er jedenfalls nicht so ver-wahrt, daß es leicht entdeckt werdenkann.«

Er blickte auf sein Chronometer.»Wir müssen damit rechnen, daß er

kommt.« Er nahm ihren Arm. »Wirwollen nachsehen.«

Sie gingen auf eine Dachterrasse hin-aus und blickten nach Süden. Die Luftwar klar und sauber. In der Ferne zeich-nete sich ein Punkt ab, der in der Sonneglitzerte.

»Das ist er«, sagte Manta. »EnricoFardi kommt.«

*

Atan Shubashi kehrte in die Hauptleit-zentrale des Raumschiffs zurück, als sichdie Funkerin eines Forschungskreuzersmeldete, der sich in der Nähe der Erdebefand. Am Instrumentenpult leuchteteauf einem Bildschirm die Zahl 358 000.Der Raumer hatte die Mondbahn alsobereits passiert und befand sich im di-rekten Anflug auf die Erde.

Tunaka Katsuro stand neben demHauptcomputer.

»Eine ausnehmend schöne Frau«,sagte Atan Shubashi leise, doch niemandreagierte auf diese Bemerkung.

»Ich kann Sie nur davor warnen, indie Nähe der Erde zu kommen«, sagtesie. »Da ist irgend etwas, was alle ver-rückt macht. Wir haben es selbst erlebt.Eine Automatikschaltung sorgte bei unsjedoch dafür, daß wir wieder von der Er-de weggeführt wurden.«

Tunaka Katsuro trat an den Bild-schirm und stellte sich vor.

»Dann sind Sie ja gerade der richtigeMann«, sagte sie, ohne sich beeindrucktzu zeigen, »aber auf der Erde selbstrichten Sie auch nichts aus.«

Der Direktor des GSD ließ sich ge-nau berichten, was die Mannschaft desForschungsraumschiffs erlebt hatte. Erhörte geduldig zu, bis er meinte, alles er-fahren zu haben.

»Danke«, sagte er. »Falls ich nochFragen haben sollte, werde ich mich beiIhnen melden.«

Er schaltete ab.»Eine allgemeine geistige Beeinflus-

sung also«, bemerkte Atan Shubashi.»Was kann man dagegen tun?«

»Eine vertrackte Situation«, entgeg-nete Katsuro. »Ich gebe zu, daß ich rat-los bin. Wir können nicht auf der Erdelanden, weil wir dann die Kontrolle überuns selbst verlieren würden. Wir müssenaber von der Annahme ausgehen, daßder Urheber der geistigen Beeinflussungauf der Erde ist.«

»Das bedeutet, daß wir nicht an ihnherankommen«, ergänzte Atan Shubashi.

»Es muß eine Möglichkeit geben«,sagte Katsuro verzweifelt. »Wir könnenuns doch nicht damit abfinden, daß wirnichts tun können.«

Atan Shubashi überlegte kurz. Dannentgegnete er: »Ich schlage vor, daß wires so machen wie die Besatzung des For-schungsschiffs. Wir sollten allerdingswesentlich näher an den Ort des Gesche-hens herangehen.«

»Wie meinen Sie das?«»Ich schlage vor, daß wir eine Siche-

rung einbauen. Das Schiff muß automa-tisch wieder von der Erde starten, wennwir nicht ganz bestimmte Dinge in derrichtigen Reihenfolge verrichten. Daswäre unsere Absicherung für den Fall,daß wir die Kontrolle über uns verlie-

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ren.«»Sie haben doch gehört, alle Men-

schen verlieren die Kontrolle über sich,sobald sie in die Atmosphäre der Erdeeindringen«, erwiderte Katsuro hitzig.

»Davon bin ich noch nicht überzeugt.Ich halte es für möglich, daß einige Be-satzungsmitglieder immun gegen die pa-rapsychischen Impulse sind. Das findenwir aber erst heraus, wenn wir uns ihnenaussetzen. Diese Männer und Frauenkönnen dann selbst entscheiden, was sietun wollen, ob sie aussteigen oder wiederstarten wollen. Ich hoffe nur, daß Sieund ich dabei sind.«

Katsuro nickte entschlossen.»Gut. So machen wir es«, entschied

er. »Wir landen am Mount Isa.«

8.

»Er hat uns jetzt wahrscheinlich auchschon bemerkt«, sagte Manta. Sie strichsich eine dunkle Locke aus der Stirn. »Ergreift bald an. Hoffen wir, daß er dannschon in Schußweite ist.«

Morales lud sein Gewehr wortlosdurch, legte sich auf den von der Sonnegewärmten Boden der Terrasse undbaute die Munitionspäckchen so nebensich auf, daß er zügig nachladen konnte.

Die Frau an seiner Seite hatte nurzehn Patronen im Magazin ihres Ge-wehrs und keine Reserve.

»Warum holst du dir keine Laser-handwaffe HM-4?« fragte er. »Ich habedrinnen eine gesehen.«

Sie schüttelte den Kopf und legte ihreHand über das Gewehrschloß.

»Diese Waffe ist zwar altertümlichim Vergleich zu einer HM-4, aber sie istmir lieber«, erklärte sie. »Ich kann damitumgehen, weil ich sie oft bei der Jagdbenutzt habe. Eine HM-4 habe ich ersteinmal in der Hand gehabt.«

Enrico Fardi kam schnell näher. Baldwar der Gleiter deutlich zu erkennen. Erflog direkt auf das Haus zu.

»Wir schießen, sobald er angreift«,sagte Manta. »Ich möchte mir selbst beieinem Mann wie Fardi nicht nachsagenlassen, daß ich geschossen habe, ohnebedroht worden zu sein.«

Morales nickte. Er legte das Gewehran und zielte auf den Mann hinter demSteuer. Auf ihn zielte auch die Brasilia-nerin. Einige Sekunden verstrichen, dannbäumte Manta sich auf. Sie schrie,schleuderte das Gewehr von sich undgriff sich nach dem Hals, der von einerunsichtbaren Gewalt zusammengepreßtwurde.

Der Indianer fühlte kaum etwas vondem telekinetischen Angriff. Er schoßviermal. Die Scheibe des Gleiters zer-splitterte. Die Gestalt hinter den Steuer-elementen verschwand aus seiner Sicht.Der Gleiter raste heran und jagte heulendüber die Terrasse hinweg. Erst in diesemMoment sah Morales, daß Enrico Fardigar nicht hinter dem Steuer gesessenhatte.

Manta sank stöhnend neben ihm aufdie Knie. Mit weit geöffneten Augenblickte sie ihn an.

»Du hast Teco erschossen«, sagte sievoller Verzweiflung. »Du hast denZwerg getötet!«

Morales war wie gelähmt. Er hieltdas Gewehr in den Händen, und er sah,daß der Gleiter einen weiten Bogen flogund sich dann der Terrasse erneut nä-herte.

»Sieh mich doch nicht so an«, for-derte er. »Du hättest ebenso auf denZwerg geschossen wie ich.«

»Ja. Das hätte ich getan«, gab siestöhnend zu. Sie hatte sich aufgegebenund machte noch nicht einmal den Ver-such, nach dem Gewehr zu greifen. Mo-rales aber blickte dem Gleiter entgegen.

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Ihm fiel auf, daß Enrico Fardi nun hinterden Steuerelementen saß. Die Flugkabi-ne wurde zusehends langsamer und ver-harrte schließlich in einer Entfernungvon etwa fünfhundert Metern in der Luft.

»Warum tut er das?« fragte Mantaverwirrt. »Will er uns quälen?«

Sie verspürten keinen Druck undbemerkten auch sonst keine Anzeicheneiner parapsychischen Beeinflussung.

Der Gleiter bewegte sich wieder.Langsam schwebte er auf sie zu. Moraleshob das Gewehr an die Schulter undzielte auf den Mutanten. Dieser reagiertenicht darauf. Er führte die Flugkabineweiter an die Terrasse heran.

»Nicht schießen«, schrie er, als ernoch etwa hundert Meter von ihr entferntwar. »Ich gebe auf.«

»Das ist ein Trick«, behauptete dieBrasilianerin. »Töte ihn, Morales.«

»Ich kann nicht auf einen Mannschießen, der sich nicht wehrt«, entgeg-nete der Indianer. »Wenn du ihn unbe-dingt tot sehen willst, dann nimm deinGewehr und töte du ihn.«

Zögernd griff sie nach ihrer Waffe,hob sie an die Schulter und zielte. Siedrückte jedoch nicht ab.

»Nicht schießen«, brüllte Enrico Far-di, der sich bis auf fünfzig Meter genä-hert hatte. »Bitte, nicht schießen.«

»Warum, zum Teufel, bringt er unsnicht um?« fragte Manta. »Er könnte esdoch tun. Er könnte uns zerquetschen.Warum tut er es nicht?«

»Vielleicht kann er es gar nicht?«Morales ließ sein Gewehr sinken.»Vielleicht ist er gar kein Mutant? Viel-leicht war der Zwerg der Mutant, der al-les für Fardi getan hat.«

Morales und das Mädchen schrittenrückwärts, bis sie mit den Schultern ge-gen die Hauswand stießen. Hier wartetensie ab.

Der Gleiter schwebte heran und lan-

dete auf der Terrasse.»Er weint«, stellte Manta überrascht

fest. »Fardi weint.«Der Mutant stieg aus. Sein Gesicht

war tränenüberströmt.»Warum habt ihr ihn erschossen?«

rief er, während er mit erhobenen Hän-den zu ihnen kam. »Warum habt ihr esgetan?«

»Weil das für uns die einzige Mög-lichkeit war, am Leben zu bleiben«,antwortete Morales.

Enrico Fardi blickte ihn fassungslosan.

»Aber ihr konntet doch nicht wissen,daß er mein Paraverstärker ist«, sagte erstammelnd. »Niemand hat es gewußt.Selbst Teco hatte keine Ahnung. Es warein Geheimnis, das ich stets gewahrt ha-be.«

Morales ließ sich nicht anmerken,wie überrascht er war. Er tat so, als seifür ihn alles klar gewesen.

»Ohne den Zwerg sind Sie nichts«,sagte er. »Ohne ihn haben Sie keinerleiparapsychische Fähigkeiten.«

Er sprach diese Worte im Ton einerFeststellung aus, wollte Enrico Fardi je-doch Informationen entlocken. DerMutant fiel auf seinen Trick herein.

»Ohne Teco bin ich nichts«, gestander. »Mit ihm zusammen konnte ich alles.Jetzt ist es vorbei.«

Zorn loderte in seinen Augen auf. Erging auf Morales zu, doch dieser hob dasGewehr und zielte auf ihn.

»Keinen Schritt weiter«, sagte derIndianer, »sonst ist es ganz vorbei mitIhnen.«

Enrico Fardi blieb stehen.»Was wird jetzt aus mir?« fragte er

verstört.»Das ist mir egal«, entgegnete der

Indianer. »Sie entgehen Ihrer Strafenicht. Das ist sicher. Verschwinden sie.«

»Ich soll verschwinden? Dies ist

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mein Haus!« rief Fardi.»Dennoch sind Sie es, der geht. Wir

bleiben hier.«Enrico Fardi sah ein, daß er verloren

hatte. Er drehte sich um und kehrte zumGleiter zurück. Er setzte sich hinter dasSteuer, startete und flog ab, ohne Mora-les oder Manta noch einen Blick zu gön-nen.

*

Dieses Mal überwand Assimladja denSchock schneller.

Sie kam vor Usqueesid zu sich, undals er Minuten später aus der Ohnmachterwachte, hatte sie sich schon völlig er-holt. Sie strich mit den Händen über ei-nen üppig blühenden Busch und ließ diein der Pflanze schlummernde Energie insich überströmen.

Mit ihren telepathischen Sinnennahm sie Verbindung zu den anderenVorthaniern auf, um sich über sie zu in-formieren. Das Ergebnis der Kontaktewar niederschmetternd.

Nur Usqueesid und sie selbst warennoch einigermaßen handlungsfähig. Dieanderen Vorthanier waren so gut wiehilflos. Die Sehnsucht nach der BlauenBlume hatte sie völlig ausgelaugt.

»Ich weiß jetzt, wie ich uns alle ret-ten kann«, teilte Assimladja mit.

»Beeile dich«, antwortete Elvedurijaflehend. »Lange halten wir nicht mehrdurch.«

»Was hast du vor?« fragte Usquee-sid, als sie die Verbindung zu den ande-ren abgebrochen hatte.

»Wir haben einen Fehler gemacht«,entgegnete sie. »Wir haben uns bishergegen die Gedanken der Menschen ab-geschirmt, weil wir glaubten, daß sie unsnichts geben, sondern uns behindern.Das trifft wahrscheinlich sogar auf diemeisten zu. Es gibt jedoch in diesem

Gebiet einfache Menschen, die abseitsder Zivilisation leben. Sie sind naturver-bunden. Sie kennen die Geheimnisse derPflanzen. Wir sind einem von ihnen be-gegnet. Er ist vor uns geflüchtet.«

»Der braune Mann mit den schwar-zen Haaren!«

»Ich habe meine Sinne geöffnet«,fuhr Assimladja fort. »Und ich habe her-ausgefunden, daß ganz in der Nähe eineSiedlung besteht, in der viele dieserMenschen wohnen. Keiner von ihnen hatsich von unseren Impulsen beeinflussenlassen, so wie die anderen. Wir werdenzu ihnen gehen und sie um Hilfe bitten.«

»Eine gute Idee«, lobte Usqueesid.»Wohin wenden wir uns?«

Assimladja streckte den rechten Armaus und zeigte nach Nordosten. »Dort-hin. Es ist nicht weit.« Usqueesid stelltekeine Fragen, sondern ging sofort mitAssimladja los. Die beiden Vorthanierdurchquerten ein Dschungelgebiet, dasandere als undurchdringlich angesehenhätten. Für sie stellte es jedoch kein Pro-blem dar. Die Pflanzen bogen sich zurSeite und schufen ihnen auf diese Weiseden Weg, den sie benötigten. So kamensie rasch voran.

Nach etwa einer Stunde lichtete sichder Urwald.

Ein kleines Indianerdorf tauchte vorden beiden Vorthaniern auf. Aus einerstrohgedeckten Hütte kamen ein paarKinder hervor und beobachteten sie mitgroßen Augen. Sie liefen nicht vor ihnenfort.

Die melancholischen Klänge einesSaiteninstruments, die aus dem Zentrumder Siedlung kamen, lockten die beidenVorthanier magisch an.

»Ich glaube, wir sind am Ziel«, sagteAssimladja, und ihre Stimme bebte vorErregung.

Der Eindruck der Primitivitättäuschte.

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Es sah nur so aus, als lebten die In-dianer unter einfachsten Bedingungen.Als die beiden Vorthanier näher heran-kamen, stellten sie fest, daß die Hüttenkomfortabel und modern gebaut waren.Sie boten nur äußerlich das Bild vonBauwerken einfachster Bauweise. Unterder primitiv anmutenden Fassade aberverbargen sich moderne Häuser.

Assimladja, die furchtlos bis zurDorfmitte gegangen war, blieb stehen,als ihr ein fast unbekleideter Mann ent-gegentrat. Die Brust des Indianers warmit schwarzen Farbsymbolen versehen.Schwarze Bänder schmückten seine Ar-me.

Assimladja reichte ihm den goldenenReif, den sie auf dem Kopf trug, um sichleichter mit ihm verständigen zu können.

Sie standen sich gegenüber undblickten sich an. Der Indianer schob sichden goldenen Ring über den Kopf.

»Wir suchen die Blaue Blume«, teiltesie ihm telepathisch mit.

Er verstand sie.»Sprich mit Töwaölö«, empfahl er

ihr.»Wie kann ich das tun?« fragte sie.

»Er ist in dem weißen Haus auf demHügel«, antwortete er.

Damit konnte sie nichts anfangen.Um sie besser zu informieren, beschrieber ihr das Haus, das er meinte. Er verrietihr, daß er Töwaölö beobachtet hatte.Auf geheimnisvollen Wegen, die sienicht erriet, war die Nachricht im Ur-wald verbreitet worden, daß Töwaölözurückgekehrt war.

»Wie komme ich dorthin?« fragte dieVorthanierin.

»Ich bringe dich zu ihm«, versprachder Indianer.

Er drehte sich um und ging zu einerunscheinbaren Hütte. Zögernd folgtenihm die Vorthanier.

»Können wir ihm vertrauen?« fragte

Usqueesid leise.»Bestimmt«, antwortete Assimladja.

»Er ist unser Freund.«Die anderen Indianer des Dorfes ka-

men aus ihren Hütten. Schweigend be-obachteten sie die beiden Fremden, diesich so selbstverständlich durch das Dorfbewegten, als seien sie hier zu Hause.

Der Häuptling drückte einen Knopfan einem Holzpfahl. Die Hütte teilte sichsurrend und enthüllte einen Gleiter.

»Steigt ein«, bat der Indianer. »Ichfliege euch hin.«

Assimladja und Usqueesid öffnetendie Türen und setzten sich in die Polster.Der Indianer startete. Leise summendstieg der Gleiter auf.

»Dort ist es«, sagte der Indianer undzeigte nach Südosten.

Assimladja sah ein Haus, das etwafünf Kilometer von ihnen entfernt aufeiner Anhöhe stand.

Sie glaubte zu wissen, wer dortweilte.

Der Indianer ließ den Gleiter ge-mächlich über den Dschungel dahintrei-ben.

Als sie sich dem Haus bis auf etwaeinen Kilometer genähert hatten, stiegdort ein Gleiter auf und entfernte sich inschneller Fahrt. Der Indianer ließ sichdadurch nicht zu einem höheren Tempoverleiten.

Assimladja bemerkte zwei Gestalten,die vor dem Haus standen. Wenig spätererkannte sie sie. Es waren jene Frau undjener Mann, die sie und Usqueesid vordem Angriff des Mutanten gerettet hat-ten.

Der Gleiter landete auf der Terrasse,und der Mann mit den auffallend ruhigenAugen öffnete ihr die Tür.

»Wir suchen die Blaue Blume«, sagtedie Vorthanierin. »Du weißt, wo sie ist.«

Morales wußte zunächst überhauptnicht, wovon sie sprach, und er verstand

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sie auch nicht, als sie ihm einen golde-nen Reif auf den Kopf legte.

»Die Blaue Blume?« fragte er. »Wasmeinst du damit?«

Er sah, daß sie enttäuscht war. Hilfe-suchend wandte er sich an den Häupt-ling, der den Gleiter geflogen hatte. Erwechselte einige Worte mit ihm. Dannhellte sich sein Gesicht auf.

»Ja«, sagte er. »Ich weiß, wo dieBlaue Blume ist.«

Er erfaßte die Sehnsucht nach derBlauen Blume, die die Vorthanierin er-füllte, und er begriff, daß es lebensnot-wendig für sie war, daß diese Sehnsuchtgestillt wurde.

Morales spürte, daß Assimladja undihr Begleiter krank waren. Ihr fremdarti-ges Aussehen störte ihn nicht. Sie warenfür ihn Menschen wie andere auch.

Er wußte, daß sie für das Chaos ver-antwortlich waren, das sich über dieganze Erde ausgebreitet hatte, aber erhaßte sie nicht deswegen. Er machte ih-nen noch nicht einmal einen Vorwurf,weil ihm der goldene Reif dazu verhalf,sie zu verstehen.

Er erkannte ihr Motiv, und er ver-stand sie, obwohl ihm der Begriff Unan-dat überhaupt nichts sagte. Er erkanntelediglich, daß Unandat für die Vortha-nier eine Gottheit war, die sie verehrthatten, zu der sie jedoch die Verbindungverloren hatten. Er sprach sie nicht dar-auf an, weil er wußte, daß er sie damitnur quälen würde.

Nun beantwortete sich die Frage,warum er und seine Stammesbrüder dengeistigen Impulsen der Vorthanier nichterlegen waren, wie von selbst. DerGrund war das innige Verhältnis, das siezu den Pflanzen und Tieren ihrer Um-welt hatten. Bei Manta und den anderenMenschen, die sich als immun erwiesenhatten, war eine mentale Unempfäng-lichkeit vorhanden, die sie schützte.

»Das Chaos muß ein Ende haben«,sagte die schöne Brasilianerin. »DieMenschen müssen wieder frei werdenund in die Städte zurückkehren.«

Sie stieß Morales aufmunternd an.Da sie keinen Goldreif hatte, konnte siesich nicht mit den Vorthaniern verstän-digen.

»Sage es ihnen doch.«»Das hätte keinen Sinn«, antwortete

er. »Sie können das Chaos nicht von sichaus beenden, weil sie keine Kontrolleüber die von ihnen ausgehenden menta-len Impulse haben.«

»Dann müssen sie von der Erde ver-schwinden«, erklärte sie heftig. »Unddas möglichst schnell.«

Morales schüttelte den Kopf.»Sie wollen nicht mehr weg. Sie

wollen hier auf der Erde bleiben. Es ge-fällt ihnen hier so gut.«

»Das ist unmöglich. Sie können nichtdie ganze Menschheit vernichten, nurweil sie es hier im Dschungel so hübschfinden.«

»Das wollen sie auch nicht«, erwi-derte Morales ruhig. »Ich werde sie zueinem Tempel führen. Dort werden siedie von ihnen verehrte Blaue Blume fin-den. Ich hoffe, daß sie wieder gesundwerden, wenn sie sie sehen.«

»Und was geschieht, wenn sie nichtgesund werden?«

Er legte ihr besänftigend den Armum die Schultern.

»Dann werden sie die Erde verlassen,Manta. Das ist doch gar keine Frage.«

Assimladja bestätigte ihm, daß siesich zurückziehen würden, wenn dieMenschheit bedroht blieb.

»Wir gehen zu Fuß«, entschied Mo-rales. »Es ist nicht weit.«

Er stieg die Treppen hinunter. Diebeiden Vorthanier und Manta folgtenihm. Der Indianerhäuptling stieg in sei-nen Gleiter und flog in gemächlichem

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Tempo wieder zu seinem Dorf zurück.Er wußte, daß er sich nicht mehr um dieVorthanier zu kümmern brauchte.

Was geschieht? hallte eine telepathi-sche Stimme in Morales auf.

Sei ruhig; Elvedurija, antwortete As-simladja, und auch ihre Stimme vernahmMorales mit Hilfe des goldenen Reifes.Alles wird gut.

Ich fühle mich so schwach, rief einanderer Vorthanier.

Sei geduldig, Irisandija, antworteteAssimladja.

Auf diese Weise erfuhr Morales, daßinsgesamt sieben Vorthanier auf die Erdegekommen waren. Sie alle waren amEnde ihrer Kräfte. Die Sehnsucht nachder Blauen Blume hatte sie nahezu zer-stört.

Er führte die Vorthanier in den Ur-wald.

Staunend beobachtete er, wie sich diePflanzen bewegten und ihnen Platzmachten. Zunächst glaubte er, daß derWind die Pflanzen zur Seite drückte,doch schon wenig später sah er, daß siesich auch gegen den Wind bogen.

»Wir tun nichts dazu«, teilte ihm As-simladja mit. »Die Pflanzen tun es vonsich aus.«

Morales ging nicht auf ihre Worteein. Die Reaktion der Pflanzen war ihmunheimlich.

Er betrat einen schmalen Dschungel-pfad, der um einen kleinen See herum-führte. Danach ging er über einen Hügelweiter auf eine Landzunge hinaus, die ineinen zweiten See hineinragte. Ein be-täubend süßer Duft schlug ihnen entge-gen.

»Dort drüben ist es«, sagte Morales.Die Vorthanier schoben sich an ihm

vorbei. Sie eilten über die Landzunge zueinem verfallenen Tempel hin, auf des-sen Mauern Hunderte von Orchideenwuchsen, die handtellergroße, samtblaue

Blüten hatten.Assimladja sank auf die Knie. Ihre

bebenden Hände berührten einige Blü-ten.

Als Morales sich den Vorthaniernnäherte, sah er, daß ihre Augen tränen-feucht waren.

Er legte den goldenen Reif ab, weiler sie nicht belauschen wollte. Aber auchohne telepathische Verbindung erkannteer, daß die beiden Vorthanier ein Erfül-lungserlebnis hatten, das sie von demBann erlöste, den jene geheimnisvolleBlaue Blume in ihnen errichtet hatte.

Sie akzeptierten diese Orchideenartals die Blaue Blume der Erde. Ihr neig-ten sie sich zu. In ihr fanden sie Ruhe.

Morales wartete geduldig ab.Eine volle Stunde verstrich, bis As-

simladja und Usqueesid sich wieder er-hoben. Sie waren völlig verwandelt. Nunsahen sie gesund, kräftig und schön aus.Ihre Haut hatte einen ganz anderenGlanz als vorher. Sie schimmerte wieSamt, nachdem sie neues Leben gewon-nen hatte.

Morales legte den goldenen Reif an.In ihm klangen die glücklichen

Stimmen aller Vorthanier auf. Nicht nurAssimladja und Usqueesid waren erlöst.Auch die anderen Vorthanier waren es.

*

»Es ist niemand da«, sagte der Funker.»Das ist doch unmöglich«, entgeg-

nete Katsuro. Der Kreuzer war in derRaumbasis gelandet, ohne daß sich et-was Auffälliges ereignet hatte. Unge-wöhnlich war, daß niemand in derRaumbasis auf die Funksprüche desKreuzers geantwortet hatte, aber dashatte man aufgrund der Ereignisse schonerwartet. Ganz und gar unglaubhaft da-gegen erschien es Atan Shubashi, daßdie Raumbasis verlassen worden sein

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sollte.»Sie können doch nicht alle beein-

flußt worden sein, wenn wir ausnahms-los verschont bleiben«, sagte Katsuro.»So etwas ist unvorstellbar.«

»Aber es ist so«, bemerkte AtanShubashi. »Wir merken nichts. Niemandan Bord hat sein Verhalten auffällig ver-ändert. Alles ist völlig normal.«

»Vielleicht hat die Beeinflussung in-zwischen aufgehört«, sagte der Kom-mandant des Raumschiffes.

»Möglich«, entgegnete der Direktordes GSD, »aber wenig wahrscheinlich.«

Der Funker versuchte erneut, mit ir-gend jemandem in der Raumbasis Ver-bindung zu bekommen, doch auch jetztmeldete sich niemand.

»Wir steigen aus und sehen uns inder Basis um«, befahl Katsuro. »Ich willwissen, was los ist.«

»Moment«, rief der Funker. »Ein An-ruf.«

Er schaltete ein Videogerät ein. Aufdem Bildschirm erschien das Gesicht ei-nes südamerikanischen Indianers.

»Mein Name ist Morales«, sagte derIndianer. »Ich freue mich, daß ich end-lich mit jemandem sprechen kann.«

»Wer sind Sie? Was wollen Sie?«fragte Katsuro ungeduldig. »Wir habenim Moment Wichtigeres zu tun, als mitIhnen zu reden.«

»Ich möchte Sie nicht aufhalten«,sagte Morales freundlich. »Sie solltenjedoch wissen, daß es keine Bedrohungfür die Erde mehr gibt. Die Vorthanierhaben zu sich selbst gefunden. Die BlaueBlume hat sie gesunden lassen. Daswollte ich Ihnen nur eben sagen. Längermöchte ich Sie dann nicht aufhalten.Entschuldigen Sie die Störung.«

»Schalten Sie nicht ab«, brüllte Kats-uro. »Um Himmels willen, schalten Sienicht ab.«

»Wenn Sie es möchten, bleibe ich am

Apparat«, erwiderte Morales.»Erzählen Sie. Berichten Sie«, for-

derte der GSD-Direktor nervös. »Washaben Sie da von der Blauen Blume undvon den Vorthaniern gesagt? Wir wissenvon nichts.«

Morales lächelte.»Die Vorthanier sind Kinder der

Blauen Blume, einer Pflanze, die mit ih-rer ungeheuer starken Vitalität einenganzen Planeten beherrscht. Auf diesemPlaneten sind die sieben Vorthanier auf-gewachsen, die zur Erde gekommensind, um uns Menschen mit den LehrenUnandats zu beglücken.

Beim Anblick unseres blauen Plane-ten wurden sie an die Blaue Blume erin-nert, und eine übergroße Sehnsucht nachihr wurde wach. Das schwächte dieVorthanier glücklicherweise und lenktesie von Unandat ab. Beim ersten Kontaktmit den Pflanzen der Erde setzte einVeränderungsprozeß ein, dem sie sichnicht entziehen konnten. Damit verlorensie die Fähigkeit, uns die Lehren Unan-dats zu vermitteln. Da sie aber ständig andie Blaue Blume dachten, machten siemit ihrer Sehnsucht sozusagen die ganzeMenschheit auf der Erde verrückt. DieSehnsucht übertrug sich auf die Men-schen. Nur sehr wenige wurden nichtdavon erfaßt.

Die Menschen haben ihre Wohnun-gen verlassen und sich auf alles gestürzt,was pflanzlich ist. Niemand war nochHerr seiner selbst. Niemand war fähig,einen klaren Gedanken zu fassen.

Das ist nun glücklicherweise zu En-de. Die Vorthanier haben sich unterKontrolle. Ich habe sie zu einem Tempelim Dschungel geführt, der von blau blü-henden Orchideen überwuchert ist. Da-mit schloß sich der Kreis. Die Vorthanierfanden zu sich selbst, sie gesundeten undbekamen sich unter Kontrolle. Sie stellenkeine Gefahr mehr für die Menschheit

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dar. Überall auf der Erde kehren dieMenschen in ihre Wohnungen und an ih-re Arbeitsplätze zurück. Für viele ist dasein Problem, weil sie total erschöpftsind.«

Gebannt hörten Katsuro, Atan Shu-bashi und die anderen in der Hauptleit-zentrale zu.

»Dann sind Sie sozusagen der Retterder Menschheit«, sagte Atan Shubashi.

Morales wehrte bescheiden lächelndab.

»Übertreiben Sie nicht«, bat er. »Ichhabe nur getan, was jeder andere auchgetan hätte.«

»Wir kommen«, kündigte Katsuroan. »Wir werden sofort starten und zuIhnen kommen. Geben Sie uns Ihre ge-naue Position an.«

Morales gab ihm die geforderten

Daten, da er auf eine derartige Fragevorbereitet war.

»Die Vorthanier haben auch etwasvon Cliff McLane und den anderen Mit-gliedern der ORION-Crew erwähnt«,schloß er. »Ich weiß jedoch nur, daß sienoch leben. Ich hatte keine Zeit, dieVorthanier näher zu befragen. Das kön-nen Sie ja auch viel besser als ich, da ichvon der Crew lediglich die Namen kenneund ansonsten keine Ahnung habe, wosie ist und wie sie dahingekommen ist.«

»Das übernehme ich«, sagte AtanShubashi. »Auf jeden Fall danke ich Ih-nen, Senhor Morales.«

»Morales ist mein Vorname«, ent-gegnete Morales. »Sie können also denSenhor ruhig weglassen. Als Indianerbin ich das so gewohnt.«

ENDE

Die KINDER DER BLAUEN BLUME wurden zu unwiderstehlichen In-vasoren und zugleich zu Opfern einer psychischen Konditionierung, dieihnen von einer »Siegerpflanze« zusammen mit ihren besonderen Fä-higkeiten vermittelt worden war.

Unandat gibt nicht auf. Die auf die Menschheit zukommende über-mächtige Gefahr, den verzweifelten Kampf der ORION-Crew und dasAuftreten eines uralten Nachbarn schildert Hans Kneifel im ORION-Roman der nächsten Woche mit dem Titel

STIMMEN VOM JUPITER