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Leseprobe aus: Koch/Strecker, Kindern bei Trennung und Scheidung helfen, ISBN 978-3-407-85828-3 © 2014 Beltz Verlag, Weinheim Basel http://www.beltz.de/de/nc/verlagsgruppe-beltz/gesamtprogramm.html?isbn=978-3-407-85828-3

Kindern bei Trennung und Scheidung helfen...Wenn trennung undScheidungzur Vaterlosigkeitführen 54 Väter2014 56 Leseprobe aus: Koch/Strecker, Kindern bei Trennung und Scheidung helfen,

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Leseprobe aus: Koch/Strecker, Kindern bei Trennung und Scheidung helfen, ISBN 978-3-407-85828-3

© 2014 Beltz Verlag, Weinheim Basel

http://www.beltz.de/de/nc/verlagsgruppe-beltz/gesamtprogramm.html?isbn=978-3-407-85828-3

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Inhalt

Wenn Eltern auseinandergehen und sich scheiden lassen 9

hohe Scheidungsraten – zwei Seiten einer Medaille 10

»Glückliche Scheidungskinder« kommen nur selten vor 12

Die wissenschaftliche Erforschung der Folgen vontrennung und Scheidung 14

trotz trennung – die Kinder bleiben gemeinsame Kinder 16

Gibt es einen »richtigen« Zeitpunkt für trennungoder Scheidung? 17

Vom Umgang mit Schuldgefühlen 19

Wie sage ich es meinen Kindern? 25

Dem Kind gemeinsam sagen, dass Sie sich trennen 26

Welche Rolle spielt das alter? 28

Das Leben nach der Trennung 37

Die ersten beiden Jahre sind die schwierigsten 38

Die wichtigsten Regeln für die ersten beiden Jahrenach der trennung 41

Wo wohnt das Kind? 43

Von Besuchen und Urlaubszeiten 44

Patchworkfamilien 46

Die besondere Situation der Väter 53

trennung2 54

Wenn trennung und Scheidung zur Vaterlosigkeit führen 54

Väter 2014 56

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Die doppelte trennung: Schmerz, Wut, Ohnmachtsgefühle,Schuldgefühle und Einsamkeit 57

Getrennte Paare bleiben gemeinsame Eltern 60

Die Beziehung zum Kind: authentisch und verantwortlich 61

Wenn die Kinder älter werden 64

Gibt es langfristige Folgen für die Kinder? 67

Die wichtigsten Untersuchungsergebnisse 68

Die auswirkungen auf die Schule 71

Schutzfaktoren für Scheidungskinder 75

Die juristische Seite 81

Krise, Konflikt und Recht 82

trennung und abschied 83

Konfliktmanagement 86

Unterhalt 101

Wohnung, hausrat und Vermögen 113

Die aufteilung des Vermögens 115

Scheidung der Ehe und streitige Folgesachen 116

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VORWORt

Liebe Leserin, lieber Leser!

Vielleicht haben Sie sich kürzlich getrennt oder scheiden lassen,vielleicht liegt es auch schon etwas länger zurück. Oder Sie ha-ben gerade beschlossen, sich von Ihrem Partner oder Ihrer Part-nerin zu trennen. Was immer zu diesem Entschluss geführt hatund was immer er mit sich bringen wird – wie alle Eltern möch-ten Sie jetzt ganz besonders, dass es Ihren Kindern weiterhin gutgeht. Wir sind sicher, dass Ihnen dieses Buch mit seinen vielenBeispielen und Tipps dabei helfen wird.

Kinder reagieren unterschiedlich auf die Tatsache, dass sich ih-re Eltern trennen und scheiden lassen, wobei auch ihr Lebens-alter, ihr Geschlecht und Temperament eine Rolle spielen. Zu-nächst einmal aber werden die Kinder (auch wenn die älterenunter ihnen dies manchmal mit »großen Worten« überspielen)unter der Trennung oder Scheidung ihrer Eltern leiden. Sie spü-ren (und die älteren Kinder wissen es), dass es die Welt, in dersie zusammen mit den beiden Menschen, die sie am meisten lie-ben, gelebt haben, in Zukunft so nicht mehr geben wird. Undsie sind zunächst einmal unsicher, was sie in Zukunft erwar-tet.

Äußerungen an einem »Sorgentelefon« wie die von Benny »Ichwünsche mir, dass meine Eltern wieder zusammenkommen.Dafür würde ich dieses und nächstes Jahr meine Weihnachts-geschenke hergeben«, oder Lisa »Ich wünsche mir, dass meinVater seine neue Freundin verlässt«, sind deswegen keine Aus-nahme, sondern beschreiben den inneren Zustand der meistenKinder, wenn ihre Eltern sich trennen.

Aber auch die Eltern wirken zum Zeitpunkt der Trennung oftunsicher, traurig und betrübt, manchmal sind sie auch wütend,

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weil sie selbst mit der neuen Situation noch nicht klarkommen.Und viele von ihnen empfinden Schuldgefühle, ihre Kinder ei-ner Belastung auszusetzen, die sie selbst herbeigeführt haben.

Dieses Buch plädiert für einen offenen, ehrlichen und selbstbe-wussten Umgang mit allem, was mit dem Thema Trennung undScheidung zu tun hat und was für die Kinder von getrennten El-tern wichtig ist. Es will Ihnen Mut machen und dabei einenWegaufzeigen, wie sowohl Ihre Kinder als auch Sie selbst am bestenmit der neuen Situation zurechtkommen.

Im Vordergrund dieses Buches steht immer der Gedanke an»Schutzfaktoren«, die es den Kindern ermöglichen, Folgen derTrennung und Scheidung gut zu bewältigen. Viele wissenschaft-liche Studien belegen eindrücklich, dass bei der Beachtung sol-cher Schutzfaktoren Scheidungskinder eine ebenso glücklicheKindheit und Jugend verleben können wie ihre Altersgenossenaus nicht geschiedenen Elternhäusern – die im Übrigen auchnicht immer das Glück gepachtet haben. Die Studien zeigenaber auch, dass Kinder, denen diese Schutzfaktoren nicht zu-teilwerden, in ihrem späteren Erwachsenenleben mehr Proble-me haben können als andere – mit ihrem Selbstwertgefühl undbesonders mit ihrer Fähigkeit, zu anderen Menschen langfristigein vertrauensvolles Verhältnis aufzubauen.

Alle diese Schutzfaktoren, auf die wir besonders im 6. Kapitelzu sprechen kommen, sind von großer Bedeutung und sie eint,was Psychologen »Bindungssicherheit« oder eine »gute Bin-dung« nennen: eine Art von »Urvertrauen« des Kindes, dass sei-ne Eltern es schützen und für es da sind, wenn es Angst und Notempfindet, dass sie bereit sind, ihm zuzuhören, auf seine Pro-bleme eingehen, kurzum, dass sich das Kind von seinen Elternangenommen und geliebt fühlt.

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VORWORt

Zum Aufbau dieses BuchesDas Buch ist von einem Psychologen und einem Juristen undMediator geschrieben. Claus Koch verantwortet die ersten sechsKapitel, Christoph Strecker hat das letzte Kapitel »Die juristi-sche Seite« geschrieben. Unser Anliegen, Ihnen als Eltern in derschwierigen Situation einer Trennung oder Scheidung kindge-rechte Hilfe zukommen zu lassen, ist ein gemeinsames.

Im ersten Kapitel gehen wir allgemein auf das Thema »Tren-nung und Scheidung« ein. Wir werden dabei sehen, dass es – zu-mindest zum Zeitpunkt der Trennung – nur selten »glückliche«Scheidungskinder gibt, auch wenn dies manchmal beschwich-tigend so gesagt oder geschrieben wird. Dies anzuerkennen istaber schon der erste Schritt in die richtige Richtung, denn sovermeiden Sie, sich und Ihrem Kind etwas »vorzumachen«. Kin-der kommen mit der Realität, wenn man sie ausspricht, besserzurecht. Sie über etwas im Dunkeln zu lassen, produziert Angstund auch irrationale Schuldgefühle. Weiterhin fragen wir da-nach, ob es einen »richtigen Zeitpunkt« gibt, an dem sich Elterntrennen oder scheiden lassen sollten. Und wir kommen auf dieSchuldgefühle zu sprechen, die viele Eltern bewusst oder unbe-wusst beschäftigen, besonders, wenn sie merken, dass es ihrenKindern nach der Trennung nicht gut geht.

Im zweitenKapitel behandelnwir diewichtige Fragestellung,wieEltern es ihren Kindern am besten sagen, dass sie sich trennenwerden. Denn auch davon hängt ab, wie Kinder später einmalgut mit ihrem Schicksal fertig werden. Da Kinder sich gemäß ih-rer Entwicklung auf unterschiedlichen kognitiven Ebenen befin-den, gehen wir auch auf das jeweilige Alter der Kinder ein.

Im dritten Kapitel geht es dann um das Leben nach der Tren-nung. Wie gestalten wir es so, dass wir den Kindern am besten

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helfen, über diese besonders in den ersten Jahren schwierige Zeithinwegzukommen?

Im vierten Kapitel geht es um die Väter, die mit ihren Kindernnach der Trennung nicht mehr unter einem Dach zusammenle-ben, wie es überwiegend der Fall ist. Hier stellen sich besonde-re Fragen, denn die Väter müssen nicht nur die Trennung undden Verlust der bisherigen Lebenspartnerin verarbeiten, sondernauch die räumliche und oft über Tage oder Wochen andauerndeTrennung von ihren Kindern.

Es folgt im fünften Kapitel die Schilderung der Langzeitfolgenvon Trennung und Scheidung für Kinder. Hier ziehen wir diewichtigsten internationalen Untersuchungen zurate, die alle zei-gen, dass es solche Folgen geben kann, aber nicht geben muss.

Im sechsten Kapitel geht es konkret um die Schutzfaktoren, fürdie Sie als Eltern sorgen sollten, damit Ihren Kindern für einglückliches und erfülltes Leben nichts im Wege steht.

Abschließend werden die rechtlichen Fragen von Trennung undScheidung angesprochen, auch dies unter dem Gesichtspunkt,dass die Kinder möglichst wenig darunter leiden sollen. Bei derDarstellung, die auf der beruflichen Erfahrung aus 25 Jahren alsFamilienrichter und anschließenden sieben Jahren als Mediatorberuht, stehen die Auswirkungen der rechtlichen Regelungenfür die Kinder im Vordergrund. Das Recht bietet einen Rahmen;die Bewältigung der Probleme und Konflikte aber bleibt die Auf-gabe verantwortungsbewusster Eltern.

Claus Koch, Christoph Strecker

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Wenn Eltern aus-einandergehenund sich scheidenlassenAuch wenn es schon fast der Normalfall ist: Diemeisten Kinder leiden darunter, wenn ihre Elternauseinandergehen. Es ist also wichtig, dass dieEltern ihren Kindern möglichst von Anfang angemeinsam zur Seite stehen, um diese Situationpositiv zu bewältigen.

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Hohe Scheidungsraten –zwei Seiten einer Medaille

Nahezu jede dritte Ehe wird heutzutage in Deutschland geschie-den, in Großstädten oft die Hälfte. Für die betroffenen Kinderist das – paradoxerweise – zunächst eine positive Nachricht: Dader Trennung ihrer Eltern – im Gegensatz zu früher – so gut wiekein gesellschaftlicher Makel mehr anhaftet, fallen sie kaumnoch auf und werden deswegen nicht mehr stigmatisiert. Fürviele Kinder, und nicht nur für die Betroffenen selbst, ist dieTatsache, getrennte Eltern zu haben, zum »Normalfall« gewor-den.

Die Tatsache, dass Kinder schon in ihrer nächsten Umgebung,ob Kindergarten, Schule oder Spielplatz, Bekanntschaft mit Kin-dern aus geschiedenen Elternhäusern machen, eröffnet die Mög-lichkeit, dass sie mit diesen ins Gespräch kommen und sich ge-genseitig austauschen können. Dabei bekommen sie sogar deneinen oder anderen guten Tipp oder lassen sich erzählen, dassdas Leben »danach« gar nicht so schlimm ist, wie sie sich esvielleicht vorstellen. Das gibt den Kindern gerade in der »aku-ten Zeit« der Trennung, wenn ihre Eltern noch sehr mit ihreneigenen Sorgen und Nöten beschäftigt sind, Mut, selbst mit derTrennung ihrer Eltern fertig zu werden, weil sie ihren Kummerund ihre Verzweiflung teilen können. Sie erleben sie nicht alsEinzelschicksal, sondern stellen fest, dass man damit trotz allemgut fertig werden kann. Natürlich setzt dies ein gewisses Altervoraus, im Kindergarten bieten sich dem Kind solche Möglich-keiten weniger.

Die wenig beachtete Kehrseite der Medaille ist allerdings, dassKinder heute mehr als früher Angst davor haben, dass ihre El-tern sich trennen könnten. Sie kennen ja so viele, bei denen das

Für viele Kinder sind

getrennte Eltern

zum »Normalfall«

geworden.

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passiert ist. Selten äußern sie diese Angst direkt, aber sie beglei-tet sie, zum Beispiel, wenn ihre Eltern sich heftig streiten und inder Hitze des Gefechts einer auch schon mal mit baldigem Aus-zug droht. Für diese Angst gibt es einen einfachen Grund: Kin-der wollen einfach nicht, dass ihre Eltern sich trennen. Sie wol-len, dass ihre Eltern zusammenbleiben, möglichst lange, und auskindlicher Perspektive am besten ein Leben lang.

Weil Kinder heutzutage also spätestens ab dem Grundschulal-ter mit dem Thema »Trennung und Scheidung« vertraut sind,spüren sie auch schnell, wenn bei ihnen zu Hause »etwas nichtstimmt«. Ihnen dann etwas vorzumachen und »so zu tun, alsob« hilft also wenig. Kinder haben von Natur aus eine feine An-tenne für Situationen, die ihnen bedrohlich erscheinen. Die ein-zige Möglichkeit, den Kindern ihre Ängste zu nehmen, bestehtdarin, sie auf diese Ängste hin anzusprechen.Wie das am bestengeschieht, lesen Sie im 2. Kapitel dieses Buches.

Es gibt in Deutschland immer weniger Familien. 1996 waren es lautStatistischem Bundesamt noch 9,4 Millionen Familien, 2011 noch 8,2Millionen.Immer häufiger erziehen Mütter oder Väter ihre Kinder ohne Partner.2011 war fast jede fünfte Familie (20%) alleinerziehend, 1996 nur jedesiebte Familie. Der hauptgrund dafür sind trennungen und Scheidungen.In den Großstädten gibt es deutlich mehr alleinerziehende. Wo mehr alseine halbe Million Menschen leben, beträgt ihr anteil 26%.In den meisten Fällen sind es die Frauen, die ihre Kinder allein erzie-hen – zu 90%. 60% der alleinerziehenden Frauen sind berufstätig, einüberproportionaler anteil von ihnen mit Vollzeitstellen. Das armutsrisi-ko bei alleinerziehenden Müttern ist hoch.Quelle: SPIEGEl OnlInE, 29.7.2010; Familienreport 2012

Kinder wollen, dass

ihre Eltern zusammen­

bleiben, möglichst

lange und am besten

ein Leben lang.

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»Glückliche Scheidungskinder«kommen nur selten vor

Wenn Eltern sich trennen oder sich scheiden lassen, sind fast al-le Kinder erst einmal unglücklich. Um es aber gleich vorweg zusagen: was nicht bedeutet, dass sie ihr Leben lang unglücklichbleiben müssen! Die große Mehrheit von ihnen wird im späterenLeben Kindern aus »normalen« Familien nicht nachstehen, etwawas ihre Beziehungsfähigkeit angeht oder den Erfolg in Schu-le und Beruf. Das haben zwei große Scheidungsstudien in denUSA zeigen können, die Scheidungskinder über Jahrzehnte be-obachtet haben. Die Studien haben aber auch gezeigt, dass beiScheidungskindern ein höheres Risiko besteht, mit ihrem Lebenschlechter zurechtzukommen, wenn ihre Eltern sich nicht an be-stimmte Verhaltensregeln halten, auf die ich im 6. Kapitel unterdem Thema »Schutzfaktoren« noch einmal ausführlich zurück-komme.

Zunächst aber stellt die Trennung für die betroffenen Kinder ei-ne Tragödie dar. Wenn die Mutter oder – wie in den meistenFällen – der Vater auszieht, geht für das Kind unwiederbringlicheine Epoche zu Ende, und das Leben wird nie mehr so sein wievorher. Seine Eltern mögen eine Welt verlieren, das Kind verliertseine ganze Welt. Hinzu kommt die große Unsicherheit, die be-sonders das kleine Kind in seinem Innersten empfindet: Wennder eine geht, warum dann nicht auch der andere? Vielleichtnicht gleich, aber irgendwann? Lehrer berichten von Kindern,die kurz nach der Trennung nicht nach Hause gehen wollen ausAngst, dass sie dort niemanden mehr antreffen.

Und dann natürlich die Frage nach demWarum? Sie ist für Kin-der keineswegs so leicht zu beantworten wie für die Erwachse-nen. Denn dass sich die Eltern vielleicht ständig gestritten haben

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oder plötzlich in getrennten Betten schliefen, haben die Kinderkaum bemerkt und wenig beachtet; dazu waren sie viel zu be-schäftigt mit sich selbst, mit ihren Kameraden, dem, was im Kin-dergarten oder in der Schule gerade passiert ist. Und wenn sie esdoch registrierten, dann haben sie die ständigen Auseinander-setzungen oft in ihr »Elternbild« eingebaut: Eltern sind halt so,dass sie ständig Krach miteinander haben, das erzählt der Nach-barsjunge doch auch.

Kindern, so lässt sich zugespitzt formulieren, ist es egal, ob ihreEltern glücklich oder unglücklich sind – Hauptsache, sie sind da!Und wenn der Streit dann doch einmal zu laut wird, hat man dieMöglichkeit, sich zurückzuziehen, und die Hoffnung, dass alleswieder gut wird.

Wenn Sie gerade in der Situation sind, sich zu trennen, sollten Sieganz besonders auf Ihre Wortwahl achten und nicht die Kinder,auch wenn es völlig unabsichtlich und indirekt geschieht, »beschul-digen«, an der trennung »schuld zu sein«. Sätze wie »Es reicht mirmit dir, du machst alles nur noch schwerer« oder »Merkst du nicht,dass ich nicht mehr kann« sind besonders in dieser Situation Giftfür die Kinderseele. Stattdessen sollten Sie Ihr Kind gerade jetztpositiv bestätigen. »So, wie du bist, lieben wir dich beide. Es tutuns leid, dir jetzt so viel Kummer zu bereiten.«

Die Trennung dann tatsächlich zu erleben heißt für die Kinder,einem Geschehen, das sie sehr persönlich trifft, absolut ohn-mächtig ausgeliefert zu sein. Hieraus ergibt sich, dass die Kinderfür das, was passiert ist, nach einer »rationalen« Erklärung su-chen. So finden sie wenigstens einen Grund für das, was sichjetzt vor ihren Augen abspielt. Und weil sie nur ungern (zu

Kinder suchen die

Schuld für die Tren­

nung ihrer Eltern

häufig, so paradox es

scheint, bei sich.

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Recht!) den einen oder anderen Elternteil beschuldigen wollen,suchen sie die Schuld für die Trennung ihrer Eltern häufig, soparadox es scheint, bei sich: »Weil ich da bin, haben sie sich stän-dig gestritten« – was manchmal ja auch zu stimmen scheint. Sät-ze wie: »Würdenwir das Kind nicht haben, wäre ich schon längstgegangen«, oder, ans Kind gerichtet: »Du machst uns alles nochviel schwieriger«, lassen sich auch so verstehen, dass ohne Kindalles besser und einfacher wäre.

Die wissenschaftliche Erforschungder Folgen von Trennung undScheidungKein Kind ist über eine Trennung oder Scheidung seiner Elternglücklich, außer es kam in der Familie zu Kindesmissbrauchoder Kindesmisshandlung, zu massiven Ausbrüchen von Gewaltzwischen den Eltern, auch durch übermäßigen Genuss von Alko-hol oder anderen Drogen. Und selbst hier zeigen viele Studien,dass besonders jüngere Kinder trotzdem weiterhin zu beiden El-tern halten!

Andererseits belegen Langzeitstudien, dass Scheidungskinderdie Trennung ihrer Eltern durchaus gut verarbeiten können undspäter großartige, kreative und erfolgreiche Erwachsene werden,manchmal gerade deswegen, weil es ihnen gelungen ist, mit ei-nem schweren Schicksalsschlag in ihrem Leben kompetent um-zugehen. Von diesen Studien gibt es allerdings nur wenige, wasangesichts der Tatsache erstaunt, dass heute in den Großstädtenfast jedes zweite Kind eine Trennung seiner Eltern erlebt. So lie-gen für Deutschland keine mir bekannten Forschungsprojektevor, die die Langzeitfolgen von Trennung und Scheidung beiKindern untersucht haben. Meistens beschränken sich solche

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Studien darauf, wie Kinder die Trennung in dem kurzen Zeit-raum, in dem sie passiert und der auf sie folgt, verarbeiten. Da-bei mag es eine Rolle spielen, dass viele auch heute noch von derfalschen Annahme ausgehen, die Trennung der Eltern sei fürdas Kind im Augenblick zwar eine sehr schmerzliche Erfahrung,sie werde aber nach zwei oder drei Jahren mehr oder wenigervergessen sein, besonders, wenn die Kinder zum Zeitpunkt derTrennung ihrer Eltern noch sehr klein gewesen sind.

Da in den USA die wissenschaftliche Forschung insbesondere,was die Langzeitfolgen für Kinder aus geschiedenen Ehen be-trifft, wesentlich weiter ist, werde ich mich bei meinen Ausfüh-rungen immer wieder auf die Ergebnisse von zwei groß angeleg-ten amerikanischen Studien stützen. Zum einen auf die Studievon E. Mavis Hetherington, die umfassendste Längsschnittstu-die weltweit. Hetherington verfolgte über 20 Jahre den Lebens-weg von Scheidungskindern und berücksichtigte dabei annä-hernd 450 Familien und 2.000 Kinder. Eine ähnliche Studiewurde von Judith S. Wallerstein durchgeführt, die über 25 Jahrehinweg 60 Familien vom Zeitpunkt der Scheidung an nach 18Monaten, 5, 10, 15 und 20 Jahren befragte.

WährendWallerstein hinsichtlich Trennung und Scheidung voneher »traditionellen« Familienvorstellungen ausgeht und die Fol-gen von Scheidung und Trennung pessimistischer interpretiert,sieht Hetherington die Zukunft der Scheidungskinder, geradeauch aufgrund ihrer Forschungsergebnisse, wesentlich opti-mistischer. Sie hat herausgefunden, dass die allermeisten Schei-dungskinder in ihren emotionalen und kognitiven FähigkeitenKindern aus »intakten« Familien in nichts nachstanden. Aber siefand wie ihre Kollegin Wallerstein auch heraus, dass es dazu be-stimmter Schutzfaktoren bedarf, für die die Eltern sorgen müs-sen. Andernfalls besteht die Gefahr, dass die Kinder zu jenen

Wissenschaftliche

Studien beweisen,

dass Scheidungskinder

Kindern aus »intak­

ten« Familien in nichts

nachstehen, solange

die richtigen »Schutz­

faktoren« vorhanden

sind.

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10% gehören, die sich erwiesenermaßen von der Trennung undScheidung ihrer Eltern und dem, was in dieser Zeit und vorheroder nachher geschah, nie wieder richtig erholten.

Trotz Trennung – die Kinderbleiben gemeinsame Kinder

Aus dem bisher Gesagten ist deutlich geworden, dass sich Elterndie Entscheidung, sich zu trennen, nicht zu einfach machen dür-fen. Eine Trennung von Eltern »auf Probe«, etwa um zu sehen,wie man eine Zeit lang allein zurechtkommt, sollte mit Rücksichtauf die Kinder nicht stattfinden. Sie würde bei den Kindern exis-tenzielle Ängste auslösen und selbst, wenn die Eltern wieder zu-sammenkommen, das Gefühl hinterlassen, nie mehr ganz sichersein zu können, da sich dieser Schritt schließlich bei jedwederAuseinandersetzung zwischen den Eltern wiederholen könnte.

Bevor man sich trennt, kann eine Paartherapie von Nutzen sein,übrigens auch für das Selbstverständnis später, es sich nicht all-zu leicht gemacht zu haben. Denn eines muss allen Eltern, diesich trennen, klar sein: Ihre Trennung ist ein Schritt, der sie im-mer wieder einholen und beschäftigen wird, ob gewollt oder un-gewollt.

Eltern werden, auch wenn sie getrennt leben, den Lebensweg ih-rer Kinder weiterhin begleiten. Und das ist auch gut so. So wirdes neben den »Klassikern« wie Geburtstagen und Weihnachtenimmer wieder Gelegenheiten geben, bei denen leibliche Elternsich treffen, zumindest aber über ihre Kinder sprechen. Ob dasnun zu schönen Gelegenheiten wie Heirat, der Geburt eines En-kelkindes etc. passiert oder aber in Zusammenhang mit einerernsthaften Erkrankung oder einem Unfall: Das Leben ihrer

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Kinder erinnert sie immer wieder daran, dass sie beide die El-tern dieses Kindes sind. Und nur in den seltensten – im Übrigenauch nicht wünschenswerten – Fällen verlieren sich ein Eltern-teil und die Kinder gänzlich aus den Augen.

Manche geschiedenen Eltern werden sich später immer wiedereinmal fragen, ob ihre Entscheidung von damals denn richtiggewesen ist, insbesondere dann, wenn es mit einem ihrer Kin-der – und wo kommt das nicht vor! – einmal Probleme oder Er-ziehungsschwierigkeiten gibt. Probleme aber sind in der Ent-wicklung von Kindern ganz normal, und die Kinder lernen vieldaraus, sie adäquat zu lösen. Eltern sollten sie dabei unterstüt-zen, sie sollten Gesprächspartner bleiben, ihnen zuhören könnenund manchmal einfach nur »da« sein, damit sich das Kind an siewenden kann, wenn es das möchte.

Doch auch wenn die Probleme mit dem Scheidungsgeschehenin gar keiner direkten Beziehung stehen, ist es das Schicksal vonScheidungseltern, dass sie sich die Frage, ob sie die »Ursache«für Probleme ihrer Kinder sind, wahrscheinlich häufiger stel-len werden als »normale« Eltern, was sich im Übrigen auch aufihren Erziehungsstil auswirken kann, wenn sie ihre vermeintli-che Schuld (siehe S. 19 f.) immer wieder irgendwie kompensierenmöchten.

Gibt es einen »richtigen« Zeitpunktfür Trennung oder Scheidung?

Rezepte können hier nicht angeboten werden, dazu spielen vielzu viele unterschiedliche Faktoren ins Trennungsgeschehen mithinein, unter anderem auch die Tatsache, dass alle Kinder, auchGeschwister, auf die Trennung anders reagieren. Im Übrigen

Nicht jedes Problem,

das ein Kind im Laufe

seiner Entwicklung hat,

muss mit der Trennung

seiner Eltern zu tun

haben.

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werden Eltern, die sich trennen wollen, kaum so lange wartenwollen, bis ihr Entschluss zum Alter ihrer Kinder »passt«.

Manche Forschungsergebnisse sprechen dafür, dass Mädchen,die bei der Mutter bleiben, vor Eintritt in die Pubertät eine Tren-nung besser verkraften als Jungen, die insgesamt unruhiger undaggressiver reagieren, je früher die Trennung erfolgt. Aber mitsolchen generalisierenden Annahmen sollte man vorsichtig sein –Mädchen sind bis zur Pubertät sozial häufig angepasster, ganzunabhängig davon, ob sich ihre Eltern getrennt haben oder nicht,was hinsichtlich späterer seelischer Konflikte nur wenig aussagt.Und die deutliche Reaktion, dass das Kind mit der Trennungüberhaupt nicht einverstanden ist, ist oft, wenn die Eltern adäquatmit ihr umgehen, besser, als dieses Schicksal wortlos zu akzep-tieren oder – manchmal wortwörtlich – in sich hineinzufressen.

Dagegen legen einige Beobachtungen aus der Bindungstheorie,die die Bedeutung der frühkindlichen Bindung an die wichtigs-ten Bezugspersonen für den weiteren Lebensweg eines Kindesbetont, nahe, dass auch schon Kleinkinder unter drei Jahrenunter der Trennung ihrer Eltern leiden. Besonders dann, wennsie den andauernden Streit und die Auseinandersetzungen ih-rer Eltern über einen längeren Zeitraum »hautnah« und damitals bedrohlich für die Gewährung von Schutz und Geborgenheiterleben. Dann fallen sie buchstäblich aus dem Nest und es kön-nen sich altersspezifische Verhaltensauffälligkeiten ergeben, dieoft mit Rückschritten in ihrer Entwicklung zusammenhängen.Anders als ältere Kinder spüren sie mehr Ohnmacht und Hilflo-sigkeit, weil sie in ihrer Existenz noch gänzlich von ihren Elternabhängig sind. Für die ganz Kleinen ist es zudem schwierig, sichwoanders, bei Geschwistern oder Freundinnen oder FreundenHilfe zu holen, was ja, wie schon erwähnt, später zu einer gu-ten »Überlebensstrategie« gehören kann. Und älter geworden,

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können sie sich an das Leben zusammen mit beiden leiblichenEltern dann oft kaum oder gar nicht mehr erinnern. Das bleibtKindern erspart, deren Eltern sich später trennen, insbesondere,wenn sie verantwortlich mit der Trennung umgehen und denKindern wirklich Eltern geblieben sind. Deswegen sollten auchEltern kleiner Kinder, die sich trennen, darauf achten, weiterhingemeinsam für ihre Kinder da zu sein, und entsprechende Rege-lungen treffen. Die Tatsache, dass ihre Kinder manchmal weni-ger offensichtlich auf ihre Trennung reagieren, hat nichts damitzu tun, dass sie sich innerlich stark damit beschäftigen. Geradedie ganz Kleinen brauchen also weiterhin das Gefühl, geschütztund geborgen zu sein.

Noch anders mag es sein, wenn der Zeitpunkt der Trennung sehrfrüh, also schon vor der Geburt oder kurz danach liegt und sichdie Mutter alsbald mit einem neuen Partner zusammentut undeine neue stabile Familie bildet. Der frühe Vaterverlust wird zwarinsbesondere den Sohn sein Leben lang begleiten, aber das Ge-fühl existenzieller Hilflosigkeit bleibt dem Kind ebenso erspartwie in dem Fall, dass das Kind von Beginn an erlebt, zusammenmit einer alleinerziehenden Mutter das Leben zu meistern.

Vom Umgang mit Schuldgefühlen

Der Entschluss, sich zu trennen oder sich scheiden zu lassen,wird bei Eltern fast immer von der Frage begleitet, wie die Kin-der dies verkraften bzw. welche langfristigen Folgen sich dar-aus für sie ergeben können. Häufig gehen diese Gedanken mitmassiven Schuldgefühlen einher, die auf den ersten Blick auch»berechtigt« erscheinen, weil Eltern, worauf schon hingewiesenwurde, diese Entscheidung ja immer über die Köpfe ihrer Kinderhinweg getroffen haben. Dann schleicht sich schnell das Gefühl

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ein, selbst »Täter« zu sein und die Kinder als »Opfer« dieses Ent-schlusses zu sehen. Und selbstverständlich neigt eher derjenigezu Schuldgefühlen, der die Trennung initiiert hat oder glaubt,dass sie von ihm (oder ihr) ausgegangen ist.

In der akuten Trennungsphase mögen die Gedanken über dasweitere Schicksal der Kinder etwas zurücktreten, da erst einmalganz konkrete Dinge geklärt werden müssen. Dazu gehört nebenden rechtlichen Fragen die Neuorganisation des Lebens, eventu-ell auch eine berufliche Neuorientierung. Dazu kommt, dass dieeigenen Gefühle bei den Partnern oft ungleich verteilt sind, alsoWut, Trauer und Hilflosigkeit bei dem einen, Glücksgefühle, miteiner neuen Beziehung ein neues Leben anzufangen, bei demanderen. Da kann das Nachdenken über die Kinder auch schoneinmal zurücktreten.

Schuldgefühle sind, wenn sie nicht zu lange andauern, übrigensnichts Schlechtes. Im Gegenteil, sie zeugen von der Fähigkeit, sichin andere einfühlen und sich an ihre Stelle setzen zu können, undsie stehen für Bindung, Mitgefühl und Mitverantwortung. Dagegenzeigt übertriebene »coolness« oft die Unfähigkeit, mit dem, wasgeschehen ist, adäquat umzugehen, und wirkt sich eher negativ aufdie Beziehung zum Kind aus.

Aber spätestens, wenn das Leben neu geregelt ist, tauchen dieSchuldgefühle – jetzt meistens auf beiden Seiten – wieder auf,besonders dann, wenn in der ersten Zeit nach der Trennung dieKinder offensichtlich leiden und dieses Leiden bewusst oder un-bewusst (durch entsprechende Symptome) zum Ausdruck brin-gen. Solche Schuldgefühle können auch von körperlichen Sym-ptomen wie Magenschmerzen, Schwindelgefühlen bis hin zu

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depressiven Verstimmungen begleitet sein bzw. von dem quälen-den Gedanken, ob der Schritt wirklich richtig gewesen ist, auchwenn er nun nicht mehr rückgängig gemacht werden kann.

Obwohl Schuldgefühle also auch etwas Gutes an sich haben,sind sie, besonders, wenn sie länger andauern, wenig hilfreich,denn sie machen das, worauf sie sich beziehen, nicht ungesche-hen und führen auch zu keiner wirklichen Wiedergutmachungoder Verbesserung der Situation. Dagegen verstellen sie oft denBlick nach vorn, erzeugen Ängste, die sich auf das Kind übertra-gen können, und münden manchmal auch in Selbstmitleid.

Was die Kinder betrifft, spüren sie die Schuldgefühle und die da-raus resultierenden Unsicherheiten ganz genau, auch wenn die-se Unsicherheit manchmal mit üppigen Geschenken oder einemplötzlichen Zuviel an Zuwendung kaschiert wird. Sie kennen jaihren Vater und ihreMutter, wie sie vorher waren, und bemerkensofort, dass etwas »nicht stimmt«. Zudem gehen Schuldgefühlehäufig mit einer Selbstabwertung der Erwachsenen einher. DasGefühl, dass sich ihre wichtigsten Bezugspersonen selbst nichtmögen, sich »schlecht« finden, ist für Kinder nur schwer zu er-tragen, weswegen es so wichtig ist, die Schuldgefühle positiv zubearbeiten.

Wie sollten wir als Eltern mit Schuldgefühlen umgehen? Das Wich-tigste ist zunächst, sie sich einzugestehen und nicht zu versuchen,sie mit markigen Worten zu überspielen. Sie positiv zu wendenbedeutet in unserem Zusammenhang, die weitere Entwicklung derKinder nicht zu blockieren, zum Beispiel dadurch, dass man sie mitübertriebener Fürsorge oder gar mit übertriebenen Geschenken zukompensieren versucht.

Schuldgefühle führen

zu keiner wirklichen

Wiedergutmachung

oder Verbesserung der

Situation.

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Um Schuldgefühle abzubauen, ist es wichtig, mit Freunden undBekannten darüber zu sprechen – dann kann man sich davonunbeschwert den neuen Aufgaben des Lebens stellen. Sind dieSchuldgefühle allzu quälend, werden sie begleitet von einer star-ken Tendenz, sich abzuwerten. Stellen sich länger anhaltende de-pressive Verstimmungen ein, sollte man in jedem Fall professio-nelle Hilfe und Beratung in Anspruch nehmen.

Was wir gegen Schuldgefühle nach Trennung und Scheidungunternehmen können> Die Entscheidung bewusst tragen. Es ist sinnlos, sich nach

einer trennung immer wieder die Frage zu stellen, warum espassiert ist und wie man es hätte verhindern können. Die Ent-scheidung ist gefallen, und jetzt sollte der Blick in die Zukunftgerichtet sein: Wie kann ich (wie können wir) das Beste ausder Situation machen.

> Die Schuldgefühle nicht auf die ganze Person beziehen.Selbst wenn Sie Ihren Partner mit Ihrer Entscheidung verletzthaben und die Kinder darunter leiden oder wenn Ihnen vondritter Seite Vorwürfe gemacht werden, sind Sie noch keinschlechter Mensch. Wichtig ist es deswegen, die Entscheidungund ihre möglichen Konsequenzen nicht auf sich als ganzePerson zu beziehen, sondern die Verantwortung für dieseganz spezielle Entscheidung und ihre Folgen zu übernehmenund das zukünftige Verhalten daran auszurichten, was für alleBeteiligten das Beste ist.

> Schwächen und Fehler bei sich selbst akzeptieren. Geradeauf der Gefühlsebene lernen wir ein leben lang und niemandist perfekt. am besten ist es dann, wenn wir aus vergangenenFehlern lernen und es in Zukunft besser machen. StändigesZurückschauen bringt niemandem etwas.

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Gemeinsame Verantwortung auchnach der Trennung

> trennung und Scheidung stellen heutzutage kein sozi-ales Stigma mehr dar. Kinder werden deswegen wederbenachteiligt noch schief angesehen oder diskriminiert.

> Kinder wollen nicht, dass ihre Eltern sich trennen,reagieren aber ganz unterschiedlich. Viele von ihnensuchen die Schuld bei sich selbst.

> Die langfristigen Folgen von trennung und Scheidungsind wissenschaftlich gut beschrieben.

> Durch den lebenslangen Kontakt mit ihren gemeinsa-men Kindern bleibt eine Beziehung zwischen beidenEltern bestehen, auch wenn sie sich getrennt haben.

> Eltern müssen ihren Kindern, unabhängig vom alter,weiterhin das Gefühl vermitteln, geschützt und gebor-gen zu sein.

> Es ist gut für Kinder, dass Eltern sich der gemeinsa-men Verantwortung immer wieder bewusst werden.Was zählt, ist die Zukunft ihrer Kinder. Deswegen istes auch wichtig, Schuldgefühle bei sich abzubauen undden Blick nach vorne zu richten.

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Wie sage ich esmeinen Kindern?Ein gutes Elterngespräch, das den KindernLiebe und besonders Sicherheit vermittelt,sollte am Anfang jeder Trennung stehen. Da­bei ist es besonders wichtig, dass die Kinderdie Trennungsabsicht von ihren Eltern recht­zeitig und direkt mitgeteilt bekommen undnicht »auf Umwegen« erfahren.

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DIE BESOnDERE SItUatIOn DER VÄtER

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Trennung2

Fast alle Eltern haben den Wunsch, eng mit ihren Kindern zu-sammenzuleben. Sie möchten an ihrem Leben und ihrer Ent-wicklung teilhaben, sie beschützen, wenn sie noch klein sindund ihnen, wenn sie größer werden, eine verlässliche Stütze undHilfe sein. Im Alltag Gemeinsames mit ihnen zu erleben ist fürdie meisten Eltern selbstverständlich, und die sich daraus erge-bende Bindung des Kindes an Mutter und Vater stärkt auch de-ren Selbstwertgefühl, macht auch sie glücklich und zufrieden.Durch Trennung oder Scheidung geht für die allermeisten Väterder alltäglich-»normale« Umgang mit ihren Kindern verloren.Und so ergibt sich für sie eine »Trennung2«: Sie müssen jetztnicht nur die Trennung von ihrer Lebenspartnerin verarbeiten,sondern auch die Trennung von ihrem Kind oder ihren Kindern.Dieses ist der Grund, warum ich in diesem Kapitel noch einmalauf die besondere Rolle der Väter im Scheidungsgeschehen ein-gehe. Nicht, weil Väter als Eltern etwas »Besonderes« sind, son-dern, weil ihre Situation, getrennt von den Kindern zu leben,eine andere ist als die der Mütter. Die meisten von ihnen teilenweiterhin den Alltag mit ihren Kindern, so schwierig das für Al-leinerziehende aus verschiedenen Gründen auch ist.

Wenn Trennung und Scheidungzur Vaterlosigkeit führen

Dass die Kinder meistens getrennt von ihren Vätern aufwach-sen, hat zur Konsequenz, dass die Hälfte aller Väter den Kontaktzu ihren Kindern nach einigen Wochen, Monaten oder Jahrenmehr oder weniger ganz abbrechen und in ganz seltenen Fällenganz aufgeben. Das ist eine erschreckend hohe Zahl, die Gründedafür sind verschieden.

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Oft handelt es sich um solche Väter, die schon vor der Trennungdie Erziehung der Kinder den Müttern überließen und für dieKinder, vielleicht bis aufs Wochenende, mehr oder weniger ab-wesend waren. Dies und andere Gründe mögen dazu geführthaben, dass sie keine echte Bindung, keine wirklich innige Be-ziehung zu ihren Kindern aufbauen konnten. Diese Väter leidenunter der Trennung von ihren Kindern naturgemäß weniger alsdiejenigen Väter, die seit der Geburt ihrer Kinder eine starke Bin-dung zu ihnen aufgebaut haben und deren Kinder auch nach derTrennung weiterhin buchstäblich an ihnen »hängen«. Ein weite-rer Grund für eine mehr oder weniger endgültige Abwendungvon ihren Kindern liegt für Väter aber auch häufig in einem siezermürbenden »Rosenkrieg« mit der Exfrau, wobei insbesonderefinanzielle Streitfragen – Stichwort »Zahlvater« – eine Rolle spie-len und sich die ganze Aversion gegen die Exfrau auf die Kinderüberträgt. Auch Väter, die schon bald nach der Scheidung eineneue Familie gegründet haben, verlieren häufiger den Kontaktzu ihren »alten« Kindern als solche, die noch eine längere Zeit al-lein leben. Und leider befinden sich unter Vätern, die ihre Kinderaus den Augen verlieren, auch solche, deren »verlassene« Exfrauin einer Mischung aus Schmerz, Kränkung, Wut- und Rachege-fühlen bewusst dafür sorgt hat, dass die Kinder den Kontakt zuihm verlieren.

Dass die Hälfte der Scheidungskinder nach einem gewissen Zeit-raum quasi vaterlos aufwächst, ist über die menschliche Tragö-die, die sich häufig dahinter verbirgt, deswegen so alarmierend,weil viele wissenschaftliche Studien zeigen, wie wichtig insbe-sondere für Jungen bis zur Adoleszenz die Vorbildfunktion vonVätern ist, ganz zu schweigen davon, sich von seinem Vater, obJunge oder Mädchen, junger Mann oder junge Frau geliebt undim Kindesalter beschützt zu wissen. Zumindest etwas ausgegli-chen wird diese traurige Bilanz dadurch, dass die geschiedene

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DIE BESOnDERE SItUatIOn DER VÄtER

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Partnerin in etwa einem Viertel der Fälle nach gewisser Zeit wie-der mit einem Partner zusammenlebt, und die Kinder von die-sem, wenn er sich ernsthaft und liebevoll um sie kümmert, pro-fitieren können, was aber seine Zeit braucht. Doch auch in diesenFällen fehlt den Kindern, ob sie es sagen oder lieber darüberschweigen, ihr »echter« Vater. Konflikte und psychische Proble-me bis ins Erwachsenenalter stellen sich besonders dann ein,wenn hinzukommt, dass in der neuen Familie nicht offen überden fehlenden Vater gesprochen werden kann, bzw. er bewusstverschwiegen oder offen abgewertet wird. Es ist auch im Falleder »abwesenden Väter« wichtig, die Beziehung der Kinder zuihm aufrechtzuerhalten, es zumindest immer wieder zu versu-chen, sei es, dass man sich gemeinsam an ihn erinnert, Fotosanschaut oder eben immer wieder einmal von ihm spricht unddamit das Angebot offen hält, dass das Kind oder der Jugendli-che seine Gefühle zum Ausdruck bringen kann.

Väter 2014

Die gute Nachricht ist, dass sich die heutigen Väter von der »al-ten« Vätergeneration und ihren traditionellen Vorstellungen of-fenbar immer mehr verabschieden, was sich positiv auf ihr Ver-hältnis zu ihren Kindern auswirkt. Heute empfinden weit mehrals die Hälfte der heutigen Väter laut einer FORSA-Umfrageaus dem Jahr 2014, die die Zeitschrift »Eltern« im Februar 2014veröffentlichte, dass ihr Leben »dank der Geburt ihres Kindes›glücklicher und erfüllter‹« geworden ist. Fast drei Viertel derVäter kümmert sich mittlerweile von Anfang an mit um dieBabypflege und immerhin 44% der Väter nehmen, wenn auchmeistens nur für zwei Monate, »Elternzeit« für sich in Anspruch.Am schwierigsten ist jedoch für die fast immer noch in Vollzeitarbeitenden Väter, die zeitliche Balance zwischen Beruf und Fa-

Selbst bei ganz

abwesenden Vätern

sollte ihre Existenz nie

verschwiegen werden.

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milie zu finden: 54%, der Befragten halten die Zeit, die sie mitihren Kindern verbringen können, für nicht ausreichend, bzw.hätten 43% der Väter einfach gerne mehr Zeit zusammen mitihren Kindern.

Hinter diesen Zahlen verbirgt sich eine kleine Revolution, diesich im Falle einer Trennung oder Scheidung, die inzwischennahezu jeden zweiten Vater treffen kann, einerseits positiv, aberauch schmerzlich bemerkbar machen kann. Positiv ist, dass sichdie Zahl der nach einer Scheidung »abwesenden Väter« sicher-lich verringern wird, denn Väter, die eine stabile Bindung zumKind haben, werden es nicht ohne weiteres verlassen, egal auswelchem Grund. Und auch die Kinder werden eine solche Tren-nung nicht so einfach hinnehmen. Aber was genau passiert mitder zunehmenden Anzahl von Vätern, die die Nähe und Bin-dung zu ihren Kindern auch nach der Trennung suchen und sielebenslang beibehalten wollen, und sich dennoch, wie in denmeisten Fällen, nach einer Scheidung weitgehend getrennt vonihnen wiederfinden?Welche Probleme entstehen hier, die wir inden vorigen Kapiteln noch nicht gesondert angesprochen haben,und wie lassen sie sich am besten lösen?

Die doppelte Trennung: Schmerz,Wut, Ohnmachtsgefühle,Schuldgefühle und EinsamkeitLars und Julia haben sich, nachdem sie 10 Jahre zusammen und 5Jahre verheiratet waren, getrennt. Grund dafür ist neue Freundinvon Lars, die er bei seiner Arbeit kennengelernt hat. Die beidenKinder, fünf und sieben Jahre alt, bleiben bei Julia. Obwohl Larsbewusst ist, dass der »äußerliche« Grund der Trennung bei ihmliegt, weiß er auch, dass sich beide schon vor seiner Affäre ausei-

Väter mit einer guten

und stabilen Bindung

an ihre Kinder werden

weiter für sie da sein.

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DIE BESOnDERE SItUatIOn DER VÄtER

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nandergelebt hatten. Als er jetzt vor den Augen der Kinder seineSachen zusammengepackt hat, das meiste, was sie sich zusam-men angeschafft haben, bleibt bei Julia, hat er Mühe, seine Trä-nen zu unterdrücken, ihn plagen Schuldgefühle, aber auch einGemisch aus Wut und tiefem Schmerz, sich von seinen Kindernund ihrem Alltag auf Dauer verabschieden zu müssen; schließ-lich liebt er seine Kinder trotz seiner neuen Beziehung weiterhinso wie vorher. Dazu kommen Ohnmachtsgefühle, weil er gegendie Regelung nicht ankommt, dass die Kinder »wie automatisch«bei der Mutter bleiben, denn juristisch will er keinen Konfliktheraufbeschwören. Jetzt sitzt er in seinem Zwei-Zimmer-Appar-tement und fühlt sich, nachdem seine neue Freundin wieder zusich nach Hause gegangen ist, nur noch einsam. Er hat sogarAngst, depressiv zu werden und im Alltag und bei seiner Arbeitnicht mehr so gut funktionieren zu können, wie es eigentlich vonihm verlangt wird. Und Geld verdienen muss er schließlich wei-terhin, auch wenn für ihn weit weniger übrig bleibt als früher.

So wie Lars geht es in dieser Situation vielen Männern, die einintensives Verhältnis zu ihren Kindern haben und jetzt im All-tag ohne sie auskommen müssen. Natürlich haben es diejenigenetwas einfacher, die die Trennung aktiv betrieben haben undsich jetzt schnell in eine neue Partnerschaft stürzen. Aber auchin diesem Fall ist ihre frühere Bindung zu den Kindern zu stark,als dass sie sich nach einer gewissen Zeit nicht wieder bemerk-bar machen würde. Hinzukommen gerade auch in einer neuenBeziehung neue Belastungen, nämlich das Verhältnis zu denKindern und zur neuen Partnerin auszubalancieren. Oft fühlensich Väter in dieser Situation beiden gegenüber schuldig, weil sieweder genügend Zeit für die einen noch für die andere habenund sich ständig unter Rechtfertigungsdruck sehen. So fürchtensie sowohl um die neue Beziehung wie auch um die Liebe ihrerKinder.

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Andere Väter, besonders die, die verlassen wurden, stürzen sichoft in die Arbeit, um zu vergessen, manche fangen auch an, zutrinken oder werden depressiv, können sich an nichts mehr freu-en, was natürlich auf Kosten der wenigen Stunden und Tagegeht, die sie noch mit ihren Kindern verbringen können. Undauch die Kinder leiden unter der veränderten Stimmung ihresVaters. Diese Väter sollten, wenn sie merken, mit der neuen Situ-ation nicht klarzukommen, professionelle Hilfe aufsuchen, gera-de auch um der Beziehung zu ihren Kindern willen.

Und die Kinder, wie gehen sie mit der Situation um, nur nocheinen »Besuchsvater« zu haben? Oft fühlen sie sich, besonderskurz nach der Trennung, schuldig, weil sie zu oft an den Vaterdenken, mehr mit ihm zusammen sein wollen, aber gleichzeitigmerken, dass ihre Mutter es nicht möchte, weil sie unter der Tren-nung leidet. Das spüren sie und sie bekommen auch ihre aggres-sive Stimmung mit, wenn sie am Sonntagabend zurückgebrachtwerden, und mit den Worten empfangen werden: »War seineneue Freundin etwa mit auf dem Ausflug? Das wäre ja wohl dasLetzte!« oder »Na ja, der muss ja auch nicht jeden Tag waschen,putzen und auf eure Hausaufgaben schauen«. Aus Sicht der Kin-der ist dies eine verwirrende Situation mit vielen ambivalent er-lebten Gefühlen. Dauert sie an, ist es für ihre Entwicklung nichtgut. Denn ihr Leben wird zu stark begleitet von Unsicherheit,Ängsten, Trauer und manchmal Wut, die sie ihren Eltern gegen-über wiederum meistens unterdrücken, um die Situation nichtnoch zu verschlimmern und dann häufig auch nach Außen rich-ten: gegen Mitschüler, andere Erwachsene wie Erzieherinnenoder Lehrer. Bei Verhaltensauffälligkeiten, ob zu Hause, in derSchule oder im Zusammensein mit den Freunden, sollten Eltern,Lehrer und Erzieherinnen deswegen nicht nur darauf schauen,»was mit dem Kind los ist«, sondern gerade kurz nach Trennungoder Scheidung auch das familiäre Umfeld im Blick haben.

Die Kinder fühlen sich

manchmal schuldig,

wenn sie zu oft an ih­

ren abwesenden Vater

denken. Die Eltern

sollten mit ihnen offen

darüber sprechen.

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