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Klimaflucht und Klimamigration: Jenseits der Fluten Lukas Drees ISOE – Institut für sozial-ökologische Forschung Frankfurt am Main Ringvorlesung „Konflikte in Gegenwart und Zukunft“ 20.04.2015, Marburg

Klimaflucht und Klimamigration: Jenseits der Fluten

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Lukas Drees (2015): Klimaflucht und Klimamigration: Jenseits der Fluten. Vortrag im Rahmen der Ringvorlesung "Konflikte in Gegenwart und Zukunft" am 20. April 2015 in Marburg

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Klimaflucht und Klimamigration:Jenseits der Fluten

Lukas DreesISOE – Institut für sozial-ökologische ForschungFrankfurt am Main

Ringvorlesung „Konflikte in Gegenwart und Zukunft“

20.04.2015, Marburg

Lukas Drees ● Konflikte in Gegenwart und Zukunft, Marburg ● 20.04 2015 ● 2

Übersicht

1. Klimawandel und Fluten

2. „Flüchtlingsflut“?

3. Begriffliche Einordnung: Umweltflucht, Klimaflucht, Klimamigration...

4. Forschungsprojekt micle: Eine sozial-ökologische Perspektive auf Migration

5. Zusammenfassung

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1. Klimawandel und Fluten

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1. Klimawandel und Fluten

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1. Klimawandel und Fluten

besonders betroffen: Small Island States

“A call to the world“

Zentrale Probleme: Meeresspiegelanstieg, Versalzung des Grundwassers, Dürre, Starkregen, Ozeanversauerung (Korallensterben)

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2. „Flüchtlingsflut”?

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2. „Flüchtlingsflut“ durch Klimawandel?

Zahlen und Schätzungen

Quelle Zeitraum Anzahl

UNHCR 2002 bis 2002 24 Millionen

Myers 2002 bis 2010 25-50 Millionen

Stern Review 2007 bis 2050 150-200 Millionen

Myers 2005 bis 2050 200 Millionen

Christian Aid 2007 2007-2050 1 Milliarde

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2. „Flüchtlingsflut“? – politische Antworten

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2. „Flüchtlingsflut”? – Zielregionen westafrikanischer MigrantInnen

ANSD: 2002 haben knapp 6 % der senegalesichen MigrantInnen Senegal verlassen

malische Statistiken für 2001: 80,6 % der malischen EmigrantInnen leben in afrikanischen Staaten und 2,5 % (ca. 23.000) in Europa

andere Statistiken (z.B. OECD/ IOM, 2000): auf Europa entfallen bis zu 14 % der EmigrantInnen aus Westafrika

Nordafrikanische Länder sind nicht (nur) Transitzone für Menschen aus Sub-Sahara Afrika, sondern deutlich häufiger Zielländer

meistens erfolgt die Einreise nach Europa mit Visum

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3. Begriffliche Einordnung: Umweltflucht, Klimaflucht, Klimamigration...

„climate refugee“ (Klimaflüchtling)?➔ Klima bzw. Klimawandel ist i.d.R. nicht als alleinige

Ursache auszumachen

„environmental refugee“ (Umweltflüchtling)?➔ sehr vereinfachend, keine Unterscheidung zwischen

erzwungenen und angeregten/motivierten Bewegungen, impliziert Monokausalität

➔ Entpolitisierung der Ursachendebatte➔ (asyl-)rechtliche Problematik des Begriffs „Flüchtling“

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3. Exkurs: „Asylgrund Klimawandel“

Genfer Konvention: „ ...Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe…“

37jähriger aus Kiribati verliert vor neuseeländischem Berufungsgericht: „Der Antragsteller ist bei der Rückkehr keiner Verfolgung ausgesetzt. [...] seine Situation [ist] nicht anders, als die anderer Einwohner des Staates Kiribati. [...] Würde [dem Antragssteller] der Status eines Klimaflüchtlings zugestanden, gelte das auf einen Schlag für Millionen von Menschen.“ (WiWo Green, 2.6.2014)

Eine Familie mit zwei Kindern (3 und 5 Jahre) aus Tuvalu erhält ein Bleiberecht in Neuseeland. Urteil des Einwanderungstribunals: „Die Kinder sind wegen ihres Alters besonders stark durch Naturdesaster und Folgen des Klimawandels gefährdet […]. Außerdem lebt bereits die gesamte Verwandtschaft der Familie in Neuseeland.“ (greenpeace magazin, 4.8.2014)

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3. Begriffliche Einordnung: Umweltflucht, Klimaflucht, Klimamigration...

“environmental emergency migration“ (umweltbedingte Notfallmigration)

Naturkatastrophen (Überschwemmungen, Erdbeben, etc.)

“environmentally forced migration“ (durch Umweltbedingungen erzwungene Migration)

„slow-onset“ Effekte (Erosion, Meeresspiegelanstieg, Degradation) zerstören die Lebensgrundlage

“environmentally motivated migration“ (durch Umweltbedingungen ausgelöste/motivierte Migration)

Entscheidung zur Migration, weil die Umweltbedingungen (meistens als eine von vielen Ursachen) schlechter geworden sind, während ein Bleiben aber auch (noch) möglich wäre.

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4. Forschungsprojekt micle: Eine sozial-ökologische Perspektive auf Migration

www.micle-project.net

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4. micle: „Migration, climate change & environment in the Sahel“

■ Kooperationspartner

■ ISOE (Projektkoordination)

■ Geographisches Institut, Universität Bayreuth

■ Partner in Mali und Senegal

■ Point Sud, Center for Research on Local Knowledge, Bamako, Mali

■ Laboratoire de Recherche sur les Transformations Economiques et Sociales (LARTES), Université de Dakar, Senegal

Laufzeit: 3 1/2 Jahre

Förderung: BMBF

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4. Untersuchungsgegenstand

■ Welche sozial-ökologischen Bedingungen liegen Migrationsbewegungen im Sahel zugrunde und wie werden diese Bedingungen durch Umweltveränderungen und Klimawandel beeinflusst?

■ Analyse: Migrationsmotive und Migrationsmuster Wahrnehmung und Bewertung von Klima- und

Umweltveränderungen durch Betroffene Einfluss von Klima- und Umweltveränderungen auf

Migrationsentscheidungen Ansätze für Handlungsstrategien

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4. Untersuchungsgebiet

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4. Klimavariabilität und Umweltveränderungen

Linguère: average annual precipitation (1901-2009) Bandiagara: average annual precipitation (1901-2009)

West Sahel: average annual temperature (1901-2009)

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4. Vegetationsveränderungen: Desertifikation oder (Re-)Greening?

Source: M.Brandt

Source: M.Brandt

Rapid Eye 2011

Corona 1967

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4. Vegetationsveränderungen

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4. Sozialempirische Untersuchungen

Keine formale Schulbildung Primarschule Höheres Bildungsniveau0%

10%

20%

30%

40%

50%

60%

70%

80%

90%

73%

14% 13%

80%

12%7%

Senegal

Mali

Landwirtschaft Viehzucht Handel Sonstiges (Handwerk, Hilfs-tätigkeiten, Hausarbeit)

0%

10%

20%

30%

40%

50%

60%

33%

17%

29%

21%

54%

1%

9%

36%

Senegal

Mali

Bildungsniveau der Befragten

Ökonomische Hauptaktivität der Befragten

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4. Sozialempirische Untersuchungen: Wahrnehmung der Umweltveränderungen

Zunahme gleichbleibend Abnahme veränderlich weiß nicht0%

10%

20%

30%

40%

50%

60%

70%

80%

7%3%

55%

30%

6%2% 2%

71%

24%

1%

Senegal

Mali

Veränderung der jährliche Niederschlagsmengen im Laufe der letzten 20-30 Jahren

Linguère: average annual precipitation (1901-2009) Bandiagara: average annual precipitation (1901-2009)

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4. Sozialempirische Untersuchungen: Migrationsmotive und -dauer

Suche nach Geld/Arbeit

Ernäh-rungssi-cherheit

familiäre Gründe

Besuch (Aus)Bildung Kleidung/ Mitgift kaufen

Andere0%

10%

20%

30%

40%

50%

60%

70%

80%

49%

16%

34%

19%

4%

19% 18%

73%

21%

4%7%

15%

5%

21%

Frauen

Männer

Motive für Migration(Mehrfachnennungen möglich)

Saisonal (3 bis 9 Monate) Temporär (10 Monate bis <5 Jahre)

Permanent (≥ 5 Jahre)0%

10%

20%

30%

40%

50%

60%

22%

54%

24%

49%

41%

9%

Frauen

Männer Dauer der Migration

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4. Sozialempirische Untersuchungen: Migrationsziele (Senegal)

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4. Sozialempirische Untersuchungen: Migrationsziele (Mali)

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4. Sozialempirische Untersuchungen:Strategien zur Kompensation schlechter Ernten

increased money trans-fer from mi-grants

increased number of mi-grants

selling of animals

selling of wood/carbon

gardening selling of fruits/ herbs/ straw

aid one another take up a loan/ credit

other0%

10%

20%

30%

40%

50%

60%

70%

80%

39%

17%

68%

14%

6%

25%

43%

24%

43%

59%

40%

58%

7%

23%

5%

21%

3%

18%

Senegal

Mali

Mehrfachnennungen möglich

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4. Integration natur- und sozialwissenschaftlicher Erkenntnisse■ Modellierung mit Bayes'schen Netzen

MigrationsmotiveMigrationsmotive

Umwelteinflüsse Umwelteinflüsse Sozioökonomische Einflüsse

Sozioökonomische Einflüsse

Art der MigrationArt der Migration

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4. Integration natur- und sozialwissenschaftlicher Erkenntnisse

■ Datenbasis■ Sozialempirische

Untersuchung■ Räumlich (und

zeitlich) aufgelöste Daten zu Nieder-schlag und Land-nutzung

Durchschnittswert in 3 km Radius

Durchschnittswert in 3 km Radius

zeitliche Zuordnung zum Migrationsjahr

zeitliche Zuordnung zum Migrationsjahr

ID F01 F07age_kat3 F09

country gender agemarital_situation

1001 1 2 1 2

1002 1 2 3 3

1003 1 2 1 1

1004 1 1 2 2

Lokalisierung des Herkunftsortes

Lokalisierung des Herkunftsortes

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4. Modellierung: Ergebnisse (Linguère)

precipitationanomalies

motive sustenance/employmentyesno

54.745.3

1.87 ± 1.5

motive familialyesno

53.047.0

1.56 ± 1.2

motive visit/curiosityyesno

44.855.2

1.4 ± 1.2

motive educationyesno

14.086.0

0.781 ± 0.81

own economic activity

gender

age at migration

educational level

economic activity (family)

marital status

precipitation change1950-2010

FAPAR change1982-2010

influenced by family

economic situation

ethnicity

temporal migrationseasonaltemporarypermanentno migration

45.322.420.411.8

2.58 ± 2.5

migrationyesno

88.211.8

1.12 ± 0.32

spatial migrationcapitalwithin region of origindistant destinationno migration

26.413.748.111.8

120 ± 320

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4. Modellierung: Ergebnisse (Linguère)

Permanente Migration innerhalb der Herkunftsregion

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4. Modellierung: Ergebnisse

■ Migrationsbewegungen in der Untersuchungsregion sind eine Folge komplexer sozial-ökologischer Wechselwirkungen

■ sich verschlechternde Umweltbedingungen zeigen keinen Einfluss auf die Anzahl der Migrationsbewegungen

■ Migrationsmuster & -motive verändern sich in Abhängigkeit der spezifischen Bedingungen

■ verschlechterte Umweltbedingungen + ökonomische Situation + Motiv Versorgungssicherheit/ Arbeit + nicht-permanente Migration + entfernte Migrationsziele

■ günstige Umweltbedingungen + ökonomische Situation + Motiv Bildung + Permanente Migration + Migration innerhalb der Herkunftsregion

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5. Zusammenfassung

Migration in der Untersuchungsregion ist mehr als eine langfristige Anpassungs- und kurzfristige Bewältigungsstrategie an ungünstige (Umwelt-)Bedingungen → persönliche und kollektive Zukunftschance und alltägliche Praxis

Soziale Netzwerke in der Zielregion und Kettenmigration spielen eine bedeutende Rolle

Migration fördert die Entwicklung der Region

Migration nach Europa: die Menschen, die am stärksten von Klimaveränderungen betroffen sind (z.B. Landwirte) sind nicht diejenigen, die diesen Weg auf sich nehmen (können)

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5. Zusammenfassung

„Dominierende mediale und politische Diskurse neigen dazu extreme Armut, Krieg und Umweltdegradation in einem stereotypischen Bild der 'Afrikanischen Misere' als Grundursachen von Migration zusammenfließen zu lassen. Dies wird typischer Weise von der Darstellung von Afrikanischen MigrantInnen als passive Opfer von Armut und Krieg begleitet, als verzweifelte Menschen, die aus ihrer Heimat vertrieben werden und in die Hände rücksichtsloser SchmugglerInnen und erbarmungsloser SchlepperInnen geraten. Solche Darstellungen sprechen den MigrantInnen nicht nur ihre eigene Entscheidungs- und Handlungsfähigkeit ab, sondern stehen in totalem Gegensatz zu empirischen Befunden, dass die große Mehrheit der MigrantInnen nicht zu den Ärmsten gehört, auf eigene Initiative reisen und Menschenschmuggel eine relativ unbedeutende Rolle spielt. Während Forderungen für einen 'Marshall Plan für Afrika' jegliche Glaubwürdigkeit missen lassen, würde jeglicher Fortschritt in den Ländern der Sub-Sahara wahrscheinlich zu einem Anstieg statt einem Nachlassen der Emigration führen, weil höhere Einkommen und verbesserte Bildung und Zugang zu Medien und Informationen mehr Menschen die Möglichkeiten zur Migration und die mit Migration verbundenen Hoffnungen bringen wird.“ (de Haas 2008: 1318, eigene Übersetzung)

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

www.micle-project.net

www.isoe.de