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Z Rheumatol 2008 · 67:98–99 DOI 10.1007/s00393-008-0263-z Online publiziert: 27. Februar 2008 © Springer Medizin Verlag 2008 H.-I. Huppertz Prof.-Hess-Kinderklinik und Klinik für Neonatologie und Pädiatrische Intensivmedizin, Klinikum Bremen Mitte Kinder- und Jugendrheumatologie Einführung zum Thema Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist mir eine große Freude, nach Juni 2005 [1] und November 2006 [2] das dritte The- menheft der Zeitschrift für Rheumatolo- gie aus dem Gebiet der Kinder- und Ju- gendrheumatologie vorzustellen. Folgende Themen werden näher beleuchtet: K. Minden und M. Niewerth aus Ber- lin beschreiben die aktuell gültige Klassifi- kation des kindlichen Rheumas, also der ju- venilen idiopathischen Arthritis (JIA). Bis zur vollständigen Aufklärung von Ätiolo- gie und Pathogenese der Erkrankung bleibt eine solche wesentlich auf klinischen Krite- rien beruhende Klassifikation notwendig. Sie ermöglicht den Vergleich unterschied- licher Studien und erleichtert Eltern und jugendlichen Patienten den Zugang zum Verständnis ihrer Erkrankung. Mit dem Erkenntniszuwachs muss die Klassifikati- on regelmäßig überarbeitet werden. Wie im Artikel gezeigt, ist ein ganz wesentliches Instrument der epidemiologischen For- schung in Deutschland die Kinder-Kern- dokumentation, die, wie in der Erwachse- nenrheumatologie, vom Deutschen Rheu- maforschungszentrum in Berlin durchge- führt wird. Die Fortführung dieser Doku- mentation ist zudem als Instrument der Qualitätskontrolle und Rechtfertigung ge- genüber Politik und Kostenträgern uner- lässlich. Auch von dieser Seite sei allen teil- nehmenden Zentren und den betroffenen Eltern und jugendlichen Patienten für ih- re Mitarbeit gedankt. T. Niehues, Krefeld, ehemals Düssel- dorf, und Mitarbeiter berichten über neu- ere Vorstellungen zur Pathogenese der JIA. Die Daten zur genetischen Disposition sind zahlreicher geworden, die große Heteroge- nität der verschiedenen Formen der JIA er- schwert eine definitive Aussage. Die eigent- liche Ätiologie der Erkrankung, das oder die initial auslösenden Ereignisse, z. B. In- fektionserreger, bleiben weiterhin im Dun- keln. Während die systemische Beginnform, der M. Still, eine autoinflammatorische Er- krankung ist, sind die anderen Formen mit Autoimmunität assoziiert. Dabei könnte ein Versagen der regulatorischen T-Zellen (Treg) eine wichtige Rolle spielen. > Die Kinder-Kerndokumentation ist ein wesentliches Instrument der epidemiologischen Forschung in Deutschland Die meisten Fortschritte im Verständnis der Pathogenese der JIA hat es bei der Auf- deckung der Rolle der angeborenen Immu- nität („innate immunity“) gegeben. Aller- dings würden Fehlfunktionen der ange- borenen Immunität eigentlich eher zu au- toinflammatorischen als autoimmunen Krankheitsbildern beitragen. An mehre- ren Beispielen zeigen die Autoren, wie aus dem pathologischen Zusammenwirken bei- der Systeme die chronische Entzündung mit Autoimmunität entstehen könnte. Ziel der weiteren Aufklärung der Pathogenese der JIA ist zunächst die vollständige Charak- terisierung von Genen und Proteinen bei Gruppen identischer Verläufe und die Ver- bindung mit dabei erfolgreichen therapeu- tischen Strategien. Daraus könnte sich ei- ne für den individuellen Patienten pass- genaue Behandlung ergeben. Als späteres Fernziel könnte die Prävention der Erkran- kung stehen. F. Dressler, Hannover, und H.-I. Hup- pertz, Bremen, beschreiben die von Ze- cken übertragene Lyme-Arthritis bei Kin- dern und Jugendlichen. Zwar zeigen sich et- wa 10-20% der pädiatrischen Fälle antibio- tikarefraktär, doch heilen auch diese Fäl- le nach evtl. jahrelangem Verlauf mit rezi- divierenden Gelenkschwellungen aus. Die bei erwachsenen Patienten schwierige Dis- kussion der „Post-Lyme-Erkrankung“ fehlt glücklicherweise vollständig. Ein vermeid- barer Risikofaktor für einen antibiotika- refraktären Verlauf ist die Gabe von Glu- kokortikoiden vor Abschluss der antibio- tischen Therapie. Es sei deshalb noch ein- mal eindringlich davor gewarnt, intraarti- kuläre Steroide zu applizieren, wenn nicht vorher eine Lyme-Arthritis ausgeschlossen wurde: Wenn Antikörper der Klasse IgG ge- gen Borrelia burgdorferi fehlen, liegt keine Lyme-Arthritis vor. Das größte Problem in der Beratung von Kollegen und Patienten stellt jedoch die Beurteilung von nichtindizierten sero- logischen Befunden dar, die wegen nicht auf eine Borreliose hinweisenden Be- schwerden, meist Befindlichkeitsstörun- gen, erhoben wurden. Nicht selten fin- den sich nicht interpretierbare Befunde, die aber nicht ungeschehen gemacht wer- den können und Arzt und Patient verun- sichern. Die in der Folge durchgeführten nichtindizierten antibiotischen Therapien und serologischen Kontrollen verstellen den Weg zur korrekten Diagnose und ver- ursachen unnötige Nebenwirkungen und Kosten. Deshalb sei die Bitte wiederholt, nur dann eine Borrelienserologie anzufor- dern, wenn der konkrete Verdacht auf ei- ne Lyme-Borreliose vorliegt: In der Kin- der- und Jugendrheumatologie ist dies der Fall bei einer neu aufgetretenen Arthritis, nicht aber bei Arthralgien. 98 |  Zeitschrift für Rheumatologie 2 · 2008

Kinder- und Jugendrheumatologie

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Page 1: Kinder- und Jugendrheumatologie

Z Rheumatol 2008 · 67:98–99DOI 10.1007/s00393-008-0263-zOnline publiziert: 27. Februar 2008© Springer Medizin Verlag 2008

H.-I. HuppertzProf.-Hess-Kinderklinik und Klinik für Neonatologie und Pädiatrische Intensivmedizin, Klinikum Bremen Mitte

Kinder- und Jugendrheumatologie

Einführung zum Thema

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

es ist mir eine große Freude, nach Juni 2005 [1] und November 2006 [2] das dritte The-menheft der Zeitschrift für Rheumatolo-gie aus dem Gebiet der Kinder- und Ju-gendrheumatologie vorzustellen. Folgende Themen werden näher beleuchtet:

K. Minden und M. Niewerth aus Ber-lin beschreiben die aktuell gültige Klassifi-kation des kindlichen Rheumas, also der ju-venilen idiopathischen Arthritis (JIA). Bis zur vollständigen Aufklärung von Ätiolo-gie und Pathogenese der Erkrankung bleibt eine solche wesentlich auf klinischen Krite-rien beruhende Klassifikation notwendig. Sie ermöglicht den Vergleich unterschied-licher Studien und erleichtert Eltern und jugendlichen Patienten den Zugang zum Verständnis ihrer Erkrankung. Mit dem Erkenntniszuwachs muss die Klassifikati-on regelmäßig überarbeitet werden. Wie im Artikel gezeigt, ist ein ganz wesentliches Instrument der epidemiologischen For-schung in Deutschland die Kinder-Kern-dokumentation, die, wie in der Erwachse-nenrheumatologie, vom Deutschen Rheu-maforschungszentrum in Berlin durchge-führt wird. Die Fortführung dieser Doku-mentation ist zudem als Instrument der Qualitätskontrolle und Rechtfertigung ge-genüber Politik und Kostenträgern uner-lässlich. Auch von dieser Seite sei allen teil-nehmenden Zentren und den betroffenen Eltern und jugendlichen Patienten für ih-re Mitarbeit gedankt.

T. Niehues, Krefeld, ehemals Düssel-dorf, und Mitarbeiter berichten über neu-ere Vorstellungen zur Pathogenese der JIA. Die Daten zur genetischen Disposition sind zahlreicher geworden, die große Heteroge-

nität der verschiedenen Formen der JIA er-schwert eine definitive Aussage. Die eigent-liche Ätiologie der Erkrankung, das oder die initial auslösenden Ereignisse, z. B. In-fektionserreger, bleiben weiterhin im Dun-keln. Während die systemische Beginnform, der M. Still, eine autoinflammatorische Er-krankung ist, sind die anderen Formen mit Autoimmunität assoziiert. Dabei könnte ein Versagen der regulatorischen T-Zellen (Treg) eine wichtige Rolle spielen.

> Die Kinder-Kerndokumentation ist ein wesentliches Instrument der epidemiologischen Forschung in Deutschland

Die meisten Fortschritte im Verständnis der Pathogenese der JIA hat es bei der Auf-deckung der Rolle der angeborenen Immu-nität („innate immunity“) gegeben. Aller-dings würden Fehlfunktionen der ange-borenen Immunität eigentlich eher zu au-toinflammatorischen als autoimmunen Krankheitsbildern beitragen. An mehre-ren Beispielen zeigen die Autoren, wie aus dem pathologischen Zusammenwirken bei-der Systeme die chronische Entzündung mit Autoimmunität entstehen könnte. Ziel der weiteren Aufklärung der Pathogenese der JIA ist zunächst die vollständige Charak-terisierung von Genen und Proteinen bei Gruppen identischer Verläufe und die Ver-bindung mit dabei erfolgreichen therapeu-tischen Strategien. Daraus könnte sich ei-ne für den individuellen Patienten pass-genaue Behandlung ergeben. Als späteres Fernziel könnte die Prävention der Erkran-kung stehen.

F. Dressler, Hannover, und H.-I. Hup-pertz, Bremen, beschreiben die von Ze-

cken übertragene Lyme-Arthritis bei Kin-dern und Jugendlichen. Zwar zeigen sich et-wa 10-20% der pädiatrischen Fälle antibio-tikarefraktär, doch heilen auch diese Fäl-le nach evtl. jahrelangem Verlauf mit rezi-divierenden Gelenkschwellungen aus. Die bei erwachsenen Patienten schwierige Dis-kussion der „Post-Lyme-Erkrankung“ fehlt glücklicherweise vollständig. Ein vermeid-barer Risikofaktor für einen antibiotika-refraktären Verlauf ist die Gabe von Glu-kokortikoiden vor Abschluss der antibio-tischen Therapie. Es sei deshalb noch ein-mal eindringlich davor gewarnt, intraarti-kuläre Steroide zu applizieren, wenn nicht vorher eine Lyme-Arthritis ausgeschlossen wurde: Wenn Antikörper der Klasse IgG ge-gen Borrelia burgdorferi fehlen, liegt keine Lyme-Arthritis vor.

Das größte Problem in der Beratung von Kollegen und Patienten stellt jedoch die Beurteilung von nichtindizierten sero-logischen Befunden dar, die wegen nicht auf eine Borreliose hinweisenden Be-schwerden, meist Befindlichkeitsstörun-gen, erhoben wurden. Nicht selten fin-den sich nicht interpretierbare Befunde, die aber nicht ungeschehen gemacht wer-den können und Arzt und Patient verun-sichern. Die in der Folge durchgeführten nichtindizierten antibiotischen Therapien und serologischen Kontrollen verstellen den Weg zur korrekten Diagnose und ver-ursachen unnötige Nebenwirkungen und Kosten. Deshalb sei die Bitte wiederholt, nur dann eine Borrelienserologie anzufor-dern, wenn der konkrete Verdacht auf ei-ne Lyme-Borreliose vorliegt: In der Kin-der- und Jugendrheumatologie ist dies der Fall bei einer neu aufgetretenen Arthritis, nicht aber bei Arthralgien.

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Page 2: Kinder- und Jugendrheumatologie

H.J. Girschick, Würzburg, berichtet über die neueste Entwicklung bei der loka-lisierten Sklerodermie und der neuen Klas-sifikation der juvenilen systemischen Skle-rose. Es scheint, dass auch Patienten mit den lokalisierten Formen systemische Zei-chen haben können, sodass eher ein Kon-tinuum klinischer Bilder anzunehmen ist. Allerdings darf diese Erkenntnis nicht da-zu führen, bei allen Patienten mit linearer Form oder Morphea regelmäßig nach syste-mischer Beteiligung zu suchen: Die Mehr-zahl der Patienten erreicht eine Remissi-on mit örtlicher Defektheilung ohne Betei-ligung innerer Organe. Besonders schwie-rig ist die Therapie der systemischen Skle-rose, weil es keinerlei kontrollierte Studi-en gibt, die Prognose eher günstiger als im Erwachsenenalter zu sein scheint und po-tenziell kurative Ansätze wie die autologe Stammzelltransplantation beim noch re-lativ gesunden Patienten wegen der mög-lichen schwerwiegenden Nebenwirkungen einschließlich Tod häufig erst erwogen wer-den, wenn bereits schwere bleibende Schä-den eingetreten sind. Die im Rahmen der „Pediatric Rheumatology European Socie-ty“ (PRES) initiierten Register und Studien zur Sklerodermie unter der Leitung von F. Zulian aus Padua sind rückhaltlos zu unterstützen.

Obwohl die Anzahl der Patienten mit rheumatischen Erkrankungen im Kindes- und Jugendalter deutlich geringer ist als bei Erwachsenen, kommt der Kinder- und Ju-gendrheumatologie doch besondere Bedeu-tung zu. Dies liegt nicht zuletzt an der er-heblichen Lebenserwartung der Patienten, die zum Zeitpunkt der Diagnosestellung bei über 80 Jahren liegen könnte. Schäden am Bewegungsapparat oder an Organen wie Auge, Herz oder Niere, sei es durch die Er-krankung oder die Therapie, haben des-halb besonders gravierende Folgen. Ent-sprechend werden die Jahrestagungen der Deutschen Gesellschaft für Rheumatolo-gie gemeinsam mit einer Tagung der Ge-sellschaft für Kinder- und Jugendrheumato-logie (früher Arbeitsgemeinschaft Kinder- und Jugendrheumatologie) ausgerichtet werden. Dies ist für beide Seiten befruch-tend und wird das gegenseitige Verständ-nis fördern.

Im Sinne der Transition sollte der Kin-der- und Jugendrheumatologe mit Kolle-gen aus der internistischen Rheumatolo-

gie, manchmal „Erwachsenenrheumatolo-gie“ genannt, zusammenarbeiten und Ju-gendliche transferieren, wenn diese dafür reif sind und dies wollen, etwa nach Voll-endung des 18. Lebensjahres. Dabei erle-ben wir eine große individuelle Variation mit Patienten, die schon mit 16 Jahren nicht mehr in der Kinderklinik behandelt werden wollen, und anderen, die selbst nach dem Abitur unbedingt die „kuschelige“ Atmo-sphäre der Pädiatrie als Patient weiter ge-nießen wollen. Dabei ist darauf hinzuwei-sen, dass ein Patient, dessen Erkrankung vor Vollendung des 16. Lebensjahres begon-nen hat, auch als Erwachsener die Diagno-se „juvenile idiopathische Arthritis (JIA)“ behält: Wenn die Gelenkentzündung fort-besteht oder ein neuer Schub auftritt, än-dert sich die Diagnose mit dem Eintritt ins Erwachsenenalter nicht.

EAuch der Erwachsenen-rheumatologe sollte mit der Terminologie der pädiatrischen Rheumatologie vertraut sein.

Bei der Versorgung von Kindern und Ju-gendlichen mit rheumatischen Erkran-kungen spielen in Deutschland nicht sel-ten auch die geringe Zahl verfügbarer pädiatrischer Rheumatologen und die Ent-fernung zum gewählten Zentrum für Kin-der- und Jugendrheumatologie eine wich-tige Rolle. Wir versuchen, den sich wider-strebenden Gesichtspunkten der wohnort-nahen Betreuung und der best möglichen Qualität der Versorgung dadurch gerecht zu werden, dass die initiale Diagnostik und Therapieeinleitung zwar im Bremer Zen-trum erfolgen, dass aber weitere, gut plan-bare Behandlungsschritte oder zwischen-zeitliche Kontrollen in Absprache bei nie-dergelassenen Kinderärzten, Erwachsenen-rheumatologen, Hausärzten oder in koo-perierenden Kinderkrankenhäusern erfol-gen. Die Patienten kommen dann im wei-teren Verlauf nur noch 2- bis 4-mal im Jahr zu uns oder bei Auftreten von Komplikati-onen. Andere deutsche Zentren verfahren ähnlich.

In diesem Sinne hoffe ich, dass die fol-genden Artikel bei Erwachsenenrheumato-logen und Kinder- und Jugendrheumatolo-gen gleichermaßen günstig aufgenommen werden mögen.

Ihr

H.-I. Huppertz

KorrespondenzadresseProf. Dr. H.-I. HuppertzProf.-Hess-Kinderklinik und Klinik für Neonatologie und Pädiatrische Intensiv- medizin, Klinikum Bremen MitteSankt-Jürgen-Straße, 28177 [email protected]

Literatur

1. Z Rheumatol (2005) 64: 293–333 2. Z Rheumatol (2006) 65: 575–609

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