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364 | Pharm. Unserer Zeit | 32. Jahrgang 2003 | Nr. 5 TREFFPUNKT FORSCHUNG | MEDIZIN | Kleine RNA-Moleküle – ganz groß Lange Zeit hat man in der RNA nur einen Vermittler für die Umsetzung des genetischen Codes gesehen. Jetzt mehren sich die Hinweise, dass sie in der Zelle noch ganz andere Aufgaben erfüllt. In den letzten Jahren wurde entdeckt, dass kurze RNA-Moleküle bei der Zellteilung für Ordnung auf den einzelnen Chromosomen sorgen. Verschiedene Gene kann die small RNA ein- und ausschalten und, wenn nötig, Teile des Erbmaterials sogar ganz löschen. expression – ein Phänomen, das die Wissenschaftler RNA-Interferenz (RNAi) nennen. Sowohl die so genannte mi cro RNA (miRNA) als auch die s mall i nterfering RNA (siRNA) werden von besonderen Enzymen, den so ge- nannten Dicern, aus größeren, zu einem Doppelstrang zusammen- gelagerten Vorstufen zurecht ge- schnitten. Die miRNA geht aus zell- eigener RNA hervor, die siRNA aus einer RNA, die sich unrechtmäßigen Zugang zur Zelle verschafft hat. Nach dem Zurechtschneiden lagern sich beide Moleküle an komplementäre Sequenzen an. Bei der miRNA sind dies zelleigene Kopien. Die Interferenz-RNA lagert sich an die fremde RNA an und bereitet sie damit für den Abbau vor. So schützt sich die Zelle vor doppel- strängigen RNA-Viren und anderen intrazellulären Erregern. Auf die Kettenlänge kommt es an RNA-Interferenz spielt im Leben vie- ler einfacher Organismen eine wich- tige Rolle. Sie steuert das Verhalten von Zellen und schützt Pflanzen vor RNA-Viren, deren Genome durch Interferenz unschädlich gemacht werden. Dieses vermutlich sehr alte Steuerungsprinzip kann die Zelle nut- zen, um die Aktivität einzelner Gene gezielt zu regeln. Dabei kommt es auf die Länge der eingeschleusten Ketten an. Lediglich kurze Doppel- strang-RNA-Stücke von 21 bis 23 Nukleotiden können an diesem Detektionsmechanismus vorbei- schlüpfen und dann spezifisch die Proteinkodierung eines bestimmten Gens abschalten. Ein entscheidender Schritt gelang 2001: Die Göttinger Forscher fanden heraus, dass RNA-Interferenz mit kleinen RNA-Molekülen auch in Säu- getierzellen funktioniert [1]. Gene gezielt abschalten Wissenschaftler erfahren am meisten über die Funktion eines Gens, wenn sie dafür sorgen, dass es nicht mehr abgelesen wird. Denn dann zeigen möglicherweise Ausfallserscheinun- gen, welche Rolle das Gen normaler- weise spielt. RNA-Interferenz ist ein vielver- sprechender neuer Ansatz, die Funk- tion von menschlichen Genen zu un- tersuchen. Von außen zugeführte spezifische RNA führt zu einer Zer- störung der entsprechenden Ziel- mRNA und damit zum Fehlen des entsprechenden Proteins. Zellen gegen Viren immun machen Die Ergebnisse der Grundlagen- forschung wurden auch schon in der Medizin angewandt, um die HIV-Aus- breitung in Zellkulturen zu stoppen. Dabei werden Gene im Virus selbst sowie in den Kulturzellen mit RNA- Interferenz ausgeschaltet und damit die Produktion wichtiger Proteine verhindert. So stellten Forscher am M assachusetts I nstitute of T echnolo- gy (MIT) doppelsträngige RNAs her, die zu dem HIV-Hüllantigen p24 so- wie zu den CD4-Oberflächenmarkern der Zellen des Immunsystems pas- sen, an die HIV andockt. Werden CD4-Zellen mit diesen doppelsträngi- gen RNAs beschickt, dann wird die entsprechende Boten-RNA zerstört, und die Proteine werden nicht mehr produziert, mit der Folge, dass HIV nicht mehr in die Zelle eindringen und diese infizieren kann. Diese Untersuchungen wurden Mitte 2002 publiziert [2]. Ganz neu sind In-vivo-Studien, die das Potenzial von siRNA erstmals an einem Tiermodell bei Hepatitis zeigen: Mäusen, denen siRNA gegen einen speziellen Oberflächenrezep- tor, das so genannte Fas-Protein, in- fundiert wurden, waren besser gegen Diese Arbeiten zu small RNA hat das Fachmagazin „Science“ zur Nummer eins der Entdeckungen 2002 erklärt. Genblockade durch Interferenz Seit 1990 gab es Hinweise, dass RNA- Moleküle in der Zelle regulierende Funktionen wahrnehmen. 1998 ent- deckten mehrere Forschergruppen, darunter auch eine Forschergruppe um den Chemiker Dr. Thomas Tuschl am Max-Planck-Institut für biophysi- kalische Chemie in Göttingen, dass sich Gene durch doppelsträngige RNA blockieren lassen. Dabei zerle- gen die kleinen doppelsträngigen RNA-Moleküle die Boten-RNA und entscheiden damit über die Gen-

Kleine RNA-Moleküle — ganz groß

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364 | Pharm. Unserer Zeit | 32. Jahrgang 2003 | Nr. 5

T R E F F P U N K T FO R SC H U N G |

M E D IZ I N | Kleine RNA-Moleküle – ganz großLange Zeit hat man in der RNA nur einen Vermittler für die Umsetzungdes genetischen Codes gesehen. Jetzt mehren sich die Hinweise, dass sie in der Zelle noch ganz andere Aufgaben erfüllt. In den letzten Jahrenwurde entdeckt, dass kurze RNA-Moleküle bei der Zellteilung für Ordnung auf den einzelnen Chromosomen sorgen. Verschiedene Genekann die small RNA ein- und ausschalten und, wenn nötig, Teile des Erbmaterials sogar ganz löschen.

expression – ein Phänomen, das dieWissenschaftler RNA-Interferenz(RNAi) nennen.

Sowohl die so genannte microRNA (miRNA) als auch die smallinterfering RNA (siRNA) werden vonbesonderen Enzymen, den so ge-nannten Dicern, aus größeren, zu einem Doppelstrang zusammen-gelagerten Vorstufen zurecht ge-schnitten. Die miRNA geht aus zell-eigener RNA hervor, die siRNA auseiner RNA, die sich unrechtmäßigenZugang zur Zelle verschafft hat. Nachdem Zurechtschneiden lagern sichbeide Moleküle an komplementäreSequenzen an. Bei der miRNA sinddies zelleigene Kopien.

Die Interferenz-RNA lagert sichan die fremde RNA an und bereitetsie damit für den Abbau vor. Soschützt sich die Zelle vor doppel-strängigen RNA-Viren und anderenintrazellulären Erregern.

Auf die Kettenlänge kommt es anRNA-Interferenz spielt im Leben vie-ler einfacher Organismen eine wich-tige Rolle. Sie steuert das Verhaltenvon Zellen und schützt Pflanzen vorRNA-Viren, deren Genome durch Interferenz unschädlich gemachtwerden. Dieses vermutlich sehr alteSteuerungsprinzip kann die Zelle nut-zen, um die Aktivität einzelner Genegezielt zu regeln. Dabei kommt esauf die Länge der eingeschleustenKetten an. Lediglich kurze Doppel-strang-RNA-Stücke von 21 bis 23 Nukleotiden können an diesem Detektionsmechanismus vorbei-schlüpfen und dann spezifisch dieProteinkodierung eines bestimmtenGens abschalten.

Ein entscheidender Schritt gelang2001: Die Göttinger Forscher fandenheraus, dass RNA-Interferenz mit kleinen RNA-Molekülen auch in Säu-getierzellen funktioniert [1].

Gene gezielt abschaltenWissenschaftler erfahren am meistenüber die Funktion eines Gens, wennsie dafür sorgen, dass es nicht mehrabgelesen wird. Denn dann zeigenmöglicherweise Ausfallserscheinun-gen, welche Rolle das Gen normaler-weise spielt.

RNA-Interferenz ist ein vielver-sprechender neuer Ansatz, die Funk-tion von menschlichen Genen zu un-tersuchen. Von außen zugeführtespezifische RNA führt zu einer Zer-störung der entsprechenden Ziel-mRNA und damit zum Fehlen desentsprechenden Proteins.

Zellen gegen Viren immun machenDie Ergebnisse der Grundlagen-forschung wurden auch schon in derMedizin angewandt, um die HIV-Aus-breitung in Zellkulturen zu stoppen.Dabei werden Gene im Virus selbstsowie in den Kulturzellen mit RNA-Interferenz ausgeschaltet und damitdie Produktion wichtiger Proteineverhindert. So stellten Forscher amMassachusetts Institute of Technolo-gy (MIT) doppelsträngige RNAs her,die zu dem HIV-Hüllantigen p24 so-wie zu den CD4-Oberflächenmarkernder Zellen des Immunsystems pas-sen, an die HIV andockt. WerdenCD4-Zellen mit diesen doppelsträngi-gen RNAs beschickt, dann wird dieentsprechende Boten-RNA zerstört,und die Proteine werden nicht mehrproduziert, mit der Folge, dass HIVnicht mehr in die Zelle eindringenund diese infizieren kann. Diese Untersuchungen wurden Mitte 2002publiziert [2].

Ganz neu sind In-vivo-Studien,die das Potenzial von siRNA erstmalsan einem Tiermodell bei Hepatitiszeigen: Mäusen, denen siRNA gegeneinen speziellen Oberflächenrezep-tor, das so genannte Fas-Protein, in-fundiert wurden, waren besser gegen

Diese Arbeiten zu small RNA hat dasFachmagazin „Science“ zur Nummereins der Entdeckungen 2002 erklärt.

Genblockade durch InterferenzSeit 1990 gab es Hinweise, dass RNA-Moleküle in der Zelle regulierendeFunktionen wahrnehmen. 1998 ent-deckten mehrere Forschergruppen,darunter auch eine Forschergruppeum den Chemiker Dr. Thomas Tuschlam Max-Planck-Institut für biophysi-kalische Chemie in Göttingen, dasssich Gene durch doppelsträngigeRNA blockieren lassen. Dabei zerle-gen die kleinen doppelsträngigenRNA-Moleküle die Boten-RNA undentscheiden damit über die Gen-

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eine fulminante Hepatitis geschützt.Fas vermittelt den Zelltod sowohldurch Apoptose als auch Nekrose.Wird also die Funktion von Fas unter-drückt, überleben mehr Zellen imTiermodell [3].

Es zeichnet sich ab, dass das Potenzial, das die kleinen RNA-Mo-leküle besitzen, enorm ist. So ist esnicht verwunderlich, dass bereitsjetzt die kleinen Moleküle schongroße Preise geerntet haben: Nichtnur Science hat sie an die Spitze sei-ner "Top Ten" gesetzt, die GöttingerWissenschaftler wurden Ende letztenJahres gleich mit drei begehrtenwissenschaftlichen Auszeichnungengeehrt, dem „Eppendorf YoungInvestigator Award“, dem Otto-Klung-Weberbank-Preis 2002 sowiedem „Newcomb Cleveland-Preis2001/2002 [4].

[1] Elbashir, S., Harboth, J., Lendeckel, W., Yalcin, A., Weber, K., Tuschl, Th.: Duplexesof 21-nucleotide RNAs mediate RNA inter-ference in mammalian cell culture. Nature411 (2001), 494-498.

[2] Novina, C. D., Murray, M.F., Sharp, Ph. etal.: siRNA-directed inhibition of HIV-1 in-fection. Nature Medicine Vol. 8, Number 7, p 1-6 (2002).

[3] Zamore, Ph., Aronin, N.: siRNA knock down Hepatitis. Nature Medicine 9 (2003),266-267.

[4] „Kleine Moleküle kommen groß heraus“,Max-Planck-Forschung 1/2003, S. 92-93.

Hannelore Gießen, München

In diesem Fall kennen wir schon dieAntwort auf das Resistenz-Problem:Wir verabreichen gleichzeitig mitPenicillinen, Cephalosporinen undAnalogen Lactamaseinhibitoren undmachen so die Waffen der Bakterienstumpf. Häufig werden Antibiotikaauch typischen Phase-II-Reaktionender Biotransformation unterzogen.Z.B. werden Aminoglycoside acety-liert, phosphoryliert oder mit AMPkonjugiert. Hier kennen wir nochnicht die Lösung des Resistenz-Prob-lems. Eine ähnliche Reaktion er-fährt Fosfomycin, das als Reserve-antibiotikum gegen schwere Infek-tionen eingesetzt wird. Mit Hilfe desFosfomycin-Resistenz-Proteins (FosA), einem Mangan(II)-abhängigenMetalloenzym, wird Fosfomycin un-ter Öffnung des Oxiranringes mitGlutathion konjugiert (Abb. 1).

Aus vielfältigen biochemischenund spektroskopischen Untersu-chungen an FosA, isoliert aus Serra-tia-Arten, geht hervor, dass das Mangan(II)ion an dieser Ringöffnungbeteiligt ist [1]. Jetzt gelang es derArbeitsgruppe um Armstrong, dasEnzym FosA, isoliert aus Pseudomo-nas aeruginosa, in Abwesenheit undin Gegenwart des Antibiotikums zukristallisieren und die Struktur mit-tels Röntgenstrukturanalyse aufzu-klären [2]. Wie Abb. 2 zeigt, handeltes sich um ein dimeres Molekül, des-sen zwei Untereinheiten jeweils einKaliumion (grün) und ein Mangan(II)-ion (violett) enthalten. Während dasMangan-Ion im reinen Enzym vier-fach mit einer tetraedrischen Geomet-rie koordiniert ist, scheint es in Gegenwart des Antibiotikums eher ineiner Fünffach-Koordination mit trigonal-pyramidaler Geometrie vor-zuliegen. Dabei ist der Oxiran-Sauer-stoff des Fosfomycins sehr nahe amMangan(II)ion lokalisiert. Das

Kaliumion liegt in der Nähe desPhosphonat-Sauerstoffs des Fosfomy-cins und sollte in der Lage sein, dasAntibiotikum im Enzym auszu-richten. Außerdem kann es die Elekt-rophilie des Mangans erhöhen, sodass die Reaktion mit dem Gluta-thion gefördert wird. An dieser Re-aktion ist offensichtlich noch die Hyd-roxylgruppe eines Tyrosinrestes desEnzyms beteiligt, die die Rolle einesProtonendonors übernehmen kann.

Mit dieser Röntgenstrukturanaly-se haben wir ein relativ klares Bildder Glutathion-Konjugation des Fos-fomycins erhalten, so dass man wieim Fall der β-Lactame bald daran ge-hen kann, Inhibitoren der Resistenz-erzeugenden Reaktion zu ent-wickeln.

[1] Smoukov, S.K., Telser, J., Bernath, B.A., Rife, C.L., Armstrong, R.N., Hofman, B.M.,J. Am. Chem. Soc. 124 (2002), 2318-2326.

[2] Rife, C.L., Pharris, R.E., Newcomer, M.E.,Armstrong, R.N., J. Am. Chem. Soc. 124(2002), 11001-11003.

Ulrike Holzgrabe, Würzburg

FosA, Mn2+, K+

GSH

O

CH3PO

HO

O-

SG

OHP

CH3

O O-

HO

M E D IZ I N |Wie kann man Resistenzen auf-heben?Antibiotika-Resistenzen entstehenunter anderem dadurch, dass dasBakterium den Wirkstoff che-misch modifiziert. ProminentestesBeispiel sind die β-Lactam-Anti-biotika, deren Lactamring mittelsder von den Bakterien gebildetenLactamasen hydrolysiert wird.

A B B . 1 Konjugation von Fosfomycin mit Glutathion

A B B . 2 Struktur von FosA