Kiss, Edmund - Die Letzte Koenigin Von Atlantis (1931, 237 S., Text)

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  • Godda Apacheta

  • Ein Roman aus der Zeit

    um 12 000 vor Christi Geburt

    von

    Edmund Ki

    Vierte Auflage 12.165. Tausend

  • Einbandentwurf von Graphiker Oswald Weise Umschlaggestaltung von Kurt Degenkolb

    Gescannt von c0y0te.

    Nicht seitenkonkordant. Das Buch war ursprnglich in Fraktur gesetzt.

    Gesperrte Teile wurden kursiv bertragen. Dieses e-Buch ist eine Privatkopie und nicht zum Verkauf bestimmt!

    Copyright 1931 by Koehler & Amelang G. m. b. H., Leipzig Druck von Breitkopf & Hrtel in Leipzig

    Printed in Germany

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    VORWORT Auf dem Hochlande Boliviens liegt eine alte verschttete Stadt, die heute Tihuanaku, aber in der Sage mancher amerikanischer Eingeborener Aztlan heit. Aus knochengefllter Erde ragen riesige Bauten in den reinen Himmel, und die Feste Akapana steigt mit hohen verschtteten Terrassen zu den Wolken. Als der Verfasser in Aztlan vor dem unvollendeten Kunstwerk stand, das den Kopf eines Gelehrten darstellt mit nordischen Zgen, hoher Stirn und schmalen Lippen, eine Skulptur, die der graue Ton der Sonnenwarte Kalasasaya dem Spaten freigab, schienen die rtsel-haften steinernen Augen des Bildes nach oben zu deuten. Denn auf dem Abendhimmel glhten die ersten matten Sterne des Alls.

    Bald schlo sich schimmernd der Lichtbogen der Milchstrae ber dem sammeten Grund. Leise tropften die Sterne hinab auf Aztlan, die verschttete Stadt auf dem Hochlande der Anden, tropften auf Akapana, die ragende Burg, rieselten in stillem Leuchten auf Kalasasaya, die begrabene Warte der Sternweisen und auf die Stadt der Toten, Puma Punku, das Wassertor des groen Sees. Auf die knigliche Cordillere rann ein Strom silber-nen Lichtes, als ritten weie hohe Gestalten gen Osten.

    Da fiel die Geschichte Godda Apachetas aus dem Bande der Himmelsstrae auf die Erde, Stern um Stern gab sein Geheimnis in die stille kalte Nacht und flsterte von der Seele Apachetas, des Sternweisen von Aztlan. Was er einst in bitterer Qual in den leuchtenden Himmelsbogen schrieb, rieselte hinab, erst zgernd,

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    dann schnell und im leuchtenden Strome der Sterne. Zu voll waren sie vom Geheimnis Apachetas. Und still zog auch Heldung-Atlanta, das Schicksal des Reiches Atlantis, ber die Bahn der Ekliptik, der neue Stern des Weisen, den wir heute den Mond nennen.

    So kam die Geschichte des adligen Gelehrten von Aztlan auf die Erde. Nichts ist hinzugefgt und nichts davongenommen. Was aus der Sternenbrcke fiel in leuchtenden Bchen, das sei Euch geschenkt, nordischen Frauen und Mnnern, die gleich ihm die Lanze ihrer Seele nach ragenden Gipfeln stoen.

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    DER NEUE STERN Wie kann man auf dem Rasen schlafen, Godda Apacheta? Und dazu noch, wenn es regnet? sagte Atlanta. Sie mute mich von Framers Schlo erspht haben und war zu mir gekommen. Nun, der Regen war nicht so schlimm gewesen, schon blaute wieder der reine Himmel des Hochlandes zwischen den Anden, und die zarte Wolke, die mich na gesprht, wanderte nach Osten.

    Wie siehst du aus! fuhr Atlanta vorwurfsvoll fort und mu-sterte mit hellen Augen mein schwarzes Gewand, auf dem die Regentropfen schimmerten und den Perlen meines Brustschildes den Glanz streitig machten. Eben hat der Wchter die Schiffe des Acora angemeldet. Bald wird er hier sein, und du ?

    Ein nasser Gelehrter in der Halle von Akapana ist eine unmg-liche Erscheinung, gestand ich zerknirscht und sehr ernst, aber Atlanta hrte doch den bermut heraus.

    Nur, wenn es andere sehen auer mir, erwiderte sie lachend. Es klang gut und heimtckisch zugleich. Es lockte, wie die Sterne locken, aus denen diese erdenschweren betubenden Blumen geschaffen sind, die mit flimmernden Augen lachen.

    Wie siehst du mich an, Godda Apacheta? Als Atlanta abermals meinen Namen nannte, wurde ich endlich

    ganz wach und hatte doch geglaubt, wach gewesen zu sein. Ihr weies schmales Antlitz leuchtete zu mir herab, der ich auf

    dem Rasenplatz hinter dem mchtigen Wasserbecken hoch auf der Platte der Festung Akapana unter breiten Fchern der Farren lag.

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    Weit glitt die niedrige Wolke nach Osten. Habe ich dich angesehen, Atlanta? fragte ich verwirrt und

    stand auf, denn so recht es ist, wenn ein Ritter zu Fen der Ge-liebten liegt, so schlimm ist es, wenn er dabei schlft.

    Nun aber stand ich neben ihr, wach und erdenschwer wie sie. Und ich konnte nichts sagen, sondern sah sie wieder an, Verliebter und Knstler zugleich. Ich trank ihre hohe helle Gestalt mit den Augen. Dabei sah ich sie eigentlich gar nicht an, sondern lag gebannt in den Ketten ihrer blauen Sterne unter der feinen schma-len Stirne mit dem Goldreif und wute nichts, als ein unsagbares Glck, dieses Kind des nordischen Landes mit den Augen zu trin-ken, nur zu trinken, dieses Meisterwerk einer reinen uralten Rasse der Beherrscher der Erde.

    Atlanta aber schttelte den Kopf, wiewohl sie fhlte, da ich von ihrer Gegenwart hingerissen war und obschon sie mit einem feinen Rot in den Wangen darauf antwortete.

    Und nun ffnete sich der vornehme Mund zu einem Lcheln, lockend und abwehrend zugleich, und ihre Augensterne deuteten fast unmerklich auf eine Gruppe gutgekleideter Mnner, die am Treppenaufgang zur Festung auf der Nordseite unter schweren Arkaden ans grnem Lavastein Aufstellung genommen hatten, gleich als warteten sie auf einen hohen Gast.

    Die Sonne, die im Westen stand und ihre Strahlen schrg ber den gewaltigen Hof scho und in den leisen Wellen des knst-lichen Sees die bunten Fische wie rote Edelsteine aufleuchten lie, verfing sich in den Waffen und dem Geschmeide der Herren, also da die dstere steinbedeckte Halle wie mit Perlen best war.

    Seufzend war ich Atlantas Blick gefolgt und seufzend verstand ich ihre heimliche Warnung. Obschon die Entfernung recht gro war, so konnte das eine als sicher gelten: die Herren richteten ihre Augen auf Atlanta und mich, vielmehr ich will nicht hochmtig sein nur auf Atlanta, denn ich hatte auch nur sie angesehen, wenn ich in der Arkade gestanden hatte, wie die Ritter des Herrn Framer von Akapana.

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    Wie war es nur gekommen, da ich einschlief? Richtig, ich hatte mich auf den steinernen Rand des Wasser-

    beckens gesetzt und hatte zuerst hineingesehen, und dann war ich ins Gras gesunken und hatte die langsamen stolzen Bewegungen der Farren gefhlt, wie sie im Nachmittagswind die gefiederten Fcher durch die Luft gleiten lieen, hin und her, in schlfriger und wohliger Bewegung, und ich hrte das Brausen vieler Menschenstimmen tief am Fue von Akapana und vom fernen Hafen des Sees von Aztlan. Und ich glaubte, es rausche dort unten ein Strom mit vielen, vielen Wellen, unerschpflich und geschf-tig. Es war der Strom der Menschen auf der grnen Erde, den ich seit undenklichen Zeitaltern kannte. Denn ich wute die Ver-gangenheit, hinter mich gebreitet wie ein weiter Weg, der rck-wrts in der blauen Ferne unter die Augenlinie dmmert, und kannte die Zukunft wie sein Spiegelbild, nur matter und undeut-licher, wie wenn der Blick durch dnne Schleier zu dringen sucht.

    Wie gut aber hatte das Schicksal mich gefhrt, geradewegs zu Atlanta Framer, dem stolzen Kind des nordischen Ritters, der unter heier Sonne auf der Sdschale des Erdensternes der Herr der heiligen Stadt Aztlan war. Herr von Akapana nannte man ihn, bescheiden genug fr den Statthalter des Knigs in Tiahusinju Hochland, aber Akapana war eben mehr als eine Festung, sie war die Erdensonne, die ber das Andenhochland mit seinen groen Salzseen bis Cuzco drang. Und Cuzco war die nie unterworfene Stadt der Ingas, die Stadt der Menschen mit dem gelben Fell und den schlitzigen Augen, deren Heimat Zipangu ist, drben ber dem groen Meere.

    Gewi war Akapana nur eine der kleineren Sonnen, die von der mchtigen Mittelsonne Atlantis ihr Licht borgte, aber sie war recht selbstndig geworden, diese kleinere Sonne, weil Framer von Nordland, Atlantas Vater, in Dingen der Staatsverwaltung einen eigenmchtigen harten Kopf hatte und ihn durchzusetzen wute, auch gegen den Knig von Atlantis. Framer war daran gewohnt, von Jugend an, Geschichte zu machen, wie es die Eigenheit groer

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    Fhrer zu sein pflegt. Die sumerischen Herrn in Ur in Chalda, am Euphrat jenseits des atlantischen Meeres, verdankten ihm den Vorzug, ihre Steuern nach Atlantis zahlen zu drfen, statt in die eigenen Kassen, und die Ingas von Cuzco schrieben seinetwegen seit Jahren dringende Briefe nach Zipangu, ihrem Mutterlande im Stillen Meere.

    Atlanta deutete mit kaum erhobener Hand nach Westen auf den weiten blauen See von Aztlan mit seinen flachen Ufern, an denen sich auf weite Strecken ganze Wlder von Binsen dehnten, bis na-he an der Stadt die Hafenbauten begannen. Dort, wo die wuchti-gen Rechtecke der uralten Knigsgrber von Puma Punku ihre langen Schatten in die stillen Grten der Toten warfen, aufgebaut auf breiter Grundlage dreifacher Terrassenanlagen, wimmelte es von Menschen und wehenden Bannern.

    Die breite Strae am hochgelegenen ehemaligen Hafen war von ihnen voll besetzt, und es sah aus, als flimmere ein Band von leuchtendem Gold und blitzenden edlen Steinen am Rande des blauen stillen Sees von Tiahusinju. Drauen aber wuchs eine kleine Flotte von Ruderschiffen von schwarzen Punkten zu nied-lichen Runden und schlielich zu braunen Schalen auf weiem Schaum, und ber ihnen flatterten an schlanken korbgekrnten Masten die blauen Banner des Knigreiches Atlantis mit dem sil-bernen Hakenkreuz, dem Sinnbild der erdbeherrschenden Sonne.

    Ich sehe den Vater, sagte Atlanta Framer, und es schien mir, als schwinge eine leise Sorge in dem Ton, in dem sie es sagte. Viel-leicht fhlte sie mit der magischen Kraft uralter edler Rassen un-bewut ein schweres Unheil nahen, trotz strahlender Abendsonne und obschon es keinen Grund gab. der ein solches Unheil mglich erscheinen lie. Auch ich glaubte den Herrn von Akapana allein an der breiten Treppe am See stehen zu sehen, unbeweglich wie ein Steinbild, und nur das Flimmern seines Helmes, den die west-lichen Sonnenstrahlen streiften, verriet, da in der stillen dunklen Gestalt Leben war.

    Framer von Akapana stand zwischen zwei wehenden Bannern,

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    dem blauen von Atlantis und dem eigenen rotweien von Aztlan, und wenn der Wind dies Banner zeitweilig ffnete, erkannte ich den Sonnenadler Condor der Schneeriesen des Landes Tiahusinju Hochland, dessen Statthalter der Ritter Framer im Auftrage des Knigs war.

    Auch die Mnner, die in der Arkade gestanden hatten, waren an die Brustwehr der Festung getreten und sphten erwartungs-voll zum Hafen. dessen hlzerne Molen tief unterhalb der steiner-nen Hafenanlagen standen. Ehedem, als der See hher gestanden hatte, vor langen unbekannten Zeiten, hatten diese dem Hafen-verkehr gedient. Wann dies gewesen war, wuten wir nicht. Die Geschichte der heiligen Stadt Aztlan verlor sich in ferner grauer Vergangenheit. Nun waren die Schiffe herangekommen und schwenkten ein, als wrden sie alle gleichzeitig an einem Bande bewegt. Mit leisem Drhnen klang der Hammertakt der Schiffs-fhrer aus der Ferne. Undeutlich trug der Wind eine kriegerische Musik zur hohen Feste hinauf, und ich sah, da Framer von Akapana seine rechte Hand zum Grue erhob. Wie grne Blitze leuchteten die Diamanten an den Ringen seiner Hand.

    Und nun geschah etwas, das die Feierlichkeiten des Empfanges des Herzogs von Acora, des Thronfolgers des Reiches Atlantis, un-liebsam unterbrach. Niemand hatte whrend der Annherung der Flotte des hohen Gastes auf den See geachtet, und ich gestehe, da ich beim Anblick der einschwenkenden Flotte so gefesselt war, da auch ich berrascht wurde, und als ich meine Blicke auf den See rich-tete, war das Unheil schon geschehen. Die gewaltige Hgelfestung Akapana samt ihren Riesenbauten aus glashartem Lavastein erhielt einen heftigen Sto, als wenn die Erdschale sich aufwlben wolle. Ein dumpfes Grollen in der Tiefe verriet eines der Erdbeben, die Aztlan bisher unbeschdigt berdauert hatte, da die Stadt gut und fest gebaut war und nur wenige mehrstckige Gebude besa, wie sie in dem goldenen Atlantis im stlichen Meer blich waren. Gleich darauf setzte eine ganze Folge kleinerer Erdste ein, und Atlanta Framer griff nach meinem Arm, um sich festzuhalten.

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    Obschon auch ich heftig erschrocken war, so hatte ich doch so viel Einsehen, eine solche Gelegenheit nicht vorbergehen zu las-sen, und so geschah es, da ich die Tochter des Herrn von Aka-pana in beide Arme nahm und sie auf den roten Mund kte, als sich voller Schrecken das feine zarte Gesicht zu mir erhob. Wohl-weislich lie ich sie gleich darauf wieder los, und meine Blicke schossen mitrauisch zu der Gruppe von Herren, die an der Brstung standen und eben noch zum Hafen hinabgesehen hatten. Infolge des Erdbebens war unter den Rittern eine groe Unruhe ausgebrochen, so da sie sich in ihren Gedanken nicht mehr mit mir Oder Atlanta beschftigten.

    Ich lchelte mit einem tiefen Aufatmen, denn ich hatte ge-wonnen!

    Dank den wilden Gttern der Unterwelt! Niemand hatte gese-hen, da der Sternweise von Aztlan, Godda Apacheta, die Tochter des Ritters Framer gekt hatte. Ich mu gestehen, da ich den hlichen Wunsch hatte, die Unterirdischen mchten weiter an der Kruste rtteln, auf der wir sonst so sicher und gut standen, aber sie taten mir diesen Gefallen nicht, also da ich auf die Fort-setzung meiner gewaltttigen und nur scheinbar notwendigen Liebkosungen verzichten mute.

    Atlanta sagte zu dem Vorfall garnichts, sie schaute zur Seite und hatte Mhe, nicht zu lachen, aber ihre Wangen mit der weien durchsichtigen Haut zeigten die Rte eines empfindlichen Blutes und dies derartig, da ich sogar den wallenden Herzschlag in der zarten Tnung zu erkennen glaubte. Und der Herzschlag schien mir recht schnell zu sein, aber ich konnte mich auch irren. Nun, ich hatte es selbst nicht ntig, unter meinen schwarzen Gelehrtenmantel zu greifen, um festzustellen, ob meine eigenen Herzschlge nicht mehr die gewhnlichen waren; so berlegen meisterte ich die gnstige Lage denn doch nicht. Und ich frchte, an der Wrme, die sich mit weicher Glut um meine Augen legte, htte auch Atlanta manches erkennen knnen, wenn sie mich angesehen hatte. Dies tat sie klugerweise nicht, denn sie htte

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    mich alsdann auszanken mssen, und zwar mit vollem Recht. Es war schon eine sehr ungewhnliche Sache, die Tochter des Herrn von Akapana in Gegenwart von mindestens dreiig seiner Ritter und oben auf der weiten Platte der Festung eines der grten Tochterreiche von Atlantis mitten auf den Mund zu kssen!

    Atlantas Kleid wies an der Brust und an dem rechten Arm eini-ge Wasserflecke auf, die von meinem regennassen Mantel stam-mten. Auerdem hatte sich die Stickerei meiner schwarzen Amts-tracht wohl in der Gegend ihres Gewandausschnittes verfangen. Infolgedessen waren einige Perlen abgerissen, die wahrscheinlich nunmehr Atlanta, wenn auch unfreiwillig, im Besitz hatte; meine suchenden Augen konnten die Flchtlinge wenigstens auf dem mit schwarzen Lavaplatten belegten Fuboden nicht entdecken.

    Und wie ich ber den Aufenthalt der flchtigen Perlen nach-dachte, mute ich lachen, und Atlanta wurde so rot, da ich ganz bestimmt wute, die kostbaren Perlen seien nicht verloren, son-dern htten sich nur versteckt. Da ich sie irgendwann von der Ge-liebten zurckerhalten wurde, war also mehr als wahrscheinlich.

    Eine Bewegung der Ritter an der Brstung neben den Arkaden des Treppenniederganges ri mich aus solchen Betrachtungen. Vom See her klang ein leises, durch die Entfernung gedmpftes Drhnen, wie das splitternde Krachen zerbrechenden Holzes.

    Ich hrte, wie Atlanta einen leisen Schrei ausstie und sah, wie sie mit beiden Hnden voll Schrecken zum Hafen deutete.

    Die Ritter an der Brstung nahmen ihre Schwerter unter die Arme und rannten, sich fast berstrzend, zur Treppe, in deren dsterem Schlund sie nacheinander in wilder Hast verschwanden. Ich aber blieb stehen, weil ich wute, da auf diese Entfernung keine Hilfe mglich war und da das Gedrnge am Hafen und auf der Uferstrae auch jede Hilfe unmglich gemacht htte. Auer-dem wollte ich Atlanta nicht verlassen, und das war wohl der eigentliche Grund meines Bleibens, wenn ich die Wahrheit sagen soll, zumal das Mdchen fassungslos vor Entsetzen das bleiche Gesicht in die Hnde drckte.

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    Es sah auch schlimm genug aus, was da unten am Hafen vor sich ging; aber dennoch konnte es so ganz gefhrlich nicht sein. Ich erkannte noch immer den Ritter Framer von Akapana an sei-ner alten Stelle auf der obersten Treppenstufe des Anlegeplatzes, doch stand er jetzt mit gespreizten Beinen wie ein Turm, bis an die bronzenen Kniebergen im strudelnden Wasser und sttzte mit bei-den Armen einen schlanken hochgewachsenen Mann, der offenbar soeben aus dem vordersten Schiff ans Land gesprungen war. Das Schiff aber lag schief gegen die hlzerne Mole gepret und schien gesunken zu sein; es lag viel tiefer als vorher und sa wohl mit dem Kiel auf dem Grunde fest. Die drei anderen Galeeren aber lagen am Strande, hatten Masten und Ruder gebrochen und auf ihren Decks wimmelte es von laufenden und schreienden Gestal-ten. Gesattelte und gezumte Pferde schlugen dort wie toll um sich, einige sah ich rcklings ber den Schutzbord in das flache Uferwasser strzen und bald darauf an den Strand klettern, wo sie unterhalb der hohen Uferstrae entlang galoppierten, da die goldenen Steigbgel blitzten.

    Am Rande des Sees aber rauschte in schrger Fahrt ein breites Band weien Schaumes, eine riesige Flutwelle, die gierig an der hohen Uferterrasse emporleckte, so da die sichtgedrngten Zu-schauermassen vor Angst laut schrien und vergeblich zu fliehen suchten. Nun kam die Welle in die Nhe meiner alten Sonnenwarte Kalasasaya im Norden der Stadt, rauschte durch die offene Halle des Rathauses, das ihr vorgelagert war und brandete ohnmchtig an den Riesenmauern der Sternwarte empor. Die Arbeiter, die am heutigen Festtage unttig auf den Brstungen der Umwehrungen saen und den Empfangsfeierlichkeiten fr den Herzog von Acora im Hafen zusahen, rannten zum hher gelegenen Neubau, den der Knig fr Aztlan gestiftet hatte. Ntig war diese Flucht nicht, das sah ich von meiner erhabenen Warte gleich, aber vermutlich wre ich auch davongelaufen, wenn ich in der Kalasasaya gewesen wre. Eine tiefe Beruhigung fate mich an, als ich die Welle vorber-rauschen sah, denn in der Sonnenwarte wohnte meine alte Mutter.

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    Im breiten Handelshafen, in dem vornehmlich die Frachtschiffe der Aztlaner Handelsherren lagen und auch einige Zollkriegs-galeeren des Knigs nebst den kleinen schnellen Booten Framers von Akapana, mit denen er dem Schleichhandel ber See nach Cuzco steuerte, schienen alle kurze Zeit in hoher Gefahr zu schwe-ben. Denn die Flutwelle brandete ber die schtzenden Molen und ergo sich brausend in das weite Becken, so da die Galeeren ungestm an ihren Ankerketten rissen und herumtanzten, als be-fnden sie sich auf hoher See im Sturm. Glcklicherweise hielten Trossen und Anker, und nur zwei Kriegsfahrzeuge stieen kra-chend gegeneinander, weil das eine von ihnen gerade zum Nacht-dienst in See gehen wollte und am Schwesterschiff vorberfuhr, als die Woge kam. Im Handelshafen wurde es infolgedessen sehr lebendig, und das aufgeregte Gewimmel des Schiffsvolkes sah fast komisch aus. Glcklicherweise konnten wir die Bltenlese der Flche nicht hren, die aus Anla dieses Ereignisses ausgestoen wurden.

    Die Flutwelle, die unterirdische Mchte aus der Tiefe des Sees von Aztlan gegen die Ufer schleuderte, war schnell verrauscht und in ihr altes Bett zurckgeglitten, und nun hrte ich durch das Schreien der gengstigten Menschen unten am Hafen von Puma Punku die gewaltige Stimme des Herrn Framer von Akapana, ruhig und beherrscht, trotz des lauten Tones, und ohne die geringste Erregung, als sei nichts geschehen. Er hatte den Mann, den er soeben gesttzt, losgelassen und stand vor ihm, gefat und in stolzer Haltung, und obschon der Ankmmling na sein mute, viel nasser als ich es vom Regen war, so schien es dennoch so zu sein, da die beiden Mnner dort unten die Lage beherrschten. Man konnte auf der Platte von Akapana nicht verstehen, was sie sich zu sagen hatten, aber der Ton ihrer Stimmen, weithin hallend in Rede und Gegenrede, bte auf das Volk auf der hohen Ufer-strae einen beruhigenden Einflu aus. Das Geschrei verstummte so schnell, wie es beim Eintreffen der Flutwelle ausgebrochen war, und nur die tiefe Stimme Framers und die helle durchdringende

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    des Herzogs von Acora, eine Stimme, die wie klarer Trompetenton durch die stille Luft schwebte, krnte die folgenden Zeittakte.

    Es ist nichts geschehen, hrte ich Atlanta mit tiefem Auf-atmen sagen. Das war nicht ganz richtig, geschehen war genug, denn vier zerbrochene Rudergaleeren, die noch soeben stolz mit wehenden Fahnen ber den blauen See gefahren kamen wie prachtvolle Schwne, lagen hilflos im Uferschlamm und steckten mit geknickten Spanten im Schlamm an der Westmole von Puma Punku. Die prchtig gekleidete Ritterschaft, die den Herzog aus Atlantis nach Aztlan begleitet hatte, watete, zum Teil vermutlich unter heimlichen Fluchen, durch das Uferwasser und stieg zur Strae hinauf, in ihren beschmutzten und durchnten Pracht-gewndern kein Anblick, der auf das lauernde Eingeborenenvolk einen besonders erhebenden Eindruck machen konnte.

    Dennoch schien mir die Wrde der Lage gerettet zu sein, nicht allein durch die erstaunliche Haltung des Ritters Framer, als fast noch mehr durch das unbekmmerte Wesen des stattlichen Frsten von Acora, der doch triefend vor Nsse vor den Augen der Hunderttausende stand, die das Schauspiel mit angesehen hat-ten. Ich hrte, wie pltzlich ein brausendes Gelchter am Hafen ausbrach und sah, wie der Herzog frhlich im Kreise winkte. Ver-mutlich hatte er mit einer guten Bemerkung die peinliche Lage endgltig gemeistert.

    Diese Flutwellen und Erdste, bald leichter, bald heftiger, huften sich in der letzten Zeit, und ich entsann mich, da ich als Kind eine gleiche aber viel schwerere Zeit in Atlantis, der gold-schimmernden Knigsstadt unseres Reiches, durchgemacht hatte. Mein Vater lebte damals als Lehrer der staatlichen Hochschule fr Rechen- und Heilkunst in einer Vorstadt in der Nhe des Meeres, und ich entsinne mich wie heute, da unser Haus aufgegeben werden mute, weil das Kstenland langsam und stetig in den Wellen des atlantischen Meeres versank. Dabei lag das Haus auf einem nicht unbetrchtlichen Hgel. Und ich erinnere mich auch der groen Freude, als das Gebude nach langen Wochen wieder

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    aus der Flut auftauchte und das Meer mein Vaterhaus wieder freigab. Doch es war durch die Brandung sehr beschdigt, weil es nicht tief genug untergetaucht war, ganz im Gegensatz zu dem Palast des atlantischen Edelmannes Gotburg, dem Letzten einer alten nordischen Familie. Er selbst kam bei dem anfangs pltz-lichen Steigen des Wassers um. Sein Schlo aber stand nach langer Zeit wieder unversehrt am Strande, als sei nichts geschehen.

    Tag um Tag erschtterten damals die Erdbeben das Mutterreich in den Grundfesten, und mein Vater erzahlte mir, die stern-kundigen Gelehrten auf dem Acorischen Berge im Norden des Reiches htten die Ansicht ausgesprochen, ein Wandelstern, des-sen Bahn derjenigen der Erde nahezu gleich sein msse und der wie die anderen Wandelsterne nahe in der Ebene der Finsternisse1 um die Sonne zu kreisen scheine, trage mglicherweise die Schuld an dem Zorn der unterirdischen Gewalten. Auch aus Aztlan, gypten, Abessien, Sumerien und Gondwana, selbst aus dem Nordlande kamen damals die gleichen Unglcksnachrichten.

    Das Unheil schlich vorber und wurde bald vergessen, ich aber verga es nicht und ging. noch ein Kind an Jahren, in den Garten unseres neuen Stadthauses. um den glnzenden groen Stern zu betrachten, der Nacht fr Nacht blasser schien, bis er dem Auge entschwand. Damals bat ich meinen Vater, Sternkunde lernen zu drfen, und so wurde der neue Stern mein Lebensschicksal.

    Nun stand ich auf der Platte der Festung Akapana im hohen Aztlan, und wieder schtterte die Erde; und der Vulkan Kjappia, der ber die Augenlinie in die klare Bergluft des Hochlandes rag-te, stie mchtige Rauchwolken in den Himmel. Vor wenigen Wo-chen erst hatte er seine Ttigkeit aufgenommen, und mit ihm stieen die fernen Vulkane in den See-Anden Rauch und Feuer aus ihren Schlnden, da man den Himmel nachts in dsterem Rot leuchten sah. Keine Gebete halfen dagegen, soviel ihrer in den

    1 Dieser Stern, der in der Ekliptik umlief, ist der jetzige Erdmond

    Luna. (Anm. d. Verf.)

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    Tempeln gelesen wurden. Tag fr Tag schleuderte der Kjappia seine finsteren Rauchballen empor und ngstigte die aufgeregte Bevlkerung des Landes Tiahusinju.

    Die Steinmetzen, die am Fue des Feuerberges die grne harte Lava brachen und sie auf den Lastschiffen der Staatsflotte nach Aztlan brachten, muten den Bruch sogar verlassen und nach der Stadt zurckkehren, weil das Arbeiten in der Nhe des Berges un-mglich geworden war. Ich hatte vergessen, da Atlanta neben mir stand, hatte vergessen, da die Perlen aus der Stickerei meines schwarzen Gelehrtenmantels an die geliebte Frau verloren waren, wenn auch nicht fr immer, wute nichts mehr von der Ankunft des Herzogs und von seinen durchnten Rittern, sondern sah zum Himmel empor, in die Bahn, die die Sonne am Tage durch-messen hatte und suchte an ihrem Gegenort den Stern, den ich vor wenigen Wochen wieder entdeckt hatte. Denn meine Augen wa-ren schrfer als die des Meisters Glham, dem ich auf Befehl des Knigs beigegeben worden war, weil der Gelehrte schon achtzig Jahre zhlte und seine anderen Gehilfen nicht die notwendige wissenschaftliche und magische Ausbildung hatten, die an der Hochschule von Atlantis von den Jngern der Sternkunde ver-langt wurde.

    Die Berufung an die Sternwarte Kalasasaya war eine hohe Ehre fr mich, und dennoch war ich nicht gerne nach Aztlan gegangen, denn welcher junge Gelehrte verlt gerne Atlantis, die goldene Stadt? Und welcher lebenslustige junge Mann drngt sich zum kalten rauhen Hochlande von Tiahusinju, wenn in Atlantis am Meere die Palmen winken?

    Der Uralte Gott, mein Freund und Bruder aber hatte es gut ge-meint, sofern er sich um solche Dinge kmmert, was ich wohl be-zweifeln mchte, denn ich hatte Atlanta gefunden, und sie ist der schnste Stern, den ich je entdeckte. Ich glaube nicht, da ich noch einmal einen schneren finden werde. Und ich nannte im Geiste den Stern, der nachts als leuchtender Punkt, ja fast als kleine strahlende Scheibe am Himmel in der Linie der Finsternisse stand,

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    mit kindischer Liebe Atlanta, weil ich glaubte, da sie mein Schicksal sei.

    Und ich wute nicht, da der Wandelstern Atlanta auch das Schicksal des Reiches Atlantis sein wurde.

    Es war sehr sonderbar, der helle Stern sah aus wie ein Komet, aber ihm fehlte die Schweifausbildung und ich mchte ihn mehr als Nebelstern bezeichnen. Vielleicht aber war er dennoch ein Ko-met, obschon nach den Tafeln unserer Sternwarten jener unheim-liche Wandler um diese Zeit wiederkommen mute, sofern er tatschlich etwa die gleiche Bahn wie die Erde hatte. Ob der Stern vor zwanzig Jahren gelegentlich kometenartig ausgesehen hatte, wute ich nicht, da nichts hierber in den Tafeln verzeichnet stand, und ich selbst hatte es auch nicht beobachtet.

    Angestrengt sphte ich nach Osten, aber der Stern lag noch weit unter der Augenlinie und war nicht zu sehen. Vielleicht war mir die Nacht gnstiger, wenn ich nach dem Empfang des Herzogs in der Halle von Akapana entlassen wurde.

    Die Herren steigen in die Tragsessel ein, Godda Apacheta, hrte ich neben mir Atlantas Stimme, grade rechtzeitig, um aus dem magischen Bann zu entrinnen, der mich wieder in den Sternen-Garten des Uralten ziehen wollte. Da nahm ich Atlantas Hand und ging mit ihr in den Hain der hohen Farren, der den knstlichen See von Akapana an der Westseite abschlo, und stand wieder fest auf der grnen Erde. Aber ehe ich selbst zum Angriff kam denn ich suchte eine Stelle des Laubenganges, die ganz sicher gegen die Blicke unberufener Neider war schlang Atlanta ihre Arme um meinen Hals und kte mich.

    Atlanta war jung und schnell, sie nahm es da mit mir sicher auf, der ich vielleicht schon etwas steif geworden war, und ich war nicht rasch genug, sie mit der Gewalt meiner nicht ganz schwachen Arme zurckzuhalten, und so entwand sie sich meiner aufflammenden Unersttlichkeit, lief mit flatterndem weien Gewand durch die Wlbungen schwankender Farrenfcher und war im Freien.

    Dort warf sie einen prfenden Blick zum Hafen und ging quer

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    ber die Platte von Akapana und dann am Wasserbecken entlang zum Schlo ihres Vaters. Und ihr Gang, die hinreiendste Bewe-gung edler Rassemenschen, glitt wie wunderbare zarte Musik in meine Augen, weil aller Rhythmus in Ewigkeit Musik ist, Klnge, die der Uralte zu spielen wei, meisterhaft wie alles, was er mit Liebe geschaffen und emporentwickelt, herzbetrend, wie alles, was er selbst liebt. Und ich wute, da mein Freund und Bruder Atlanta lieb hatte, weil er seine Kunst an ihr verschwendet hatte, und da er mich mit ihrer Liebe beschenken wollte, um mich rei-cher zu machen, als alle Knige der Welt es sein knnen.

    Da, als Atlanta ins Dunkel des schweren vergoldeten Portals tauchte, und mit einem Schlage die Platte der Akapana leer war, umschlang ich den dnnen Stamm einer Farre und sank zu Boden, und die letzten Perlen meines Mantels mssen dabei abgerissen sein. Ich bemerkte es erst, als es zum Umkleiden viel zu spt war, und zwar erst, als ich vor dem Herzog stand.

    Der Acora betrachtete mit etwas verwundertem Blick die trau-rigen berreste der Stickerei, in der die zwlf vorgeschriebenen Perlen fehlten. Wohl kannte er mich aus Atlantis vom Hofe seines Vaters, des Knigs, aber ich konnte deshalb nicht erwarten, da er auf einen Tadel verzichten wrde. Doch er hatte die Herzensgte, in Gegenwart Framers und seiner Damen und im Beisein der Ritterschaft von Aztlan und Atlantis, jede tadelnde Bemerkung zu unterdrcken. Aber ich sehe noch den entsetzten Blick Atlantas, als ich vor den Frsten trat, denn sie hatte nur ja nur drei Perlen abgerissen, und nun fehlten sie alle!

    Zu meinem alten Meister Glham sagte der Herzog nur mit einem Lcheln, fr das ich den Herrn von Acora gern umarmt hatte, er beabsichtige, die Amtstracht der zweiten Sternweisen an den kniglichen Himmelswarten dahin zu ndern, da die zwlf Perlen als Sinnbild der Tierkreiszeichen nicht mehr getragen werden sollten. Diesen Schmuck sollten in Zukunft nur die Leiter der staatlichen Warten beibehalten, und den zweiten Beamten werde er ein anderes Zeichen verleihen.

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    Die Anwesenden waren brigens offenbar der Ansicht, ich htte den Schaden bei Gelegenheit des Erdbebens erlitten und wunderten sich nicht so sehr, wie es Atlanta tat. Nur hatte man mir den Vorwurf der Nachlssigkeit nicht ersparen knnen. Die Frauen und Herren, die unter dem kleinen Unheil der Flutwelle gelitten hatten, wuten die Zeit bis zum festgesetzten Empfang in der Halle von Akapana zu nutzen und sorgten fr tadellose Klei-dung, und ein Gleiches hatte auch ich tun knnen. Nun beschmte mich der Herzog mit der neuen Anordnung, gleich als habe ich seine Absichten zuvor erkannt.

    Framer von Akapana sah mich nicht sehr freundlich an, und wenn ich glcklicherweise auch seiner Befehlsgewalt nicht un-mittelbar unterstand, so waren mir diese Blicke nicht ganz ange-nehm. Seinen rger als tadelloser und ordnungsliebender Kriegs-mann verstand ich natrlich gut, und nahm ihm seinen Zorn auch nicht bel. Seine Gattin Dana, welche Atlanta, das Meisterwerk des Uralten, geboren hatte, schien die Wahrheit zu erkennen und mute als Teil ihrer Tochter den tieferen Grnden nherkommen, als es den anderen gegeben war, und weil ich dies ahnte, setzte ich mich neben sie, sobald es angngig war, und kte die Spitzen ihrer Finger an den edlen Hnden, die der khle Norden des Erdballes geschaffen hatte als zwei Juwele an Hoheit und Rasse.

    Lieber Godda Apacheta, sagte sie leise zu mir und neigte ihr feines ernstes Gesicht, wie es Atlanta mitunter auch tat. Bevor du mit meinem Kinde in den Hain gingst, sah ich die Perlen noch an deinem Mantel in der Sonne schimmern. Lasse dich warnen, God-da. Alle Hoffnungen der Erde schwimmen in der leichten Luft, und keine ist mitunter so zart und verletzlich, als die, welche zwei Menschenherzen erfllt.

    Ich sah zu Atlanta hinber, die auf goldgetriebener Bank und auf seidenen Kissen des Landes Zipangu neben dem Acora sa. Der Herzog des Reiches sprach mit leiser Stimme zu dem schnen Kind Framers von Akapana, und die schmalen gepflegten Hnde

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    des groen Frsten spielten mit der goldenen Kette, die auf den perlenbesten Waffenrock hinunterhing.

    Atlanta aber, deren Gesicht ich erkennen konnte, weil es mir zugewandt war, blickte mit dem verwirrenden klaren Blau ihrer Augen ohne jede Verlegenheit in des Mannes scharfe graue Lichter, die ich geradezu ahnte und deren Macht ich fhlte, ob-schon mir der Herzog halb den Rucken kehrte. Atlantas Ausdruck war der einer gespannten Aufmerksamkeit, und ein freundliches Lcheln huschte ab und zu um den feinen Mund, der ganz leiden-schaftslos in adliger selbstsicherer Ruhe unter der leicht gebo-genen Nase schlummerte, als wisse er nichts von Kssen und auf-flammender Leidenschaft, von abgerissenen Perlen und von ver-liebten Sternweisen, die in stillen Nchten vom Stern Atlanta tru-men, der Godda Apachetas Schicksal ist.

    Und als ich an den Stern dachte, der wieder erschienen war, noch fern und fr das ungebte Auge nur schwer zu erkennen, und dies nur dann, wenn es Nacht geworden war, da rann ein Zittern durch die mchtigen vergoldeten Steinwnde der Halle von Akapana, ein Zittern nur, aber es trieb mir ein Grauen durch das Herz, weil die Machte der Tiefe so deutlich auf meine Ge-danken antworteten.

    Gleichwohl lie ich den Blick nicht von Atlanta und dem Fr-sten. In der Unruhe, die in der Versammlung infolge des leichten Wankens der steinernen gestuften Decke ber den riesigen vier-kantigen Pfeilern entstanden war, saen die beiden Menschen, denen meine Blicke galten, unbewegt und unterbrachen nicht einen Augenblick die freundliche Unterhaltung. Nur Atlanta tastete mit der Hand nach dem Herzen und lie sie gleich darauf wieder in den Scho sinken.

    Framer von Nordland sprach beruhigend zu einer Gruppe jun-ger Mdchen, die aus Atlantis mit dem Frsten gekommen waren, Tochter aus adligen nordischen Geschlechtern. Sie waren fr den Blumendienst im Tempel der Sonne, der weltberhmten Kalasa-saya in Aztlan bestimmt, wo sie unter dem Schutz meiner alten

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    Mutter einige Zeit blieben, bis sie unter den atlantischen Herren des Hochlandes einen Gatten fanden. Da die Vermhlung der nordischen Mnner mit eingeborenen Mdchen ans Grnden der Rassenerhaltung verboten war, so wurde diese vorsorgende Ma-nahme des Knigs im fernen Mutterlande jedesmal mit groer Freude begrt, und es hatte etwas Komisches, zu sehen, wie die unverheirateten Ritter heimlich nach der neuen Sendung sphten, wie sie sich auszudrcken beliebten.

    Nun. der Spott war wohlfeil, aber wenn der Knig nicht fr Rassefrauen gesorgt hatte, so wre das Geschlecht der Atlanter auf den kalten Riesenbergen von Tiahusinju und in den Stdten Azt-lan, Guaka, Apacheta, Tarako und Tikina, auf den einsamen Bur-gen und Landhfen der Grenzmark in kurzer Zeit dem Untergang geweiht gewesen. Schlielich wute doch jeder, wie notwendig diese Sendungen reinrassiger Frauen aus Nordland und Atlantis waren, und der Spott war nur ein vorgetuschter. Vergingen doch selten zwei Jahre bis zum Eintreffen weiterer Mdchen, ohne da die Paare sich gefunden hatten, ohne Zwang und nur durch Nei-gung. Frau Dana Framer fhrte die jungen Leute zu Spiel und Geselligkeit zusammen, und der Erfolg blieb nicht aus.

    Auch ich hatte anfangs innerlich gespottet, weil ich aus dem goldenen Atlantis kam, wo die nordischen Mdchen im berflu vorhanden waren. Aber ich erkannte bald die Not der gebirgigen Grenzmark von Tiahusinju Hochland und lachte nicht mehr, wenn die sonst so frhlichen ausgelassenen Mdchen aus den Schiffen stiegen und zunchst nur das taten, was sie im Atlantischen Tief-lande schon aus Neugierde nicht getan htten, nmlich schlafen und wieder schlafen.

    Auch die Mnner, die neu aus Atlantis eintrafen, entgingen die-ser Bergkrankheit nicht, die sich hier als eine Schlafsucht von mehreren Tagen uert; wenn es denn eine Krankheit ist, was ich nicht glaube. Und so sah ich heute die jungen Damen unter Lach-en ghnen, ganz vorsichtig und mit vorgehaltenen Hndchen, und Framer hielt sie mit freundlichen Scherzen wach, damit sie nicht in

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    Gegenwart des Herzogs auf einem Stuhl einschliefen. Als das Zittern durch die Halle rann, war die Mdigkeit vor-

    ber, und gespannte geduckte Erwartung lauerte ber Mnnern und Frauen. Abermals lief das Zittern durch den festen Bau, und diesmal klang auch das dumpfe Rollen aus der Erde, das den Erd-beben hufig zu folgen pflegt.

    Uns, die wir Aztlan und die Grenzmark kannten, waren diese Bewegungen der Erde an sich nichts Neues, und der staatliche Baumeister und Steinmetz, Ruder Atakama, dessen Vater schon an den Heiligtmern Aztlans gebaut hatte, wute, da diese Halle nicht einstrzen wrde, die er erdbebensicher errichtet hatte, und wenn die Ste die zehnfache Strke erreichten, die sie heute ge-habt hatten. Die Riesenblcke aus glasharter Lava vom Berge Kjappia hatte er im Innern ineinander verzahnt, so da sie wie eine einzige Masse zusammenhingen und nur auseinanderbrechen konnten, wenn der Baustoff versagte. Doch der bestand aus dem hrtesten Gestein, das die Grenzmark darbot, und hatte noch nie versagt. Ruder Atakama hatte durch diese Bauweise eine gewisse Berhmtheit erworben, denn sogar der Landesfeind, die schief-ugigen Cuzcos unter ihren fremdrassigen Ingas bauten ihre Festungen an der Grenze auf eine hnliche Art, ohne allerdings die hohe knstlerische Vollendung nachschaffen zu knnen, die in jedem Stein des atlantischen Knstlers schlummerte. Jahrtausende alter Adel lt sich eben nicht nachmachen, der mu erworben werden, in langer strenger Erziehung, und wenn die Rasse nicht gut ist, ntzt aller Flei und alle Arbeit wenig. Der Uralte hat einmal seine Freunde auf der Erde, die er lieber hat als andere Leute. Infofern ist er vielleicht nicht gerecht, aber ich habe an seine uerliche Gerechtigkeit, die urteilslos eins gleich eins setzt, wie die verbohrten Rechenknstler, nie geglaubt und werde auch nie daran glauben, auch wenn der Uralte einmal versuchen sollte, mich in meinem Glauben zu erschttern.

    Jetzt wurde der Herzog unruhig, obschon er es zu verbergen trachtete. Jedenfalls erhob er sich und fhrte Atlanta Framer zu

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    ihrer Mutter. Ich rumte sofort den Platz an Frau Danas Seite und zog mich zurck. Der Herzog aber nickte mir zu und befahl mir zu bleiben.

    Und whrend er mit mir sprach, verbarg er mit Mhe ein Ghnen, das ihm die dnne Hhenluft Aztlans abrang, das aber ebensogut einem anderen Grunde entstammen konnte, nmlich der Unruhe ber die heute wiederholt aufgetretenen Erdbeben.

    Der Baumeister Atakama stand, ohne eine Spur von Sorge und Unruhe zu verraten, bei einer jungen Dame, sie ihm sein Bruder aus Atlantis gewissermaen zur Ansicht geschickt hatte, einer der selteneren Flle, in dem das Paar durch heimatliche Frsorge freinander schon vorausbestimmt war, in der Hoffnung, da die Verbindung zum Guten ausschlge. Nun, wenn man so etwas gleich wei, so ist das andere nicht schwer, sobald die erste Verlegenheit vorber ist. Ich mute deshalb ein wenig lachen, weil das Mdchen den berhmten Bildhauer und Bauknstler schon jetzt mit offener Verliebtheit anschaute, und weil Ruder Atakama diese Verliebtheit offenbar nicht ungern sah. Die jungen Menschen gefielen sich, darber bestand kein Zweifel. Hier war also alles in Ordnung. Ich hoffte nur im stillen, da der Baumeister noch einige Zeit fr die Fertigstellung meines Bildkopfes erbrigen werde, der noch halb im Stein steckte. Da die Bildhauerarbeit in der Tat nicht fertig wurde, ist aber nur zu einem geringen Teil die Schuld des jungen atlantischen Mdchens, wie ich jetzt vorausschickend sagen will.

    Der Frst von Acora folgte meinem lachenden Blick, und auch sein Mund verzog sich ein wenig zu einem Lcheln, vielleicht spottend, aber doch mit vornehmer Gutmtigkeit, die diesen Mann geradezu unwiderstehlich machte. Und diese Eigenschaft der unwiderstehlichen Gte hatte er nicht nur Frauen gegenber. sondern auch wir Mnner unterlagen ihr samt und sonders.

    Der Steinmetz hat gar nicht gemerkt, da seine Halle geschau-kelt hat, bemerkte der Herzog freundlich.

    Ich widersprach mit geziemender Bescheidenheit. Atakama sei

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    jedenfalls der erste gewesen, der es bemerkt habe, aber er msse groes Vertrauen in die Bauart dieses Schlosses setzen, weil er nur die junge Dame aus Atlantis sehe und sonst nichts.

    Ich erhoffte von diesen Worten, die auch die nhere Umgebung des Herzogs hrte, die Unruhe wegen des wiederholten Erdbe-bens am heutigen Tage mchte schwinden, und ich glaube auch, da das Benehmen Ruder Atakamas, fr den scheinbar die Um-welt im Anblick seiner schnen neuen Freundin aus Atlantis ver-sunken war, nach meiner Bemerkung beruhigend auf die Gste Framers wirkte.

    Ich habe ihm bereits meine Anerkennung ber den Fortgang der Bauarbeiten an deiner Sonnenwarte ausgesprochen, lieber Godda Apacheta, fuhr der Frst fort. Leider stocken die Arbei-ten am alten Grabesbau. Es war dem Acora bekannt, da die Steinbrche am Kjappia augenblicklich unbenutzbar waren, weil die flssige Lava des Feuerberges hineinflo, und vorlufig war es wegen der giftigen Gase auch nicht mglich, einen anderen Bruch anzuschneiden. Die Lavafelsen vom Kjappia waren fast eine Tagesreise ber See und Land entfernt. Die Leute, die frher in Aztlan gebaut hatten, muten es mit dem Heranbringen der Steine leichter gehabt haben als wir, denn damals lag der See um vierzig Fu hher, und die mchtigen steinernen Hafenbauten, die heute hoch auf dem trockenen Lande lagen, muten das Ausladen der Riesenblocke sehr begnstigt haben. Die alte Uferlinie, die frher die Grenze des Sees gewesen war, konnte man auf den Bergen in der Feme sehen. Jedenfalls war die Zeit zahlenmig nicht mehr festzustellen, da dieser hhere See an den Molen der hochgele-genen Hfen splte. Nach den berlieferungen, die ich fr meine Staatsprfung an der Hochschule in Atlantis hatte auswendig lernen mssen, war die Stadt Aztlan ein Weltzeitalter alt. Dies mag ein recht ungenauer Begriff sein, weil man ihn nicht in irgend-einem Zeitmastab wiedergeben kann, aber er ist klar und ein-deutig, wenn man, wie wir Sternengelehrten, wei, da die Stadt Aztlan vor der groen Flut gebaut wurde. Diese Flut hatte bis in

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    die himmelhohen Berge der Anden gereicht und verlief sich in schicksalsschweren Tagen als Sintflut.

    Aus jenen grauen Tagen muten die Hafenbauten stammen. Und da die Geschichte des Reiches Atlantis nur nach wenigen zehntausend Jahren zhlte, soweit sie schriftlich niedergelegt war, so sieht man, da das Alter der Hafenbauten um das zehn- bis zwanzigfache hher sein mochte.

    Da sich der Frst vor dem Festmahl die jungen Ritter vorstellen lassen wollte, die er noch nicht kannte, so verlie er uns, um diese vielleicht etwas langweilige Frstenpflicht ber sich ergehen zu lassen. Nun, Herr Framer machte es kurz und sachlich, und die jungen Herren hatten kaum die Antwort auf des Herzogs wenige Fragen gefunden, da schob der Herr von Akapana schon heimlich den nchsten heran. Als die Neulinge den groen Augenblick berlebt hatten, mute der Acora noch die groe Reihe der alten Bekannten ber sich ergehen lassen, und das mit der Bergmdig-keit im druckentlasteten Hirn.

    Herr Framer von Akapana war sichtlich froh, da er einen Au-genblick frei war und besuchte uns beim Thronsessel der Mutter Atlantas, Frau Danas. Ich hatte gern ber den Vater gelchelt, weil er so ganz anders aussah als sonst. Obschon er ein Atlanter war, liebte er berladenen Schmuck an seinen Kleidern nicht, und man sah ihn zu gewhnlicher Zeit fters im schmucklosen Waffenrock mit dem Bronzeschwert, als, wie heute, im diamantbesetzten Fest-kleid, das den Namen Waffenrock nur zum Schein trug. Da er im Schmucke seines steinflimmernden goldenen Stirnreifes gut aus-sah, wute er selbst genau, aber er fhlte undeutlich, da die Sor-gen, die in der Grenzmark Tiahusinju Hochland lauerten, nicht recht zu dem berreichen Schmuck paten, den der Knig aus dem sonnigen Mutterland fr seine Kriegsleute edler Geburt und Abstammung vorschrieb. Auch wenn ich meine zwlf Perlen noch besessen htte, wrde ich das Bild altnordischer Einfachheit abge-geben haben, von dem man in Atlantis sprach, wenn man an das Urland im hohen Norden dachte, wo Framers Heimat war.

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    Nun war ich ja auch kein Kriegsmann und Schwertritter, aber in einem Falle war ich Framers Untergebener, nmlich im Kriege, und dann hatte ich die Ehre, dreiig Mnnern, die viel mehr wuten als ich, zu sagen, was sie tun sollten. Denn fr den Ernst-fall war ich Hauptmann, und wer im Reiche Atlantis nicht das Schwert fuhren konnte, mute einmal doppelte Steuern bezahlen und bekam auch nur in Ausnahmefllen eine Frau. Rassenpflege war Atlantis Macht, anderenfalls hatte unser hochgezchteter ur-alter Stamm bald das Heft aus der Hand verloren.

    Framer kam mit dem alten Herrn Glham, dem Leiter der Sonnenwarte Kalasasaya, zu mir. Glham trug die gleiche schwar-ze Kleidung wie ich, das bis fast auf die Fe reichende schwarze Gewand und die zwlf Perlen auf der Stickerei des Brustschildes, die ich in Zukunft nicht mehr tragen sollte. Da ich dafr zur Befriedigung meiner Eitelkeit unter dem Brustschild eine Dia-mantschnalle tragen durfte, wute ich noch nicht, und, so wenig ehrerbietig es klingen mag, ich sorgte mich auch nicht darum. Ich hatte die berzeugung, da Atlanta den Mann, der unter dem lan-gen Gelehrtenrock steckte, gut einzuschtzen wute, und da der uere Schmuck meiner Amtstracht den Inhalt meines Schdel-gefes nicht zu beeinflussen vermge. Als Gelehrter des Knigs von Atlantis war ich einer der hchstbezahlten Beamten des Rei-ches. Perlen und Diamanten reizten mich nicht, es sei denn, sie glnzten auf der Stirn meines hochgewachsenen edlen Mdchens, Atlanta Framer.

    Ich neigte mich ber die Hand meines groen Meisters Glham, und deutete den Ku an, der ihm als hohem geistlichen Wrden-trger zustand, den er aber gar nicht liebte, es sei denn, die jungen Mdchen, die in seiner Kalasasaya ihre Blumenkrnze um die schwarzen Sulen der dreifachen Umgnge hngten, drckten ihre weichen jungen Lippen auf die vornehme alte Hand. Auch Gl-ham war ein Mensch, so sehr er den Halbgott spielen mute, wenn er vor dem andchtigen Volke die aufgehende Sonne des Reiches Atlantis grte oder an der Spitze des Priesterzuges in feierlichem

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    Schritt Terrassen und Umgange durchma. Glham trug auf dem vom Alter etwas gebeugten Leib einen mchtigen hohen Schdel, der von unserem Gelehrtenturban gekrnt wurde. Dieses unbe-queme Kleidungsstck trugen wir sehr selten, nur bei feierlichen Gelegenheiten, wie zum Beispiel heute, aber es sa sehr fest auf dem Kopf und drckte auf die Stirn, weil es aus geschwrztem Gold bestand und deshalb sehr schwer war. Ich gestehe gern, da ich von dem jugendlichen Leichtsinn, den ich von meinem Lehr-stuhl an der Hochschule in Atlantis in diese kalte Gebirgsgegend hinbergerettet hatte, noch nicht ganz geheilt war. Ich hatte mir schon im Mutterlande einen Amtsturban aus dnnem, gewalztem Kupferblech anfertigen lassen, der die gleichen Dienste tat, wie der goldene, weil er ja ohnehin schwarz gebeizt wurde. Auerdem hatte er den Vorzug, leichter zu sein als die Hte aus gewichtigem Gold.

    Auch ich hatte den hohen Schdel, der uns Gelehrte allesamt auszeichnete, aber das war, wie vielleicht bekannt ist, nicht die natrliche Schdelform, sondern eine absichtlich gezchtete. Mein Vater hatte glcklicherweise nicht viel von allzugroen Schdel-umbildungen gehalten, wenn auch die Erfolge der rzte die be-dauerlichen Mierfolge berwogen.

    Bei Erkennen eines guten, vielleicht ber den Rahmen des Gewhnlichen hinausgehenden Verstandes wurde uns, die wir Gelehrte werden sollten, der Kopf in frher Jugend geschnrt, und zwar derartig, da die vorderen Gehirnteil. hoch entwickelt wur-den unter geringer Vernachlssigung des Hinterkopfes. Auf Wunsch meines Vaters war mein Kopf sehr schonend behandelt worden, und ich bezweifle, ob ich weniger tricht geworden wre, wenn ich einen noch mchtigeren Stirnteil hatte vorweisen kn-nen.

    Meinem Meister Glham hatte man dagegen den Schdel geradezu nach vorne gebunden. Er sah infolgedessen, wenn man vor ihm stand, achtunggebietend und prachtvoll aus, doch hinten fehlte etwas. Da der alte Herr dies wute, und seine Eitelkeit ein

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    wenig darunter litt, so trug er in seinem Turban hinten eine Ein-lage, ein verzeihlicher Betrug, da er ja auch sonst amtlich ver-pflichtet war, Schein und Wrde zu verbinden und zu pflegen. Glham hatte als spate Nachwirkung dieses Schnrens seines sicher schon vorher sehr klugen Kopfes eine schwere Entzndung der Knochenhaut der Gehirnrinde davongetragen und lag auf den Tod krank, als ich vor zwei Jahren in Aztlan eintraf.

    Da ich den Ruf eines guten Arztes geno, und die Schdel-ffnung bei mehreren Kranken in Atlantis schon mit Erfolg vorge-nommen hatte, so konnte ich gleich zeigen, da man auch alten, achtundsiebzigjhrigen Herren mit Messer und Knochensge Hilfe bringen kann. Bei rtlicher Betubung mit Cocasaft hatte ich Meister Glham retten knnen. Auf die Platte aber, die ich in die ffnung seines alten Kopfes einpate, und die aus einer haltbaren Gold- und Silbermischung bestand, ritzte ich auf der Innenseite einen Bildschriftenspruch ein, von dem der Trger glcklicher-weise nichts ahnte. Und da ich diese Geschichte des Reiches Atlan-tis und seines Unterganges nur in die Sterne geschrieben, nicht aber haltbar aufgezeichnet habe, so sei eingestanden, da auf der Innenseite der Goldplatte in Glhams Kopf folgende Frage steht. So wirr sieht es drinnen aus? Denn dies war mir bei allen Ein-griffen in die Schdelhhlen meiner Kranken aufgefallen, da die sonderbaren wirren Windungen der ueren Hirnschicht wohl ein etwas bitterer Scherz meines Freundes im Garten seines Alls sind. Ich brauche nicht zu versichern, da mir bei einem Manne, wie Glham, jede Bosheit fern lag und da nur das dnne Gift, das selbst Kometen aushauchen, in meiner Seele war, als ich den fra-genden Spruch schrieb.

    Immerhin, dem ersten Sternweisen und obersten Geistlichen von Aztlan ihn in den Kopf zu schreiben, ist vielleicht doch etwas ungehrig.

    Glham und mir stand eine schwere Zeit bevor. Der Ring von zwlf Jahren hatte sich geschlossen, da das Wallfahrtsfest der ganzen atlantischen Welt nach dem Volksheiligtum auf der kalten

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    Hochebene von Tiahusinju wieder stattfinden mute. Fr mich war dies Fest neu, aber ich wute aus meiner Jugend, da damals aus Atlantis viele Schiffe mit Pilgern nach Aztlan abgefahren waren, und da der damalige Herzog von Acora, unser jetziger Knig, diese Wallfahrt mitmachte, wie sie heute der junge Frst ebenfalls unternommen hatte.

    Diesmal hatte das Reich die Genugtuung, den Inga von Cuzco unter den Wallfahrern zu wissen, ein Zeichen, da wenigstens vorlufig, die stndigen Reibereien und Kmpfe mit dem Zipan-guvolke aufhren sollten.

    Anfangs sollte der Gesandte des Ingas bei mir wohnen, in der Kalasasaya, aber ich konnte es noch verhindern. Ich hatte eine unberwindliche Abneigung gegen die schiefugigen gezopften Menschen mit der gelbbraunen Haut und ihrem unsauberen Geruch, und ich hatte mich nicht daran gewhnen knnen, ob-schon ich seit zwei Jahren unter ihnen wohnen mute. Aztlan hatte in der Hauptfache Zipanguleute als Bevlkerung, auerdem allerdings eine unglaubliche Mischung von gelben bis tiefbraunen Rassen, da es einem ganz dunkel vor den Augen wurde, wenn man durch die Straen der heiligen Stadt ging.

    Herr Framer von Akapana entschlo sich aber ans mir unbe-kannten Grnden, den Abgesandten des Ingas und seine Begleiter in seinem Schlo aufzunehmen, vielleicht ans staatsmnnischer Klugheit, um den Cuzco, den er bisher nicht hatte berwinden knnen, friedlich zu gewinnen.

    Ich wurde hinausgeschickt, um die Fremden aus ihrem Zimmer abzuholen.

    Framer verstand es meisterlich, die Ehren abzustufen. Mit dem Schwert war der Inga nicht unterworfen, aber er hatte sich ge-beugt und bat um die Erlaubnis, bei dem riesenhaften Wall-fahrtsfest fast der ganzen atlantischen Welt zugegen sein zu drfen.

    Ich holte die fremden Herren ah, die schon etwas ungeduldig warteten. Ich war auf schlimme Gesichter gefat, war aber ange-

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    nehm enttuscht, da die Herren wenigstens leidlich klug aus-sahen, ohne zu harte Betonung ihrer unangenehmen rassischen Merkmale, die nicht nur mir allein als minderwertig galten.

    Als ich mit meinen Gelben wieder in den Saal kam, sah ich den Acora auf dem goldenen Thron sitzen, der bisher leer gewesen war und der auch nur alle zwlf Jahre von dem Thronfolger des Atlantischen Weltreiches benutzt wurde.

    Ich mu gestehen, die Haltung des Frsten von Acora war ge-radezu kniglich, und seine grauen mchtigen Augen ruhten un-beirrbar und mit einer unnachahmlichen Hoheit auf den kleinen Menschen, die der Inga dem adeligsten Reiche der Erde als Ge-sandte ausgesucht hatte. Leider geschieht es mir oft, da derartige Schaustellungen staatlicher Hochwrde bei mir die inneren Or-gane kitzeln, so da mir dann das Lachen nher ist als das ehr-frchtige Staunen.

    Aber ich hatte eine Genugtuung. Als die Gesandten des Ingas nach deren unbegreiflicher und

    unwrdiger Sitte sich platt vor des Frsten Thronsessel nieder-geworfen hatten, kam ein helles prachtvolles Lachen in des knig-lichen Mannes graue Lichter, wobei sein Gesicht unbeweglich ernst blieb. Und da sah ich, wie Atlanta mit Wohlgefallen an des Frsten Augen hing, mit der kindlichen Hinneigung zu einem be-vorzugten Manne, dessen eigentlicher Ernst eine innere strahlende Heiterkeit ist, und dessen vieltausendjhrige tiefe Menschlichkeit zu ihm hinreit, man mag wollen oder nicht. Wohl sah ich, da nicht eines der vielen blhenden Mdchen aus Atlantis und Azt-lan diesem Zauber widerstand, ja, da auch Dana Framer, Atlan-tas Mutter, mit glnzenden blauen Augen an der Erscheinung des kniglichen Mannes auf dem goldenen Sessel hing; dennoch flog es wie ein dnner, dnner Pfeil in mein Herz. Und ich dachte an der Mutter Framer Worte. Alle Hoffnungen schwimmen in der leichten Luft.

    Dennoch habe ich Atlanta damals Unrecht getan, und das Un-recht, das man mit dem Herzen tut, wiegt tausendmal schwerer,

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    als alles, was man Unedles durch die Tat vollbringt, weil es feiger ist als diese.

    Und Feigheit ist immer unedel. Wer aber will mit einem Herzen rechten, in das ein Pfeil ge-

    flogen ist? Ist solch ein Herz nicht krank? Gewi, es ist nicht sterbenskrank, dafr ist solch ein Pfeil viel zu dnn und fein, und er ttet nicht, aber nichtsdestoweniger bleibt das Herz krank.

    Wollte der Uralte Schwert und Kampfhandschuh zwischen den Frsten und mich werfen?

    Da traf mich des Herzogs Blick, kurz und verstehend. Ach, ich wute es, da dieser Spro tausendjhriger Ahnen meinen tiefen Schmerz mit der Deutungsgewalt seiner magischen Seele fhlte, wenn er auch die Grnde vielleicht noch nicht kannte.

    Oder hatte er mit den Fingerspitzen getastet, da ich an Hand-schuh und Schwert dachte?

    Und als sein Blick tief in meine Augen drang, da breitete ich die Arme aus, nur wenig hob ich sie an, aber ich mute es tun, und in seinen Augen erschien ein warmes Leuchten.

    Da wute ich, da ich gefangen war, gekettet von Hingabe an ein Meisterwerk des Uralten, an dem seine Liebe vielleicht ein Weltzeitalter hindurch geformt und gebildet hatte, ehe er diesen Mann auf die Erde stellte, genau so, wie er es mit Atlanta getan.

    Dies alles dauerte nicht solange, wie ich es erzhle, vielmehr deuchte es mich wie huschende Blitze des Verstehens und wie der warme zarte Strom entwaffnender Mannheit, die ber mich quoll wie ein silberner Strom, die ohne Furcht, aber voll der letzten Er-kenntnisse ist, soweit sie einem Menschen vom Munde des Ur-alten zugehaucht werden.

    Und nun hrte ich den Herzog sprechen, und ich wunderte mich nicht, da er nordisch sprach, obschon er Zipangu ebensogut oder vielleicht nur wenig schlechter sprechen konnte als Herr Framer oder ich. Aber im Reiche Atlantis gab es nur nordische Worte, und der Fremde mute sie tragen.

    Ich bersetzte den drei Gesandten des Ingas diese Worte des

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    Frsten von Acora und hie sie aufstehen. Da fhlte ich Atlantas Augen und drehte mich um, weil ich nun

    wegen des Pfeils um Verzeihung bitten wollte, wenn auch nur mit einem Blick. Und ich sah, da ihre Augen feucht schimmerten, als litte sie unter einem groen Schmerz oder einem hohen Ent-zcken, das die Schwester des Schmerzes ist bei auserwhlten Frauen.

    Und da ich Vergangenheit und Zukunft magisch wute, nicht mit dem Wissen des Geistes, der dem Menschen nur das Sichtbare sagte und das, was tote Zahlen beweisen, sondern mit dem uralten Wissen, das seit zahllosen Geschlechterfolgen in meinem Blut schlummerte, seit die Sonne das einzige groe Gestirn war, das bermchtig am Himmel stand und sonst keines; da durchlief mich, mich ganz allein, das Zittern eines Seelenbebens, wie es der Erde mitunter geht, wenn die Unterirdischen sie schtteln.

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    HAMMER DES SCHICKSALS Ich mute ber den Baumeister Ruder Atakama lachen, seit er mit seinem Mdchen aus Atlantis verheiratet war, und verheiratet war er schon wenige Wochen nach der Ankunft des Herrn von Acora und seines Gefolges. Glham hatte ihn getraut, und auch ich war dabei gewesen und hatte zugesehen und zugehrt, wie sich zwei Verliebte alles versprachen, was der greise Priester von ihnen for-derte.

    Die gute Laune des Steinmetzen war durch keine Arbeit und durch keinen rger zu brechen, und er hatte beides in Flle, rger wie Arbeit. Trotz dieser berlastung in beiderlei Form fand der prchtige Mann immer noch Zeit, in den Abendstunden zum Meiel zu greifen, um an der Fertigstellung meines Kopfbildes zu schaffen, das noch zur Hlfte im harten Lavastein steckte, aber schon mit berraschender Treue mein etwas frhzeitig gealtertes Gesicht mit der gebogenen Nase und den schmalen Lippen wieder-gab. Es freute mich besonders, da der Steinmetz keinen Wert dar-auf legte, mich besonders schn zu machen, sondern mich samt meinem Kupferblechhut so bildhauerte, wie er mich sah. Ich hockte oft still in seiner Werkstatt zwischen Tonmodellen und begonnenen Bildhauerarbeiten und ertrug seine prfenden Augen mit groer Geduld, wenn sie von dem Steinblock zu meinem Ge-sicht hin und her wanderten. Meinen Blechhut mute ich deshalb aufsetzen, weil mein Bild nicht fr mich persnlich bestimmt war, sondern in der Kalasasaya aufgestellt werden sollte, wo die Stern-

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    weisen von Aztlan samt und sonders verewigt wurden. Mein steinerner Kopf ist unvollendet geblieben. Er liegt im inneren Umgange der Sonnenwarte tief unter dein Schlamm des Sees, der nun das Heiligtum hoch bedeckt, und sollte er einmal gefunden werden, so bittet Godda Apacheta um Vergebung, da er nicht schner gewesen ist. Und wenn der Finder voller Staunen die Entdeckung macht, da ihn ein nordlndisches Gesicht anblickt, und das auf dem Hochlande der Anden auf der Sdhalbschale der grnen Erde, so mge er ans dem kleinen Lcheln des steinernen Mundes entnehmen, da er nicht gewillt sei, das Geheimnis preiszugeben, es sei denn der Finder hole es sich aus den Sternen zurck, in die ich es geschrieben habe.

    Seit mehr als hundert Jahren bauten die Atlanter an der Wiederherstellung der heiligen Stadt Aztlan, deren Schicksal es gewesen ist, da viele Geschlechter der Menschen an ihr bauten, aber nie fertig wurden, sei es, da die groe Flut die Arbeiten unterbrach oder ein anderes Ereignis. Unsere Vorfahren hatten uns kein schlechtes Werk hinterlassen, was Dauerhaftigkeit der Mauern anging, aber auch groe Knstler hatten ihre Hand in der heiligen Stadt gerhrt, und wer nach Aztlan kam, gab neidlos zu, da Atlantis zwar prchtiger und reicher, aber nicht von der edlen Einfachheit und Gre dieser ltesten Stadt des Erdenrundes sei.

    Schon wimmelte es auf dem Hochlande und auf der Halbinsel Aztan von Wallfahrern aus allen Lndern des Erdballes, den wir Gelehrten fr eine Kugel hielten, weil man zu Schiff nach einer Richtung fahren konnte und am Ausgangspunkt ankam, wenn ein Jahr vergangen war oder ein und ein halbes, je nach Gunst des Windes. Schon standen die unbersehbaren Zeltstdte im weiten Umkreise aufgeschlagen, da die Stadt selbst, so gro sie war, die ungeheure Zahl der Pilger nicht zu fassen vermochte. Und wir muten darauf verzichten, fr einen unerhrten Bedarf an Wohn-raum zu sorgen, wenn er nur alle zwlf Jahre zum Feste der Son-nenwende erforderlich wurde. Gleichwohl hatten unsere Zipangu-leute an vielen Stellen leichtgebaute Gasthuser aus Lehmsteinen

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    aufgerichtet, und ihre bunten Fahnen und Wimpel flatterten auf den Bergen und in der Ebene, am Ufer des Sees und auf der gan-zen Halbinsel bis zu unseren Sperrfestungen an der Strae nach Tiahusinju Tiefland, deren runde gestufte Kegel wie sonderbare spitze Hte in der dnnen Luft standen. Und dahinter strahlte blendend wei der schneebedeckte Gipfel des Berges Illimani, den wir fr den hchsten beider andinischen Bergesgipfel halten.

    Die Gottesdienste in der Kalasasaya begannen erst in einigen Tagen, wenn das Tagesgestirn morgens zur Winterwende ging, um ein halbes Jahr lang am Himmel zurckzuwandern. Wir Sternkundigen wuten diesen Zeitpunkt genau zu bestimmen, weil die stlichen Eckpfeiler in den Wendepunkten der Sonne standen, wenn man von der Grundplatte des alten Sonnentores aus beobachtete. Dies Sonnentor war ein altes Heiligtum vergan-gener Zeit, mit einer Bilderschrift, die wir nicht entrtseln konn-ten. Gleichwohl hatte der Knig in Atlantis angeordnet, das Tor im Neubau inmitten des alten Teiles der Warte zu verwenden und die Bildhauerarbeiten zu beiden Seiten des Tores als laufendes Band nachzumeieln, in stndiger Folge, denn das eine wuten wir, da die Bilder den Jahreslauf darstellen sollten.

    Atakama mute, um die Sonnenwarte zum Feste vorlufig benutzbar zu machen, die Bildhauerarbeiten unterbrechen lassen und fhrte auf einem mchtigen hlzernen Flo das ehrwrdige Heiligtum aus der Werkstatt auf seine Grundmauer, und zwar schwimmend in einem tiefen Wassergraben, den er bis zu dieser Stelle ziehen lie.

    Infolgedessen war ich, und nicht minder der Herzog, sehr er-staunt, als das Tor eines Tages an seinem richtigen Platze stand, den hlzernen Flo-Unterbau in einem Meer von roten Rosen und unter geschickten Anordnungen blauer Banner verdeckt, so da dieser Tausendknstler Atakama das fast Unmgliche dennoch mglich gemacht hatte, die, wenn auch nur scheinbare Fertig-stellung der neuen Sonnenwarte inmitten des alten Heiligtumes zu vollenden. Sogar den fehlenden Teil der Umfassungswnde

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    hatte er in Holz aufgebaut und anstreichen lassen, da man wirk-lich kaum mehr unterscheiden konnte, was daran echt und was Schein war.

    Der Frst betrachtete die fertige Arbeit mit hohem Genu. Seine Freude an dem kunstvollen Tor war geradezu leidenschaftlich, nicht weil die Bildhauerarbeit besondere Vollendung in knstle-rischer Hinsicht zeigte da konnten die atlantischen Steinmetzen doch schon mehr sondern wegen des rtselhaften Inhaltes der Bilderschrift.

    Die Zwlftelung des Jahres war uns unerfindlich, die auf dem Tore aufgezeichnet war, denn wir kannten eine solche Zwlf-telung nicht, weil die Sonne nur die ganzen Jahre anzeigte, nicht aber irgend welche Unterteile des Jahres. Und als Ma hatten wir nur die Sonne. Ferner hatte unser Jahr 365 Tage, das Jahr auf dem Tor aber 288, oder, wenn man die Andeutung zweier zustzlicher Zeichen als Tage deuten wollte, 290 Tage. Weder Glham noch ich, der ich die berlieferung von Atlantis, Nordland und Aztlan gelernt hatte, wie vielleicht selten ein Gelehrter vor mir, konnten dem Herzog befriedigende Auskunft geben. Wohl wuten wir, da vor der Flut ein zweites Gestirn neben der Sonne vorhanden gewesen war, das nun nicht mehr war, aber wir kannten seine Be-wegungen nicht und konnten nur vermuten, da die Zwlftelung des Jahres sich auf dieses Gestirn bezog. Da aber diese Vermutung ganz ungewi war, so mute auch mir der Sinn der Bilderschrift verborgen bleiben.

    Und es ist brigens das Verdienst des Acora, allerdings ein un-fruchtbares Verdienst, spter, nach vielen Jahren in dunkler Nacht auf dem Atlantischen Meere einen Teil der Deutung zu finden, als er am Steuer seines letzten Schiffes stand und den letzten Adel der Menschheit nach Norden fhrte.

    Der Baumeister Atakama traf brigens den Kern in seiner kindlichen Gedankenkraft wahrscheinlich am genauesten, denn er erklrte dem Frsten, seiner Ansicht nach habe das Jahr zur Zeit der Herstellung des Tores nur 288 Tage gezhlt und sei in zwlf

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    Teile eingeteilt gewesen. Den Beweis hierfr blieb er allerdings schuldig, nur war dem nicht zu widersprechen, da sein Amts-vorgnger, der einst das Tor erschaffen habe, mindestens ebenso tricht oder klug gewesen sei, wie er selbst. Und so gut ein Ata-kama sich hten wrde, das Jahr mit 288 Tagen abzubilden, so gut habe sich der Steinmetz des Tores gehtet, sein Jahr mit 365 Tagen zu meieln, da die Vermutung doch berechtigt sei, da allen Steinmetzen aller Zeiten ihre Bauhtten zu lieb sind, als sie durch einen offensichtlichen Unsinn zu gefhrden.

    Hiergegen war nichts zu sagen, und wir lachten alle, nicht zu-letzt der Acora, und er sagte das Wort, das viele Frsten im Laufe der Geschichte irdischer Reiche gesagt haben sollen. Wenn ich nicht der Acora wre, mochte ich Atakama sein.

    Auf mich hatte die kleine Angelegenheit die Wirkung, da ich von nun an die Richtigkeit der Darstellungen auf dem Sonnentore nicht mehr bezweifelte, sondern nur die Erklrung offen lie, die meine Zeit wohl nicht finden wird.

    Wir sahen eine Weile den Arbeitern zu, starken, tierartigen Zi-pangus, deren Schdel schon in frher Jugend nach rckwrts ge-bunden werden, um sie ihrem Beruf als Menschengruppe der kr-perlichen Arbeit zu erhalten.

    Einer von ihnen, der gerade das silberne Lot an dnner ge-drehter Schnur an das Tor hielt, um festzustellen, ob es senkrecht stnde, stolperte ber die Holzschwelle des riesigen Steinblockes und lie das Lot fallen, so da es die Bschung hinab in den Wassergraben glitt. Die Gegenwart des Frsten ersparte ihm die Schelte fr seine Unachtsamkeit. Ich aber dachte oft in dunkler Nacht an das silberne Lot, das an der Grundmauer des Sonnen-tores verloren liegt. Ob es je wieder in die Hand eines Menschen geraten wird, nun, da die Kalasasaya verschttet ist? Und was wird der Finder denken, wenn er das einfache Gert des Baumei-sters Atakama in den Hnden hlt?

    Der Arbeiter duckte sich und wandte den schiefen, verschnr-ten Schdel dem Frsten von Acora zu. Aber es geschah dem

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    armen Menschen kein Leid. War er doch ein einfacher Arbeiter, treu und fleiig, und eine Unachtsamkeit war kein Verbrechen, fr das das verschnrte Gehirn verantwortlich gemacht werden konn-te.

    Wir Atlanter wuten aus tausendjhriger Geschichte, voll von Eroberungen und Rckschlgen, da nur eine Kaste hherer Menschen den Ball dieser schnen Erde beherrschen kann, und da minderwertige Rassen zu den Zwecken gebildet werden ms-sen, die dem Gedeihen eines Weltreiches zutrglich sind. Es mag eine Hrte in diesem unumstlichen Gesetz liegen, das unsere Vorderen schufen, doch kann sich ein hochrassiges, aber nur klei-nes Volk mit seinen berlegenen Geisteskrften allein durch sol-che Manahmen gegen die Flut der Minderwertigen schtzen. Ist es doch ein Zeichen feingezchteter Geschlechter, selten zu sein und verletzlich, nicht so sehr am Leibe, als an der Seele. Und mit-unter habe ich den sonderbaren Gedanken, da die Zeit der atlan-tischen Rasse abgelaufen sein knnte, wenn sie nicht auf irgend-eine Weise umgeschmolzen wird. Der Zuzug aus Framers Heimat, dem Nordlande, ist wohl heute noch die Quelle unserer Kraft, aber wenn ich an meine Zhne denke, die in so jungen Jahren schon an zwei Stellen aus Gold sind, und wenn ich erwge, da der Knig von Atlantis nur einen Sohn, meinen Herzog von Acora als Thronfolger besitzt, so glaube ich fast, wir sind tatschlich alt geworden, so alt, da der Uralte Freund nicht lter ist.

    Unedel und hlich ist es aber, unterzugehen wie ein alters-schwacher Hund, ohne sich wehren zu knnen oder es gar zu wol-len! Mge der Groe Freund in der Weite seines Gartens verhten, da unserer Gipfelrasse ein solches Geschick der Schmach wider-fhrt. Lieber in einem ungeheuren Kampfe sterben, in einem Untergang ohnegleichen, den blanken Schild auf der Brust und das zerschlagene Antlitz voll starker Wrde zum Himmel des Al-ten gekehrt! Nicht Sieg ist das Glck dieses Sternes, sondern nur der Kampf, mit Schwert und Hirn, das wiegt fast gleich.

    Denn Schwert und Hirn sind zwei hnliche Gesellen, sie schnei-

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    den scharf und sind die Trger aller Entscheidungen auf der Erde, und ich wei fast nicht, welchem ich den Vorrang vor dem an-deren einrumen soll.

    Ich denke, die Sterne, denen ich diese Worte in der Hoffnung zusende, sie mchten ihre Weisheit, wenn es eine solche ist, nach langen Zeiten irgendeinem Manne zuflstern, der sie versteht und ihre Sprache kennt, werden ber Godda Apacheta lcheln, den Gelehrten von Aztlan. Solange aber der Uralte noch ber mich lacht, mgt ihr lcheln!

    Behaltet meine Worte gut. Vielleicht kann sie jemand gebrauchen, wenn ich auch heute

    nicht wei, wer es ist. Ich vertraue in diesen Dingen meinem Uralten Freunde dort

    drauen; so wenig er an Mitleid krnkelt, so sehr hat er Sinn fr Wrde und Gre, die nicht unecht sind, sondern der Ausflu der heiter-ernsten Seele, an der seine Lieblinge je nach Gunst teil-haben. So wird er es auch mit der stolzen Atlantis recht machen. Er hat uns als Herren leben lassen, so wird er uns auch schenken, da wir als Helden untergehen drfen, wenn wir denn wirklich alt sind und unsere Zeit abgelaufen ist. Wir wollen nur unser Schick-sal, wenigstens ich, und wie ich den Acora kenne, auch er. Und von Atlanta wei ich es bestimmt. Sie ist ja selbst mein Schicksal.

    Ich gre den neuen Stern, sagte ich leise, und der Herzog wandte den schmalen Schdel zu mir und seine magischen Augen sogen an meiner Seele. Er lchelte.

    Wie hast du ihn genannt? fragte er, obschon er wissen mute, da die Sternweisen vor zwanzig Jahren ihn schon benannt hatten und da er in den Sterntafeln unserer Warten mit Heldung, dem Namen seines ersten Entdeckers, benannt morden war.

    Atlanta, erwiderte ich fest; weil ich nicht lnger lgen konnte und wollte. Der Acora lie die Augen nicht von mir und nickte.

    Er soll fortan Heldung-Atlanta heien. Ich werde anordnen, da die Sterntafeln darnach berichtigt werden.

    Und wieder erzitterte meine Seele in ungeheurem Beben, das

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    magische Schicksal rttelte an ihr, die gealtert und weise, aber ohne Zagen entschlossen war, zu tragen, was kommen mochte.

    Das war unsere schwere Last, da wir an Erdenschwere und zartester Empfindsamkeit der Seele tragen muten, die jenseits der wuchtigen Erde ihren Sitz hat, und ich glaube, junge Rassen ken-nen dies tiefe Leid noch nicht, das hierin beschlossen liegt. Aber dennoch, ich mochte es nicht missen, weil auch das Alter s ist, das in jungen Leibern ruht in tausendjhriger Verkettung.

    Und noch einmal horchte ich auf, als Glham, der greise Prie-ster der Sonne, vom kommenden Feste sprach.

    Er sprach vom letzten Fest von Aztlan. Warum tat er das? Glaubte er, er werde das zweiundneunzigste Lebensjahr nicht mehr sehen, an dem das Fest sich erneuerte? Ich fragte nicht, aber der Acora nickte, als verstnde er den Alten richtig.

    Der Knig lt die Uferstdte in Atlantis rumen, sagte er ruhig, als htten wir schon lange von der Wirkung des neuen Sternes gesprochen. Was hier geschieht, wissen wir alle nicht.

    Da der Knig die Kstenstdte rumen lie, war mir neu. Die Sternwarten des Reiches hatten also gewarnt, weil sie die Wirkung des letzten Vorberganges des Wandlers Heldung-Atlanta kannten und sie fr den jetzigen Nahstand bercksichtigten.

    Wir Gelehrten glaubten natrlich nicht an die trichte Ausle-gung des niederen Volkes, der neue Stern errege den Unwillen der Dmonen unter der Erdschale, aber da wir selbst keine wissen-schaftliche Erklrung ber die schdliche Wirkung dieses Wand-lers hatten, lieen wir die volkstmliche Erklrung bestehen, zu-mal sie nicht geringe Vorzge anderer Art hatte.

    Glham konnte uns von dem Vorbergang des neuen Sternes Heldung-Atlanta, der vor zwanzig Jahren erfolgte, manches Wis-senswerte erzahlen, was ich zwar aus den Berichten des greisen Meisters in der Bibliothek der Atlantischen Sternwarte auf dem Berge Acora kannte, aber nur in der wissenschaftlich knappen Form, die solchen Berichten gegeben zu werden pflegt. Damals war das Ereignis, das das Mutterland Atlantis immerhin empfind-

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    lich traf, ohne schwerere Folgen an Aztlan vorbergegangen. Auer dem Ausbruch des damals fr erloschen geltenden Feuer-berges Kjappia und einer Reihe hnlicher Berge in den See-Anden waren nur vereinzelte schwere Erdbeben eingetreten, die aber der Stadt bei der ungemein festen Bauweise ihrer Huser und nament-lich ihrer Grobauten keinen anderen Schaden taten, als da der mannshohe Entwsserungskanal, der den knstlichen See auf der Platte der Festung Akapana zum Hafenkanal entwsserte, an einer Stelle einstrzte. Der Schaden war natrlich bald behoben worden.

    Schlo der greise Glham aus diesen Geschehnissen vor langen Jahren, da es nicht notwendig sei, das Fest der Sonnenwende ab-zusagen oder zu unterbrechen? Es schien so, denn er sprach von den Wallfahrern aus der ganzen Welt, die schon lngst unterwegs und zum grten Teil schon in Aztlan eingetroffen seien. Zudem sei es nicht ratsam, ein solches Fest abzusagen, das von Sommer-sonnenwende bis Wintersonnenwende dauere, da der wirtschaft-liche Ausfall fr die Kassen des Reiches und der Kalasasaya ein zu groer sein wrde, ganz abgesehen von dem schlechten Eindruck, den eine solche Absage in allen Lndern der Erde hervorrufen mte.

    Warum aber sprach er zuvor vom letzten Fest? Verachtete er die Ahnungen in seiner Brust und die Warnungen des letzten Vor-berganges des Sternes Heldung-Atlanta, und stellte sich, als hege er keine Besorgnisse? Vielleicht glaubte er im stillen, da das Un-heil doch noch einmal glimpflich vorbergehen wrde?

    Ich verriet deshalb nicht, da ich anderer Ansicht war und es fr besser hielt, bei der drohenden Gefahr wachsender Erdbeben eine so groe Menschenmasse aus Aztlan fernzuhalten, aber schlielich war der Zustrom der Pilger gar nicht mehr aufzu-halten, und man mute hoffen, da alles gut ginge.

    Immerhin hatten mich die wiederholten Erschtterungen der letzten Zeit sehr nachdenklich gemacht. Noch stand der Stern Heldung-Atlanta nachts als recht kleine, aber hellstrahlende Scheibe im Bande der Finsternisse, in dem die beweglichen Sterne

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    wandern, aber er berstrahlte selbst den hellsten Funken unserer herrlichen klaren Nchte, den Stern der Liebe, um ein Vielfaches. Die bittere Gabe aber, zuknftige Dinge mit unbekannter Seelen-kraft zu ahnen, drckte mich nun mit harten Ketten.

    Unerklrliche Erscheinungen in der Witterung unseres Hoch-landes raunten von kommender Gefahr. Sturmartige Wirbelwinde fegten mit kurzen Unterbrechungen aus der Richtung des groen Sees und von den eisbedeckten Bergriesen der Anden, deren Hupter zu beiden Seiten des Aztlan-Tales in weiter Ferne in ein-samer Wrde ruhten. ber der Andenkette des Groen Meeres, das nach Zipangu weist, wehten die schwarzen, flammen-zuckenden Fahnen rauchender Feuerberge und sandten ihre dnne weie Asche mitunter bis zur heiligen Stadt in der Grenz-mark des Reiches Atlantis.

    Heute schien die Sonne wieder durch einen dnnen Schleier, und es war fast hei, wie es unter dem Grtel des Gleicherringes zu sein pflegt, wo die Sonne nahezu im Scheitel steht. Das Vor-mittagsgewitter mit heftigem Hagelschlag war nur kurz gewesen und nicht so heftig, wie die Unwetter der vergangenen Wochen, aber es blieb ungewhnlich, was geschah, selbst wenn Glham versicherte, es sei vor zwanzig Jahren hnlich gewesen.

    Sonderbarerweise schien die ungeheure Masse der Wallfahrer, die in Aztlan eingetroffen war und Tag fr Tag neu eintraf, nicht sonderlich beunruhigt zu sein. Zum Teil stammten die Leute aus Teilen der Erde, da solche Strme nichts Ungewhnliches waren und wo die Feuerberge mit ihren Flammengarben bekannt waren. Wer aus den Niederungen von Atlantis, den goldenen Inseln in-mitten des stlichen Meeres, nach Aztlan gekommen war, wute aus Erzhlungen anderer Leute, da weder Reise noch Aufenthalt auf der Hochebene von Tiahusinju mit Annehmlichkeiten ver-knpft waren. Auch mochte die Anwesenheit des Herzogs von Acora und die unbekmmerte Haltung der zahlenmig geringen herrschenden Klasse der Atlanter viel dazu beitragen, aufkeimen-de Unruhe zu ersticken.

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    Ungeheuer kann die Macht des Fhrers auf die Gefhrten sein, und diese Macht war vorhanden, man mge mich nicht hochmtig schelten oder einen Mann, der sein Vaterland unvernnftiger-weise zu hoch ber andere Lnder und Vlker stellt. Nicht um-sonst nannten uns die Zipanguleute des Hochlandes Kinder der Sonne und warfen sich in den Staub, wenn das Banner mit dem Sonnenzeichen des Reiches Atlantis vorbergetragen wurde, ob-schon nie ein Befehl ergangen war, da auf solche niedrige Weise dem Wahrzeichen der kniglichen Macht gehuldigt werden sollte.

    Man mge mir verzeihen, da ich wenig von den Schattenseiten meiner Rasse berichte. Diese Schattenseiten waren natrlich auch bei uns vorhanden, und ich kannte sie gut; nie mge man denken, wir hielten uns fr unfehlbar und vollendet. Dies wurde ein lcherliches Zerrbild eines groen Volkes geben und die Wahrheit Lgen strafen. Doch wenn ich mit heiem Herzen die Geschichte des Unterganges einer edlen Rasse in die Sterne schreibe, der edel-sten Rasse, die der Uralte mit meisterlichem Griff aus dem Ge-whl der Vlker herauswhlte und Jahrtausende hindurch an sei-ne Sonne stellte und an ihr arbeitete und feilte, um sein adliges Bild zu schaffen durch sorgfltige Pflege der Geschlechterfolgen, der wird mich verstehen. Ich erzahle von meinem Volke so, wie es vom Uralten und auch von mir gedacht wurde, und das strah-lende Licht dieser Rasse mge den Schatten verdecken, der ber allen Dingen liegt, und erst recht ber den Menschen, die auf der Erde um ihre hhere Seele ringen.

    Und wenn ich euch meine eigene Gestalt zu gnstig zeichne, vielleicht aus kleiner Eitelkeit oder weil ich nicht ehrlich genug bin, so wit, da ich auch mich mitunter so schilderte, wie mein heier Wunsch mich bilden mchte.

    Der Adel liegt im Willen und im Kampf um die Steigerung der Seele. Wei ich es doch selbst, und mgen es alle wissen, die diese Sternenbotschaft lesen knnen, da die Welle Ich an schmutzigen Ufern brandet. Nur der Wille zum Ziel ist gut. Nicht die Ruhe am

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    Ziel erstrebe ich, denn mich schaudert vor dem Ziel, weil das Ziel Ende ist.

    Mit dem Teil meiner selbst aber, mit dem ich unwrdig bin, will ich unwrdig sein mit adligem Trotz und tragen, was mir der Ur-alte Freund an Schlacken gegeben hat. Deshalb hebe ich hoch ber diesen Bericht vom Reiche Atlantis und von seinem Untergange das Banner des Adels, der in der Seele wohnt und um Vollendung ringt, ohne sie je zu erreichen.

    Wir verlieen den Baumeister Ruder Atakama und sein Son-nentor und stiegen die Stufen zum untersten Umgange des inne-ren Heiligtumes hinab, wo an der inneren Westwand meine und meiner Mutter Wohnung lag.

    Hier erwies der Frst meiner alten Mutter die Liebe, sie aufzu-suchen und ihr die Gre ihres zweiten Sohnes zu berbringen. Dieser war des Knigs Statthalter in Gondwana, dem Inselreiche, das hinter dem Festlandssockel von Zimbabuye liegt. Der Frst hatte meinen Bruder vor einigen Jahren besucht und konnte mei-ner Mutter viel von ihm erzhlen.

    Und whrend der Acora auf der linken Seite meiner Mutter sa und mit der Ehrfurcht eines Sohnes mit ihr sprach und nicht wie ein Mann, dem einst die Welt gehorchen sollte, stand ich vor Atlanta Framer, die von Akapana herabgekommen war, um von meiner Mutter Abschied zu nehmen.

    Ach, ich wute es so gut, warum Atlanta an den Knigshof auf den goldenen Inseln im Atlantischen Meere reisen sollte, in meine Heimat, wo grner Malachit die Brgerwege der Strae deckte und wo die Burgen der Knige mit Gold eingedeckt waren und die Portale und Fensterrahmen der Staatsgebude von Perlen und Edelsteinen flimmerten.

    Alle Hoffnung schwimmt in der leichten Luft und keine ist ver-letzlicher als die zweier liebenden Herzen! Dana Framer hatte mir diese Worte zugeraunt, als der Herzog des Reiches neben Atlanta in der Halle Framers von Akapana sa und seine grauen scharfen Lichter in die Sterne tauchte, die mein Glck und mein Schicksal

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    waren. Ich fragte nicht, weil ich wute, da Herr Framer hart sei, wie Mnner es sein mssen, deren Leben nimmermder Kampf, Sieg, Niederlage und immer neuer Kampf gewesen war. Der K-nig dankte dem alten Helden Sumerien in Chalda und wrde ihm auch Cuzco noch zu danken haben, wenn sich Atlantis Schicksal nicht vorher erfllt hatte.

    Atlanta aber konnte nicht lgen. Sie hatte den Hochadel einer bevorzugten Seele, um die ich sie immer beneidet hatte, und sie hatte ihrem Vater gesagt, wie es um sie und mich stehe.

    Nun erkannte ich in tiefer Beschmung, da ich ihr Unrecht ge-tan hatte, wenn ich einen Augenblick an ihr gezweifelt, da mich ein verhngnisvoller Irrtum erfat hatte, als ich dachte, der Pfeil, jener dnne Pfeil in der Halle von Akapana sei von ihrer unschul-digen Hand in mein Herz gesandt worden.

    Was es bedeutete, einem Manne wie Framer vor Nordland diese Erklrung zu geben, die ihm seine Tochter gegeben hatte, wute nur der, welcher des Herrschers von Aztlan ehrgeizige Absichten kannte und die Wucht seiner unbeugsamen Willenskraft wie einen wilden Bergstrom dahinbrausen fhlte. Nicht einmal ehrgeizig konn-te ich eigentlich seine Absichten nennen, weil Framer dem Throne Atlantis nahestand, durch Geburt und Verdienst, und als unmittel-barer Abkmmling der ersten nordischen Familie als Inhaber lte-ren Geburtsadels gelten konnte, als selbst der Knig. Framer mach-te mit vollem Rechte Anspruch auf den Herzog von Acora, und es war dem Statthalter fast selbstverstndlich, da sein herrliches Kind keines anderen Mannes Gattin werden knne als die des zuknftigen Knigs der Erde. Framer hatte dem Reiche vier Shne geopfert, die in den Grenzmarken aller vier Himmelsrichtungen mit dem Antlitz gegen den Feind gefallen waren. Vier Shne waren der Blutzoll, den er dem Knig und dem Reich gegeben hatte, da war es recht und gut, wenn die Kinder Atlantas zur Herrschaft der Welt emporstiegen. Und nun schlug Atlantas Mitteilung, sie liebe mich, den einfachen Gelehrten und Sternweisen, Godda Apacheta, wie ein jher Blitz in die stolzen Plne seines Hauses.

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    Es wunderte mich gar nicht, da ich keine Nachricht erhalten hatte, etwa einen freundlichen Brief, die Eltern knnten sich aus diesen oder jenen Grnden mit der Verbindung ihrer Tochter mit dem Apacheta nicht einverstanden erklren, oder da ich zu einer ernsten Rcksprache mit dem Vater gerufen wrde, der mir erklrt htte, seine Plane mit Atlanta seien anderer Art, und ich mte auf die Hand seiner Tochter verzichten.

    Nichts dergleichen geschah. Herr Framer kannte mich zu gut und mochte fhlen, da ich nicht nachgeben werde, und von sei-ner Tochter wute er, sie war seines eigenen Blutes, gezeugt aus seinem harten Willen, und wenn sie ihm erklrte, sie liebe den Apacheta, so war dies kein Scherz und keine unerhebliche Hart-nckigkeit eines verliebten Mdchens, die man nicht zu beachten brauchte, sondern es war bitterer Ernst.

    Offenbar hatte Herr Framer dies eingesehen, und, vielleicht um Zeit zu gewinnen, die eine Bedingung gestellt, und von dieser Bedingung ging er nicht ab. Atlanta sollte fr zwei Jahre an den Hof von Atlantis gehen, ein Jahr frher, als es ohnehin schon beab-sichtigt gewesen war, damit sie andere Menschen kennen lerne und sich prfen knne, ob sie bei ihrem Entschlu bleiben wolle.

    Dem hatte Atlanta zugestimmt, gewi nicht gerne, weil sie ge-nau wute, da die Trennung von mir nicht leicht sein wrde. Und wie sie nun vor mir stand und in meine Augen blickte, die vielleicht nicht mehr frhlich aussahen, weil ich die geliebte Frau so lange missen sollte, glitt ein glckliches Lcheln ber ihre Zge, denn sie sah meinen Schmerz um ihr Scheiden und fhlte ihn wie ein leises trauriges Streicheln. Sie ging mit mir zum Fenster, das mit getrepptem Halbrund in der dicken Mauer sa und stellte sich so, da das Licht auf mich fiel.

    Mein Liebling, sagte sie leise, als wolle sie das Liebkosen mei-nes Schmerzes erwidern.

    So hatte manche Frau in Atlantis zu mir gesagt, vielleicht fter, als ich es geglaubt hatte, und dennoch wollten mir die Trnen in die Augen schieen, als ich die Stimme meines Schicksals die

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    zarten Worte sprechen hrte. Und dann redete sie weiter, leise und flieend, sie werde nicht an den Knigshof gehen, weil sie wisse, da sie dort unterliegen werde. Sie sei noch so jung, da sie nicht wisse, wie sie solchen Einflssen widerstehen konnte, die sie am Hofe bestrmen wrden.

    Mit tiefem Staunen vor solchem ahnenden Wissen um die ber-mchtigen Krfte der atlantischen Welt, denen ein junges Md-chen, einsam aufgewachsen auf den kalten Bergeshhen einer Grenzmark, langsam und sicher unterliegen mute, wenn die Wirkung dauernder Beeinflussung sie zermrbte, horchte ich auf die geliebte Stimme, deren reiner Klang mich zum Kinde machte. Ich hrte, da Dana Framer ihr einen Brief an ihre Schwester mit-geben wollte, die Oberin im Sonnentempel auf dem Berge Acora war, wie meine Mutter in der Kalasasaya von Aztlan; und der Ein-flu dieser Schwester beim Knig war nicht gering, weil er sie in ihrer Jugend geliebt hatte und sie wohl nicht vergessen konnte. Diese Frau sollte den Herrn des Reiches bitten, Atlanta dem Sonnenheiligtum von Acora zu berweisen. Dort, in kalter Berges-hhe einer der nrdlichsten Inseln des Mutterreiches sollte sie ihre Heimat haben und nicht in der goldenen Stadt. Als Dienerin der Sternwarte sollte sie sich bewhren drfen vor Dingen, die sie nicht kannte, und vor Mchten, deren Kraft sie vielleicht nicht ge-wachsen war.

    Frchtest du den Herzog? fragte ich offen, wie es sein mute zwischen ihr und mir.

    Atlanta schttelte den Kopf, nicht den Herzog frchte sie, son-dern die Macht seiner jungen Augen, auf deren Grunde die weis-heitsvolle Gte hohen Alters schlummerte, die sie in ihren Bann ziehen wrde, ob sie wolle oder nicht. Aber das andere Nun stockte sie, denn das, was sie sagen wollte, konnte sie doch nicht ausdrcken, aber ich ahnte mit unnennbarem Entzcken, da ihr Blut nach mir rief, seit wir uns gekt hatten, und da sie dies nicht aussprechen konnte und wollte.

    Als der Abend ber Aztlan sank, stieg Atlanta von der Burg

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    ihres Vaters hinab und kam abermals in meine Sonnenwarte, wo ich bei der alten Mutter sa und beim Brettspiel mit grerer Verstandesschrfe meinen Verlust glaubhaft machen mute, als wenn ich gegen die geliebte Frau gewonnen htte. An diesem Abend verlor ich allerdings aus anderen Grnden, weil ich nicht mit den Gedanken beim Brettspiel war, und als Atlanta eintrat, fiel die kleine Tafel um. Jemand, meine Mutter oder ich, mute daran gestoen haben, und Atlanta entschied natrlich zugunsten der Frau.

    Meine Mutter aber ehrte diese Ausnahme bei einem edlen Kinde, die den Geliebten abends besucht und schtzte Mdigkeit vor und ging in ihren Schlafraum, der nebenan lag, wenn ich auch nicht glaube, da sie geschlafen hat.

    Nie war ich so jung wie an jenem Abend, ich war so jung, da ich die Sorge um den Stern Heldung-Atlanta verga, weil er ja neben mir sa und wie eine Art doppelter Stern meine Stirne krn-te. Und ich beichtete ihr alles, was ich an Dingen, die ich ehedem Liebe genannt, zu beichten hatte, aber ich frchte, sie verstand mich nicht oder wollte mich nicht verstehen, denn sie lchelte nur und verstellte sich nicht, wenn sie entgegnete, sie knne es verste-hen, da die Frauen in Atlantis mich geliebt htten.

    Woher hatte das Kind der fernen Grenzmark Aztlan diese Weis-heit menschlicher Dinge? Es schlummerte wohl auch in ihr das uralte Gut tiefen Verstehens, das hohen Menschen als wertvolles Geschenk gegeben ist, die nicht verurteilen knnen, ehe sie nicht sich selbst geprft, ob Grundsatz und Erziehung gegen die trun-ken mac