100
KLIMAWANDEL UND BIODIVERSITÄT TAGUNGSDOKUMENTATION 8./9. APRIL 2008

Klimawandel und Biodiversität - NABU · Wir alle wissen es: Der Klimawandel ist bereits grausame Realität. Mitte Januar wurde der Klimaatlas der europä-ischen Brutvögel in Brüssel

  • Upload
    others

  • View
    1

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Klimawandel und Biodiversität - NABU · Wir alle wissen es: Der Klimawandel ist bereits grausame Realität. Mitte Januar wurde der Klimaatlas der europä-ischen Brutvögel in Brüssel

Klimawandel und Biodiversität

TagungsdokumenTaTion 8./9. april 2008

Page 2: Klimawandel und Biodiversität - NABU · Wir alle wissen es: Der Klimawandel ist bereits grausame Realität. Mitte Januar wurde der Klimaatlas der europä-ischen Brutvögel in Brüssel

Impressum

NABU-Bundesverband

Naturschutzbund Deutschland (NABU) e.V. www.NABU.de

Charitéstraße 3 10117 Berlin

Tel. 030.28 49 84-0 Fax 030.28 49 84-20 00 [email protected]

Text: Nicolai Schaaf, Jörg-Andreas Krüger und die Referenten der Konferenz „Klimawandel und Biodiversität“.

Redaktion: Nicolai Schaaf, Almuth Gaitzsch

Gestaltung: Christine Kuchem, www.ck-grafik-design.de

Druck: Warlich Druck, Meckenheim gedruckt auf 100 % Recyclingpapier, zertifiziert mit dem Umweltzeichen „Der Blaue Engel“ 12/2008

Bezug: Die Broschüre erhalten Sie beim NABU-Natur-Shop, Am Eisenwerk 13, 30519 Hannover. Tel. 05 11.2 15 71 11, Fax 05 11.1 23 83 14, [email protected] oder unter www.NABU.de/Shop

Art.-Nr. 5097

Bildnachweis: Titel: NABU/H. May, NABU/T. Dove, NABU, NABU Neumünster, NABU/H. May Fotolia/A. Bowden: 9, NABU: 36 u. 66, NABU/T. Dove: 1 u. 15, NABU/R. Jürgens: 85, NABU/H. May: 77, NABU Bremen: 23, NAJU/M. Stöck: 75, Photocase/eyelab: 63, Photocase/joexx: 59, Photocase/manun: 2, Pixelio/Hellei: 83, Pixelio: 4, 79 u. Rückseite

Gefördert durch das Bundesamt für Naturschutz mit Mitteln des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit.

Page 3: Klimawandel und Biodiversität - NABU · Wir alle wissen es: Der Klimawandel ist bereits grausame Realität. Mitte Januar wurde der Klimaatlas der europä-ischen Brutvögel in Brüssel

TAGUNGSDoKUMENTATIoN

Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 Olaf Tschimpke

Herausforderungen für den Naturschutz im Klimawandel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 Astrid Klug

Auswirkungen des Klimawandels auf die Flora – sind Veränderungen schon sichtbar? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 Dr. Silje Berger

Klimawandel und Vogelwelt – eine kurze Übersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 Prof. Dr. Franz Bairlein & Dr. Ommo Hüppop

Faunenveränderungen bei Laufkäfern Mitteleuropas – Indikation und Zeitmaß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 Prof. em. Dr. Gerd Müller-Motzfeld

Klimawandel gleich Naturschutzwandel? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 Prof. Dr. Pierre L. Ibisch & Stefan Kreft

Klimawandel: Künftige Herausforderungen für den Naturschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 Jochen Flasbarth

Biodiversität und Klimawandel – aktuelle Prozesse und zukünftige Perspektiven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 Dr. Horst Korn

Vielfalt ist Fühlen – warum wir die Biodiversität für unsere Menschlichkeit bewahren müssen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 Dr. Andreas Weber

Ehrenamtlicher Naturschutz und Kommunikation im Klimawandel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 Podiumsdiskussion

Klimawandel und Biodiversität Ansätze einer Kommunikationsstrategie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 Bernd Pieper

Kommunikationsstrategien für den Naturschutz in Zeiten des Klimawandels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 Martin Meister

Kommunikationsstrategien „Klimawandel und Biodiversität“ aus der Perspektive einer Kommunikationsagentur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 Rolf Schrickel

Naturschutz im Klimawandel – Ein Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 Prof. Dr. Beate Jessel und Till Hopf

Teilnehmerliste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92

Programm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95

Pressemitteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96

naBu-konferenz

Klimawandel und Biodiversität

Page 4: Klimawandel und Biodiversität - NABU · Wir alle wissen es: Der Klimawandel ist bereits grausame Realität. Mitte Januar wurde der Klimaatlas der europä-ischen Brutvögel in Brüssel

2

einführung

Olaf Tschimpke

NABU-Präsident

„Der Klimawandel findet statt – Mensch und Natur bekommen seine Auswirkungen immer deutlicher zu spüren.“ Diese Botschaft ist in den vergangenen Monaten und Jahren in nahezu alle Bereiche von Wirtschaft, Gesellschaft und Politik vorgedrungen. Auch die Notwendigkeit konsequenten Klimaschutzes scheint inzwischen als Allgemeingut anerkannt. Doch allem Klimaschutz zum Trotz lässt sich der Klimawandel nicht mehr grundsätzlich aufhalten. An-passung ist daher nötig – und viele Anpassungsprozesse finden bereits statt. Doch wenn wir uns die heimische Natur anschauen, dann ist sie durch Verschmutzung, intensive Nutzung und Zerschneidung bereits bis zum Anschlag be-lastet. Damit sie mit den Veränderungen Schritt halten kann, braucht sie Spielraum, um sich zu entwickeln und an den Wandel anzupassen.

Bereits vor fast 20 Jahren erläuterte Professor Dr. Hartmut Graßl in der NABU-Zeitschrift „Naturschutz heute“ (Aus-gabe 4.5/89), wie der Mensch in das Klimasystem eingreift, und dass dies nicht nur zu einer Erwärmung führt, son-dern auch Niederschläge verändert und den Meeresspiegel ansteigen lässt. Auch auf die Risiken, die dies für Mensch und Natur mit sich bringen würde, wies Graßl warnend hin.

Acht Jahre später erschien „Naturschutz heute“ in der Ausgabe 4/97 mit dem Schwerpunktthema „Fünf Jahre nach Rio – Mensch und Natur im Klimastress“:

Klimaschutz im Schneckentempo ¡

Kohl doziert, aber handelt nicht ¡

Wohlfeile Versprechungen der Industrie ¡

Stromverbrauch senken ¡

Bürgerinnen ergreifen die Initiative ¡

und schließlich der Ausblick am Beispiel der Pinguine, wie die Natur mit der Erwärmung zu kämpfen hat, während sie gleichzeitig Verschmutzung und Übernutzung ausgesetzt ist. Diese Schlagzeilen lesen sich wie ein Blick in die Presse von heute, mehr als zehn weitere Jahre später. Das Wissen über das Klimasystem ist stetig gewachsen, die Beispiele für Veränderungen in der Natur sind gut dokumentiert. Ein Teil der Politik scheint diese Zusammenhänge aber leider bis heute nicht verstanden zu haben: Klimaveränderungen beschleunigen sich immer mehr und die globa-len Treibhausgasemissionen steigen weiter und weiter. Die Konvention über Biologische Vielfalt (CBD) wird in einem Monat ihre neunte Vertragsstaatenkonferenz abhalten und steht noch immer vor der Herausforderung, den Ausbau eines weltweiten Schutzgebietssystems voranzubringen und vor allem dessen Finanzierung zu gewährleisten.

Die Rolle, die intakte Ökosysteme für den Menschen und auch für das Klima spielen, kann gar nicht genug betont werden. Sie produzieren Nahrung, Fasern und Baustoffe, sie regulieren Stoffkreisläufe, sie reinigen Luft und Wasser und nicht zuletzt haben sie auch eine hohe gesellschaftliche und kulturelle Bedeutung. Im Klimawandel kommen ihnen nun sogar zusätzliche, entscheidende Funktionen zu: sie nehmen Kohlendioxid auf und speichern dieses in ihrer Biomasse und sie tragen durch die Vielfalt an Lebensräumen, Arten und genetischer Information entscheidend zur Anpassungsfähigkeit des gesamten Erdsystems bei.

Doch der Klimawandel führt zu Veränderungen, die diese Leistungen gefährden. Einzelne Arten reagieren, nicht Lebensgemeinschaften. Das Zusammenspiel der Arten und die Funktionsfähigkeit ganzer Ökosysteme sind dadurch bedroht. Wollen wir der Natur die Chance geben, sich an die Veränderungen anzupassen, müssen wir die beste-henden Belastungen verringern, müssen wir der Natur besagten Spielraum zugestehen, den sie zur Entfaltung und Entwicklung braucht.

Page 5: Klimawandel und Biodiversität - NABU · Wir alle wissen es: Der Klimawandel ist bereits grausame Realität. Mitte Januar wurde der Klimaatlas der europä-ischen Brutvögel in Brüssel

3NABU-Konferenz „Klimawandel und Biodiversität“ • Berlin • April 2008

Der NABU hat es sich daher zur Aufgabe gemacht, die Zusammenhänge zwischen dem Klimawandel und der Bio-logischen Vielfalt verstärkt in die Öffentlichkeit zu bringen. Mit dem vom Bundesamt für Naturschutz geförderten Projekt „Klimawandel und Biodiversität – eine Kommunikationsstrategie für den ehrenamtlichen Naturschutz“ ha-ben wir aktive Naturschützerinnen und Naturschützer vor Ort angesprochen, um mit ihnen über die Bedeutung des Klimawandels für die heimische Natur und letztlich die eigene Arbeit im Naturschutz zu diskutieren.

Im Vordergrund stand die Sensibilisierung für derartige Themen, die bislang vor allem in Fachkreisen diskutiert wurden. Doch die Aufmerksamkeit gegenüber den Veränderungen vor Ort war bereits sehr groß. Im Rahmen einer Workshopreihe mit unterschiedlichen regionalen Schwerpunkten diskutierten Fachleute gemeinsam mit ehrenamt-lich Aktiven nicht nur über die grundlegenden Zusammenhänge, sondern auch über die Herausforderungen, die dies für den Naturschutz mit sich bringt.

Im Rahmen der Kommunikationsstrategie entstanden ein Faltblatt mit grundlegenden Informationen, die Interne-tseite www.Natur-im-Klimawandel.de mit einem dazugehörigen E-Mail-Newsletter und schließlich ist eine DVD in Vorbereitung, mit der gezielt Multiplikatoren angesprochen werden sollen, die die Kommunikation in diesem Themenfeld, zum Beispiel mit weiteren Workshops, fortführen wollen. Um den Austausch unter den zahlreichen Interessenten zu fördern, ist zudem ein Vernetzungstreffen geplant.

Der Bedarf an dieser Informationsarbeit wurde schnell deutlich: Die Faltblätter waren vergriffen, der Newsletter erreicht mehr als 1000 Abonnenten und die Workshops waren geprägt durch eine rege Beteiligung von Seiten unter-schiedlicher Verbände, Forschungseinrichtungen und Fachbehörden. Der Klimawandel wird zunehmend auch als regionales Problem wahrgenommen und der direkte Austausch, den wir mit dem Projekt initiiert haben, dient dazu, dieses Bild regionaler Ausprägungen zu vervollständigen und sich auch über Unsicherheiten und Verunsicherung zu verständigen.

Gegenüber einem bewahrenden Selbstverständnis des Natur- und Artenschutzes gewinnt auch auf der ehrenamtli-chen Ebene vor Ort zunehmend der Blick auf Funktionsweisen von Ökosystemen und deren Dynamik an Bedeutung. Daraus erwächst mehr Verständnis für die Zusammenhänge zwischen den vermeintlich fernen Themen der Politik, den internationalen Konventionen und dem Ehrenamt vor Ort – und daher auch für die Naturschutzarbeit als Teil dieser Prozesse. Durch die fortschreitende Sensibilisierung und wachsende Aufmerksamkeit stehen aber auch ver-mehrt konkrete Fragen nach Handlungsoptionen auf der lokalen und ehrenamtlichen Ebene und nach den Möglich-keiten der individuellen Einflussnahme im Mittelpunkt. Wie sieht der Naturschutz im Klimawandel aus – innerhalb und außerhalb von Schutzgebieten? Welche Möglichkeiten bieten die bestehenden Instrumente des Naturschutzes? Wie können Naturschützerinnen und Naturschützer aktiv werden für die Natur im Klimawandel?

Mit dieser Konferenz wollen wir im Vorfeld der CBD diese Fragen und Positionen in die fachlichen und politischen Debatten einbringen. Denn die Sicherung unserer Tier- und Pflanzenwelt dient nicht zuletzt unserer eigenen Lebens-qualität. Sie darf nicht wirtschaftlichen Interessen Einzelner aus Forst-, Landwirtschaft oder Industrie geopfert wer-den. Doch was wir derzeit sehen, sind fehlende verbindliche Zusagen für den Klimaschutz und eine Blockadehaltung von Seiten des Bundeslandwirtschafts- und des Verkehrsministers im Streit um ein einheitliches Umweltgesetzbuch. Lassen Sie uns hören, was die zahlreichen hier versammelten Fachleute aus ihren Arbeitsbereichen zu berichten haben und lassen sie uns gemeinsam diskutieren, wie wir der Natur im Klimawandel auch durch gezielte Kommuni-kationsstrategien mehr Gehör verschaffen können.

Ich danke herzlich allen Referenten, die mit Ihren Beiträgen zum Gelingen dieser Konferenz und auch zu den vorher durchgeführten regionalen Workshops beitragen und beigetragen haben. Ein besonderer Dank gilt Dr. Hans-Joach-im Mader, NABU-Präsidiumsmitglied, der uns durch diese zwei Konferenztage führen wird.

Page 6: Klimawandel und Biodiversität - NABU · Wir alle wissen es: Der Klimawandel ist bereits grausame Realität. Mitte Januar wurde der Klimaatlas der europä-ischen Brutvögel in Brüssel

4

Sehr geehrte Damen und Herren,

Zunächst einmal möchte ich dem NABU für die Informationskampagne zum Thema „Klimawandel und Natur-schutz“ danken. Die Gefahren des Klimawandels für die biologische Vielfalt und die sich daraus ergebenden Nachtei-le für die Menschheit, aber auch die positiven Beiträge des Naturschutzes für den Klimaschutz müssen verstärkt be-kannt gemacht werden. Die NABU-Kampagne zielt ja vor allem auf die vielen ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Naturschutzverbände. Die auf dieser Konferenz zur Diskussion stehende Kommunikationsstrategie ist ein wichtiges Instrument zur Bewusstseinsbildung und Unterstützung des ehrenamtlichen Engagements. Ohne den Naturschutzsachverstand vor Ort von mehr als 5 Millionen Mitgliedern der Naturschutzverbände in Deutsch-land wäre ein wirkungsvoller Naturschutz gar nicht leistbar.

Wir alle wissen es: Der Klimawandel ist bereits grausame Realität. Mitte Januar wurde der Klimaatlas der europä-ischen Brutvögel in Brüssel vorgestellt. In diesem Atlas wird prognostiziert, dass einige Wärme liebende Arten wie Bienenfresser, Wiedehopf und Zwergohreule, die sich bereits jetzt nordwärts ausbreiten, gegen Ende des 21. Jahr-hunderts in weiten Teilen Deutschlands vorkommen könnten. Umgekehrt wird es aber auch Verlierer geben wie den noch heute bei uns häufigen Fitis, den Trauerschnäpper oder die Bekassine, deren potenzielle Brutgebiete deutlich schrumpfen werden. Damit wird deutlich: Der Klimawandel hat auch dramatische Auswirkungen auf die biologische Vielfalt.

Der Weltklimarat warnt vor dem Risiko des Verlustes eines Drittels aller heute lebenden Arten schon bei einer globa-len Erwärmung um etwa 2 Grad Celsius. In Bergregionen, Korallenriffen und Feuchtgebieten müssen wir mit einem Artensterben großen Ausmaßes rechnen – das sind ebenso unwiederbringliche Verluste wie geschmolzene Gletscher, die nicht mehr funktionierende Kraft des Golfstroms oder vernichtete bzw. ausgetrocknete Amazonaswälder.

Eine Studie des WWF hat ermittelt, dass insgesamt 38% aller europäischen Vogelarten klimawandelbedingt aufgrund der unterschiedlichsten Zusammenhänge aussterben könnten, wenn die weltweite globale Erwärmung gegenüber vorindustriellen Werten um mehr als 2 Grad ansteigt. Eine besonders durch den Klimawandel bedrohte Vogelart ist zum Beispiel der Trauerschnäpper. Als Zugvogel erreicht er wegen der jahreszeitlichen Schwankungen Europa erst dann, wenn das Nahrungsangebot in Form von Insekten größtenteils seinen saisonalen Höhepunkt überschritten hat. Die WWF-Studie hat gezeigt, dass dieses Phänomen in den letzten 20 Jahren zu einer 90%igen Abnahme in den Populationen der Trauerschnäpper geführt hat. Außerdem werden die natürlichen Feinde des Trauerschnäppers durch den Klimawandel auch noch begünstigt. Dies zeigt eine Studie aus Hessen, die nachgewiesen hat, dass die Siebenschläfer jetzt früher aufwachen und entsprechend früher in die Nistkästen einziehen. Sie fressen die Eier oder Jungvögel, manchmal sogar die Altvögel.

Es gibt Menschen, die sagen werden: „Was kümmert mich der Trauerschnäpper?!“. Diese Haltung ist fatal. Abgesehen von seinem Eigenwert und seiner Funktion als Teil eines ökologischen Gesamtgefüges - wer will denn entscheiden, ob wir nicht genau diesen Vogel als Garant für die Entwicklungsmöglichkeiten zukünftiger Generationen brauchen. Wir haben genügend Beispiele, bei denen bisher unscheinbare Arten plötzlich große medizinische Bedeutung erlangt haben. Und daraus folgt: Wir müssen die biologische Vielfalt, also die Arten in ihrer genetischen Vielfalt und in der Vielfalt ihrer Lebensräume, erhalten, auch wenn ihre jeweiligen Funktionen im Naturhaushalt und ihr Nutzen für die Menschen in allen Details heute noch nicht erkannt sind.

Dies ist die Kernaussage der Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt, die die Bundesregierung im November vergangenen Jahres beschlossen hat. Diese Strategie ist die deutsche Antwort auf die Herausforderung des weltweiten Biodiversitätsverlustes und zeigt die zukünftige nationale Umsetzung des UN-Übereinkommens über die biologi-

Astrid Klug

Parlamentarische Staatssekretärin, MdB

Herausforderungen für den naturschutz im klimawandel

Page 7: Klimawandel und Biodiversität - NABU · Wir alle wissen es: Der Klimawandel ist bereits grausame Realität. Mitte Januar wurde der Klimaatlas der europä-ischen Brutvögel in Brüssel

5NABU-Konferenz „Klimawandel und Biodiversität“ • Berlin • April 2008

sche Vielfalt in Deutschland auf. Es ist wichtig, zu betonen, dass dies keine Strategie des Bundesumweltministeriums ist, sondern der gesamten Regierung. Das heißt, dass die in dieser Strategie beschriebenen Ziele und Maßnahmen nicht nur das BMU verpflichten, sondern auch alle anderen Bundesressorts, also die Regierung insgesamt. Mehr noch: Auch künftige Bundesregierungen, die Länderregierungen und alle gesellschaftlichen Akteure – auch die Na-turschutzverbände - werden in die Pflicht genommen.

Selbstverständlich haben wir in die Strategie das international vereinbarte 2010-Biodiversitätsziel aufgenommen. Wir haben uns verpflichtet, bis zum Jahr 2010 den Verlust an biologischer Vielfalt in Deutschland entscheidend zu verringern. Da wird die Zeit knapp: Bereits in gut 2 Jahren haben wir 2010. Die Umsetzung der Strategie insgesamt muss sicherstellen, dass wir das internationale 2010-Ziel erreichen.

Die Nationale Strategie zur biologischen Vielfalt zeigt sehr deutlich die Synergieeffekte zwischen Naturschutz und Klimaschutz. Ich will nur ein Beispiel herausgreifen. Wir haben als Ziel beschlossen, bis zum Jahre 2020 die natürli-che CO2-Speicherkapazität der Landlebensräume zu erhöhen, z. B. durch die Zunahme naturnaher Wälder um 10% und durch Wiedervernässung und Renaturierung von Mooren. Zur Erreichung dieses Ziels sollen bis 2010 Moor-entwicklungskonzepte in allen Bundesländern erarbeitet und bis 2025 umgesetzt werden. Es soll z.B. außerdem eine deutliche Reduzierung des Torfabbaus erfolgen, und – damit der Torf nicht aufgrund deutschen Bedarfs aus intakten Mooren in ferneren Ländern gewonnen wird – muss bei uns gleichzeitig die Verwendung von Torfersatzstoffen im Gartenbau gesteigert werden.

Der Klimawandel ist für die biologische Vielfalt eine Zeitbombe. Bei einem Anstieg der globalen Erwärmung um mehr als 1,5 bis etwa 2,5 Grad gegenüber heutigen Werten wären 20 bis 30 Prozent der Arten weltweit vom Ausster-ben bedroht. Ebenso muss klar gesehen werden, dass die Vernichtung von CO2-speichernden Ökosystemen die Kli-maprobleme verschärfen. Wir müssen deshalb die Synergieeffekte zwischen Naturschutz und Klimaschutz nutzen. Auf Betreiben von Bundesumweltminister Gabriel wurde im Bundeshaushalt 2008 eine neue Klimaschutzinitiative gebilligt. 280 Millionen Euro aus der Veräußerung von Emissionszertifikaten werden künftig für nationale und 120 Millionen Euro für internationale Klimaschutzmaßnahmen verwendet. Hier stehen der Schutz natürlicher Lebens-räume und ihre Anpassung an den Klimawandel sowie nachhaltige Energieversorgungssysteme gleichermaßen im Mittelpunkt.

Was haben wir erreicht?

Das bisher Gesagte kann man auch auf die Formel bringen: Naturschutz ist Klimaschutz und Klimaschutz ist Na-turschutz.

Die Basis für eine erfolgreiche Klimaschutzpolitik sind ambitionierte, verbindliche Zielsetzungen. Unser Klima-schutzziel steht im Kontext der EU-Vorgaben:

Vor einem Jahr hat der Europäische Rat unter Vorsitz der Bundeskanzlerin weit reichende Beschlüsse gefasst: Ziel ¡ist, die globalen Treibhausgasemissionen um mindestens 50% gegenüber 1990 zu reduzieren. Dies ist nötig, um die Erderwärmung auf 2°C einzudämmen und so die Folgen noch einigermaßen beherrschbar zu machen.

Bis 2020 will die EU die CO ¡ 2-Emissionen um 30 % reduzieren, wenn andere Länder mitziehen. In jedem Fall aber wird die EU ihre Emissionen um mindestens 20 % reduzieren.

Deutschland hat angekündigt, noch mehr zu tun: Wir können 40% schaffen. Damit stellt sich die Bundesregie- ¡rung ihrer Verantwortung für den Schutz des Klimas.

Page 8: Klimawandel und Biodiversität - NABU · Wir alle wissen es: Der Klimawandel ist bereits grausame Realität. Mitte Januar wurde der Klimaatlas der europä-ischen Brutvögel in Brüssel

6 NABU-Konferenz „Klimawandel und Biodiversität“ • Berlin • April 2008

Wir haben mittlerweile entscheidende Maßnahmen im Klimaschutz auf den Weg gebracht, die auch auf der Bali-Konferenz von anderen Staaten sehr begrüßt wurden:

Am 5. Dezember 2007 hat das Bundeskabinett ein integriertes Energie- und Klimaprogramm verabschiedet, be-stehend aus 14 Rechtsetzungsvorhaben sowie einem umfassenden Bericht. In der Geschichte unseres Landes hat es ein solch weit reichendes Programm zum Schutz von Klima und Umwelt noch nicht gegeben – es ist auch weltweit einzigartig. Alle CO2-relevanten Aktionsfelder – von der Strom- und Wärmeproduktion bis zum Verkehr, von der Gebäudesanierung bis zur Energieeffizienz – werden mit dem neuen Maßnahmenpaket einen Schub erhalten und den Klimaschutz voranbringen. Sie werden aber auch für Beschäftigung und Wachstum in Deutschland sorgen.

Das Programm erreicht insgesamt eine Emissionsminderung von etwa 36 Prozent bis 2020, wenn es konsequent umgesetzt wird. Für die fehlenden 4 Prozent müssen wir noch arbeiten, besonders an der Energieeffizienz. Damit stellt sich die Bundesregierung ihrer Verantwortung, den Schutz des Klimas und der gesamten Biosphäre als größte politische Herausforderungen anzunehmen.

Auch auf internationaler Ebene sind wir auf der Klimaschutzkonferenz in Bali im Dezember wichtige Schritte vor-angekommen. Die Naturschutzverbände haben ja die Ergebnisse von Bali eher zurückhaltend kommentiert. Das Ergebnis von Bali ist weniger, als Deutschland und die EU sich gewünscht hätten. Aber es ist weitaus besser als es angesichts der schwierigen Ausgangslage und der unterschiedlichen Interessen zu erwarten war. Denn wir haben in Bali das Fundament für die Weiterentwicklung des Kyoto-Protokolls gelegt.

Was haben wir konkret erreicht? Ich will nur einige Ergebnisse schlaglichtartig beleuchten:

Alle Staaten haben sich unter der Klimarahmenkonvention verpflichtet, über ihre Beiträge zu einem künftigen ¡Klimaregime für die Zeit nach 2012 zu verhandeln. Für die Verhandlungen wurde eine ad hoc-Arbeitsgruppe eingesetzt. Ende 2009 auf der Klimakonferenz in Kopenhagen sollen die Verhandlungen abgeschlossen werden.

Der Bali-Konsens unterscheidet zwischen Minderungsverpflichtungen für Industriestaaten und Maßnahmen ¡von Entwicklungsländern. Er sieht für beide im Vergleich zu bisher ein deutlich höheres Anspruchsniveau vor. Alle Beiträge müssen messbar, berichtbar und überprüfbar sein.

Die „Kyoto-Industriestaaten“ haben in Übereinstimmung mit dem IPCC einen indikativen Minderungskorridor ¡von -25 bis -40 % bis 2020 gegenüber 1990 für ihre Überlegungen über künftige Minderungsverpflichtungen in Aussicht genommen und darüber hinaus ein konkretes Arbeitsprogramm bis 2009 festgelegt. Die USA haben zugestimmt, dass es für alle Industriestaaten vergleichbare Verpflichtungen geben soll.

Die Reduzierung der Emissionen aus Entwaldung in Entwicklungsländern soll in das künftige Klimaregime auf- ¡genommen werden. Entwaldung ist in vielen Entwicklungsländern die größte Ursache für Treibhausgasemissio-nen. Sie trägt zu nahezu 20% zu den globalen Emissionen bei. In den kommenden zwei Jahren sollen Methoden entwickelt und in Pilotprojekten getestet werden, um diese Emissionen zu messen. Deutschland unterstützt be-reits solche Pilotaktivitäten, indem es 40 Millionen € zur „Forest Carbon Partnership Facility“ der Weltbank beisteuert. Diese Initiative wurde im Rahmen der deutschen G8-Präsidentschaft im letzten Jahr auf den Weg gebracht.

Aber auch andere Ökosysteme speichern in hohem Maße CO ¡ 2: Moore, Feuchtgebiete, Grasland. Wir müssen alles daran setzen, diese carbonspeichernden Ökosysteme dauerhaft zu erhalten. Das nutzt der Natur und es nutzt dem Klima.

Nach den Beschlüssen von Bali beginnt jetzt die eigentliche Arbeit. In nur 2 Jahren müssen die Details eines künfti-gen Klimaregimes ausgehandelt werden. Damit diese Zeit ausreicht, braucht der Prozess eine treibende Kraft. Die EU und auch wir haben auf Bali gezeigt, dass wir diese Kraft sein können. Wir haben große Erwartungen geweckt. Wir können und wir müssen ihnen gerecht werden.

Page 9: Klimawandel und Biodiversität - NABU · Wir alle wissen es: Der Klimawandel ist bereits grausame Realität. Mitte Januar wurde der Klimaatlas der europä-ischen Brutvögel in Brüssel

7NABU-Konferenz „Klimawandel und Biodiversität“ • Berlin • April 2008

Damit komme ich zu einem weiteren Punkt, der in Bali intensiv diskutiert wurde, nämlich die notwendige Anpas-sung an den Klimawandel. Denn auch wenn es uns gelingt, national wie international die Emissionen von Treibh-ausgasen drastisch zu senken und den globalen Temperaturanstieg auf die Marke von 2 Grad Celsius zu begrenzen, werden wir mit Auswirkungen des Klimawandels konfrontiert sein, auf die wir vorbereitet sein müssen. Dabei geht es nicht allein um die Auswirkungen auf die natürliche Umwelt und die menschliche Gesundheit, sondern auch um viele wirtschaftliche Aktivitäten. Die Bundesregierung erarbeitet deshalb eine „Nationale Strategie zur Anpas-sung an die Folgen des Klimawandels“. Die Erarbeitung der Strategie erfolgt – unter Einbeziehung der Länder – in zwei Phasen: Die erste Phase beinhaltet eine Bestandsaufnahme und anschließende Evaluierung des gegenwärtigen Wissens zu Risiken und Chancen, der möglichen Auswirkungen des Klimawandels sowie die Identifizierung von Wissenslücken und des weiteren Forschungsbedarfs. Als zweite Phase folgt die eigentliche Entwicklung eines ersten Strategieentwurfs mit der Beschreibung von Maßnahmenoptionen. Im Herbst dieses Jahres wird sich das Bundeska-binett mit dem Entwurf befassen.

Die Kabinettsbefassung wird einen wichtigen ersten Schritt in einem iterativen Prozess der weiteren Entwicklung einer Deutschen Anpassungsstrategie an die Folgen des Klimawandels darstellen.

Synergien zwischen Klima- und Naturschutz

Auch die Instrumente des Naturschutzes bieten Ansatzpunkte für Synergieeffekte zwischen Klima- und Natur-schutz. Dabei ist für mich die Erhaltung der Wälder von besonderer Bedeutung. Zum Schutz der Urwälder wird Bundesumweltminister Gabriel bis zur 9. Vertragsstaatenkonferenz des Übereinkommens über die biologische Viel-falt (CBD) im Mai in Bonn ein Paket von aufeinander abgestimmten Maßnahmen vorlegen: Die Ausweisung von Waldschutzgebieten muss in der CBD vorangebracht werden, und wir werden für die Erhaltung der Wälder auch mehr Finanzierungsmittel organisieren müssen. Wir erarbeiten zur Zeit Nachhaltigkeitsstandards für den Anbau von Biomasse zur Energieerzeugung und werden damit ein Abholzen von Urwäldern, um Platz für Biomasseanbau zu schaffen, verhindern. Wir werden die EU-FLEGT-Verordnung gegen den Handel mit illegal geschlagenem Holz forciert umsetzen und – wenn nötig - auch eine Verschärfung dieser Verordnung durchsetzen.

Langfristig sollten natürliche Ressourcen auch als Grundlage des unternehmerischen Handelns gesichert werden. Das von Greenpeace mit großen Sojaunternehmen vereinbarte Moratorium zum Schutz der Urwälder in Brasilien ist hier ein positives Beispiel. Wir haben eine Initiative gestartet, um größere Unternehmen zu bewegen, den Schutz der biologischen Vielfalt durch individuell angepasste Maßnahmen in Managementstrategien und Unternehmenszielen zu verankern.

Ich bin stolz darauf, dass es uns gelungen ist, die 9. Vertragsstaatenkonferenz der CBD nach Deutschland zu holen. Als Gastgeber des weltweiten Naturschutzes wollen wir auf der Konferenz effektive Maßnahmen durchsetzen, um den Rückgang der biologischen Vielfalt zu bremsen. Unser Ziel ist es, dem internationalen Naturschutz entscheiden-de Impulse zu geben.

Wir werden diese Konferenz insbesondere auch nutzen, um die Synergieeffekte zwischen Klima- und Naturschutz-instrumenten zu einem Top-Thema zu machen.

Als zentrale Verhandlungspunkte für einen Erfolg der Konferenz sehe ich Fortschritte im Bereich Zugang zu geneti-schen Ressourcen und gerechter Vorteilsausgleich (Access and Benefit Sharing - ABS), damit die Arbeiten an einem internationalen Regelungswerk zu ABS bis 2010 abgeschlossen werden können, die Erarbeitung zusätzlicher inno-vativer Finanzierungsmechanismen für den globalen Naturschutz, den verbesserten Schutz der biologischen Vielfalt der Wälder und die Schaffung eines globalen Netzes von Schutzgebieten an Land und auf dem Meer.

Die CBD umfasst nicht nur den Schutz und die nachhaltige Nutzung der biologischen Vielfalt, sondern befasst sich auch mit entwicklungspolitischen Aspekten von Biodiversität, dem gerechten Vorteilsausgleich. Die gerechte Beteili-

Page 10: Klimawandel und Biodiversität - NABU · Wir alle wissen es: Der Klimawandel ist bereits grausame Realität. Mitte Januar wurde der Klimaatlas der europä-ischen Brutvögel in Brüssel

8 NABU-Konferenz „Klimawandel und Biodiversität“ • Berlin • April 2008

gung der Herkunftsländer genetischer Ressourcen - zumeist Entwicklungs- und Schwellenländer - an den Vorteilen, die aus ihrer Nutzung entstehen, liegt mir besonders am Herzen. Gemeinsam mit den Ländern des Südens müssen wir den internationalen Biodiversitätsschutz voranbringen, um den Reichtum der Natur zu bewahren und die von ihr erbrachten Dienstleistungen - sie liefert z. B. Nahrung, sauberes Wasser, fruchtbare Böden, Brennstoffe und Me-dikamente, reguliert das globale Klima und schützt vor Naturkatastrophen - auch in Zukunft nutzen zu können.

Die Zusammenhänge zwischen biologischer Vielfalt und den Auswirkungen des Klimawandels, die wechselseitigen Bedrohungen und gravierenden Folgen für verschiedene Ökosysteme – und letztlich auch für uns Menschen – kön-nen nicht oft genug betont werden. Wir müssen die Popularität des Themas Klimawandel nutzen, um auch die zen-tralen Botschaften des Biodiversitätsschutzes der Öffentlichkeit näher zu bringen und seine Akzeptanz zu fördern. Dies wird ja auch sehr erfolgreich mit der NABU-Informationskampagne geleistet.

Naturschutz ist Aufgabe des Staates, aber sie ist nicht nur Staatsaufgabe. Natur- und Klimaschutz leben auch vom Engagement jedes Einzelnen. Mir ist daher sehr wichtig, dass Regierung und gesellschaftliche Gruppen in Deutsch-land im Naturschutz eng zusammenarbeiten. Nur gemeinsam wird es uns gelingen, die Herausforderungen, die der Klimawandel auch für den Naturschutz bedeutet, zu meistern.

Page 11: Klimawandel und Biodiversität - NABU · Wir alle wissen es: Der Klimawandel ist bereits grausame Realität. Mitte Januar wurde der Klimaatlas der europä-ischen Brutvögel in Brüssel

9

Dr. Silje Berger

Institut für Geobotanik, Leibniz Universität Hannover, Nienburger Str. 17, 30167 Hannover. Email: [email protected] oder [email protected]

Einleitung

Das Großklima ist einer derjenigen Faktoren, die die Lebensbedingungen der Pflanzen und Tiere bestimmen. Ändert sich das Klima, ist eine Reihe von Veränderungen in der Natur denkbar. Über den ganzen Globus verteilt zeichnen sich bereits zahlreiche so genannte „Fingerabdrücke“ des Klimawandels ab (z.B. Walther et al. 2001, Parmesan & Yohe 2003, Root et al. 2003). Bei Pflanzen wurden bereits phänologische Reaktionen, zeitliche Verschiebungen im Lebenszyklus, nachgewiesen, wie z.B. zeitigerer Laubaustrieb im Frühjahr oder vorgezogener Blühbeginn (z.B. Menzel et al. 2006). Das Klima beeinflusst auch die geografische Verbreitung der Pflanzen, und im Zuge des Kli-mawandels kann es zu Verschiebungen der Verbreitungsareale kommen. Auf der einen Seite können Pflanzenarten, die in ihrer Verbreitung durch klimatische Parameter limitiert werden, die sich als Folge des Klimawandels zu ihren Gunsten verändern, eine Arealerweiterung erfahren. Dies kann an den nördlichen oder altitudinalen Obergrenzen der Fall sein, wo vor allem niedrige Temperaturen dem Gedeihen der Pflanzen Grenzen setzen. Auf der anderen Seite ist an den südlichen Arealgrenzen bzw. unteren Höhengrenzen ein Arealverlust zu befürchten.

Arealerweiterung

Eine Arealerweiterung über die ehemalige nordöstliche Verbreitungsgrenze hinaus wurde bei der Stechpalme (Ilex aquifolium) festgestellt und auf gestiegene Wintertemperaturen zurückgeführt (Walther et al. 2005). Die Verbrei-tungsgrenze der Stechpalme nach Norden und Osten hin ist durch kalte Winter bedingt und das Areal der Stechpal-me wird in der Literatur häufig als Beispiel eines nach Norden hin klimatisch limitierten Verbreitungsgebietes ange-führt. Dies ist zum großen Teil auf die Arbeit von Iversen (1944) zurückzuführen, der die klimatischen Ansprüche der Stechpalme detailliert dokumentierte. Beobachtungen, dass die Stechpalme durch die Winterkälte limitiert wird und dass die nördliche Verbreitungsgrenze ähnlich der 0 °C-Januarisotherme verläuft, finden sich aber auch schon in älterer Literatur.

Iversen (1944) zeigte einen engen Zusammenhang zwischen dem Vorkommen von Ilex aquifolium und der mittleren Temperatur des kältesten Monats auf und leitete die limitierende Durchschnittstemperatur des kältesten Monats für Ilex aquifolium von zahlreichen Klimastationen und dem Vorkommen der Art in deren unmittelbarer Umgebung ab. Eine 2003 wiederholte Untersuchung der Ilex aquifolium-Vorkommen in der Umgebung dieser Klimastationen zeig-te, dass bei einigen Stationen, die 1944 sowohl geografisch außerhalb des Verbreitungsgebietes als auch klimatisch unterhalb der Temperaturgrenze lagen, mittlerweile Vorkommen von Ilex aquifolium auftreten. Die Temperatur des kältesten Monats an diesen Stationen waren seitdem über den nach Iversen (1944) für Ilex aquifolium limitierenden Wert gestiegen.

In den letzten Jahren hat sich das Verbreitungsareal der Stechpalme über die historischen Verbreitungsgrenzen hin-aus ausgedehnt. Auch an der östlichen Verbreitungsgrenze in Deutschland werden derzeit Vorkommen außerhalb des historischen Verbreitungsgebietes verzeichnet. Nicht nur sind die mittleren Januartemperaturen in diesem Gebiet im untersuchten Vergleichszeitraum angestiegen, sondern auch das Auftreten extremer Frostereignisse ist zurückge-gangen, die die kälteempfindliche Stechpalme schädigen können. Die zahlreichen Neufunde jenseits der historischen Verbreitungsgrenze gehen mit einer Verschiebung der 0 °C-Januarisotherme einher (Abb. 1).

Ebenso dehnen weitere Pflanzenarten ihre Areale in unterschiedlichem Ausmaß nach Norden hin aus und sind in der Lage, jenseits der ehemaligen Verbreitungsgrenzen Fuß zu fassen. Auch unter den seltener vorkommenden Arten gibt es Beispiele von Arealausweitungen, wie z.B. beim Affen-Knabenkraut (Orchis simia) und der Bocks-Riemenzunge (Himantoglossum hircinum). Das Affen-Knabenkraut war bis vor wenigen Jahren nur aus den aller-

auswirkungen des klimawandels auf die flora – sind Veränderungen schon sichtbar?

Page 12: Klimawandel und Biodiversität - NABU · Wir alle wissen es: Der Klimawandel ist bereits grausame Realität. Mitte Januar wurde der Klimaatlas der europä-ischen Brutvögel in Brüssel

10 NABU-Konferenz „Klimawandel und Biodiversität“ • Berlin • April 2008

Exoten

Auch exotische Arten können von der Erwärmung profitieren; der Kirschlorbeer (Prunus laurocerasus) konnte in den letzten 10-20 Jahren in zahlreichen Gebieten Deutschlands, zunächst im Saarland, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz, inzwischen in großen Teilen Westdeutschlands und stellenweise auch im Norden verwildern. Schon seit längerer Zeit ist das Verwildern des Kirschlorbeers aus südlicheren Teilen Europas bzw. aus dem wintermilden Großbritannien bekannt (z.B. Perring & Walters 1962, Jäger 1975). Ein Vergleich der klimatischen Situation im Heimatgebiet mit der klimatischen Entwicklung in Deutschland legt nahe, dass die Art zunehmend günstige Bedin-gungen vorfindet und sich somit auch außerhalb der Gärten etablieren kann.

Abb. 1: a) Historisches Verbreitungsareal von Ilex aquifolium und die 0 °C-Januarisotherme, verändert nach Walter & Straka (1970). b) Neue Vorkommen von Ilex aquifolium und aktualisierte 0 °C-Januarisotherme (1981-2000) (aus Walther et al. 2005, verändert).

wärmsten Gebieten Deutschlands bekannt. In den letzten Jahren wurden neue Vorkommen nördlich der ehemaligen Verbreitungsgrenze verzeichnet. Die neuen Vorkommen befinden sich in unter Schutz stehenden Gebieten, in denen ebenfalls weitere Orchideenarten vorkommen und hierfür ein gezieltes Management betrieben wird, von dem auch der Neuankömmling profitiert. Untersuchungen aus den Niederlanden haben gezeigt, dass für den Überlebens- und Reproduktionserfolg des Affen-Knabenkrauts an der Nordgrenze der Verbreitung klimatische Parameter ausschlag-gebend sind, wobei vor allem lang anhaltende, harte Winter dem Affen-Knabenkraut zusetzen (Willems 2002).

Die Bocks-Riemenzunge erfährt derzeit eine Zunahme, sowohl im Sinne einer Arealerweiterung als auch bezüglich der Populationsgrößen, was aller Wahrscheinlichkeit nach auf den Klimawandel zurückzuführen ist (Pfeifer et al. 2006). Insbesondere gestiegene Wintertemperaturen, aber auch zunehmender Niederschlag im Winter wirken sich auf die Art günstig aus. Diese Beispiele zeigen, dass auch seltene und sogar gefährdete Arten von einem moderaten Klimawandel profitieren können, unter der Voraussetzung, dass entsprechende Biotope vorhanden sind.

Page 13: Klimawandel und Biodiversität - NABU · Wir alle wissen es: Der Klimawandel ist bereits grausame Realität. Mitte Januar wurde der Klimaatlas der europä-ischen Brutvögel in Brüssel

11NABU-Konferenz „Klimawandel und Biodiversität“ • Berlin • April 2008

Die wichtigsten klimatischen Parameter, die die Verbreitung des Kirschlorbeers begrenzen, sind die Wintertempera-turen und die Länge der Vegetationsperiode. Adamović (1909) beschreibt eine zu kurze Vegetationsperiode als ein Haupthindernis der Blüten- und Fruchtbildung beim Kirschlorbeer; eine Mindestlänge der Vegetationsperiode ist also auch eine ökologisch wichtige Voraussetzung für das Verwildern. Sind reife Früchte vorhanden, werden diese von Vögeln und Kleinsäugern verbreitet. Das vegetative Wachstum und Überleben in Kultur ist noch bis in recht kühle Gebiete möglich. Der Verwilderung werden aber durch die Länge der Vegetationsperiode engere Grenzen gesetzt und die subspontane Verbreitung erstreckt sich nicht gleich weit nach Norden wie die Verbreitung der Stech-palme, obwohl der Kirschlorbeer ähnlich tiefe Extremtemperaturen ertragen kann (Berger et al. 2007).

Aufwärtswanderung von Alpenpflanzen

Die europäischen Alpen haben einen Temperaturanstieg über dem Durchschnitt der Nordhemisphäre erfahren. Vor allem in den letzten 30 Jahren ist ein verstärkter Erwärmungstrend zu verzeichnen (Rebetez & Reinhard 2008). Die abiotischen Umweltparameter (u. a. Klima) weisen in Gebirgsregionen steile Gradienten auf relativ engem Raum auf. Aufgrund dieser steilen Gradienten und dementsprechend eng aufeinander folgenden zonalen Vegetationsgürteln sind bei sich ändernden Umweltparametern empfindliche Reaktionen im Artengefüge zu erwarten. Eine Studie zur Höhenverschiebung von Vegetationsgrenzen wurde auf mehreren Gipfeln im Berninagebiet (Engadin, Schweizer Alpen) durchgeführt. Auch hier bildeten historische Daten (Rübel 1912) die Grundlage zur Detektion der eingetre-tenen Veränderungen. In den 1980er Jahren waren die Gipfel wieder auf ihr Arteninventar hin untersucht worden (Hofer 1992), und auch 2003 wurde die Untersuchung mit dem gleichen methodischen Ansatz wiederholt. Von 1912 bis 1985 hatte auf den meisten Gipfeln eine Artenzunahme stattgefunden. Wie die wiederholte Aufnahme der Gipfel 2003 zeigte, hatte sich dieser Trend in den letzten 20 Jahren weiter deutlich intensiviert (Abb. 2), in Übereinstim-mung mit der stärkeren Erwärmung. Insgesamt nahm die Anzahl der Gefäßpflanzen im Gipfelbereich von 57 (Rübel 1912) auf 87 (Hofer 1992) und schließlich auf 102 (Walther et al. 2005) zu.

Grabherr et al. (1994) stellte anhand von weiteren untersuchten Gipfeln der Zentralalpen ebenfalls eine Zunahme der Artenzahl gegenüber den historischen Aufzeichnungen fest und schloss daraus, dass es sich um einen generellen Trend der Aufwärtsverschiebung der alpin-nivalen Flora handelt. Auch in skandinavischen Gebirgen wurde ein analoger Trend festgestellt (Klanderud & Birks 2003).

Abb. 2: Anzahl Arten im Gipfelbereich mehrerer Gipfel im Berninagebiet, Schweiz (Aus Walther et al. 2005, verändert).

Page 14: Klimawandel und Biodiversität - NABU · Wir alle wissen es: Der Klimawandel ist bereits grausame Realität. Mitte Januar wurde der Klimaatlas der europä-ischen Brutvögel in Brüssel

12 NABU-Konferenz „Klimawandel und Biodiversität“ • Berlin • April 2008

Arealeinschränkung

Den sich ausbreitenden Pflanzenarten gegenüber stehen Arten, bei denen zu befürchten ist, dass die klimatischen Bedingungen an deren Verbreitungsgrenzen zu unvorteilhaften Entwicklungen führen werden. Dies betrifft v. a. die „rear edges“ der Verbreitungsareale: die südlichen Verbreitungsgrenzen und die unteren Grenzen der Höhenverbrei-tung. Modellierungsergebnisse legen nahe, dass Arten, die im Gebirge vorkommen, besonders sensibel auf Klimaver-änderungen reagieren könnten (EEA 2004). Vor diesem Hintergrund wurde die aktuelle Verbreitung des Edelweißes (Leontopodium alpinum) in Deutschland untersucht. Vor allem für die Populationen in unteren Höhenlagen wäre ein negativer Einfluss des Klimawandels zu erwarten. Es konnte allerdings kein klimabedingter Rückzug festgestellt wer-den; die Schutzbemühungen um das Edelweiß weisen eine positive Bilanz auf. Viele der Populationen in den unteren Höhenlagen, die v. a. durch das Pflücken vor einigen Jahrzehnten bedroht waren, konnten stabilisiert werden. Auch bei weiteren im Rahmen des BfN F+E Vorhabens „Auswirkungen des Klimawandels auf die Flora Deutschlands“ un-tersuchten Arten konnte keine eindeutige Aufwärtsverschiebung der unteren Höhengrenzen nachgewiesen werden.

Der Nachweis eines klimabedingten Rückzuges von Arten erweist sich somit weitaus schwieriger als der Nachweis sich ausbreitender Arten. Dies ist sowohl in methodischen Aspekten als auch in der Natur des Prozesses zu begrün-den. Verlässliche historische Vergleichsdaten liegen vor allem für die nördlichsten und höchst gelegenen Vorkommen vieler Arten vor; den Süd- bzw. Untergrenzen wurde bisher weniger Aufmerksamkeit gewidmet (Hampe & Petit 2005). Zudem sind die Ansprüche an den Detaillierungsgrad der Dokumentation der südlichsten bzw. tiefstgelege-nen Vorkommen höher, um sie als Vergleichsmaterial für Untersuchungen über Rückzugsprozesse heranzuziehen, da anzunehmen ist, dass sich erste Zeichen eines Rückzugsprozesses zunächst in der Populationsstruktur niederschla-gen, was eine quantitative Erfassung erfordert. Schlechter werdende Wachstumsbedingungen könnten sich zunächst auf die Reproduktion auswirken, während adulte Individuen mehrjähriger Arten weiterhin ausharren. Dies könnte im Weiteren zur Abnahme der Populationsgröße führen, sowie zu zunehmender Fragmentierung der Verbreitung bei zunächst gleich bleibenden absoluten Arealgrenzen. Die Untersuchungen von Pauli et al. (2006) in den öster-reichischen Alpen zeigten eine Abnahme der Deckungsgrade nivaler und subnivaler Arten und lieferten somit erste Hinweise darauf, dass die Untergrenzen der nivalen Arten in einer Aufwärtsverschiebung als Folge des Klimawan-dels begriffen sind.

Während Arealgrenzverschiebungen nach Norden und in größere Höhen häufig direkt durch klimatische Parameter bedingt sind, sind die begrenzenden Mechanismen an Süd- bzw. Untergrenzen zusammengesetzter. Hierbei spielen komplexe Wechselwirkungen und Konkurrenzbeziehungen eine große Rolle. Veränderte klimatische Rahmenbedin-gungen können zu Verschiebungen dieser Beziehungen führen. Die Ausmaße solcher Verschiebungen werden unter Umständen erst nach einer gewissen Vorlaufzeit deutlich sichtbar. Es ist zudem oft nur schwer möglich, den Anteil des Klimawandels im Verhältnis zu anderen Einflussgrößen wie z.B. Stickstoffeintrag bei Verschiebungen in den Konkurrenzbeziehungen eindeutig zuzuordnen.

Viele der untersten bzw. am südlichsten gelegenen Populationen, vor allem von naturschutzrelevanten Arten, be-finden sich in Schutzgebieten. Konkurrenzverschiebungen werden oft durch das Management in Schutzgebieten unterdrückt. Einerseits können dadurch bereits ablaufende Prozesse verschleiert und ihre Feststellung erschwert werden. Andererseits ist es (derzeit) möglich bestimmte Arten mit einem Biotopmanagement, das einer Konkurrenz-verschiebung entgegenwirkt, punktuell zu erhalten, da zumindest bei einigen untersuchten Arten die Untergrenze nicht rein physiologisch durch klimatische Parameter bedingt ist, sondern durch die Konkurrenz am Standort. Der erforderliche Aufwand könnte bei anhaltendem Klimawandel jedoch erheblich zunehmen und der Ausgang scheint in Anbetracht der Klimaprojektionen ungewiss.

Page 15: Klimawandel und Biodiversität - NABU · Wir alle wissen es: Der Klimawandel ist bereits grausame Realität. Mitte Januar wurde der Klimaatlas der europä-ischen Brutvögel in Brüssel

13NABU-Konferenz „Klimawandel und Biodiversität“ • Berlin • April 2008

Schlussfolgerungen

Die vorgestellten Beispiele zeigen, dass der ablaufende Klimawandel schon deutliche Auswirkungen auf die Ver-breitungsmuster einiger Pflanzen hat. Sowohl einheimische als auch exotische Arten, die empfindlich gegenüber niedrigen Temperaturen sind, können von der Erwärmung profitieren, wobei unterschiedliche Schlüsselfaktoren bzw. Schwellenwerte bei einzelnen Arten ausschlaggebend sind. Auch bei relativ seltenen Arten ist diese Möglichkeit gegeben, unter der Voraussetzung, dass entsprechende Habitate, die teils sehr spezifische Anforderungen erfüllen müssen, vorhanden sind.

Die begrenzenden Mechanismen an Süd- bzw. Untergrenzen sind komplexer und es ist weniger über die Reaktionen der Pflanzen auf den Klimawandel an ihren Süd- bzw. Untergrenzen bekannt. Veränderte klimatische Rahmenbe-dingungen können zu Verschiebungen in den Konkurrenzbeziehungen führen. Das Ausmaß solcher Verschiebungen wird unter Umständen erst nach einer gewissen Vorlaufzeit deutlich sichtbar.

Die Pflanzen reagieren artspezifisch auf veränderte Umweltbedingungen, was bei der Interpretation der Vegetati-onsveränderungen berücksichtigt werden muss. Die Lebensgemeinschaften, wie wir sie heute vorfinden, zeigen ihre charakteristische Zusammensetzung teils auf Grund der derzeit einwirkenden ökologischen Parameter, u. a. des Klimas, sind aber auch ein Produkt weiterer erdgeschichtlicher Ereignisse. In gleichem Maße ist auch ein potenziel-ler „Endzustand“ der zu erwartenden Vegetationsveränderungen als Folge des anhaltenden Klimawandels abhängig von der Variabilität artspezifischer Reaktionen sowie deren gegenseitiger Überlagerungen und Wechselwirkungen innerhalb der Ökosysteme. Die zu erwartenden Veränderungen sind dementsprechend viel komplexer als die Summe der Reaktionen der einzelnen Arten.

LiteraturAdamović, L. (1909): Die Vegetationsverhältnisse der Balkanländer. Engelmann, Leipzig.Berger, S., Soehlke, G., Walther, G.-R. & Pott, R. (2007): Bioclimatic limits of cold-hardy evergreen broad-leaved species at their northern

distributional limit in Europe. Phytocoenologia 37: 523-539. EEA (2004): EUA Signale 2004. Aktuelle Informationen der Europäischen Umweltagentur zu ausgewählten Themen. Amt für amtliche

Veröffentlichungen der Europäischen Gemeinschaften, Luxemburg. Grabherr, G., Gottfried, M. & Pauli, H. (1994): Climate effects on mountain plants. Nature 369: 448. Hampe, A. & Petit, R. J. (2005): Conserving biodiversity under climate change: the rear edge matters. Ecology letters 8: 461-467. Hofer, H. R. (1992): Veränderungen in der Vegetation von 14 Gipfeln des Berninagebietes zwischen 1905 und 1985. Ber. Geobot. Inst. ETH,

Stiftung Rübel, Zürich 58: 39-54.Iversen, J. (1944): Viscum, Hedera and Ilex as climatic indicators. Geol. Fören. Förhandl. 66: 463-483.Jäger, E. (1975): Wo liegen die Grenzen der Kulturareale von Pflanzen? Wissenschaftliche Beiträge der Martin-Luther-Univ. Halle-Wür-

tenberg, 1975/6 (P 4): 101-107.Klanderud, K. & Birks, H.J.B. (2003): Recent increases in species richness and shifts in altitudinal distributions of Norwegian mountain

plants. The Holocene 13(1): 1-6. Menzel, A., Sparks, T.H., Estrella, N., Koch, E., Aasa, A., Ahas, R., Alm-Kübler, K., Bissolli, P., Braslavska, O., Briede, A., Chmielewski,

F.M., Crepinsek, Z., Curnel, Y., Dahl, Å., Defila, C., Donnelly, A., Filella, Y., Jatczak, K., Måge, F., Mestre, A., Nordli, Ø., Peñuelas, J., Pirinen, P., Remišová, V., Scheifinger, H., Striz, M., Susnik, A., Van Vliet, A.J.H., Wiegolaski, F.-E., Zach, S. & Zust, A. (2006): Euro-pean phenological response to climate change matches the warming pattern. Glob. Chang. Biol. 12: 1969-1976.

Parmesan, C. & Yohe, G. (2003): A globally coherent fingerprint of climate change impacts across natural systems. Nature 421: 37-42.Pauli, H., Gottfried, M., Reiter, K., Klettner, C. & Grabherr, G. (2006): Signals of range expansions and contractions of vascular plants in the

high Alps: observations (1994–2004) at the GLORIA master site Schrankogel, Tyrol, Austria. Glob. Chang. Biol. 12: 1-10.Perring, F. H. & Walters, S. M. (1962): Atlas of the British Flora. 2. Aufl. Thomas Nelson and Sons, London.Pfeifer, M., Heinrich, W. & Jetschke, G. (2006): Climate, size, and flowering history determine flowering behaviour of Himantoglossum

hircinum (L.) (Orchidaceae). Botanical Journal of the Linnean Society 151: 511-526. Rebetez, M. & Reinhard, M. (2008): Monthly air temperature trends in Switzerland 1901-2000 und 1975-2004. Theoretical and Applied

Climatology 91: 27-34.Root, T.L., Price, J.T., Hall, K.R., Schneider, S.H., Rosenzweig, C. & J.A. Pounds (2003): Fingerprints of global warming on wild animals

and plants. Nature 421: 57-60.

Page 16: Klimawandel und Biodiversität - NABU · Wir alle wissen es: Der Klimawandel ist bereits grausame Realität. Mitte Januar wurde der Klimaatlas der europä-ischen Brutvögel in Brüssel

14 NABU-Konferenz „Klimawandel und Biodiversität“ • Berlin • April 2008

Rübel, E. (1912): Pflanzengeographische Monographie des Berninagebietes. Engelmann, Leipzig.Walter, H. & Straka, H. (1970): Arealkunde. Floristisch-historische Geobotanik. 2. Aufl. 478 S. Ulmer, Stuttgart.Walther, G.-R., Beissner, S. & Burga, C.A. (2005): Trends in upward shift of alpine plants. J. Veg. Sci. 16: 541-548.Walther, G.-R., Berger, S. & Sykes, M.T. (2005): An ecological ‘footprint’ of climate change. Proc. R. Soc. B 272: 1427-1432. Walther, G.-R., Burga, C.A. & Edwards, P.J. (Hrsg.) (2001): “Fingerprints“ of Climate Change – Adapted behaviour and shifting species

ranges. Kluwer Academic/Plenum Publishers, New York.Willems, J.H. (2002): A founder population of Orchis simia in The Netherlands: a 30-year struggle for survival. In: Kindlmann, P., Willems,

J.H. Whigham, D.F. (2002): Trends and fluctuations and underlying mechanisms in terrestrial orchid populations. Backhuys Publis-hers, Leiden. S. 23-32.

Danksagung

Die vorgestellten Projekte wurden von der DFG (WA 1523/6-1 und WA 1523/5-1), sowie der EU im Rahmen des 6. Rahmenprogramms mit dem integrierten Projekt „ALARM“ (GOCE-CT-2003-506675) und dem BfN (FKZ 80581001) unterstützt.

Page 17: Klimawandel und Biodiversität - NABU · Wir alle wissen es: Der Klimawandel ist bereits grausame Realität. Mitte Januar wurde der Klimaatlas der europä-ischen Brutvögel in Brüssel

15

Prof. Dr. Franz Bairlein & Dr. Ommo Hüppop

Institut für Vogelforschung „Vogelwarte Helgoland“, An der Vogelwarte 21, D-26386 Wilhelmshaven; e-mail: [email protected]

Das Klima wandelt sich rapide (IPCC 2007) und Vögel als besonders mobile Organismen reagieren darauf oftmals sehr rasch (Übersichten z.B. Bairlein & Winkel 2001, Crick 2004, Møller et al. 2004). Die Wirkungen des Klimawan-dels auf Vögel lassen sich im Wesentlichen vier Bereichen zuordnen: Veränderungen in phänologischen Ereignissen (z.B. Zugzeiten, Brutbiologie), Veränderungen im Zugverhalten (z.B. Zugbereitschaft, Zugweglänge), demographi-sche Veränderungen und Veränderungen in der geographischen Verbreitung.

Phänologische Veränderungen

Zugzeiten

Viele Zugvögel kommen heute um bis zu drei Wochen früher aus ihren Winterquartieren zurück als noch vor 30 Jahren und manche bleiben im Herbst länger im Brutgebiet. Etliche Arten neigen zunehmend zur Überwinterung in unseren Breiten. In einer Übersicht für 222 europäische Arten (Lehikoinen et al. 2004) kommen 172 Arten (77 %) heute früher in ihre Brutgebiete zurück als früher, bei 58 Arten (26%) ist dieser Trend signifikant. Die durch-schnittliche Verfrühung beträgt 0,373 Tage/Jahr. Die übrigen 50 Arten (23 %) kommen heute später zurück, 11 (5 %) signifikant. Der Anteil an Arten mit Verfrühung variiert mit 37,5-100 % stark zwischen verschiedenen Gebieten, wie übrigens auch die Entwicklung der Winter- und Frühjahrstemperaturen (IPCC 2007). In einer neueren Metaanalyse kommt Parmesan (2007) für 41 Datenreihen mit mehr als 10 Jahren aus den Jahren 1951-2000 zu einer durchschnitt-lichen Verfrühung des Heimzugs von ebenfalls 3,7 ± 0,70 Tage je 10 Jahre. Dabei sind Vögel stärker verfrüht als die Vegetation.

Ein eindrucksvolles Beispiel bieten die langfristigen Durchzugsdaten von Helgoland. Auf der Insel Helgoland betreibt das Institut für Vogelforschung „Vogelwarte Helgoland“ bereits seit 1911 und standardisiert seit 1960 den „Fanggar-ten“ (Abb. 1). Hier werden unter konstanten Bedingungen täglich ganzjährig durchziehende Kleinvögel mit Reusen gefangen, alljährlich etwa 15.000 Vögel. Dabei kommt der Analyse langfristiger Veränderungen besonders zu Gute, dass auf Helgoland nur ganz wenige Landvögel brüten. Die allermeisten Fänglinge sind also Durchzügler, und damit können die Zugzeiten im Frühjahr und Herbst alljährlich recht genau bestimmt werden. Zu 24 Arten liegen über den Zeitraum 1960 bis 2000 aus allen Jahren ausreichende Daten für eine Auswertung vor (Hüppop & Hüppop 2003). 23 dieser 24 Arten zeigen über diese 42 Jahre eine deutliche Verfrühung in ihrem Durchzug im Frühjahr (Abb. 2). Hauptsächliche Ursache für diese kontinuierliche Verfrühung ist die großräumige Witterungssituation im Winter und Frühjahr und deren Veränderung in den letzten Jahrzehnten.

klimawandel und Vogelwelt – eine kurze Übersicht

Abb. 1: Im Fanggarten der Inselstation Helgoland des Institut für Vogelforschung werden seit 1961 in immer gleicher Weise durchziehende Kleinvögel mit drei Trich-terreusen gefangen (Foto: O. Hüppop).

Page 18: Klimawandel und Biodiversität - NABU · Wir alle wissen es: Der Klimawandel ist bereits grausame Realität. Mitte Januar wurde der Klimaatlas der europä-ischen Brutvögel in Brüssel

16 NABU-Konferenz „Klimawandel und Biodiversität“ • Berlin • April 2008

Abb. 2: Jährliche mittlere Durchzugzeiten im Frühjahr von Gartengrasmücke als trans-Sahara Zieher und Buchfink als Kurz-/Mittelstreckenzieher auf Helgoland in den Jahren 1961-2000 (nach Hüppop & Hüppop 2003).

Nach Sparks et al. (2002) beträgt die temperaturbedingte Verfrühung durchschnittlich 2 Tage/°C, nach Lehikoinen et al. (2004) sogar 2,47-3,23 Tage/°C. Von besonderer Bedeutung ist die großräumige klimatische Situation, die durch die „Nordatlantische Oszillation“ (NAO, Hurrell et al. 2001) bestimmt ist. Speziell deren Winterindex hat sich in den letzten Jahrzehnten zu mehr positiven Werten verändert (z. B. Walther et al. 2002), und die Zugvögel reagie-ren auf diese entsprechen milderen Winter und Frühjahre. So zogen beispielsweise in Jahren mit jeweils positiven NAOI-Werten die Vögel auf Helgoland signifikant früher durch als in früheren Jahren mit negativen NAOI-Werten (Hüppop & Hüppop 2003). Dabei zeigten die Langstreckenzieher, die südlich der Sahara überwintern, stärkere Zu-sammenhänge mit den Veränderungen des NAOI als die Kurz- und Mittelstreckenzieher, deren Durchzugszeiten eher mit den lokalen Veränderungen der lokalen Temperatur im Frühjahr zusammenhingen (Abb. 3). Ursache für die Wirkung des NAO ist, dass sich mit den Veränderungen im nordatlantischen Klimagefüge im mittleren und nördlichen Westeuropa die Bedingungen für Zugvögel verbessern, in Südwesteuropa aber gleichzeitig verschlechtern (Bairlein & Hüppop 2004). Dort wird es nämlich im Winter und zeitigen Frühjahr zunehmend heißer und trockener. Dies hat erhebliche Auswirkungen auf die Verfügbarkeit von Lebensräumen und Nahrung für die Zugvögel, die hier, nach Durchquerung der Wüste, für den Weiterzug nach Nordeuropa Fettdepots aufbauen müssen. Die Vögel reagie-ren darauf, indem sie nur sehr kurz rasten und sofort nordwärts weiterziehen (Bairlein & Hüppop 2004). Dort finden sie dann die besseren Nahrungsbedingungen. Entsprechend fanden Hüppop & Hüppop (2007) Zusammenhänge der Zahl, der auf dem Heimzug gefangenen Vögel, mit den Niederschlagsraten im westlichen Mittelmeerraum. Zugleich „profitieren“ manche Zugvögel davon, dass mit der Änderung des Winter-NAOI mehr südwestliche und damit für den nordwärts ziehenden Vogel mehr Rückenwinde einhergehen. Offensichtlich beschleunigen bessere Nahrungsbe-dingungen den Heimzug und bestimmen so die heute frühere Ankunft von vielen Zugvögeln in Mittel- und Nord-europa, und ist wohl auch dafür verantwortlich, dass in positiven NAOI-Jahren auf Helgoland durchziehende Vögel durchschnittlich schwerer sind als den anderen Jahren (Bairlein & Hüppop 2004).

Zugvögel sind erheblich von den klimatischen Ereignissen entlang der Zugwege abhängig. So wird beim Trauer-schnäpper der Zugablauf im Frühjahr besonders von den Temperaturverhältnissen unterwegs bestimmt, und da diese in verschiedenen Regionen Europas unterschiedlich sind, sind auch die klimabedingten Veränderungen in den Frühjahrsankunftszeiten in unterschiedlichen Regionen verschieden (Hüppop & Winkel 2006). Auch für andere Langstreckenzieher ist das Ankunftsverhalten besonders von den Bedingungen in der Phase ihres Zuges in Europa bestimmt, wogegen das der Kurz- und Mittelstreckenzieher mehr von den Bedingungen im Winterquartier beein-flusst ist (Zalakavicius et al. 2006). Doch scheinen bei Langstreckenziehern auch Zusammenhänge mit den Bedin-gungen im afrikanischen Winterquartier möglich. So war das Ankunftsverhalten von sechs trans-Sahara ziehenden

Page 19: Klimawandel und Biodiversität - NABU · Wir alle wissen es: Der Klimawandel ist bereits grausame Realität. Mitte Januar wurde der Klimaatlas der europä-ischen Brutvögel in Brüssel

17NABU-Konferenz „Klimawandel und Biodiversität“ • Berlin • April 2008

Arten in Nordostspanien besonders von den Winterregen in Afrika bestimmt (Gordo et al. 2005). Ähnliches fanden auch Cotton (2003) für Ankunftsdaten in Großbritannien und Saino et al. (2007) für den Frühjahrsdurchzug auf Capri.

Sehr viel weniger Information liegt über Veränderungen der herbstlichen Wegzugzeiten vor, und diese sind weit weniger einheitlich (Lehkoinen et al. 2004). Auf Helgoland ziehen 14 von 26 Arten heute später durch als früher mit einer Verspätung von bis zu 9 Tagen, 6 Arten zeigen einen Trend zu verfrühtem Abzug (Hüppop & Hüppop 2005). Für über 43 Jahre auf dem Col de Bretolet, einem Pass in den Schweizer Alpen, untersuchte Zugvogelarten zeigt sich eine herbstliche Verspätung im Durchzug bei den trans-Sahara ziehenden Arten, allerdings einen früheren Wegzug bei den Arten, die nördliche der Sahara in N-Afrika und S-Europa überwintern (Jenni & Kerry 2003).

Legebeginn

Nicht nur die Zugzeiten, sondern auch das Brutverhalten ist von Auswirkungen der Klimaerwärmung betroffen (Lehikoinen et al. 2004, Both & te Marvelde 2007). Viele Vogelarten brüten heute wesentlich und signifikant früher als noch vor 30 oder 40 Jahren. In Großbritannien verfrühten 20 von 65 untersuchten Vogelarten ihren Bruttermin, nur eine Art brütet heute später als früher, die anderen zeigten keine Veränderungen. Die Verfrühung beträgt bei

Abb. 3: Abhängigkeit des Frühjahrszuges auf Helgoland am Beispiel eines Kurz-/Mittelstreckenziehers (Rotkehlchen) und eines Langstreckenziehers (Dorngrasmücke) von der lokalen Temperatur im Frühjahr bzw. dem Index der Nord-atlantischen Oszillation (aus Hüppop & Hüppop 2003).

Page 20: Klimawandel und Biodiversität - NABU · Wir alle wissen es: Der Klimawandel ist bereits grausame Realität. Mitte Januar wurde der Klimaatlas der europä-ischen Brutvögel in Brüssel

18 NABU-Konferenz „Klimawandel und Biodiversität“ • Berlin • April 2008

den einzelnen Arten zwischen 4 und 17 Tagen, durchschnittlich 9 Tage in den vergangenen 25 Jahren. Wasservögel sind in gleicher Weise betroffen wie Insekten fressende Singvögel, ungeachtet ob Standvogel oder Zugvogel, und Körnerfresser (Crick et al. 1997). Dabei sind die Ergebnisse zum Brutbeginn nicht einheitlich und reflektieren Unter-schiede zwischen Arten und Regionen. Antarktische Seevögel haben seit 1950 hingegen ihren Brutbeginn im Mittel um 2,1 Tage verspätet, bei gleichzeitiger verspäteter Rückkehr in die Kolonie um 9,1 Tage (Barbraud & Weimerskirch 2006).

Die meisten Veränderungen in den Legezeiten lassen sich wiederum durch Veränderungen in der lokalen Tempera-tur erklären (z. B. Møller et al. 2006). Für den Trauerschnäpper zeigten Both et al. (2005), dass die Legezeiten in den Niederlanden mit den Temperaturen in Nordafrika korrelieren.

Ein besonderes Problem ergibt sich aus unterschiedlichen Raten der Verfrühung in Ankunftszeiten und Legebegin-nen (z.B. Ahola et al. 2004) und Legebeginne und Beuteangebot andererseits (Visser et al. 1998). Dadurch kann es zu einer Entkopplung von Zug- und nachfolgenden Brutereignissen kommen mit vielfältigen Konsequenzen für Fitness und Überleben (z. B. Both et al. 2006, Both & te Marvelde 2007).

Veränderungen im Zugverhalten

Abgesehen von phänologischen Veränderungen sind andere Veränderungen im Zugverhalten bisher nur wenig un-tersucht. Fiedler et al. (2004) fanden Verkürzungen der Zugstrecken und Veränderungen zugbezogener Morphome-trie. Nach Bairlein & Hüppop (2004) könnten die zugzeitliche Fettdeposition und das Rastverhalten insbesondere im Mittelmeerraum vom Klimawandel betroffen sein. Erwartet wird auch eine Abnahme der Zugbereitschaft bei Kurz- und Mittelstreckenziehern sowie ein zukünftig höherer Anteil an Kurzstreckenziehern und Standvögeln, da Langsteckenzieher in ihrem Zugverhalten mehr durch ihr genetisches Programm bestimmt sind, im Gegensatz zu Standvögeln und Kurz- und Mittelstreckenziehern, deren Verhalten mehr von der Witterung und somit vom Klima bestimmt ist (Pulido & Berthold 2004, Pulido 2007). Auf Helgoland hat der Anteil durchziehender Langstreckenzie-her an den Fänglingen entsprechend ab, der der Kurzstreckenzieher seit 1960 kontinuierlich zugenommen (Abb. 4; Hüppop & Hüppop 2007). Dadurch kann sich die Zusammensetzung von Vogelgemeinschaften erheblich verän-dern.

Abb. 4: Verhältnis von im Fanggarten auf Helgoland gefangenen Kurz-/Mittelstrek-kenziehern (KMZ) zu Langstreckenziehern (LZ) (nach Hüppop & Hüppop 2007).

Doch auch die zeitliche Abfolge von aufeinander folgenden Zugereignissen könnte durch den Klimawandel beein-flusst sein. Viele arktische Zugvögel, so die Gänse, sind für einen erfolgreichen Zug in die Brutgebiete und für dort erfolgreiches Brüten von den Ernährungsbedingungen im mitteleuropäischen Winterquartier und in oftmals nur einem einzigen Rastgebiet abhängig. Durch die zunehmend milderen Winter und Frühjahre beginnt das Pflanzen-wachstum im Winterquartier bei uns heute erheblich früher und die Gänse ziehen deshalb heute bei uns früher ab als noch vor einigen Jahrzehnten. Am Weißen Meer ist die Temperaturerhöhung zu dieser Jahreszeit aber weniger ausgeprägt, in Sibirien noch nahezu überhaupt nicht. Dies bedeutet für die Gänse, dass sie am Weißen Meer und erst

Page 21: Klimawandel und Biodiversität - NABU · Wir alle wissen es: Der Klimawandel ist bereits grausame Realität. Mitte Januar wurde der Klimaatlas der europä-ischen Brutvögel in Brüssel

19NABU-Konferenz „Klimawandel und Biodiversität“ • Berlin • April 2008

recht in Sibirien eintreffen, wenn es dort noch kaum oder nichts zu fressen gibt. Damit können sie nicht erfolgreich brüten und es ist zu erwarten, dass sich dies schon bald auf die Bestände auswirken wird (Julia Stahl, mdl.; Bauer et al. 2008).

Demographische Veränderungen

Noch wenig verstanden sind die Konsequenzen von früherer Rückkehr, früherem Brüten, Asynchronie in phänolo-gischen Ereignissen, oder verspätetem Wegzug für die Demographie und Bestandsentwicklung der Arten (Saether et al. 2004). Bei norddeutschen Kohl- und Blaumeisen Parus caeruleus, Kleibern Sitta europaea und Trauerschnäppern Ficedula hypoleuca haben sich die Legebeginne verfrüht, Gelegegröße und Bruterfolg aber nur beim Trauerschnäp-per erhöht (Abb. 5; Bairlein & Winkel 2001). Beim Aleutenalk Ptychoramphus aleuticus war der Bruterfolg von der Südlichen Oszillation (SOI) bestimmt und sie erklärt den anhaltend jährlichen Rückgang der Bestände (Lee et al. 2007).

Klimabedingte Veränderungen sind auch für die inner- und zwischenartliche Konkurrenz und für Räuber-Beute-Bezie-hungen beschrieben (z.B. Ahola et al. 2007). Bei Kurzschna-belgänsen Anser brachyrhynchos erhöhen wärmere Winter in dänischen Überwinterungsgebieten und zeitigere Frühjahre in den nord-norwegischen Rastgebieten auf Grund der bes-seren Verfügbarkeit von Nahrung die Überlebensrate und die nachfolgende Fekundität (Kery et al. 2006). Einen inter-essanten Fall zur Rolle, die die trophische Stellung der Arten spielt, berichten Kitaysky & Golubova (2000). Im NW Pazifik nebeneinander vorkommende Alkenvögel und Papageitau-cher unterscheiden sich in ihrer Reaktion auf Veränderungen der Oberflächentemperatur. Während der Bruterfolg bei den Plankton fressenden Alken mit zunehmender Temperatur abnahm, nahm diese bei den Fisch fressenden Papageitau-chern zu. Klimaveränderungen werden auch als verantwort-lich gesehen für die Bestandsabnahme des Auerhuhns Tetrao urogallus in Schottland (Moss et al. 2001) und den Rückgang der Ringdrossel Turdus torquatus in Großbritannien (Beale et al. 2006).

Durchschnittlich mildere Winter in den letzten Jahren schei-nen eine Rolle bei den jüngsten Rückgängen im Wattenmeer überwinternden Eiderenten zu spielen. Allein im niedersäch-sischen Wattenmeer hat sich der Winterbestand an Eideren-ten Somateria mollissima in den letzten Jahren halbiert (Scheiffarth & Frank 2006). Als wichtige Ursache dafür wird diskutiert, dass die milderen Wintertemperaturen dazu führen, dass die Miesmuscheln, die wichtigste Winternah-rung für Eiderenten, einen höheren Anteil ihres Weichkörpers selbst verbrauchen, wodurch sich der für die Eider-enten verdaubare Fleischanteil bei gleich bleibender Schalengröße reduziert. Dadurch entsteht ein Missverhältnis zwischen aufnehmbarer Energie und der Energie, die für Fressen und Aufschluss dieser „schlechteren“ Muscheln aufzubringen ist. Da nun die Eiderenten nicht mehr Muscheln fressen können, als in ihren Magen passen, hat dies zur Folge, dass die Eiderenten trotz eigentlich mengenmäßig gutem Muschelangebot und gefüllter Mägen verhungern (Scheiffarth & Frank 2006). Mildere Winter dürften ganz allgemein die trophischen Beziehungen im Wattenmeer beeinträchtigen mit vielfältigen Folgen auch für Vögel (Bairlein & Exo 2007).

Abb. 5: Mittlere jährliche Schlüpftermine (Qua-drate), Gelegegröße (Punkte) und Anzahl ausge-flogener Jungvögel (Kreise) beim Trauerschnäpper in einem norddeutschen Untersuchungsgebiet (nach Bairlein & Winkel 2001).

Page 22: Klimawandel und Biodiversität - NABU · Wir alle wissen es: Der Klimawandel ist bereits grausame Realität. Mitte Januar wurde der Klimaatlas der europä-ischen Brutvögel in Brüssel

20 NABU-Konferenz „Klimawandel und Biodiversität“ • Berlin • April 2008

Arealveränderungen

Wo ein Vogel dauerhaft siedeln kann, hängt u.a. entscheidend von seiner Stoffwechselleistung und der Fähigkeit ab, seine Körpertemperatur zu regulieren (z.B. Bairlein 1996). Bei 45 % der Landvogelarten und der Arten der Binnen-gewässer bestehen besonders enge Beziehungen zwischen ihrer Verbreitung und den Temperaturbedingungen im Sommer (Böhning-Gaese & Lemoin 2004). Somit ist davon auszugehen, dass der Klimawandel auch Konsequenzen für die Verbreitung dieser Arten haben wird. Bei vielen Arten nördlicher Breiten zeigt sich eine nordwärts gerichtete Ausbreitung (Thomas & Lennon 1999, Hickling et al. 2006, Drever & Clark 2007). In Ausbreitung nach Zentraleuro-pa sind derzeit beispielsweise Bienenfresser Merops apiaster (Todte 2003), Schwarzkopfmöwe Larus melanocephalus (Meister 2006) oder Silberreiher Casmerodius albus (Brandt 2007).

Während also einige Arten eine Verlagerung und/oder Erweiterung ihres bisherigen Brutgebietes erfahren werden, wird es bei anderen zu einer Kontraktion ihrer bisherigen Verbreitung kommen. Dies betrifft insbesondere arktische und hoch montane Arten, aber auch Arten der borealen und subalpinen Wälder. Im Lichte des fortschreitenden Klimawandels zeigt eine Modellierung der geographischen Verbreitung der Brutvögel Europas im Lichte des beob-achteten und noch zu erwarteten Klimawandels, dass sich die potenziellen geographischen Vorkommen um bis zu mehr als 1000 km verlagern könnten (Huntley et al. 2006). Es wird zudem erwartet, dass insbesondere Arten mit eingeschränkter Verbreitung und auf besondere Lebensräume spezialisierte Arten erhebliche Kontraktionen in der Brutverbreitung erfahren werden. Besonders betroffen dürften Zugvögel sein, da bei diesen sowohl Brutgebiete und Winterquartiere als auch Rastgebiete beeinflusst werden (Huntley et al. 2006). Für die 426 betrachteten europäischen Brutvogelarten ergibt sich im Mittel eine Reduktion ihrer Brutverbreitung von etwa 19 % und eine Reduktion der Vogelartenzahl von etwa 9 % (Huntley et al. 2006). Für 29 Arten beträgt die erwartete Reduktion der Brutverbreitung in Europa sogar mehr als 90 %.

In einer umfassenden Modellierung haben jüngst Huntley et al. (2007) die allein auf Grund der Erwärmung zu erwartende zukünftige Verbreitung aller europäischen Brutvogelarten abgeschätzt. Ungeachtet gewisser Unsicher-heiten in solchen Vorhersagen und der sonstigen landschaftlichen Veränderungen (z. B. durch Landnutzung) und landschaftlichen Voraussetzungen (z. B. Vorhandensein entsprechender Lebensräume) wird allein der Klimawandel mit geänderten Temperatur- und Niederschlagsverhältnissen die potenzielle Verbreitung und regionale Zusammen-setzung Vogelwelt am Ende dieses Jahrhunderts erheblich verändert haben können, insbesondere durch eine erheb-liche Verschiebung der derzeitigen Vorkommen. Der Schwerpunkt der Vogelartenvielfalt in Europa wird sich nach diesen Modellen nach Nordosten verschieben und die Überschneidung zwischen derzeitiger und möglicher zukünf-tiger Verbreitung wird durchschnittlich nur etwa 40 % betragen (s. auch Schäffer 2008).

Vom Klimawandel besonders betroffen dürften auch die Salzwiesen des Wattenmeeres sein (Bairlein & Exo 2007). Die Klimaerwärmung ist verbunden mit einem Anstieg des Meeresspiegels. Weltweit hat sich der durchschnittliche Meeresspiegel in den letzten Jahren um etwa 3 mm je Jahr erhöht (ICPP 2007). Dies mag wenig erscheinen, hat aber vielfältige Auswirkungen auf Küstenregionen, und viele Vorhersagen gehen davon aus, dass sich der Anstieg des Meeresspeiegels beschleunigen wird. Ansteigender Meeresspiegel bei gleichzeitig durch Deiche festgelegten Küsten-linien bedeutet zwangsläufig, dass die Fläche der Salzwiesen abnehmen, aber auch ihre Zusammensetzung verändert wird (Bairlein & Exo 2007).

Von bereits erheblichen klimabedingten Veränderungen in Buchenwäldern oder Feuchtgebieten berichten Boye & Klingenstein (2006). Sie dürften für an solche Lebensräume besonders angewiesene Vogelarten nicht ohne Folgen sein. Ähnliches gilt sicherlich auch für die Arten der Taiga, für die Balzter et al. (2007) massive Veränderungen und Gefährdungen durch den Klimawandel annehmen, und für Arten der Hochgebirge.

Page 23: Klimawandel und Biodiversität - NABU · Wir alle wissen es: Der Klimawandel ist bereits grausame Realität. Mitte Januar wurde der Klimaatlas der europä-ischen Brutvögel in Brüssel

21NABU-Konferenz „Klimawandel und Biodiversität“ • Berlin • April 2008

Fazit

Im Zuge der Klimaänderungen werden sich das Verhalten, die Demographie oder die Verbreitung der Arten weiterhin verändern und so die zukünftige Zusammensetzung unserer Vogelwelt, ohne dass wir heute sicher vorhersagen kön-nen, wie sie dann lokal, regional und landesweit aussehen wird. Vieles wird davon abhängen, wie sich die einzelnen Arten an diese Veränderungen anpassen und ihnen folgen können. Damit die Arten diesen Veränderungen folgen können, braucht es intakte Bestände und Lebensräume. Effizienter und effektiver Naturschutz ist deshalb mehr denn je unverzichtbar. Gleichzeitig bedarf es aber auch der Entwicklung mehr flexibler Naturschutzkonzepte, die die klima-bedingten Veränderungen nachhaltig berücksichtigen können, und gegebenenfalls veränderte Naturschutzziele.

LiteraturAhola, M. P., T. Laaksonen, K. Sippola, T. Eeva, K. Rainio & E. Lehikoinen (2004). Variation in climate warming along the migration route

uncouples arrival and breeding dates. Global Change Biol. 10: 1610-1617.Ahola, M. P., T. Laaksonen, T. T. Eeva & E. Lehikoinen, E. (2007): Climate change can alter competitive relationships between resident and

migratory birds. J. Animal Ecol. 76: 1045-1052.Bairlein, F. (1996). Ökologie der Vögel. G. Fischer, Stuttgart.Bairlein, F. & K. M. Exo (2007). Climate change and migratory waterbirds in the Wadden Sea. Wadden Sea Ecosystem 23: 43-52Bairlein, F. & O. Hüppop (2004): Migratory fuelling and global climate change. Adv. Ecol. Res. 35: 33-47.Bairlein, F. & W. Winkel (2001): Birds and climate change. In: Lozan, J. L., H. Graßl, P. Hupfer (eds.): Climate of the 21st Century: Changes

and Risks, 278-282. Wissenschaftliche Auswertungen, Hamburg.Balzter, H., F. Gerard, G. Weedon, W. Grey, B. Combal, E. Bartholome, S. Bartalev & S. Los (2007). Coupling of vegetation growing season

anomalies with hemispheric and regional scale climate patterns in Central and East Siberia, J. Climate 20: 3713–3729.Barbraud, C. & H. Weimerskirch (2006): Antarctic birds breed later in response to climate change. Proc. Nat. Acad. Sciences 103: 6248-

6251.Bauer, S., M. van Dinther, K.-A. Høgda, M. Klaassen & J. Madsen (2008). The consequences of climate-driven stop-over sites changes on

migration schedules and fitness of Arctic geese. J. Anim. Ecol., doi: 10.1111/j.1365-2656.2008.01381.xBeale, C. M., L. J. Burfield, Sim Imw, G. W. Rebecaa, J. W. Pearce-Higgins & M. C. Grant (2006): Climate change may account for the

decline in British ring ouzels Turdus torquatus. J. Animal Ecol. 75: 826–835.Böhning-Gaese, K. & N. Lemoine (2004): Importance of climate change for the ranges, communities and conservation of birds. Adv. Ecol.

Res. 35: 211-236.Both, C. & L. te Marvelde (2007). Climate change and timing of avian breeding and migration throughout Europe. Climate Res. 35: 93-

105.Both, C.., R. G. Bijlsma & M. E. Visser (2005) Climatic effects on spring migration and breeding in a long distance migrant. J. Avian Biol.

36: 368-373.Both, C., S. Bouwhuis, C. M. Lessells & M. E. Visser (2006): Climate change and population declines in a long-distance migratory bird.

Nature 441: 81-83.Boye, P. & F. Klingenstein (2006): Naturschutz im Wandel des Klimas. Natur u. Landschaft 81: 574-577Brandt, T. (2007). Silberreiher � Die großen Weißen kommen. Der Falke 54: 172-178.Cotton, P. A. (2003): Avian migration phenology and global climate change. Proc. Nat. Acad. Sci. 100: 12219-12222.Crick, H. Q. P. (2004): The impact of climate change on birds. Ibis 146 suppl. 1: 48-56.Crick, H. Q. P., C. Dudley, D. E. Glue & D. L. Thomson (1997): UK birds are laying eggs earlier. Nature 388: 526.Drever, M. C. & R. G. Clark (2007): Spring temperature, clutch initiation date and duck nest success: a test of the mismatch hypothesis. J.

Anim. Ecol. 76: 139–148.Fiedler, W., F. Bairlein & U. Köppen (2004): Using large-scale data from ringed birds for the investigation of effects of climate change on

migrating birds: pitfalls and prospects. Adv. Ecol. Res. 35: 49-67.Gordo, O., L. Brotons, X. Ferrer & P. Comas (2005). Do changes in climate patterns in wintering areas affect the timing of the spring arrival

in trans-Saharan migrant birds? Global Change Biol. 11: 2-21.Hickling R., D. B. Roy, J. K. Hill & R. Fox (2006). The distribution of a wide range of taxonomic groups are expanding polewards. Global

Change Biol. 12: 450-455. Huntley, B., R. E. Green, Y. C. Collingham & S. G. Willis (2007). A climatic atlas of European breeding birds. Lynx, Barcelona.Huntley, B., Y. C. Collingham, R. E. Green, G. M. Hilton, C. Rahbek & S. G. Willis (2006): Potential impacts of climatic change upon geo-

graphical distributions of birds. Ibis 148: 8-28

Page 24: Klimawandel und Biodiversität - NABU · Wir alle wissen es: Der Klimawandel ist bereits grausame Realität. Mitte Januar wurde der Klimaatlas der europä-ischen Brutvögel in Brüssel

22 NABU-Konferenz „Klimawandel und Biodiversität“ • Berlin • April 2008

Hüppop, K. & O. Hüppop (2005): Atlas zur Vogelberingung auf Helgoland Teil 3: Veränderungen von Heim- und Wegzugzeiten von 1960 bis 2001. Vogelwarte 43: 217–248.

Hüppop, K. & O. Hüppop (2007): Atlas zur Vogelberingung auf Helgoland Teil 4: Fangzahlen im Fanggarten von 1960 bis 2004. Vogelwarte 45: 145–207.

Hüppop, O. & K. Hüppop (2003): North Atlantic Oscillation and timing of spring migration in birds. Proc. R. Soc. Lond. B. 270: 233-240.Hüppop, O. & W. Winkel (2006). Climate change and timing of spring migration in the long-distance migrant Ficedula hypoleuca in Cen-

tral Europe: the role of spa-tially different temperature changes along migration routes. J Ornithol 147: 344-353Hurrell, J. W., Y. Kushnir & M. Visbeck (2001). The North Atlantic Oscillation. Science 291: 603-605.Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) (2007). Climate change 2007. IPCC Secretariat, World Meteorological Organization,

Genf (www.ipcc.ch) Jenni, L. & M. Kery (2003): Timing of autumn bird migration under climate change: advances in long-distance migrants, delays in short-

distance migrants. Proc. R. Soc. Lond. B 270: 1467–1471.Kery, M., J. Madsen, J.-D. Lebreton (2006): Survival of Svalbard pink-footed geese Anser brachyrhynchus in relation to winter climate,

density and land-use. J. Animal Ecol. 75: 1172–1181.Kitaysky, A. & E. G. Golubova (2000): Climate change causes contrasting trends in reproductive performance of planktivorous and pis-

civorous alcids. J. Animal Ecol. 69: 248-262.Lee, D. E., N. Nur, W. J. Sydeman (2007) Climate and demography of the planktivorous Cassin’s Auklet Ptychoramphus aleuticus off north-

ern California: implications for population change. J. Animal Ecol. 76: 337–347.Lehikoinen, E., Sparks, R.H. and Zalakevicius, M., 2004. Arrival and departure dates. Adv. Ecol Res. 35: 1-32.Meister, P. (2006). Schwarzkopfmöwe � weiter auf dem Vormarsch? Der Falke 53: 384-389.Møller, A., W. Fiedler, P. Berthold (2004): Birds and climate change. Advances Ecol. Research, Vol. 35. Elsevier, Amsterdam.Moss, R., J. Oswald & D. Baines (2001) Climate change and breeding success: decline of the capercaillie in Scotland. J. Anim. Ecol. 70:

47-61.Parmesan, C. (2007): Influences of species, latitudes and methodologies on estimates of phenological response to global warming. Global

Change Biology 13: 1860–1872.Pulido, F. & P. Berthold (2004). Microevolutionary response to climate changes. Adv. Ecol. Res. 35: 151-183. Pulido, F. (2007). Phenotypic changes in spring arrival: evolution, phenotypic plasticity, effects of weather and condition. Climate Res. 35:

5-23.Sæther, B.-E., J. Tufto, S. Engen, K. Jerstad, O. W. Røstad & J. E. Skåtan (2000): Population dynamical consequences of climate change for

a small temperate songbird. Science 287: 854-856.Saino, N., D. Rubolini, N. Jonzen, T. Ergon, A. Montemaggiori, N. C. Stenseth & F. Spina (2007). Temperature and rainfall anomalies in

Africa predict timing of spring migration in trans-Sahara migratory birds. Climate Res. 35: 123-134.Schäffer, N. (2008). Unsere Vogelwelt am Ende dieses Jahrhunderts: Vögel 2100. Falke 55: 50-57. Scheiffarth, G. and Frank, D., 2006. Eiderentensterben im niedersächsischen Wattenmeer: der Einfluss der Nahrungsqualität auf Bestand

und Kondition der Eiderente. Abschlussbericht des Projektes 16/00 der Niedersächsischen Wattenmeerstiftung, Institut für Vogelfor-schung ”Vogelwarte Helgoland“, Wilhelmshaven.

Sparks, T., H. Crick, N. Elkins, R. Moss, S. Moss & K. Mylne (2002). Birds, weather and climate. Weather 57: 399 - 410.Thomas, C. D., J. J. Lennon (1999): Birds extend their ranges northwards. Nature 399: 213.

Todte, I. (2003): Einwanderer mit Zukunft: Bienenfresser in Deutschland. Der Falke 50: 202-207.Visser, M. E., A. J. van Noordwijk, J. M. Tinbergen & C. M. Lessells CM (1998). Warmer springs lead to mistimed reproduction in great tits

(Parus major). Proc R Soc Lond Ser B 265:1867–1870Walther, G.-R., E. Post, P. Convey, A. Menzel, C. Parmesan, T. J. C. Beebee, J.-M. Fromentin, O. Hoegh-Guldberg & F. Bairlein (2002):

Ecological responses to recent climate change. Nature 416: 389-395.Zalakavicius, M., G. Bartkeviciene, L. Raudonikis & J. Janulaitis (2006). Spring arrival response to climate change in birds: a case study

from eastern Europe. J. Ornithol. 147: 326–343

Die Originalarbeit wurde in der Zeitschrift ARTENSCHUTZREPORT (Heft 23) veröffentlicht.

Page 25: Klimawandel und Biodiversität - NABU · Wir alle wissen es: Der Klimawandel ist bereits grausame Realität. Mitte Januar wurde der Klimaatlas der europä-ischen Brutvögel in Brüssel

23

Prof. em. Dr. Gerd Müller-Motzfeld

Zoologisches Institut & Museum, Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald D-17489 Greifswald, J.-S.-Bach-Str. 11/12

Einleitung

Bereits in den 1930er Jahren berichteten Entomofaunisten über den akuten Faunenwandel in ihrer Zeit (Gersdorf 1937, Horion, 1938 u.a.). Es waren sowohl drastische Änderungen der Landnutzung, später dann der Einsatz von Agrochemikalien (Mineraldünger, Biozide u.a.) und großflächige Hydromeliorationen, die als Ursachen solchen Fau-nenwandels erkannt wurden (Hammond 1974, Müller-Motzfeld 2000), als auch periodische Klimaschwankun-gen (Horion 1938) auf die vor allem thermophile Käfer reagierten. Die klimatisch bedingten Faunenveränderungen wurden zunächst noch als so genannte „natürliche“ den „anthropogenen“ Veränderungen gegenübergestellt. Erst am Ende des 20. Jahrhunderts mehrten sich die Hinweise dafür, dass jene vermeintlich natürlichen klimatischen Prozesse ebenfalls durch den Menschen entscheidend überformt werden können und möglicherweise die in den letzten Jahrmillionen ablaufende globale Rhythmik von Kalt- und Warmzeiten nun im 21. Jahrhundert aus dem Ruder laufen könnte (Schellnhuber & Sterr 1993). Als Hauptursachen dieses globalen Klimawandels werden das zunehmende Freisetzen von klimarelevanten Gasen aus dem „industriellen Stoffwechsel“ der Menschen durch den Verbrauch fossiler Rohstoffe und der Raubbau an Wäldern, Mooren und anderen organischen „Kohlenstoffsenken“ genannt.

Während die zunächst sehr vorsichtigen Prognosen der Klimaforscher bezüglich des globalen Temperaturanstiegs und der damit auf komplizierte Weise gekoppelten Zunahme von Niederschlägen jn humiden Gebieten häufig in lokalen Szenarien nach unten korrigiert werden mussten, war die dritte Komponente des globalen Klimaeffekts, der Meeresspiegelanstieg, bisher eher nach oben zu korrigieren.

Daß diese Überlagerung der natürlichen klimatischen Variabilität durch anthropogene Einflüsse auch für den Na-turschutz zunehmend an Bedeutung gewinnt, wurde bereits im Rahmen eines Fachgesprächs auf der Insel Vilm deutlich, zu dem das Bundesamt für Naturschutz (BfN ) im Jahre 1994 in Vorbereitung der ersten Vertragsstaa-tenkonferenz der Klimarahmenkonvention (Berlin 1995) eingeladen hatte. Die Ergebnisse dieser Fachdiskussionen wurden (einschließlich einer zusammenfassenden Resolution) unter dem Titel „Klimaänderungen und Naturschutz“ in der Zeitschrift des BfN „Angewandte Landschaftsökologie“ Heft 4 veröffentlicht und mit einem Geleitwort der damaligen Bundesumweltministerin versehen.

Die Insekten als artenreichste Tiergruppe der Erde sollte die Konsequenzen eines Klimawandels aus verschiedenen Blickwinkeln verdeutlichen können: So sind Insekten einmal schnell reagierende Indikatoren für die Klima-Progno-se, zum anderen ergeben sich durch einwandernde Schädlinge, Parasiten und Krankheitsüberträger akute Probleme in der Land-, Forst- und Nahrungsgüter-Wirtschaft, sowie dem Gesundheitswesen.

Anhand der in ökofaunistischen Untersuchungen beliebten Indikatorgruppe der Laufkäfer soll hier überprüft wer-den, wie sicher unsere Aussagen zu den derzeitigen Reaktionen der Insektenwelt auf Klimaveränderungen sind. Aus-gehend von einer groben chorologischen Analyse der Laufkäferfauna Mitteleuropas sollen dann die aktuellen fauni-stischen Trends abgeleitet und dafür einzelne Beispiele genannt werden. Dabei wird sich eine besondere Betroffenheit für kaltstenotherme Arten und Salz- und Küstenarten ableiten lassen. Ein Rückblick auf die jüngere Fossilgeschichte (Pleistozän) soll helfen, die derzeitigen Veränderungen etwas nüchterner zu betrachten und Konsequenzen für den Naturschutz (besonders auch für die FFH-Arten und –Lebensräume) zu erkennen.

Faunenveränderungen bei Laufkäfern Mitteleuropas (Insecta, Coleoptera, Carabidae) – indikation und zeitmaß

Page 26: Klimawandel und Biodiversität - NABU · Wir alle wissen es: Der Klimawandel ist bereits grausame Realität. Mitte Januar wurde der Klimaatlas der europä-ischen Brutvögel in Brüssel

24 NABU-Konferenz „Klimawandel und Biodiversität“ • Berlin • April 2008

Indikation von Faunenveränderungen

Mit der unten stehenden Abb.1 wird noch einmal schematisch auf den Zusammenhang zwischen den verschiedenen Teilprozessen von Veränderungen (Bestandsschwankungen, Faunenwandel, Artenschwund u.a.) mit ihren zeitlichen und räumlichen Dimensionen aufmerksam gemacht. Um langfristige Trends der Veränderung der Fauna, wie sie etwa durch Klimawandel hervorgerufen werden können, von kurzfristigen Bestandsschwankungen zu unterschei-den, bedarf es der Anwendung spezieller ökofaunistischer Auswertungs- Verfahren (Müller-Motzfeld 1984) und natürlich der möglichst kontinuierlichen Erhebung von Felddaten im Sinne eines Monitoring (siehe dazu auch Drö-schmeister & Gruttke 1998). Langfristigere Zeitreihen ökofaunistischer Erhebungen sind in Deutschland eher eine Seltenheit, allgemein lassen sich die in Abb.1 genannten Prozesse nur anhand solcher Zeitreihen differenzieren. Die Anfangsphasen von langfristigen Veränderungen (z.B. Sukzessionen) beginnen zunächst als einfache Abun-danz- und Dominanz-Struktur-Verschiebungen in den Beständen und sind zunächst von witterungsbedingten Be-standsschwankungen nicht zu unterscheiden. Mit Hilfe der Methoden einer „Quantitativen Ökofaunistik“ gelingt es aber, langfristige gerichtete Veränderungen der Fauna zu erkennen und entsprechende Aussagen zum zeitlich/räumlichen Umfang dieser Veränderungen zu treffen (Müller-Motzfeld 1990). Für die Beurteilung möglicher Ursachen von Veränderungen erschien es bislang sinnvoll zwischen „natürlichen“ (z.B. klimatogenen) und „künstli-chen“ (anthropogenen) Veränderungen zu unterscheiden (Abb.2). Letztere führten vor allem mit der Ausbreitung der „industriellen Landwirtschaft“ in den 1960er Jahren zu einem drastischen Artenschwund in Mitteleuropa, von dem u.a. auch ganz besonders die „Agrozönose-Elemente“ unter den Laufkäfern betroffen waren (Müller-Motzfeld 2000), Faunen-Elemente also, die als „Archäozoen“ überhaupt erst durch die Einführung des Ackerbaus nach Mit-teleuropa gelangt waren.

Abb. 1: Räumliche und zeitliche Dimension von Veränderungen der Fauna

Dabei wirken „innere“ (z.B.: ökophysiologische oder ethologische Adaptationen) und „äußere“ Ursachen (Klimaein-flüsse, Landnutzungsänderungen u.a.) zusammen und so ergibt dies in Relation zu den sich ebenfalls ständig ver-ändernden Einnischungsverhältnissen (Konkurrenz, trophischen Beziehungen u.a.) ein sehr kompliziertes Gefüge (Abb.3), das letztlich auf die Alternative: Aussterben / Evolution, hinzielt.

Die Fauna eines Gebietes ist also nichts Statisches, wie früher einmal angenommen wurde, sondern unterliegt stän-digen Veränderungen auf den unterschiedlichsten o.g. räumlich/zeitlichen Ebenen. Gerade die Fauna Mitteleuropas war, wie noch zu zeigen sein wird, in den vergangenen ca. 2 Millionen Jahren von größeren +/- periodischen Klima-veränderungen geprägt worden (Litt 2007), die im populären Vorstellungsbild der Menschen unserer Zeit mit 3-4 so genannten „Eiszeiten“ identifiziert werden, in Wirklichkeit sind aber über 100 bedeutendere Klimaschwankungen nachweisbar.

Faunenveränderungen(Bestandsschwankungen, Faunenwechsel, Artenschwund)

global evolutive Prozesse Jahrmillionen Neuentstehung/Aussterben

-------------------------------------------------------------------------------------------------chorisch/regional: Faunenwechsel Jahrhunderte/ Areal-Dislokation, -Expansion, -Regression Jahrtausende

Lokal: topisch Veränderungen im Inventar Jahre/Jahrzehnte Arealgrenzen-Oszillationen

ökisch Abundanz-Veränderungen < Jahr < Bestandsentwicklungen, Dominanzstruktur-Veränderungen

Page 27: Klimawandel und Biodiversität - NABU · Wir alle wissen es: Der Klimawandel ist bereits grausame Realität. Mitte Januar wurde der Klimaatlas der europä-ischen Brutvögel in Brüssel

25NABU-Konferenz „Klimawandel und Biodiversität“ • Berlin • April 2008

Die relativ gute Datenlage bei rezenten mitteleuropäischen Laufkäfern erlaubt es, aktuelle Faunenveränderungen zu erkennen und mit Hilfe ökofaunistischer und chorologischer Methoden auch Aussagen über mögliche Ursachen (z.B. zur Differenzierung von klimatisch bedingten oder nutzungsbedingten Veränderungen) zu treffen. Eine wichtige Vergleichsbasis dafür bildet die Faunistik von Horion (1941), der die bis dahin bekannten Funddaten mitteleuropä-ischer Laufkäfer erstmals zusammenfasste und auch Angaben zu Faunenveränderungen (z.B. neu in Deutschland auf-tretende Arten) publizierte (Horion 1938, 1950 u.a.). Eine zusammenfassende Darstellung der aktuellen klimatisch bedingten Veränderungen der Laufkäferfauna Mitteleuropas im Vergleich zur erdgeschichtlichen Dimension und vor dem Hintergrund der Datenlage des Bundeslandes Mecklenburg-Vorpommern gibt Müller-Motzfeld (1995).

Abb.2: Unterscheidung der Ursachen von Faunenveränderungen mit ökofaunistischen Mitteln.

Abb.3: Innere und äußere Ursachen von Faunenveränderungen und Reaktionen auf individueller und popularer Ebene (nach Müller-Motzfeld 1995)

Page 28: Klimawandel und Biodiversität - NABU · Wir alle wissen es: Der Klimawandel ist bereits grausame Realität. Mitte Januar wurde der Klimaatlas der europä-ischen Brutvögel in Brüssel

26 NABU-Konferenz „Klimawandel und Biodiversität“ • Berlin • April 2008

Aktuelle Veränderungen in der Laufkäferfauna Mitteleuropas

Auf der Grundlage einer relativ umfangreichen Datenbank für die Laufkäfer des Landes Mecklenburg-Vorpommern lassen sich durch den Vergleich von Fundmeldungen und Raster-Frequenzen die Unterschiede in der Nachweis-Intensität für die einzelnen Zeit-Abschnitte abschätzen und damit gut belegte Beispiele für den Rückgang oder die Zunahme von Arten finden (Abb.4). Von besonderem Interesse ist dabei die Gruppe jener „Ackerarten“, die infolge intensiver Landwirtschaft über Jahrzehnte völlig aus Mecklenburg-Vorpommern verschwunden war und deren Wie-derausbreitung (Stegemann & Tetzlaff 1995) nun mit dem aktuellen Klimatrend einhergeht. Hier kommt es zwei-felsohne zu einer synergistischen Wirkung mit der seit den 1990er Jahren zu verzeichnenden zunehmenden Öko-logisierung in der Landwirtschaft, besonders in Vorpommern (20% Ökobauern), wodurch wieder „käferwürdige“ Lebensbedingungen auf den Agrarflächen eben für jene „Ackerarten“ (wie Harpalus signaticornis, Poecilus punctu-latus, Dolichus halensis und Diachromus germanus) geschaffen wurden. Insgesamt konnten für die letzten 150 Jahre 5 größere faunistische Trends festgestellt und mit Arten belegt werden (Abb.5), wobei sich ganz ähnliche Tendenzen (meist mit einer entsprechenden Zeitverschiebung) auch für die Laufkäferfaunen der Nachbarländer aufzeigen lassen (Lindroth 1972, Hengeveld 1985, Turin & Peters 1986). Für Mecklenburg-Vorpommern kann die diagnosti-zierte Verschärfung der Klimagegensätze zwischen dem stärker ozeanischen Mecklenburg (mildere Winter, nieder-schlagsreichere Sommer) und dem stärker kontinentalen Vorpommern (heißere, trockenere Sommer) auch anhand der aktuellen Entwicklung der Laufkäferfauna bestätigt werden. So hält die Zunahme atlantischer Faunenelemente im Westen an, während sich im Osten zur gleichen Zeit kontinentale Elemente ausbreiten (bzw. neu einwandern).

Laufkäfer von Mecklenburg-VorpommernStand 30.09.2006: 120 217 Datensätze

344 Arten

Abb.4: Anzahl der Fundmeldungen von Laufkäferarten in Mecklenburg-Vorpommern pro Zeitabschnitt (linker Pfeil: Zunahme; rechter Pfeil: Abnahme, rechter Pfeil unten: Zunahme „ehemals rückläufiger „Ackerarten“ ab 1993

Datenbank

Page 29: Klimawandel und Biodiversität - NABU · Wir alle wissen es: Der Klimawandel ist bereits grausame Realität. Mitte Januar wurde der Klimaatlas der europä-ischen Brutvögel in Brüssel

27NABU-Konferenz „Klimawandel und Biodiversität“ • Berlin • April 2008

Während Hammond (1974) für England die klimatischen Wirkungen für schwer fassbar hält, kommt Hengeveld (1985) anhand der niederländischen Laufkäferfauna zu dem Ergebnis, dass die anthropogenen Wirkungen schwerer fassbar sind als die klimatischen.

Hengeveld (1985) kann drei unterschiedliche Klima-Perioden feststellen: 1930-1960 eine relativ trockene warme Periode; 1950-1960 mit den höchsten Niederschlägen in der ganzen Periode und 1960-1970 wieder eine sehr trocke-nen Periode.

Während Turin & Peters (1986) für den gleichen Zeitraum (nach 1950) Beispiele für anthropogenen Rückgang durch Aufforstung (Cicindela sylvatica, Poecilus lepidus) bzw. durch Pflanzenschutz (Zabrus tenebrioides) nennen, können sie damit die rasante

Zunahme des Grünlandtieres Lasiotrechus discus nicht erklären. Zumindest für einzelne Arten (Amara majuscula, Amara fusca, Dicheirotrichus rufithorax, Stenolophus mixtus), die auch in Deutschland zu den sich ausbreitenden Ar-ten gehören, bleiben klimatische Ursachen als einziger Erklärungs-Hintergrund. Diese Arten nennt auch Lindroth (1972) als aktuelle Neuankömmlinge mit Ausbreitungstendenz in Fennoskandien, hinzu kommen weitere Arten, wie Perigona nigriceps, Lionychus quadrillum, Tachys bisulcatus u.a. (Lindroth 1972, Andersen 1986), andererseits zie-hen sich arktische Arten Skandinaviens (Agonum bogemanni, Harpalus nigritarsus) weiter nach Nordosten zurück.

Auch zu aktuellen Veränderungen in der Laufkäferfauna Deutschlands, die als Klimafolgen gedeutet werden, gibt es zahlreiche Hinweise. Zunächst werden oft Dominanz-Struktur-Verschiebungen registriert (z.B. Handke 2000 für die Bremer Flussmarschen), deren Deutung schwieriger ist als etwa das Neuauftreten oder das Verschwinden von Arten. Zur Schaffung einer länderübergreifenden Datenbasis, die als Vergleichsmaßstab für künftige Entwicklungen im Kü-stenbereich dienen sollte, wurde von Geo- und Biowissenschaftlern der Universitäten Bremen, Greifswald, Kiel und Oldenburg das vom BMBF geförderte Verbundprojekt „Klimafolgen und Küste“ initiiert, dessen Ergebnisse seit dem Jahr 2000 auf CD-Rom vorliegen (Vagts et al. 2000). Hier wurden entlang eines großräumigen Transekts von den Ostfriesischen Inseln über das Weser-Ästuar, die Nord- u. Ostseeküste Schleswig-Holsteins und die Sundischen und Karrendorfer Wiesen an der Mittleren Ostseeküste Mecklenburg-Vorpommerns Boden, Vegetation, Spinnen- und

Abb.5: Faunistische Trends, die sich aus der Laufkäfer-Datenbank herauslesen und mit einzelnen Beispiel-Arten belegen lassen. Diese Trends gelten zeitversetzt auch für andere Gebiete in Mittel- und Nordeuropa.

Laufkäferarten von Mecklenburg-Vorpommern

faunistische Trends Beispiele

1. ab 1850 (und ab 1920) Carabus auratus Einwanderung atlantischer Arten Leistus rufomarginatus (bisher nicht rückläufig!) Nebria salina u.a.

2. 1920-1950 Dolichus halensis Ausbreitung wärmeliebender Arten Harpalus calceatus (danach rückläufig) Ophonus rupicola u.a.

3. ab 1960er Chlaenius sulcicollis Rückgang kontinentaler und Dyschirius impunctipennis wärmeliebender Arten Harpalus modestus u.a.

4. ab 1970er Bembidion transparens Zunahme gemäßigt/kalt- Cymindis angularis kontinentaler Arten Bembidion ruficolle u.a.

5. ab 1993: Poecilus punctulatus Rückbesiedlung von Ackerarten Harpalus signaticornis Diachromus germanus u.a.

Page 30: Klimawandel und Biodiversität - NABU · Wir alle wissen es: Der Klimawandel ist bereits grausame Realität. Mitte Januar wurde der Klimaatlas der europä-ischen Brutvögel in Brüssel

28 NABU-Konferenz „Klimawandel und Biodiversität“ • Berlin • April 2008

Laufkäfer-Fauna im Höhengradienten von 0- 120 cm über dem Meeresspiegel vergleichend untersucht und daraus ein „Expert-System“ zur Bewertung von Faunenveränderungen an der Küste entwickelt. Einen Schwerpunkt bildeten dabei die Überflutungs-Salzgrünländer (siehe dazu den Artikel von Mossakowski im gleichen Heft).

Die Habitat-Präferenzgruppe der „Salz- und Küstenlaufkäfer“ sollte hier Argumente liefern, inwieweit sich an den Küsten die Relationen zwischen atlantisch/ozeanischen und kontinentalen Arten infolge der aktuellen Klimaverän-derungen verschieben.

Eindeutige langfristige Bestandszunahmen zeigt in Deutschland z.B. Bembidion ruficolle, eine kontinentale trans-gredierende Art, die sandige Stromufer im gesamten borealen und temperaten Osteuropa bis nach West-Sibirien besiedelt. Sie drang bereits in einer Wärmeperiode in den 1930er Jahren nach Westen bis zur Elbe und Weser vor (Müller-Motzfeld 2003) und breitete sich seit den 1980er Jahren wieder in Deutschland aus (Stegemann 2002, Gebert 2005). Gut belegt ist dies für die gleiche Periode auch für den ebenfalls flugfähigen Elaphropus (Tachyura) diabrachys (Kielhorn et al. 2007; Schnitter 2007), eine bisher aus dem Süden der gesamten West-Paläarktis be-kannte Art. Als typische „Einfalls-Tore“ für südliche Arten fungieren dabei die großen Stromtäler (Rhein, Donau, Elbe und Oder). Für den sich in den letzten Jahren im Westen Deutschlands stärker ausbreitenden Leistus fulvibarbis, von dem auch Wiederfunde aus der Schweiz bekannt sind, favorisiert Schanowski (2007) auch die „Burgundische Pforte“ als Einfallsweg. Neben eindrucksvollen Beispielen aus anderen Insektengruppen (Odonata, Lepidoptera, Hy-menoptera), die in Baden-Württemberg in Zunahme begriffen sind, nennt Schanowski (2007) noch einen weiteren Laufkäfer: Notiophilus quadripunctatus, eine westeuropäisch-mediterrane Art, die ebenfalls als neu für Deutschland in der oberen Rheinebene nachgewiesen wurde.

Vagile, flugfähige Laufkäferarten können offenbar in kürzester Zeit große Strecken zurücklegen: So erklären sich Einzelfunde von Chlaenius spoliatus, einer in SO-Europa relativ seltenen Art, die aber den Süden der gesamten Palä-arktis besiedelt und für Deutschland nach älteren Funden Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts (Horion 1941) erstmals wieder 1998 und 2003 in Sachsen-Anhalt (Schnitter & Trost 2003) und 2007 in Mecklenburg-Vorpommern (leg. F. Wolf, Lichtfang) nachgewiesen wurde. Weit weniger spektakulär ist der zunehmende Flächen-gewinn wärmeliebender Arten, die bereits in Deutschland vorkommen, so konnte das sich nach Norden und Osten ausbreitende Agonum viridicupreum erstmals in Anzahl auch im Westen von Mecklenburg-Vorpommern nachge-wiesen werden (leg. Hampel 2007).

Mit dieser Tendenz der Zunahme wärmeliebender Arten geht folgerichtig das Verschwinden kaltstenothermer Arten einher. Schon seit längerer Zeit ist der Rückgang arktisch-alpiner (und boreomontaner) Laufkäferarten zu beobach-ten. Gut lässt sich dies anhand der Arten der Laufkäfer-Gattung Bembidion aufzeigen (Müller-Motzfeld 2006). So gelten die 5 rezent aus Mitteleuropa nachgewiesenen arktisch-sibirischen Bembidion-Arten (B. difficile, fellmanni, friebi, prasinum und virens) heute alle als rückläufig bzw. bereits erloschen.

Außer B. friebi, das heute nur noch an wenigen Stellen in den Ostalpen Österreichs vorkommt und dessen Schwe-sternart B. hirmocoelum Sibirien besiedelt, sind alle genannten Arten rezent auch noch in Fennoskandien anzu-treffen. B. virens wurde letztmalig 1962 vom Genfer See gemeldet und gilt heute als in Mitteleuropa verschollen. B. difficile das zusammen mit B. fellmanni in Kaltzeiten auch aus England nachgewiesen wurde (Coop 1979), ist heute auf die alpine Zone der Nord-Karpaten beschränkt, während B. fellmanni nur noch in den Transsylvanischen Alpen (Bucegi, Fagaras) vorkommt. Das ehemals in montaner Lage in Mitteleuropa relativ weit verbreitete B. prasinum ist z.Z. stark rückläufig und steht in den Roten Listen Österreichs (Jäch 1994: Kat. 3), der Schweiz (Marggi 1994: Kat. 2) und Deutschlands (Trautner et al. 1998: Kat. V). Bembidion dauricum, eine weitere arktisch-sibirische Art, die ebenfalls in Kaltzeiten des Pleistozäns aus England belegt ist, hat heute neben dem sibirisch-daurischen Kernareal nur noch ein isoliertes Vorkommen im extremen Norden Norwegens (Lindroth 1985).

Page 31: Klimawandel und Biodiversität - NABU · Wir alle wissen es: Der Klimawandel ist bereits grausame Realität. Mitte Januar wurde der Klimaatlas der europä-ischen Brutvögel in Brüssel

29NABU-Konferenz „Klimawandel und Biodiversität“ • Berlin • April 2008

Ein Blick in die jüngste Fossilgeschichte der Laufkäfer

Es bietet sich an, hier einen kurzen Blick auf die pleistozänen Laufkäferfunde in West- und Mitteleuropa zu werfen, um Vergleiche mit der aktuellen Situation hinsichtlich der räumlich/zeitlichen Dynamik und der daraus für die Fau-na ableitbaren Konsequenzen anstellen zu können. Wie aus den Untersuchungen von Coope (1979, 1995 u.a.) und Matthews (1977, 1979) hervorgeht, gibt aus der Zeit des Pleistozäns (bezogen auf die gute Fossilien-Datenlage bei Laufkäfern in England und Alaska) keinerlei Hinweise auf Aussterben und Neuentstehung von Laufkäferarten, erst im Jungtertiär (das heute nach Litt 2007 mit älter als 1,8-2,6 Mio Jahre angesetzt werden muss) Alaskas finden sich Hinweise auf erste morphologisch fassbare Veränderungen zur rezenten Fauna, die etwa im Range von Rassenbil-dung zu deuten wären. Enorm war dagegen die Areal-Dynamik. So kamen in Kaltzeiten in England Laufkäferarten vor, die heute in Europa nur den extremen Norden Skandinaviens besiedeln, wie etwa Diacheila arctica (Abb. 6). Andererseits waren in England Laufkäfer in Warmzeiten nachweisbar, wie nicht genauer determinierbare Funde der Gruppe des Bembidion ibericum / grisvardi aus dem „Devensian“ (Weichselian) zeigen, die heute nur auf der Iberi-schen Halbinsel und an wenigen Stellen in Südfrankreich vorkommen (Coope 1995). Die Jahresmitteltemperaturen während des Klimaoptimums im letzten Interglazial lagen in Mitteleuropa um 3oC und in Nordeuropa um 4oC höher als heute (Frenzel 1991). Dies zeigt, dass die streng an Kälte angepassten Faunen- und Floren-Elemente bereits in der Vergangenheit mit für sie viel ungünstigeren Klimabedingungen zurecht kommen mussten. Die arktisch-sibirischen Faunenelemente konnten dabei relativ problemlos in den arktischen Norden ausweichen. Doch wo lagen die Refugien für die alpidischen kaltstenothermen Elemente? Unter den gut untersuchten Laufkäfern der Gattungen Bembidion und Nebria (incl. Oreonebria) sind bisher keine alpidischen Elemente bekannt, die den Sprung in die arktisch-sibiri-sche Kälte geschafft haben, sie müssen also irgendwo in den Kälterefugien entlang der alpidischen Faltung ausgeharrt haben.

Abb.6: Fossile Funde von Diacheila arctica aus Kalt-zeiten in England und rezente Verbreitung (grau) in Skandinavien (nach Coope 1995)

Abb. 7: Fossile Funde von Bembidien der Gruppe des „grisvardi/ibericum“ aus einer spätweichselzeitlichen Warmzeit in England und rezente Verbreitung (grau) auf der Iberischen Halbinsel und in Südfrankreich (nach Coope 1995)

Page 32: Klimawandel und Biodiversität - NABU · Wir alle wissen es: Der Klimawandel ist bereits grausame Realität. Mitte Januar wurde der Klimaatlas der europä-ischen Brutvögel in Brüssel

30 NABU-Konferenz „Klimawandel und Biodiversität“ • Berlin • April 2008

Die große Zahl rezenter alpidischer Endemiten in den heute von Ausnahmen abgesehen hochalpin vorkommenden Gattung Oreonebria und der Bembidion-Untergattung Testediolum zeigt, dass neben den hochalpinen und subni-valen Lagen auch andere „Kältestandorte“ als Refugien fungiert haben, wie etwa Blockhalden und sich an diese anschließende Kalthöhlen.

Leider sind für die alpidischen kaltstenothermen Elemente bisher keine Fossilfunde bekannt geworden. Lindroth (1949) führt einen einzigen spätglazialen sehr fraglichen Fund aus S-Schweden an, den er als „Bembidion ? glaciale“ deutete. Wirklich sichere Nachweise wären nicht nur für das Aufklären von Refugien in den für diese Elemente un-günstigen Warmzeiten von Bedeutung, sondern sollten auch Antwort auf die Frage geben können. „Wohin haben sich diese Elemente in den für sie günstigen Kaltzeiten ausdehnen können?“. Aus den Untersuchungen von Coope (1995) in England sind diese alpidischen kaltstenothermen Laufkäferarten auch in Kaltzeiten nicht belegt. Dies zeigt einmal mehr, dass im arktisch-sibirische Tundral offensichtlich ganz andere ökoklimatische Bedingungen herrschen als im Oreal der mitteleuropäischen Hochgebirge (Müller-Motzfeld 2006).

Konsequenzen für den Naturschutz

Aus den bisherigen Ausführungen war zu entnehmen, dass die derzeitigen Klimaveränderungen für die Laufkäfer als Beispiel-Gruppe durchaus noch im Rahmen dessen liegen, was sie bereits während der Klimaschwankungen in den vergangenen 2 Millionen Jahren irgendwie überstanden haben, ohne dass es aus dieser Zeit für Laufkäfer sichere Belege für Aussterben (im globalen Sinn) oder Neuentstehung von Arten gäbe. Ein bedenkenswertes Argument ist dagegen die vermeintlich wesentlich höhere Geschwindigkeit, mit der sich derzeit das Klima ändert, auf die weniger vagile Faunen-Elemente dann nicht schnell genug reagieren könnten. Dazu muss einschränkend bemerkt werden, dass die zeitliche Auflösung der entsprechenden Schichtenfolgen von Warm- und Kaltzeiten im Pleistozän nicht so genau ist, dass daraus direkte Schlüsse auf die Dauer der einzelnen klimatischen Übergangs-Phasen gezogen werden könnten, zumal nach wie vor auch durchaus unterschiedliche Datierungsansätze bestehen (Litt 2007). Es ist auch wenig hilfreich, z.B. aus dem fossilen Vorkommen von Laufkäferarten ( z.B.: Diacheila arctica) in England und dem rezenten Vorkommen in Lappland nun „Rückzugsgeschwindigkeiten“ zu berechnen, zumal bereits Lindroth (1949) für diese Art eine Einwanderung aus den arktischen Nachbargebieten Russlands oder gar ein Überdauern in fenno-skandischen Refugien für möglich erachtete. Formal würde dies für den „langen Weg“ von England nach Lappland für Diacheila arctica eine Wandergeschwindigkeit von ca. 20 km / Jahrhundert und für den „kurzen Weg“ von Nor-drussland nur ca. 8km / Jahrhundert ergeben.

Rezente Ausbreiter erreichen aber ganz andere Geschwindigkeiten, z.B.:

Amara fusca in Mecklenburg-Vorpommern 150 km / 100 JahreAmara fusca in Schweden 300 km / 100 JahreStenolophus mixtus in Schweden 300 km / 50 Jahre

Noch schneller reagieren transgredierende Arten mit Arealgrenzenoszillationen, z.B.:

Bembidion ruficolle in Deutschland 150 km / Jahr

Der ehemalige „atlantische Ausbreiter“ Carabus auratus überschritt nach Osten vordringend etwa 1850 die Elbe und breitete sich in den folgenden 100 Jahren ca.500 km weiter bis in die Danziger Bucht aus, von wo er aber offen-bar nicht weiter ins Baltikum vordrang (Abb. 8). Möglicherweise sind für diesen Ausbreitungs-Typ eher ökophy-siologische und/oder Verhaltensänderungen als Erklärung ins Feld zu führen. In den 1970-1980er Jahren war die Art in Deutschland stark im Rückgang begriffen, was sicherlich mit der Intensivierung der Landnutzung und dem Biozideinsatz im Zusammenhang stand. Seit den 1990er Jahren nimmt die Art in der Fläche wieder zu (Müller-Motzfeld 2000).

Page 33: Klimawandel und Biodiversität - NABU · Wir alle wissen es: Der Klimawandel ist bereits grausame Realität. Mitte Januar wurde der Klimaatlas der europä-ischen Brutvögel in Brüssel

31NABU-Konferenz „Klimawandel und Biodiversität“ • Berlin • April 2008

Wie die o.g. Beispiele zeigen, reichen die Ausbreitungsgeschwindigkeiten, die selbst solch flugunfähiger Laufkäfer wie Carabus auratus erreichen kann, also durchaus, um auf Klimaveränderungen durch Arealbewegungen schnell zu reagieren.

Neben den kaltstenothermen Laufkäfern, die bei Fortsetzung der derzeitigen Temperaturentwicklung in Mitteleu-ropa zunehmend in Bedrängnis geraten, sind als zweite besonders gefährdete Habitatpräferenz-Gruppe die „Salz- und Küstenarten“ zu nennen, deren weitere Existenz in Mitteleuropa in die Schere zwischen Temperaturzunahme und Meeresspiegel-Anstieg geraten könnten, wie z.B. die pontomediterrane Laufkäferart Agonum monachum, die als exklusive Art der Brackröhrichte nur noch 5 aktuelle Vorkommen in Deutschland hat, die alle an der mittleren Ostseeküste liegen (Abb. 9). Diese an der deutschen Ostseeküste heimischen Arten, könnten zusätzlich noch von einer stärkeren Aussüßung der Ostsee infolge stärkerer Niederschläge betroffen sein. Dies ist aber durchaus strit-tig, da die erhöhten Niederschläge eher die westlichen Ostseegebiete betreffen, während die Hauptströme aus dem trockneren Osten (Oder, Weichsel) eher künftig weniger Süßwasser zuführen werden. Entscheidend wird sein, ob die Meeresspiegel-Erhöhung des Weltmeeres zu einem höheren Salzeintrag in die Ostsee führen wird, als es bisher der Fall ist oder nicht.

Während Agonum monachum (Abb. 9) bei einer möglichen Aussüßung der Ostsee in Deutschland erlöschen würde, handelt es sich bei Bembidion transparens um einen rezenten Ausbreiter aus dem borealen Osteuropa (also entgegen der Hauptausbreitungsrichtung der wärmeliebenden Arten), dessen Vormarsch offenbar schon länger anhält (Lind-roth 1949).

Abb. 8: Ausbreitung von Carabus auratus in Mitteleuropa, zwischenzeitlicher Rückgang der Art in den Jahren 1970-1990, infolge der Intensivierung der Landwirtschaft.

Page 34: Klimawandel und Biodiversität - NABU · Wir alle wissen es: Der Klimawandel ist bereits grausame Realität. Mitte Januar wurde der Klimaatlas der europä-ischen Brutvögel in Brüssel

32 NABU-Konferenz „Klimawandel und Biodiversität“ • Berlin • April 2008

Eine besondere Bedeutung für den internationalen Naturschutz haben die Arten, die in den Anhängen der FFH-Richtlinie genannt werden, das sind z.Z. folgende Laufkäfer:

Carabus olympiae ¡ , ein extrem lokaler Endemit der hochmontan/subalpinen Höhenstufe im Val de Sessera in Piemont.

Carabus menetriesi pacholei ¡ , ein Konglomerat von stark isolierten mitteleuropäischen Populationen einer im bo-realen NO-Europa weit verbreiteten, aber auch dort seltenen Art der Durchströmungs- und Übergangsmoore.

Carabus variolosus, ¡ eine Art mit interessanter Lebensweise, die in Waldbächen jagt und in Deutschland durch die hier extrem seltene und vom Aussterben bedrohte ssp. nodulosus vertreten wird.

Alle drei Arten gehören zweifelsohne nicht zu den durch den globalen Klima-Effekt potentiell begünstigten Arten, da sie eher kühlere Standorte präferieren. Ob es gelingen wird, die Bestände dieser heute bereits als hochgradig ge-fährdet eingeschätzten Arten trotz der im Rahmen des Klimaeffekts zu erwartenden Verschärfung der Gefährdungs-Situation zu sichern, ist eine der Herausforderungen für den modernen Naturschutz.

Eine zoogeographische Analyse der mitteleuropäischen Laufkäfer-Fauna (Abb. 10) ergibt, dass unter den insgesamt 1107 nachgewiesenen Taxa (Arten und Rassen) 468 weit über Europa hinaus verbreitet und 315 +/- in ganz Europa verbreitet sind. 324 Taxa (29,3 %) sind aber Gebirgs-Endemiten des pyrenäisch-karpatischen Verbreitungstyps. Py-renäisch-westalpische Endemiten (68 Taxa) und alpisch-zentralalpische Endemiten (31 Taxa) stellen dabei wesentlich geringere Anteile an der Fauna Mitteleuropas als die ostalpisch-karpatischen Endemiten (192 Taxa). Hinzu kommen einige wenige artenärmere Verbreitungstypen (z.B. apenninisch, dinarisch, hercynisch, sudetisch), die ebenfalls in der Fauna Mitteleuropas vertreten sind. Unter diesen Gebirgs-Endemiten sind einzelne heute bereits durch Arealver-

Abb. 9: Verbreitung von 2 Laufkäfer-Arten, die in ihrem Vorkommen in Deutschland auf den Osten von Mecklenburg-Vorpommern beschränkt sind.

Page 35: Klimawandel und Biodiversität - NABU · Wir alle wissen es: Der Klimawandel ist bereits grausame Realität. Mitte Januar wurde der Klimaatlas der europä-ischen Brutvögel in Brüssel

33NABU-Konferenz „Klimawandel und Biodiversität“ • Berlin • April 2008

luste hochgradig gefährdete Arten, so die in Abschnitt 3 bereits genannten Hochgebirgs-Endemiten der Bembidion-Untergattung Testediolum und der Gattung Oreonebria, deren teilweise extrem angepasstes Leben am Gletscherrand nun mit dem Zurückweichen der Alpengletscher zunehmend gefährdet wird.

Abb. 10: Arealtypen mitteleuropäischer Gebirgs-Endemiten unter den Laufkäfern (Große, graue Zahlen in der Karte: Artenzahlen)

Es wird sicher nicht als ernsthafte Möglichkeit erwogen, alle gefährdeten kaltstenothermen Arten etwa mit EU-Hilfe auf die höchsten Alpengipfel zu schaffen, da sie dort eventuell am längsten überleben könnten. Andererseits bietet auch die fatalistische Variante: Zunehmende Separation und Erhöhung des Selektionsdrucks sind wirkungsvolle Evolutionsfaktoren – also abwarten, es ist ja immer irgendwie weiter gegangen, wenig Hoffnung, wie gerade die jüngste Fossilgeschichte der Laufkäfer zeigt (Coope 1995). Evolution benötigt ganz offenbar lange Zeit und konstante Bedingungen. All das ist bei den z.Z. ablaufenden Klimaänderungen nicht zu unterstellen, so „schnelle“ Evolution ist bisher für Laufkäfer nicht vorstellbar.

Alle bisher erfolgreichen Maßnahmen des klassischen Naturschutzes werden nicht automatisch durch den Klima-wandel außer Kraft gesetzt, vielmehr ist davon auszugehen, dass eine hohe Vielfalt heute ungefährdeter Arten beste Garantie dafür bietet, auf Veränderungen des Klimas reagieren zu können. Infolge der Erhöhung der Jahresdurch-schnitts-Temperaturen in Mitteleuropa werden zunächst mehr wärmeliebende Laufkäfer-Arten zuwandern als an Kälte angepasste Arten in Mitteleuropa erlöschen, das bedeutet nicht nur eine Zunahme der Artenzahl pro Fläche, sondern auch eine Zunahme der Struktur-Diversität. Doch sollte das Biodiversitäts-Argument hier nicht überfordert werden, da bei langfristigem Andauern des derzeitigen Klima-Trends irgendwann das Aussterben der kaltsteno-thermen alpidischen (pyrenäisch-karpatischen) Gebirgs-Endemiten einsetzen würde, die ja einen hohen Anteil der Fauna stellen und für deren Erhalt wir Mitteleuropäer höchste Verantwortung tragen.

Page 36: Klimawandel und Biodiversität - NABU · Wir alle wissen es: Der Klimawandel ist bereits grausame Realität. Mitte Januar wurde der Klimaatlas der europä-ischen Brutvögel in Brüssel

34 NABU-Konferenz „Klimawandel und Biodiversität“ • Berlin • April 2008

Zusammenfassung

Aufgrund der relativ guten Datenlage zur rezenten und pleistozänen Laufkäferfauna lassen sich folgende Aussagen treffen:

Die für Mitteleuropa prognostizierte Klimaentwicklung lässt sich anhand von zahlreichen Beispielen aktueller ¡Veränderungen der Laufkäferfauna belegen.

Diese Veränderungen liegen derzeit noch in der Schwankungsbreite der periodischen Faunenveränderungen ¡während der letzten 2 Mio Jahre, wie Fossilfunde belegen.

Die verstärkte Einwanderung wärmeliebender Arten wird in Mitteleuropa zu einer Erhöhung der Struktur-Di- ¡versität in der Mehrzahl der Geobiozönosen und zu einer Zunahme der Artenzahl pro Fläche führen.

Besondere Gefährdungen ergeben sich für kaltstenotherme Faunenelemente. Die Mehrzahl der arktisch-alpinen ¡(und boreomontanen) Faunenelemente wird in Mitteleuropa erlöschen, bleibt aber in ihrem circumpolaren Ker-nareal erhalten.

Dagegen kommt es zu einer zunehmenden Gefährdung der kaltstenothermen alpischen (und pyrenäisch-karpa- ¡tischen) Gebirgs-Endemiten, für deren Schutz bisher keine ernst zu nehmenden Konzepte existieren.

Ebenfalls negativ betroffen von der derzeitigen Temperatur-Zunahme in Mitteleuropa sind auch alle drei in den ¡Anhängen der FFH-Richtlinie genannten Laufkäferarten: Carabus olympiae, C. menetriesi pacholei und C. nodu-losus (inkl. ssp. nodulosus).

Ein schwer zu kalkulierendes Risiko besteht auch für die Salz- und Küstenkäfer der Ostseeküsten, die im Falle ¡einer weiteren Aussüßung der Ostsee enorme Arealverluste erleiden würden, ohne dass ein „Nachrücken“ ther-mophiler Küstenarten möglich wäre.

Es hat den Anschein, dass unsere bisherigen Schutzkonzepte im Hinblick auf den enormen Klimawandel und seine Konsequenzen für die Organismenwelt überfordert sind. Zweifelsohne sind hier neue Strategien für den Naturschutz zu entwickeln, doch werden die bisherigen Naturschutzbemühungen nun durch den Klimawandel nicht automatisch außer Kraft gesetzt. Wenn es gelingt, die Existenz einer möglichst hohen Zahl gefährdeter Organismen-Formen und ihrer Vergesellschaftungen in freier Wildbahn dauerhaft zu sichern, so ist das die beste Antwort auf eine sich ändernde Umwelt.

Die Beeinflussung des Weltklimas durch den Menschen ist nicht mehr zu leugnen. Dieser komplexe Prozess kann zu unabsehbaren katastrophalen Folgen für den Menschen führen. Die Organismenwelt reagiert bereits auf die ak-tuellen Klimaveränderungen durch Arealbewegungen – selbst diese einfache Reaktion wäre für Homo sapiens heute kaum noch vorstellbar.

Danksagung

Für zahlreiche Hinweise und anregende Diskussionen zur Faunengeschichte des Pleistozäns danke ich Herrn S. Meng (Greifswald).

LiteraturAndersen, J. (1986): Qualitative Changes in the Norwegian Carabid beetle fauna during this century. - Abhdl. 6. Europ. Carabidol. Meeting

(Budapest), 35-44Coope, G.R. (1979): The Carabidae of the glacial refuge in the British Isles and their contribution to the post glacial colonisation of Scandi-

navia and the North Atlantic Islands. – Proceedings 1. International Symposium of Carabidology (The Hague), 407-424Coope, G.R. (1995): Insect faunas in ice age: why so little extinction ? – In: Lawton, J.H. and May, R.N.: Extinction rates. – Oxford Univer-

sity Press, 55-74Dröschmeister, R. & Gruttke, H. (1998): Die Bedeutung ökologischer Langzeitforschung für den Naturschutz . - Schriftenreihe für Land-

schaftspflege & Naturschutz 58: 435 S.

Page 37: Klimawandel und Biodiversität - NABU · Wir alle wissen es: Der Klimawandel ist bereits grausame Realität. Mitte Januar wurde der Klimaatlas der europä-ischen Brutvögel in Brüssel

35NABU-Konferenz „Klimawandel und Biodiversität“ • Berlin • April 2008

Frenzel, B. (1991): Klimageschichtliche Probleme der letzten 130 000 Jahre. – G. Fischer-Verlag Sruttgart / New York, 451 S.Gebert, J. (2005): Bembidion ruficolle (Panzer,1797) und weitere wichtige Nachweise aus Sachsen (Col., Carabidae, Scarabaeidae). - Ento-

mologische Nachrichten und Berichte (Dresden) 49: 245Gersdorf, E. (1937): Ökologisch-faunistische Untersuchungen über Carabiden der mecklenburgischen Landschaft. – Zoologische Jahrbü-

cher, Syst. 70: 17-86 Hammond, P.M. (1974): Changes in the British Coleopterous fauna. – Chang. Flora and Fauna Brit., London/New York, 323-369 Handke, K. (2000): Veränderungen in der Insektenfauna der Bremer Flussmarschen 1982-1999 – Zeichen eines Klimawandels ? – NNA-

Berichte 13(2): 37-54Hengeveld, R. (1985): Dynamics of Dutch beetle species during the twentieth centuries (Co. Carab.). – Journal of Biogeography 12: 389-

411Horion, A. (1938): Studien zur deutschen Käferfauna II. Die periodischen Klimaschwankungen und ihr Einfluß auf die thermophilen Käfer

in Deutschland. – Entomologische Blätter 68: 127-140Horion, A. (1941): Faunistik der deutschen Käfer I. Adephaga-Caraboidea. - Krefeld, 463 S.Horion, A. (1950): Adventivarten aus faulenden Pflanzenstoffen, besonders Komposthaufen. – Koleopterologische Zeitschrift 1 (3): 203-215Jäch, M. (Gesamtredaktion) (1994): Rote Liste der gefährdeten Käfer Österreichs (Coleoptera). – In: Gepp, J.: Rote Listen gefährdeter Tiere

Österreichs Bd. 2., Verlag Moser, Graz , 200 S.Kielhorn, K.-H., Gebert, J. & Trost, M. (2007): Zur Ausbreitung von Tachyura diabrachys (Kolenati, 1845) in Deutschland (Coleoptera,

Carabidae). - Entomologische Nachrichten und Berichte (Dresden) 51: 207-210Lindroth, C.H. (1949): Die fennoskandischen Carabidae – eine tiergeographische Studie. III. Allgemeiner Teil. – Göteborgs Kungl.Vetens-

kaps- och Vitterhets-Samhälles Handlingar Ser. B. Bd. 4. No. 3, 911 S.Lindroth, C.H. (1972): Changes in the Fennoscandian ground-beetle fauna (Coleoptera, Carabidae) during the twentieth century. – An-

nales Zoologica Fennica 9: 49-64Lindroth, C.H. (1985): The Carabidae (Coleoptera) of Fennoscandia and Denmark. – Fauna Entomologica Scandinavica Vol. 15, part 1. –

Scandinavian Science Ptress, Copenhagen, 498 SLitt, T. (2007): Das Quartär als chronostratigraphische Einheit. – Eiszeitalter und Gegenwart (E & G) 56 (1/2): 3-6Marggi, W. (1994): Rote Liste der gefährdeten Laufkäfer und Sandlaufkäfer der Schweiz. – In: Rote Listen der gefährdeten Tierarten der

Schweiz. – BUWAL (Bern), 55-59Matthews, J.V. (1977): Tertiary Coleoptera fossils from the North American Arctic. – Coleopterologists Bulletin 31: 297-308Matthews, J.V. (1979): Late tertiary Carabid fossils from Alaska and the Canadian arctic archipelago. - Proceedings 1. International Sym-

posium of Carabidology (The Hague), 425-445Müller-Motzfeld, G. (1984): Indikation und Zeitmaß von Faunenveränderungen demonstriert am Beispiel der Laufkäfer. - Biologische

Rundschau. 22: 369-378Müller-Motzfeld, G. (1990): Quantitative Ökofaunistik im Dienste des Insektenschutzes. - Entomologische Nachrichten und Berichte

(Dresden) 34: 109-117Müller-Motzfeld, G. (1995): Klimatisch bedingter Faunenwechsel am Beispiel der Laufkäfer. – Angewandte Landschaftsökologie (Bonn)

4: 135-154Müller-Motzfeld, G. (2000): Analyse von Gefährdungsursachen am Beispiel der Laufkäfer.- Schriftenreihe für Landschaftspflege & Natur-

schutz 65: 33-50Müller-Motzfeld, G. (2003): Käfer - die artenreichste Tiergruppe der Erde. – In: Kappas, M.; Menz, G.; Richter, M. & Treter, U. (Hrsgb.):

Nationalatlas Bundesrepublik Deutschland, Bd. 3: Klima, Pflanzen- und Tierwelt , S. 132-135Müller-Motzfeld, G. (2006): Faunenbeziehungen zwischen dem himalayischen und dem pamirischen Primärzentrum am Beispiel der

Laufkäfergattung Bembidion. - In „Biodiversität & Naturausstattung im Himalaya“ Bd. II, Erfurt, 125-132Schanowski, A. (2007): Klimawandel und Insekten. - LUBW Karlsruhe, 22 S.Schellnhuber,H.-J. & Sterr, H. (Hrsgb.) (1993): Klimaänderung und Küste. – Berlin/Heidelberg/New York, 400 S.Schnitter, P. (2007): Zum Vorkommen von Amara (Curtonotus) gebleri Dejean, 1831, Bembidion (Peryphiolus) monticola Sturm, 1825 und

Tachyura diabrachys (Kolenati, 1845) in Sachsen-Anhalt (Coleoptera, Carabidae). - Entomologische Nachrichten und Berichte (Dres-den) 51: 234

Stegemann, K.-D. (2002): Funde von Bembidion ruficolle (Panzer,1997) in Mecklenburg-Vorpommern (Col.,Carabidae). - Entomologi-sche Nachrichten und Berichte (Dresden) 46: 269-270

Stegemann, K.-D. & Tetzlaff, T. (1995): Diachromus germanus (Linné, 1758) in Mecklenburg-Vorpommern wiedergefunden (Col., Carabi-dae). - Entomologische Nachrichten und Berichte (Dresden) 39: 228-229

Trautner, J.; Müller-Motzfeld, G. & Bräunicke, M. (1998): Rote Liste der Sandlaufkäfer und Laufkäfer (Coleoptera: Cicindelidae et Carabidae)—In: Rote Liste gefährdeter Tiere Deutschlands. – Bundesamt für Naturschutz (Bonn), 159-167

Turin, H. & Peters, H. (1986): Changes in the distribution of Carabid beetles in the Netherlands since about 1880. – In: Den Boer et al.: Carabid beetles – their adaptions and dynamics. – Suttgart / New York, 489-495

Page 38: Klimawandel und Biodiversität - NABU · Wir alle wissen es: Der Klimawandel ist bereits grausame Realität. Mitte Januar wurde der Klimaatlas der europä-ischen Brutvögel in Brüssel

36

Zusammenfassung

Dieser Beitrag stellt Befunde zum einsetzenden und von der Klimawandeldiskussion eingeleiteten Naturschutzwan-del in einen größeren Kontext der sich global verändernden Perspektiven des Naturschutzes. Die Ausführungen beruhen u.a. auf Ergebnissen und Einsichten, die sich aus der Diskussion der Verfasser mit zahlreichen Naturschutz-akteuren diverser Tätigkeitsfelder und aller Regionen Deutschlands in den letzten Jahren ergeben haben.

Die sich einander ablösenden, aber großenteils auch nebeneinander existierenden Ansätze und Konzepte des Natur-schutzes brachten steigende konzeptionelle Komplexität, Wissenschaftlichkeit, Abstraktion und Reduktionismus. Die resultierenden, gegenwärtig dominierenden konstruktivistisch-technomorphen Ansätze harren noch immer der Überführung in während der siebziger Jahre des vorigen Jahrhunderts entwickelte, realitätsnähere evolutionistisch-systemische Konzepte. Dieses Defizit lässt sich exemplarisch an der Formulierung der FFH-Richtlinie und der Er-richtung des Natura 2000-Schutzgebietssystems aufzeigen. Auch auf den rapide komplexer werdenden und sich be-schleunigenden globalen (Umwelt-)Wandel und seine Wirkungen reagiert der Naturschutz also weiterhin mit dem Versuch, allen Entscheidungen ein umfassendes und genaues Verständnis der Prozesse zugrunde zu legen. In den letzten Jahren haben sich die Bemühungen, auf den Klimawandel durch Klimaschutz und Anpassung angemessen zu reagieren, zusehends verstärkt. Zur Einschätzung des Anpassungsbedarfs und der abzuleitenden Maßnahmen erweist sich das Konzept der Vulnerabilität von Systemen als nützlich. Die Anwendung dieses Konzepts auf das System Naturschutz führt zu der Einsicht, dass seine Vulnerabilität auf mindestens vier wichtigen Ebenen (der In-stitutionen, des räumlichen Designs der zu schützenden Flächen, der Naturschutz-Zielgerüste und der Schutzobjek-te) abzuschätzen ist und entsprechende Maßnahmen zu formulieren sind. Naturschutzstrategien sollten vor diesem Hintergrund weniger reaktiv und deterministisch als vielmehr proaktiv und adaptiv sein. Bei der Gestaltung und Umsetzung dieser klimawandelangepassten Strategien sind politische Entscheidungsträger und Behörden in ihrer lenkenden Funktion noch stärker als zuvor gefordert, Vorgaben zu machen. Alle Akteure, und vielleicht besonders der in Deutschland so wichtige ehrenamtliche Naturschutz, stehen vor dem wachsenden Problem, mit der exponen-tiell steigenden Komplexität des Handlungsbedarfs und dem beschleunigten Wissensfortschritt Schritt zu halten. Gerade nicht-hauptamtliche Aktivitäten dürften sich demnach tendenziell stärker auf wissenschaftlich untermauerte und gesellschaftlich abgestimmte Vorgaben angewiesen sehen. Obwohl die einzelnen Facetten des globalen Wandels durchaus wahrgenommen werden, scheint das Problembewusstsein für die systemische Bedrohung noch zu fehlen. Die wahre Dimension der Aufgabe der Naturschützer lautet nicht, ‚Natur gegen den Klimawandel zu verteidigen’, sondern Natur im globalen Wandel so funktionstüchtig zu erhalten wie möglich, und einen gefährlichen Umwelt-wandel zu vermeiden.

1. Einleitung

In den ersten Jahren unseres Jahrhunderts fehlte es zunächst erkennbar am politischen Rückhalt für die Diskussion der Anpassung an den Klimawandel. So wurde zunächst befürchtet, dass die Vorbereitung auf die Folgen des Klima-wandels den Glauben erwecken könnte, sie seien handhabbar, und dass damit die Bekämpfung der Ursachen des Kli-mawandels in den Hintergrund treten könnte. Die Wende brachte erst der letzte Sachstandsbericht des Intergovern-mental Panel on Climate Change im Jahre 2007 (IPCC 2007a, IPCC 2007b, IPCC 2007c), welcher die Gefahren des eingeleiteten Klimawandels besonders konkret darstellt. Es wurde deutlich, dass jegliche Klimaschutzbemühungen einen mehr oder weniger bedrohlichen Klimawandel nicht mehr werden verhindern können und ihnen somit Bemü-hungen zur Anpassung an den unvermeidbaren Klimawandel zur Seite gestellt werden müssen. Entsprechend haben auch in Deutschland auf der politischen Ebene endlich intensivere Bemühungen eingesetzt, eine nationale Anpas-

Prof. Dr. Pierre L. Ibisch & Stefan Kreft

Fachgebiet Naturschutz, Fachbereich für Wald und Umwelt, Fachhochschule Eberswalde, Alfred-Möller-Str. 1, 16225 Eberswalde ([email protected]).

klimawandel gleich naturschutzwandel?

Page 39: Klimawandel und Biodiversität - NABU · Wir alle wissen es: Der Klimawandel ist bereits grausame Realität. Mitte Januar wurde der Klimaatlas der europä-ischen Brutvögel in Brüssel

37NABU-Konferenz „Klimawandel und Biodiversität“ • Berlin • April 2008

sungsstrategie zu erarbeiten. Parallel dazu beschäftigen sich zunehmend auch Akteure der Zivilgesellschaft mit den Konsequenzen des Klimawandels. Die verschiedenen Wissenschaftszirkel außerhalb der Klimaforschung reagierten nur zögerlich auf die häufiger werdenden Anstöße von außen, bis deutlich wurde, dass der Klimawandeldiskurs wei-terhin an Bedeutung gewinnt und, jenseits disziplinärer Grenzen, eine offenkundig längerfristige Veränderung der konzeptionellen und strategischen Rahmenbedingungen (reframing) mit sich bringt.

Der vorliegende Beitrag soll nach dem Ende des durch Vorträge der Autoren durchgängig begleiteten NABU-Vor-habens „Klimawandel und Biodiversität – eine Kommunikationsstrategie für das Ehrenamt“ einen Zwischenstand unserer Befunde zum einsetzenden und von der Klimawandeldiskussion eingeleiteten Naturschutzwandel festhalten und in diese in einen größeren Kontext der sich global verändernden Perspektiven des Naturschutzes stellen.

In dieser Zielformulierung schwingt bereits eine klare Beantwortung der Titelfrage mit: Ja, die Naturschutzakteure haben in Anerkennung umfassender klimawandelbedingter Wirkungen eine intensive strategisch-konzeptionelle Diskussion begonnen, und der Naturschutz wird daraus nicht unverändert hervorgehen. Die Frage ist, wie verschie-dene Akteure zum Paradigmenwechsel im Naturschutz stehen, und auf welche Paradigmen sich der Wandel haupt-sächlich bezieht.

Unsere Ausführungen beruhen zum Teil auf Ergebnissen und Einsichten, die sich aus der Diskussion mit unzähligen Naturschutzakteuren diverser Tätigkeitsfelder und aller Regionen Deutschlands anlässlich knapp 40 eigener Vorträ-ge und Veranstaltungen während Workshops, Tagungen und Symposien in den letzten 4 Jahren ergaben (davon acht NABU-Veranstaltungen1). Genauso ist unser Beitrag ein Ergebnis des vom Bundesamt für Naturschutz geförderten Forschungs- und Entwicklungsvorhabens „Schutzgebiete Deutschlands im Klimawandel - Risiken und Handlungs-optionen“, welches (bis 2009) darauf abzielt, die Risiken des Klimawandels für die Schutzgebiete Deutschlands und ihre Schutzobjekte bzw. -ziele abzuschätzen sowie gleichzeitig Möglichkeiten für Anpassungsmöglichkeiten aufzu-zeigen (vgl. Badeck et al. 2007, Ibisch & Kreft 2008).

Die Erkennung und Ergreifung von Handlungsoptionen hängt wesentlich von den konzeptionell-gesellschaftlichen Rahmenbedingungen ab, welche Handelnde motivieren, entsprechende Optionen überhaupt als solche zu erkennen bzw. anzunehmen. Insofern soll auf Grundlage der Ausführungen zur Wandlung und Wandelbarkeit des Natur-schutzes auch ein knapper Ausblick gewagt werden, wie sich die weitere Veränderung der genannten Rahmenbedin-gungen auf die zukünftigen Möglichkeiten des Naturschutzes auswirken könnte.

2. Natursichtswandel und Naturschutzwandel

Naturschutzwandel war immer – seit es Naturschutz gibt. Und jeglicher Naturschutz war Kind seiner Zeit. Allerdings leidet der Naturschutz geradezu an dieser unaufhörlichen konzeptionellen Entwicklung (vgl. Piechocki 2007 a-j): Verschiedene Schulen bauen aufeinander auf und mehren die Komplexität der Konzepte, widersprechen sich aber auch. Verschiedene Basisparadigmen lösen sich auf der Grundlage des wissenschaftlichen Erkenntnisfortschritts ab bzw. bestehen mehr oder weniger widersprüchlich nebeneinander. Diese für jede ‚lebendige’ Fachdisziplin an sich normale Diversifizierung stellt im Falle des Naturschutzes eine besondere Herausforderung dar, da es ultimat um die Anwendung der wissenschaftlichen Ergebnisse und Konzepte geht. Im Rahmen der öffentlichen Kommunika-tion und Politikberatung führen vielfältige und widerstrebende Positionen bekanntlich leicht zur Schwächung des Gesamtanliegens.

1 NABU-Vorhaben „Klimawandel und Biodiversität – eine Kommunikationsstrategie für das Ehrenamt“: Tagungen in Göttingen, Berlin und Schne-verdingen, Regionalworkshops in Stuttgart, Greifswald, Hamburg, Düsseldorf, Ingelheim; 2007/2008.

Page 40: Klimawandel und Biodiversität - NABU · Wir alle wissen es: Der Klimawandel ist bereits grausame Realität. Mitte Januar wurde der Klimaatlas der europä-ischen Brutvögel in Brüssel

38 NABU-Konferenz „Klimawandel und Biodiversität“ • Berlin • April 2008

Grundsätzlich ist nicht erstaunlich, dass der Wandel der Sicht auf die Natur und auch der Naturschutzwandel zutiefst vom Fortschritt der kulturellen Evolution der Menschheit geprägt wird. Die Evolution des Bewusstseins des Men-schen, samt Selbstreflektion, Erinnerungsvermögen und dem Wissen um eine Zukunft, haben Schuld- und Verant-wortungsgefühle möglich gemacht und sowohl eine Ethik entstehen lassen als auch praktisch vorbeugendes Handeln zur Sicherung von für das Überleben benötigten Ressourcen. Zugleich stellten die Zukunftswahrnehmung und die Fähigkeit, aus zukünftig (möglicherweise) eintretenden Ereignissen aktuelle Handlungen abzuleiten, eine Revolu-tion in der – zuvor rein reaktiven – biologischen Evolution dar (vgl. Willke 2001). Tragischerweise machte dieselbe biologische Innovation sowohl den Naturschutz als auch sämtliche technologische Entwickung und damit die rasant fortschreitende Degradierung des globalen Ökosystemes möglich. Der Versuch, den entstehenden Widerspruch auf-zulösen, mündete zusehends in einer künstlichen konzeptionellen Trennung von Natur und Kultur.

2.1. Von der Mystik zur Analyse

Zu Beginn der kulturellen Evolution berechtigte die noch kümmerliche Technologie und Einflussnahme auf die Ökosysteme noch nicht, sich über die Natur zu erheben bzw. sich als etwas anderes als einen Teil ihrer selbst zu begreifen. Die Natursicht war von Unverständnis für die Vorgänge in ihr und Mystik als Kompensation dieses Un-verständnisses geprägt. Naturschutz wurde nicht bewusst betrieben; allenfalls kam es zu pragmatischem, lokalem Einzel-Ressourcenschutz – in der Regel in der Form von Tabus.

Mit fortschreitender Entdeckung und Entzauberung der Natur kam dem Menschen der pantheistische Naturrespekt abhanden. Der Umgang mit der Natur wurde – in den verschiedenen Kulturen in unterschiedlichem Ausmaß – zuse-hends analytisch, reduktionistisch und utilitaristisch. Eine konservative Abneigung gegenüber der aktiven Verände-rung von Ökosystemen war dem Überleben nicht dienlich; entsprechend galt es spätestens mit der Entwicklung der Landwirtschaft, die Heiligkeit und Unantastbarkeit der Natur zu relativieren, um sich nicht in einem unauflösbaren Schuldkomplex zu verstricken. Die Entmystifizierung und Entheiligung der Natur – und mit ihnen die Entwicklung des Natur-Kultur-Dualismus - schritten dabei so langsam voran, dass sie von einzelnen Menschen oder Generatio-nen unbemerkt blieben.

Die herausragende Anpassung der Spezies Mensch besteht in seiner Anpassungsfähigkeit. Dabei kommt dem Men-schen eine besondere psychologisch beschreibbare Fähigkeit zugute, welche für die Kolonisierung des gesamten Pla-neten wesentlich war, die in Zeiten eines schnellen Umwelt- und Klimawandels aber eine bedrohliche Falle darstellen könnte. Diese Fähigkeit besteht in der Bereitschaft, sich schnell auf neue (Umwelt-) Bedingungen einzustellen und dabei rasch zu vergessen, dass die Situation einmal eine andere war. Es handelt sich um das Phänomen der shifting baselines, welches natürlich nicht nur für die Wahrnehmung der Umwelt gilt (vgl. Welzer 2008).

Mit fortschreitender Analytik der Natur kam es also zum allmählichen Begreifen von kausalen Zusammenhängen. Vorerst griffen Gesellschaften aber nur zum lokalen Einzel-Ressourcenschutz, der kaum Naturschutz genannt wer-den kann.

2.2. Romantischer und spezialistisch-technomorpher Naturschutz

Die Geburtsstunde des modernen Naturschutzes wurde (in Europa) bekanntlich mit der industriellen Revolution eingeleitet, welche einherging mit der Fähigkeit, Umweltbedingungen unter Nutzung technischer Hilfsmittel sehr abrupt zu verändern. Die Geschwindigkeit des zunächst lokalen Umweltwandels überforderte die Shifting-baselines-Bereitschaft der ersten Naturschützer. Akut wahrnehmbare Veränderungen führten zur Geburt der reaktiven Kri-sendisziplin Naturschutz (Soulé 1985, Meffe 2001). Der mitteleuropäische Naturschutz entstammt der Bewegung der Romantik, welche sich gegen die analytisch-reduktionistische Natursicht stemmte und versuchte, die Natur wieder stärker zu mystifizieren. Letztlich war die Motivation des romantischen Naturschutzes dennoch insofern eine, wenn auch immaterielle, so doch utilitaristische, als es darum ging, die Natur als heimatliche Kulisse und Quelle der Selb-stidentifikation und Inspiration für den Menschen zu erhalten.

Page 41: Klimawandel und Biodiversität - NABU · Wir alle wissen es: Der Klimawandel ist bereits grausame Realität. Mitte Januar wurde der Klimaatlas der europä-ischen Brutvögel in Brüssel

39NABU-Konferenz „Klimawandel und Biodiversität“ • Berlin • April 2008

Im romantischen und damit konservativen Naturschutz nahmen die Vorliebe für statische Landschaften und der Vergangenheitsbezug bei der Entwicklung von Naturschutzleitbildern, die den Naturschutz bis heute prägen, ihren Anfang. Die Natur sollte im Zustand einer vorindustriellen Kulturlandschaft verharren, was zwar Nutzung impli-zierte, aber die Bewahrung einer vertrauten und „besseren“ Natur versprach. Diese Zielsetzung bildete die Grundlage für Naturdenkmal-, Heimat- und Naturschutz. Nach Schaffung des romantischen konzeptionellen Rahmens des Na-turschutzes wurden im Naturschutz die romantischen Künstler rasch von Naturwissenschaftlern abgelöst, vielleicht auch dies Symptom des bis heute noch nicht zum Halten gekommenen wachsenden Vertrauens der Gesellschaft in die Naturwissenschaften. Auf Künstler wie Rudorff folgten „Fachleute“ wie Conwentz. Damit traten die Biologen auf den Plan, welche sich v.a. seit Linné darum bemüht hatten, eine systematische Ordnung in das mittelalterliche Kurio-sitätenkabinett der Natur zu bringen. Die typischen organismisch interessierten Biologen sind allerdings gemeinhin keine Romantiker, sondern Prototypen der aus der Aufklärung hervorgegangenen Reduktionisten und Analytiker, die im Studium auch kleinster Fragestellungen Erfüllung finden und die Natur in hochgradig systematischer Weise ‚entzaubern’. Der Hang zum systematischen Ausprobieren und Sammeln allerdings mag bereits im Pleistozän oder vorher als überlebensfördernde Eigenschaft angelegt worden sein. Es handelt sich jedenfalls wiederum um eine wich-tige Eigenschaft des Menschen: die Bereitschaft, detailversessen auch kleinste, anscheinend zweckfreie Untersuchun-gen anzustellen, um ggf. Beiträge zur Entwicklung der Gesellschaft beizutragen, welche von Erkenntnisfortschritt, Erfindungen und Innovationen getrieben wird. Die Entstehung des Spezialistentums wird v.a. in der arbeitsteiligen Gesellschaft durch eine gebührende Anerkennung der vielfältig orientierten Experten auch sozial belohnt.

Im Rahmen der mehr oder weniger systematischen Beschäftigung mit Fragestellungen sind die sich einstellende Befriedigung und der wachsende emotionale Bezug zum Studienobjekt eine wichtige belohnende Triebkraft. Folge-richtig werden die Spezialisten, wenn es um die Belange des Studienobjektes geht, zu wahren Überzeugungstätern. Aus dieser Quelle schöpfen die Naturschutzbewegungen einen Gutteil ihrer Kraft. Menschen, die sich systematisch mit Orchideen, Vögeln, Käfern oder Pflanzengesellschaften beschäftigt haben, sind bereit, sich vehement für den Schutz ihrer Studienobjekte einzusetzen. Die Präferenz einiger ausgewählter Objekte ergibt sich aus hochgradig un-systematischen Gründen. So sind z.B. ihre Omnipräsenz, die relativ leichte Beobachtbarkeit und die ästhetisch an-sprechenden Gesänge wichtige Gründe, warum Menschen beginnen, sich mit Vögeln zu beschäftigen. Der immer leichtere Zugang zu entsprechenden Interessensgruppen, Lehrern und Bestimmungsbüchern verstärkt wiederum die Beschäftigung mit bestimmten Organismengruppen.

Es gilt zunächst wertfrei festzustellen, dass im deutschen bzw. europäischen Naturschutz, wie vielerorts, sehr früh eine Dominanz durch botanisch und ornithologisch (und etwas später auch entomologisch) Interessierte eingetre-ten ist, und dass diese Dominanz auch Spuren in Naturschutz-Gesetzgebung und Umsetzung hinterlassen hat (vgl. Europäische Vogelschutzrichtlinie). In der logischen Folge empfinden Naturschützer, die ihren Zugang zur Natur über ihre Faszination für Faunistik oder Floristik finden, auch bestimmte „interessante“ Lebensgemeinschaften als besonders schützenswert. So bevorzugen z.B. botanisch geprägte Naturschützer durch Ökosystemdegradation und Invasion zuvor nichtheimischer, schöner und interessanter Arten2 entstandene Trockenrasen gegenüber den als „langweilig“ empfundenen naturnahen Wäldern, so dass eine Benachteiligung zonaler Ökosysteme nicht allein durch ökonomische Interessen der Forstwirtschaft, sondern auch durch ungleichmäßige Verteilung der Interessen der Naturschützer eingetreten ist.

Grundsätzlich folgte auch der Naturschutz in den vergangenen 100 Jahren dem allgemeinen Diversifizierungs- und Differenzierungstrend der kulturellen und wissenschaftlichen Entwicklung sowie der Hinwendung zu immer klei-neren Detailfragen. Die geradezu explosionsartige technologische Entwicklung beeinflusste zudem die Entstehung eines konstruktivistisch-technomorphen Basisparadigmas - in der Natursicht ebenso wie in der Wahrnehmung an-derer komplexer Systeme wie beispielsweise von Organisationen (Malik 1992). Bekannt sind die Gleichnisse, in denen vom Räderwerk der Natur gesprochen wird oder denen zufolge die Arten wie Nieten seien, welche ein Flugzeug zu-

2 Hier eine bewusst provokant gewählte Formulierung für Archäophyten.

Page 42: Klimawandel und Biodiversität - NABU · Wir alle wissen es: Der Klimawandel ist bereits grausame Realität. Mitte Januar wurde der Klimaatlas der europä-ischen Brutvögel in Brüssel

40 NABU-Konferenz „Klimawandel und Biodiversität“ • Berlin • April 2008

sammenhielten (Ehrlich & Ehrlich 1981). Das konstruktivistisch-technomorphe Basisparadigma bedeutet in seiner Konsequenz, dass die Maschine Natur nach vorgefasster Zwecksetzung und Plan konstruiert worden ist; Funktion, Zuverlässigkeit und Effizienz sind abhängig von Funktion und Eigenschaften der Einzelteile. Es ist das Gegenteil ei-nes systemisch-evolutionären Basisparadigmas, nach dem sich eine sich selbst generierende Ordnung ohne vorherige Zwecksetzung einstellt (Malik 1992).

Die Entstehung der Conservation Biology, der Naturschutzbiologie, welche dem Naturschutz gegen Ende des 20. Jahrhunderts zum einen neue Schubkraft verlieh, verstärkte zum anderen die konstruktivistische Sicht auf den Na-turschutz. Im Hintergrund steht der – sich zusehends als Illusion entlarvende - Gedanke, dass sich, wenn man nur ausreichend viele Details beschrieben und verstanden hätte, auch eine bessere Steuerbarkeit des großen Ganzen er-geben würde. Oftmals muss der vermeintlich naturschutzfachliche Hintergrund auch lediglich zur Legitimation von rein intrinsisch motivierter Forschung herhalten. Es ist kein Wunder, dass sich angesichts der fortschreitenden De-gradierung der globalen Biodiversität beim gleichzeitig immerfort wiederholten Forschungsbedarf die Stimmen der (Selbst-) Kritik mehren. So klagen z.B. Whitten et al. (2002) in ihrem Artikel “Conservation biology – displacement behaviour of academia”:

“If conservation biology is ineffective in helping to stop something as globally significant as the devastation of Indonesian forests, then what, please, is the point of it? (…). If there is to be any hope from the growing body of conservation biologists (...), they will have to move away from priority-setting exercises, scientific studies, and theoretical modeling to on-the-ground management and policy decisions. Are conservation biologists able or willing to take up this challenge?”

Wie effektiv auch immer, wissenschaftlich untermauert und emotional befeuert erfolgte eine starke Hinwendung des Naturschutzes zum Einzelteilmanagement: Artenschutz, Habitatschutz und Biotopschutz gewannen an Bedeutung. Gleichzeitig wirkten das statische Basisparadigma der Romantik und der entsprechende Bezug auf einen vorindu-striellen Zustand fort. Folgerichtig begann im Naturschutz die Dominanz des Reparatur- und (Landschafts-) Pfle-gebetriebes.

Allein das Wort Pflege legt einen Vergleich des Naturschutzes mit der Medizin nahe (welcher auch bereits in anderem Zusammenhang angestellt wurde). Die so genannte Schulmedizin ist im 20. Jahrhundert einen vergleichbaren Weg der Spezialisierung, der Reparatur und des Einzelteilmanagements gegangen. Heute werden die Defizite immer of-fenkundiger, welche sich daraus ergeben, dass vielen Ärzten eine ganzheitliche, systemische Sicht des Patienten nicht mehr gelingt oder nicht mehr erstrebenswert erscheint. Heilung wird in nur unzureichendem Maße als Systempro-zess verstanden, in dem – wie im Ökosystem - die Gesamtwirkung größer sein kann als die Summe der Aktivitäten einzelner Elemente.

2.3. Ein systemisch-evolutionärer Naturschutz setzt sich (noch) nicht durch

Die Entwicklung der Ökologie hat bekanntermaßen ebenfalls eine große Bedeutung für die konzeptionelle Entwick-lung des Naturschutzes erlangt. Parallel entstand eine neue Natursicht, geprägt vom Wissen um die Existenz komple-xer Systeme, die durch Interaktionen und Veränderungen der Einzelteile geprägt werden, welche nicht mechanistisch starr wie ein Zahnräderwerk ineinander greifen. In diesem Sinne führen schon Ehrlich und Ehrlich (1981) in ihrem oben erwähnten Gleichnis vom Mechaniker aus, der sorglos Nieten aus den Tragflächen eines Flugzeugs entfernt:

„The natural ecological systems of Earth, which supply these vital services, are analogous to the parts of an air-plane that make it a suitable vehicle for human beings. But ecosystems are much more complex than wings or engines. Ecosystems, like well-made airplanes, tend to have redundant subsystems and other „design“ features that permit them to continue functioning after absorbing a certain amount of abuse.“

Die entsprechende systemisch-interaktionistisch-evolutionäre Natursicht ist allerdings zweifellos eine sehr abstrak-te. Die Vision einer permanenten, ergebnisoffenen und entsprechend ziellosen, oft vom Zufall beeinflussten Verän-

Page 43: Klimawandel und Biodiversität - NABU · Wir alle wissen es: Der Klimawandel ist bereits grausame Realität. Mitte Januar wurde der Klimaatlas der europä-ischen Brutvögel in Brüssel

41NABU-Konferenz „Klimawandel und Biodiversität“ • Berlin • April 2008

derung der Ökosysteme setzte sich auch in der Ökologie nur zögerlich durch. Die Gründe dafür sind vielfältig. Sie widerspricht u.a. der individuellen Erfahrung der scheinbaren Stabilität der Umweltbedingungen und der offen-kundigen Vorliebe für Ordnung. Folgerichtig entstand die Idee vom Gleichgewicht in der Natur, welches sich auf komplexe Weise unter Beteiligung der vielen Organismen einstellt und vom Menschen gestört wird, der von sich selbst nicht mehr als Teil der Natur begriffen wird. Hierbei handelt es sich zum einen um eine neue Form der Mysti-fizierung und Überhöhung der Natur. Zum anderen ist sie auch als Ausdruck einer verklärenden Naturentfremdung und der mit ihr verbundenen diffusen Sehnsucht nach dem Leben mit und in der Natur zu begreifen. Sie erfasst leicht Menschen in urbanen Gesellschaften, die nicht mehr gezwungen sind, selbst in Ökosysteme störend einzugreifen (weil das für sie die Bauern, Förster und alle sonstigen Naturressourcennutzer erledigen) und sich zudem um ihre Be-dürfnisbefriedigung nicht zu sehr sorgen müssen. Konzepte von „Störung“ und „Resilienz“ können als Versuch der Ökologie verstanden werden, dieses Problem zu lösen, befördern unter Umständen jedoch weiterhin die Vorstellung von „Stabilität“. Diese Konzepte können zwar lokal und über kurze Zeiträume als pragmatische Vereinfachungen von Nutzen sein, führen aber, wenn sie mit umfassendem Erklärungsanspruch aufgeladen werden, leicht wieder zu einem letztlich statischen Begriff von Ökosystemzuständen zurück.

Die Popularisierung der attraktiven Konzepte des ökologischen Gleichgewichts schritt selbst dann noch voran, als Systemtheoretiker längst vermeintliche Gleichgewichte als allenfalls temporäre Zustände enttarnt hatten, um die Systeme mehr oder wenig stark taumeln. Die Sicht von Natur und der ganzen Welt als komplexem, vernetzten System ist intellektuell durchaus auch herausfordernd und attraktiv – doch haben sich die Konzepte und Schlussfolgerungen von zeitweise sehr prominenten Systemdenkern wie etwa Frederic Vester (z.B. Vester 1974, 1999) im Alltag bislang nicht durchgesetzt.

Dennoch legte das systemisch-evolutionäre Naturverständnis u.a. das Fundament für die Modellierung ökologischer Prozesse, welche heute aus dem wissenschaftlichen Alltag nicht mehr wegzudenken ist. Bezeichnenderweise aber fallen viele ökologische Modellierer wieder auf einen technomorphen-konstruktivistischen Ansatz zurück und glau-ben, dass sie nur hinreichend viele Einzelteile verstanden haben und dass die Modelle nur genügend viele Faktoren berücksichtigen müssten, um verlässlich das zukünftige Verhalten des Systems verfolgen und vorhersagen zu können (vgl. Abb. 1). Zwar führten bestimmte auf der Erde immer wieder gegebene Kombinationen von Umweltbedingungen und auch in den Organismen physiologisch oder anatomisch evolutiv angelegte Beschränkungen zu verblüffenden Konvergenzen auf den verschiedensten Ebenen (etwa bei äußerlich so ähnlichen Taxa wie Segler und Schwalben, oder bei den auf diversen Kontinenten ähnlichen Vegetationstypen derselben Biome). Dennoch zeigt auch die Paläo-ökologie, wie sehr beispielsweise Aussterbe- und Artbildungsereignisse und damit die Entwicklung des biotischen Inventars von Ökosystemen hochgradig stochastisch vonstatten gingen. Selbstverständlich mag im Rahmen enger Dimensionen von Zeit und Raum das Verhalten relativ einfacher Systeme einigermaßen verlässlich vorhersagbar sein, doch ist die Ansicht, dass die abiotischen und biotischen Aggregate wie Zahnräder ineinander greifen – wie im oben zitierten Science-Artikel sogar in einer technomorphen Illustration offen gelegt - grundlegend falsch (Abb. 1). Wichtige Systemeigenschaften wie Rückkopplungen, Antagonismen, Synergien und Aufschaukeln werden schlicht ignoriert.

Auch ein systemisch-evolutionärer Naturschutz widerspricht in mehrfacher Hinsicht der Sehnsucht des Menschen nach Beständigkeit, Ordnung und Vorhersagbarkeit. Zu Prozessschutz und unvorhersagbaren Ökosystemprozes-sen lässt sich kaum ein emotionaler Bezug herstellen. Ganzheitliche und integrale Konzepte wie etwa der Ökosy-stemansatz wurden zwar konsequent entwickelt und erlangten in Wissenschaftlerkreisen und v.a. im Rahmen von internationalen Vereinbarungen wie dem Übereinkommen über die biologische Vielfalt eine politische Relevanz (CBD 2000), nur sind sie bedauerlicherweise weit entfernt von Natursicht und Motivation der meisten aktiven Na-turschutzakteure.

Insgesamt ist also festzustellen, dass es in der Naturschutzwissenschaft bzw. in den ihr Konzepte zuliefernden Dis-ziplinen zu zahlreichen Paradigmenwechseln gekommen ist. Da aber weder Zielsetzung noch Umsetzung von Na-

Page 44: Klimawandel und Biodiversität - NABU · Wir alle wissen es: Der Klimawandel ist bereits grausame Realität. Mitte Januar wurde der Klimaatlas der europä-ischen Brutvögel in Brüssel

42 NABU-Konferenz „Klimawandel und Biodiversität“ • Berlin • April 2008

turschutz eine rein wissenschaftliche, sondern zuvorderst eine gesellschaftliche und damit politische Angelegenheit ist, koexistieren die unterschiedlichen Paradigmen und kommen jeweils in unterschiedlichem Ausmaß zum Tragen – je nach dem Grad der ökologischen (In-) Kompetenz (im Sinne einer ecological [il]literacy; vgl. Orr 1989) der an Entscheidungen beteiligten Bevölkerungsgruppen. Letztlich ist nicht verblüffend, dass es auch im Naturschutz eine „Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen“ gibt (vgl. Bloch 1935) – eine Mischung aus wissenschaftlichem Fortschritt und einer simultanen mentalen Verweigerung eben desselben Fortschritts innerhalb der gleichen Gesellschaft.

Abb. 1: Aktuelles Beispiel für ein überholtes konstruktivistisch-technomorphes Verständnis von biologischen Systemen (Baliga 2008, in Science). Übersetzung der Illustrationsunterschrift: „Ineinandergreifende Architek-turen. Die Verbindungen zwischen Umwelt- und biologischen Netzwerken erleichtern das vorhersagende Modellieren von Zellantworten. Die ineinander greifenden Zahnräder innerhalb einer Mikrobenzelle reprä-sentieren gekoppelte biochemische Prozesse, die im Gleichtakt mit ähnlich verkoppelten Veränderungen der Umweltfaktoren arbeiten, ebenso repräsentiert durch ineinander greifende Zahnräder“.

2.4. Natura 2000 - mitten im Naturschutzwandel

Aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang des verzögerten bzw. verschleppten Paradigmenwechsels auch die Un-tersuchung der Genese der wichtigsten offiziellen europäischen Naturschutzinitiative: Natura 2000. Diese Initiative entstand als ein Kind der Naturschutzbiologie der 1980er Jahre. Vor allem die Populationsbiologie hatte die Proble-matik minimal lebensfähiger Populationen, die Bedeutung von Genaustausch zwischen Teilpopulationen so genann-ter Metapopulationen und die Gefahr der Fragmentierung von Habitaten deutlich machen können. Entsprechenden Fragen war im Naturschutz zuvor nur unzureichende Aufmerksamkeit geschenkt worden. Entsprechend war es ein zeitgemäßes Anliegen, der Fragmentierung von Habitaten entgegenzuwirken – Biotopverbund und Korridore wur-den wichtige Schlagworte mit sowohl konzeptioneller als auch konkret-tangibler Konnotation. Zwar standen im Falle des resultierenden Naturschutzansatzes Einzelteile der Ökosysteme, v.a. Arten und ihre Habitate, im Vordergrund, doch war gegenüber den älteren Artenschutzinstrumenten (z.B. CITES, Berner Konvention) ein deutlicher konzep-tioneller Fortschritt in Richtung eines prozessorientierten, funktionalen Naturschutzes erreicht.

Als es jedoch um die konkrete Ausgestaltung der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie ging, hatten vorrangig Biologen das Wort, welche über das Studium einzelner Organismengruppen oder Pflanzengesellschaften zum Naturschutz gekommen waren. Letztlich kam es zu einer starken Dominanz eines Ansatzes, bei dem es offenkundig stärker um die Repräsentation von Taxa und Lebensgemeinschaften in Schutzgebieten ging als um die effektive Erhaltung und Vernetzung von lebensfähigen Populationen. Die entsprechenden Listen der zu repräsentierenden Schutzobjekte (in den entsprechenden Anhängen der Richtlinie) wurden mit größerer Akribie ausgestaltet, während das funktionale

Page 45: Klimawandel und Biodiversität - NABU · Wir alle wissen es: Der Klimawandel ist bereits grausame Realität. Mitte Januar wurde der Klimaatlas der europä-ischen Brutvögel in Brüssel

43NABU-Konferenz „Klimawandel und Biodiversität“ • Berlin • April 2008

Element in Form der Kohärenz weitgehend unkonkret blieb. Dieses Problem wurde in der Geburtstunde von Natura 2000 durchaus erkannt, aber die entsprechende Behebung wurde damals bewusst vertagt (pers. Mitteilung Hermann Ellenberg 2008)3. Wäre die Idee von Vernetzung von Kohärenz ernsthafter verfolgt worden, wäre es beispielsweise erforderlich gewesen, Aspekte des räumlichen Schutzgebiets-Designs konkreter und verbindlich in die Richtlinie aufzunehmen: z.B. Mindestgrößen von FFH-Gebieten, Abstände zwischen Gebieten, Management der Matrix zwi-schen einzelnen Gebieten oder eine übergeordnete strategische räumliche Planung auf der Grundlage naturräumli-cher Gegebenheiten. Natura 2000 blieb von wissenschaftlichen Bemühungen, die systematische Naturschutzplanung zu entwickeln, sowohl auf europäischer als auch nationaler Ebene, unbefruchtet. Die in Folge aufgetretenen Defizite (vgl. Gaston et al. 2008) waren entsprechend vorhersehbar.

Angesichts der diversen oben angesprochenen Versäumnisse war ein absehbar langsam wirkendes und nur eher lang-fristig fortentwickelbares rechtliches Naturschutzinstrument von Beginn an nicht auf der Höhe der wissenschaftli-chen Erkenntnis. Gleichzeitig zeigt die prinzipielle Gleichbehandlung von zonalen Ökosystemen mit sekundären Kulturökosystemen, in denen pflegend die natürliche Sukzession unterbunden werden muss, eine gewisse ‚roman-tische’ Handschrift. Die bedeutsame, bereits in den 1980ern sehr deutlich werdende Herausforderung Klimawandel hat die Konzeption von Natura 2000 nicht beeinflusst; offensichtlich war die Zeit dafür noch nicht reif (siehe auch unten).

3. Naturwandel durch Klimawandel

Es sollen an dieser Stelle Aufzählungen von Befunden unterbleiben, welche die unterschiedlichsten, derzeitig be-obachtbaren Klimawandel-Reaktionen von biologischen bzw. ökologischen Systemen belegen. Die Literatur hierzu ist seit einigen Jahren geradezu explosionsartig angeschwollen; stellvertretend sei das Standardwerk von Lovejoy & Hannah (2005) zitiert. Die Global Change Biology4 ist zu einer eigenständigen Disziplin geworden. Zahllose Wissen-schaftler beschäftigen sich mit der Dokumentation entsprechender eingetretener bzw. zukünftig möglicher Klima-wandelfolgen. Ihr Verständnis ist für vielerlei Management von großer Bedeutung, nicht notwendigerweise aber für das Überdenken einiger Fundamente des Naturschutzes. Deshalb erlauben wir uns an dieser Stelle einige allgemei-nere Ausführungen.

Klimawandel war in jeglichem Erdzeitalter ein wesentlicher Faktor, der die biologische Evolution beeinflusste. Von Zeit zu Zeit wurden die Karten mehr oder weniger rasch neu gemischt und Lizenzen für die Beteiligung am ‚ökolo-gischen Spiel’ an bestimmten Orten neu ausgegeben oder zurückgezogen. Abgesehen von recht indirekten Befunden aus frühen Erdzeitaltern erlaubte v.a. das Studium der quartären Vergangenheit die Einsicht, wie unmittelbar, v.a. individualistisch und ggf. auch drastisch die Antwort einzelner Arten auf die Veränderung der klimatischen Verän-derungen ausfiel. Hinzu treten zusehends Informationen über aktuelle Reaktionen von biologischen bzw. ökologi-schen Systemen auf den derzeitigen anthropogenen und sehr raschen Klimawandel. Überraschend ist weniger, dass Arten in mannigfaltiger Weise phänologisch und auch arealgeographisch reagieren, als vielmehr die Tatsache, wie schnell diese Reaktionen angesichts eines gegenwärtig erst allmählich Fahrt aufnehmenden Klimawandels erfolgen. Es bestätigt sich, dass einige Arten beispielsweise zu schnellen Vorstößen (an ihrer polwärtigen Arealgrenze) oder auch Rückzügen (an ihrer äquatorwärtigen Arealgrenze) befähigt sind, um ihren Aufenthaltsraum an die langfristig angelegten klimatischen Nischendimensionen anzupassen. Der derzeitige Klimawandel lehrt uns anschaulich, wie dynamisch Ökosysteme und ihre Komponenten agieren - bzw. auch, dass manche Biozönosen ephemererer Natur sind, als wir lange Zeit gedacht haben.

3 Im Rahmen der Tagung „Naturerbe Buchenwälder“, Oktober 2008 auf der Insel Vilm. Nach Hermann Ellenberg sei damals (1989/1990) eine ent-sprechende Diskussion zurückgestellt worden, um keine Verzögerungen in der Verabschiedung der FFH-Richtlinie zu verursachen. Natura 2000 sei damals v.a. als Instrument dafür gesehen worden, EU-Gelder für Naturschutzzwecke in die neu beigetretenen südlichen Länder bewegen zu können, wo die Gefahr bestand, dass Agrarsubventionen gewachsene naturschutzwürdige Strukturen veränderten. Zuvor habe es keine regulären Möglichkeiten gegeben, EU-Gelder für den Naturschutz zu mobilisieren.

4 Vgl. z.B. gleichnamige Fachzeitschrift, bereits 1995 gegründet.

Page 46: Klimawandel und Biodiversität - NABU · Wir alle wissen es: Der Klimawandel ist bereits grausame Realität. Mitte Januar wurde der Klimaatlas der europä-ischen Brutvögel in Brüssel

44 NABU-Konferenz „Klimawandel und Biodiversität“ • Berlin • April 2008

Nicht überraschend ist auch, dass wir nicht in der Lage sind, alle letztlich systemisch vermittelten Reaktionen der Biodiversität auf den Klimawandel vorherzusagen bzw. im Nachhinein zu erklären. Grundsätzlich gilt, dass viele Arten recht unmittelbar auf die Veränderung der klimatischen Umweltbedingungen reagieren, aber es treten eben auch mehr oder minder subtile indirekte Effekte hinzu, die bedingt werden von der Veränderung der Wirkungen von Symbionten, Konkurrenten, Gegenspielern, Pathogenen, Parasiten etc. Das entsprechende Geschehen muss in großem Maße stochastisch ausfallen, da Zufälle darüber entscheiden, an welchem Ort welche Faktoren systemisch zusammenwirken. Dies bedeutet im theoretischen, aber konkreteren Beispiel die Frage, ob ein bestimmter Krank-heitserreger vielleicht deswegen in eine gewisse Region einwandern und ob er einen starken Befall erreichen konn-te, da Wetterextreme oder andere Stressfaktoren eine besondere Schwächung und Anfälligkeit des Wirtes bewirkt haben. Weitere Unsicherheiten ergeben sich beispielsweise aus dem genetischen Anpassungspotenzial, welches u.a. von der Populationsgröße und der Konnektivität innerhalb der Metapopulation abhängen dürfte. Je schneller der Klimawandel, desto unberechenbarer sollten entsprechend die Reaktionen in der Natur ausfallen.

Zu den paläoökologischen Einsichten gehört auch, dass Klimawandel durchaus bedeutende Degradationsschübe in Ökosystemen auslösen konnte und dass entsprechende Transformationen hin zu Zuständen geringerer Komplexität geradezu kollapsartig ausfallen und Massenaussterben auslösen können. In diesem Zusammenhang ist auf die Tatsa-che hinzuweisen, dass die Evolution einen grundsätzlich richtungslosen und nicht bewertbaren Prozess darstellt, in dem es deshalb keine Rückschläge oder Katastrophen gibt. Selbst Ereignisse, die akut als Katastrophe bewertet wor-den wären – wenn die sie erlebenden Organismen dazu in der Lage gewesen wären – bargen in sich die Chance für einen ‚innovativen’ Neuanfang der Evolution und ein Vorschnellen von Artbildungsprozessen. In der Erdgeschichte waren es bislang v.a. die Pflanzen, die als Organismen zu starken Veränderungen der globalen Umwelt beigetragen haben. Die Entstehung der oxidierenden Atmosphäre infolge der massiv betriebenen Photosynthese sowie die Schaf-fung eines Treibhauseffektes durch Anreicherung von Kohlendioxid in der Atmosphäre waren die wichtigsten (über Jahrmillionen) ablaufenden Ereignisse. Der Mensch ist wohl die erste Tierart, welche von der biologischen Evolution ausgestattet wurde, globale Umweltveränderungen auszulösen. Sollte sein Tun und sämtliche Konsequenzen, von de-nen der Klimawandel die nachhaltigste darstellen könnte, zu einem neuen Massenaussterben führen, so ist ziemlich wahrscheinlich, dass hernach Lebensformen eine evolutive Chance für Proliferation und Entwicklung bekommen, denen wir es kaum zugetraut hätten. Auf die Implikationen wird im Rahmen der Diskussion des Naturschutzwan-dels unten noch einzugehen sein.

4. Naturschutzwandel durch Klimawandel?

4.1. Klimawandel und Naturschutz – eine rasche Wandlung vom Außenseiter- zum Querschnittsthema

Gegen Ende des ersten Jahrzehnts des 21. Jahrhunderts ist die Zahl der Veranstaltungen zur Diskussion der An-passung des Naturschutzes an den Klimawandel unübersichtlich groß geworden. Ein vorläufiger Höhepunkt einer Entwicklung, die vor kurzem und eher zaghaft begann:

Nachdem in Deutschland ab den 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts die Bedrohung des Klimawandels intensiver thematisiert wurde (vgl. Enquetekommission 1988, 1992), wurde in den 90er Jahren erstmals auch die Relevanz der drohenden Klimaänderungen für den Naturschutz diskutiert (BfN 1995, hierin z.B. Ruthsatz 1995, Hofmann 1995; Plachter 1995). Die Autoren beschäftigten sich z.B. bereits mit Erfordernissen der Anpassungen der Schutzgebietssysteme und der Verbesserung von Biotopverbundstrukturen. Allerdings erfolgte dies auf weitgehend theoretischer Basis, da zunächst praktisch keine klimawandelbedingten Veränderungen in der Natur dokumentiert wurden.

Page 47: Klimawandel und Biodiversität - NABU · Wir alle wissen es: Der Klimawandel ist bereits grausame Realität. Mitte Januar wurde der Klimaatlas der europä-ischen Brutvögel in Brüssel

45NABU-Konferenz „Klimawandel und Biodiversität“ • Berlin • April 2008

Der erste politische Meilenstein des globalen Klimaschutzes war bekanntlich die Erarbeitung und Verabschiedung der Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen in Rio de Janeiro im Jahre 1992. Ebenso bewirkte auch die si-multan vorgelegte UN-Biodiversitätskonvention eine gewisse naturschutzpolitische Trendwende. Allerdings führte die Tatsache, dass parallel zwei wichtige und politisch brisante Umweltkonventionen vorgelegt wurden, paradoxer-weise dazu, dass ihre weitere Ausarbeitung und Spezifizierung (z.B. im Rahmen von Protokollen) sowie ihre Umset-zung zunächst getrennte Wege gingen. Dies wurde auch dadurch angelegt, dass beispielsweise im Übereinkommen über die biologische Vielfalt ein Hinweis auf Klimawandel als aufziehende Bedrohung keine Erwähnung fand. Die internationale Naturschutz-Politik, die bislang v.a. auf Artenschutzfragen fokussiert war (z.B. CITES), wurde zur Biodiversitätserhaltungs-Politik. Besondere politische Beachtung fanden zunächst v.a. Fragen der nachhaltigen Nut-zung und des gerechten Vorteilsausgleichs. Ausgestaltung und Umsetzung der Biodiversitätskonvention banden be-rechtigterweise einen wichtigen Teil des Interesse und der Ressourcen der meisten Naturschutzverantwortlichen.

Gleichzeitig schuf die Europäische Union im Rückenwind einer für die Biodiversitätserhaltung günstigen Groß-wetterlage ein historisch bedeutsames Gesetzeswerk, welches den Naturschutz in Europa voranbringen sollte. Die Verabschiedung der Fauna-Flora-Habitat-(FFH-)Richtlinie bedeutete die Einrichtung des nahezu kontinentweiten, standardisierten Schutzgebietssystems Natura 2000 (Rat der Europäischen Gemeinschaften 1992). Wie schon unter 2.4. dargestellt, kam es - ebenso wenig wie im Falle der Biodiversitätskonvention - in diesem neuen Regelwerk nicht zur fachlichen Beachtung und Erwähnung des Klimawandels.

Die Einrichtung der Natura 2000-Gebiete, v.a. der sogenannten FFH-Gebiete, wurde in Europa in den auf die Verab-schiedung der Richtlinie folgenden 15 Jahren zum wichtigsten Thema des Naturschutzes und band z.B. in Deutsch-land deutlich mehr personelle und finanzielle Ressourcen als die Anwendung anderer Instrumente der Biodiversi-tätserhaltung. Sowohl die behördlichen als auch die professionellen privaten bzw. die ehrenamtlichen Naturschützer vollbrachten mit der Einrichtung vieler neuer Schutzgebiete einen großen Kraftakt. Dies mag allerdings dazu beige-tragen haben, dass die Fortschritte der Klimaforschung die konzeptionelle Diskussion des Naturschutzes praktisch nicht befruchteten.

Der Klimawandel wurde zunächst weltweit kaum als wichtiger Faktor in die Naturschutzplanung und -aktion inte-griert. Auf anderen Kontinenten kam es vereinzelt zur Berücksichtigung des Klimawandels vor dem Hintergrund potenzieller Biom- und Artenarealverschiebungen, u.a. zur Begründung der Einrichtung von Makrokorridoren (z.B. Ibisch et al. 2002, Pressey et al. 2003). Schließlich erfolgte ab Beginn des neuen Jahrtausends ein regelrechter Boom der Global change biology: Zusehends berichteten Autoren von beobachteten und potenziellen Wirkungen des Kli-mawandels auf die biologische Vielfalt (z.B. Walker & Steffen 1997, Walther et al. 2002, Parmesan & Yohe 2003, Par-mesan 2006). Auch die Frage der Anpassung des Naturschutzes an den Klimawandel wurde erstmals ernsthaft und systematisch aufgegriffen (Hannah et al. 2002a, Hannah et al. 2002b, Ibisch 2005, 2006, Lovejoy 2005, Welch 2005, Ibisch 2006, Doyle & Ristow 2006, Lovejoy 2006, Lovejoy & Hannah 2006, Hannah et al. 2007, Huntley 2007, Taylor & Figgis 2007).

In Deutschland war es das Bundesamt für Naturschutz (BfN), welches vor dem Hintergrund verstärkter internatio-naler Diskussionen über Verknüpfungen zwischen Klimarahmen- und Biodiversitätskonvention ab 2004 im Rahmen von Workshopveranstaltungen zur Vernetzung von relevanten Akteuren eine systematischere Bearbeitung der The-matik „Biologische Vielfalt und Klimawandel“ anstieß (Korn et al. 2005, Korn & Epple 2006). Letztlich kam es als eine Konsequenz dieser Workshops auch zur Förderung des oben erwähnten BfN-Forschungs- und Entwicklungs-vorhabens „Schutzgebiete Deutschlands im Klimawandel“ (Badeck et al. 2007). Im Rahmen des Vorhabens wird die Beeinträchtigung der Schutzgüter der Schutzgebiete systematisch untersucht, und erstmals werden umfassend die konkreten Optionen für die Anpassung des Naturschutzes vorgeschlagen (Ibisch & Kreft 2008). Auch in anderen Sektoren ist die Diskussion der Anpassungsmöglichkeiten angelaufen – teilweise sind verschärfte Konflikte mit dem Naturschutz zu erwarten (z.B. Forstwirtschaft; Bolte & Ibisch 2007).

Page 48: Klimawandel und Biodiversität - NABU · Wir alle wissen es: Der Klimawandel ist bereits grausame Realität. Mitte Januar wurde der Klimaatlas der europä-ischen Brutvögel in Brüssel

46 NABU-Konferenz „Klimawandel und Biodiversität“ • Berlin • April 2008

Der behördliche Naturschutz selbst ist ein gutes Beispiel für den Wandel der Bedeutung des Klimawandels im Natur-schutz. Noch 2004 gab es beispielsweise im Bundesamt für Naturschutz keine klare Zuständigkeit für diese Thematik. Progressivere Forderungen nach konzeptioneller Entwicklung des ggf. in einigen Aspekten zu statischen Naturschut-zes stießen auf teilweise vehemente Kritik behördlicher Vertreter. Heute ist die Feststellung, dass Naturschutz dyna-mischer zu gestalten sei, ein Gemeinplatz. Das Bundesamt selbst veranstaltet etliche Tagungen zum Thema, auch der Deutsche Naturschutztag 2008 stand mit dem Motto „Stimmt das Klima? Naturschutz im Umbruch“ im Zeichen des/eines Klimawandels. Außerdem bemüht sich das BfN um die partizipative Formulierung von naturschutzfachlichen Beiträgen zur Entwicklung der nationalen Anpassungsstrategie der Bundesrepublik Deutschland, die gegenwärtig unter der Federführung des BMU entsteht. Mit zusätzlichen, eigens für den neu identifizierten Forschungsbedarf zu Naturschutz und Klimawandel bereitgestellten Mitteln wird sogar ein Sonderpaket des Umweltforschungsplanes 2009 aufgelegt, welches die entsprechende fachliche Entwicklung erheblich beschleunigen dürfte.

4.2. Vulnerabilität: klimawandelbedingter Naturschutzwandelbedarf

Anpassungsbedarf ergibt sich aus einer mehr oder weniger großen Vulnerabilität, welche je nach Spielart und In-tensität von Naturschutzbemühungen variiert. Vulnerabilität ergibt sich dabei aus Klimawandelsensitivität, Anpas-sungskapazität und tatsächlichem Klimawandelimpakt bzw. der Exposition (McCarthy et al. 2001). In einem Gebiet, welches dem ergebnisoffenen Prozessschutz gewidmet ist, ergibt sich trotz jeglicher gegebener Sensitivität der enthal-tenden biologischen Systeme eine Vulnerabilität von Null, da jegliche Veränderung des zu schützenden Systems per se wertneutral bzw. positiv gesehen wird (Abb. 2; vgl. Ibisch & Kreft 2008). Am schlimmsten sind Systeme betroffen, die sowohl klimawandelsensitiv, also z.B. aus physiologischen Gründen stark negativ auf Dürre oder Extremtempe-raturen reagieren, und gleichzeitig eine geringe Anpassungsfähigkeit besitzen, also z.B. über ein geringes Ausbrei-tungsvermögen verfügen oder die sich nur langsam genetisch anpassen..

Wie am Beispiel des Prozessschutzes deutlich wird, ergibt sich die Vulnerabilität von ‚Naturschutzsystemen’ nicht allein aus der Verwundbarkeit der biologischen Systeme, welche zum Schutzobjekt erklärt werden, sondern ebenso aus dem Management selbst. (Ein Beispiel für ein solches Naturschutzssystem sind Schutzgebiete – welche mitnich-ten nur aus den nicht-menschlichen biologischen Systemen in ihren Grenzen bestehen, sondern ebenso aus den be-teiligten Nutzern: Landwirte, Förster, Naturschutzverwaltungen usw.) Naturschutzmanagement umfasst sämtliche Handlungsebenen von der Konzeption und Planung bis hin zur Umsetzung von Maßnahmen, dem Monitoring und dem Schaffen benötigter Rahmenbedingungen. Entsprechend können ineinander verschachtelte und sich in ihrem Effekt akkumulierende Ebenen der Vulnerabilität ausgemacht werden (Abb. 3). Diese Erkenntnis ist für die Identifi-zierung von Handlungsoptionen von großer Bedeutung, da es darum gehen muss, die Vulnerabilität bestmöglich zu reduzieren. Wenn die biologische begründete, managementexterne Vulnerabilität von Schutzobjekten nicht weiter beeinflusst werden kann, dürfte zumindest die hausgemachte – also interne – Management-Vulnerabilität in der Regel Ansatzpunkte für Strategien bieten.

Die externe Vulnerabilität entsteht nicht allein aus der individuellen Reaktion einzelner Arten auf den Klimawandel, sondern gerade auch aus wenig verstandenen und vorhersagbaren Wechselwirkungen verschiedener Bedrohungs-faktoren. Die Naturschutzvulnerabilität ergibt sich allerdings auch aus soziopolitischen Rahmenbedingungen (z.B. politische Schwächung des Naturschutzes durch Verschiebung gesellschaftlicher Prioritäten in Zeiten wirtschaftli-cher Probleme).

Die interne Vulnerabilität des Naturschutzes entsteht beispielsweise durch:

Kleine, fragmentierte Gebietskulissen mit großen Randeffekten (Gebiete mit hohem Umfang/Fläche-Verhältnis) ¡

Technomorph-fragmentierte Natur-/ Weltsicht mit fehlender Umsetzung eines systemischen Ansatzes und resul- ¡tierendem fragmentierten Einzelteilmanagement

Unfähigkeit der Kommunikation der gesellschaftlichen Bedeutung des Naturschutzes. ¡

Page 49: Klimawandel und Biodiversität - NABU · Wir alle wissen es: Der Klimawandel ist bereits grausame Realität. Mitte Januar wurde der Klimaatlas der europä-ischen Brutvögel in Brüssel

47NABU-Konferenz „Klimawandel und Biodiversität“ • Berlin • April 2008

Abb. 2: Fallbeispiele unterschiedlich ausgeprägter Vulnerabilität exemplarischer Schutzobjekte (Sensitivität und Anpassungsschwäche gegenüber Klimawandel hier im Sinne einer globalen Erwärmung - wie derzeitig beobachtet bzw. projiziert - gemeint).

Abb. 3: Hierarchisch verschachtelte Ebenen der Vulnerabilität von Naturschutzsystemen gegenüber dem Klimawandel.

Page 50: Klimawandel und Biodiversität - NABU · Wir alle wissen es: Der Klimawandel ist bereits grausame Realität. Mitte Januar wurde der Klimaatlas der europä-ischen Brutvögel in Brüssel

48 NABU-Konferenz „Klimawandel und Biodiversität“ • Berlin • April 2008

4.3. Beobachtbarer und potenzieller klimawandelbedingter Naturschutzwandel

Naturschutz ist ein komplexes Geschehen unter Beteiligung vieler unterschiedlicher Akteure (Abb. 4). Diese Akteure haben jeweils auf unterschiedlichen Handlungsebenen wichtige Beiträge zu leisten (siehe weiter unten). Auf allen Handlungsebenen ergeben sich Handlungsbedarf und Handlungsoptionen (Ibisch & Kreft 2008).

Abb. 4: Naturschutz kann als Gebäude mit mehreren Stockwerken begriffen werden (vgl. Ibisch & Kreft 2008). Das Gebäude ist nur als Gesamtheit aller Stockwerke funktional: die jeweils tieferen Stockwerke bilden das Fundament der höheren; die höheren Stockwerke tragen das Dach, welches für die langfristige Stabilität tieferer Ebenen sorgt. Auf den verschiedenen Ebenen tragen unterschiedliche Akteure jeweils eine differenzierte Verantwortung. Zutiefst fundamental sind die Zielsetzungen der Gesellschaft, welche (idealerweise) unter Berücksichtigung wissenschaftlicher Befunde definiert werden. Auf den Zielsetzun-gen und wissenschaftlichen Konzepten sollten die politisch-gesetzlichen Vorgaben ruhen, welche den Rahmen für die konkreten Aktionen vorgeben, welche von Praktikern ausgeführt und (idealer Weise) von Wissenschaftlern bezüglich ihrer Effektivität bewertet werden. Die Kommunikation des Handlungs-bedarfes, der Ziele und der Maßnahmen sowie der Erfolge des Naturschutzes bilden ein wichtiges Dach, welches vor Erosion durch ungünstige Meinungen und Stimmungen schützt, welche letztlich v.a. auf die Ebene der Entscheidungsträger zurückzuwirken vermögen.

Anpassungsoptionen in den ‚oberen Stockwerken’ können teilweise leicht auch auf lokaler Ebene beispielsweise im Rahmen des Managements von einzelnen Schutzgebieten umgesetzt werden. Logischerweise sind die das Fundament betreffenden Handlungsoptionen besonders grundlegender Art, so dass Änderungen auf diesen Ebenen am ehesten mit echten Paradigmenwechseln verbunden sind. Hier geht es um die Begründungen des Naturschutzes und die aus ihnen abzuleitenden Zielsysteme. Solche Änderungen bedürfen unter Umständen der Akzeptanz großer und ein-flussreicher Akteursgruppen und letztlich auch legaler Veränderungen, um überhaupt umsetzbar zu werden.

Eine zentrale Einsicht, die wir aus dem schnellen und sich beschleunigenden globalen Umweltwandel ableiten müs-sen, ist diejenige, dass es nicht mehr ausreicht, auf eingetretene Probleme zu reagieren. Vielmehr gilt es, szenarienba-siert Probleme zu antizipieren und je nach Einschätzung ihrer Plausibilität und ihrer Wirkungen vor ihrem Eintritt

Page 51: Klimawandel und Biodiversität - NABU · Wir alle wissen es: Der Klimawandel ist bereits grausame Realität. Mitte Januar wurde der Klimaatlas der europä-ischen Brutvögel in Brüssel

49NABU-Konferenz „Klimawandel und Biodiversität“ • Berlin • April 2008

zu proagieren5. Es empfiehlt sich, die Prinzipien und das Instrumentarium des präventiven Risikomanagements, wie es z.B. in den Bereichen des Versicherungswesens, des Projektmanagements oder der Entwicklungszusammenarbeit entwickelt wird, auf den Naturschutz zu übertragen. Eine notwendige Konsequenz ist, dass die Grenzen eines stark naturwissenschaftlich-evidenzbasiert geprägten Naturschutzes erkannt werden. Dazu gehört auch die Annahme ei-ner eher systemisch-evolutionären Natursicht, welche impliziert, dass die Eigenschaften von Systemen nicht allein aus der Analyse ihrer Teile verstanden werden kann und dass das Verhalten von Biodiversität nur wenig vorhersagbar und entsprechend auch nicht deterministisch steuerbar ist. Das deterministische Management ist abzulösen durch ein adaptives Management, welches bereit ist, viel systematischer und häufiger die Effektivität und Angemessenheit der Strategien und auch der Ziele zu hinterfragen. Adaptives Management ist wie auch die Aufforderung, Natur-schutz in angemessenen räumlichen und zeitlichen Dimensionen zu betreiben (was die Berücksichtigung der Zu-kunft einschließt), ein Schlüsselelement des Ökosystemansatzes, welcher nach seiner offiziellen Annahme durch das Übereinkommen über die biologische Vielfalt seiner Umsetzung harrt.

Während immer mehr Akteuren deutlich wird, dass die Bekämpfung „konventioneller“ Bedrohungen weiterhin ein wichtiges Ziel des Naturschutz bleiben muss, ist die Wertung der Klimawandelbedrohung bislang alles andere als einhellig. Allerdings mehren sich die Stimmen, dass Klimaschutz und Naturschutz stärker miteinander verwoben werden müssen. Von wesentlicher Bedeutung ist, wie ernst der Naturschutz den Klimawandel als übergeordnete Bedrohung – auch der gesamten menschlichen Gesellschaft - wahrnimmt und sich entsprechend Klimaschutz-bemühungen gegenüber positioniert. Der Naturschutz wird von vielen Sektoren der Gesellschaft nach wie vor als Entwicklungsverhinderer wahrgenommen. Der konstruktive Beitrag des Naturschutzes zur Erreichung einer nach-haltigen, gerechteren und lebenswerten Entwicklung wird auch angesichts von Zielkonflikten und widerstrebenden Richtungen des Naturschutzes oftmals nicht erkannt. Der Klimawandel und die Notwendigkeit des Klimaschutzes bedeuten entsprechend Risiken für die Naturschutzkommunikation. Naturschützer sehen sich mit dem Dilemma konfrontiert, dass sie häufig als Warner und ‚Verhinderer’ auftreten – selbst dann, wenn es um die Einführung von ressourcenschonenden und (vermeintlich) umweltfreundlichen Technologien geht (Bsp. Windkraft, Biomasse zur energetischen Nutzung, s.u.). In diesem Zusammenhang wird ein Grundproblem des Naturschutzes deutlich, wel-ches seinen Ursprung in der Notwendigkeit hat, komplexe Sachverhalte differenziert analysieren und vermitteln zu müssen, welche von verschiedenen Schulen des Naturschutzes ggf. unterschiedlich bewertet werden. Das Fehlen einfacher und ausschließlich richtiger Lösungen hemmt die öffentliche Naturschutzkommunikation.

Um die grundsätzlich vorhandene Glaubwürdigkeit zu erhalten, muss der Naturschutz sich darum bemühen, nicht als Gegner des Klimaschutzes wahrgenommen zu werden. Verschiedene Naturschützer bedauern, dass dem Klima-thema innerhalb kurzer Zeit viel mehr Aufmerksamkeit zuteil geworden ist, als der Naturschutz je hatte. Dabei gilt es zu beachten, dass der Naturschutz ohne erfolgreichen Klimaschutz langfristig seine Ziele nicht erreichen kann. Naturschutz sollte sich idealer Weise als Nutznießer des Klimaschutzes begreifen, zu dem er allerdings auch selbst aktiv beitragen kann.

4.3. Akteure und Akzeptanz des gegenwärtigen Naturschutzwandels

Der Naturschutz als (facettenreiches, heterogenes) System kann sich durch externe Kräfte (klimawandelbedingte Be-einträchtigungen der Schutzobjekte, im Konflikt stehende Interessen anderer gesellschaftlicher Sektoren) verändern lassen, oder Naturschützer unternehmen den Versuch, diesen Wandel selbst zu steuern. Die Reaktionen wichtiger Naturschutz-Stakeholder auf den Klimawandel und ihre Positionen, ob und wie eine Anpassung erfolgen sollte, rei-chen von fehlendem Problembewusstsein über die Verteidigung des Vertrauten bis zur Einsicht in die Notwendigkeit und konstruktive Vorschläge (s. Kasten 1).

5 Diese Forderung wurde im Rahmen einer Sommerakademie zu Naturschutz und Klimawandel in die jüngsten Vilmer Thesen eingebracht (vgl. Ott et al., eingereicht).

Page 52: Klimawandel und Biodiversität - NABU · Wir alle wissen es: Der Klimawandel ist bereits grausame Realität. Mitte Januar wurde der Klimaatlas der europä-ischen Brutvögel in Brüssel

50 NABU-Konferenz „Klimawandel und Biodiversität“ • Berlin • April 2008

Kasten 1: Der Klimawandel wird von vielen Naturschutz-Akteuren noch nicht ernst genommen und die zwingende Notwendigkeit einer Anpassung auf allen Handlungsebenen realisiert. – Sinngemäße Wiedergabe von Positionen, die gegenüber den Autoren während Diskussionen auf Vortragsveranstaltungen geäußert wurden.

Klimawandel ist also für viele (die meisten?) Naturschützer noch nicht „gleich Naturschutzwandel“. Dieses Bild ins-gesamt schwacher Akzeptanz des prinzipiellen Anpassungsbedarfs ist aber sicherlich zu differenzieren, etwa nach Wirkungsschwere und –reichweite der konkreten Anpassungsoptionen, den zuständigen Akteuren, ihrer technischen Machbarkeit, Reversibilität, der mit ihnen verbundenen Kosten und nicht zuletzt der möglicherweise entstehenden sekundären Schwächung des Naturschutzes (s. Tab. 1). So dürften manche Anpassungsoptionen aktuell schon durch-aus akzeptabel sein, zumindest bei manchen Akteuren. Hierbei erscheint besonders die Erkenntnis wichtig, dass nicht alle Akteure gleichermaßen gefordert sind. Die immanent komplexen klimawandelbedingten Herausforderun-gen machen eine weitere Professionalisierung des Naturschutzes erforderlich (etwa durch Bedeutungszuwachs der Landschaftsplanung oder der Szenarienplanung). Der ehrenamtliche Naturschutz erscheint so einerseits „entlastet“, andererseits aber auch in eine zunehmend passive Rolle gedrängt.

Typische Positionen von Naturschützern in Diskussionen zur Anpassung an den Klimawandel

Behörden:

„Natura 2000 hat uns so viel Arbeit und Ärger gebracht, daran darf man jetzt nicht rühren.“

„Klimawandel bedeutet doch nicht nur Artenverluste, sondern auch Gewinne – also müssen wir die Ankunft der Neuankömmlinge vorbereiten und möglich machen.“

„Wenn die Lebensgemeinschaften sich auflösen, dann müssen wir die FFH-Lebensraumtypen eben in ein paar Jahren neu definieren.“

„Wir müssen Trauerarbeit leisten für diejenigen Arten, die nicht mehr zu halten sind.“

Ehrenamt:

Artenschutz•

„Ich will aber, dass diese Arten der Mittelgebirgshochflächen auch in Zukunft noch dort vorkommen.“

„Warten wir mal ab, so dramatisch kommt es am Ende wie meist doch nicht.“

Kulturlandschaftsschutz•

„Ich finde Museen [Kulturlandschaften] aber gut!“

„Die Landnutzung sollte der Landschaft wieder mehr Nährstoffe entziehen, weil viele Arten der histori-schen Kulturlandschaften auf nährstoffarme, warme und lichte Bedingungen angewiesen sind.“

Politik:

„Wer heute die Anpassung von Natura 2000 fordert, der kann mein Freund nicht sein.“

Weitere Positionen

Wissenschaftler:

„Das Klima hat sich immer wieder verändert, der Natur ist das egal, und die Evolution geht darüber hinweg.“

„Die Moore in Brandenburg werden verschwinden, es lohnt sich nicht mehr, in ihre Erhaltung zu investieren.“

Page 53: Klimawandel und Biodiversität - NABU · Wir alle wissen es: Der Klimawandel ist bereits grausame Realität. Mitte Januar wurde der Klimaatlas der europä-ischen Brutvögel in Brüssel

51NABU-Konferenz „Klimawandel und Biodiversität“ • Berlin • April 2008

5. Ausblick: Naturschutz und globaler Wandel – die Bedarfs-Machbarkeitsschere öffnet sich

Es geht nicht um das Verhältnis von Naturschutz und Klimawandel allein. Vielmehr ist die wahre Herausforderung, die Funktionstüchtigkeit der Natur6 unter den Rahmenbedingungen aller Prozesse des globalen (Umwelt-)Wandels zu erhalten. Es macht wenig Sinn, Naturschutz und Klimawandel zu betrachten, ohne beispielsweise die Treiber der globalen Entwaldung, die voranschreitende Globalisierung der ökonomischen Systeme, die Verknappung nicht er-neuerbarer Ressourcen und das Bevölkerungswachstum mit zu bedenken.

Unsere Welt, getrieben vom inzwischen faktisch überall dominierenden wachstumsbasierten Zivilisationsmodell, verändert sich gegenwärtig auf allen denkbaren Funktionsebenen. Dieser Wandel ist wahrhaftig global: die wesent-lichen Trends sind in den meisten Regionen der Welt gleichgerichtet (vom technischen Fortschritt über die Globali-sierung des Handels bis hin zur kulturellen Angleichung) und beschleunigen sich, getrieben auch durch immer neue nicht-lineare, synergistische Wirkungen, welche sich gegenseitig in Rückkopplung verstärken.

Noch scheint das Problembewusstsein für die systemische Bedrohung zu fehlen (s. auch 4.3), obwohl die einzelnen Facetten des globalen Wandels durchaus wahrgenommen werden. Wir beobachten ein nicht-lineares Wachstum des anthropogenen Drucks auf Ökosysteme (z.B. durch Beschleunigungen des Bevölkerungswachstums, der Vernetzung und Stoff-, Energie- und Informationsflüsse in und zwischen Gesellschaften, der technologischen Entwicklungen, der Bedürfnisse und des Konsumverhalten, des Klimawandels). Die Reaktion der Gesellschaft beispielsweise auf den letztgenannten Druckfaktor (Klimaschutz, Anpassung an Klimawandel) ist in ihren Wirkungen ebenfalls nicht-line-ar und trägt zur systemisch-synergetischen Eskalation der Folgewirkungen des globalen Umweltwandels auf Natur und menschliche Gesellschaft bei. Die Menschheit befindet sich gleichzeitig unter erheblichem Anpassungsdruck an kritisch hohe Bevölkerungsdichte und eine Verknappung derjenigen Ressourcen (etwa Energie, Nahrung, Fläche), die den overshoot bis dato ermöglicht haben. Unter dieser Beschaffungskrise steigt der Druck auf Ökosysteme weiter. Gleichzeitig aber mussten sich noch nie sich so viele Ökosysteme an Klimawandel anpassen, deren Funktionalität durch menschliche Einflussnahme und Beeinträchtigung bereits geschwächt war.

Wer diese Veränderungen in ihrer aktuellen und zukünftigen Wirkung auf das Wohlergehen der Menschheit und ihrer Umwelt ernst nimmt, erkennt, dass die Geschwindigkeit des Wandels an sich bereits ein kritisches Problem darstellt, die besonders die wegen ihrer geringen Anpassungsfähigkeit hochvulnerablen Gesellschaften der ärmeren Länder gefährdet. Aber auch anpassungsfähigere Gesellschaften werden sich dieser globalen Dynamik bereits kurz-fristig nicht mehr entziehen können (Migrationsdruck, wachsende Konkurrenz um Energieressourcen, Nahrung, Rohstoffe usw.). Es handelt sich im Grunde um eine Krise des wachstumsbasierten Zivilisationsmodells, als dessen prominentestes Symptom und gleichzeitig Syndrom sich der Klimawandel aufdrängt. Nicht nur dem systemisch geschulten Auge muss also deutlich erkennbar werden, dass der Naturschutz es längst mit einem globalen Umwelt-wandel zu tun bekommen hat, der noch weitaus mehr ist als Klimawandel. In Anbetracht der wachsenden Defizite bei der Zielerreichung, die der Naturschutz bereits unter weniger dynamischen Bedingungen nicht hat verhindern können, ist das keine gute Nachricht.

6 Die Funktionstüchtigkeit der Ökosysteme schließt Systemeigenschaften ein wie Resilienz und Wandlungs- und damit Anpassungsfähigkeit. Diese Funktionstüchtigkeit generiert nicht allein Dienstleistungen für den Menschen, sondern auch solche für die Ökosysteme selbst und die in ihnen be-herbergten bzw. agierenden Arten. Wir können nicht Teile eines Systems erhalten ohne die entsprechende Interaktion mit anderen Systemelemen-ten. Die Funktionstüchtigkeit von Natur ergibt sich allein aus systemischen Wirkungen – diese Einsicht hat sich angesichts einer vorherrschenden eher technomorphen-konstruktivistischen Natursicht noch nicht durchgesetzt.

Page 54: Klimawandel und Biodiversität - NABU · Wir alle wissen es: Der Klimawandel ist bereits grausame Realität. Mitte Januar wurde der Klimaatlas der europä-ischen Brutvögel in Brüssel

52 NABU-Konferenz „Klimawandel und Biodiversität“ • Berlin • April 2008

Hierarchische Ebene Handlungsoption Wirkungs-schwere

Wirkungs-reichweite

Zuständigkeit Akzeptanz auf Seiten der vorrangig Zuständigen

Technische Machbarkeit

(langfristige) Kosten- neutralität

Gewähr vor sekundären Risiken

Reversibilität Gesamtein-schätzung der Umsetzbarkeit

1. Zielgerüste a. Redefinition bzw. Erwei-terung der Auswahlkriterien von Schutzobjekten (z.B. inkl. Prozesse, Resilienz-‚Intaktheit’)

3 3 Behörden Politik

1 2 1 2 1 7

b. Dynamisierung der Zielgerüste

3 3 Behörden Politik

1 1 1 2 1 6

2. Umsetzungskonzepte und Planungsansätze

a. Dynamisierung der Naturschutzplanung

3 3 Behörden Politik

1 3 2 2 1 9

b. Adaptives Management (z.B. im Ökosystemansatz)

3 3 Behörden Ehrenamt (Landnutzer) (Politik)

1 3 2 3 3 12

c. Proaktives Risikomanagement

3 3 Behörden Ehrenamt (Landnutzer) (Politik)

2 2 2 3 2 11

d. Szenarienbasierte Naturschutzplanung

3 3 Behörden (Politik)

2 2 2 3 2 11

e. Größere zeitliche & räumliche Planungs- dimensionen

3 3 Behörden Ehrenamt Politik (Landnutzer)

1 2 2 3 2 10

3. Politische und gesetzliche Rahmen-bedingungen

a. Resilienz und Anpassungs-fähigkeit als prominentes Ziel in der Naturschutzge-setzgebung

3 3 Behörden Politik

1 3 1 3 1 9

b. Naturschutzintegrative räumliche Planung stärken (Landschaftsplanung, incl. grenzüberschreitende Koordination)

3 3 Behörden

Politik

1 3 1 3 3 11

c. Naturschutzinstrumente (Gute fachliche Praxis, Vertragsnaturschutz, Ein-griffsregelung) stärken und im Sinne von 2. anpassen

3 3 Behörden Politik (Ehrenamt) (Landnutzer)

2 3 1 3 2 11

4. Konkrete naturschutz-fachliche Maßnahmen und Eingriffe

a. Landschaftsplanung (z.B. ökoregionale Gap-Analyse des SG-Systems, räumli-ches Design einzelner SG, v.a. Zusammenfassung zu größeren Einheiten)

3 2 Behörden Politik

1 3 1 2 3 10

Page 55: Klimawandel und Biodiversität - NABU · Wir alle wissen es: Der Klimawandel ist bereits grausame Realität. Mitte Januar wurde der Klimaatlas der europä-ischen Brutvögel in Brüssel

53NABU-Konferenz „Klimawandel und Biodiversität“ • Berlin • April 2008

Hierarchische Ebene Handlungsoption Wirkungs-schwere

Wirkungs-reichweite

Zuständigkeit Akzeptanz auf Seiten der vorrangig Zuständigen

Technische Machbarkeit

(langfristige) Kosten- neutralität

Gewähr vor sekundären Risiken

Reversibilität Gesamtein-schätzung der Umsetzbarkeit

1. Zielgerüste a. Redefinition bzw. Erwei-terung der Auswahlkriterien von Schutzobjekten (z.B. inkl. Prozesse, Resilienz-‚Intaktheit’)

3 3 Behörden Politik

1 2 1 2 1 7

b. Dynamisierung der Zielgerüste

3 3 Behörden Politik

1 1 1 2 1 6

2. Umsetzungskonzepte und Planungsansätze

a. Dynamisierung der Naturschutzplanung

3 3 Behörden Politik

1 3 2 2 1 9

b. Adaptives Management (z.B. im Ökosystemansatz)

3 3 Behörden Ehrenamt (Landnutzer) (Politik)

1 3 2 3 3 12

c. Proaktives Risikomanagement

3 3 Behörden Ehrenamt (Landnutzer) (Politik)

2 2 2 3 2 11

d. Szenarienbasierte Naturschutzplanung

3 3 Behörden (Politik)

2 2 2 3 2 11

e. Größere zeitliche & räumliche Planungs- dimensionen

3 3 Behörden Ehrenamt Politik (Landnutzer)

1 2 2 3 2 10

3. Politische und gesetzliche Rahmen-bedingungen

a. Resilienz und Anpassungs-fähigkeit als prominentes Ziel in der Naturschutzge-setzgebung

3 3 Behörden Politik

1 3 1 3 1 9

b. Naturschutzintegrative räumliche Planung stärken (Landschaftsplanung, incl. grenzüberschreitende Koordination)

3 3 Behörden

Politik

1 3 1 3 3 11

c. Naturschutzinstrumente (Gute fachliche Praxis, Vertragsnaturschutz, Ein-griffsregelung) stärken und im Sinne von 2. anpassen

3 3 Behörden Politik (Ehrenamt) (Landnutzer)

2 3 1 3 2 11

4. Konkrete naturschutz-fachliche Maßnahmen und Eingriffe

a. Landschaftsplanung (z.B. ökoregionale Gap-Analyse des SG-Systems, räumli-ches Design einzelner SG, v.a. Zusammenfassung zu größeren Einheiten)

3 2 Behörden Politik

1 3 1 2 3 10

Page 56: Klimawandel und Biodiversität - NABU · Wir alle wissen es: Der Klimawandel ist bereits grausame Realität. Mitte Januar wurde der Klimaatlas der europä-ischen Brutvögel in Brüssel

54 NABU-Konferenz „Klimawandel und Biodiversität“ • Berlin • April 2008

Hierarchische Ebene Handlungsoption Wirkungs-schwere

Wirkungs-reichweite

Zuständigkeit Akzeptanz auf Seiten der vorrangig Zuständigen

Technische Machbarkeit

(langfristige) Kosten- neutralität

Gewähr vor sekundären Risiken

Reversibilität Gesamtein-schätzung der Umsetzbarkeit

b. Translokation 1-3 1-2 Behörden Ehrenamt Landnutzer (Politik)

2 2 1 1 1 7

c. Ökosystem- und Lebensraum-Design

1-2 1-3 Behörden Ehrenamt (Landnutzer) (Politik)

3 3 1 2 1 10

d. Schaffung oder Sicherung von Korridoren

2 1-3 Behörden (Ehrenamt) (Landnutzer) (Politik)

3 2 1 3 2 11

e. Schutzgebietsmanage-ment mit Wirkung in die Matrix (SG als „Kristallisati-ons-kerne“ des Naturschut-zes in der Gesamtlandschaft)

2 2 Behörden Ehrenamt Landnutzer (Politik)

1 2 1 3 3 10

f. Verbesserung von Habitat-bedingungen in der Matrix

2 3 Behörden Ehrenamt Landnutzer (Politik)

2 2 1 3 3 11

5. Monitoring, Erfolgskontrolle

a. quantifizierte Kontrolle der Zielerreichung

3 3 Behörden Ehrenamt (Politik)

1 2 3 3 3 12

b. Maßnahmenmonitoring 3 3 Behörden (Ehrenamt) (Politik)

1 2 3 3 3 12

6. Kommunikation a. strategische Kommunika-tion (sozioökonomische Be-deutung des Naturschutzes verdeutlichen)

3 3 Behörden Ehrenamt Landnutzer (Politik)

2 3 3 3 2 13

Page 57: Klimawandel und Biodiversität - NABU · Wir alle wissen es: Der Klimawandel ist bereits grausame Realität. Mitte Januar wurde der Klimaatlas der europä-ischen Brutvögel in Brüssel

55NABU-Konferenz „Klimawandel und Biodiversität“ • Berlin • April 2008

Hierarchische Ebene Handlungsoption Wirkungs-schwere

Wirkungs-reichweite

Zuständigkeit Akzeptanz auf Seiten der vorrangig Zuständigen

Technische Machbarkeit

(langfristige) Kosten- neutralität

Gewähr vor sekundären Risiken

Reversibilität Gesamtein-schätzung der Umsetzbarkeit

b. Translokation 1-3 1-2 Behörden Ehrenamt Landnutzer (Politik)

2 2 1 1 1 7

c. Ökosystem- und Lebensraum-Design

1-2 1-3 Behörden Ehrenamt (Landnutzer) (Politik)

3 3 1 2 1 10

d. Schaffung oder Sicherung von Korridoren

2 1-3 Behörden (Ehrenamt) (Landnutzer) (Politik)

3 2 1 3 2 11

e. Schutzgebietsmanage-ment mit Wirkung in die Matrix (SG als „Kristallisati-ons-kerne“ des Naturschut-zes in der Gesamtlandschaft)

2 2 Behörden Ehrenamt Landnutzer (Politik)

1 2 1 3 3 10

f. Verbesserung von Habitat-bedingungen in der Matrix

2 3 Behörden Ehrenamt Landnutzer (Politik)

2 2 1 3 3 11

5. Monitoring, Erfolgskontrolle

a. quantifizierte Kontrolle der Zielerreichung

3 3 Behörden Ehrenamt (Politik)

1 2 3 3 3 12

b. Maßnahmenmonitoring 3 3 Behörden (Ehrenamt) (Politik)

1 2 3 3 3 12

6. Kommunikation a. strategische Kommunika-tion (sozioökonomische Be-deutung des Naturschutzes verdeutlichen)

3 3 Behörden Ehrenamt Landnutzer (Politik)

2 3 3 3 2 13

Tab. 1: Versuch einer Einschätzung der Umsetzbarkeit von Handlungsoptionen für die Anpassung des Naturschutzes an den Klimawandel. - Basierend auf: Ibisch & Kreft (2008). Zuständigkeit: Behörden - behördlicher Naturschützer, Ehrenamt - ehrenamtlicher Naturschützer, Landnutzer - Landnutzer anderer Sektoren, Politik - politische Entschei-dungsträger. Quantifizierung von Aspekten der Umsetzbarkeit (Akzeptanz auf Seiten der vorrangig Zuständigen, technische Machbarkeit, langfristige Kostenneutralität, Gewähr vor sekundären Risiken, Reversibilität): 1 – gering, 2 – mäßig, 3 – hoch. Die Punktzahlen der Gesamteinschätzung sind die Summen der Punkte in den fünf links anschlie-ßenden Spalten.

Page 58: Klimawandel und Biodiversität - NABU · Wir alle wissen es: Der Klimawandel ist bereits grausame Realität. Mitte Januar wurde der Klimaatlas der europä-ischen Brutvögel in Brüssel

56 NABU-Konferenz „Klimawandel und Biodiversität“ • Berlin • April 2008

Abb. 5: Die Naturschutz-Bedarfs-Machbarkeitsschere: Mit wachsender Erdbevölkerung, Ressourcenbe-anspruchung und deutlicher werdenden Umweltproblemen steigen auch Anspruch und Flächenbedarf des Naturschutzes. Ressourcenverknappung, die Konsequenzen der Übernutzung der Naturressourcen (wie etwa der Klimawandel) und die Verschlechterung der Lebensbedingungen vieler Menschen führen paradoxerweise zum Sinken von Akzeptanz und Umsetzbarkeit von Naturschutzmaßnahmen.

Die multiplen Treiber des globalen Wandels drängen Natur und Naturschutz in die Ecke, und der effektive Akti-onsraum verringert sich bei gleichzeitig steigendem Bedarf. Dieses Problem einer sich öffnenden Bedarfs-Machbar-keitsschere (Abb. 5) wird von den meisten Naturschutzakteuren unterschätzt. Die wahre Dimension der Aufgabe der Naturschützer des 21. Jahrhunderts lautet nicht, ‚Natur gegen den Klimawandel zu verteidigen’, sondern Natur im globalen Wandel so funktionstüchtig zu erhalten wie nur irgend möglich, und um jeden Preis einen gefährlichen, also sich vollends verselbständigenden schnellen Umweltwandel zu vermeiden.

“For the conservation biologist perhaps no technical issue is as important to get right as the relationship of tech-nological progress to biodiversity conservation. If the neoclassical economists are (...) wrong, then conservation efforts should focus on alternatives to economic growth as national policy”.

Brian Czech (2006)

Danksagung

Dieser Text stellt eine wesentlich weiterentwickelte Zusammenschau von Inhalten dar, welche die Autoren im Rah-men des BMU/BfN-geförderten Projektes des NABU „Klimawandel und Biodiversität“ zur Diskussion stellten. Die Autoren fühlen sich allen Teilnehmern der NABU-Workshops, die für Diskussionen zur Verfügung standen, zu Dank verpflichtet. Stellvertretend für den NABU Deutschland gebührt Nicolai Schaaf und Jörg-Andreas Krüger besonde-rer Dank für die fruchtbare und freundschaftliche Zusammenarbeit. Hermann Ellenberg sei gedankt für die Teil-habe an seinem sich über mehrere Jahrzehnte Naturschutzarbeit in Deutschland erstreckenden Erfahrungsschatz. Dank geht auch an Wolfgang Cramer und Katrin Vohland vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung für die Koordination des Forschungsvorhabens „Schutzgebiete Deutschlands im Klimawandel – Risiken und Handlungsop-tionen” (FKZ: 806 82 270 – K 1; gefördert vom Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit/Bundesamt für Naturschutz). Teilergebnisse des Projektes haben zu diesem Text beigetragen.

Page 59: Klimawandel und Biodiversität - NABU · Wir alle wissen es: Der Klimawandel ist bereits grausame Realität. Mitte Januar wurde der Klimaatlas der europä-ischen Brutvögel in Brüssel

57NABU-Konferenz „Klimawandel und Biodiversität“ • Berlin • April 2008

Literaturverzeichnis

Badeck, F.-W., K. Böhning-Gaese, W. Cramer, P.L. Ibisch, S. Klotz, S. Kreft, I. Kühn, K. Vohland & U. Zander (2007): Schutzgebiete Deutschlands im Klimawandel – Risiken und Handlungsoptionen. S. 151-167 in: Balzer, S., M. Dieterich & B. Beinlich (Hg.): Natura 2000 und Klimaänderungen. Tagungsband zur gleichnamigen Tagung vom 28.-31. August 2006 auf der Insel Vilm. Bundesamt für Naturschutz, Bonn. (Naturschutz und Biologische Vielfalt 46.)

Baliga, N.S. (2008): The scale of prediction. Science 320: 1297-1298.Bloch, E. (1935): Erbschaft dieser Zeit. Oprecht & Helbling, Zürich. 309 S.Bolte, A. & P.L. Ibisch (2007): Neun Thesen zu Klimawandel, Waldbau und Waldnaturschutz. AFZ-der Wald: 572-576.Bundesamt für Naturschutz (Hg., 1995): Klimaänderungen und Naturschutz. Bundesamt für Naturschutz, Bonn. (Angewandte Land-

schaftsökologie 4.)CBD (Convention on Biological Diversity) (2000): Ecosystem approach. COP 5 Decision V/6, Nairobi (http: //www.cbd.int/

decisions/?m=COP-05&id=7148&lg=0).Czech, B. (2006): If Rome is burning – why are we fiddling? Conservation Biology 20: 1563-1565.Doyle, U. & M. Ristow (2006): Biodiversitäts- und Naturschutz vor dem Hintergrund des Klimawandels. Für einen dynamischen integra-

tiven Schutz der biologischen Vielfalt. Naturschutz und Landschaftsplanung 38: 101-107.Ehrlich, P., and A. Ehrlich (1981): Extinction: the causes and consequences of the disappearance of species. Random House, New York City,

New York. 305 S.Enquetekommission des Deutschen Bundestages “ Vorsorge zum Schutz der Erdatmosphäre” (1992): Klimaänderung gefährdet globale

Entwicklung. Economica Verlag, Bonn.Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages „Vorsorge zum Schutz der Erdatmosphäre“ (1988): Schutz der Erdatmosphäre. Eine

internationale Herausforderung. Schriftenreihe des Deutschen Bundestages „Zur Sache“ 5/88. Deutscher Bundestag, Bonn.Gaston, K.J., S.F. Jackson, A. Nagy, L. Cantú-Salazar & M. Johnson (2008): Protected areas in Europe. Principle and practice. Annuals of

the New York Academy of Science 1134: 97-119.Hannah, L., G. Midgley, S. Andelman, M. Araújo, G. Hughes, E. Martinez-Meyer, R. Pearson & P. Williams (2007): Protected area needs in

a changing climate. Frontiers in Ecology and the Environment 5: 131-138.Hannah, L., G.F Midgley, T.Lovejoy, W.J Bond, M. Bush, J.C. Lovett, D. Scott & F.I. Woodward (2002): Conservation of biodiversity in a

changing climate. Conservation Biology 16: 264-268.Hannah, L., G.F. Midgley & D. Millar (2002): Climate change-integrated conservation strategies. Global Ecology & Biogeography 11: 485-

495.Hofmann, G. (1995): Wald, Klima, Fremdstoffeintrag - ökologischer Wandel mit Konsequenzen für Waldbau und Naturschutz, dargestellt

am Gebiet der neuen Bundesländer Deutschlands. S. 165-190 in: Bundesamt für Naturschutz (Hg.): Klimaänderungen und Natur-schutz. Bundesamt für Naturschutz, Bonn. (Angewandte Landschaftsökologie 4.)

Huntley, B. (2007): Climatic change and the conservation of European biodiversity: Towards the development of adaptation strategies. Discussion paper. Convention on the conservation of European wildlife and natural habitats, Standing Committee, 27th meeting.

Ibisch, P.L. (2005): Globaler Umweltwandel – Zeit für Paradigmenwechsel in Forstwirtschaft und Naturschutz. S. 125-136 in: Fachhoch-schule Eberswalde, Landesforstanstalt Eberswalde, Bundesforschungsanstalt für Forst- und Holzwirtschaft (Hg): 175 Jahre Lehre und Forschung in Eberswalde. Die Festschrift. Fachhochschule Eberswalde, Landesforstanstalt Eberswalde, Bundesforschungsanstalt für Forst- und Holzwirtschaft, Eberswalde.

Ibisch, P.L. (2006): Klimawandel und Klimaschutz: Chancen, Gefahren und Hand lungsoptionen für den Naturschutz im Wald. S. 71-81 in: Höltermann, A. & J.D. Hiermer (Hg.): Wald, Naturschutz und Klimawandel. Ein Workshop zur Zukunft des Natur schutzes im Wald vor dem Hintergrund des globalen Klima wandels. Bundesamt für Naturschutz, Bonn. (BfN-Skripten 185.)

Ibisch, P.L., K. Columba & S. Reichle (Hg., 2002): Plan for the conservation and sustainable development of the Chiquitano Dry Forest, Pantanal and Bolivian Cerrado. Editorial FAN, Santa Cruz.

Ibisch, P.L. & S. Kreft (2008): Anpassung an den Klimawandel: eine systematische Analyse von Handlungsoptionen für den Naturschutz. ANLiegen Natur 32: 3-23.

IPCC (2007a): Climate change 2007: impacts, adaptation and vulnerability. Contribution of Working Group II to the Fourth Assessment Report of the Intergovernmental Panel on Climate Change. Cambridge University Press, Cambridge, Großbritannien.

IPCC (2007b): Climate change 2007: mitigation. Contribution of Working Group III to the Fourth Assessment Report of the Intergovern-mental Panel on Climate Change. Cambridge University Press, Cambridge, United Kingdom and New York City, New York.

IPCC (2007c): Climate change 2007: the physical science basis. Contribution of Working Group I to the Fourth Assessment Report of the Intergovernmental Panel on Climate Change. Cambridge University Press, Cambridge, United Kingdom and New York City, New York.

Korn, H. & C. Epple (Hg., 2005): Biodiversität und Klima. Vernetzung der Akteure in Deutschland. Ergebnisse und Dokumentation des Auftaktworkshops an der Internationalen Naturschutzakademie des Bundesamtes für Naturschutz, Insel Vilm. 29.09.-1.10.2004. Bun-desamt für Naturschutz, Bonn. (BfN-Skripten 131.)

Page 60: Klimawandel und Biodiversität - NABU · Wir alle wissen es: Der Klimawandel ist bereits grausame Realität. Mitte Januar wurde der Klimaatlas der europä-ischen Brutvögel in Brüssel

58 NABU-Konferenz „Klimawandel und Biodiversität“ • Berlin • April 2008

Korn, H. & C. Epple (Hg., 2006): Biologische Vielfalt und Klimawandel. Gefahren, Chancen, Handlungsoptionen. Bundesamt für Natur-schutz, Bonn. (BfN-Skripten 148.)

Lovejoy, T.E. & L. Hannah (Hg., 2006): Climate change and biodiversity. Yale University Press, New Haven, Connecticut.Lovejoy, T.E. (2005): Conservation with a changing climate. S. 325-328 in: Lovejoy, T.E. & L. Hannah (Hg.): Climate change and biodiver-

sity. Yale University Press, New Haven. Lovejoy, T.E. (2006): Protected areas: a prism for a changing world. Trends in Ecology and Evolution 21: 329-333.Malik, F. (1992): Strategien des Managements komplexer Systeme.McCarthy, J.J., O.F. Canziani, N.A. Leary D.J. Dokken & K.S. White (Hg., 2001): Climate change 2001: impacts, adaptation, and vulner-

ability. Contribution of Working Group II to the Third Assessment Report of the Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC). Cambridge University Press, Cambridge, Großbritannien.

Meffe, G.K. (2001): Crisis in a crisis discipline. Conservation Biology 15: 303-304.Orr, D.W. (1989): Ecological literacy. Conservation Biology 3: 334-335.Ott, K., C. Epple, H. Korn, R. Piechocki, T. Potthast & N. Wiersbinski (eingereicht): Vilmer Thesen zum Naturschutz im Klimawandel.

Natur und Landschaft.Parmesan, C. & G. Yohe (2003): A globally coherent fingerprint of climate change impacts across natural systems. Nature 421: 37-42.Parmesan, C. (2006): Ecological and evolutionary responses to recent climate change. Annual Review of Ecology, Evolution & Systematics

37: 637–669.Piechocki, R. (2007a): Genese der Schutzbegriffe. 10. - Ökosystemschutz (um 1980). Natur und Landschaft 82: 456-457.Piechocki, R. (2007b): Genese der Schutzbegriffe. 11. - Biodiversitätsschutz (um 1990). Natur und Landschaft 82: 514-515.

Piechocki, R. (2007c): Genese der Schutzbegriffe. 2. - Heimatschutz. Natur und Landschaft 82: 70-71.Piechocki, R. (2007d): Genese der Schutzbegriffe. 3. - Naturschutz. Natur und Landschaft 82: 110-111.Piechocki, R. (2007e): Genese der Schutzbegriffe. 4. - Naturdenkmalschutz. Natur und Landschaft 82: 158-159.Piechocki, R. (2007f): Genese der Schutzbegriffe. 5. – Naturdenkmalschutz (um 1900). - Natur und Landschaft 82: 234-235.Piechocki, R. (2007g): Genese der Schutzbegriffe. 6. - Artenschutz. Natur und Landschaft 82: 286-287.Piechocki, R. (2007h): Genese der Schutzbegriffe. 7. - Naturhaushaltsschutz. Natur und Landschaft 82: 328-329.Piechocki, R. (2007i): Genese der Schutzbegriffe. 9. - Biotopschutz (1970). Natur und Landschaft 82: 454-455.Piechocki, R. (2007j): Genese der Schutzbegriffe. - Natur und Landschaft 82: 23-29.Plachter, H. (1995): Naturschutz in Kulturlandschaften: Wege zu einem ganzheitlichen Konzept der Umweltsicherung. S. 47-95 in: J. Gepp:

Naturschutz außerhalb von Schutzgebieten. Institut für Naturschutz, Graz. Pressey, R.L., R.M. Cowling & M. Rouget (2003): Formulating conservation targets for biodiversity pattern and process in the Cape Floris-

tic Region, South Africa. Biological Conservation 112: 99-127.Rat der Europäischen Gemeinschaften (1992): Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21. Mai 1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebens-

räume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen. Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften, Reihe L 206: 7-50.Ruthsatz, B. (1995): Welche Naturschutzmaßnahmen lassen sich schon heute aufgrund vermutlicher anthropogener Klimaänderungen

empfehlen? Ein Beitrag aus vegetations-kundlicher Sicht. S. 213-223 in: Bundesamt für Naturschutz (Hg.): Klimaänderungen und Naturschutz. Bundesamt für Naturschutz, Bonn. (Angewandte Landschaftsökologie 4.)

Soulé, M.E. (1985): What is conservation biology? BioScience 35: 727-734.Taylor, M. & P. Figgis (Hg., 2007): Protected areas: buffering nature against climate change. Proceedings of a WWF and IUCN World Com-

mission on Protected Areas symposium, 18-19 June 2007, Canberra. WWF Australia, Sydney.Vester, F. (1974): Das kybernetische Zeitalter. Neue Dimensionen des Denkens. S. Fischer, Frankfurt am Main.Vester, F. (1999): Die Kunst vernetzt zu denken. Ideen und Werkzeuge für einen neuen Umgang mit Komplexität. DVA, Stuttgart.Walker, B. & W. Steffen (1997): An overview of the implications of global change for natural and managed terrestrial ecosystems. Conserva-

tion Ecology 1(2): 2. URL: http: //www.consecol.org/vol1/iss2/art2/.Walther, G.-R., E. Post, P. Convey, A. Menzel, C. Parmesan, T.J.C. Beebee, J.-M. Fromentin, O. Hoegh-Guldberg & F. Bairlein (2002): Eco-

logical responses to recent climate change. Nature 416: 389-395.Welch, D. (2005): What should protected areas managers do in the face of climate change? George Wright Forum 22: 75-93.Welzer, H. (2008): Klimakriege. Wofür im 21. Jahrhundert getötet wird. S. Fischer, Frankfurt (Main). 335 S.Whitten, T., D. Holmes & K. Mackinnon (2001): Conservation biology: a displacement behavior for academia? Conservation Biology 15: 1-3.Willke, H. 2001. Atopia. Studien zur atopischen Gesellschaft. Suhrkamp, Frankfurt (Main). 262 S.

Page 61: Klimawandel und Biodiversität - NABU · Wir alle wissen es: Der Klimawandel ist bereits grausame Realität. Mitte Januar wurde der Klimaatlas der europä-ischen Brutvögel in Brüssel

59

Der Klimawandel ist kein Phänomen, das nur in den Berichten des Weltklimarats und der deutschen Klimaforschungs-einrichtungen stattfindet, sondern man kann es in der Natur selbst beobachten: An der Zugspitze schwinden Schnee und Eis, mediterrane Arten wie Feuerlibelle und Weißrandfledermaus breiten sich nördlich der Alpen aus und immer häufiger treten extreme Wetterlagen mit Sturm und Überschwemmungen auf. Bund und Länder reagieren auf den Kli-mawandel auf vielfältige Weise. Der Klimaschutz hat eine Schlüsselfunktion in vielen Politikfeldern gewonnen. Dazu zählt auch der Naturschutz, dessen Maßnahmen zur Erhaltung von Lebensräumen nun unter dem Aspekt der Spei-cherung von Kohlenstoff in Wäldern und Mooren oder der Vorsorge gegen Flutkatastrophen in den Flussauen neue Bedeutung erlangt haben.

Die neuen Herausforderungen muss der Naturschutz annehmen, indem sich die staatlichen Stellen ebenso wie die Verbände konstruktiv an der Debatte zum Klimaschutz beteiligen. Wir brauchen eine Strategie zur Anpassung der Naturschutzpolitik an den unabwendbaren Klimawandel. Für das Bundesumweltministerium gehört dazu die Schaf-fung einer zukunftsfähigen Rechtsgrundlage, damit Natur und Landschaft in Deutschland unter den Bedingungen des Klimawandels langfristig erhalten bleiben. Dies soll mit der Überführung des Bundesnaturschutzgesetzes ins Umwelt-gesetzbuch erreicht werden.

Im Hinblick auf notwendige Anpassungsstrategien sind für den Naturschutz mehrere Themenfelder relevant, von de-nen einige im Folgenden diskutiert werden. Den Ausführungen ist jeweils eine These voran gestellt.

Die bekannten „traditionellen“ Gefährdungsfaktoren bleiben bestehen. Der neue Faktor Klimawandel stellt für einige Tiere, Pflanzen und Biotope eine zusätzliche Bedrohung dar. Die Folgen des Klimawandels können jedoch gemildert werden, wenn der Naturschutz Erfolge auf seinen üblichen Arbeitsfeldern erzielt.

Die Natur in Deutschland leidet weiterhin unter der Zerstörung, Zerschneidung, Übernutzung oder Verschmutzung von Lebensräumen sowie manch anderen Einwirkungen des Menschen, gegen die sich der Naturschutz teilweise schon seit 100 Jahren stemmt. Diese Gefährdungsfaktoren bestimmen unsere Roten Listen und sie werden auch in Zukunft als treibende Kräfte dominant bleiben. Der Klimawandel kommt als neuer Faktor hinzu. Er kann sich vor allem für solche Tier- und Pflanzenarten verheerend auswirken, deren Vorkommen ohnehin schon durch die „Treiber-Einflüsse“ des Menschen stark begrenzt sind.

Für den Naturschutz besteht kein Grund zur Resignation – im Gegenteil: Naturschutzverwaltungen, Verbände, Stif-tungen und die vielen ehrenamtlichen Helfer haben beachtliche Erfolge im Kampf für die Erhaltung der Natur erzielt. Selbstverständlich sind längst nicht alle Probleme gelöst und ständig entstehen neue. Aber insgesamt können wir mit den Ergebnissen unserer gemeinsamen Arbeit zufrieden sein.

Eine Voraussetzung für die Erfolge des Naturschutzes ist die gesetzliche Grundlage. Das Bundesnaturschutzgesetz hat sich insofern bewährt. Im Zusammenwirken mit den Vorgaben der EU – der Vogelschutzrichtlinie, der FFH-Richtlinie und der Wasserrahmenrichtlinie – sowie den Naturschutzgesetzen der Länder besteht eine gute Rechtsgrundlage, um den bestehenden Druck auf so genannte klimasensitive Arten zu mindern. Wir brauchen ein starkes Naturschutzrecht, sonst werden weder „traditionelle“ Gefährdungen – beispielsweise durch Land- und Forstwirtschaft oder den Flächen-verbrauch – noch die Folgen des Klimawandels zu verkraften sein.

Die vorhandenen Instrumente zum Schutz von wertvollen Naturgebieten sind auch geeignet, um den Folgen des Klimawandels entgegen zu treten. Insbesondere das europäische Schutzgebietsnetz Natura 2000 ist zukunftsfähig und darf nicht durch neue Anforderungen gefährdet werden.

Jochen Flasbarth

Leiter der Abteilung Naturschutz des BMU

klimawandel: künftige Herausforderungen für den naturschutz

Page 62: Klimawandel und Biodiversität - NABU · Wir alle wissen es: Der Klimawandel ist bereits grausame Realität. Mitte Januar wurde der Klimaatlas der europä-ischen Brutvögel in Brüssel

60 NABU-Konferenz „Klimawandel und Biodiversität“ • Berlin • April 2008

Die Schutzgebiete in Deutschland bilden ein umfangreiches Netzwerk. Die gesetzlich definierten Schutzgebietskatego-rien sind in der Praxis mit unterschiedlichen Flächengrößen, Schutzanforderungen und Nutzungsintensitäten verbun-den. Das Resultat ist ein sehr breites Angebot von geschützten Lebensraumtypen für unterschiedliche Artengemein-schaften. Dieses nationale Schutzgebietssystem wird nun überlagert vom europäischen Netz Natura 2000 – den nach der FFH- und der Vogelschutzrichtlinie ausgewiesenen Schutzgebieten – das aus Sicht des Bundes das Rückgrad des Naturschutzes in Europa darstellt.

Fast 15 Jahre lang wurde in Deutschland um die Auswahl und Abgrenzung der Natura 2000-Gebiete gerungen. Nun stehen wir kurz vor der Vollendung dieses Jahrhundertwerks des Naturschutzes, das etwa 14 % der Fläche Deutschlands einnimmt und damit eine Dimension erreicht hat, die über die kühnsten Visionen der 1980er Jahre hinaus geht. Wer beim Entstehungsprozess von Natura 2000 mitgewirkt hat oder ihn auch nur beobachtet hat, wird zustimmen, wenn jetzt eine pragmatische Umsetzung des vorgegebenen Schutzregimes gefordert und der Blick auf das Management der Gebiete gerichtet wird. Es liefe der Erfolgsgeschichte von Natura 2000 zuwider, wenn man die abgeschlossenen Diskussionen jetzt neu entfachte, indem unter Hinweis auf zukünftig veränderte Klimabedingungen weitere Natura 2000-Gebiete gefordert würden. Das Erreichte darf unter keinen Umständen vom Naturschutz selbst in Frage gestellt werden, denn es werden genügend Angriffe von anderen Seiten abzuwehren sein.

Die Schutzgebiete in Deutschland, insbesondere Natura 2000, beherbergen die wichtigsten Lebensstätten der gefährde-ten und geschützten Arten und Lebensraumtypen. Selbst wenn in Folge des Klimawandels einige dieser Vorkommen erlöschen, werden die meisten Schutzgebiete ihren Wert für die Erhaltung der Natur behalten. Neu zuwandernde Ar-ten, die ihr Verbreitungsgebiet nach Norden ausbreiten, werden mit hoher Wahrscheinlichkeit dieselben arten- und strukturreichen Gebiete bevorzugen wie die ursprünglich hier vorkommenden Tiere und Pflanzen. Das heißt, auch un-ter einem veränderten Klima behalten die heutigen Schutzgebiete ihre Bedeutung als Refugien der Biodiversität. Sind als Folge des Klimawandels doch Erweiterungen des Schutzgebietsnetzes regional oder lokal erforderlich, so könnten sie als Naturschutzgebiete ausgewiesen werden.

Die nationalen Schutzgebietskategorien und die Etablierung von Natura 2000 sind durch das Bundesnaturschutzgesetz vorgegeben. Bund und Länder haben darüber hinaus Regelungen getroffen, um das Schutzregime von Natura 2000 so zu verwirklichen, wie es die EU-Richtlinien vorsehen. Aus Sicht der Bundesregierung sind die vorhandenen rechtli-chen Instrumentarien völlig ausreichend, um auch künftige Anforderungen an Schutzgebiete erfüllen zu können.

Die Kenntnisse und Maßnahmen zum Biotopverbund, mit denen der Naturschutz gegen die zunehmende Zer-stückelung von Lebensräumen ankämpft, sind auch wirksam, um den Folgen des Klimawandels zu begegnen. Es bedarf keiner grundsätzlich anderen Strategie, sondern einer konsequenten Umsetzung der Erkenntnisse auf regionaler und lokaler Ebene.

Seit vielen Jahren setzt sich der Naturschutz für die Vernetzung von Lebensräumen ein, insbesondere für die Erhaltung und Neuschaffung von Strukturen, die Tieren den Wechsel von einer Lebensstätte in einen anderen geeigneten Biotop ermöglichen. Auf Bundesebene war die Aufnahme des „§ 3 Biotopverbund“ ins Bundesnaturschutzgesetz ein sehr wichtiger Beitrag. Weitere sind die Projektförderungen des Bundesumweltministeriums für das Grüne Band und einen bundesweiten Biotopverbund sowie die Bemühungen der Bundesregierung zur Erhaltung des Nationalen Naturerbes. Den Erfolg all dieser Bemühungen kann man an den vielen Landschaftsplänen und Naturschutz-Programmen der Länder und Kommunen ablesen, in denen Biotopverbund inzwischen ein wichtiges Thema ist. Auch andere Ressorts wie Flurbereinigung und Verkehrsplanung haben Maßnahmen des Biotopverbunds in ihr Repertoire aufgenommen. Das Bundesverkehrsministerium hat dazu jüngst die umfangreiche Broschüre „Straßen und Wildtiere“ veröffentlicht, an der auch Fachleute mitwirkten, die zum selben Thema den „Bundeswildwegeplan“ des NABU verfasst haben.

Die Konzepte und Maßnahmen des Biotopverbunds auf Bundes-, Landes- oder kommunaler Ebene bekommen ange-sichts des Klimawandels zusätzliche Bedeutung. Wenn Arten durch allmählich wärmere oder trockenere Verhältnisse oder wegen einer Zuwanderung von konkurrierenden Arten aus dem Süden gezwungen sind, ihr Vorkommensgebiet

Page 63: Klimawandel und Biodiversität - NABU · Wir alle wissen es: Der Klimawandel ist bereits grausame Realität. Mitte Januar wurde der Klimaatlas der europä-ischen Brutvögel in Brüssel

61NABU-Konferenz „Klimawandel und Biodiversität“ • Berlin • April 2008

zu verlagern, so gelingt dies nur, wenn sie sich in der Zielrichtung mindestens ebenso schnell ausbreiten können, wie ihre Bestände am anderen Ende des Verbreitungsgebiets erlöschen. Durchgängige Leitstrukturen und geeignete Biotopflächen, die für die betroffenen Arten erreichbar sind und als Trittsteine fungieren können, erhöhen die Überle-benschancen der Arten auf jeden Fall. Deshalb sollten die Bemühungen zur Verbesserung der so genannten Durchläs-sigkeit der Landschaft auf allen Ebenen fortgesetzt werden. Das rechtliche Instrumentarium dafür ist vorhanden und in der Praxis bewährt.

Damit der Naturschutz auf den Klimawandel reagieren oder entsprechende Vorsorge treffen kann, muss er wissen, wie sich der Naturhaushalt insgesamt, vor allem aber der Erhaltungszustand der geschützten und gefährdeten Ar-ten und Lebensräume, entwickelt. Das FFH-Monitoring des Bundes und der Länder ist deshalb wichtig, ideal wäre aber eine viel genauere, gebietsspezifische Überwachung der Tiere, Pflanzen und Biotope in Deutschland.

Die Folgen des Klimawandels für die Natur können nur bewertet und gemildert werden, wenn man sie als solche er-kannt hat. Die Umweltbeobachtung erhält deshalb durch den Klimawandel zusätzliche Bedeutung. Dem entsprechend haben das Bundesumweltministerium und das Bundesamt für Naturschutz ihre Aktivitäten und Fördermaßnahmen in diesem Bereich in den letzten Jahren deutlich gesteigert. Neben Projekten zur Florenkartierung, zur Analyse der Gefährdungsursachen bei Tierarten, der Etablierung eines bundesweiten Vogelmonitorings und vieler anderer Ein-zelmaßnahmen spielt die Überwachung der Arten und Lebensraumtypen, die unter die FFH-Richtlinie fallen, eine herausragende Rolle. Nachdem das Bundesamt die Erarbeitung von Grundlagenwerken zur Ökologie, Erfassung und Bewertung des Erhaltungszustandes von FFH-Arten koordiniert hatte, konnten Bund und Länder Absprachen für den FFH-Bericht und das künftige FFH-Monitoring treffen. Die Arbeiten fanden ihren vorläufigen Abschluss durch die Übermittlung des FFH-Berichts an die Europäische Kommission am 7. Dezember 2007 sowie die Zustimmung der Länder zum bundesweiten Monitoring der FFH-Arten und -Lebensraumtypen am 7. März 2008.

Gelegentlich wird wegen des Klimawandels gefordert, es müssten neue Schutzgebiete her oder das Schutzgebietssystem müsse insgesamt dynamisch gemacht werden. Dem ist entgegen zu halten, dass Natura 2000 doch nun endlich etabliert ist und man sollte sich hüten, es wieder zur Disposition zu stellen. Wenn zusätzliche Schutzgebiete notwendig sind, kann das Netz jederzeit durch Gebiete ergänzt werden, die von den Ländern nach nationalen Kriterien ausgewiesen werden (z.B. Naturschutzgebiete).

In diesem Zusammenhang sei darauf hingewiesen, dass die Kenntnisse darüber, ob die bestehenden Naturschutzgebie-te ihren Zweck erfüllen, in vielen Fällen mangelhaft sind. Die Aufmerksamkeit, die FFH-Arten und -Lebensraumtypen jetzt durch den Bericht und das bundesweite Monitoring erhalten, wäre auch für andere geschützte und gefährdete Arten gut. Ein hilfreicher Ansatz wäre es beispielsweise, die Schutzgebiete einer Region genauer zu inventarisieren, um zu sehen, welche Arten sie beherbergen. Dann könnte man die Gebiete und ihre Schutzobjekte managen, wie ein Fond-verwalter es mit seinem Aktien-Portfolio tut: Wichtig ist, dass die Summe aller Bestandsveränderungen positiv bleibt. Die einzelne Art kann in einem Gebiet abnehmen oder sogar erlöschen, wenn sie woanders zunimmt. Eine Art mag sogar im Zuge des Klimawandels ganz aus den Schutzgebieten einer Region verschwinden, wenn Gegenmaßnahmen erfolglos sind. Im Schutzgebiets-Portfolio wäre das zu verschmerzen, wenn dafür andere gefährdete Arten deutliche Bestandszuwächse zeigen. Die Aufgabe, genauer zu dokumentieren, was in einem Gebiet vorkommt und wie sich die Bestände geschützter und gefährdeter Arten entwickeln, könnten sich Kreisverwaltungen und lokale Verbände zu Ei-gen machen.

Der rasche Klimawandel wird mehr Management erfordern, also mehr menschliche Eingriffe in die Natur. Damit verschärft der Klimawandel die ohnehin bestehenden Personalprobleme des Naturschutzes. Um die richtigen An-passungsmaßnahmen auszuwählen und umzusetzen, werden mehr Leute mit speziellen Kenntnissen und Fähig-keiten gebraucht. Für deren Ausbildung müssen die Weichen heute gestellt werden.

Zu den prognostizierten Folgen des Klimawandels gehört ein wachsender Bedarf nach lenkenden Eingriffen in die Natur und speziell in Tier- und Pflanzenpopulationen. Durch die veränderten Verhältnisse von Temperatur und Nie-derschlag werden in vielen Schutzgebieten Maßnahmen zur Regulierung des Wasserhaushalts erforderlich. Tiere und

Page 64: Klimawandel und Biodiversität - NABU · Wir alle wissen es: Der Klimawandel ist bereits grausame Realität. Mitte Januar wurde der Klimaatlas der europä-ischen Brutvögel in Brüssel

62 NABU-Konferenz „Klimawandel und Biodiversität“ • Berlin • April 2008

Pflanzen, deren Lebensbedingungen sich verschlechtern, müssen gezielt gefördert werden. Schließlich wird vorherge-sagt, dass die Probleme mit invasiven Arten häufiger und größer werden, weil sich mit dem Klimawandel immer mehr eingeschleppte Arten etablieren können. Wenn einheimische Arten durch solche Neozoen oder Neophyten bedrängt werden, sind entsprechende Gegenmaßnahmen des Naturschutzes notwendig. Falls Arten, die hier schon immer vor-kamen oder von allein einwandern, unter veränderten Klimabedingungen plötzlich stark zunehmen und gravierende Probleme verursachen, können auch bei denen regulierende Eingriffe in die Populationen sinnvoll sein. Schließlich könnte in Einzelfällen eine Verfrachtung gefährdeter Tiere oder Pflanzen in klimatisch günstigere Gebiete erwogen werden.

Die gesetzlichen Grundlagen bestehen bereits weitgehend, denn derartige Maßnahmen sind seit langem Bestandteil von Artenhilfsprogrammen, die wegen des Klimawandels möglicherweise eine Renaissance erleben werden. Wo noch eine Lücke oder Verbesserungsbedarf besteht, wird die Bundesregierung entsprechende Regelungen im Teil Natur-schutz und Landschaftspflege des Umweltgesetzbuches schaffen.

Allerdings müssen die Ziele kritisch hinterfragt werden. Ist ein Naturschutz, der sich derart über Lenkung, Regulierung, Eingriff und Umsiedelung definiert, wirklich gewollt? Die Beantwortung dieser Frage hängt eng damit zusammen, wel-che Vorstellungen von der Natur vorherrschen, welches Leitbild unter Klimawandelbedingungen wünschenswert und realistisch erscheint. Eine einfache Antwort gibt es auf diese Frage nicht. Vermutlich sind dazu sogar sehr unterschied-liche Ansichten im Naturschutz vorhanden. Umso mehr ist eine breite Diskussion darüber dringend notwendig.

Eine ebenso schwierige Frage ist: Wer soll die Maßnahmen durchführen? Der Naturschutz wird mehr Personal brau-chen, wenn er angemessen und effektiv auf die vom Klimawandel ausgelösten Effekte reagieren will. Zudem werden die Anforderungen an die Naturschützerinnen und Naturschützer von morgen nicht gering sein: Sie müssen ein klares Leitbild vom angestrebten Idealzustand haben, über den Klimawandel Bescheid wissen, die schützenswerten und zu begrenzenden Arten genau kennen, Methoden für ein gezieltes Biotop- und Artenmanagement anwenden können, die Auswirkungen von Naturschutzmaßnahmen überwachen und vieles mehr. Wenn sichergestellt sein soll, dass der Naturschutz in den nächsten Jahrzehnten über dieses Personal verfügt, dann muss jetzt für dessen Ausbildung gesorgt werden.

Ausgehend von den fünf oben genannten Thesen erscheint der Naturschutz mit dem, was im Rahmen des derzeitigen Entwurfs des Dritten Buchs Umweltgesetzbuch an Regelungen vorgesehen ist, gut gerüstet, um trotz des Klimawan-dels wirksamen zu bleiben. Dabei werden die globalen Dimensionen von Umweltveränderungen eine zunehmende Rolle spielen, beispielsweise die weltweite Bedrohung der Wälder und Riffe. Um die Biodiversität zu erhalten, ist der internationale Prozess, der durch die Konvention zur biologischen Vielfalt (CBD) angestoßen wurde und mit der Welt-Naturschutzkonferenz in Bonn erneut ins Blickfeld gerückt ist, ohne Alternative. Dabei hat das Schutzgebietsnetz Na-tura 2000 eine Schlüsselrolle.

Mit den genannten Thesen wird zugleich deutlich, auf welchen Feldern mehr getan werden sollten, um für die Zukunft gerüstet zu sein. Es sind:

Die Verbesserung der Kenntnisse über die Vorkommen von gefährdeten und geschützten Tieren, Pflanzen und ¡Biotoptypen in all unseren Schutzgebieten,

die Förderung der Ausbildung von Naturschutzkräften und ¡

die Intensivierung der Kommunikation über unserer Aufgaben und Ziele. Dazu zählen zum Beispiel auch Handrei- ¡chungen über die gültigen Regelungen des Naturschutzes und deren Umsetzung in der Praxis.

Es ist erfreulich, wenn das Bundesumweltministerium weiterhin von den Bundesländern, Naturschutzverbänden, Stif-tungen und allen anderen Naturschutzakteuren die nötige Unterstützung erhält, um diese Herausforderungen zu mei-stern!

Page 65: Klimawandel und Biodiversität - NABU · Wir alle wissen es: Der Klimawandel ist bereits grausame Realität. Mitte Januar wurde der Klimaatlas der europä-ischen Brutvögel in Brüssel

63

Das Thema Biodiversität und Klimawandel hat in den letzten Jahren, insbesondere nach der Veröffentlichung des so genannten „Stern Reports“ (Stern 2006) und dem 4. Bericht des Weltklimarates (IPCC 2007) große Aufmerksamkeit in der Politik und der Öffentlichkeit erfahren. Dabei ist vielen klar, dass ein „Business as usual“ nicht weiterhilft und dass massive Veränderungen eintreten müssen, um sich an den unvermeidbaren Klimawandel anzupassen und gleichzeitig eine dramatische weitere Erhöhung der klimarelevanten Gase zu verhindern, die die Situation noch wei-ter verschlimmern würden. Das BfN beschäftigt sich seit Mitte der 90er Jahre mit dem Thema (Bundesamt für Na-turschutz 1995), die Anstrengungen wurden aber in den letzten Jahren stark erhöht und ausgeweitet (Korn & Epple 2005).

Für das BfN gibt es dabei drei umfassende Fragestellungen:

Welche direkten und indirekten Folgen hat der Klimawandel für die Natur und den Naturschutz und mit welchen ¡Anpassungsmaßnahmen können wir reagieren?

Wie kann der Naturschutz zur Verminderung des Klimawandels und seiner negativen Auswirkungen auf den ¡Menschen Beitragen?

Wie können Anpassungs- und Vermeidungsmaßnahmen (Adaptation and Mitigation) in anderen Sektoren so ¡gestaltet werden, dass „win-win“ Situationen entstehen oder die biologische Vielfalt nicht geschädigt wird.

Zur Bearbeitung dieser Themenkomplexe werden im BfN eine Reihe von Forschungs- und Entwicklungsvorhaben durchgeführt. Beispielhaft sollen einige weit fortgeschrittene Projekte genannt werden:

Modellierung der Auswirkungen des Klimawandels auf die Flora in Deutschland ¡

Schutzgebiete Deutschlands im Klimawandel – Risiken und Handlungsoptionen. ¡

Invasive Neobiota und Klimawandel in Deutschland und Österreich: Ausarbeitung eines Prognose- und Früh- ¡warnsystems

Einfluss veränderter Landnutzung auf Klimawandel und Biodiversität ¡

Darüber hinaus gibt es zahlreiche Forschungsvorhaben im Bereich Erneuerbare Energien.

Die Naturschutzverbände mit ihrer großen Mitgliederbasis sind für uns wichtige Partner. Sie werden über Projekte unterstützt, die hauptsächlich darauf abzielen einer weiteren Öffentlichkeit die Problematik des Klimawandels, über den permanent in der Presse behandelten Gesundheitsaspekt und die Katastrophenszenarien hinaus, bewusst zu machen. Zwei wichtige Vorhaben in Partnerschaft mit dem NABU und der NAJU sind:

Klimawandel und Biodiversität – eine Kommunikationsstrategie für den ehrenamtlichen Naturschutz. ¡

Vogelzug und Klimawandel ¡

Ein Nachfolgeprojekt des ersten Vorhabens behandelt die „Optionen des Naturschutzes im Klimawandel“

Die Politik hat in jüngster Zeit ihre Anstrengungen um den Klimaschutz wesentlich erhöht, was sich auch in der Ver-fügbarkeit von neuen Geldmitteln für die Ressortforschung niederschlägt. So können im Jahr 2008 eine Vielzahl von neuen Projekten zum Themenkomplex Biodiversität und Klimawandel vergeben werden. Beispielhaft sollen einige Forschungsvorhaben genannt werden:

Dr. Horst Korn

Leiter des Kompetenzzentrums Biodiversität und Klimawandel Bundesamt für Naturschutz Insel Vilm, 18581 Putbus

Biodiversität und klimawandel – aktuelle Prozesse und zukünftige Perspektiven

Page 66: Klimawandel und Biodiversität - NABU · Wir alle wissen es: Der Klimawandel ist bereits grausame Realität. Mitte Januar wurde der Klimaatlas der europä-ischen Brutvögel in Brüssel

64 NABU-Konferenz „Klimawandel und Biodiversität“ • Berlin • April 2008

Auswirkungen des rezenten Klimawandels auf die Fauna in Deutschland ¡

Auswirkungen des Klimawandels auf Fauna, Flora und Lebensräume sowie Anpassungsstrategien des Natur- ¡schutzes

Klimawandel-bedingte Anforderungen an Maßnahmen des Meeresnaturschutzes in Nord- und Ostsee ¡

Biotopverbund als Anpassungsstrategie für den Klimawandel? ¡

Planungs- und Managementstrategien des Naturschutzes im Lichte des Klimawandels ¡

Flächeneffektive Bioenergienutzung aus Naturschutzsicht ¡

Biosphärenreservate als Modellregionen für ein integriertes Energie- / Klimaschutz- und Klimaanpassungskonzept ¡

Naturschutzanforderungen bei alternativen Klimawandelszenarien für das Wattenmeer im Rahmen eines Inte- ¡grierten Küstenzonenmanagements (IKZM)

Wälder und Klimawandel: Künftige Strategien für Schutz und nachhaltige Nutzung ¡

Managementstrategien des Naturschutzes beim Bundeswasserstraßenneu- ¡

und -ausbau ¡

Naturschutzverträglichkeit von Verkehrsnetzen unter sich ändernden Klimabedingungen ¡

Aus- und Neubau der kleinen Wasserkraft im Spannungsfeld von Biodiversitätsschutz und Klimawandel ¡

Noch wärmer, noch trockner? - Stadtnatur und Freiraumstrukturen im Klimawandel ¡

Naturschutz und Klimawandel im Recht - juristische Konzepte für naturschutzfachliche Anpassungsstrategien ¡

Nähere Informationen über die Projekte erhalten Sie über die Geschäftsstelle des Kompetenzzentrums Biodiversität und Klimawandel im BfN.

Auf der internationalen Bühne befassen sich sowohl die Biodiversitätskonvention, sowie die Klimarahmenkonventi-on mit dem Thema Biodiversität und Klimawandel, wenn auch mit unterschiedlicher Intensität und mit unterschied-lichen Erwartungen. Die Bereitschaft zur Zusammenarbeit ist aus Sicht der Biodiversitätskonvention nicht symme-trisch. Während die Beschlüsse zur Umsetzung der Klimarahmenkonvention und des Kyoto-Protokolls potenziell gravierende Auswirkungen auf die biologische Vielfalt haben, konterkarieren umgekehrt die Beschlüsse der Biodi-versitätskonvention nicht die Ziele der Klimarahemenkonvention. Dabei ist die Erhaltung alter Wälder und Moore als gigantische Kohlenstoffspeicher die weltweit kostengünstigste Klimaschutzmaßnahme. Unglücklicherweise wird diese Speicher- und auch Senkenfunktion im Rahmen des Kyoto-Protokolls bisher nicht finanziell honoriert und schafft deshalb keine Anreize zu deren Erhaltung. Von Seiten der Biodiversitätskonvention werden deshalb große Erwartungen an das Kyoto-Nachfolgeabkommen gestellt bei dem hoffentlich dieses gravierende Defizit behoben wer-den kann.

Themen, die zwischen der Biodiversitätskonvention und der Klimarahmenkonvention bisher kontrovers diskutiert worden sind:

Einsatz von genetisch modifizierten Bäumen bei Aufforstungsmaßnahmen ¡

Aufforstung von natürlicherweise baumfreien oder baumarmen Steppen und Savannen ¡

Die Verwendung des Geldes aus den Klimaschutzfonds (bisher nicht für Biodiversitätserhaltungsmaßnahmen ¡einsetzbar)

Die Anrechung von Mooren und Wälder auf die Klimabilanz der Länder ¡

Page 67: Klimawandel und Biodiversität - NABU · Wir alle wissen es: Der Klimawandel ist bereits grausame Realität. Mitte Januar wurde der Klimaatlas der europä-ischen Brutvögel in Brüssel

65NABU-Konferenz „Klimawandel und Biodiversität“ • Berlin • April 2008

Die Versenkung von Kohlendioxid in der Tiefsee ¡

Die Düngung der Ozeane zur Förderung des Algenwachstums ¡

Bio-Energie (Biofuels) ¡

Als mögliche Synergiemöglichkeiten wurden im Rahmen der Biodiversitätskonvention folgende Themenfelder iden-tifiziert und der Klimarahmenkonvention zur Berücksichtigung angeboten:

Aufforstung von degradiertem Land ¡

Nutung nativer Baumarten bei Aufforstungs- und Wiederaufforstungsmaßnahmen ¡

Erhaltung von Wäldern und Mooren ¡

Schaffung von „Korridoren“ ¡

Keine Monokulturen, Erhaltung von Artenvielfalt ¡

Ein besseres Management in der Land- und Forstwirtschaft. ¡

Die Zusammenarbeit ist wichtig und kann für beide Konventionen Vorteile bringen (Secretariat of the Convention on Biological Diversity 2003). Fatal ist, wenn eine Konvention Beschlüsse fasst, die den Zielen der anderen Konventi-on entgegensteht, da es dann auch Probleme bei der nationalen Umsetzung gibt.

In Deutschland und Europa sind wir bei der Zusammenarbeit beider Konventionen auf einem guten Weg und die Abstimmung ist gut. Für andere Weltregionen kann das nicht gesagt werden, was die Verhandlungen häufig recht schwierig gestaltet. Die Fortschritte sind langsam, aber ein einmal erreichter Verhandlungsstand wird normalerweise von allen Partnern akzeptiert.

Die wichtigste politische Arena für die Biologische Vielfalt und den Klimaschutz bis Ende 2009 sind die Verhand-lungen und hoffentlich auch der Abschluss eines Kyoto-Nachfolgeabkommens unter der Klimarahmenkonvention. Neben neuen, auch für die Schwellenländer und die USA verbindlichen CO2-Reduktionszielen wird die Berücksich-tigung oder nicht-Berücksichtigung biologischer Vielfalt bei den künftigen Klimaschutzmaßnahmen von enormer Bedeutung sein.

Weiterführende Literatur: Bundesamt für Naturschutz (1995): Klimaänderungen und Naturschutz. Angewandte Landschaftsökologie Heft 4.

Bonn – Bad Godesberg. IPCC (2007). IPCC Fourth Assessment Report. Korn, H. & Epple, C. (2005): Biologische Vielfalt und Klimawandel – Gefahren, Chancen und Handlungsoptionen. BfN Skripten 148. Secretariat of the Convention on Biological Diversity (2003): Interlinkages between biological diversity and climate change. Advise on the

integration of biodiversity consideration into the implementation of the United Nations Framework Convention on Climate Change and its Kyoto Protocol.

Stern (2006) The Economics of Climate Change. http://www.publications.parliament.uk/pa/ld200506/ldselect/ldeconaf/12/12i.pdf

Page 68: Klimawandel und Biodiversität - NABU · Wir alle wissen es: Der Klimawandel ist bereits grausame Realität. Mitte Januar wurde der Klimaatlas der europä-ischen Brutvögel in Brüssel

66Dr. Andreas Weber

Schriftsteller und Journalist

Lange Zeit spielte mein acht Jahre alter Sohn ein Spiel, an dem er sich kaum jemals sättigen konnte. Dieses Spiel kam ganz ohne äußere Abenteuer aus. Es fand drinnen statt, im Zimmer. Es brauchte nur einen langmütigen Mitspieler. Zum Beispiel mich. Mein Sohn spielte – Tier. Er wurde zum Beispiel zu einem Geparden. Er schlich auf allen Vieren, knurrte, statt zu sprechen, trank Wasser nicht aus dem Glas, sondern aus einem Plastiknapf, fraß ohne Messer und Gabel, ruhte zusammengerollt auf dem Fußboden vor dem Kamin und riss ab und zu seine kleine Schwester, indem er ihr katzenhaft auflauerte und sie mit einem Sprung niederwarf.

Mein Sohn verwandelte sich in eine wilde Kreatur. Er war ein Gepard. Aber was er dabei aufsog, war kein Wissen. Keine Information. Keine Fertigkeit. PISA blieb – Gottseidank – unendlich fern. Es war etwas anderes, was mein Sohn so sehr genoss, dass er mir in jedem freien Augenblick zum Raubtier verwandelt entgegen schlich: Empfinden. Mein Sohn schlüpfte in den Körper eines anderen Wesens und versuchte, in dessen Haut die Welt zu fühlen.

Er ist mit dieser Obsession nicht allein. Morgens, wenn ich meine Tochter in ihrer Kita abliefere, kommen mir kleine Wölfe und Tiger, Bären und Biber entgegen gerobbt. Es ist ein Massenphänomen, eine kollektive Obsession, die in jenem Alter beginnt, in dem die Kleinen zwar schon handeln, aber noch nicht einmal Sätze formen können. Jedes deutsche Kleinkind spricht als eines der ersten Worte einen Tiernamen: Wauwau. Krabbler halten hypnotisiert bei ihrem Kriechkurs auf der Wiese inne, wenn ein Kaninchen an ihnen vorbeihoppelt. Sie greifen gierig und ohne jeden Ekel nach der zappelnden Spinne. Als meine Tochter noch aus der Flasche saugte und nicht einen einzigen identifi-zierbaren Laut bilden konnte, deutete sie gleichwohl jauchzend in die Zweige des frühlingshaften Apfelbaums, aus denen ein Rotkehlchen schlug.

Es scheint, als hätte die Phalanx der wohlmeinenden Pädagogen und Bildungsforscher vor lauter „Weltwissen“ und „Weltwundern“, vor lauter nützlichen Abenteuern und natürlichen Forschungsversuchen ein essentielles Nahrungs-mittel der kindlichen Seele vergessen: Tiere. Warum nur? Vielleicht ist ihre Anziehungskraft einfach zu selbstver-ständlich, um uns aufzufallen. Aber das könnte sich in einer immer weiter an realem Leben verarmenden Welt bald ändern.

Unser aller Kindheit beginnt zwischen Tieren – umringt von Wolf, Löwe, Tiger, Bär, Schlange, Katze, Fisch und Maus. Auf deren Gestalten ruht der Kosmos unserer ersten Bilder. Kaum ein Buch für die Kleinsten, das nicht mit den Bewohnern der Natur anfängt, als wollte es die gerade erst Geborenen wieder daran erinnern, mit was sie ihre Nabelschnur eigentlich verband. Die Literatur unserer frühen Jahre ist auf die Haut der Kreaturen geschrieben – mit derselben Ausschließlichkeit, mit der Kunstwerke und Rituale archaischer Völker um das Thema der Natur und ihrer Geschöpfe kreisen.

Mittlerweile – endlich! – beginnt die Wissenschaft diese tiefe Faszination zur Kenntnis zu nehmen – und sie beginnt, darüber entscheidende neue Einsichten in unser eigenes Wesen und seine Bedürfnisse zu gewinnen. Kognitionsfor-scher erkennen heute, in welchem Maße Menschen auf die Gegenwart anderer Kreaturen angewiesen sind, um eine gesunde Psyche zu entwickeln. Ohne reale, greif- und spürbare Natur, so stellen sie fest, können sich die Gefühle eines Menschen nicht mehr zu vollständiger Reife entfalten.

Wenn die anderen Kreaturen fort sind, ertaubt etwas in uns – ähnlich wie bei Jugendlichen, die in so gewaltsamen Verhältnissen aufwachsen, dass sie irgendwann nicht mehr in der Lage sind, bestimmte Formen von Nähe zu spüren, weil die dafür erforderlichen Nervensynapsen in den sensiblen Wachstumsphasen nicht entstehen konnten. Inzwi-schen haben Mediziner sogar ein neues Krankheitsbild definiert: NDS, das „Nature Deficiency Syndrome“. Es befällt vor allem Kinder, die nicht mehr draußen spielen, sondern meist vor dem Bildschirm leben – Hyperaktivität und Schwermut sind einige der Symptome, auf Wiesenboden zu stolpern ein anderes.

Vielfalt ist fühlen – warum wir die Biodiversität für unsere menschlichkeit bewahren müssen

Page 69: Klimawandel und Biodiversität - NABU · Wir alle wissen es: Der Klimawandel ist bereits grausame Realität. Mitte Januar wurde der Klimaatlas der europä-ischen Brutvögel in Brüssel

67NABU-Konferenz „Klimawandel und Biodiversität“ • Berlin • April 2008

Dabei ist es für manche kindlichen Bilderbuchtiere bereits fast zu spät. Die Menschenaffen: eine Chance von 1 gegen 3, dass sie die nächsten Jahrzehnte überleben. Die Lederschildkröte der Ozeane: auf 2 Prozent des Bestandes von 1990 gefallen. Der Sibirische Tiger: vielleicht noch 400 Seelen. Der Amur-Leopard: 36. Die Singvögel auf deutschen Wie-sen: ein 40-Prozent-Schwund allein in den letzten wenigen Jahren. Wir beginnen zu erkennen, wie sehr wir seelisch auf die anderen Kreaturen angewiesen sind – aber wir haben viele von ihnen doch schon beinahe verloren.

Freilich sind sie, die anderen, die Tiere, der konstante Faktor im Werden unserer eigenen Art. Wer von der Höhe un-seres technologischen Zeitalters auf die Entwicklung von Homo sapiens zurückschaut, der stellt atemlos fest, wie sehr unsere Geschichte – die der Gattung, aber auch immer wieder die jedes einzelnen Menschen – mit den Tieren gera-dezu verschweißt ist. Von der „Siamesischen Verkettung alles Lebendigen“ sprach der amerikanische Schriftsteller Herman Melville, der Erfinder des mystischen Wals Moby Dick – jenes Wesens, das rachsüchtig ist wie ein Mensch, indifferent scheint wie ein Tier und rätselhaft bleibt wie das Schicksal, dessen Realität weder im Guten endgültig aufgeht noch im Bösen.

An den Felshöhlen etwa von Altamira, Chauvet und Lascaux und an unzähligen Stellen in anderen Kontinenten prangen heute noch Tiere und zeugen von der Kindheit des Menschen – sie preisen sie mit Herden, Menagerien, Pro-zessionen von Animalität. Aber was ist es, das die Gegenwart der Tiere so wichtig macht? Was bewirkt, dass sie nicht nur „gut zum Essen“ sondern ebenso gut „zum Denken“ sind, wie der französische Ethnologe Claude Lévi-Strauss beobachtete? Nur wenn wir diese Frage lösen, wenn wir sie zumindest einmal stellen, haben wir die Chance, den Tod der Natur abzuwenden, der auch unser eigener sein würde. Denn es scheint: In den Tieren stoßen wir, die humane Kreatur, auf etwas von uns, das wir nur als Gegenüber begreifen können. Wir erfassen uns in wilden Augen, die uns doch letztlich unzugänglich bleiben.

Forscher begreifen heute, dass wir nicht nur ökologisch in einer Symbiose mit anderen Wesen leben, sondern auch emotional. Wir brauchen für unsere Seele die Tiere so nötig wie zum Trinken sauberes Wasser. Der kanadische Phi-losoph Evan Thompson etwa meint: Ein Organismus, wie wir es sind, kann sich selbst niemals vollständig erkennen. Er verlangt ein Gegenüber, das ihm sein eigenes Gesicht zeigt: seine Augen, mit denen er sieht. Es ist wie mit dem blinden Fleck der Netzhaut, wo sich der Sehnerv bündelt und die Bilder zum Hirn trägt. Wir sehen mit ihm, aber ihn sehen wir nicht.

Den Grund für diese Spiegelbeziehung beginnen Kognitionswissenschaftler erst jetzt zu verstehen. Die amerikani-schen Säuglingsforscher Andrew Meltzoff und Kenneth Moore etwa konnten zeigen, wie sehr Gegenseitigkeit jeden Aspekt unserer Individualität bedingt – vom Spracherwerb bis hin zu einem voll entwickelten Selbst und zum Be-wusstsein. Säuglinge sind von Geburt an auf einen Anderen angewiesen, der fühlt und diese Gefühle als Ausdruck in Mimik und Gestik zeigt. Andernfalls würde ein Baby gar nicht verstehen, dass es selbst auch ein solches Wesen ist. Es kann sich nur von „innen“ erfahren und nicht von außen sehen. Ohne das lebende Antlitz seiner Mutter oder seines Vaters würde es verkümmern. Ein Kind muss den Zusammmenhang zwischen seiner Innenwelt und den Gesten und Gebärden des Lebens an anderen erst erlernen.

Meltzoff erklärt den Imitationsinstinkt der Kleinen damit, dass sie ihren Körper auf eine „supramodale“ oder „syn-ästhetische“ Weise spüren. Damit meint der Forscher, dass alle Sinneseindrücke irgendwie ein und dieselbe Sprache sprechen, bevor sie nach der jeweiligen Zugehörigkeit sortiert werden. Das betrifft die verschiedenen Kanäle, mit denen wir die Welt „außen“ wahrnehmen, wie Sehen, Hören, Riechen, Schmecken. Aber auch unsere eigenen Gesten und Bewegungen nehmen wir „innen“ zunächst synästhetisch wahr. Der Klang der Stimme, der Tonus der Haut, die

Page 70: Klimawandel und Biodiversität - NABU · Wir alle wissen es: Der Klimawandel ist bereits grausame Realität. Mitte Januar wurde der Klimaatlas der europä-ischen Brutvögel in Brüssel

68 NABU-Konferenz „Klimawandel und Biodiversität“ • Berlin • April 2008

Bewegungen der Glieder – all diese Erregungsmuster laufen auf der Ebene der kindlichen Subjektivität aufs Glei-che hinaus. Es sind Gefühle – gespürtes Wohl oder Wehe, noch bevor die Wahrnehmung ihre konkreten Gestalten zeichnet.

Doch nicht nur die Inputs von Auge, Ohr, Haut und Gaumen sind laut Meltzoff für einen Säugling gleichwertig. Die Identität der Sinne ist viel radikaler. Auch die Erfahrungen, die es an den Gesten eines anderen Menschen ablesen kann, erregen ein Neugeborenes auf dieselbe Weise wie seine eigenen. Anders lässt sich das Imitationsgenie der Babys nicht erklären. Dabei betont Meltzoff, dass die einzelnen Kanäle der Sinne und die Bereiche von Selbst und Fremd nicht erst im Nachhinein zu einem ganzheitlichen Erlebnis verknotet werden. Vielmehr sind sie von Anfang an das Gleiche. „Wir können bildhaft sagen, dass die Wahrnehmung von anderen und die Eigenwahrnehmung von der Ge-burt an die gleiche Sprache sprechen; es gibt keinen Bedarf, sie später zu ‚assoziieren’“, meint Meltzoff.1

Hier taucht so etwas wie eine allgemeine Sprache der Leiblichkeit auf. Sie überbrückt nicht nur die verschiedenen Dimensionen, in denen ein einzelnes Subjekt sich erlebt. Sie ist auch die verbindende Substanz zwischen den Subjek-ten. In ihr drückt sich das Erlebnis der eigenen – inneren und äußeren – sowie der fremden Zustände gleichermaßen aus. In der Währung subjektiv gespürter Bedeutung sind Innen und Außen, selbst und fremd, Gesten und Worte dasselbe. Sie sind es von Anfang an, schon beim Baby, wohl auch beim Fötus, und vermutlich genauso bei jedem le-benden – auch nichtmenschlichen – Subjekt. Welchem Idiom aber folgt diese Sprache? Welches Codesystem versteht es, zugleich innen und außen auszudrücken?

Das Antlitz, das ein Säugling vor sich sieht, zeigt sich ihm weniger als kontrolliertes Gesicht, sondern vielmehr als verkörpertes Gefühl. Es zeigt einen Wert in seiner Absolutheit – und es kann diese Absolutheit nur als Körper zeigen. Das Gleiche gilt umgekehrt: Jede Geste enthüllt sich dem Neugeborenen in seinem eigenen Fühlen. Es ist für die Welt durchlässig. Wer wollte sich da noch wundern, wenn man kleine Kinder nur finster anzuschauen braucht, damit sie zu weinen beginnen? Sie sind schließlich soeben dem Bösen selbst begegnet.

Dass Gegenseitigkeit für die Entstehung des Eigenen so wichtig ist, beruht auf unserer Beschaffenheit als Lebewesen. Auch der Organismus – und damit der Kern von Subjektivität und Gefühl – ist ein Wechselspiel zwischen selbst und fremd, bei dem ein Zentrum des Interesses die Materie für seine Zwecke einspannt, aber sie nicht beherrschen kann, weil sie im Ein- und Ausatmen, in der Aufnahme von Nahrung und der Ausscheidung von Exkreten immer wieder wechselt. Auch hier ist das Fremde notwendig, damit das Identische sich erhalten kann. Darum möglicherweise muss die Mutter den heruntergefallenen Schnuller immer wieder aufheben – nicht, weil dem Kind die Kausalität auf heimtückische Weise so viel Spaß macht, sondern weil die Welt sich erst abhebt, wenn ein anderer sie wahrnimmt und dabei erwischt wird.

Das werdende Ich kennt sich vor allem von innen, als Welt des Gefühls. Es kann aber zu seinen Affekten nur dann eine objektive Haltung einnehmen – und so eine geschlossene, reife Ich-Identität entwickeln – , wenn es die Emo-tionen, gleichsam objektiviert, vor sich sieht. Das freilich ist nur möglich an einem anderen Körper, der ja ein wirk-liches, also objektives Ding im Raum ist. Damit das Kind an diesem Körper seine Gefühle wahrnehmen kann, muss dieser jedoch einem Lebewesen gehören: keine anderen Körper sonst erleben und zeigen Gefühle.

Mittlerweile haben Forscher einige der neurologischen Mechanismen entschlüsselt, mit denen das Selbst sich den anderen erschließt. Sie identifizierten Nervenzellen im Großhirn von Affen, die nicht nur ihre Impulse feuerten, wenn das Tier selbst eine Bewegung machte, sondern auch dann, wenn das Tier einen Artgenossen bei der gleichen Bewegung beobachtete. Der Körper des anderen wird also im eigenen Körper abgebildet. Auch der Mensch hat die-se sogenannten Spiegelneuronen. Sie stellen gleichsam einen Schaltkreis des Mitgefühls dar. Die Grenze zwischen zwei Individuen ist durchlässig geworden: Wenn ich die Erlebnisse eines anderen nur dadurch teilen kann, dass ich sie selbst in meinem Körper fühle, haben wir gewissermaßen die Leiber getauscht – oder aber es ist so, dass wir alle letztlich einen gemeinsamen Körper bewohnen, der in viele Individuen hinein ausläuft.

Page 71: Klimawandel und Biodiversität - NABU · Wir alle wissen es: Der Klimawandel ist bereits grausame Realität. Mitte Januar wurde der Klimaatlas der europä-ischen Brutvögel in Brüssel

69NABU-Konferenz „Klimawandel und Biodiversität“ • Berlin • April 2008

Die Wirkung der Spiegelneuronen zeigt: In gewissem Sinne sind wir der andere. Derart verschaltet, bilden verschie-dene Organismen eine Einheit. Wenn sich mein Körper bewegt, bewegt sich Ihrer mit. Alle Wesen zusammen sind aufeinander angewiesen, um ihre Wahrnehmungsfähigkeit ausschöpfen zu können. Je dichter das Ökosystem, desto größer die Möglichkeiten, zu spüren, zu erkennen. Der undurchdringlichste Urwald, das komplexeste Netz verwobe-nen Lebens offenbart die tiefste Erkenntnis.

Wenn alle in ihrer Wahrnehmung aufeinander angewiesen sind, dann bilden alle Wesen zusammen tatsächlich das, was der französische Existentialist Maurice Merleau-Ponty das „Fleisch der Welt“ genannt hat: ein dichtes Gewebe aus dem, was wahrgenommen wird, und denen, die es wahrnehmen.

Das alles aber kann nur heißen: Wir, die Menschen, sind wie Kinder gegenüber den Tieren. Abgeschnitten von ihnen ist unsere Identität nicht komplett. Nur in ihnen vermögen wir unser gesamtes Potential zu ermessen. Tiere sind wie wir – und doch ganz anders. Wir können an ihnen lernen, so wie das Neugeborene von seiner Mutter lernt, die ihm ebenfalls ähnelt und doch von ihm verschieden ist. Damit spielen Tiere eine unersetzliche Rolle für die Entwicklung unserer Seele. Dass sie dies können, ist ihrer Ähnlichkeit mit uns geschuldet; dass es uns hilft, ihrer Fremdheit.

Hirnforschern wird zunehmend klar, in welchem Maße Tiere dieselben Gefühle empfinden wie wir selbst. Der Este Jaak Panksepp etwa entwickelt inzwischen eine „Affektive Neurowissenschaft“. Er arbeitet mit den Mitteln der Hirnforschung, um den Emotionen aller Lebewesen auf die Spur zu kommen. „Wenn wir wirklich begreifen wollen, welche Motive das Verhalten von Tieren und Menschen bestimmen, dann müssen wir ihre Gefühle verstehen“, sagt Panksepp. Der Forscher verspricht sich davon einen der „faszinierendsten Durchbrüche in der Hirnforschung des neuen Jahrhunderts“. Möglicherweise wird es der Durchbruch sein.2

Für Panksepp ist erwiesen, dass auch andere Tiere die fundamentalen Werte der Existenz fühlen – und nicht nur Af-fekte wie Hunger, Durst und Müdigkeit. (Vergessen wir nicht: Selbst Küchenschaben schlummern, die Fühler schläf-rig nach vorne geklappt.) Nein, offenbar erleben Tiere auch solche Gefühle, die wir bisher uns selbst vorbehalten glaubten. Panksepp kommt auf diese Vermutung, weil er einer der wenigen Neurobiologen ist, die lustige Tierversu-che durchführen: Er kitzelte junge Ratten spielerisch am Bauch, überwachte dabei die elektrische Aktivität ihres Ge-hirns und belauschte mit einem Ultraschallmikrofon die Töne, die sie von sich gaben. Panksepp stellte fest: Dass wir noch nie lachende Ratten gehört haben, liegt schlicht daran, dass sie auf zu hohen Frequenzen kichern. Ansonsten geht es den Nagern nicht anders als einem durchgekitzelten Kleinkind, das vor Vergnügen quietscht. Ihr begeistertes Zirpen ist sogar mit den typischen Nervenschwingungen verbunden, die auch bei uns Vergnügen signalisieren.

In einem anderen, weniger humorvollen Experiment machte Panksepp Ratten zu Morphinisten. Der estnische Neu-robiologe beobachtete, dass Nager, die an Arthritis leiden, bereitwillig zu Opiaten greifen, wenn diese ihnen mit dem Futter angeboten werden. Die Empfangsstellen, an denen solche Drogen im Hirn ihre chemische Beruhigungskraft entfalten, liegen tief in der grauen Masse vergraben: Die Moleküle wirken also in solchen Regionen, die bereits im Zentralnervensystem urtümlicher Reptilien ausgeprägt sind.

Dass in den Köpfen von Krokodilen und Ratten etwas Ähnliches geschieht wie in unseren, begründet Panksepp mit weiteren Argumenten. Wenn etwa Forscher bei verschiedenen Arten jeweils entsprechende Hirnregionen stimulie-ren, zeigen Menschen und andere Säugetiere exakt das gleiche Verhalten. Warum sollten dann die Gefühle, die dieses Verhalten begleiten, nur bei uns auftreten, und nicht bei den anderen? Wird etwa die Gehirnregion des sogenannten Nucleus accumbens elektrisch erregt, brechen menschliche Probanden in haltloses Gelächter aus – und junge Ratten verfallen in ihre typischen fröhlichen Zirplaute.

Alle tiefer liegenden und stammesgeschichtlich älteren Hirnregionen sind bei Wirbeltieren gleich aufgebaut, be-nutzen gleiche Regelkreise und verwenden die gleichen Botenstoffe. Entwicklungsgenetische Beobachtungen haben zudem gezeigt, dass die gleichen genetischen Schalter, die unsere Gehirnentwicklung steuern, selbst bei Fliegen und Krebsen aktiv sind. Panksepp zieht daraus den Schluss: „Der verbreitete Glaube, dass allein die Aktivität des mensch-

Page 72: Klimawandel und Biodiversität - NABU · Wir alle wissen es: Der Klimawandel ist bereits grausame Realität. Mitte Januar wurde der Klimaatlas der europä-ischen Brutvögel in Brüssel

70 NABU-Konferenz „Klimawandel und Biodiversität“ • Berlin • April 2008

lichen Großhirns Kernaffekte hervorzubringen vermag, ist so naiv wie das geozentrische Weltbild. Für Panksepp sind die Gefühle die unterste Realitätsebene – die, welche alles trägt. Keinen Eindruck erlebt der Organismus als neutrale Informationen, sondern jedesmal als das, was er für ihn bedeutet – und das ist nie neutral. Die Bewertungsinstanz ist für Panksepp bei allen Tieren das so genannte „Kernselbst“ – der ortlose Ort, in dem ein Wesen fühlt, dass es ist.

Im Kern-Selbst spiegelt sich der Zustand des Körpers. Das Kern-Selbst ist gleichwohl keine Schaltzentrale, die ein gewiefter Neurobiologe lokalisieren könnte, keine Drüse, kein Homunculus, sondern: ein subjektiver Standpunkt. Denn die Bewertung der Körperzustände liegt nicht mehr eindeutig auf der materiellen Ebene der Hirnchemie. Um einen Organismus seinen eigenen Zustand erfühlen zu lassen, sind „neurosymbolische Prozesse“ am Werk. Die eige-ne Befindlichkeit erscheint als Empfindung. Oder anders herum: Das Gefühl ist das, was eine körperliche Situation für ein Wesen bedeutet. Sobald Körper real ist, ist Fühlen real.

Im Gefühl übersetzt sich das Unbewusste des Stoffwechsels in etwas, das mit mir – oder allen Wesen – geschieht. Noch präziser ausgedrückt: Das Kern-Selbst ist die Bedeutung der körperlichen Prozesse. Es ist ihre stets vorhandene, unablösbare seelische Dimension. Das lässt uns besser verstehen, was Geist, Seele, Bewusstsein ist: nicht die Reprä-sentation des Körpers, nicht seine Abbildung, sondern eine Symbolisierung lebender Subjektivität im Medium des Wertes, der Bedeutung, der Innerlichkeit.

Das Kern-Selbst ist ebenso wenig materiell wie die Kraft, die den Zusammenhang der Zelle hervorbringt und die Identität des Plasmas aufrechterhält, während der Stoff durch es hindurchfließt. Manche Neurobiologen nehmen daher an, dass die symbolische Sphäre unseres Inneren sich in einer einzigen universellen Sprache, einer „Lingua Franca“ des Körpers, ausdrückt. Die Buchstaben dieser Sprache sind kein Text außerhalb der Materie. Sie müssen vielmehr als eine Erscheinungsform der Materie einen emotionalen Wert vermitteln, der für Lebewesen lesbar ist. Das Medium der Gefühle muss emotional geformte Materie sein, denn ohne den Stoff könnte die Sprache der Gefühle nicht erscheinen.

Eine solche Idee erinnert daran, wie ein Kunstwerk wirkt, das ja ebenfalls Materie ist und gleichzeitig Idee, Bedeu-tung. Es ist die sinnliche Gestaltung eines geistigen Gehalts. Für den Hirnforscher Panksepp funktioniert die „Lin-gua franca“ der Neuronen genau so. Ihre Impulse bringen ausdrucksvolle Gestalten hervor. Die Erregungszustände der Nervenzellen und Hirnregionen bilden Gefühle nicht ab, indem sie diese in einen digitalen Code umschreiben, wie es in einem Computer geschehen würde. Das Kern-Selbst repräsentiert nicht, sondern es symbolisiert. Es stellt nicht eins zu eins dar, sondern übersetzt – und neigt, um den Gehalt dieser Übersetzung zu garantieren, zu monströ-sen Übertreibungen und irrealen Verzerrungen – wie ein sensibles Genie nachts an seinem Schreibtisch.

Alle körperlichen Gestalten, das Zucken der Glieder, der überspannte Tonus der Haut, sind darum keine Codes für Emotionen, die auf einen irgendwo im Organismus – etwa in den Genen – abgelegten Schlüssel zur Dekodierung an-gewiesen wären. Vielmehr symbolisiert der Körper Emotionen auf eine Weise, wie auch ein Bild oder ein Musikstück einen Seelenzustand ausdrückt: nicht digital, als streng kodifiziertes Zeichensystem, sondern symbolisch, als Expres-sion, deren Charakter intuitiv dem Dargestellten entspricht. Das Böse im Angesicht des strafenden Erwachsenen ist kein Sinnbild der Wut, sondern diese selbst, Fleisch gewordene Emotion, so real wie jeder Körper.

Der französische Hirnforscher David Rudrauf, Mitarbeiter von Antonio Damasio, der als erster die Bedeutung der Emotionen für das Bewusstsein erkannte, betont: „Wie Lebewesen Werte und Bedeutung herstellen, ist das zentrale Thema der Biologie“.3 Viele Kenner – etwa der jüngst verstorbene chilenische Hirnforscher Francisco Varela oder der Kopenhagener Molekularbiologe Jesper Hoffmeyer – begreifen bereits Zellen weniger als kleine Uhrwerke, sondern eher als Subjekte mit einem ausgeprägten Lebenswunsch. Und gerade Entwicklungsgenetiker – sonst nicht gerade Vertreter einer soft-biology – stellen fest, dass es ihnen nicht weiterhilft, Organismen auf Ursache-Wirkungs-Ketten zu reduzieren. Erstaunt konstatieren etwa die Harvard-Biologen Marc Kirschner und John Gerhart, dass bereits embryonale Gewebe Signale aus ihrer Umgebung nicht stur befolgen, sondern Reize eher in einer Art Konsens-Verfahren – interpretieren.

Page 73: Klimawandel und Biodiversität - NABU · Wir alle wissen es: Der Klimawandel ist bereits grausame Realität. Mitte Januar wurde der Klimaatlas der europä-ischen Brutvögel in Brüssel

71NABU-Konferenz „Klimawandel und Biodiversität“ • Berlin • April 2008

Was heißt das aber, Organismen seien Subjekte? Die interpretieren – und weniger reagieren? Lassen Sie mich eine Erklärung versuchen, die darauf beruht, was wir am Verhalten einer Zelle erkennen können, wenn wir sie einmal nicht darauf reduzieren, eine Exekutionsmaschine für genetische Ordern zu sein. Dann zeigt sich: Organismen sind vor allem Instanzen des Begehrens. Lebewesen sind gerade solche Gebilde, die vorrangig mit sich selbst befasst sind.

Diese Bild bricht mit der Methodik der Schulbiologie. Diese versprach sich alles davon, Wesen als mechanische oder genetische Automaten zu beschreiben. Aber jeder Vergleich zwischen Organismen und künstlichen Maschinen muss versagen, weil diese nicht ihre eigene Fortdauer anstreben. Maschinen, so perfekte Automaten der Mensch in den letzten Jahren auch konstruiert hat, verarbeiten Stoff und stellen Dinge her – nicht aber sich selbst. Leben jedoch ist die Besessenheit, mit der ein Klumpen Stoff eine bestimmte Form und eine bestimmte Handlungsfreiheit bewahren will. Darum besteht die Essenz des Organischen darin, dass eine lebende Zelle ihre eigenen Bauteile beständig selbst produziert. Eine Zelle – das Uratom des Lebens – betreibt andauernde Selbstschöpfung. Sie ist die materielle Umset-zung des Prinzips der Subjektivität.

Den größten Teil ihrer biochemischen Aktivität investieren Zellen darin, die Ordnung in ihrem Inneren zu erhalten, zu stabilisieren, neu aufzubauen. Es ist beinahe so, als würde in uns in jedem Augenblick billiardenfach Münchhau-sens Traum Wirklichkeit. Ein Organismus ist ein Etwas, das sich beständig selbst am Schopf aus dem Sumpf zieht. Er behauptet sich gegen die Kräfte der Unordnung, die an ihm zerren, gegen Quantenfluktuationen, die aus geordneten Molekülen in einem unerbittlichen Bombardement des Zufalls Stücke herausschlagen.

Eine einzige Bakterienzelle repariert in jeder Sekunde bis zu einem Dutzend zerstörter DNA-Verbindungen. An-dernfalls wäre ihr Leben bald zu Ende. Ohne diese aktive Tätigkeit würde die Zelle in Zeitbruchteilen zu einem Molekülhaufen zerfallen. Und genau das passiert, wenn der Tod eintritt: Sterben heißt, zur aktiven Selbsterschaffung nicht mehr fähig zu sein. Ein Wesen, das sich nicht länger als das Zentrum einer Aktivität behauptet, muss wieder zu einem Haufen von Atomen dahinschmelzen.

Der Prototyp aller Subjektivität ist somit eine Subjektivität des Körpers, nicht eine des Geistes. Ihr ureigenster Cha-rakter besteht in der Autonomie der Form über die Materie. Die lebende Zelle beherrscht die Atome, aus denen sie aufgebaut ist. Die Identität, die sie beibehält, bündelt den Stoff.

Unser Stoffwechsel ist darum kein Ölwechsel. Er funktioniert nicht, indem Brennstoff ergänzt und verbrauchtes Material abgelassen wird. Stoffwechsel heißt, den eigenen Stoff mit der Welt zu tauschen. Wenn ich etwas esse, so durchläuft mich dieser „Brennstoff“ ganz anders als einen Motor das Benzin. Dieses wird im Kolben gezündet, ver-brennt und verlässt dann den Auspuff wieder als CO2. Die Nahrung aber, die ich zu mir nehme, wird stofflich zu einem Teil von mir. Die Zellen müssen dafür ein anderes Stück ihrer eigenen Substanz hergeben. Wir alle stoßen mit jedem Atemzug einen Teil von uns an die umgebende Luft ab. Im selben Maße entstehen wir stets neu aus den Produkten der Erde. Was eben noch ich war, ist jetzt schon CO2-Molekül in der Lunge des Gegenübers und dann ein Stück Grashalm auf der Wiese. Was eben noch Korn auf dem Feld war, „Es“, ist nun bereits „Ich“. Aber dieses Ich ist stets ein anderer, weil es nicht aus „meinen“ eigenen spezifischen Stoffteilchen besteht, sondern weil der Stoff, der mich bildet, beständig wechselt.

Das bedeutet aber: Die Erscheinungsform der Wesen, der Stoff, muss diese Subjektivität zum Ausdruck bringen, wenn deren Bedürfnisse die Stoffströme durch eine Zelle regeln, und somit Seele darstellen. Sollte sich eine solche Idee bewahrheiten, wäre die Natur freilich keine stumme Kulisse mehr, sondern durchflutet von Ausdruckskraft. Dann wäre das Empfinden der Wesen in deren körperlicher Gegenwart zugänglich.

Das heißt freilich nicht, dass andere Organismen unsere Gefühle teilen und ausdrücken. Das zu glauben wäre naiv. Mit „Seele“ meine ich weder die christliche Vorstellung, Ebenbild des Schöpfers zu sein, noch das Unterbewusstsein der Psychologen im Gefolge von Sigmund Freud. „Seele“ heißt, dass etwas den Organismus zusammenhält, was nicht allein den Anziehungs- und Abstoßungskräften der Atome entspringt, sondern der Sorge um Fortexistenz.

Page 74: Klimawandel und Biodiversität - NABU · Wir alle wissen es: Der Klimawandel ist bereits grausame Realität. Mitte Januar wurde der Klimaatlas der europä-ischen Brutvögel in Brüssel

72 NABU-Konferenz „Klimawandel und Biodiversität“ • Berlin • April 2008

„Seele“ heißt Betroffenheit – und genau deren Empfindung ist uns bekannt. „Seele“ heißt Innerlichkeit, und es ist diese, die wir mit den anderen Wesen gemein haben, in wie geringem Maße auch immer. Gewiss ist fremde In-nerlichkeit nicht in gleicher Weise von menschlichen Begriffen und Gefühlen wie Erfolg und Verlust, Trauer und Triumph durchdrungen. Was wir aber mit anderen Innerlichkeiten teilen ist das Bangen um die Existenz, das den Kern jedes „autonomen Akteurs“ ausmacht. Worin wir ihnen darum auch gleichen, ist die verletzliche Außenseite, in der sich diese Innerlichkeit ausdrückt, denn sie tritt in der Gestalt aller anderen Wesen wahrnehmbar vor uns in Erscheinung.

Wenn sich die Physik des Lebens am besten als Gefühl beschreiben lässt, dann ist dieses Gefühl doch zugleich immer mit dem Stoff verkoppelt, aus dem der Organismus besteht. Gefühl ohne Materie ist nicht möglich. Das, was sich uns als Gefühl „innerlich“ zeigt, ist etwas, das mit uns als Körper „äußerlich“ geschieht, denn alles Leben ist immer an den Stoff ausgeliefert und vermag sich nur in ihm zu feiern.

In den Körpern der anderen – in den Körpern der Tiere – sehen wir also Kräfte am Werk, die auch in uns wirken. Es sind die Mächte des Lebens. Wir vermögen, unser eigenes Beginnen, unsere eigene Hoffnung als eine Facette der allgemeinen Lebensgesetze zu erkennen. Wir haben teil an einer generellen Bedingtheit allen Lebens. Nennen wir sie die Conditio vitae – im Gegensatz zum Begriff der Conditio humana, ein Ausdruck, der von den Philosophen des Existentialismus für die Abgründe des menschlichen Existierens geprägt wurde. In der Conditio humana sind wir eine leidende Menschheit. In der Conditio vitae aber sind wir verschwistert mit allem, was fühlt – und darin vom ewigen Wiederaufleben über das vereinzelte Leiden hinweggetragen.

Nehmen wir diese neuen biologischen Erkenntnisse ernst, dann steht der Schulbiologie eine Revolution bevor, ähn-lich der, wie sie die Physik vor hundert Jahren erschüttert hat. Dass die Lebensforscher den Relativitätstheoretikern immer noch hinterherhinken, liegt vielleicht daran, dass erst heute ihre Verfahren hochauflösend genug sind, um Intelligenz und Autonomie des Lebens in mikroskopischer Feinheit zu enthüllen. Plötzlich erkennen Biologen: In jedem Organismus ist etwas am Werk, dem daran liegt, nicht zugrunde zu gehen. Etwas Subjektives, das einem Ziel folgt. Das alles, was es erfährt, bewertet, also als förderlich oder schädlich modelliert. Fühlen ist plötzlich eine Kraft, die Materie ordnen kann. Fühlen ist darum nichts spezifisch Menschliches. Im Gegenteil. Es kommt in allen Lebe-wesen zum Ausdruck, weil es ihre basale Biologie bestimmt.

Diese Revolution der Wissenschaft kann nicht ohne Folgen für das Verhältnis des Menschen zur übrigen Natur bleiben. Denn sie zeigt, dass gefühlte Bedeutung nicht unser alleiniges einsames Reich ist, sondern das Grundgesetz des Lebens. Wir teilen es – aber mehr noch als nur symbolisch. Wir sind gar nicht wirklich von den übrigen Wesen getrennt. Andere Lebewesen sind gewissermaßen „externalisierte Psyche“, Form gewordene, vor uns ihr Eigenleben führende Gefühle. Sie sind etwas, das wir in uns als „Innerlichkeit“ kennen, aber sie sind es außerhalb als Körper. In ihnen gewinnt Innerlichkeit erst Gestalt. (Vielleicht könnte man das aus christlicher Perspektive auch so sagen: Wenn Bäume Innerlichkeit nur als reinen Ausdruck an sich zeigen, nicht selbst in sich erfahren, dann ist diese In-nerlichkeit als Ausdruck nur auf Gott hin zu verstehen. Der expressive Ausdruck des Pflanzlichen wäre eine Instanz für Innerlichkeit, die Gott erfährt, in dem wir – die „Tiere“ – sie als bedeutungshaft fühlen.) Der amerikanische Hu-manökologe Paul Shepard meint: „Wenn alle Kreaturen mögliche Ideen, Beziehungen, Emotionen, Empfindungen sind, dann ist ihr Habitat für uns die äußere Form des gesamten geistigen Raumes. Seine sichtbare Ausdehnung ist wie unser bewusstes Erleben und seine unsichtbare Erstreckung wie das Unbewusste.“4

Die Menschen früher haben das Animalische nicht naiv angebetet, glaubt Shepard, sondern etwas von sich selbst darin erkannt. Indem sie Tiere in rituellen Zeichnungen verewigten, stellten sie sich selbst dar. Das andere als Selbst. Sich selbst in den anderen. Sich selbst als daheim. Gerade unsere würdigsten Eigenschaften liegen in den Kreaturen geborgen: die unfassbare Spannkraft des Tigers, die Majestät des Löwen, die Stärke des Bisons, die unheimliche Schläue des Fuchses, die Weitsicht der Eule, die makellose Geschmeidigkeit des Delphins, an die nichts Menschliches heranreicht.

Page 75: Klimawandel und Biodiversität - NABU · Wir alle wissen es: Der Klimawandel ist bereits grausame Realität. Mitte Januar wurde der Klimaatlas der europä-ischen Brutvögel in Brüssel

73NABU-Konferenz „Klimawandel und Biodiversität“ • Berlin • April 2008

All das sind natürlich keine seelischen Qualitäten bestimmter Arten. Es sind Gesten des Lebens. Aspekte unserer eigenen Möglichkeiten, die wir in vollendeter Form nur in den Tieren erkennen können. Alles Seelische hat eine kör-perliche Kehrseite. Wir sind in unserer Psyche mit der Natur verflochten – aber diese Verbindung ist nicht imaginär. Sie ist so real wie die Luft, die wir atmen. Das zu verstehen, heißt freilich zu begreifen, dass es auf diesem Planeten kein drinnen und kein draußen gibt, keine Wahrheiten, die exklusiv für den Menschen gelten und nicht für Delphine und Fische, Tauben und Tiger.

Es heißt auch, dass genauso wenig ein isoliertes Reich des Geistes existiert, in dem man schöne Ideen haben und sich unbegrenzt darüber streiten kann, welche davon die bessere ist. Diese Botschaft sollte die Wissenschaft, die eben auch den Riss zwischen Mensch und Mitwelt in den letzten Jahrhunderten vorangetrieben hat, beherzigen: Jede Phi-losophie wirft ihre Schatten auf atmende Körper. Alle Phantasie hat ihre stoffliche Seite, jedes Bild, das wir von uns entwerfen, zeitigt seine Konsequenz für den Leib – für die verletzlichen Körper der Mitgeschöpfe, aber auch für unse-ren eigenen. Platon irrte darum, als er ein unabhängiges Reich der Ideen jenseits dieser Welt annahm. Die Ideen sind nicht abstrakt. Sie sind hier- im „Fleisch“. Sie wirken in den Tieren - maßlos und zu jeder Verschwendung bereit.

Es ist nötig, diese doppelte Verbindung zu verstehen, wenn die Natur eine Chance haben soll. Die Tiere, die Bilder-buchtiere, der Delphin, die Schildkröte, der Tiger, sie können uns, wenn sie nicht verschwinden, gerade das lehren. Ihr Anblick kann uns erinnern, dass dieses komplexe Gefühl, in dem sich Innenseite und Außenseite, mein eigenes Ich, das meines Gegenübers und die Milliarden fremder Selbste vermischen, nichts radikal Neues und furchtbar Kompliziertes ist. Im Gegenteil. Dieses Gefühl, das zugleich eine bestimmte Haltung fordert, nämlich den Edelmut gegenüber dem Sein, es hat einen alten Namen. Es heißt Liebe.

Liebe ist die einzig denkbare Beziehung, in der Eigennutz und Selbstlosigkeit miteinander ins Gleichgewicht kom-men, weil das eine nur durch das andere möglich wird. Dem Geliebten wünscht man Leben, gleich, wo er sich be-findet, gleich, ob man ihn jemals wiedersehen wird oder nie. Es ist die Liebe zu ihm, die uns größer macht, die uns stärkt, die uns erst wir selbst sein lässt. In der Welt der Lebewesen, aus der wir als eine Art unter vielen hervorgegan-gen sind, ist es die Möglichkeit dieser Liebe, die uns erst Menschlichkeit gibt. Das Schwinden der Tiere ist für uns darum nicht nur ein äußerlicher Verlust – wie wenn wir etwa täglich eines unserer Besitzstücke abgeben müssten. Mit den Tieren nehmen wir vielmehr Abschied von Möglichkeiten zu fühlen. Wenn es keine Tiere mehr gibt, können wir nicht mehr wir selbst sein. Das heißt aber: Wir können überhaupt nicht mehr sein.

Gebetsmühlenartig haben Philosophen und andere Kulturträger in den letzten Jahrzehnten die innere Zerrissenheit des Menschen dargestellt – manche verzweifelt und zynisch, andere im Ton des Triumphes, so, als würde das Fatale, die unauflösliche Tragik unseren wahren Kern bilden: Das Nichts als Reich des Humanen. Unsere Epoche hat die-se Haltung gefeiert – als die einzige, die unserer Natur, der Nicht-Natur, gemäß sei. Das Bild, das sich der Mensch zur Zeit von sich selbst macht, ist darum voller irritierender Widersprüche: Wir sind darin seelenlose Maschinen wie alle Kreaturen, aber zugleich ausgestattet mit einer totale Freiheit ermöglichenden Sprache, mit einer göttlichen Moral – und in dieser Kombination letztlich unverständlich, ein seltsamer Unfall, heillos, zum verzweifelten Rausch verdammt.

Der Blick der Tiere, den wir viel zu lange nicht erwidert haben, kann uns vielleicht etwas anderes zeigen. Er fängt uns auf. Erst unser animalisches Spiegelbild macht unsere Seele – und mit ihr unseren Geist – vollständig. Und so zeigt sich: Es sind die Tiere, die uns all die langen einsamen Jahre unseres technischen Triumphes gefehlt haben. Wir sind gar kein hoffnungsloser Fall. Wir machen uns erst selbst dazu, weil wir uns falsch verstehen. Die Natur ist schon immer in uns, daran erinnern die Tiere. Und doch waren die neuesten Ergebnisse der Kognitionsforschung und der Entwicklungsgenetik nötig, um uns diese uralte und unauflösliche Verbindung zu zeigen. Heute stellen empirische Forscher fest: Wir sind nicht allein – im Gegenteil. Wir sind aufgehoben in unzählbar vielen Schichten anderen Le-bens – und erst in ihnen können wir gänzlich wir selbst sein. Wir müssen uns nur wieder daran erinnern.

Page 76: Klimawandel und Biodiversität - NABU · Wir alle wissen es: Der Klimawandel ist bereits grausame Realität. Mitte Januar wurde der Klimaatlas der europä-ischen Brutvögel in Brüssel

74 NABU-Konferenz „Klimawandel und Biodiversität“ • Berlin • April 2008

Jemand, der sich erinnert hat, schon vor vielen Jahren, war Melville, der Schriftsteller, mit seiner geheimnisvollen Romangestalt Moby-Dick, dem weißen Wal. Melville erzählt die Geschichte des Tieres, das der Walfänger-Kapitän Ahab aus Rache töten will und das am Ende Ahab selbst und sein ganzes Schiff vernichtet. Das vielleicht berühmteste Buch der amerikanischen Literatur ist eine Geschichte über den Kampf des Menschen mit dem Kosmos – über seinen vergeblichen Versuch, die Natur zu beherrschen und das Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Symbol für diese Saga ist Moby-Dick, der Wal – jenes Wesen, dessen Spezies immer wieder am Anfang der Schöpfungsgeschichten der Völker steht.

Moby-Dicks irrlichterndes Auftauchen in Melvilles Buch zog Generationen von Lesern magisch an, ohne dass sie letztlich erklären konnten, welche Rolle der weiße Wal eigentlich spielt. Er stellt – in menschenalter Tradition des Meeressäuger-Mythos – ein Rätsel dar, das sich nicht ergründen lässt. Warum jagt der Kapitän wie besessen den Wal? Warum werden er und mit ihm seine Mannschaft von Moby-Dick am Ende getötet? Steht das mächtige Tier für das abgründig Böse? Oder für das rächende Gute? Für die Vergeltung der bedrohten Natur? In Moby-Dick prallt die – allerdings noch nicht so tödlich wie heute gerüstete – technische Zivilisation auf das, was immer schon da war, schon Ewigkeiten vor ihr. Und wie es seit Ewigkeiten war und in Ewigkeiten noch sein wird, verliert der Mensch diesen Kampf, denn es ist der Kampf gegen sich selbst. Die mit Mordwerkzeugen ausgestatteten Menschen bringen Wale um – aber am Ende werden sie von ihnen vernichtet. Vergessen wir auch hier nicht: Für die Naturgeschichte bedeutet Aussterben keinen Schmerz. Aussterben ist ihr Werkzeug.

Herman Melville war kein Esoteriker und kein Grüner. Er prangert in diesem letzten modernen Walmythos nicht die Naturzerstörung an, sondern etwas anderes, etwas, das ihrer Dynamik zugrunde liegt, das aber jeden Menschen betrifft: Die Illusion, irgendwann das Steuer vollständig in der Hand halten zu können. Was Ahab und den anderen Walfängern zum Verhängnis wird, ist in Wahrheit die Verblendung, sich des geheimen Plans der Welt bemächti-gen zu können, der Blaupause der Schöpfung, in der aufgezeichnet steht, warum überhaupt Wale durch die Meere schwimmen – und welchen Sinn das alles hat.

Moby-Dick ist kein Mythos über den Walfang, sondern über den Menschen, der sich anmaßt, den Wal – der wie jedes Wesen den Sinn der Schöpfung in seinem Leib verborgen trägt – zu fangen und zu zergliedern. Darum ist die Geschichte heute aktueller denn je. Unsere Zeit hat sich die restlose Erklärung der Natur auf die Fahnen geschrieben und vernichtet Natur zugleich wie nie zuvor – zwei Vorgänge, die zusammengehören.

„Im Zentrum von Moby-Dick steht ein Problem“, sagt der Melville-Forscher John Bryant. „Die Essenz des Lebens ist im Fleisch enthalten und kann nicht extrahiert werden, ohne das Leben zu vernichten“.5 Daraus folgt: Die Lösung des Rätsels ist unmöglich. Alles erklären zu wollen – die Herrschaft des Verstandes über die Welt – hieße, diese „Essenz“ des Lebens, die sich nur in sterblichen Körpern finden lässt und bis heute nicht aus ihnen herausgeschnitten werden kann, zu zerstören. Weil er das nicht einsehen will, muss Kapitän Ahab untergehen.

Lassen wir den Tieren – der gesamten Natur – gegenüber Gnade walten. Wir stehen immer schon in ihrer Schuld. Erst die Gnade, zu der wir uns ermannen sollten, ermöglicht überhaupt Heimkehr – oder besser: Aufbruch zu uns selbst. Nicht zurück zur Natur muss es also heißen. Sondern hin zu ihr – und damit zu uns.

1 Andrew N. Meltzoff (2005): „Imitation and Other Minds: The ›Like-me-Hypothesis‹“. In: Perspectives on Imitation: From Neuroscience to Social Science, hg. von S. Hurley und N. Chater, Bd. 2, S. 55–77. Cambridge, Mass.

2 Jaak Panksepp (2001): „Affective Neuroscience: Possible Consilience Between Psychoanalysis and Brain Research“. Les états généraux de la psy-chanalyse. Online unter: http://www.etatsgeneraux-psychanalyse.net/archives/texte215.html

3 David Rudrauf, pers. Mitteilung.4 Shepard, Paul (1998): Thinking animals: animals and the development of human intelligence. Athens, Georgia: University of Georgia Press, S. 35

(Übersetzung vom Autor).5 Bryant, J. (2006): „To fight some other world“. In: J. Bryant, M. K. Bercaw Edwards, Timoty Marr; Hg. Ungraspable phantom: essays on Moby

Dick. Kent, Ohio: Kent State Univ. Press, p. x (Übersetzung vom Autor).

Page 77: Klimawandel und Biodiversität - NABU · Wir alle wissen es: Der Klimawandel ist bereits grausame Realität. Mitte Januar wurde der Klimaatlas der europä-ischen Brutvögel in Brüssel

75Podiumsdiskussion

ehrenamtlicher naturschutz und kommunikation im klimawandel

Zusammenfassung der Podiumsdiskussion zwischen Dr. Andreas Weber (Schriftsteller und Journalist), Uwe Brendle (Bundesamt für Naturschutz, Abteilungsleiter Natur und Gesellschaft) und Ralf Schulte (NABU, Leitung für Ver-bandsentwicklung und Ehrenamtsförderung)

Nach vielfältigen Beiträgen zum bestehenden Wissen über den Klimawandel stellte sich an dieser Stelle die Frage, wie mit diesen Erkenntnissen umzugehen ist. In der Arbeit des BfN beispielsweise sei das Thema Klimawandel selbst-verständlich angekommen – in der Projektförderung genauso wie in der ökonomischen Interpretation von Klima-wandel und Biodiversitätsverlust, so Uwe Brendle. Doch gebe es noch keine eindeutigen Positionen, wie damit auch kommunikativ umgegangen werden soll. Für einen Verband wie den NABU stellt sich auch die Frage, was tatsächlich an Informationen bei den Aktiven ankommt. Eine Befragung hat schon vor einiger Zeit ergeben, dass neben dem klassischen Artenschutz auch auf der lokalen Ebene der Klimawandel als Thema aufkeimt, berichtete Ralf Schulte. In neueren Untersuchungen stand auch schon die Verbindung von Klimawandel und Biodiversität im Mittelpunkt. Doch gerade für die lokalen Gruppen stehen Konflikte zwischen Biotopschutz und Landnutzung nach wie vor im Mittelpunkt. Unter der zusätzlichen Belastung des demografischen Wandels finden viele Gruppen sich in einer kom-plexen Gemengelage, in der noch viele Fragen offen bleiben müssen.

Doch wie groß muss der Leidensdruck sein, damit ein breites gesellschaftliches Handeln einsetzt? Herr Weber beton-te, dass die Schwelle, ab der ein deutlicher Handlungsbedarf von vielen Menschen wahrgenommen wird, vielleicht zu unscharf sei, als dass konsequentes Gegensteuern tatsächlich rechtzeitig einsetzen könnte. Zahlreiche Indikato-ren wie die Zunahme von Epidemien und depressiven Gesellschaften deuteten darauf hin, dass kritische Schwellen bereits überschritten sein könnten, ähnlich den physischen Kipp-Punkten, die im Klimasystem befürchtet werden. Brendle warnte allerdings davor, die Kommunikation auf ein „alles ist schlecht“ zu stützen. Eine Vielfalt von Ar-gumentationssträngen sei berechtigt und notwendig: eine emotionale genau so wie eine ökologische oder eine öko-nomische. Für den Naturschutz bedeutet die Verknüpfung mit dem Klimawandel eine Chance, eigene Anliegen in neuem Zusammenhang zu platzieren. Diese Chance – und sie hat nur ein enges Zeitfenster – sollte nicht vergeben werden.

Aus dem Publikum wurde die Sorge geäußert, der Grat zwischen Übertreibung und Aufrüttelung sei sehr schmal. Viele düstere Umweltprognosen hätten sich im Nachhinein als übertrieben herausgestellt, aber ohne sie wäre es auch nicht zum entscheidenden Umdenken gekommen. Skepsis wurde auch laut, ob NABU oder BfN denn tatsächlich emotional argumentieren würden und wie gerechtfertigt dies sei, angesichts der Situation in Entwicklungsländern, in denen Menschen wesentlich direkter mit der Natur verbunden lebten, aber keineswegs glücklicher oder gesünder seien. In einer Zeit, in der grundsätzlich der unmittelbare Nutzen im Mittelpunkt jeglicher Argumentation stünde, müsse es gelingen, jeden einzelnen als Teil des Systems Natur und Umwelt darzustellen, ohne dabei moralisierend zu werden.

Der NABU argumentiere durchaus emotional, erläuterte Schulte. Das positive Gefühl, etwas Gutes zu tun, sei eine wesentliche Motivation für den Naturschutz. Aber auch das nun anstehende Risiko, lieb gewonnene Arten durch den Klimawandel verlieren zu können, sei ein emotionales Thema, das mit Feingefühl kommuniziert werden müsse – wie ein Arzt, der eine schlechte Diagnose zu übermitteln habe. Schlechte Nachrichten sollten nicht durch Übertreibun-gen, sondern transparent und offen kommuniziert werden. Auch Brendle betonte die Rolle emotionaler Kommuni-kationsstrategien, wie sie Bundesumweltminister Gabriel beispielsweise über den zum Symbol gewordenen Eisbären Knut gewählt habe. Auch wenn dies durchaus umstritten sei, halte er diesen Weg für wichtig, so lange er mit den ent-sprechenden Informationen verbunden sei. Allerdings dürfe nicht ein kommunikativer Strang gegen einen anderen

Page 78: Klimawandel und Biodiversität - NABU · Wir alle wissen es: Der Klimawandel ist bereits grausame Realität. Mitte Januar wurde der Klimaatlas der europä-ischen Brutvögel in Brüssel

76 NABU-Konferenz „Klimawandel und Biodiversität“ • Berlin • April 2008

ausgespielt werden. Die Vielfalt sei auch hier ein zentraler Faktor. Auch ein Heimatbegriff werde gelegentlich in die Argumentation eingebracht. Dies sei hoch emotional, aber auch durchaus problematisch. Denkbar sei es aber, Folgen des Klimawandels zu visualisieren, etwa in einer vertrauten, touristisch interessanten Landschaft. Vertraute Umge-bungen bis zum heimischen Garten ließen sich in ihrer Veränderung gut und fachlich fundiert darstellen, würden aber gleichzeitig einen hohen emotionalen Wert in sich tragen. Es sei für jeden sofort verständlich, da der Vergleich zum Bekannten und Vertrauten gezogen würde.

Diese Diskussion dürfe allerdings auch nicht auf die Aussage „Wir brauchen mehr Emotionalität“ reduziert werden, warnte Weber. Das Fühlen müsse in öffentlichen Diskussionen überhaupt erst wieder zugelassen werden. Unsere Welt sei auf das Tote fixiert. Selbst die Biologie, die Wissenschaft vom Leben, habe keine zufrieden stellende Definiti-on, was Leben sei. Sie habe sich dagegen immer stärker auf deterministische und atomisierende Betrachtungsweisen fokussiert. Auch auf der kulturellen und politischen Ebene würden immer wieder humane Bedürfnisse gegen die Na-tur ausgespielt. Diese Dichotomie existiere aber nicht. Menschliche Bedürfnisse ließen sich nicht befriedigen, wenn die Natur dabei nicht erhalten werde.

Für die Kommunikation innerhalb der Verbände sei auch die Erkenntnis von großer Bedeutung, dass die Bereit-schaft, sich für den Naturschutz zu engagieren, keineswegs angeboren sei, sondern im Laufe der Hirnentwicklung erlernt werden müsse, berichtete Schulte. Entscheidend hierfür sei die emotionale Ansprache und Bindung im Rah-men der Kinder- und Jugendarbeit. Organismen, die uns begeisterten, Menschen, die uns binden konnten – alle hier Anwesenden seien doch durch eine emotionale Ansprache in den Naturschutz gekommen, wurde in der weiteren Diskussion betont. Völlig unabhängig von wissenschaftlichem Interesse sei es für viele Aktive im Naturschutz eine Verbundenheit mit der Natur, die zum Handeln antreibt. Der Naturschutz könne dabei helfen, solche Gefühle erst zu entdecken und auszuleben. Verrechtlichung, Verwaltung aber auch Verwissenschaftlichung des Naturschutzes stünden dem aber entgegen. Nachwuchs ließe sich nur über lokale, engagierte Gruppenarbeit binden. Während Wis-senschaftler oder Politiker oft nur begrenzte Einflussmöglichkeiten oder geringen Entscheidungsspielraum hätten, könnten sie über ökologische Bildung, die Unterstützung von Verbänden durch wissenschaftliche Expertise und Re-putation aber dennoch dem Naturschutz helfen. Denn Naturschutzverbände seien die letzte glaubwürdige Gruppe, die im Natur- und Umweltschutz agiere, so ein Beitrag aus dem Publikum.

Doch dafür müssten die Verbände und ihre Aktiven über ihre Arbeit reden, ihre Erfolge benennen und nicht auf Bedrohungen und eine Angstlust spekulieren. Denn Erfolg ziehe Menschen an, mache neidisch und erzeuge das Bedürfnis nach Anteilhabe. Dazu seien attraktive Arten wie der Eisbär ebenso von Bedeutung wie gute Beispiele für erfolgreiche Arbeit. Die Kraft eines positiven Beispiels könne kaum überschätzt werden. Natürlich müsse der Natur-schutz auch weiterhin warnen, aber das Bedürfnis an Schönheit, Positivem und die Suche nach Begeisterung sei eine wichtige Triebkraft. Und schließlich, wenn Strukturen sich erneuert oder etabliert haben, müssten diese auch wei-terhin intensiv betreut werden. Denn Nachhaltigkeit ist auch in Gruppenstrukturen keine Selbstverständlichkeit, er-klärte Schulte. Gerade im Bereich des „Networking“ könne der Naturschutz noch viel von anderen Sektoren lernen.

Page 79: Klimawandel und Biodiversität - NABU · Wir alle wissen es: Der Klimawandel ist bereits grausame Realität. Mitte Januar wurde der Klimaatlas der europä-ischen Brutvögel in Brüssel

77Bernd Pieper

NABU-Bundesgeschäftsstelle, Charitéstr. 3, 10117 Berlin

Kommunikation hat es auch nicht leicht. Zum einen ist sie das Wundermittel, mit dem angeblich selbst der dürftigste Gedanke noch zur rettenden Idee aufgeblasen werden kann. Zum anderen ist sie auch der willkommene Sündenbock, wenn die rhetorische Vergoldung von Stroh eben doch nicht funktioniert hat: Dann, so die bekannte, fadenscheinig selbstkritische Phrase, „haben wir es leider nicht geschafft, unsere (an sich prächtigen) Inhalte hinreichend verständ-lich zu machen“. Deshalb: Bei nicht vorhandenen, banalen oder unklaren Inhalten hilft die beste Kommunikations-strategie wenig.

Insofern ist es kein Fehler, sich vor der Entwicklung einer Kommunikationsstrategie ein paar grundsätzliche Gedan-ken zu machen. Man darf sich zum Beispiel an die ursprüngliche Bedeutung des lateinischen Wortes „communicare“ erinnern. Ob man sich aufteilen, mitteilen, teilnehmen lassen, gemeinsam machen oder vereinigen verständigt: allen Bedeutungen ist die Absicht gemeinsam, sich zu verständigen, nach Lösungen zu suchen anstatt Recht behalten zu wollen – keine Selbstverständlichkeit (nicht nur) im Natur- und Umweltschutz.

Keinesfalls zu vernachlässigen ist auch die Verständigung über Ziele und Zielgruppen – was und wen will ich errei-chen? Als Zielgruppe haben wir auf der einen Seite die haupt- und ehrenamtlichen Praktiker im Naturschutz, auf der anderen Seite die Multiplikatoren (Medien) und Entscheider (Politiker, Verwaltungsfachleute etc.). Darüber hinaus gibt es beim Thema Klimawandel und Biodiversität die Chance, eine weitere Spezies für den Naturschutz jenseits alt-hergebrachter Vereinsmeierei zu begeistern: den interessierten und engagierten Nachwuchs, ebenso rar wie kostbar.

Es ist immer ratsam, nicht zu viele Ziele auf einmal zu verfolgen. Dennoch sollten wir uns beim vorliegenden Thema folgenden Aufgaben mit Nachdruck widmen:

Sensibilisierung der regionalen Akteure ¡

Austausch der vorhandenen Informationen auf allen Ebenen ¡

Aufbau nachhaltiger Kommunikationsstrukturen ¡

Kompetente Information der (Medien-)Öffentlichkeit ¡

Breite Partizipation aller relevanten gesellschaftlichen Gruppen

So akademisch und unscharf konturiert das Kommunikationsthema „Klimawandel und Biodiversität“ auf den er-sten Blick auch erscheinen mag, so gibt es doch ein paar grundsätzliche Kernaussagen, auf die wir uns verständi-gen könnten. Klimawandel ist kein Gottesurteil – wir Menschen haben sowohl die Pflicht als auch die Chance, den Klimawandel und seine Folgen zu beeinflussen. Auch ist Reden zwar gut, aber Erleben ist besser – die erfolgreiche und beispielhafte Naturschutzarbeit vor Ort muss einem möglichst breiten Publikum sinnlich erlebbar gemacht wer-den. Weiterhin gibt kein besseres Argument für potenzielle Nachahmer als die erfolgreiche und anerkannte Arbeit. Und zum Schluss: Angstlust ist kontraproduktiv – das Schwelgen in Untergangsszenarien mag typisch deutsch und mitunter sogar verständlich sein, dient aber bestenfalls der persönlichen Bedürfnisbefriedigung. Davon ausgehend lassen sich Botschaften herausfiltern, mit denen wir unser Thema öffentlich machen wollen.

Der Klimawandel findet direkt vor der Haustür statt, sogar in meinem Lieblingsnaturschutzgebiet. ¡

Die aktuelle und künftige Änderung der Artenzusammensetzung und –vielfalt ist Realität. ¡

Daraus folgen zwingend neue Anforderungen an die Naturschutzarbeit vor Ort. ¡

klimawandel und BiodiversitätAnsätze einer Kommunikationsstrategie

Page 80: Klimawandel und Biodiversität - NABU · Wir alle wissen es: Der Klimawandel ist bereits grausame Realität. Mitte Januar wurde der Klimaatlas der europä-ischen Brutvögel in Brüssel

78 NABU-Konferenz „Klimawandel und Biodiversität“ • Berlin • April 2008

Der Klimawandel ist auch eine Chance für die Naturschutzarbeit vor ort.

Die Dramaturgie einer Kommunikationsstrategie ist weitgehend unabhängig vom konkreten Thema. Im vorliegen-den Fall ist es durch die heterogenen Zielgruppen noch etwas komplizierter, gleichwohl ist es auch bei Klimawandel und Biodiversität gegenüber den Medien angeraten, das Thema möglichst mit einem Paukenschlag zu platzieren, kontinuierlich und kompetent fortzufahren, best-practice-Beispiele zu präsentieren sowie hin und wieder einen Reiz-punkt zu setzen. Gleichzeitig muss ein Netzwerk von fachlich Interessierten auf- und ausgebaut werden, die kommu-nikative Kärrnerarbeit sozusagen.

Ebenso wichtig ist die Analyse des Umfeldes, in dem sich meine Kommunikation bewegt. Beim Thema Klimawandel und Biodiversität ist dieses einigermaßen heterogen: Ignoranz („Klimawandel gibt es nicht“) ist ebenso anzutreffen wie Resignation („geht doch sowieso alles den Bach runter“) und Hysterie („in zehn Jahren steht hier alles unter Was-ser, ist Sachsen-Anhalt eine Wüste usw. usw. ..“). Es gibt aber auch Interesse, Aufgeschlossenheit und die Bereitschaft, sich auf neue Situationen einzustellen und sogar produktiv damit zu arbeiten.

Deshalb ist es enorm wichtig, die richtige Sprache für die jeweiligen Adressaten zu finden. Übertreibung oder gar Schockeffekte sind durchaus legitim, wenn es gilt, ein Thema erst einmal zu profilieren. Über diesen Punkt sind wir meines Erachtens aber hinaus, und so sollten wir uns hüten, folgende Tonarten allzu lautstark anzustimmen:

Moralisierende Vereinfachung: Gewinner und Verlierer, Böse und Gut ¡

Verharmlosung: „Wein aus Schleswig-Holstein“, „Ganzjahresbuffet für Vögel“ ¡

Fremdenfeindlichkeit: „Die Invasion aus dem Süden“, „Wir werden aufgerollt“ ¡

Panikmache: „Die Killer der Tropen kommen zu uns“

Wichtig und richtig dagegen sind Präzision sowie – bei aller notwendigen Differenzierung – starke Bilder und kla-re Botschaften in allen Kanälen, die für die klassische Medienarbeit zur Verfügung stehen. Dabei wäre es schön, wenn die Bedürfnisse und Zwänge der jeweils anderen Seite mitgedacht würden. Gerade praktische Naturschützer sehen überall erhaltenswerte Schönheit, und deswegen verzweifeln sie mitunter an der pragmatischen Sichtweise der Fernsehverantwortlichen, denen doch bewusst sein müsse, was da offensichtlich Gutes getan wird. Es ist für hauptamtliche Kommunikationsfachleute im organisierten Naturschutz mitunter eine Lektion in Demut, wenn sie den engagierten Ehrenamtlichen erklären müssen, dass sie deren Herzensprojekt wohl kaum durch einen einfachen Anruf in der Redaktion ins Programm werden bringen können. Und wehe dem Naturfilmer, der einem Redakteur tatsächlich ein paar Minuten für das Streuobstwiesenprojekt abgerungen hat und dabei zwangsläufig Kürzungen in Kauf nehmen musste – er sollte an den Tagen nach der Ausstrahlung nur mit einer soliden inneren Verfassung ans Telefon gehen.

Wann ist die Kommunikation zum Thema Klimawandel und Biodiversität erfolgreich? Konkrete quantitative Ziele (100 vernetzte Naturschutzgruppen und 15.000 Medienberichte bis zum Tag X) lassen sich schwer formulieren, sind aber durchaus hilfreich bei der Überprüfung, ob der erste Schritt in die nachhaltige Popularität des Themas gelungen ist.

Page 81: Klimawandel und Biodiversität - NABU · Wir alle wissen es: Der Klimawandel ist bereits grausame Realität. Mitte Januar wurde der Klimaatlas der europä-ischen Brutvögel in Brüssel

79

Der Klimawandel ist allgegenwärtig. Er wandelt auch die Art und Weise, wie Journalisten über Natur berichten. Wenn sie es denn überhaupt tun. Die große Mehrheit meiner Kollegen hält Artikel über Tiere, Pflanzen und Ökosy-steme für gar nicht so interessant: Es kommt zu wenig Mensch darin vor.

Vielleicht hilft der Klimawandel, die Haltung dieser schreibenden Mehrheit zu ändern. Die Umgestaltung der Ökosy-steme wirkt schließlich auf den Menschen zurück, und so werden selbst Fische, Bienen oder Bäume zu einem Thema – jedenfalls wenn es sich um Speisefische, Honigbienen, Forst-Fichten oder küsten-schützende Mangrovensäume handelt. Durch ihr Verschwinden wird das soziale Drama, das politisch-wirtschaftliche Poker greifbar, und schon sind auch naturmüde Journalisten zur Stelle.

1. Wie sich der Klimawandel in Natur-Reportagen schleicht

Wie aber ergeht es solchen Reportern und Autoren, die schon länger über die nicht-nützliche und nicht genutzte Na-tur schreiben? Die von Tieren, Pflanzen, Landschaften erzählen, einfach deswegen, weil sie diese auch als Gegenstand an sich für intellektuell unterhaltsam oder für sinnen-bezaubernd halten und dieses Erlebnis anderen vermitteln wollen. Ihre Berichte sind nicht etwa liebe Naturaufsätze, ohne jede Relevanz. Oft wird in den Texten ja die Drohku-lisse menschlicher Einwirkungen mitgeschildert, werden die Worte „vom Aussterben bedroht“ zur leidigen, aber als Tribut an die journalistische Wahrheitspflicht unvermeidlichen Phrase.

Mit dem Klimawandel hat sich die Drohkulisse erheblich erweitert. Und man schwankt als Natur-Journalist. Ei-nerseits verstärkt sich der Relevanz-Reflex beim Publikum, andererseits ist man es leid, bald über gar nichts mehr schreiben zu können, ohne dessen Schwinden mitzureflektieren. GEO, die grüne Ausgabe, die es seit 30 Jahren gibt, hat in dieser Zeit zwei Dutzend Mal über Eisbären berichtet. Können Sie sich vorstellen, meine Damen und Herren, dass wir im Februar 2006 bewusst darauf verzichtet haben, bei einer großen Fotoreportage über eine knuddelige Eis-bärfamilie in einem kanadischen Nationalpark mehr als nur beiläufig auf die Gefährdung durch den Klimawandel hinzuweisen?

Falls Sie jetzt vom Glauben abfallen: Anfang März 2007 – Knut war drei Monate alt – erschien in GEO ein Expedi-tionsbericht über Franz-Joseph-Land. Natürlich war den Reportern die früher einsetzende Eisschmelze nicht ver-borgen geblieben. Sie verkürze den Eisbären die Frist, innerhalb derer sie vom Eis aus Robben jagen können. „Die Jagdplattform taut ihnen unter den Tatzen weg. Werden die fetten Zeiten übers Jahr betrachtet kürzer, schlägt das unweigerlich auf die Kondition. Eisbären müssen auf dem Weg zu ihren Jagdgründen zu viel Energie beim Durch-schwimmen immer größerer offener Wasserflächen verausgaben.“ Und so weiter - wie inzwischen auch durch den BBC-Kinofilm „Planet Erde“ weit bekannt.

Auch in den GEO-Tag der Artenvielfalt hat sich der Klimawandel geschlichen. Bei dieser Aktion, die die Redaktion in diesem Jahr zum zehnten Mal organisiert, kann jedermann eine Gruppe von Kundigen zusammenrufen und an einem selbst festgelegten Ort innerhalb von 24 Stunden so viele Tiere, Pflanzen und andere Organismen wie möglich zu finden versuchen und anschließend online registrieren. Auch wir Reporter rücken aus und bitten Experten zu einer Hauptver-anstaltung in einem von Jahr zu Jahr neu gewählten Gebiet und berichten dann in der Septemberausgabe darüber.

Im Juni 2002, Prof. Müller-Motzfeld und Dr. Korn waren daran mitbeteiligt, fand die Hauptveranstaltung auf der Insel Vilm und in umliegenden Gebieten statt. Unter 2098 gefundenen Arten fiel ein unscheinbarer Laufkäfer auf: Ophonus signaticornis war seit 100 Jahren in weiten Teilen Deutschlands verschollen. Hatten den Käfer vielleicht insgesamt steigende Temperaturen bis an die deutsche Ostseeküste gelockt? Der Klimawandel hatte – wenn zunächst auch nur als Spekulation - den GEO-Tag erobert.

Martin Meister

Geschäftsführender Redakteur GEo

kommunikationsstrategien für den naturschutz in zeiten des klimawandels

Page 82: Klimawandel und Biodiversität - NABU · Wir alle wissen es: Der Klimawandel ist bereits grausame Realität. Mitte Januar wurde der Klimaatlas der europä-ischen Brutvögel in Brüssel

80 NABU-Konferenz „Klimawandel und Biodiversität“ • Berlin • April 2008

Im Juni 2004 – bei der GEO-Hauptveranstaltung in Süd- und Nordtirol – klangen unseren Reportern die Ohren von mehr als einem Dutzend wärmeliebender Insekten- und Pflanzenarten, die offenbar dabei waren, nördlich des Alpenkamms dauerhaft zu siedeln. Im Juni 2006 schließlich, anlässlich der Nordsee-Inventur vor Bremerhaven, auf Helgoland und Sylt, nahmen wir von Vorneherein das Thema „Ökosystemwandel durch Meereserwärmung“ in den Fokus. Und überall begegnete uns die gleiche Botschaft: In der Nordsee, schon von Natur aus ein Lebensraum im Wandel, verändert sich das Artengefüge immer schneller und die Wassererwärmung trägt wesentlich dazu bei.

Sie sehen, meine Damen und Herren, wo immer wir uns in Deutschland bewegen, wir können dem Thema Klima-wandel gar nicht mehr ausweichen. GEOs Kommunikationsstrategie zur Vermittlung dieser Erkenntnis ist schlicht: Wir versuchen, durch den Wechsel der Fotografen und Autoren; der Recherchewege und Erzählweisen einer Ermü-dung unseres Publikums vorzubeugen. Faustregel: Wenn wir Redakteure anfangen uns zu langweilen, tun es bald auch unsere Leser – und damit wäre auch dem Thema wenig gedient. Zumal man natürlich nicht nur in Deutschlands freier Natur, sondern nahezu überall auf der Welt auf den Biologischen Wandel als Klimafolge trifft.

2. „Klimawandel und Biodiversität“ – die Karriere eines Begriffspaars

Nun bewege ich mich bei GEO in einem ziemlich natur-freundlichen Zirkel. Ist denn die Interdependenz von klima-tischem und biologischem Wandel auch in anderen deutschsprachigen Medien schon ein viel beschriebenes Thema? Um dies zu überprüfen, habe ich mir das Begriffspaar aus dem Titel dieser NABU-Konferenz zum Untersuchungsge-genstand gewählt: „Klimawandel und Biodiversität“. Ich wollte wissen: Wie oft und seit wann kommen beide Begriffe zusammenhängend in deutschsprachigen Druckmedien vor? Eigentlich hätte ich im Hinblick auf meine Themen-stellung ja nach „Klimawandel und Naturschutz“ fragen sollen. Doch das Wort „Naturschutz“ ist für eine technische Suche einfach zu unpraktisch. Sowohl das zuständige Bundesministerium wie der BUND führen es im Namen – und sobald diese und weitere Organisationen nur irgendetwas zu Klimafragen äußern, springt der Suchalgorithmus dar-auf an. (Nicht betrachtet habe ich außerdem das Vorkommen von „Erderwärmung“ oder „Klimaveränderung“ in Zusammenhang mit „Biodiversität“.)

Bedienen konnte ich mich bei der Recherche der G+J Pressedatenbank, dem größten Pressearchiv Europas – von den so genannten Premiummedien dürfte mir also wenig entgangen sein. Das Ergebnis bot folgendes Bild

Deutschsprachige Presse zw. 2000 und 2007

KB: Gekoppelte Erwähnung der Begriffe „Klimawandel und Biodiversität“

KW: Gekoppelte Erwähnung der Begriffe „Klimawandel und Wetter“

KS: Gekoppelte Erwähnung der Begriffe „Klimawandel und Sturm“

KB KW KS

2000 3 28 16

2001 5 31 15

2002 10 76 29 *

2003 5 75 20

2004 12 88 44

2005 11 93 72 **

2006 16 205 68

2007 46 488 198

erstmalige gekoppelte Erwähnung von „Klimawandel und Biodiversität“

16.09.1997 (SZ; Interview mit Hans-Joachim Schellnhuber) 01.09.1999 (GEO: Ernst Ulrich v. Weizsäcker)

* (getrieben durch „Rio + 10“; Überblicksartikel in „Nature“ und „Science“)** (getrieben durch die Hurrikanereignisse in New orleans)

Page 83: Klimawandel und Biodiversität - NABU · Wir alle wissen es: Der Klimawandel ist bereits grausame Realität. Mitte Januar wurde der Klimaatlas der europä-ischen Brutvögel in Brüssel

81NABU-Konferenz „Klimawandel und Biodiversität“ • Berlin • April 2008

erstmalige Erwähnung von „Biodiversität“ unter 1401 Fundstellen

11.05.1992 in GEO Wissen, in einem Artikel über E.O.Wilson, den amerikanischen Biologen, der wesentlich mit zur Etablierung des Begriffs beigetragen hat (Buch “Biodiversity“ 1988)

Auch wenn wir GEO beiseite lassen, sehen Sie der kleinen Chronik vielleicht an: Die Kommunikationsaufgabe, den Zusammenhang zwischen „Klimawandel und Biodiversität“ deutlich zu machen, ist nicht hoffnungslos. Der Be-kanntheitsgrad dieses Zusammenhangs wächst proportional zu dem weit etablierteren von „Klimawandel und Wet-ter“. Aber sicher lässt sich das Ergebnis noch steigern.

Wodurch? Während ich über meine Presseschau nachgedacht habe, bin ich auf fünf Punkte gekommen:

3. Versuch eines Fünf-Punkte-Plans

Journalisten mögen neue Worte, bieten Sie uns neue Vokabeln an: ¡

„Biodiversität“ / „Biologische Vielfalt“ sind solche Fälle. Sie klingen vielleicht ein wenig zu fachlich, aber jeden-falls nicht zopfig; und „Vielfalt“ ist immer gut. Außerdem, siehe den Begriff „Katalysator“, geht auch Fachtermi-nologie bei genügend häufiger Anwendung in der Presse allmählich in allgemeinen Sprachgebrauch über.

Fakten aufbereiten: Die Übersicht „Gewinner und Verlierer des Klimawandels“ aus Naturschutz heute (2/2007) ¡ist ein hervorragendes Beispiel dafür, wie Verbände in ihren Eigenpublikationen Journalisten entgegenkommen können.

Nicht jede Außenseiter-Position, die den eigenen Kommunikationsinhalten entgegensteht, muss pflichtschuldigst ¡kommentiert werden. Gewisse Medien warten nur darauf, dass ihnen Thesen à la Josef Reichholf oder Bjørn Lomborg unterkommen. Sie wollen provozieren und leisten sich, um der Bekanntheit willen, den Vorwurf des Zynismus. Wer das nicht mag, sollte solche Positionen so lange wie möglich ignorieren. Helmut Kohl ist im Falle des „Spiegels“ viele Regierungsjahre lang gut damit gefahren. Statt sich an Zynikern und Trittbrettfahrern abzu-arbeiten: Setzen Sie auf Vorbilder, auf Leute, die – statt nach weiteren letzten Zweifeln zu suchen – Vorbildliches tun.

Auch Medienvertretern helfen persönliche Begegnungen und emotionale Erlebnisse. Beispiele: Die Wirkung des ¡Films „Planet Erde“; eines Fotobandes über das Artic National Wildlife Refuge im US-Senat; des Films „Voyage to Kure“ bei einer Vorführung im Weißen Haus für George W. Bush im April 2006 durch Jean-Michel Cousteau (den Sohn von Jacques-Yves C.): Das Meer um die Hawai-Inseln wurde von Bush prompt zum National Monu-ment erklärt und ist jetzt das größte Meeresschutzgebiet der Erde.

Argumentieren Sie für das Recht auf jene Emotionen, die Naturfreunden so viel bedeuten. Reden Sie nicht nur ¡bürokratisch. Im Sommer 2006 habe ich hier in Berlin an einer Festveranstaltung und einem Symposium zum 20-jährigen Bestehen des BMU teilgenommen; Hubert Weinzierl, der Präsident des DNR, war unter vielen Red-nern der einzige, der es wagte, auch vom Glück zu sprechen, vom Lied eines Rotkehlchens, vom Duft der Schlüs-selblume, von „Seelenschutzgebieten“. Finden auch Sie frische, neue Worte und vertiefen Sie die systematischen Überlegungen zu einer Wertediskussion – es gibt Medien, die solche Botschaften hören und brauchen.

Lassen Sie mich zu dem letzten Punkt, der mir heutzutage besonders vernachlässigt erscheint, noch einige Worte verlieren. Hat es Sinn, in Zeiten des Klimawandels für die Bewahrung der ursprünglichen Ökosysteme zu einzutre-ten? Warum muss es dieses oder jenes Reliktbiotop überhaupt noch geben? Öffnet uns der anthropogen erzwungene Wandel nicht die Augen für alle Relativität von Natur?

Page 84: Klimawandel und Biodiversität - NABU · Wir alle wissen es: Der Klimawandel ist bereits grausame Realität. Mitte Januar wurde der Klimaatlas der europä-ischen Brutvögel in Brüssel

82 NABU-Konferenz „Klimawandel und Biodiversität“ • Berlin • April 2008

Das mag so sein. Und doch muss man es nicht mögen. Es hat Sinn, für die Relikte zu kämpfen. Es hat Sinn für Men-schen mit Geschichtsbewusstsein. Ihnen ist ein aus der Naturgeschichte hervorgebrachtes Gefüge von Tieren und Pflanzen mehr wert als eine Disney-Natur, als ein postmodernes Arrangement von Tieren und Pflanzen, als eine Ikea-Natur für alle Welt.

Ich bin der Meinung: Ja, es ist richtig und auch für Journalisten interessant, wenn Menschen sich offensiv zum Natur-Traditionalismus bekennen; wenn sie zum musealen Naturschutz stehen. Gleich, ob es sich um ein kleines, feines Museum handelt – etwa eine Borstgras-Fläche oder eine Feldhamster-Kolonie. Oder um eine riesige Erlebnis-Instal-lation wie das Wattenmeer.

Wer sich für die Bewahrung von Hervorbringungen der Naturgeschichte ausspricht oder wer sie schlicht schön, schö-ner, tiefer, reicher als das Neuschöne findet oder wer ihnen mindestens die gleiche Existenzberechtigung zuspricht wie der neuarrangierten Umwelt - wer eines davon tut, trifft eine Wertentscheidung. Warum sollte nicht auch sie, vernünftig begründet, in die Medien durchdringen? Viele Naturfreunde haben die Entscheidung innerlich ja längst getroffen. Nun kommt es darauf an, Journalisten auf kluge und originelle Weise dafür einzunehmen.

Page 85: Klimawandel und Biodiversität - NABU · Wir alle wissen es: Der Klimawandel ist bereits grausame Realität. Mitte Januar wurde der Klimaatlas der europä-ischen Brutvögel in Brüssel

83Rolf Schrickel

BUTTER. Agentur für Werbung

kommunikationsstrategien „klimawandel und Biodiversität“ aus der Perspektive einer Kommunikationsagentur

Biodiversität? Ich kauf das jetzt auch immer öfter

Rolf Schrickel von der Agentur BUTTER. präsentierte 5 Thesen, die als Lehre aus der Klimadebatte für die Kommu-nikation der Artenvielfalt aufgestellt werden können.

Die Industrie ist der Umweltschützer Nummer Eins.1.

Nichtregierungsorganisationen können die Deutungshoheit über Umweltthemen behalten.2.

Biodiversität ist kein Thema.3.

Auch Artenvielfalt kann ein großes Thema werden.4.

Artenvielfalt muss wie Shampoo kommuniziert werden.5.

Zur ersten These: Der Klimawandel ist definitiv als ein zentrales Thema der öffentlichen Debatten etabliert, denn er bedroht jeden einzelnen von uns. Dass der Klimawandel durch gewaltige Marketing-Investitionen heute diesen Sta-tus erlangt hat, liegt aber nicht an dieser individuellen Bedrohung, sondern vielmehr an dem bedrohten Image von Politik, Unternehmen und ganzen Branchen.

Politiker, Industrie, selbst Erdölkonzerne, Energieversorger und Fluggesellschaften präsentieren sich als vorbildliche Klimaschützer. Vom bildträchtigen Eisbären Knut bis zur Grönlandreise der Bundeskanzlerin Merkel, nutzt auch die deutsche Regierung Kommunikationsstrategien, um ihr Engagement beim Klimaschutz zu betonen. In den Wer-bebotschaften der Autoindustrie dominieren grüne Landschaften, Blumen und das Versprechen sauberer Mobilität und Lebensqualität. Der Internet-Auftritt der Firma Shell lässt nicht einmal mehr vermuten, dass der Konzern sein Geld mit Erdöl verdient. So genannte Biokraftstoffe prägen das Bild. BP (British Petroleum) ging gar so weit, seinen Namen jetzt als „Beyond Petroleum“ zu interpretieren.

Ähnlich sieht es bei den Energieversorgern in Deutschland aus: Unabhängig von der tatsächlichen Zusammenset-zung des verkauften Stroms, bestimmen Erneuerbare Energien und das Spiel mit individuellem Verantwortungsge-fühl die Selbstdarstellung und die Werbebotschaften. Das gleiche Bild zeichnet sich in diversen anderen Branchen: Ausgerechnet die Unternehmen, die das Klima am stärksten schädigen (und die dazu noch über die größten Media-budgets verfügen), haben das Thema „Klimawandel“ mit aller Macht besetzt. Die aktuellen Bedürfnisse der Kunden werden geschickt mit dem Appell an das gute Gewissen verknüpft, so dass allein die Verwendung des Produktes persönlichen Ablass und sogar Wertschätzung durch Dritte verspricht.

Für die klassischen ökologischen Kommunikatoren – die Nichtregierungs Organisationen (NGOs) – bedeutet dieses aktuelle Szenario der Kommunikation Chance und Herausforderung zugleich: Die Chance, sich mehr Gehör zu verschaffen, weil ihre Kernthemen plötzlich „Mega-Themen“ sind; das Risiko, in diesem Rummel der Aufmerksam-keiten weniger wahrgenommen zu werden, denn „die Großen“ kümmern sich ja schon um die Umwelt. Aus Sicht des Werbefachmanns Schrickel überwiegen derzeit aber eindeutig die Risiken.

Page 86: Klimawandel und Biodiversität - NABU · Wir alle wissen es: Der Klimawandel ist bereits grausame Realität. Mitte Januar wurde der Klimaatlas der europä-ischen Brutvögel in Brüssel

84 NABU-Konferenz „Klimawandel und Biodiversität“ • Berlin • April 2008

Die NGos können die Deutungshoheit über Umweltthemen behalten

Aus Sicht der Agentur BUTTER. haben die Natur- und Umweltschutzorganisationen aktuell dennoch die Deutungs-hoheit über die relevanten Themen – trotz der vermeintlichen Ökowelle. Dies liegt zum einen an der Marke, die auch solche Organisationen darstellen, zum anderen aber auch an dem Vorsprung an Glaubwürdigkeit, den sie gegenüber den neuen „grünen Wettbewerbern“ haben. Aus aktuellen Umfragen geht hervor, dass der neue „Öko-Touch“ der Werbung zwar meist akzeptiert, aber keineswegs ernst genommen wird. Dies führt allerdings auch dazu, dass Unter-nehmen und auch Medien verstärkt den Schulterschluss mit NGOs suchen. Die Krombacher-Brauerei, Vileda, Bild oder Pro7 sind so aktiv als Klimaschützer, Artenschützer und Retter der Welt aufgetreten.

Die NGOs werden aber nur die bestimmende Kraft in der Umweltkommunikation bleiben, wenn sie sich nicht von der Industrie vereinnahmen lassen, ihre große Ernsthaftigkeit erhalten und gleichzeitig Themen ansprechen, die die Köpfe und Herzen der Menschen erreichen können und diese plakativ und populär aufbereiten.

Biodiversität ist kein Thema

Der Fachbegriff „Biodiversität“ lässt sich für die Ansprache breiter Zielgruppen nicht verwenden, denn ein Thema, das fast niemand auf Anhieb versteht, hat keine Chance, sich durchzusetzen. Hinzu kommt, dass es tatsächlich kaum jemanden interessiert, ob die Rotbauchunke oder der Stechende Mäusedorn aussterben – oder wenn wir uns von einer der Tausenden Ameisenarten weltweit trennen müssten. Doch bedeutet dies, dass die Artenvielfalt keine Chance hat?

Auch Artenvielfalt kann ein großes Thema werden

Die Chance, wie auch die Artenvielfalt kommuniziert werden kann, liegt an der positiven und emotionalen Wahr-nehmung der „Natur“. Artenvielfalt hat mit Natur zu tun, und in der Natur verbringen Menschen ihren Urlaub oder ihre Wochenenden, dort gehen sie am liebsten spazieren, oder sie nutzen Zoos, um sich mit der Vielfalt der Fauna zu umgeben. Auch die großen Erfolge diverser Kinofilme und TV-Serien sind ein schlagender Beweis dafür, dass die Menschen bereit sind, sich auf dieses Thema einzulassen. Ein weiterer Aspekt ist, dass die Gefährdung der Arten-vielfalt weder für Bürger noch für die Industrie eine direkte Bedrohung darstellt. Der große mediale Rundumschlag ist hier also nicht zu befürchten, und die NGOs haben eine wesentlich bessere Chance, dieses Thema zu besetzen als dies beim Klimawandel der Fall war.

Artenvielfalt muss wie Shampoo kommuniziert werden

Um dieses Thema erfolgreich zu besetzen, müssen aber auch hier einige Grundregeln beachtet werden: Die Menschen sind aus Sicht der Werbung einfach gestrickte Egoisten, die einen persönlichen Nutzen haben wollen. Also muss auch die Kommunikation die Frage beantworten, was ein einzelner Bürger davon hat. Anhand zahlreicher Beispiele zeigte Schrickel, wie Botschaften von Familiensinn, Geborgenheit oder Vitalität vermittelt werden, die mit den Produkten wie Shampoo oder Margarine nichts zu tun haben. Von diesem Ansatz ausgehend, schlug BUTTER. eine deutliche Verknüpfung vor: Der Nutzen, den wir aus der Natur ziehen können, sei es für die Entdeckung von Arzneistof-fen oder durch das Abschauen technischer Lösungen, muss mit einzelnen Arten verknüpft werden. So wird daraus schnell die Botschaft: Wenn wir diese Art, ihren Lebensraum, ihre Lebensqualität nicht schützen, werden wir sie verlieren und alles, was wir von ihr lernen, aus ihr gewinnen können.

(Text Nicolai Schaaf)

Page 87: Klimawandel und Biodiversität - NABU · Wir alle wissen es: Der Klimawandel ist bereits grausame Realität. Mitte Januar wurde der Klimaatlas der europä-ischen Brutvögel in Brüssel

85

Prof. Dr. Beate Jessel1 und Till Hopf2

1Präsidentin des Bundesamtes für Naturschutz, 2Mitarbeiter im Fachgebiet „Gesellschaft, Nachhaltigkeit, Tourismus und Sport“. Bundesamt für Naturschutz, Konstantinstraße 110, 53179 Bonn.

Die Berichte des IPCC haben in den letzten Jahren das Augenmerk der Öffentlichkeit auf den Klimawandel und seine Auswirkungen gelenkt. Wir sollten uns aber bewusst sein, dass diese mediale Aufmerksamkeit nicht unbedingt von Dauer sein muss. Auch ist mitunter feststellbar, dass Aspekte des Naturschutzes nicht zur Geltung kommen, wenn überhastet Szenarien für eine klimafreundliche Energieversorgung gezeichnet werden, so wie dies im Fall des Bio-masseanbaus vielfach geschehen ist. Dabei kann der Naturschutz einen wichtigen Beitrag zum Klimaschutz und zur Anpassungsfähigkeit leisten!

Mit der im November 2007 vom Bundeskabinett verabschiedeten Nationalen Strategie zur Biologischen Vielfalt bie-tet sich nun ein zweiter öffentlicher Anknüpfungspunkt. Auch die im Mai 2008 in Bonn abgehaltene 9. Vertragsstaa-tenkonferenz des „Übereinkommens über die biologische Vielfalt“ (CBD) stellte eine besondere Gelegenheit dar, um die Präsenz von Naturschutzanliegen in der öffentlichen Diskussion zu erhöhen, ebenso wie es die aktuelle deutsche Präsidentschaft in der CBD bietet. Dieses mediale Zeitfenster sollte u. a. dafür genutzt werden, die Rolle des Natur-schutzes für eine erfolgreiche Anpassung an den Klimawandel herauszustellen. Denn der Erhalt einer großen Vielfalt an Arten und Lebensräumen schafft in Kombination mit nachhaltigen Nutzungsstrategien die Voraussetzung dafür, dass die Natur sich an die bevorstehenden Veränderungen anpassen kann und ihre Leistungen für das menschliche Wohlbefinden erhalten bleiben. Es muss vermehrt in die Öffentlichkeit transportiert werden, dass Naturschutz im Klimawandel nicht nur Betroffener ist, sondern ein wichtiger Akteur, um zur Minderung von Treibhausgasen und zu den nötigen Anpassungen im Raum beizutragen.

Handlungsbedarf für den Naturschutz

An dieser Stelle soll zunächst zusammenfassend dargestellt werden, welcher Handlungsbedarf durch den Klimawan-del für den Naturschutz entsteht:

Der Klimawandel ist nicht mehr vollständig vermeidbar: ¡

Nach aktuellem Erkenntnisstand ist der Klimawandel nicht vollständig vermeidbar, selbst bei einem „Einfrieren“ der Emissionen auf dem Stand des Jahres 2000 würde die Temperatur noch um ca. 0,6 °C ansteigen. Auf die aktuellen und zukünftigen Auswirkungen des Klimawandels auf die Natur weisen die anderen Tagungsbeiträge eindrucksvoll hin. Es ist daher für den Naturschutz unverzichtbar, sich auch mit den Konsequenzen dieses Wandels zu beschäfti-gen.

Sowohl Anpassung als auch Vermeidung sind notwendig: ¡

Da der Klimawandel nicht mehr vollkommen vermieden werden kann, ist eine Anpassung an seine Folgen notwen-dig; diese steht gleichberechtigt neben den Bemühungen um eine Vermeidung der anthropogenen Klimaveränderun-gen. Dabei geht es nicht darum, die Vermeidungsbemühungen zu schwächen oder in Frage zu stellen. Im Sinne eines proaktiven Ansatzes müssen jedoch die Voraussetzungen dafür geschaffen werden, dass Arten und Ökosysteme die Möglichkeit zur Anpassung an die veränderten Bedingungen erhalten. Dies kann z. B. durch die Bereitstellung von Entwicklungsflächen, eine noch stärkere Vernetzung von Schutzgebieten und die Herstellung und Erhaltung von Wanderungskorridoren sowie über eine nachhaltige Landnutzung geschehen, wie dies seit langem u. a. im BNatschG gefordert wird.

Reaktionsmöglichkeiten erhalten: ¡

Der Mensch kann in verschiedener Weise dazu beitragen, dass die bevorstehenden Veränderungen in der Natur möglichst nicht zu einer weiteren Gefährdung der biologischen Vielfalt führen. Dazu gehört vor allem, dass Pflanzen

naturschutz im klimawandel – ein zwischenfazit

Page 88: Klimawandel und Biodiversität - NABU · Wir alle wissen es: Der Klimawandel ist bereits grausame Realität. Mitte Januar wurde der Klimaatlas der europä-ischen Brutvögel in Brüssel

86 NABU-Konferenz „Klimawandel und Biodiversität“ • Berlin • April 2008

und Tieren die Möglichkeit gegeben wird, sich an die gewandelten Verhältnisse anzupassen. Beispielsweise, indem Lücken im nationalen Schutzgebietssystem geschlossen und somit Rückzugsräume für gefährdete Arten geschaffen werden. Gleichermaßen wesentlich ist aber auch, die Landschaft für wandernde Arten durchlässig zu halten, um Ausweichreaktionen zu ermöglichen, etwa durch die Förderung einer strukturreichen Landschaft und einer flächen-deckend nachhaltigen Landnutzung, die Vermeidung von Flächeninanspruchnahme und Fragmentierung und die Beseitigung von Ausbreitungshindernissen. Instrumente dazu bieten die Landschafts- und Biotopverbundplanung, aber auch die Agrarumweltförderung und Initiativen zur nachhaltigen Regionalentwicklung, mit deren Hilfe na-turverträgliche Landnutzungsformen rentabel gemacht werden können. Hier gibt es von der internationalen bis zur lokalen Ebene viel Raum für konkrete Initiativen, die z. T. schon bestehen und die es auszubauen gilt.

Diese „Hilfe zur Selbsthilfe“ findet sich auch in einer konkreten Vision zum Klimawandel, wie sie in der Nationa-len Strategie zur biologischen Vielfalt formuliert wird: „Unsere Vision für die Zukunft ist: Der Anstieg der mittleren globalen Erwärmung ist auf maximal 2 Grad Celsius gegenüber vorindustriellen Werten begrenzt. Die Auswirkungen des Klimawandels auf die biologische Vielfalt in Deutschland (z. B. Verschiebung der Vegetationszonen, Veränderung des Vogelzugverhaltens, Gefährdung kälteliebender Arten) sind abgepuffert bzw. minimiert. Empfindliche Arten und Lebensgemeinschaften können auf klimabedingte Veränderungen durch räumliche Wanderungen reagieren.“ (Natio-nale Strategie zur Biologischen Vielfalt, S. 55f.) Hier findet sich also das oben angesprochene Ziel, der Natur Wege und Raum für notwendige Anpassungen zu geben, festgeschrieben. Die genannten Wanderungen werden auch an Grenzen nicht haltmachen, es werden neue Lebensräume entstehen, neue Arten nach Deutschland einwandern. Die-ser dynamische Prozess kann dazu führen, dass sich mitunter nicht nur die Artzusammensetzung wandelt, sondern dass sich unter Umständen auch das Erscheinungsbild der Landschaften verändern wird.

Gesellschaftliche Implikationen des Themas „Klimawandel und Biodiversität“

Wie können nun der aus ökologisch-naturwissenschaftlicher Perspektive aufgezeigte Handlungsbedarf verwirklicht und die notwendige Unterstützung dafür erreicht werden? Betrachten wir hierfür die gesellschaftlichen Implika-tionen des Themas „Klimawandel und Biodiversität“ und beginnen mit einer Erkenntnis aus der Workshopreihe des Vorhabens „Klimawandel und biologische Vielfalt – Eine Kommunikationsstrategie für den ehrenamtlichen Naturschutz“, die, vom Bundesamt für Naturschutz (BfN) gefördert, vom Sommer 2007 bis zum Frühjahr 2008 stattgefunden hat. Etwas überraschend war die Aufgeschlossenheit der Teilnehmenden für das Thema. Keine Über-raschung war dabei die grundsätzliche Affinität zum Thema, zumal ja über die Veröffentlichung der IPCC-Berichte der Klimawandel im Jahr 2007 plötzlich in aller Munde war – vielmehr soll hier die Bereitschaft der Teilnehmerinnen und Teilnehmer hervorgehoben werden, sich mit den Konsequenzen auch für das eigene Naturschutzverständnis auseinander zu setzen: Die von Prof. Dr. Ibisch an anderer Stelle in diesem Band vorgetragenen – durchaus von man-chem Naturschützer als provokativ aufzufassenden – Thesen sorgten zwar für intensive und angeregte Diskussionen, jedoch mehr inhaltlicher denn grundsätzlicher Art.

Trotz dieser grundsätzlich offenen Einstellung wird es natürlich dennoch Konflikte in diesem Bereich geben, insbe-sondere dann, wenn sich der Naturschutz bei der Formulierung von Leitbildern für die lokale Ebene von bisherigen Bezugspunkten und statischen Naturvorstellungen verabschiedet und dies im Widerspruch zu jahrzehntelangem, von ehrenamtlichen Naturschützerinnen und Naturschützern mit viel Herzblut betriebenen Arten- und Biotop-schutzmaßnahmen steht. Für aktive Naturschützerinnen und Naturschützer, im Ehrenamt wie im Hauptberuf, ist es daher wichtig, sich an eine großräumige Betrachtungsweise zu gewöhnen. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaft-ler rechnen damit, dass sich die Klimazonen in den nächsten 100 Jahren um etwa 200-1200 km nach Norden ver-schieben werden. Damit verlagert sich auch die Verantwortung für den Schutz mancher Arten. Arten, die bei uns in Deutschland aus klimatischen Gründen an der Südgrenze ihres Areals leben, werden voraussichtlich unaufhaltsam verschwinden, während neue Arten hinzukommen:

Page 89: Klimawandel und Biodiversität - NABU · Wir alle wissen es: Der Klimawandel ist bereits grausame Realität. Mitte Januar wurde der Klimaatlas der europä-ischen Brutvögel in Brüssel

87NABU-Konferenz „Klimawandel und Biodiversität“ • Berlin • April 2008

Umgang mit Veränderung – offen für Neues sein?

Das Beifußblättrige Traubenkraut (Ambrosia) ist ein Beispiel für die Ausbreitung einer gebietsfremden Pflanzenart, die gesundheitliche (hochgradig allergene Pollen), ökonomische (Ackerunkraut) und potenziell naturschutzrelevan-te Schäden (in Sandtrockenrasen) verursacht. Eine Förderung durch den Klimawandel ist für sie wahrscheinlich, da sie erst spät im Jahr blüht und fruchtet, d. h. durch die Verlängerung der Vegetationsperiode gefördert wird. Die Art kommt schon seit Mitte des 19. Jh. bei uns vor, bisher aber nur sporadisch und nicht etabliert. Insbesondere in den letzten Jahren wird eine verstärkte Ausbreitung beobachtet, die zwar wesentlich auf verunreinigtes Vogelfutter zu-rückgeht, aber eben auch die angesprochene Förderung durch das Klima widerspiegelt. Weitere, unproblematischere Beispiele für die Ausbreitung von Arten nach Norden sind z. B. die Gottesanbeterin oder der Bienenfresser, die ihr Areal weiter ausdehnen und inzwischen immer häufiger in Deutschland zu finden sind.

Abb 1: Verbreitung der aus Nordamerika stam-menden beifußblättrigen Ambrosie (Ambrosia artemisiifolia), einer invasiven Art, die wegen ihrer allergenen Pollen seit 2005 verstärkt in den Fokus von Medien und Fachöffentlichkeit gera-ten ist. Die Ausbreitung der Ambrosie ist aller Voraussicht nach auf die Erwärmung durch den Klimawandel zurückzuführen. (Grafik: BfN, Foto: T. Muer)

In diesem Zusammenhang sollte noch einmal erwähnt werden, dass Arten, die aufgrund des Klimawandels nach Deutschland einwandern, nicht als fremde (= nicht-heimische) oder gar invasive Arten angesehen werden. Als frem-de - besser: gebietsfremde - bzw. invasive Art werden nur solche bezeichnet, die sich nachweislich durch den mensch-lichen Einfluss (z.B. Verschleppung, Aussetzen) außerhalb ihres natürlichen Areals etabliert haben (wie dies z. B. bei der Ambrosia der Fall ist) bzw. hier aus Naturschutzsicht bzw. in gesundheitlicher Hinsicht auch noch Schäden anrichten. Europäische, u. a. mediterrane Arten, die durch den Klimawandel ihr Areal nach Norden erweitern/verschieben und so nach Deutschland gelangen, werden nicht dazu gezählt, da die ausschließlich anthropogenen Ursachen des Klimawandels nicht belegt sind bzw. die für eine Arealveränderung verantwortlichen Faktoren nicht ausschließlich mit dem Klimawandel in Verbindung gebracht werden können. Jede natürlich zuwandernde Art,

Page 90: Klimawandel und Biodiversität - NABU · Wir alle wissen es: Der Klimawandel ist bereits grausame Realität. Mitte Januar wurde der Klimaatlas der europä-ischen Brutvögel in Brüssel

88 NABU-Konferenz „Klimawandel und Biodiversität“ • Berlin • April 2008

die bereits gelegentlich in Deutschland nachgewiesen wurde und sich in einer belegbaren Ausbreitungsphase nach Deutschland befindet oder sich hier bereits etabliert hat, ist im Sinne des BNatSchG eine heimische Art. Der Bienen-fresser war also schon immer eine solche Art, tritt aber - sehr wahrscheinlich klimatisch bedingt - in Deutschland wieder vermehrt auf. Er ist zwar ein Indikator für eine zunehmende Erwärmung in Deutschland, aber eben keine (gebiets-)“fremde“ Spezies, wie wir es im Rahmen der Neobiota/IAS-Diskussion verstehen.

Eine gewisse Offenheit gegenüber Neuem ist also auch aus Naturschutzsicht notwendig – die Berichterstattung zu neu einwandernden Arten in Deutschland ist ja mitunter von einer Ablehnung alles „Fremden“ gekennzeichnet. Eine solche Argumentation ist wenig Ziel führend und verschließt die Augen vor der Realität. Wir müssen daher lernen, den unvermeidlichen Anteil des Wandels auf der lokalen und regionalen Ebene zu akzeptieren und positiv zu gestalten. Es wäre falsch, in Fällen, wo der Klimawandel Bemühungen um einzelne, vielleicht vertraute und lieb gewonnene Arten auf der lokalen Ebene zunichte macht, in Fatalismus zu verfallen und darüber die überregionalen Ziele des Naturschutzes aus den Augen zu verlieren, die für die Arbeit vor Ort ja nicht weniger bedeutend sind, nur meist etwas abstrakter und schwerer greifbar.

Zentrale Rolle des Ehrenamtes

An dieser Stelle soll nicht unerwähnt bleiben, welch zentrale Rolle ehrenamtliches Engagement für den Naturschutz (gerade auch in Zeiten des Klimawandels) hat: Dank des bundesweiten Vogelmonitorings etwa, das ganz im Wesent-lichen durch ehrenamtliche Beobachterinnen und Beobachter geleistet wird, konnten für verschiedene Arten posi-tive Bestandstrends festgestellt werden, die auf spezielle Schutzmaßnahmen zurückzuführen sind (Schaffung bzw. Erhalt von geeigneten Bruthabitaten, Sicherung des Bruterfolgs durch Überwachungsmaßnahmen, etc.): So zeigen u. a. Steinkauz und Schwarzstorch, aber ganz besonders auch Kranich, Seeadler, Uhu oder Wanderfalke durchaus er-freuliche Bestandsentwicklungen. Hier wird ersichtlich, dass sich Engagement im Naturschutz lohnt und eben auch Erfolge zu verzeichnen sind, die zu weiterem Engagement anregen.

Aber die Monitoring-Daten zeigen auch, dass bis zur Erreichung der vorgegebenen Bestandsziele noch einiges zu tun bleibt, denn insbesondere die Brutvögel der Agrarlandschaft verzeichnen z. T. deutliche Bestandsrückgänge. Dies be-trifft vor allem bodenbrütende und bisher eigentlich jedem von Kind auf bekannte Arten wie Kiebitz, Feldlerche oder Wiesenpieper. Gerade vor dem Hintergrund des Klimawandels gewinnt ein belastbares und bundesweit vergleichba-res Monitoring an zusätzlicher Bedeutung; es wäre ohne den Einsatz von zahllosen Freiwilligen nicht möglich.

Abb 2: Ergebnisse des bundesweiten Vogelmo-nitorings als Beispiel für ehrenamtliches Engage-ment im Naturschutz. Großräumig vergleich-bare Monitoringdaten gewinnen gerade vor dem Hintergrund des Klimawandels an Be-deutung. (Grafik aus Dröschmei-ster & Sukopp (im Druck))

Page 91: Klimawandel und Biodiversität - NABU · Wir alle wissen es: Der Klimawandel ist bereits grausame Realität. Mitte Januar wurde der Klimaatlas der europä-ischen Brutvögel in Brüssel

89NABU-Konferenz „Klimawandel und Biodiversität“ • Berlin • April 2008

Kommen wir aber nach diesem kleinen Exkurs zurück zur gesellschaftlichen Rezeption der mit dem Klimawandel einhergehenden Veränderungen in der Natur.

Aufgrund der anstehenden, durch den Klimawandel hervorgerufenen Veränderungen ist für die ehrenamtliche Ar-beit durchaus auch ein gewisses Konfliktpotenzial vorhanden, insbesondere wenn es um den (regionalen) Verlust von Arten geht oder um den Sinn und Unsinn von veränderten Schutzmaßnahmen. Um diese Konflikte zu entschärfen und Enttäuschungen von persönlich Engagierten zu vermeiden, ist eine gute Informationsarbeit notwendig, wie sie mit diesem Projekt des NABU bereits betrieben wird. Aber worauf gilt es dabei besonders zu achten?

Neue Ansätze für die kommunikative Naturschutzarbeit

Schauen wir dafür noch einmal in die bereits zitierte Nationale Strategie zur Biologischen Vielfalt, deren Umset-zungsprozess gerade angelaufen ist. Bezogen auf nicht-staatliche Akteure werden u. a. die folgenden Maßnahmen formuliert (Nationale Strategie zur Biologischen Vielfalt, S. 83):

Neu-Konzeptionierung der Verbändearbeit ¡

Es sind neue Ansätze und Wege zu suchen und zu begehen, um die Verbandsarbeit an die spezifischen Gegeben-heiten des Klimawandels anzupassen. Eine innerverbandliche Kommunikation der Herausforderungen (wie dies in dem hiesigen Projekt ja bereits geschieht) ist dabei ein erster Schritt.

Verstärkte Zusammenarbeit ¡

Weiterhin bedarf es einer verstärkten Zusammenarbeit von Klimaschutz- und Biodiversitätsschutzakteuren auf allen Ebenen – auch mit Blick auf die Anpassungsfähigkeit von Natur und Gesellschaft. Die vielfältigen Wech-selbeziehungen von Biodiversität und Klima machen es erforderlich, dass ein stärkerer Austausch zwischen den beiden Bereichen stattfindet.

Zielgruppenorientierte Kommunikation und Information ¡

Es muss eine zielgruppenorientierte Kommunikation und Information über die Zusammenhänge von Klima-schutz und Naturschutz erfolgen, die in der Alltagswelt der Empfänger ansetzt und einen Bezug zur möglichen persönlichen Betroffenheit herstellt.

Wie wichtig es ist, die unterschiedlichen Wahrnehmungen eines Sachverhalts durch verschiedene Adressatengrup-pen in der Kommunikation zu berücksichtigen, soll hier nochmals mit einem kleinen Beispiel illustriert werden. Schaut man nach Begründungen für den Schutz der Natur, so sind diese für Aktive im professionellen bzw. ver-bandlichen Naturschutz überwiegend ökologisch und moralisch motiviert. Eine an diesen Grundlagen orientierte Kommunikation – z. B. angelehnt am Erhalt von Ökosystemleistungen oder an der moralischen Verpflichtung der Menschheit, die Natur vor dem Mensch gemachten Klimawandel zu schützen - ginge jedoch völlig an der Lebenswelt der Durchschnittsbevölkerung vorbei, wie man hier sehen kann (vgl. Abb. 1):

Abb 3: Begründungen für den Schutz der Natur bei Aktiven im professionellen bzw. verbandli-chen Naturschutz (links) sowie der allgemeinen Bevölkerung (rechts): Deutlich werden die unterschiedlichen Ansatzpunkte für eine spezifische Ansprache der verschiedenen Gruppen (nach Reusswig 2003).

MoralÖkologie

Nachhaltige Nutzung

HeimatNachhaltige

NutzungHeimat

Ökologie Moral

Page 92: Klimawandel und Biodiversität - NABU · Wir alle wissen es: Der Klimawandel ist bereits grausame Realität. Mitte Januar wurde der Klimaatlas der europä-ischen Brutvögel in Brüssel

90 NABU-Konferenz „Klimawandel und Biodiversität“ • Berlin • April 2008

Denn für große Teile der Bevölkerung stehen die Aspekte „nachhaltige Nutzung“ und „Heimat“ im Vordergrund, viel stärker als „Ökologie“ oder „Moral“. Es wäre demnach angebrachter, z. B. mit dem Schutz der heimatlichen Natur durch angepasste Landnutzung zu argumentieren. Bedacht werden muss in diesem Zusammenhang jedoch auch, dass sich das Heimatbild einer statischen (Kultur-) Landschaft als schwierig für die Etablierung eines dynamischen Schutzprinzips erweisen könnte. Entsprechend differenziert sollte daher kommuniziert werden. Es muss dabei nach eingängigen und allgemein verständlichen Bildern gesucht werden, wie der Klimawandel sich auswirkt – bei einer Temperaturerhöhung von ca. 4° C, einem Szenario, das keinesfalls außerhalb des Möglichen liegt, sind etwa Wäl-der mit einer Baumartenzusammensetzung zu erwarten, wie sie bereits im Mittelmeerraum bzw. in der südlichen Lombardei anzutreffen sind -, und wir müssen mit Wertbezügen arbeiten, wie sie für große Teile der Bevölkerung eingängig sind. Gerade die Ehrenamtlichen im angewandten- und Basisnaturschutz mögen eher zur Motivation der Gesamtbevölkerung neigen, dies sollte der hauptberufliche Naturschutz stets bedenken und nicht ausschließlich von den eigenen Bezugspunkten ausgehen.

Natürlich ist jedoch auch die allgemeine Bevölkerung nicht homogen in ihren Einstellungen und Ansichten. Soll ziel-gruppengerechte Kommunikation erfolgen, sind weitere Differenzierungen notwendig. Grundlage von Projekten der Nachhaltigkeitskommunikation sind beispielsweise die sog. „SINUS-Milieus“, die Milieugruppen anhand sozialer Merkmale und der grundlegenden Werteorientierung bilden.

Wichtig und wesentlich ist es dabei im Sinne einer differenzierten Kommunikation, auch Chancen und Möglich-keiten der veränderten Klimabedingungen zu kommunizieren, jedoch auch ihre Kehrseiten nicht zu vergessen. Der Klimawandel wird z. B. dazu führen, dass die touristische Attraktivität vieler Regionen in Deutschland steigen wird, insbesondere im Sommer, Herbst und Frühling. Zudem kann sich unter Umständen die Saison verlängern, es wird zur Verlagerung von Sommertourismus aus dem (zu) heißen Süden kommen. Voraussetzung dafür ist aber eine intakte Natur und Landschaft in den Zielgebieten, denn gerade diese sind ja die „Pull“-Faktoren für Tourismus und Erholung! Insbesondere ländliche Regionen können also auch wirtschaftlich gewinnen – sofern ihre natürlichen Res-sourcen erhalten werden. Diesen Kausalzusammenhang gilt es stets zu vermitteln, es bedarf integrativer Konzepte, um die zukünftigen Herausforderungen im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung zu gestalten.

Ansatzpunkte für Forschung, Politik und Öffentlichkeitsarbeit

Für eine erfolgreiche Anpassung im Naturschutz sind aus Sicht des BfN Aktivitäten auf drei verschiedenen Ebenen erforderlich. Die Forschung zu den Auswirkungen des Klimawandels auf die Natur und möglichen Konsequenzen für die Strategien und Instrumente des Naturschutzes liefert die nötigen Wissensgrundlagen für ein zielgerichtetes Handeln auf der politischen Ebene. Gleichzeitig müssen diese Erkenntnisse und Strategien in geeigneter Weise mit Maßnahmen der Öffentlichkeitsarbeit an alle betroffenen Akteure und die breite Öffentlichkeit kommuniziert wer-den.

Das BfN fördert aktuell bereits mehrere Forschungsvorhaben zu den Auswirkungen des Klimawandels auf die Natur und den daraus abzuleitenden Handlungsoptionen. Einige Ergebnisse dieser Arbeiten werden an anderer Stelle in diesem Band vorgestellt. In Zukunft wird das BfN seine Tätigkeit in diesem Bereich noch einmal deutlich ausweiten. Das BMU hat hierfür im Rahmen seiner Klimaschutz-Initiative ein Sonderbudget zunächst für 2008 in Höhe von zwei Mio. Euro zur Verfügung gestellt. Die zur Unterstützung der Klimaschutzinitiative entwickelten Vorhaben be-schäftigen sich u. a. mit dem Klimawandel und der Bedeutung von angepassten Landnutzungssystemen, den Auswir-kungen auf Flora und Fauna, Fragen des Meeresnaturschutzes und des integrierten Küstenzonenmanagements sowie den rechtlichen und planerischen Aspekten von naturschutzfachlichen Anpassungsstrategien. Damit wird deutlich, dass der Klimaschutz und die Folgen des Klimawandels ein Querschnittsthema sind, das faktisch alle Bereiche un-seres Amtes betrifft.

Page 93: Klimawandel und Biodiversität - NABU · Wir alle wissen es: Der Klimawandel ist bereits grausame Realität. Mitte Januar wurde der Klimaatlas der europä-ischen Brutvögel in Brüssel

91NABU-Konferenz „Klimawandel und Biodiversität“ • Berlin • April 2008

Eines der Vorhaben wird sich auch mit Aspekten der Kommunikation beschäftigen. In einer ersten Projektstufe werden bestehende Kommunikationsstrategien auf ihre Relevanz und Eignung hin untersucht, in einer zweiten Pro-jektstufe sollen dann zielgruppenorientierte Kommunikationsmaterialien entwickelt werden.

Die weiteren Aktivitäten im politischen Umfeld stellen sich wie folgt dar:

Der Umsetzungsprozess zur nationalen Biodiversitätsstrategie ist in vollem Gange. Ein erstes nationales Forum ¡und mehrere regionale Foren haben bereits stattgefunden, auf denen mit verschiedensten Akteuren über die wei-teren Schritte zur Umsetzung der Strategie beraten wurde; ein zweites nationales Forum ist für Anfang 2009 geplant, um eine erste Bilanz zu ziehen

Die 9. Vertragsstaatenkonferenz des „Übereinkommens zur biologischen Vielfalt“ hat neue Impulse für die zu- ¡künftige Arbeit von BfN und BMU geliefert und wird zahlreiche neue Aktivitäten nach sich ziehen. Auch nicht-staatliche Akteure und Institutionen werden daraus Vorgaben und Ansatzpunkte für zukünftiges Arbeiten ge-winnen.

Auch die Entwicklung der Nationalen Anpassungsstrategie an den Klimawandel ist für den Naturschutz ein ¡wichtiger Prozess, in den das BfN – ebenso wie viele weitere Akteure – eingebunden ist. Eine erste Phase der Be-standsaufnahme, in der auf der Ebene von Bund und Ländern Informationen zu Anpassungsbedarf und Hand-lungsoptionen in den betroffenen Sektoren gesammelt wurden, geht derzeit dem Ende zu, bis Ende des Jahres 2008 soll ein Entwurf der Strategie vorliegen.

Im Bereich der Kommunikation führt das BfN zum Thema Klimawandel und Biodiversität neben dem bereits an-gesprochenen Forschungsvorhaben weitere Aktivitäten durch: An der Internationalen Naturschutzakademie auf der Insel Vilm läuft seit 2004 eine Workshopreihe, die die Vernetzung der Akteure im Bereich Biodiversität und Klima vorantreiben soll – im Oktober 2007 fand bereits die vierte Veranstaltung dieser Reihe statt; die nächste Tagung ist für Dezember 2008 geplant. Weiterhin sollen in einer repräsentativen Umfrage Bewusstsein und Handlungsbereit-schaft der Bevölkerung zum Themenbereich Naturschutz und biologische Vielfalt untersucht werden. Die Erkennt-nisse dieser Studie werden die Voraussetzungen für eine angemessene und zielgruppenspezifische Ansprache verbes-sern und eine genauere Steuerung umweltpolitischer Aktivitäten und Maßnahmen ermöglichen.

Fazit

Als erstes Zwischenfazit kann formuliert werden: Wenn auch noch viel zu tun bleibt, so geben die bestehenden und geplanten Aktivitäten doch zur Hoffnung Anlass, dass der staatliche und verbandliche Naturschutz den Herausfor-derungen des Klimawandels entgegenzutreten vermag und dass dem Naturschutz bei der Bewältigung der Folgen des Klimawandels eine wesentliche und aktive Rolle zukommt.

QuellenBundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (Hrsg.)(2007): Nationale Strategie zur biologischen Vielfalt. BerlinDröschmeister R, Sukopp U (in press): Indicators and Conservation Policy: the German Sustainability Indicator for Species Diversity as

an Example. Avocetta.Reusswig, F (2003): Naturorientierungen und Lebensstile. Gesellschaftliche Naturbilder und Einstellungen zum Naturschutz. - LÖBF-

Mitteilungen 1/2003: 27-34.

Page 94: Klimawandel und Biodiversität - NABU · Wir alle wissen es: Der Klimawandel ist bereits grausame Realität. Mitte Januar wurde der Klimaatlas der europä-ischen Brutvögel in Brüssel

92Teilnehmerliste

naBu-konferenz

Klimawandel und BiodiversitätDienstag, 08. April bis Mittwoch, 09. April 2008

ort: Berlin-Mitte, Dietrich-Bonhoeffer-Haus, Ziegelstraße 30

Titel Name Vorname Funktion/Institution

Dipl. Ing. Adler Jörg Allwetterzoo Münster, Stiftung Artenschutz

Albrecht Jens FÖL

Auster Regine Förderverein Haus der Natur

Prof. Dr. Bairlein Franz Institut für Vogelforschung

Bartels Franziska Vertr. Reinhard Bütikofer

Dr. Baumann André 1. Vorsitzender NABU Baden-Württemberg

Dr. Berger Silje Universität Hannover, Institut für Geobotanik

Brauner oliver

Brendle Uwe Bundesamt für Naturschutz

Brennholdt Gisela

Brennholt Nicole Biologische Anstalt Helgoland

Brunkhorst Angelika Bundestagsfraktion FDP

Buchta Rocco Naturpark Westhavelland

Bulling-Schröter Eva Bundestagsfraktion Die Linke

Bülow Marco Bundestagsfraktion SPD

Busch Anika Germanwatch

Christiansen Sebastian Fachhochschule Eberswalde

Chuvilina Tetiana Bundestagsfraktion CDU/CSU

Conze Klaus-Jürgen LökPlan – Conze, Cordes & Kirst GbR

Dr. Emonds Gerhard Rechtsanwalt

Faust Evelyn NABU Bundesgeschäftsstelle

Fee Eric Fachhochschule Eberswalde

Felger Johanna NABU Bundesgeschäftsstelle

Dr. Fischer Hermann Auro Pflanzenchemie AG

Flasbarth Jochen Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit

Gehring Dorothee Naturpark Dahme-Heideseen

Dr. Gottschalk Thomas Universität Gießen

Prof. Dr. Graßl Hartmut Max-Planck-Institut für Meteorologie

Hansen Gerrit Fachhochschule Eberswalde

Hanspach Jan Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung, Dept. Biozönoseforschung

Harthun Mark NABU (Sprecher BFA)

Hartwig Thomas Biosphärenreservat Mittelelbe im Landesverwaltungsamt Sachsen-Anhalt

Hauschild Torsten 1. Vorsitzender NABU Berlin

Heilmann Lutz Bundestagsfraktion Die Linke

Helm Hans-Jörg 1. Vorsitzender NABU Niedersachsen

Hemmer Cornelis F. Greenmedianet Medienagentur für ökologisch tragfähige Entwicklungen

Hennigs Britta NABU Bundesgeschäftsstelle

Herbold Albert

Hiermer Jonas David

Hinske Christoph Fachhochschule Eberswalde

Dr. Hölzer Corinna

Hopf Till Bundesamt für Naturschutz

Page 95: Klimawandel und Biodiversität - NABU · Wir alle wissen es: Der Klimawandel ist bereits grausame Realität. Mitte Januar wurde der Klimaatlas der europä-ischen Brutvögel in Brüssel

93

Titel Name Vorname Funktion/Institution

PD Dr. Hötker Hermann Michael otto Institut im NABU

Prof. Dr. Ibisch Pierre FH Eberswalde, FB Wald und Umwelt

Prof. Dr. Jessel Beate Präsidentin Bundesamt für Naturschutz

Dr. Kaatz Christoph Storchenhof Loburg

Dr. Kaatz Mechthild Storchenhof Loburg

Katterfeldt Dominik Staatliches Museum für Naturkunde

Kauch Michael Bundestagsfraktion FDP

Kirschey Tom 1. Vorsitzender NABU Brandenburg

Klug Astrid Bundestagsfraktion SPD

Dr. König Birgit Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Referat Landschaftspl. und Naturschutz

Köppe Gabi NABU Niedersachsen

Dr. Korn Horst Bundesamt für Naturschutz, Außenstelle Insel Vilm

Kotting-Uhl Sylvia Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen

Kreft Stefan FH Eberswalde, FB Wald und Umwelt

Kreft Sönke Fachhochschule Eberswalde

Keienburg Tobias Biosphärenreservat Niedersächsische Elbtalaue

Krug Andreas Bundesamt für Naturschutz

Krug Stefan Greenpeace Politische Vertretung Berlin

Kulemeys Christoph Humboldt-Universität Berlin

Kurth Undine Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen

Lamfried Daniel Umweltbundesamt

Lehnen oliver BUTTER. Agentur für Werbung

Leipelt Annette NABU Sachsen-Anhalt

Littmeier Annette DNR

Prof. Dr. Lorenz Susanne Hochschule für Bildende Künste Hamburg

Dr. Mader Hans-Joachim NABU Präsidiumsmitglied

Dr. Marx Jürgen Landesanstalt für Umweltschutz des Landes Baden-Württemberg

Mathews Jeanette Umweltbundesamt

Mattern Kati Umweltbundesamt

Mehl Ulrike BUND Bundesgeschäftsstelle

Meier Ariane Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen

Meier Elke NABU Niedersachsen

Meierhofer Horst Bundestagsfraktion FDP

Meister Martin Gruner+Jahr, Redaktion GEo

Mertens Martha BUND Bundesgeschäftsstelle

Methling Wolfgang Minister a.D.

Michels Carla Landesamt für Natur, Umwelt und Vebraucherschutz NRW

Miller Leif NABU Bundesgeschäftsstelle

Prof. Dr. Müller-Motzfeld Gerd Uni Greifswald, Zoologisches Institut und Museum

Neumeister Lars Fachhochschule Eberswalde

Nolte Heidrun NABU Bremen

Nowicki Christoph Fachhochschule Eberswalde

offer Christian J. W. Goethe-Universität (Fach 213)

Dr. Peinert Rolf Konsortium Deutsche Meeresforschung

Pieper Bernd NABU Bundesgeschäftsstelle

Page 96: Klimawandel und Biodiversität - NABU · Wir alle wissen es: Der Klimawandel ist bereits grausame Realität. Mitte Januar wurde der Klimaatlas der europä-ischen Brutvögel in Brüssel

94

Titel Name Vorname Funktion/Institution

Puhr Andreas NABU Bundesgeschäftsstelle

Raether Lukas NABU Bundesgeschäftsstelle

Rannow Sven Uni Dortmund, Lehrstuhl Landschaftsökologie und Landschaftspl.

Ratzel Sabine Staatliches Museum für Naturkunde

Resch Roland Naturpark Uckermärkische Seen

Roschen Axel NABU-Umweltpyramide

Rothe Heike Naturwacht Westhavelland

Schaaf Nicolai NABU Bundesgeschäftsstelle

Scherer Silke BUND

Schliep Rainer Universität Greifswald, Forschungsgruppe GoBi

Schmidt Susan Fachhochschule Eberswalde

Schrickel Rolf BUTTER. Agentur für Werbung

Schulte Ralf NABU Bundesgeschäftsstelle

Schultz Hermann NABU Schleswig-Holstein

Schulz Hardy Fachhochschule Eberswalde

Schulze Werner

Schwabe Frank Bundestagsfraktion SPD

Dr. Schweiger oliver Helmholz-Zentrum für Umweltforschung

Stade Klaus Werner 1. Vorsitzender NABU Bremen

Steffens Rolf NABU-Sachsen

Dr. Stegemann Harald Landesamt für Umwelt, Naturschutz und Geologie Mecklenburg-Vorpommern

Steinmetz Elke Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit

Stern Dirk Büro MdB Brunkhorst

Dr. Stork Hans-Jürgen BFA-Sprecher

Prof. Dr. Succow Michael NABU-Kuratorium, M. Succow Stiftung

Tennhardt Thomas Büro MdB Göppel

Theunissen Johanna NABU Bundesgeschäftsstelle

Treichel Dirk Nationalpark Unteres odertal

Trümner Anne NABU Bundesgeschäftsstelle

Tschimpke olaf NABU-Präsident

Tumbrinck Josef 1. Vorsitzender NABU NRW

Dr. Vohland Katrin Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung

van Loon Jeremy Bloomberg News

Dr. von Wilpert Klaus Forstliche Versuchs- und Forschungsanstalt Baden-Württemberg

Walter Henning Nationalparkforstamt Eifel

Wälter Thomas Landesamt für Natur und Umwelt Schleswig-Holstein (LANU)

Dr. Weber Andreas Schriftsteller

Weigel Andreas Bundestagsfraktion SPD

Prof. Dr. Welp Martin Fachhochschule Eberswalde

Dr. Werner Jürgen

Dr. Wernicke Peter Naturpark Feldberger Seenlandschaft

Prof. Dr. Whiltshire Karen Biologische Anstalt Helgoland

Wisniewski Thomas

Wittig Stefan BioConsult Schuchardt & Scholle GbR

Wünsche Kati Fachhochschule Eberswalde

Zacharias Nadine Fachhochschule Eberswalde

Page 97: Klimawandel und Biodiversität - NABU · Wir alle wissen es: Der Klimawandel ist bereits grausame Realität. Mitte Januar wurde der Klimaatlas der europä-ischen Brutvögel in Brüssel

95

Tagesprogramm

Dienstag, 8. April 2008

09:00 Uhr

Block I: Begrüßung

Eröffnung und Projektvorstellung (Olaf Tschimpke, •Präsident des NABU)

Herausforderungen für den Naturschutz im Klimawandel •(Astrid Klug, MdB, Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reak-torsicherheit)

10:15 Uhr v Pause und Pressegespräch

11:00 Uhr

Block II: Thematische Einführung

Die Rückkopplungen zwischen Klimaänderung und •Biosphäre (Prof. Hartmut Graßl)

Diskussion•

12:00 Uhr Mittagspause

13:00 Uhr

Block III: Klimawandelfolgen in der Natur

Auswirkungen des Klimawandels auf die Flora – sind •Veränderungen schon sichtbar? (Dr. Silje Berger)

Der Klimawandel und die Vogelwelt (Prof. Franz Bair-•lein)

Klimatisch bedingte Faunenveränderungen bei Laufkä-•fern (Prof. Gerd Müller-Motzfeld)

Die Bedeutung des Klimawandels für den Wald und seine •Funktionen (Dr. Klaus von Wilpert)

Diskussion•

15:15 Uhr Kaffeepause

15:45 Uhr

Block IV: Neue Prioritäten im Naturschutz?

Klimawandel = Naturschutzwandel? (Prof. Pierre Ibisch)•Wie klimawandeltauglich ist das Naturschutzrecht? •(Jochen Flasbarth)

Biodiversität und Klimawandel - aktuelle Prozesse und •zukünftige Perspektiven (Dr. Horst Korn)

Diskussion•

17:15 Uhr Ende der Konferenz

18:15 Uhr Abendempfang mit Büffet und Vortrag in der NABU-Bundesgeschäftsstelle (Charitéstr. 3) (Anmeldung Erforderlich)

Mensch und Natur im 21. Jahrhundert (Prof. Michael Succow)

Tagesprogramm

Mittwoch, 9. April 2008

09:00 Uhr

Begrüßung, Zusammenfassung Tag I

09:15 Uhr

Block V: Aktiver Naturschutz im Klimawandel: Motivation und Kommunikation

Vielfalt ist Fühlen - warum wir die Biodiversität für unse-•re Menschlichkeit bewahren müssen (Dr. Andreas Weber, Schriftsteller und Journalist)

Podiumsdiskussion: Ehrenamtlicher Naturschutz und •Kommunikation im Klimawandel (Dr. Andreas Weber; Uwe Brendle, BfN; Ralf Schulte, NABU)

10:30 Uhr Kaffeepause

11:00 Uhr

Block VI: Kommunikationsstrategien „Naturschutz im Klimawandel“...

… aus der Perspektive eines Naturschutzverbandes •(Bernd Pieper, NABU)

… aus der Perspektive der Medien (Martin Meister, Geo)•… aus der Perspektive einer Kommunikationsagentur •(Rolf Schrickel, BUTTER.)

Diskussion•

12:30 Uhr

Bilanz und Botschaft: Naturschutz im Klimawandel (Prof. Beate Jessel, Präsidentin des BfN)

13:00 Uhr Mittagspause und Ende

programm – naBu-konferenz

Page 98: Klimawandel und Biodiversität - NABU · Wir alle wissen es: Der Klimawandel ist bereits grausame Realität. Mitte Januar wurde der Klimaatlas der europä-ischen Brutvögel in Brüssel

96

Nr. 26/08 ---- 8. April 2008

Klimawandel/Naturschutz

NABU fordert mehr Spielraum für die Natur

Tschimpke:

Klimawandel gefährdet Artenvielfalt und Gratisleistungen der Umwelt

Berlin – Mit Blick auf den sich immer weiter beschleunigenden Klimawandel hat der NABU mehr Spielraum für die Natur gefordert. „Das Klima wandelt sich immer rascher und unser bis zum Anschlag genutzter Natur-haushalt hat kaum noch Möglichkeiten, sich daran anzupassen. Ein Teil der Politik hat das leider bis heute nicht verstanden“, sagte NABU-Präsident Olaf Tschimpke anlässlich der zweitägigen Konferenz „Klimawandel und Biodiversität“ in Berlin. Gefährdet seien neben der Artenvielfalt auch kostenfreie „Serviceleistungen“ der Natur wie das Trinkwasserangebot oder die Filter- und Speicherfunktion von Böden. „Dieser akuten Bedrohungslage muss von allen – vom Gesetzgeber bis hin zum Praktiker vor Ort – Rechnung getragen werden“, betonte der NABU-Präsident. Vor diesem Hintergrund sei der aktuelle Streit um ein einheitliches Umweltgesetzbuch und die Blockadehaltung des Bundeslandwirtschafts- und des Verkehrsministers nicht nachvollziehbar. Tschimpke: „Die Sicherung unserer Tier- und Pflanzenwelt und damit unserer Lebensqualität darf nicht den wirtschaftlichen Interessen Einzelner aus Forst-, Landwirtschaft und Industrie geopfert werden.“

Hartmut Graßl vom Max-Planck-Institut für Meteorologie und NABU-Kuratoriumsmitglied betonte, wie stark der vom Menschen verursachte Klimawandel bereits sichtbar sei. „Unsere Emissionen haben Einfluss auf das gesamte Erd- und Klimasystem: die Temperaturen steigen und die Niederschläge verändern sich schnell und mit großen regionalen Unterschieden. Auch die Auswirkungen auf die Natur sind bereits sichtbar. Viele Organismen verändern ihre Verbreitungsgebiete oder ihre Lebensweise, so dass bestehende Lebensgemeinschaften zerrissen werden können“.

„Zwischen fünf und 30 Prozent der in Deutschland vorkommenden Tier- und Pflanzenarten könnten bis zum Ende dieses Jahrhunderts durch den Klimawandel gefährdet sein“, erklärte Horst Korn vom Bundesamt für Na-turschutz. Der Naturschutz könne als Sicherung der biologischen Vielfalt zu Klimaschutz und Anpassung glei-chermaßen beitragen. „Ökosysteme haben nicht nur die Fähigkeit, Treibhausgase aufzunehmen und zu speichern, etwa in der Biomasse von Wäldern und den Torfschichten der Moore. Die Vielfalt von Lebensräumen, Arten und genetischen Informationen ist auch die wichtigste Grundlage für die Anpassungsfähigkeit der Natur und somit letztlich auch des Menschen.“

Während der Konferenz am 8. und 9. April diskutierten Fachleute aus Forschung, Politik, Verbänden, Behörden und Medien auf Einladung des NABU im Rahmen des Projektes „Klimawandel und Biodiversität“ über den Stand der Forschung zu den Folgen des Klimawandels, aber auch über die Rolle und Perspektiven des Naturschutzes sowie der ehrenamtlichen Arbeit.

Das Projekt wird gefördert durch das Bundesamt für Naturschutz mit Mitteln des Bundesministeriums für Um-welt, Naturschutz und Reaktorsicherheit.

Für Rückfragen:

Nicolai Schaaf, Leiter des NABU-Projektes „Klimawandel und Biodiversität“, mobil 0172-4179730.

Für Interviewanfragen: Johanna Theunissen, NABU-Pressereferentin, mobil 0162-7283319.

Im Internet zu finden unter www.NABU.de

pressemiTTeilung – naBu-konferenz

Page 99: Klimawandel und Biodiversität - NABU · Wir alle wissen es: Der Klimawandel ist bereits grausame Realität. Mitte Januar wurde der Klimaatlas der europä-ischen Brutvögel in Brüssel

naBu vor ort

NABU Baden-Württemberg Tübinger Straße 15, 70178 Stuttgart Tel. 07 11.9 66 72-0 Fax 07 11.9 66 72-33 [email protected] www.NABU-BW.de

NABU-Partner Bayern - Landesbund für Vogelschutz (LBV) Eisvogelweg 1, 91161 Hilpoltstein Tel. 0 91 74.47 75-0 Fax 0 91 74.47 75-75 [email protected] www.LBV.de

NABU Berlin Wollankstraße 4, 13187 Berlin Tel. 0 30.9 86 41 07 oder 9 86 08 37-0 Fax 0 30.9 86 70 51 [email protected] www.NABU-Berlin.de

NABU Brandenburg Lindenstraße 34, 14467 Potsdam Tel. 03 31.2 01 55-70 Fax 03 31.2 01 55-77 [email protected] www.NABU-Brandenburg.de

NABU Bremen Contrescarpe 8, 28203 Bremen Tel. 04 21.3 39 87 72 Fax 04 21.33 65 99 12 [email protected] www.NABU-Bremen.de

NABU Hamburg Osterstraße 58, 20259 Hamburg Tel. 0 40.69 70 89-0 Fax 0 40.69 70 89-19 [email protected] www.NABU-Hamburg.de

NABU Hessen Friedenstraße 26, 35578 Wetzlar Tel. 0 64 41.6 79 04-0 Fax 0 64 41.6 79 04-29 [email protected] www.NABU-Hessen.de

NABU Mecklenburg-Vorpommern Arsenalstr. 2, 19053 Schwerin Tel. 03 85.7 58 94 81 Fax 03 85.7 58 94 98 [email protected] www.NABU-MV.de

NABU Niedersachsen Alleestr. 36, 30167 Hannover Tel. 05 11.91 10 5-0 Fax 05 11.9 11 05-40 [email protected] www.NABU-Niedersachsen.de

NABU Nordrhein-Westfalen Merowingerstraße 88, 40225 Düsseldorf Tel. 02 11.15 92 51-0 Fax 02 11.15 92 51-15 [email protected] www.NABU-NRW.de

NABU Rheinland-Pfalz Frauenlobstraße 15-19, 55118 Mainz Tel. 0 61 31.1 40 39-0 Fax 0 61 31.1 40 39-28 [email protected] www.NABU-RLP.de

NABU Saarland Antoniusstraße 18, 66822 Lebach Tel. 0 68 81.93 61 9-0 Fax 0 68 81.93 61 9-11 [email protected] www.NABU-Saar.de

NABU Sachsen Löbauer Straße 68, 04347 Leipzig Tel. 03 41.23 33 13-0 Fax 03 41.23 33 13-3 [email protected] www.NABU-Sachsen.de

NABU Sachsen-Anhalt Schleinufer 18a , 39104 Magdeburg Tel. 03 91.5 61 93-50 Fax 03 91.5 61 93-49 [email protected] www.NABU-LSA.de

NABU Schleswig-Holstein Färberstraße 51, 24534 Neumünster Tel. 0 43 21.5 37 34 Fax 0 43 21.59 81 [email protected] www.NABU-SH.de

NABU Thüringen Leutra 15, 07751 Jena Tel. 0 36 41.60 57 04 Fax 0 36 41.21 54 11 [email protected] www.NABU-Thueringen.de

Page 100: Klimawandel und Biodiversität - NABU · Wir alle wissen es: Der Klimawandel ist bereits grausame Realität. Mitte Januar wurde der Klimaatlas der europä-ischen Brutvögel in Brüssel

Art

.-N

r.: 5

097

NABU-KoNFERENZ

Klimawandel und Biodiversität

Im Rahmen des Projektes „Klimawandel und Biodiversität“ organisierte der

NABU am 8. und 9. April 2008 in Berlin eine Fachkonferenz, auf der Experten aus

Forschung, Politik und Naturschutzverbänden, von Fachbehörden und Medien

über die Folgen des Klimawandels und die daraus entstehenden Herausforderun-

gen für den Naturschutz diskutierten. Aktuelle Ergebnisse aus der ökologischen

Forschung wurden dabei genauso thematisiert wie die politischen Rahmenbedin-

gungen für den Naturschutz unter sich wandelnden Bedingungen, die Rolle der

Verbände und des ehrenamtlichen Naturschutzes sowie Fragen der strategischen

Kommunikation zu diesem Thema. Zentrale Vorträge und Diskussionen der Kon-

ferenz sind in diesem Band zusammengestellt.