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Ulrich Winkler Kniende Theologie Eine religionstheologische Besinnung auf eine Spiritualität komparativer Theologie P. Dogmatik - keine Trennung von Spiritualität! Vor sechs Jahrzehnten, knapp bevor Paul Imhof geboren wurde, diagnosti- zierte Hans Urs von Balthasar für das Abendland einen schon in der Hoch- scholastik eingeleiteten folgenschweren Abschied von der knienden Theo- logie hin zu einer sitzenden Theologie. Theologie und Heiligkeit sind aus- einander gefallen, so seine ~ h e s e . ' - Diese Erinnerung an eine kniende Theologie ist heute geeignet, bei den einen Unverständnis wenn nicht gar Entsetzen zu ernten. Sie ist ins schiefe Licht geraten. Denn von anderen, von spirituell besonders Berufenen, schallt nicht selten der Ruf nach einer knienden Theologie gegen den theologischen Lehrbetrieb. Noch weniger selten ist er jedoch eine Tarnung von Rationalitätsverweigerung, intellek- tueller Zimperlichkeit und Denkfaulheit. Deshalb bringt man sich in Ver- dacht, wenn man sich als Systematiker auf diese Spuren begibt. So muss diese Allianz schon im Vorfeld zerschlagen werden. Frömmigkeit ist keine Alternative und kein Konkurrenzunternehmen zur Anstrengung des theo- logischen Begriffs, kein Deckmantel für religiöse Dummheit. Von ihr sind vielmehr diejenigen gezeichnet, die Entscheidungszwänge zwischen frommen Katholiken und sogenannten verkopften Theologen herbeiführen. Die Uberlegungen der ersten beiden Abschnitte will ich entlang von je- weils zwei maßgeblichen Aufsätzen Balthasars und Rahners entwickeln. Beide Theologen haben beim Werdegang des jungen Jesuiten Paul Imhof eine wichtige Rolle gespielt. Mit Hans Urs von Balthasar verbinden Paul Imhof nicht zuletzt die intensiven Wander-, Studier- und Diskussionsge- schichten am Rigi, wo Balthasar hoch über dem Vierwaldstättersee in sein Vgl. Hans Urs von Balthasar, Theologie und Heiligkeit, in: ders., Verbum Caro. Schriften zur Theologie 1, Einsiedeln, 1960, S. 195-224 [Erstdruclc in: Wort und Wahrheit 3 (1948), S. 881-8971, Landhaus einlud, nicht selten mit Henri de Lubac und anderen. In Regens- burg war Paul Imhof Mitarbeiter von Kar1 Rahner, von dem er eine Reihe seiner Schriften herausgegeben hat. Hans Urs von Balthasar war auf seine ihm sehr eigene Weise ein Wegbe- reiter - wie danach ebenso Kritiker - des letzten Konzils, auch wenn er - selbst mit seiner Person und seiner Gründung der Johannesgemeinschaft ins kirchliche Zwielicht geraten - als einziger bedeutender mitteleuropäi- scher Theologe nicht zu den Konzilsberatern zählte.' Er rückte den margi- nalisierten Weltdienst ins Zentrum kirchlicher Existenz. Sein Werk ist ge- prägt von der Zusammenschau deutscher Literatur, französischer Theolo- gie und hellenistiscli-patristischer Quellen, und eben auch von Theologie und Heiligkeit. Unter Theologie versteht er nicht ein Konglomerat von Einzeldisziplinen, sondern die Dogmatik, die „die Offenbarung in ihrer Fülle und Ganzheit a ~ s z u l e ~ e n " ~ hat. An den Theologen-Heiligen bis zur Hochscholastik beobachtet er, „daß sie in ihrem Leben die Fülle der kirch- lichen Lehre, und in ihrer Lehre die Fülle des kirchlichen Lebens darstel- lenSd4. Die Wahrheit der Offenbarung ist in das Leben inkarniert. Wissen und Leben, „Geist und eben“^, oder Dogmatik und - wie Balthasar schon 1948 formuliert - Spiritualität6 bilden bei diesen theologischen Lehrern ei- ne Einheit. Mit der Aristotelesrezeption sieht Balthasar diese Einheit Zer- brechen. Der Theologie wurde dann eine philosophische Propädeutik vor- geschaltet, Theologie stand fortan unter einem philosophisch vorgefassten Begriff. Nur mehr Theologen höchster Reife waren zu einer Integrations- leistung im Stande, sonst jedoch führte die philosophische Uberfrachtung der Theologie zu einer Separation vom christlichen Leben. Angefangen bei der devotio moderna bis hin zu allen großen Namen der neuzeitlichen Mystiker sieht Balthasar eine Entfremdung von der Dogmatik zugunsten einer subjektiven Erfahrungsmystik, mit dramatischen Konsequenzen für beide Seiten. Beide ignorieren einander, Dogmatik verkrustet und Mystik rutscht in die Innerlichkeit psychologischer Selbstbespiegelung: „[A]uf der ' Vgl. Elio Guerriero, Hans Urs von Balthasar. Eine Monographie, Einsiedeln u.a., 1993, S 11. Balthasar, Theologie und Heiligkeit, S. 195. Ebda. Ebda., S.. 209 V g l . ebda., S.197.

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Ulrich Winkler

Kniende Theologie

Eine religionstheologische Besinnung auf eine Spiritualität komparativer Theologie

P. Dogmatik - keine Trennung von Spiritualität!

Vor sechs Jahrzehnten, knapp bevor Paul Imhof geboren wurde, diagnosti- zierte Hans Urs von Balthasar für das Abendland einen schon in der Hoch- scholastik eingeleiteten folgenschweren Abschied von der knienden Theo- logie hin zu einer sitzenden Theologie. Theologie und Heiligkeit sind aus- einander gefallen, so seine ~ h e s e . ' - Diese Erinnerung an eine kniende Theologie ist heute geeignet, bei den einen Unverständnis wenn nicht gar Entsetzen zu ernten. Sie ist ins schiefe Licht geraten. Denn von anderen, von spirituell besonders Berufenen, schallt nicht selten der Ruf nach einer knienden Theologie gegen den theologischen Lehrbetrieb. Noch weniger selten ist er jedoch eine Tarnung von Rationalitätsverweigerung, intellek- tueller Zimperlichkeit und Denkfaulheit. Deshalb bringt man sich in Ver- dacht, wenn man sich als Systematiker auf diese Spuren begibt. So muss diese Allianz schon im Vorfeld zerschlagen werden. Frömmigkeit ist keine Alternative und kein Konkurrenzunternehmen zur Anstrengung des theo- logischen Begriffs, kein Deckmantel für religiöse Dummheit. Von ihr sind vielmehr diejenigen gezeichnet, die Entscheidungszwänge zwischen frommen Katholiken und sogenannten verkopften Theologen herbeiführen.

Die Uberlegungen der ersten beiden Abschnitte will ich entlang von je- weils zwei maßgeblichen Aufsätzen Balthasars und Rahners entwickeln. Beide Theologen haben beim Werdegang des jungen Jesuiten Paul Imhof eine wichtige Rolle gespielt. Mit Hans Urs von Balthasar verbinden Paul Imhof nicht zuletzt die intensiven Wander-, Studier- und Diskussionsge- schichten am Rigi, wo Balthasar hoch über dem Vierwaldstättersee in sein

Vgl. Hans Urs von Balthasar, Theologie und Heiligkeit, in: ders., Verbum Caro. Schriften zur Theologie 1, Einsiedeln, 1960, S. 195-224 [Erstdruclc in: Wort und Wahrheit 3 (1948), S. 881-8971,

Landhaus einlud, nicht selten mit Henri de Lubac und anderen. In Regens- burg war Paul Imhof Mitarbeiter von Kar1 Rahner, von dem er eine Reihe seiner Schriften herausgegeben hat.

Hans Urs von Balthasar war auf seine ihm sehr eigene Weise ein Wegbe- e

reiter - wie danach ebenso Kritiker - des letzten Konzils, auch wenn er - i selbst mit seiner Person und seiner Gründung der Johannesgemeinschaft

I I 1

ins kirchliche Zwielicht geraten - als einziger bedeutender mitteleuropäi- I

scher Theologe nicht zu den Konzilsberatern zählte.' Er rückte den margi- nalisierten Weltdienst ins Zentrum kirchlicher Existenz. Sein Werk ist ge- prägt von der Zusammenschau deutscher Literatur, französischer Theolo- 1

t gie und hellenistiscli-patristischer Quellen, und eben auch von Theologie 1 und Heiligkeit. Unter Theologie versteht er nicht ein Konglomerat von I

i Einzeldisziplinen, sondern die Dogmatik, die „die Offenbarung in ihrer Fülle und Ganzheit a ~ s z u l e ~ e n " ~ hat. An den Theologen-Heiligen bis zur Hochscholastik beobachtet er, „daß sie in ihrem Leben die Fülle der kirch- lichen Lehre, und in ihrer Lehre die Fülle des kirchlichen Lebens darstel-

i l lenSd4. Die Wahrheit der Offenbarung ist in das Leben inkarniert. Wissen und Leben, „Geist und eben“^, oder Dogmatik und - wie Balthasar schon 1948 formuliert - Spiritualität6 bilden bei diesen theologischen Lehrern ei- ne Einheit. Mit der Aristotelesrezeption sieht Balthasar diese Einheit Zer- brechen. Der Theologie wurde dann eine philosophische Propädeutik vor- geschaltet, Theologie stand fortan unter einem philosophisch vorgefassten Begriff. Nur mehr Theologen höchster Reife waren zu einer Integrations- leistung im Stande, sonst jedoch führte die philosophische Uberfrachtung der Theologie zu einer Separation vom christlichen Leben. Angefangen bei der devotio moderna bis hin zu allen großen Namen der neuzeitlichen Mystiker sieht Balthasar eine Entfremdung von der Dogmatik zugunsten einer subjektiven Erfahrungsmystik, mit dramatischen Konsequenzen für beide Seiten. Beide ignorieren einander, Dogmatik verkrustet und Mystik rutscht in die Innerlichkeit psychologischer Selbstbespiegelung: „[A]uf der

' Vgl. Elio Guerriero, Hans Urs von Balthasar. Eine Monographie, Einsiedeln u.a., 1993, S 11. Balthasar, Theologie und Heiligkeit, S. 195. Ebda. Ebda., S . . 209

V g l . ebda., S.197.

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einen Seite die Knochen ohne Fleisch: die überlieferte Dogmatik, auf der anderen Seite das Fleisch ohne Knochen: jene ganz fromme Literatur, die aus Aszetik, Spiritualität, Mystik und Rhetorik eine auf die Dauer unver- dauliche, weil substanzlose Kost verrnitte~t."~

Für die Integration der aus der Offenbarung reflektierten Lehre in ein spiri- tuelles Leben und somit in die konkrete Welt argumentierte Balthasar streng christologisch und trinitätstheologisch. Die Wahrheit wird dadurch nicht gefährdet, sondern ans Licht gebracht und inkarniert. „[J]edem, der seinen Standpunkt unverrückbar in Christus bezieht, [ist] die Sorge um solche Synthesen [von Glaube und Wissen, Kirche und Welt] abgenom- men . . . Um ihre christliche Sendung [hinaus in die Welt] zu erfüllen, . . . sind sie [die Denker und Theologen] nicht gezwungen, ihren Standort in Christus zu verlassen. Christus ist ja der Gesandte in die ~ e l t " . '

Wenn Dogmatik die empfangene Offenbarung zu ihrem Inhalt hat, dann muss sie auch in ihrer Fornz dem Empfangenen entsprechen: „Sie [die Denker und Theologen] wollen stets empfangen, das heißt Betende sein. Ihre Theologie ist wesentlich ein Akt der Anbetung und des Gebetes . . . es ist die Luft, die es [das theologische System] durchweht, die Atmosphäre, in der es badet, die Denkform, aus der es geboren wird ... Christliche Dogmatik mu13 ausdrüclcen, daß der im Glaubensgehorsam Denkende in einem betenden Verhältnis zu seinem Gegenstand ~ t e h t . " ~ Nochmals im Bild: „Theologie [muß] notwendig den Atem dieses betenden Suchens [in Anspielung auf Anselm] a~sströmen"'. '~ Eine Theologie der selbstverständ- lichen Einheit von Glaubens- und Wissenshaltung, Sachlichkeit und Ehr- furcht, „solange sie eine Theologie der Heiligen war, [war] eine betende, eine kniende Tlieologie."" Durch die Wendung zur „sitzenden Theologie" wird sie „gebetsfremder und damit unerfahrener im Ton, mit dem man über das Heilige reden soll, während die »erbauliche« Theologie durch zu- nehmende Inhaltslosigkeit nicht selten der falschen Salbung verfäl~t."'~

Ebda., S . 208. "bda., S . 222.

Ebda. 'O Ebda.. S. 223. 'I Ebda., S. 224.

Ebda.

Die neuscholastischen Lehrbücher seiner Zeit bezeichnet er mit „Gerip- pe'"'", während die Passionen der Mystilcer in den „Dunklen Nächten" von der Dogmatik in ihrer theologischen Valenz unverkannt blieben.

Diese Ehrfurcht und das betende Suchen sieht Balthasar auch verletzt in der Disziplin der Apologetik. Während die heiligen Lehrer für die Wahr- heit der Offenbarung durch ihren Wandel einstanden, die Essenz in ihrer Existenz oder - in einem bekannten religionstheologischem Vokabular ausgedrückt - an ihren Früchten erkennbar wurde, der Glaube auch vor Gegnern aus dem Zentrum gelebter Theologie ausgewiesen wurde, bildete sich infolge des Dualismus von Dogmatik und Spiritualität die Apologetik als selbstständige Wissenschaft heraus.14

Balthasar zeichnet also drei Größen in diese Skizze neuscholastischer theo- logischer Geographie: Spiritualität als inhaltsleere Erbaulichkeit, Dogma- tik als am Schreibtisch konstruiertes Gerippe und Apologetili als verselb- ständigte Verteidigungsdisziplin, alle der Ehrfurcht und des betenden Su- chens entfremdet.

Unleugbar baut Balthasar seinen Ruf nach der ltnienden Theologie auf gravierende problematische Voraussetzungen - insbesondere sein Offen- barungs- und Theologiebegriff -, und hat damit zahlreiche Missverständ- nisse provoziert. Das ist eine empfindliche Schwäche, die ich hier nicht diskutiere. Doch seine Diagnose hat eine entschiedene Stärke, die ich auf- greife und für die Religionstheologie fruchtbar machen will.

2. Apologetik - (k)eine geistliche Haltung

Von Karl Rahiler ist Zuspruch wie Einspruch gegen eine kniende Tlieolo- gie bekannt. 1967 hatte er in der Diözese Münster anlässlich der Wahl des Priesterrates zum Thema „Der Glaube des Priesters heute"I5 zu sprechen. Ein anderes Offenbarungsverständnis voraussetzend kommt Rahner fast zwei Jahrzehnte nach Balthasar zu einem ähnlichen Ergebnis wie jener.

13 Ebda.., S. 225.

l 4 Vgl. S. 197f. l5 Karl Rahner, Der Glaube des Priesters heute, in: GuL 40 (1967), S. 269-285.

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Theologie ist kirchliche Theologie, sie reflektiert „die selbstverständliche Unbegreiflichkeit und unbegreifliche Selbstverständlichkeit des christli- chen ~laubens"'%nd der Hingabe an das absolute Geheimnis. ,,Glaube ist einfach das Unmögliche, das die Gnade allein möglich macht . . .; es ist das große Wagnis, an das wir unser Leben wagen."17 „Solcher Glaube, der die Gnade ist, der Gott selber ist, und die Tat des ganzen Menschen, . . . kann nur vom Betenden getan werden. Denn nur darin ist der ganze Mensch da und unmittelbar vor Gott . . . Wo seine [des betenden Priesters] Theologie nicht insofern wenigstens eine »kniende Theologie« wäre, als sie die Theo- logie eines Beters ist, wo sie stattdessen in einen intellektualistischen Be- trieb entarten würde, . . . da würde eine solche Theologie aufhören Theolo- gie zu sein und zu . . . Wichtigtuerei entarten."18 Seine Antwort zum Thema lautet also: „Der Glaube des Priesters von heute ist der Glaube des beten- den, man könnte fast sagen des mystisch kontemplativen Priesters, oder er ist nicht."19

In Abwandlung findet sich dieser Satz im seinem, gegenwärtig wohl meiststrapazierten Mystikzitat: „[D]er Fromme von morgen wird ein »Mystiker« sein, einer, der etwas erfahren hat, oder er wird nicht mehr sein".20 Rahners Begründung und der Kontext werden in der Regel jedoch übergangen. Gerade nicht das von Balthasar beklagte Absetzen von der dürren Dogmatik und stattdessen ein Abgleiten in den Bereich des Subjek- tiven intendiert Rahner, sondern genau die Integration der beiden im Kon- text der heutigen Welt. Der Skopus liegt bei Rahner viel stärker im Ange- fochtensein des Glaubens, zum einen infolge des Zerbrechens der gesell- schaftlichen Selbstverständlichkeit des Glaubens, zum anderen aus der Na- tur des Glaubens selbst herkommend. „Wir machen nicht aus der Not eine Tugend, sondern die Tugend des Glaubens selbst sucht ihre

l 6 Ebda., S. 282. l7 Ebda., S. 271. I8 Ebda., S. 285. l9 Ebda. 20 Karl Rahner, Frömmigkeit früher und heute, in: ders., Schriften zur Theologie 7, Einsie- delnlZürichlKöli~, 1966, S. 11-31, hicr S. 22; jetzt in: Kar1 Rahner, Sämtliche Werke, Bd. 23: Glaube im Alltag. Schriften zur Spiritualität und zum christlichen Lebensvollzug, Frei- burg / Basel / Wien, 2006, S. 31-46, hier S. 39.

Rahner, Glaube 270.

Rahner operiert hier ebenfalls mit drei Gröl3en: Mystagogie / Spiritualität, Gottesrede / Theologie und Apologetik. Mit der Apologetik alten Stils ist es nicht mehr getan. Nötig ist vielmehr „der Versuch, die christliche Bot- schaft eindeutiger und mutiger mit dem ganzen Daseiiisverständnis des Menschen von heute zu konfrontieren. Das ist in den letzten anderthalb Jahrhunderten zu einem beträchtlichen Teil versäumt worden oder nur in einer negativ-abwehrenden Weise ge~chehen.".'~ Dabei kritisiert er aus- drücklich das beweisführende Standbein dieser neuscholastischen Apolo- getik und entlarvt den Rekurs auf das Wunder als mirakulöse Empirie, weil an der Oberfläche der „gottgewirkten Tiefe der ~ei lsgeschichte"~~ verhaftet. Da letztere nicht mit der volkskirchlichen Separation von der Welt deckungsgleich ist, muss die Kirche in der Welt verstehend präsent sein. Beide, die Welt und der Glaube selbst, verlangen anderes als bloße Abwehr. Die „schwierige[n] Fragen . . . [können] echt katholisch nur mit Bescheidenheit, Takt und Geduld bewältigt werden . . . und [erfordern] vor allem Die angesprochene intellektualistische Entartung gilt als Ge- fahr der alten wie der neuen Theologie. „Um . . . [im] Sinn [einer] kargen Frömmigkeit den Mut eines unmittelbaren Verhältnisses zum unsagbaren Gott zu haben und auch den Mut, dessen schweigende Selbstmitteilung als das wahre Geheimnis des eigenen Daseins anzunehmen, dazu bedarf es freilich mehr als einer rationalen Stellungnahme zur theoretischen Gottes- frage und einer bloß doktrinären Entgegennahme der christlichen Lehre. Es bedarf einer Mystagogie in die religiöse ~ r f a h r u n ~ " . ~ ~ Auch hier rücken Spiritualität, Theologie und Apologetik zusamnleil. Das Weltverhältnis iil der Disziplin der Apologie tritt ein in die Form der Spiritualität und wird Theologie in geistlicher Haltung. Kniende, vom Gebet, das die Finsternis aushält, herkommende Theologie nimmt Maß an der „innersten Mitte des Glaubens, nämlich . . . der Erfahrung des Geistes"..'"

Von Karl Rahner gibt es auch einen vorsichtigen Einspruch gegen eine kniende Theologie. Theologie in ihrem Dienstcharakter muss „vielleicht keine betende und kniende Theologie sein, weil sie eine kritische Theolo-

22 Ebda., S. 275. " Ebda., S. 277. 24 Ebda., S. 272. (Hervorhebung U.W.) 25 Rahrier, Fröinmiglceit, S. 22. i6 Rahner, Glaube, S. 283.

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gie werden ~ r n ß ' ' ~ ~ . Weit vorausblickend sah er mit dieser Ansage das kri- tische Potential der Theologie erneut gefährdet, worauf ich einleitend hin- gewiesen habe. Keine Abstriche macht Rahner dem Inhalt nach. Theologie muss mehr „vom Gebet herltommen, [und darfl sich nicht in bloßer . . . spekulativer Gelehrsamkeit erschöpfen, sie sollte . . . die Existenz dem Menschen im realen Leben erhellen und ihm den Mut geben, sich anbetend einzulassen auf die Unbegreiflichkeit des Daseins, in deren Grund Gott in seiner Gnade waltet"28.

Rahner fügt die frei wankenden Säulen von Apologetik, Dogmatik und Spiritualität zu einer stimmigen Architektur zusainmen. An diesem Zu- sammenfügen lag Hans Urs von Balthasar, weshalb er den Begriff Spiri- tualität in die deutsche Sprache eingeführt hat. Der entsprechende Artikel

erschien 1958 in „Geist und Leben", vormals „Zeitschrift für Aszese und Mystik", deren Chefredakteur Paul Imhof in den 1980er Jahren war. Darin wiederholt Balthasar die Diagnose der Entfremdung zwischen Dogmatik und aszetischer Subjektivität und verbindet beide mit dem Begriff der Spiritualität, der im Französischen schon länger geläufig war, als Zusammenfassung der in der objektiv-kirchlichen Lehre gegrün- deten „theologia spiritualis" und einer lebendigen Mannigfaltigkeit not- wendiger individueller - freilich immer empfangener - Aneignungen. So kann er sagen: „Spiritualität [ist] die subjektive Seite der ~ogmatik"."

Spiritualität gehört zum dritten Artikel des Glaubensbekenntnisses: Credo in Spiriturn Sanctum. Der Heilige Geist ist ausgegossen „in unsere Her- z e ~ ~ " . ~ ' Mit dem eingedeutschten Begriff spiritualitk - vom neutestamentli- chen pneumatikos über spiritualiter, und ab dem 5 . Jh. spiritualitas her-

27 Karl Rahrier, Die Zukunft der Theologie [Radiovortrag 17.12.19681, in: ders., Schriften zur Theologie 9, EinsiedelnlZürichlKöIn, 1970, S. 148-157, hier S. 156; jetzt in: Karl Rah- ner, Sämtliche Werke, Bd. 22: Dogmatik nach dem Konzil 2. Theologische Anthropologie und El<klesiologie. Bearbeitet von Albert Raffelt, Freiburg I Basel I Wien, 2008, S. 527- 534, hier S. 533. 28 Ebda., S. 1571533f. 2y ans Urs von Balthasar, Spiritualität, in: ders., Verbum Caro. Schriften zur Theologie 1 , Einsiedeln, 1960, 3. Aufl. 1990, S. 226-244 [zuerst in: GuL 31 (1958), S. 340-3521,

Balthasar, Spiritualität, S. 227. '' Ebda., S. 228.

kommend" - beabsichtigte Balthasar die überwindung der Disluepanz „z\vischen »geistig« und »geistlich«, . . . das erste wurde [infolge der Wen- de des deutschen Idealismus zur Immanenz] zu weltlich, das zweite zu u~~weltlich."~' Der Neologismus Spiritualität deckt die geistlichen Wurzeln des Geistes auf und holt die Welt herein in das Geistliche. Apologetik und Weltdienst, eheinals getreiint in rational~stisch und karitativ, und wiederum separiert von der Glaubensrnitte, werden zu einem einheitlichen Weltver- hältnis des Glaubens und einer spirituell durchformteil Theologie. Damit verändern sich Diskurse. Was Balthasar für die innerltirchlicheli Ausei- nandersetzungen der Frommigkeitsstile beklagt, ist von bleibender Aktua- lität für ganz neue Auseinandersetzungen: „Noch nie hat eine mnerkirchli- che Antipathie als Grundlage einer Auferbauung (Eph. 4, 12) dienlich sein können".34

Anhand dieser Ansage einer wiederlierzustellenden Architektur von Apo- logetik, Dogmatilt und Spiritualität habe ich bei Balthasar und Raliner ei- nige Stichpunkte zusammengetragen, die als Gegenprogramrn zur neu- scholastischen Al2ologetik fungieren und weitergeführt werden können zu oberlegungen einer religionstheologischen Erkenntnistheorie. Die Kritik beider Theologen richtet sich gegen diese von apologetischer Theologie. Ihre spekulative Ausrichtung, abgehoben von einer doginatisch- theologischen und somit trinitarisch-pneumatologischen Herkünftigkeit wird weder der umfassenden heilsgeschichtlichen Dimensionalität der Welt noch den Fragen der Existenz des Menschen gerecht. Ihr rationalisti- scher Charakter unterlä~ift die Herausforderungen, die erst durch eine Reintegration der Apologetik in eine theologische und spirituelle Form gemeistert werden können.

Einen Hinweis auf ein frühes Beispiel eines rationalistisch geprägten Un- verständnisses spiritueller Einträge in die Theologie verdanke ich dem verdienten Rektor des Okumenischen Instituts der Benediktinerabtei Nie-

32 Vgl. Josef Sudbraclc u.a., Spiritualität, in: LThK 9, Freiburg u.a., 3. Aufl., 2000, S. 852- 860; Josef Weismayer, Leben in Fülle. Zur Geschichte und Theologie christlicher Spiritua- lität, Innsbruck l Wien, 1983, ders., Leben aus dem Geist Jesu. Grundzüge christlicher Spi- ritualität, Innsbrucl< I Wien, 2007. 33 Balthasar, Spiritualität, S. 226.

'4 Ebda., S. 239.

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deraltaich, P. Gerhard Voss OSB. Bereits 1568 wurde bei der Reform des Stundengebetes durch Papst Pius V. die dritte Strophe des alten Marien- hymnus „Quem terra, pontus, aethera" getilgt. Wie bei der Darstellung des Verkündigungsgeschehens auf dem Tympanon über dem rechten Seiten- eingang der gotischen Würzburger Marienkapelle, wo Jesus auf einer klei- nen Rutsche vom Mund Gott-Vaters ins Ohr der Jungfrau gelangt, war die bildhafte Sprache einer Empfängnis Mariens durch das Ohr - oder wie in beliebten anderen Darstellungen durch das Knie - für einen rationalisti- schen Realismus schlichtweg unverständlich. „Mirantur ergo saecula, / Quod angelus fert semina, / Quod aure virgo concipit / Et corde credens parturit. - Ein Staunen durch das Weltall ging: / Der Engel bringt deii Sa- men hin, / Ganz Ohr die Jungfrau ihn empfängt, / Im Herzen glaubend schwanger wird."35 Maria konnte nur empfangen, weil sie sich dem Wort Gottes im Gebet öffnete. Balthasar kommt immer wieder auf diese - oft als Sonderform missverstandene - marianische Spiritualität zurück, um die subjektive Vereinzelung der Eigenspiritualitäten an ihre trinitarische Her- künftigkeit und somit kirchliche Subjektivität rückzubinden, was auch Rahner wichtig war.

Neuscholastische Apologetik hatte diese Rückbindung verloren. In ihr wurde das Weltverhältnis der Theologie als - vermeintliche - Absicherung der Theologie betrieben. Die eigene Wahrheit der Theologie stand von vorneherein und unhinterfragt fest. Die Welt stellte keine bohrenden Fra- gen, sondern der Welt wurde mit einem apriorischen Standpunkt geant- wortet. Sie war ein Gegenraum der Theologie. Im Verhältnis zu atheisti- schen Weltanschauungen wurde der Traktat der demonstratio religiosa entwickelt, gegen die andern Religion die demonstratio christiana und ge- gen die anderen Kirchen und Konfessionen die demorzstratio catholica

36 bzw. ecclesiae. Der Rekurs auf Wunder bildete ein konstitutives Beweis- element. Das Verhältnis zur Welt galt als schon geklärt, es musste nur noch erklärt und dargestellt werden. Eine solche Apologetik hat sich ver-

35 Gerhard Voss, Dich als Mutter zeige. Maria in der Feier des Kirchenjahres, Freiburg I Basel I Wien 1991, S.39. 36 Vgl. Hansjürgen Verweyen, Einführung in die Fundarnentaltheologie, Darmstadt 2008, S. 44f; Hans Waldenfels, Kontextuelle Fundamentaltheologie, Paderborn [1985], 4. Aufl. 2005, S. 91ff; Ulrich Winkler, Für eine pneuinatologische Religionstheologie, in: SaThZ 11 (2007), S. 175-200, hier S. 196f.

selbständigt. Dem gegenüber erinnere ich an die Stichworte, die ich bei Balthasar aufgenommen habe: Theologie als betendes Suchen, als Einheit von Glaubens- und Wissenshaltung, Sachlichkeit und Ehrfurcht, erfahren im Ton, über das Heilige zu reden. Oder von Rahiler: Der Glaube ist nicht das vorausgesetzte Selbstverständliche, sondern einfach das Unmögliclie, sein Angefochtensein liegt am Glauben selbst, nicht an der Gegen-Welt, deshalb sind rein negativ-abwehrende Diskurse verfehlt, vielmehr ist Be- scheidenheit, Takt, Geduld und Zeit erforderlich. Kurzum eine Theologie und somit auch Apologie in geistlicher Haltung.

3. Gewalt - keine Apologetik

Der apologetische Diskurs dieser vorkoiiziliaren Prägung widerspiegelt ei- nen katholischen Absoluts- und Alleinvertretungsanspruch der Heilsver- mittluiig. In einer seiner schärfsten Formulierungen hatte das Lehramt Heiden, Juden, Häretiker und Schismatiker in die Hölle verdammt. z7 Für sie ist es nicht mehr erlaubt, noch Hoffnung zu hegen," also iin Gebet ihr Schicksal iii die Hände Gottes zu legen. Die Uinstellungen in der Funda- mentaltheologie seit dem Konzil waren gewaltig. Erkenntiiistheoretisch wurde nachgeholt, was die komplexe Geschichte des Axioms „Extra eccle- siam nulla sa lu~" '~ vorbereitet hatte. Das eben angedeutete Programm von Karl Rahner wurde aufgegriffen.

Dennoch bleibt ein entscheidendes Desiderat, dem ich diesen Beitrag hier widme. Der fundamentaltheologische Dialog mit der Welt wurde grundle- gend aiiders aufgestellt. Doch in Abwandlung gilt, was Balthasar mit der

j7 Im Jakobitendekret des Konzils von Florenz (1439-1445): DH 1351. So 1864 Papst Pius IX. im sog. Syllabus, dem ,,Verzeichnis der hauplsächlichstc~i Irrtü-

mer unserer Zeit": DH 2917. Vgl. Ulricli Winkler, Mehr als Toleranz. Die Entdeckung des I-leiligen Geistes in den anderen Kirchen und Religiorien, in: Renate Egger-Wenzel (Hg.), Geist und Feuer. FS Erzbiscliof Alois M. Kothgasser (Salzburger Tlieologisclie St~idien 32), Iiinsbruck I Wien, 2007, S. 397-430, hier S. 414f. i C) Vgl. Wolfgang Beinert, Die alleiiiseligmacliende Kirche. Oder: Wer kann gerettet wer- tleri?, in: StZ 115 (1990), S. 75-85.264-278; Gavin D'Costa, Tlieology arid religious plura- lism. The challenge of other religions, Oxford, 1986, S. 52ff; Francis Aloysius Sullivan, Salvation outside the church? Tracing the history of the Catholic response, New York, 1992.

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„christologischen ~ n ~ f ü h r u n g ' " ~ gegenüber seinem Freund Karl Barth eingewendet hatte. Das der Musiktheorie entstammende Bild über die Kunst der Fuge beschreibt, dass das Thema der Welt noch nicht fertig ge- spielt ist, ehe es vom Thema der Christologie überlagert und abgelöst wird. Analog ist hier einzuwenden: Die Welt hat mehr zu sagen. Die Welt ist durchdrungen von Gottes Heilsgeschichte, nicht nur transzendental und immer schon, oder letztlich alles in allem, nicht nur anonym, sondern das Geheimnis des Namenlosen ist wirksam und lässt sich finden in konkreten Namen auch anderer Kirchen und ~ e l i ~ i o n e n . ~ ' Gottes Geist in der ganzen Schöpfung und in der Kirche, das waren geläufige Orte. Die Orte dazwi- schen bleiben hingegen weitgehend ausgeblendet, die nun erhellt werden müssen.

Seit dem Memorandum Balthasars haben sich neue Fronten aufgetan, die ihm nochmals Aktualität verleihen. Die Welt ist nicht gänzlich säkular ge- worden, sondern wieder religiöser. Spiritualität boomt und Religion ist in die Öffentlichkeit zurückgekehrt. Mit ihr wird Politik gemacht. Und erneut stehen Höllenfahrten auf der Tagesordnung. Ein Lehramt schickt wieder Feinde zur Hölle, diesmal Aktionen anderer Art als in Florenz. Die unter religiösem Vorwand legitimierte Gewalt ist im Vormarsch. Fanatiker un- terschiedlichster Religionen beanspruchen den Besitz der wahren Lehre. Ihrer Selbstlegitimierung entspricht die meist dilettantische theologische Bildung. Religionen werden damit gefährlich, aus ihnen können Dynamit- bündel für Selbstmordattentäter geschnürt werden, wenn sich die entspre- chenden Personen an den Wühltischen der religiösen Selbstbedienungssu- permärkte bedienen. Eine echte Gefahr für den Frieden der Welt besteht durch die vulgäre Instrumentalisierung der Religionen durch solche theo- logische Autodidakten und selbst ernannte Do-it-yourself-Propheten, durch fundamentalistische Eiferer, ohne umfassende Rechenschaft vor der Reli- gion, auf die sie sich berufen, und ohne Gewissen gegenüber einer ethi- schen Vernunft.

40 Hans Urs von Balthasar, Karl Barth. Darstellung und Deutung seiner Theologie, Eiiisie- deln, 4. Aufl. 1976, S. 255. 41 Vgl. Karl Rahner, Kirche, Kirchen und Religionen, in: ders., Schriften ziir Theologie 8, Zürich 1 Einsiedeln 1 Köln,1967, S. 355-373; jetzt in: Sämtliche Werke, Bd. 22. Dogmatik nach dem Konzil 2. Theologische Anthropologie und Ekklesiologie. Bearbeitet von Albert Raffelt. Freiburg 1 Basel 1 Wien, 2008, S. 292-306.

Darauf hat die Wiener Diplomatin und Journalistin Karin KneissI in ihrem I letzten Buch „Die ~ewal t sp i ra le"~~ eindrücklich hingewiesen. Nicht die I

Ost-West-Konfrontation nach dem Muster des Kalten Krieges, auch nicht der Clash von westlicher und islamischer Zivilisation, der nur eine Ver- schiebung des Blockdenkens mit anderen Akteuren wäre, sondern die „neuen ~ r i e ~ e " " rüclten in den Brennpunkt der Weltpolitik. Sie werden nach dem Muster der Tribalisierung geführt, deren Prototyp der libanesi- sche Bürgerkrieg (1975-1990) ist, der in einem abgedankten Staat entlang von Stammesstrukturen und noch mehr von Religionsgrenzen geführt wurde. Hatte Israel in den 1970er Jahren noch auf eine Religiosisierung der palästinensischen Bevölkerung gebaut, um sie durch religiöse Betäti- gungen der Moscheen vom Zustrom zur linken PLO abzuhalten, so ist die religiöse Szene im Nahostkoilflikt zu einem maßgeblichen Akteur gewor- den. Ebenso setzt die Demokratisierung im Irak nicht auf säkulare Muster, sondern greift zurück auf religiöse Strukturen und Repräsentanzen für dic angestrebte Neugestaltung eines künftigen irakischen Gemeinwesens. Die- ser westliche Theokratieexport US-amerikanischen Zuschnitts setzt nicht auf die Säkularisierung und Tradition der Aufklärung, sondern auf das eu- ropäische Modell des Westfälischen Friedens, einer religiösen Tribalisie- rung der ~ e s e l l s c h a f t . ~ ~ Obwohl der Fundamentalismusschwenk in den arabischen, persischen und afghanischen Gesellschaften heute ein Haupt- llindernis für die Etablierung demokratischer Strukturen und Konfliktlö- wngen darstellt, sind wir mit einein Konflikt koiifrontiert, der nicht ein ty- pisches Problem des islamischen Fundamentalismus ist, sondern uns mit der ureigensten europäischen Geschichte k~nf ron t i e r t .~~

Daraus ziehe ich folgenden Schluss. Die Lektion, die ltatholische und pro- testantische Theologie aus der konfessionellen Konfrontation in Europa gelernt hat, muss entschlossen fortgesetzt werden. Den fundamentalisti-

Karin Kneissl, Die Gewaltspirale. Warum Orient iind Okzident nicht miteinander kön- nen, Salzburg, 2007. " Vgl. Herfried Münkler, Die neuen Kriege, Hamburg 2002; Martin vaii Creveld, Die Zu- Ikunft des Krieges, München, 3. Aufl., 2004; Mary Kaldor, Alte und neue Kriege. Organi- sierte Gewalt im Zeitalter der Globalisierung, Frankfnrt, 2007. '4 Vgl. die aufschlussreiche Studie: Norbert Mappes-Niediek, Die Ethno-Falle. Der Balkari- Konflikt und was Europa daraus lernen kann, Berlin, 2005. '"gl. Ian Buruina I Avishai Margalit, Occideritalism. The West in the Eyes of its Eilemies, New York, 2004.

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sehen Bestrebungen auch in der christlichen Theologie der verschiedensten Konfessionen muss entgegengesteuert werden. Theologie und Religion gehören nicht zurück auf die Weltbühne der Politik, Theologie und Religi- on müssen sich vielmehr gegen den politischen Gebrauch und Missbrauch von Religion wappnen. Der vulgären Instrumentalisierung durch Funda- mentalismen müssen die Religionen mit ihren Theologien entgegenwirken. Die Gewaltgeschichten, in die Religionen jeweils verstrickt werden, rühren nicht selten von ihrer Pluralismusunfähigkeit her. Das Drama zwischen Sunniten und Schiiten und den einzelnen Untergruppen des Islam steht der Tragik christlicher Konfessionskonflil<te und -kriege an nichts nach. Ahn- liche Auseinandersetzungen wurden und werden auch zwischen den meist als friedliebender eingeschätzten östlichen Religionen geführt. Die Heraus- forderungen für die Religionen bestehen darin, Antworten auf die Sinn- und Identitätssuche zu bieten, nicht in der primitiven Weise der Aus- schließlichkeiten, sondern auf der Grundlage einer ausgereiften Religions- theologie, die eigene Identität und Sinnfindung mit Pluralismusfähigkeit gegenüber anderen Religionen vereinbaren kann. Die wichtigste Aufgabe der Theologie sehe ich deshalb gegenwärtig weltweit in der Etablierung solcher Theologien. Religiöse Sinnkonstruktionen unter der Behauptung der eigenen Einzigkeit und Ausschließlichkeit bei Herabsetzung anderer gehören der Steinzeitversion von Religionen an und sind Sprengstoff pur. Wer in einer pluralen Welt Identität konstruiert in der Beschneidung der Perspektive auf die ureigenste Gruppe und um deren Selbstbehauptung ge- genüber einem anderen, liefert den Gotteskriegern Munition. Gewaltför- mige Apologetik ist kein Dienst für die Religionen und die Menschen, sondern Missbrauch und Spiel mit dem Feuer.

Den Religionen wäre unrecht getan, würde man die respektablen Traditio- nen und gegenwärtigen Strömungen übersehen, die gerade dies leisten und dafür eintreten. Deshalb müssen die Bedingungen analysiert und durch- schaut werden, wie solche theologischen Konzepte politisch auch tatsäch- lich wirksam werden. Dies sind hoch komplexe Zusammenhänge, denen in den Debatten um Religion und Gewalt zunehmend Aufmerksamkeit ge- widmet wird.46 Wie kann sich eine Religion gegenüber ihren Mitgliedern verhalten, welche Autorität kann sie beanspruchen, und kann sie diejeni-

46 Vgl. Alois Halbmayr, Um Gott streiten. Religion und Konflikt im Zeitalter der Globali- sieruiig, in: ThPQ 151 (2003), S. 64-78.

gen in die Pflicht nehmen, die sie beanspruchen? Wie handelt überhaupt cine „Religion" und kann sie im Sinne demokratischer Repräsentativität verstanden Pluralitätssensible Theologien setzen sich nicht auf direktem Weg in gelingende Praxis um, sind aber eine notwendige Voraus- \etzung, die Religionen im eigenen Haus erledigen müssen.

4. Religionstheologie - kein Modellwettbewerb

'I'heologie der Religionen ist kein rein akademischer Diskurs für eine ltlei- iie Denk- und Autorenelite an den Universitäten, sondern begründet eine iheologische Haltung, die pralttisch und somit auch spirituell einzulösen 1st. Religionen haben eine Mission. Sie müssen dem fundamentalistischen Missbrauch mithilfe ihrer Theologien entgegenwirken und die Breite, Viel- falt, Komplexität und Vernetztheit der eigenen Traditionen gegen die Ver- cinfacher dagegenhalten. Sie haben an ihrer eigenen Theologie zu arbeiten, \ie zu prüfen und zu verkünden, wie sie religiöse Vielfalt anhand ihres ei- genen Glaubens würdigen können. Sie müssen also ihre Religionstheologie ausweisen.

Mit dieser These trete ich einem verbreiteten Usus in der Religionstheolo- gie entgegen. Denn ähnlich wie zu Balthasars und Rahners Zeiten klaffen zwei sich verselbstständigende Diskurse auseinander, die den alten nicht 50 unähnlich sind. Zum einen ergeht sich eine reichlich aistrakte Debatte in einem Modellwettbewerb uin die angemessene religionstheologische Klassifikation, entweder Exklusivismus, Inklusivismus oder Pluralismus, oder eine andere Einteilung. Zum anderen boomt das Eigenleben der spiri- tuellen Literatur. Dazwischen steht innerhalb der Theologie eine gegen- wärtig wieder zunehmend isolierte Schultheologie. Außerhalb häuft sich - mehr als unvermittelt - in den Religions- und Kultur~vissenschaften ein unüberschaubares Detailwissen über andere Religionen.

47 Diese Idee stand hinter dein ersten Parlament der Weltreligioneii 1893 i n Chicago. Vgl.

die Analyse der Südostasienexperteri in Manchester: John Zavos, Bin Laden is onc of ~ i s ! Representations of Religious Identity at the Parliament of the World's Religioils, in: Cul- ture and Religion 9 (2008), S. 45-61.

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Religionstheologie ist eine theologische Disziplin. Sie legt Rechenschaft des Glaubens ab (a.) über die Verhältnisbestimmung zu anderen Religio- nen und (b.) über das daraus resultierende eigene Selbstverständnis. Katho- lischerseits wird sie von einer großen Sorge des Lehramts verfolgt, die meisten Lehrbeanstandungen des letzten Jahrzehntes erfolgten auf diesem Themengebiet. Den evangelischen Kirchen fällt eine positive Annäherung kaum leichter. Die Religionstheologie ist in aller Munde, doch die ernst- haften Studien sind in der Flut von Beiträgen nicht zahlreich. Verkürzun- gen und Missverständnisse werden popularisiert und gerne wiederholt. Die Gravitation eines überwiegenden Teils der so tradierten Kritik wird vom Angstzentrum eines befürchteten Identitätsverlusts gespeist.

Am eingängigsten haben sich die drei religionstheologischen Modelle ein- geprägt. Entweder findet man die argumentative Behauptung der pluralisti- scheii Position für restlos überzeugend, oder man weiß sehr genau, dass die pluralistische Religionstheologie nichts mit dem Glauben zu tun haben will und aus einer Vogelperspektive spricht, alle Religionen für gleich wahr und damit letztlich für gleichgültig hält. Alternative Modelle und alternati- ve Disziplinen werden in die Diskussion geworfen.

Ich meine nicht, dass die Debatte um ein Klassifikationsschema nutzlos sei. Sie hat dazu verholfen, die Reichweite und Grenzen dieser Typologi- sierung besser zu bestimmen. Nach einigen Vorläufern halte ich sie in der bei Perry Schmid t -~euke l~~ vorliegenden Form für logisch stringent und ausgereift. Das häufigste Missverständnis dieser drei Begriffe besteht in der Verwechslung von religionstheologischen und episternologisclien Posi-

48 Perry Schmidt-Leulcel, Zur Klassifikation religionstheologiscl~er Modelle, in: Catholica 47 (1993), S. 163-183; ders., Die religionstheologischen Grundmodelle: Exklusivisinus, In- klusivismus, Pluralisinus, in: Anton Peter (Hg.), Christlicher Gla~ibe in rnultii-eligiöser Ge- sellschaft. Erfahrungen - Theologische Reflexionen - Missionarische Perspektiven, Im- meilsee, 1996, S. 227-248; ders., Tlzeologie der Religionerz. Probleme, Optioneii, Arg~iineil- te (Beiträge zur Fundamentaltheologie uiid Religioiisphilosophie I ) , Neuried, 1997, S. 65ff; ders., Zehn Thesen zu einer christlicheri und pluralistischeri Theologie der Religionen, in: SaThZ 4 (2000), S. 167-177; ders., Gott olzne Grenzen. Eine christliche und pluralistisclie Theologie der Religionen, Gütersloh, 2005, S. 62ff; ders., Waruin es zur pluralistischen Re- ligionstheologie keine plausible theologische Alterlzative gibt, in: Christian Danz / Friedrich Hermanni (Hgg.), Wahrheitsa~lsprüche der Weltreligionen. Konturen gegenwärtiger Religi- oilsphilosophie, Neukirchen-Vluyn, 2006, S. 11-28.

49 tionen. Insbesondere die ~ n f r a g e n ~ " nach dem Religionsbegriff, der em- pirischen Grundlage für eine Überprüfbarkeit und der inharenten Tendenz \ind ernst zu nehmen. Ich bestehe jedoch darauf, dass dieses Klassifikati- oi~sschema ein Hilfsmittel der Religionstheologie und eines ihrer Teilge- biete ist und nicht mit der Religionstheologie selbst und als ganzer ver- wechselt werden darf noch diese ersetzt. Die Diskussion der Modelle hat cinen eminent heuristischen Wert. Sie fordert zu einer Stellungnahme her- aus und zeigt, dass heute die Frage nach dein Verhältnis zu anderen Reli- gionen und anderem Glauben nicht mehr inb beantwortet bleiben kann. Sie 1st keine realite negligeable an der Peripherie, sondern steht in eiilem Zu- ~ammenl-iang mit der Mitte des eigenen Glaubens. Bisweilen drängt sich da und dort der Eindruck auf, der Streelt um die Modelle und die offene Pole- inik liefern einen prima Vorwai~d, der eigentlichen Frage der Religions- iheologie auszuweichen und sich nicht deklarieren zu müssen. Damit kratzt mall nur an der Oberfläche. Der Sinn der Typologie liegt jedoch ge- riau darin, mit Entschiedenheit die religioiistheologischen Anstrengungen voranzutreiben.

Keligionstlieologische Antworten stehen in Rechenschaft vor der eigenen 'Tradition und Glaubensgemeinscliaft. Die müssen auf ihrer Grundlage ge- wonnen werden und anschlussfäliig sein. Sie dürfen die Identität - auch wenn dieser Begriff für eine Kirche mit Milliarden von Mitgliedern über den ganzen Erdkreis und einer komplexen Geschichte über zwei Jahrtau- sende hinweg ein vager und deshalb problematischer Begriff ist - nicht in ~entralen Punkten gefäh~den.~' Das bedeutet keineswegs Stillstand, son-

'" Vgl. ders., Gott ohne Grenzen, S. 72f.78; ders., Alternative, S. 17f. 50 Vgl. die Diskussioil der Einwände: ders.: Gott ohne Grenzen, S. 75ff; ders., Theologie der Religionen, S. 469ff. - Vgl. eine11 Überblick der Disl<ussioii: Christiari Daiiz, Einfüh- rung in die Theologie der Religioneii (Lelir- und Studienbiicher zur Theologie l), Wien, 2005, S. 79ff; Reinhold Bernhardt, Ende des Dialogs? Die Begegii~iiig der Religionen und ihre theologische Reflexion (Beiträge zu einer Theologie der Religioneii 2), Zürich, 2005, S. 114ff. i I Für je einen Ansatz der Israeltheologie bei Friedrich-Willielm Marquardt und der plura- listischen Religionstheologie bei Johii Hick habe ich diese Gefährdung diskutiert, vgl. UI- i-ich Winkler, Die unwiderrufe~ie Erwälzlutzg Israels ~ind das Wahre und Heilige anderer Religioneii. Von der Israeltheologie und Religionstheologie zur Pluralismusfäl~igkeit der Religio~ien als iriterreligiöse Kriteriologie, in: Reinhold Bernhardt 1 Perry Schmidt-Leukel (Hgg.), Kriterien inten-eligiöser Urteilsbildung (Beiträge zu einer Theologie der Religionen I), Zürich, 2005, S. 233-265, hier S. 253ff.

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dern ~erantwortungsbewusstsein.~~ Die Grundformel des christlichen Glaubens ist das dreigliedrige Symbolum. Deshalb sehe ich die vorran- gigste Verankerung der Religionstheologie in der ~rinitätstheologie~' ge- geben.

Die Religionstheologie begründet also die Ablehnung oder Wertschätzung anderer Religionen mit den Mitteln und Ressourcen und aus der Mitte der eigenen Theologie. Der größte Meilenstein der Lehre der katholischen Kirche wurde in dieser Frage vom Zweiten Vatikanum gesetzt mit der Er- klärung Nostra a e t c ~ t e . ~ ~ Der epochale Wandel, den damit die Kirche ge- genüber den anderen Religionen und insbesondere gegenüber dem Juden- tum vollzogen hat, ist unbestritten. Auseinander gehen hingegen die Inter- pretationen der Reichweite der theologischen Fundierung des ~ o n z i l s . ' ~ Sehen die einen eher eine vorsichtige und teilweise widersprüchliche Af- firmation eines positiven Willens, so gibt es andere Auslegungen, die da- hinter eine tragfähige Theologie erkennen können. Letzteres unterstreiche ich, indem sich zeigen lässt, dass das Konzil eine trinitarisch durchformte ~ h e o l o g i e ~ ~ verfolgt und nicht bloß diplomatische Zugeständnisse an den

52 Wer sonst könnte als überzeugenderes Beispiel für einen verantworteten Reformwillen herangezogen werden als Kar1 Rahners Wirken iin Umfeld des Zweiten Vatikanurns. Die oben zitierte Rede vor den Münsteraner Priestern ist dafür ein treffendes Beispiel: Rahner, Glaube. j3 Vgl. die konzise Zusammenfassung mit umfassendcn Literaturnachweisen bei: Bern- hardt, Ende des Dialogs, S. 219ff. j4 Vgl. Roman A. Siebenrock, Theologischer Kommentar zur Erklärung über die Haltung der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen Nostra aetate, in: Peter Hüiieiinann I Bernd Jochen Hilberath (Hgg.), Herders Theologischer Kommentar zum Zweiten Vatikanischen Konzil 3, Freiburg I Basel i Wien, 2005, S. 591-693; Josef Sinkovits I Ulrich Winkler (Hgg.), Weltlcirclze und Weltreligioneiz. Die Brisanz des Zweiten Vatikanischen Konzils 40 Jahre nach Nostra Aetate (Salzburger theologische Studien - interkulturell 3), Iiinsbruck I

Zeitgeist macht. Dabei setzt die Erklärung gerade nicht beim Gottesbegriff r>in und bringt eine Trinitätstheologie von oben nicht vereinnahmend und damit ausschließend gegen die anderen Religionen in ~ t e l l u n g , ~ ~ sondern nimmt ihren Ausgang bei der universalen Solidarität aller Menschen (NA 1 ,I), die grundgelegt ist in „demselben Ursprung" und „durch ein und das- 5elbe letzte Ziel" (NA 1,2). Die Religionen leisten einen Dienst an der 1:ragedignität der Menschen. Die Religionen sind ein Ort von Wahrheit und Heiligkeit, die sie nicht aus sich selbst haben, sondern die sie empfan- gen haben: „Die l<atholische Kirche lehnt nichts von alledem ab, was in diesen Religionen wahr und heilig ist . . . [Ihre] Handlungs- und Lebens- weisen . . . Vorschriften und Lehren . . . [lassen] nicht selten einen Strahl je- ner Wahrheit erkennen . . ., die alle Menschen erleuchtet" (NA 2,2). Das Wahre und Heilige ist geschenkt vom logoshaften Strahl der Wahrheit. Ilementsprechend finden sich bei ihnen auch „geistliche[] und sittliche[] (;üter und auch die sozial-kulturelle[] Werte" (NA 2,3), zu deren Anerlcen- irung, Bewahrung und Förderung (!) die katholische Kirche ihre Gläubigen mahnt. Die Gabe Gottes, die geistlichen Güter / „bona spiritualia", sind auch den anderen Religionen geschenkt, die Gabe. die er selbst ist. Gott of- fenbart sich ihnen im Heiligerz Gei~t . Ihr Leben in Wahrheit und Heiligkeit 1st ein Leben aus dem Heiligen Geist. Deshalb verstehe ich den darauf fol- genden Satz der Christusverl<ündigung als Weg, Wahrheit und Leben (NA 2,2) keineswegs als Gegensatz zu dieser Magna Charta der Religionstl-ieo- logie, sondern als den logischen Kontext einer trinitätstheologischen Be- gründung! Gott als Ursprung und Ziel, der Christus-Logos als Quelle der Wahrheit und die Gabe des Heiligen Geistes bilden das trinitarische Krite- rium einer katholischen Religionstheologie. Sie sind die Maßgabe einer lheologischen Wertschätzung anderer Religionen. Zu dieser allgemeinen Grundlegung sind v.a. die Ausführungeil gegenüber dem Judentum sub- stantiell. „[D]ie Verbundenheit mit den Juden" wird explizit als „eine

Wien, 2006. geistliche 1 spiritualiter coniunctus" (NA 4,l) qualifiziert. Mit ihnen teile11 55 Exemplarisch führt Jacques Dupuis iri seiner groß angelegten religionstlieologischen Stu- die eine trinitarische Religionstheologie durch. Dabei veranschlagt er die theologische Leis- die Christen deshalb ein reiches „gemeinsame[s] geistliche[s] Erbe / patri- tung des Konzils geringer, als ich es in meiner Interpretation zu zeige11 versuche. Vgl. inonium spirituale" (NA 4,5). Dabei wird diese einzigartige Nähe wieder- Jacques Dupuis, Unterwegs zu einer christlichen Theologie des religiösen Pluralismus, hg. Lim nicht ausschließend, sondern paradigmatisch gegenüber anderen Reli- von Ulrich Winkler, übersetzt von Sigrid Rettenbacher unter Mitarbeit voll Christian Hack- gionen gesehen. barth-Johnsoii und Wilhelm Schöggl [Toward a Christian Theology of Religious Pluralisrn, - -

7'" printiilg New York 2006) (Salzburger Theologische Studien - interkulturell 5), Inns- 57

bruck I Wien, [erscheint 20091. Vgl. Hans-Joachim Sander, Der eine Gott der Juderi, Christen ~ ind Muslime urid scine 56 Ausführlicher vgl. Ulrich Winkler, Für eine pneumatologische Religionstheologie, in: Ileterotopien der Macht - der ~inrnögliche Lebensrauin des religiösen Dialogs, in: Sinko- SaThZ 11 (2007), S. 175-200, hier S. 179ff. vitsiwirikler, Weltitirche und Wcltreligioneii, S. 45-65.

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In das oben zitierte Gerippe eines theoretischen, bloß negativ-abgrenzen- den und apologetischen Weltverhältnisses ist nun Leben eingezogen, das Wohnung nimmt in der von Balthasar so genannten Herzkammer des Glaubeiis. Religionstheologie nach dem Zweiten Vatikanum ist nicht neu- erlich ein dürres weiteres Konstrukt der Theologie, sondern das Konzil hat eine Qualitätslatte gelegt. Mit den bona spiritualia, dem geistlichen Leben in den anderen Religionen korrespondiert auch eine geistliche Antwort auf diese Religionen. Nostra aetate ist im Lateinischen überschrieben mit „de habitudine", also mit der Haltung, die die katholischen Kirche gegenüber den Religionen einnimmt. Mit einem akademischen Habitus ist es nicht mehr getan, verlangt ist nun eine spirituelle Haltung! Damit wird nicht al- les vergeistlicht, verharmlost, vereinheitlicht und gleichgültig, sondern ge- rade damit lässt sich mit einigem Ernst und mit dem Erfahrungsschatz jahrhundertelanger Einübung eine ,,discretio spirituum" / Unterscheidung der Geister durchführen. Das Außenverhältnis ist nicht auf apologetische Justament-Standpunkte und Scheuklappengehorsam angewiesen, sondern ermöglicht durchformt von Spiritualität gerade aus der theologischen Mitte gewonnene Unterscheidung und Entscheidung.

5. Knien - kein Götzendienst

Theologie in geistlicher Haltung, mit der Sprache Balthasars allemal, wirkt erhebend. Kniende Theologie, in trinitätstheologischer Begründung gar gegenüber anderen Religionen, klingt jedoch alarmierend. Wird damit mit Kunstgriffen nicht das erste Gebot ausgehoben und ein Kniefall vor den anderen Göttern vollzogen? Das gerade nicht. Nicht die anderen Götter werden verehrt, sondern die anderen Religionen werden vom christlichen Standpunkt aus nicht nur akademisch bedacht. Selbst Dominus lesus5' hält an diesen positiven Voraussetzungen gegenüber den anderen Religionen fest. Gott vergegenwärtigt sich auch in ihnen, ihre heiligen Bücher enthal- ten vom Mysterium Christi Elemente des Guten und der Gnade (8,3), und der Geist bewirkt in ihnen „Elemente der Religiosität, die von Gott kom- men" (21,2). Der trinitarische Zusammenhang ist auch gewahrt: „[D]ie

'* Kongregatio~i für die Glaubenslehre, Doininus Iesus. Erklärung über die Einzigkeit und die Heilsuiiiversalität Jesu Christi ~ lnd der Kirche vom 6. August 2000 (VAS 148), Bonn, 2000.

heilbringende Gnade Gottes . . . [die] die einzelnen Nichtchristen erreicht . .. [wird] immer durch Christus im Heiligen Geist geschenkt" (21,I). Der 'Theologie kommt die Aufgabe zu, die „Wege[], die er weiß" (D1 21 ,1; vgl. AG 7), der Wirksamkeit der Gnade bei den Nichtchristen zu erforschen und damit „ein wachsendes Verständnis der Heilspläne Gottes und der Wege ihrer Verwirltlichung" (2 1, I ) zu erreichen.

Iohannes Paul 11. hat mit seiner Initiative für die beiden Weltgebetstreffen der Religionen in Assisi 1986 und 2002 init dieser geistlichen Haltung ge- genüber den anderen Religionen ernst gemacht. Seit der ~nliündigung'~ \eines Vorhabens erntete er viel Unverständnis. Aus seinen Ansprachen ist abzulesen, wie es ihin daran gelegen war, dieseln Gebet zurn einen eine tragfähige theologische Begründung zu verschaffen und gegen Vermi- schungsbefürchtungen auf Mare Untersclieidungen zu achten, und zum an- deren persönlicli uili Verständnis und Zustimmung zu werben. So differen- ~ ie r t e er zwischen einem gemeinsamen Gebet der Christen und einer inter- religiösen Zusammenl<uilft zum Gebet, die er auf den Begriff gebracht hat mit der Formulierung „Zusammensein, uin zu beten"."" Ungeachtet dieser vorsichtigen ~ o r m e l ~ ' machte er keine Abstriche arn Zweiten Vatikanum

5"gl. Johannes Paul II., Zum Gebetstag nach Assisi ei~igelacleii. Predigt zum Gottesdienst Lum Abschluss der Weltgebetswoche für die Eiiilieit der Christen in des Basilika St. Paul vor den Mauern ain 25. Januar 1986, in: Der Apostolisc.he Stulzl, 1986. Anspsacl~en, Predig- ten und Botschaften des Papstes. Erlclärungeii der Ko~igregationen. Vollständige Dolcuinen- lation, hg. V. Sekretariat der Deutschen Bischofskonfere~iz in Zusainrnenarbeit mit der Re- daktion des deutsclispracliigeri L'Osservaiose Romano (Wort und Weisung), Citti del Vati- cano / Köln [o.J.], S. 1092-1096. 60 Vgl. Johannes Paul II., Zusarnrnensein, um zu beten. Anspraclie bei der Generalaudieiiz am 22. Oktober 1986 in Assisi, in: Der Aposlolische Stuhl, 1986, S. 256-262. Eine genaue Bestimmung des theologischen Charakters des Gebetes findet sich in allen relevanten Aii- sprachen: vgl. ders., Friedensgebel in Assisi - ein Zeichen der Einheit. Weiliiiachtsanspra- che an die Kardinäle und die Rörnische Kurie ain 22. Dezeniber 1986, in: Dei- Apostolisclie Stuhl, 1986, S. 1725-1733; ders., Eine gerneinsaiiie Verpfliclitung für den Frieden. Anspm- che zu Beginn des Weltgebetstags der Religionen für den Frieden in der Basilika Santa Ma- ria degli Angeli in Assisi am 27. Oktober 1986 in: Der Apostolische Stuhl, 1986, S. 1665- 1667; ders., Friede trägt den Namen Jesu Christi. Ansprache zum Abschluß des Weltge- betstags der Religionen ftir den Frieden vor der Fra~izisl<us-Basilika in Assisi ain 27. Okto- ber 1986, in: Der Apostolische Stuhl, 1986, S. 1670-1676. (1 I Vgl. eine weiterführende Auseinandersetzung mit dieser begrifflichen Bestimmilng: Du- puis, Jacques, La priere interreligieuse, in: Collectanea Cisterciensia 65 (2003), S. 310-328; vgl. die Ubersetzi~ng: ders., Das interreligiöse Gebet, in: SaThZ 10 (2006), S. 101-1 19.

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oder an seinen dazu relevanten ehrs schreiben.^^ Noch zwei Jahre nach dem ersten Treffen trat er in einer deutlichen Ansprache für seine Ent- scheidung ein: Die Geöffnetheit und das Suchen der Menschen - so seine Begründung - sind inspiriert vom Heiligen Geist, ebenso wie die religiö- sen Erfahrungen der Religionsgründer. So ist auch das echte Gebet bei den anderen Religionen vom Geist angeregL6"

Dem letzten Papst ging es dabei keineswegs um ein interreligiöses Expe- riment an sich. Sondern seine Theologie und seine Initiative haben sich gemäß der Zeichen der Zeit des Zweiten Vatikanums in einem Problembe- zug" verankert. Der Glaube musste sprachfähig werden angesichts der Frage der Gewalt. Religion mischt sich also in die Politik, nicht durch Machtergreifungen, sondern indem sie mit ihren theologisch verantworte- ten geistlichen Ressourcen politisch relevante Antworten gibt. Religion ist nicht nur in der Lage, Gotteskrieger zu gebären, sondern die Religionen haben auch das Zeug, zusammen und gemeinsam - in Fortsetzung der be- gonnenen Metapher - kniend um den Weltfrieden zu beten. Hier treffen sich die Anliegen von Hans Urs von Balthasar und Karin Kneissl. Religi- onstheologie begründet und eröffnet also eine geistliche, eine spirituelle Begegnung mit anderen Religionen angesichts von Problemsignaturen, und eine spirituell verankerte Theologie für den Weltfrieden.

6. Double belonging - kein unverbindliches Spiel

Dem Papst glaubt man ja gerne, dass er sich nicht in postmoderner Lauheit ergeht und auf Synkretismus aus ist. Da haben es diejenigen schon schwe-

62 Vgl. vor allem Johannes Paul 11, Redenzptoris Missio. Enzyklika über die fortdauernde Gültigkeit des missionarischen Auftrags (VAS 100), Bonn 1990; Päpstlicher Rat für den In- terreligiösen Dialog / Kongregation für die Evangelisierung der Völker, Dialog und Ver- kündigung. Überlegungeii und Orientierungen zuIn Interreligiöseil Dialog und zur Verkün- digung des Evangeliums Jesu Christi (VAS 102), Bonn 1991. " Vgl. Johannes Paul 11, Der Geist Gottes und die „Saatkörner der Wahrheit" in den nicht- christlichen Religionen. Generalaudienz am 9. September 1998, in: Der Apostolische Stuhl, 1998, S. 129-131. " Vgl. Hans-Joachim Sander, Die Zeichen der Zeit. Die Entdeckung des Evangeliums in den Konflikten der Gegenwart, in: Gotthard Fuchs I Andreas Lienkamp (Hgg.), Visionen des Konzils. 30 Jahre Pastoralkonstitution „Die Kirche in der Welt von heute" (Schriften des Instituts für christliche Sozialwissenschaften 36), Münster, 1997, S. 85-102.

rer. die versucht haben, sich so weit in eine andere Religion vorzuwagen, dass sie sich auch mit eigenein Glauben in einer zweiten Religion veran- kern. Neben biographischen Anlässen traten diese Menschen aus festen theologischen Überzeugungen in diese Traditionen ein. Es sind wenige, die große Bekanntheit erlangt haben, wie Hugo Enomiya-Lasalle, Henri Le Saux / Swami Abhishiktänanda, Bede Griffiths, Raimundo Paniklcar oder Frithjof Schuon. Ihr Leben und Glauben war voll vom Suchen und Fragen, ihr Ringen um eine interreligiöse Existenz war alles andere als ein - pole- misch nicht selten verzeichnetes - unverbindliches von dem viele Zeitgenossen auf der Suche nach einem persönlichen Glauben im Zeichen des gegenwärtigen religiösen Pluralismus geprägt sein mögen. Die Debat- ten um „double" oder „multiple religious belonging" sind nur schwer zu versachlichen. Einen viel beachteten Beitrag dazu hat Catherine Cornille, Theologin am Boston College, mit einem streitbaren ~ammelband" geleis- tet.

" Einblicke in dieses Ri~igen vermittelt z.B. Henri Le Saux (Swami Abliisliil<tä~ianda), In- nere Erfahrung lind Offenbarung. Theologische Aufsätze zur Begegnung von Hiiiduisinus und Christentum. Mit einer Einführung von Jacq~ies Dupuis, S.J. (-I), hg. von Clirisliaii Hackbartli-.lolinson, Bettina Bäumer und Ulrich Wiiikler. Aus dein Fraiizösischen und Eng- lischen übersetzt von Christiaii Hackbarth-Jolinson (Salzb~irger Theologische Stuclicn inter- kulturell 2), [erweiterte französische Originalausgabe: Intkrioritk et rkvklation. Essais ihko- Iogiques, ~ d . Prksence: Sisteroii 19821 In~isbruck / Wie~i, 2005. - Vgl. Cl~ristian Hackbat-tli- Johnson, Interreligiöse Existenz. Spirituelle Erfahr~ing und Identität bei Henri Le Saux (O.S.B.) I Swami Abliishiktänanda (1910-1973) (Europäische HocliscliulschriSte11 23/763), Frankf~irt u.a., 2003. 66 Vgl. Catheriiie Cornille (Hg.), Many Ma~zsions? Multiple Religious Belonging aiid Chris- tian Identity (Faitli Meets Faith Series), Maryknoll, 2002. Vgl. iin de~~tschspracl-iigeriispraclige Rauin die Dokumentation einer Tagung, bei der auch Catlierine Coriiille iiiitgewirkl hat: Reinhold Bernliardt I Perry Schrnidt-Leulcel (Hgg.), Multiple religiöse Icle~zliläl. Aus verscliiedenen religiösen Traditionen scliöpfeii (Beiträge zu einer Theologie der Religionen 51, Zürich, 2008; dariii: Catlierine Coriiille, Mehrere Meister? Miiltiple Religionszugehörigkeit in Pra- xis und Theorie, in: ebda., S. 15-32. - Vgl. zudem: Dennis Gira 1 Jacques Scheuer, Vivre de plusieurs religions. Proinesse ou illusion (Collection Questions ouverles), Paris, 2000; Jerald D. Gort 1 Hendrik M. Vrooin i Rein Ferilliout / Anton Wessels (Hgg.), 011 Sliaring Religio~~s Experieiice. Possibilities of Interfaith Mutuality (Cui-rents of eiicouiiter 4), Ain- sterdam I Grand Rapids,1992; Peter Phan, Multiple Religious Belonging. Opportuiiities and Challenges for Theology and Churcli, in: Theological Studies 64 (2003), S. 495-519; ders., Being Religious Iiiterreligiously. Asian Perspectives ori Iiiterfaith Dialogue, Maryknoll, 2004; Ulrich Schoen, Bi-Identität. Zweisprachigkeit, Bi-Religiosität, doppelte Staatsbürger- schaft, Züricli / Düsseldorf, 1996, ders., Mensch sein in zwei Welten. Bi-Identität in Spra-

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Der kulturwissenschaftliche Leitbegriff der ~ ~ b r i d i t ä t ~ ~ hat auch die Reli- gionszugehörigkeit erfasst. Zum einen fragt Cornille nach der Möglichlceit einer logischen Konsistenz eines Begriffes multipler Religionszugehörig- keit und unterscheidet dabei verschiedene Grade seiner Verwirltlichung. In einem strengen Sinn hält sie ihn für selbstwidersprüchlich, da sie davon ausgeht, dass Religionen - nicht nur die monotheistischen - sicli als um- fassende Deutehorizonte verstehen und ungeteilte Zugehörigkeit verlan- gen. Sinnvoll ist der Begriff nur in einer abgeschwächten Version. In sys- tematischer Hinsicht unterscheidet sie innerhalb der christlichen Theologie drei Lösungsansätze für die Vereinbarkeit einer breiteren Form einer mul- tiplen Zugehörigkeit. (a.) Alle Religionen beziehen sich auf dieselbe trans- zendente Letztwirklichlteit, die dann in den unterschiedlichen Erfahrungen zugänglich wird. Diese essentialistische Position findet sich vor allem in den spirituell orientierten Kreisen der Religionen wie im intermonasti- schen Dialog. (b.) Mehrfachzugehörigkeit als Variante der Inkulturatioii: Dabei bleibt n ~ a n maßgeblich dem eigenen Glauben verbunden, transfor- miert ihn aber in ein anderes lculturelles Bezugssystem und findet dadurch zu neuen Verstehensweiseii. (C.) Komplementarität der Religionen: Sie stehen in Iteinein widersprüclilicle oder ausschließenden, sondern in ei- nem ergänzenden Verhältnis. Sie haben eine positive Funktion in der Heilsökonornie und verhelfen zur Fülle der Wahrheit.

Zum anderen schlägt Cornille eine Ptulturelle Klassifikation des breiten Spektrums der Phänomene vor. (a.) Die mit New Ase beschriebene, rein individuell nach eigenem Gesclimack und Urteil gefällte Wahl würde unter einem so weiten Begriff von Mehrfachzugehörigkit fallen, dass sie sie ausschließt. Denn mit ihr werden sowohl Wahrheitsanspruch als auch In- stitutionalisierung von Religion zurückgewiesen, was den Religionen wi- derspricht. New Age bedeutet vielmehr Nichtzugehörigkeit. Denn für die Beanspruchurig von Zugehörigkeit braucht es mehr als das bloß subjektive Gefühl einer Vorliebe für einzelne Elemente von Religionen. „Geht es doch bei der Religionszugehörigkeit um ein dynamisches Wechselspiel

che, Religion und Reclit. Mit einein Geleitwort von Annernarie Schiininel (Ökumenische Studien 1 l), Münster I Hambiirg I Londoil, 2000. " Vgl. Andreas Aclcerrnann, Das Eigene und das Fremde: Hybridität, Vielfalt und Kultur- transfer, in: Friedrich Jaeger / Jörn Rüseii (I-Igg.), Handbuch der Kulturwissenschaften 3. Tl-iemen und Tendenzen, Stuttgart, 2004, S. 139-154.

zwischen der subjektiven Erfahrung, einer bestimmten Religion anzugehö- ren, und der objektiven beziehungsweise religiösen Anerkennung dieser ~rfahrung.'"~ Mit diesem Ausschluss loser und selektiver New Age- Sympathien nennt Cornille ein wichtiges Kriterium für die Definition von multiple belonging, das auch ihr Urteil hybrider Religiosität bestiininen wird. „Religious belonging iinplies iiiore than a subjective sense of sympa- thy or endorsement of a selective number of beliefs and practices. It in- volves the recognition of one's religious ideiitity by the tradition itself and the disposition to submit to tlie conditions for membership as deliileated by tliat tradition."" Esoterische Versuche sind demnacli in Anlehnung an Gracie Davie's Buch ein „believing bvithout belongiiig". - (b.) Multiple re- ligiöse Zugehörigkeit kann weiters eine Form einer kulturellen Identitiit bedeuten, wie beispielsweise in Japan oder China. Sie hat dort Tradition und ist kein Ergebnis einer subjektiven Wahl. - (C.) Bei einein weiteren Typus werden auf der Suclze nach religiöser Kraft zeitweilige Anleilieii aus anderen Religionen gemacht und die entspreclienden Götter und Heili- gen verehrt. - (d.) Eine starke Form von Zugehörigkeit und Loyalität ge- genüber beiden Traditionen entwickeln Kinder aus interreligiö~erz Ehen, clie gleichermaßen mit den Riten von zwei Religionen groß geworden sind. - (e.) Schließlich kann im interreligiosen Dialog durch die eingehende

Auseinandersetzung mit einer anderen Religion ein Gefühl der Zugehorig- keit entstehen, das rnanchmal auch zu Konversionen führt, meist jedoch so aussieht, dass eine primäre und sekundäre IdentiCiPtation unterccheidbar bleiben, also zu keiner symmetrischen Zugehörigkeit in1 strengen Sinn des Begriffs führen.

Insgesamt beobachtet Cornille, dass „multiple Religionszugeliörigkeit häu- fig mit einer Betonung der rituellen oder f~~nktionalen Dimension von Re- Y igion einher[geht] und zwar zu Lasten ihrer tlieoretisclien oder theologi- ichen Dimei~sion." Denn multiple Religionszugehörigkeit ISuft den Re- ligionen zuwider. Sie verlangeii eine ernsthafte und ungeteilte Zustiinmuiig /,ur Lelire. Eine Abtreiinung einzelner Rituale oder Praktiken aus dem the- oretischen und theologicchen Lellrkontext widerspricht dem Selbstver- \tändnis der Religionen. Wie ich schon bei Henri Le Saux / Swami

OS Cornille, Meister 16; vgl. ebda., S. 24. (,<I Dies., Mansioils, S. 4. 10 Dies., Meister, S. 25.

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Abhishiktänanda hingewiesen habe, fand bei ihm die Auseinandersetzung hauptsächlich auf der spirituellen Ebene statt und hatte weniger theologi- sche Klärungen gebracht.

Cornille geht jedoch über diese Beobachtung hinaus und vertritt die These, dass „multiple Religionszugehörigkeit nachteilig für die spirituelle Ent- wicklung und Reifung ist", denn sie verhindert „die völlige Hingabe an ei- ne unter diesen Religionen" 7'. Religionen kennen auch herausfordernde Seiten, sie sind auch mit Zumutungen verbunden, die nicht mit dem Krite- rium des Nutzens oder der Auswahl nach subjektivem Gefallen gemessen werden können. „The selective and simultaneous belonging to various re- ligions implies a discriminating and self-sufficient subject that is precisely what needs to be left behind in the pursuit of the highest levels of spiritual and religious attz~inment."~~ Dies findet unterschiedlichen Ausdruck in den einzelnen Religionen, in den moiiastischen Traditionen insbesondere durch den Gehorsam gegenüber dem Meister. Dadurch soll das „Ego [als] die größte Hürde für das spirituelle überwunden werden.

Catherine Cornille sieht selbst eine Nähe zwischen dem Subjekt der Mo- derne und hybrider Religiosität. Das Problem ihrer These liegt jedoch ge- nau darin, dass sie diesen Zusammenhang nicht als Herausforderung für einen anspruchsvollen fundamentaltheologischen Diskurs nutzt und das Phänomen systematisch vor dem Forum moderner und postmoderner Rati- onalität diskutiert. Die zitierte Konjunktion von „discriminating and self- sufficient subject" könnte den Schluss nahe legen, das kritisch unterschei- dende sei gleichzusetzen mit dem selbstgenügsamen Subjekt. Reflexionen von Glaubensentscheidung unter den Bedingungen der (Nach)Moderne dürfen der Autonomie des (religiösen) Subjekts nicht mit pauschalem Ver- dacht begegnen. Auf diesen komplexen Diskurs kann ich jedoch hier nicht weiter eingehen, sondern ich lenke die Aufmerksamkeit nochmals auf die spirituelle Herausforderung, die sie anspricht.

Ohne Zweifel berührt Cornille eine Forderung, deren Anliegen man nur unterstreichen kann. Spirituelle Bildung ist nur in treuer Beharrlichkeit

7' Ebda., S. 28f. '' Dies.. Mansions. S. 3.

ii~öglich, die auch das Widerständige, Befremdende, Herausfordernde und I Jriverständliche des Glaubens nicht einfach abschüttelt, wenn es der sub- ~cktiven Behaglichkeit widerstrebt. Sie ist eben kein unverbindliches

Doch das Problem von Cornilles Sicht der Religionen liegt genau cliirin, wie sie diese selbstredend als „idealtypisch"75 bezeichnet, dass die (Wfenheit für die Wahrheit anderer Religionen in Konkurrenz zur totalen Verpflichtung gegenüber einer Religion gesetzt ~ i rd ,~"ie Hingabe an ei-

Religion mit der Hingabe an Gott also praktisch in eins fallen. Der Missbrauch von Gehorsamsverpflichtuiig ist nur ein erstes Glied in einer Kette von Gegenargumenten, die in der Religionskritik gesammelt wurden, his hin zu den ureigensten theologischen Einsichten in die Sakramentalität clcr Kirche als Mittel und nicht als ~ e t z t z i e l . ~ ~ Es ist deshalb auch damit zu icchnen, dass nicht selten das, was als New Age Attitüde bezeichnet wird, 'ingesichts von ~ntf remdun~serfahrungen~~ auch Ausdruck eines ehrlichen pcrsönlichen Suchens nach selbst verantworteten Verbindlichkeiten sein kann.

Scnseits dieser beiden gravierenden Probleme spricht Catherine Cornille cine wichtige Warnung aus, die sich gegen die Oberflächlichlteit oder ge- gen den allzu leichten, naiven und problemlosen Zugang und Umgang mit ;inderen Religionen wendet.79 Wer theologischen und spirituellen Reich- 111m bei einer anderen Religion sucht, muss sich verantwortet gegenüber deren ganzer Tradition verhalten und sich in einem umfassenden Sinn auf sie einlassen. Das unterstreicht mit Nachdruck die aus Salzburg stammen- de Theologin und Indologin Bettina Bäumer, die - seit mehr als vier Jahr- ~ehnten in Varanasi lebend und lehrend - in nüchterner und kritischer Re-

'"gl. Perry Schmidt-Leukel, Der Einfluss der interreligiösen Begegiiuiig auf die religiöse Identität, in: Kar1 Baier (Hg.), Handbuch Spiritualität. Zugänge. Traditionen. Interreligiöse l'rozesse, Darmstadt, 2006, S. 329-344. 75 Cornille, Mansions, S. 3. '"gl. Dies., Coiiditioiis for the Possibility of Interreligious Dialog~~e ori God, in: Werner G. Jeanrond I Aasulv Lande (Hgg.), The Concept of God in Global Dialogue, Marykiloll, 2005, S. 3-18. 77 Vgl. Perry Schinidt-Leukel, Multireligiöse Identität. Ainnerkungeii aus pluralistischer Sicht, in: Beriihardt I Schinidt-Leukel, Multiple religiöse Identität (Anin. 66), S. 243-265. "' Als Inbegriff gilt iinrner noch: Tilrnann Moser, Gottesvergiftung, Frankfurt, 1976. " 9 1 1 diesem Sinn ist auch ihr Iieuestes Buch mit dein provokanten Titel zu verstehen: Ca- therine Cornille, The im-possibility of iiiterreligious dialogue, New York, 2008.

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flexion als bleibend überzeugte Christin einen Weg zum Hinduismus ge- funden hat.xo

7. Komparative Theologie - kein Jäger- und Sammlergewerbe

Es ist das Verdienst von Catherine Cornille, Ordnungskriterien und Unter- scheidungen in ein heikles Feld interreligiöser Begegnungen eingebracht zu haben, die zur Erhellung weiterer Fragen beitragen. Das subjektive Ur- teil ist unzureichend, ein Zusammenspiel mit der objektiven Anerkennung durch die gewählte andere Religion unerlässlich. Damit stellt sich eine noch grundsätzlichere Frage nach der Möglichkeit eines interreligiösen Verstehens überhaupt. Kann man - wenn ja, wie und mit welcher Methode - eine andere Religion verstehen? In Opposition zur Theologie und ihrer ehemals rein abwehrenden Apologetik sollte eine neue Disziplin Licht und Objektivität in die Materie bringen. Die ~eligionswissenschaften~' folgten bestimmt auch einem Wissenschaftsideal, das durch die Erfolge der empi- rischen Disziplinen großes Ansehen erlangte. Sie wollten die Religionen nicht den Verächtern überlassen, nicht den Kirchen und nicht den Atheis- ten. Aus unterschiedlichen Gründen, doch beide lehnen deren Wahrheits- anspruch ab. Die Religionswissenschaften lösen die Frage auf ihre Weise, indem sie dem Wahrheitsanspruch ausweichen. Ihr Methoden- und For- schungsinstrumentarium umging diese Fragen. Es wurde so konzipiert,

" Vgl. Bettina Bäumer, A Journey with the Unkiiow~i, in: Tosh Arai / Wesley Ariarajah (Hgg.), Spirituality in Interfaith Dialogue, Geneva, 1989, S. 36-41; dies., Trika. Grundthe- inen des kaschmirischcn Sivaismus, hg. V. Ernst Fürlirigcr (Salzburger Theologische Studien 21. interkulturell l ) , I~insbruck / Wien, 2003; dies., Can the Hindu Experieiice of God Enrich the European Concept of God?, in: Norbert Hintersteiner (Hg.), Naining arid Thinlciiig God in Euiope Today (Currents of Encounter - Studies on the Colitact between Christiaility and Other Religions, Beliefs and Cultures 32), Ainsterdam / New York, 2007, S. 429-437; dies., Interreligiosität und Spiritualität. Eine Perspektive „voll innen", in: Jo- hann Figl (Hg.), Religionswissenschaft - Interdisziplinaiität und Interreligiosität (Schrifteil- reihe der Österreichischeii Gesellschaft für Religio~iswisseiischaft I), Wien u.a., 2007, S. 87-95. " Zum Zusammenhang von Theologie, Religioriswisse~ischaften und komparativer Theolo- gie vgl. Ulrich Wiiikler, Zum Projekt einer Komparativen Theologie, in: Ritzer, Georg (Hg.), „Mit euch bin ich Melisch...", FS Friedrich Schleinzer (Salzburger Theologische Studien 34), Inusbruck / Wien, 2008, S. 115-147. Dort finden sich auch die Literatwanga- ben, auf die ich hier deshalb verzichte.

~l;iss es per definitionem dazu nicht in der Lage war. Damit wurden die Re- lrgionen zwar aus dem Feuer der Polemik eines singulären religiösen oder i~nturalistischen Absolutheitsanspruchs gerettet. Doch die Fragen bleiben, o b sie dadurch auch befreit und nun so wahrgenommen wurden, dass dies tlcm Selbstverständnis ihrer Anhänger gerecht wird. Es war Wilfred Cant- well Smith, der diesem Problem in den Religionswissenschaften zuneh- mend Rechnung trug durch die Berücksichtigung der Autointerpretation der ~eilnehmer. '~

Iliesen drei Zugängen gemeinsam ist die Außenperspektive auf die Religi- onen. Religionen sind aber nicht da zur Widerlegung, Belustigung oder leinsäuberlichen Besichtiguiig, sondern Religionen sind da für ihre Gläu- bigen, damit sie mit ihnen leben. Deshalb ist eine interreligiöse Hermeneu- i i l i unabdingbar auf die Integration einer Inneiiperspektive angewiesen. Wer eine andere Religion verstehen will, muss sich schrittweise in die Per- 4pektive eines Teilnehmers begeben. Wie der eigene Glaube ist auch dieser Weg eigentlich eine Unmöglichkeit. Er ist nicht einfach machbar, herstell- bar. Wer anderen Glauben verstehen will, muss sich dem Anspruch stellen, der von diesem Glauben ausgeht. Subjektive und autonom dosierte Appli- kationen unterlaufen diesen Anspruch. Sinnstiftungen können letztlich nur im Vollzug und an der eigenen Existenz erfahren werden, nie nur bloß ge- probt.

Theologie ist die Reflexionsform der Innenperspektive von Religion. Des- halb ist es - gegen namhafte Zweige der Religionswissenschaft gesagt - auch nicht abwegig, an einen theologischen Zugang zu anderen Religionen zu denken. Denn Theologie könnte auch eine Kompetenz und Gespür für Diskurse der Teilnehmer entwickelt haben. Apologetiscli und polemiscl-i gegenüber anderen zu sein, ist kein unabdingbares Schicksal der Theolo- gie. Nach einer schmerzlichen Lerngeschichte - niemand kann sagen, wie diese ohne die Katastrophe der Shoah heute ausgegangen wäre - traue ich ihr das Gegenteil zu. Die christliche Theologie hat sich eine Haltung ange- eignet, die aus dem Unrecht der Herabsetzungen und Verdammungen uin- gekehrt ist und neue Wege der Wertschätzung sucht, und nicht nur einen

Vgl. Wilfred Cantwell Smith, Vergleichende Religionswissenschaft: Wohin - Waruiii?, in: Mircea Eliade / Joseph M. Kitagawa (Hgg.), Grundfragen der Religionswissenschaft (Wort und Antwort 32), Salzburg, 1963, S. 75-105.239-256.

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zivilisierten politischen Umgang, damit uns die Probleme des Weltfriedens etc. nicht über den Kopf wachsen. Sie hat gute Gründe.

Für diesen theologischen Begründungsdiskurs steht die Theologie der Re- ligionen. Sie legt Rechenschaft aus dem eigenen Glauben darüber ab, wa- rum es kein Verrat am eigenen Glauben ist, sich beanspruchender Wahr- heit auch anderer Religionen auszusetzen. Wenn Wahres und Heiliges und geistliche Gaben sich - von Gott geschenkt - auch in den anderen Religio- nen finden, so sind diese Religionen im Raum der einen Heilsökonomie Gottes zu verstehen. Sie sind nicht mehr Feindesland, sondern Orte der theologischen Erkenntnis: loci a l i e ~ ~ i . ' ~ Die Auseinandersetzung mit ande- ren Religionen im Rahmen der Theologie und des Theologiestudiums ist deshalb kein Spleen, der am Salzburger „Zentrum Theologie Interkulturell und Studium der Religionen" erfunden worden wäre,x4 sondern eine sach- liche Notwendigkeit der Theologie. Die Differenz zu anderen Religionen wird nicht mehr zur Kapitulation der Theologie, sondern Differenzen selbst können als Signatur der Gottesrede entziffert werden.85 So besteht eine meiner Anfragen an die pluralistische Religionstheologie von Perry Schmidt-Leukel darin, ob sie die Differenzen der Religionen nicht viel zu schwach denkt und ihre Einträge in die Gotteslehre zu wenig als Stärke der Religionstheologie erkannt hat.86 Offenheit für andere muss nicht per se

*"ur Loci-Lehre von Mclchior Cano vgl. Hans-Joachim Sander, Das Außen des Glaubens - eine Autorität der Theologie. Das Differenzprinzip in den Loci Theologici des Melchior Cano, in: Hildegund Keul I Hans-Joachim Sander (Hgg.), Das Volk Gottes. Ein Ort der Be- freiung. FS Elmar Klinger, Würzburg, 1998, S. 240-258. 84 Vgl. Ulrich Winkler, „Wer nur das Christentum kennt, kennt das Christentum nicht." Theologie Interkulturell und Religionen studieren in Salzburg, in: Konrad Huber I Gunter M. Prüller-Jagenteufe] I Ulrich Winkler, (Hgg.), Zukunft der Theologie - Theologie der Zukunft. Zu Selbstverständnis und Relevanz der Theologie (Theologische Treilds 10), Thaur I Wien I München, 2001, S. 62-102; ders., Zentrum Theologie Interkulturell und Stu- dium der Religionen an der Universität Salzburg - theologische Konzeption, in: SaThZ 11 (2007), S. 58-73. 85 Vgl. damit hat sich der Autor einen Namen gemacht: Gregor Maria Hoff, Die prekäre I- dentität des Christlichen. Die Herausforderung postModernen Differenzdenkens für eine theologische Hermeneutik, Paderborn u.a., 2001; ders., Ökuinenische Passagen - zwischen Identität und Differenz. Fuiidamentaltheologische Überlegungen zum Stand des Gesprächs zwischen römisch-katholischer und evangelisch-lutherischer Kirche (Salzburger Theologi- sche Studien 25), Innsbruck I Wien, 2005. 86 Vgl. Ulrich Winkler, Perry Schmidt-Leubls christliche pluralistische Religionstheologie, in: SaThZ 10 (2006), S. 290-318, hier S. 303ff.

Xdentität gefährden. Vielmehr gibt es Argumente, das Gegenteil anzuneh- men und konstitutiv für das Christentum zu halten. Denn die bleibende, rinhintergehbare und unauflösliche Alterität jüdischen Glaubens - nicht zu- letzt des Jesus Christus von Nazareth - hält uns Christen als geistliches 13and (NA 4). Religion muss - aus theologischen Gründen - vor dem Kri- terium der Pluralismusfähigkeit bestehen könnemx7

Sowohl in der innerchristlichen Ökumene als auch in der Religionstheolo- gie macht das Schlagwort von der Differenzhermeneutil die Runde, mit der ich meine Ausführungen nicht verwechselt wissen will. Christian l)anz," Systematiker an der Wiener evangelischen Fakultät, begründet diese - sich berufend auf protestantisches Glaubensverständnis und trans- {endentale Freiheitsphilosophie - in der nur mehr rein subjektiv einholba- i-en Gewissheit des Glaubens, der so zu einer wahren Anerkennung der Andersheit des Anderen befähigt wird. In IVahrheitx9 macht er die Diffe- renzen schwach, indem sich die Theologie aus der Wahrheitsfrage gegen- über den anderen Religionen zurückzieht, womit - ja eigentlich nicht ein- mal mehr die Theologie, sondern nur mehr - das Subjekt angesichts der Differenzen nur auf sich selbst zurückgeworfen ist, und Theologie vor den Differenzen kapituliert." Damit sehe ich die Disziplin der Systematischen 'Theologie doch unterfordert. Noch dazu versteht Danz seine Idee als Al- ternative zur Religionstheologie und zur komparativen Theologie. Seine Ablehnung der ersten sehe ich auf dem Missverständnis der epistemologi- schen Verwechslung der religionstheologischen Modelle kcgründet, letzte- re wird praktisch nicht zur Kenntnis genommen.

87 So meine These in: Winkler, Erwähluilg Israels (Anin. 51).

Vgl. Christian Danz, Eiriführuiig in die Theologie der Religionen (Lehr- und Studienbü- cher zur Theologie I), Wien, 2005; ders .I Friedrich Hermanni (Hgg.), Wahrheitsanspriiche der Weltreligionen. Koiituren gegenwärtiger Religionsphilosophie, Neultircheri-Vluyii, 2006. 89 Vgl. die Kritik der Differenzhermeneutik bei einer evangclisclien Autorität: Reinhold Bernl-iardt, Ende des Dialogs? Die Begegnung der Religionen und ihre thcologische Reflc- xion (Beiträge zu einer Theologie der Religionen 2), Zürich, 2005, S. 280ff. '' Vgl. dazu meine Kritik eines ähnlichen Ansatzes: Ulricli Winker, Rezension: Ekkehard Wohlleben, Die Kirchen und die Religiorien. Perspektive11 einer ökumenischen Religions- theologie, Göttingen 2004, in: SaTllZ 9 (2005), S. 251-255.

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l~iiie weitere Alternative zur Religionstheologie hat 1995 bzw. 1999 James L. Fredericks, katholischer Theologe und Experte für japanischen Budd- hismus" an der Loyola Marymount University in Los Angeles, in seinem ~eligionstheo~ogie-Lehrbuchg" ausgerufen und stattdessen komparative Theologie vorgeschlagen. Mit und ohne Quellenangabe hat seitdem diese Position eine weite Verbreitung gefunden und ist zu einem Standardargu- ment gegen die Religionstheologie und für die komparative Theologie ge- worden. Ich meine hingegen, dass damit beiden kein guter Dienst erwiesen wird und Missverständnisse perpetuiert werden. Deshalb weise ich kurz auf die Darlegung Fredericks hin. Er erläutert Argumente und Vertreter der drei bekannten religionstheologischen Modelle. Für das pluralistische Mo- dell zieht er im Wesentlichen nur John Hiclt und Paul Knitter heran. An ihnen wie an der gesamten Religionstheologie missfällt ihm der erkennt- nistheoretische Anspruch des ganzen Unternehmens, weil dadurch das je- weilige Verständnis der Gläubigen, somit die Teilnehmerperspektive zu wenig Berücksichtigung findet. Religionstheologie stellt für ihn einen Re- duktionismus dar. Dem gegenüber will er ohne Herabsetzung den anderen religiösen Traditionen eine authentische Stimme in der Theologie mithilfe der I<omparativen Theologie verschaffen. Er begreift sie sowohl mit einer rational argumentativen als auch ausdrücltlich spirituellen Komponente. Sich so theologisch mit anderen Religionen auseinander zu setzen und auf die Gläubigen und ihre Traditionen zu hören, ist von einer geistlichen Hal- t u r ~ g ~ ~ geprägt.

Wenn ich mir seine jahrzehntelangen Studien der Texte und seine beschei- den suchende Art vor Augen stelle, dann lebt und lehrt er persönlich sehr authentisch. Theologisch übersieht er jedoch, dass er die Begründung sei-

" Vgl. James L. Fredericks, Buddliists and Christians. Througli comparative tlieology to solidarity, Maryknoll, 2004. 92 Ders., Faith among faiths. Christian theology and non-christian religions, New Yorlc, 1999; vgl. ders., A Universal Religio~is Experience? Comparative theology as an alternative to a theology of religions, in: Horizons 22 (1995), S. 67-87; ders., The Catholic Cliurch arid the Other Religious Paths. Rejectisig Nothing that is Good arid Tr~re, in: Tlieological Studies 64 (2003), S. 225-254. - Ebenfalls: Stephen J. Duffy, A theology of tlie religiosis aiidlor a comparative theology?, in: Horizons 26,l (1999), S. 105-1 15. 93 Nil<olaus Cusanus nennt diese Haltung gegenüber anderen Religionen eine „pia interpre- tatio". Vgl. Pim Valkenberg, Nicliolas of Cusa and the Relation between Learned Ignorance and a Faithful Christian Interpretation of the Qur'an, in: Jaarboek 2006 Thomas Instituut te Utrecht, Utrecht, 2007, S. 35-61.

iicr respektablen Haltung schuldig geblieben ist, da er die Religionstheolo- uie in der akademischen Diskussion der Modelle erscliopft und deshalb [iemlich nutzlos sieht. Warum er ein Leben lang den buddhistischen Quel- Icn auf der Spur ist uiid mit philologischer Expertise interreligiöse Studien tlurchführt, muss sich theologisch ausweisen lassen, oder wie er zu der Be- Iiauptung seines wunderbaren Buchtitels Itommt: faith amoiig faiths. Moiii- ~ ' ;~a t ive Theologie ist keine ~l ternat ive"~ zur Religionstheologie, sondern hciden kommt eine unterschiedliche wie unverzichtbare Aufgabe zu. Reli- ;:ionstheologie verstehe ich als theologischeil Begrüi~dungsdiskurs für eine komparative Theologie. Komparative Theologie verfährt geiiau iiacli deii Ixiden von Fredericks skizzierten Prin~ipien. Theologie wird nicht mehr init einer besserwisserischen apologetiscl~en, sondern einer spirituelleri liialtung - auch und insbesondere gegenüber der anderen religiöwm Tradi- tron - betrieben. Die einst exklusiv filr die eigene Tradition reservierte Wahrheitsvermutung wird - nicht ohne die Anstrengu~~g der Unterschei- dung - ausgeweitet auf die anderen Religionen.

0.1 In alteriiativen Dcnkformen arguinentiert auch Klaus von Stosch, auS den sich seitdein viele deutschsprachige Autodinnlen ber~iren. Religionstheologie ist deshalb in eine Sack- nasse geraten, weil der Konflikt zwischen i~iltlusivistisci~er Treue zur eigenen Ideiitität un- Icr Hintansetzung anderer Religionen ~iiid pluralistischer Gefahrclung der eigene11 Identität unter Wertschätzung anderer Religionen aporetisch uiid urilösbar sei, und deshalb die reli- gionstlieologisclie Makroebene uneinlösbai-er ßehauptungci~ durch clie Mikroebene gecvis- senhafter Eiiizeluntersuchunge~i in Form der Icoiiiparativen Tlieologie abgeliist werden inuss. Vgl. Klaus von Stosch, Komparative Theologie. Ein Ausweg aus dem Gruncldileinma ,jeder Theologie der Religionen?, in: ZKTh 124 (2002), S. 294-31 1 ; ders., Coriiparative 'Theology as an Alternative to the Tlieology OE Religions, in: Norbert liintersteiner (Hg.), Naming nnd Thinking God iii Europe Today (Currents of Esico~inter - St~idies on the Con- tact between Christianity and Other Religions, Bclicfs and Culturcs 32), Arnsterdam I Ncbv York, 2007, S. 507-512. - Vgl. Vorbehalte unter Berufung auf Stcphcri J. Dul'Sy auch bei: Norbert Hintersteiner, Truditionerz überschreiten. Angloamrikanisclic Beiträge zur intcr- ltulturellen Traditionshermeneutik. Mit einein Vorwort von Robert J. Schreiter, Wieii, 2001, S. 319f. - Vgl. Einwände seitens der pluralistischen Religionstheologie: Perry Scliinidt- Leukel, Limits and Prospects of Comparative Tlieology, in: Hintersteiner, Naming aiid Thinking God 493-505; John Hick, Theology of Religions versus Pliilosophy of Religiosis, in: Timothy W. Barte1 (Hg.), Coinparative Theology. Essays for Keith Ward, London, 2003, S. 24-32. - Vgl. eine A~ialyse der Auseiiiaiidersetzung: Sigrid Rettenbacher, Theolo- gie der Religionen und komparative Theologie - Alternative oder Ergänzung? Die Ausei- nandersetzung zwischen Perry Schmidt-Leukel und Klaus von Stosch um die Religions- theologie, in: ZMR (2005), S. 181-194. - Vgl. rneiiie Antwort auf Schrnidt-Leukel: Wink- ler, Schmidt-Leukels Religio~istheologie (Anm. 86), S. 312ff.

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Die Ursprünge der jungen Disziplin lassen sich zwar bis ins 19. Jh. zurück- führen," namhafte Studien werden vermehrt aus den vergangenen Jahr- zehnten rezipiert, da sie gezielt eine komparative ~heologie" entwickeln wollten und dafür auch Diskurse zur Methodik geführt haben. Die wich- tigsten Studien wurden verfasst von Ninian Smart / Steven ~ o n s t a n t i n e ~ ~ , Wilfred Cantwell ~rnith" und besonders das Opus des Oxforder Emeritus und Anglikaners Keith Ward, der mit „Images of Eternity" (1987) den Auftakt für seine „Tetralogy in Comparative Theology" (1994-2000) ge- schaffen hat." Das wohl interessanteste Gemeinschaftsprojekt wurde von 1995 bis 1999 an der Boston University durchgeführt. Robert Cummings Neville hat dieses Boston-Projekt geleitet und gilt zusammen mit Francis X. Clooney als der führende Theoretiker"' für die Entwicklung der Diszip-

" Vgl. Francis X . Clooney, Conzparative Theology, in: John Webster ! Katliryn Tannes I Iain Torrance (Hgg.), The Oxford Handbook o f Systematic Theology (Oxford Handbooks in Religion and Theology), Oxford, 2007, S. 653-669; Norbert Hintersteiner, Intercultural and Intcrreligious (Un)Translatibility and the Comparative Theology Project, in: ders., Naining arid Thinking God, S. 465-491, ders., Wie den Religionen der Welt begegnen? Das Projekt der Komparativen Theologie, in: SaThZ 1 1 (2007), S. 153-174. 96 Einführungen vgl. David Tracy, Comparative Theology, in: Mircea Eliade, (Hg.), The Encycolopedia o f Religion 14, New York I London, 1987, 446-455; Norbert Hintersteiner, Dialog der Religionen, in: Figl, Johann (Hg.), Handbuch Religionswissenschaft. Religionen und ihre zentralen Themen. Innsbruck I Wien ! Göttingeii, 2003, S. 834-852, hier S. 845ff; ders., Traditionen, S. 3 16ff. " Vgl. Ninian Smart I Steveri Konstantine, Cliristian Systematic Theology in a World Con- text (World Christian Theology Series), Minneapolis, 1991. 98 Vgl. Wilfred Cantwell Smith, What is Scripture? A Coinparative Approach, London, 1993. 99 Vgl. Keith Ward, Images o f Eternity. Concepts o f God in Five Religious Traditions, London, 1987; ders., Religion nrzd Revelation. A Theology o f Revelation in the World Re- ligioris [Tetralogy in Comparative Theology 11, Oxford, 1994; ders., Religion & Creation [Tetralogy in Comparative Theology 21, Oxford, 1996; ders., Religion and Human Nature [Tetralogy in Comparative Theology 31, Oxford, 1998; ders., Religion and Community [Tetralogy in Comparative Theology 41, Oxford, 2000. -Zur Methodik vgl. ders., Toward a Comparative Theology, in: ders., Religion and Revelation 3-49; ~ ~ n d die biographischen Anmerkungen: ders., A Guide for the Perplexed: in: Timothy W . Barte1 (Hg.), Comparative Theology. Essays for Keith Ward, London, 2003, S. 190-189. - Zur Diskussion vgl. die Festschrift ebda. und: Heridrik M. Vroom u.a., Keith Ward's Comparative Christian Sys- ternatic Theology. An Introductio~i and Critical Appraisal, in: Studies in Interreligious Dia- logue 1 1 (2001), S. 92-119. '0° Zuletzt vgl. Robert Cummings Neville, Ritual and Deference. Extending Chinese Philo- sophy in a Comparative Context, New York, 2008. - Ihm gegenüber beansprucht bei-

1111. Aus dieser Kooperation von Wissenschaftlern verschiedener Religio- iicn und Weltanschauungen sind drei Studien hervorgegangen.''' - Die ~iingste Initiative geht zurück auf Francis X. Clooney, Jesuit und Experte 1i1r tamilischen Hinduismus, der 2005 vom Boston College weg einem Ruf ,111 die Harvard University gefolgt ist. Er errichtete 2006 an der American Academy of ~ e l i ~ i o n " ~ eine Arbeitsgruppe Komparative Theologie, die ~,citdem weltweit als Diskussionsforum genutzt wird. Der Verband ist un- (&ich loser als das Boston-Projekt, er bietet aber den nötigen Raum für diesen offenen kreativen Prozess, der damit einer kritischen Öffentlichkeit wsgesetzt wird. Clooney selbst kann auf eine überaus reiche Schaffenspe- tlode in den letzten zwei Jahrzehnten zurückblicken"" und gilt heute als clcr wichtigste Vertreter der komparativen Theologie.

Iin Unterschied zu den oben erwähnte Beispielen einer Doppelzugehörig- Itcit haben die hier erwahnten oder an den Projekten'beteiligten Au- ioriinnlen weniger den eigenen spirituellen Weg als vielmehr das theologi- sche Schaffen an der Grenze in den Mittelpunkt gestellt. In sehr unter- chiedlichen Formen haben sie einen Zugang zum Innenverständnis zu an- deren religiösen Traditionen versucht. Sie alle zeichnet aus, dass sie sich ;tuf theologische Weise mit den anderen Religionen auseinandersetzen,

spielsweise ein James L. Fredericks keine solche konzeptionelle Vorreiterrolle. Deshalb be- frachte ich seine Rezeption uriter dieser Hinsicht auch kritisch. / O l Vgl. Robert Cumrnings Neville (Hg.), The Human Coiidition. Foreword by Peter L. I3erger (The Comparative Religious Ideas Project l ) , New York. 2001; ders., Ultimate Re- iilities. Foreword by Tu Weirning (Tl-ie Comparative Religious Ideas Project 2) , New York, 2001; ders., Religious Truth. Foi-eword by Jonathan Z. Smith (The Comparative Rcligious lcleas Project 3), New York, 2001. "" Vgl. Francis X . Clooney, Erklärung der Arbeitsgruppe „Komparative Theologie" der Americaii Academy o f Religion ( A A R ) [Statement for the Comparative Theology Group Ibr the AAR. Vorgetrageii am 18.1 1.2006 an der AAR in Washington D.C.], in: SaThZ 1 1 (2007), S. 140-152. 103 Vgl. einige seiner wichtigsten Studien: Fraiicis X . Clooney, Theology After Vedanta. An Experiment in Comparative Theology, Albany, 1993; ders., Seeing Through Texts. Doing 'nieology among the Srivaisnavas o f Soutli India, Albany, 1996; ders., Hindu Wisdoin for All God's Cliildren, Marykiioll, 1998; ders., Hindu God, Christian God. How Reason Helps Break Down the Boundaries betweeii Religions, Oxford, 2001; ders., Diviiie Mother, 13lessed Mother. Hindu Goddesses arid the Virgiii Mary, Oxford, 2005; ders., Beyond Compare. St. Francis de Sales and Sri Vedanta Desika on Loving Surrender to God, Wash- ington, 2008; ders., The Truth, the Way, the Life. Cliristian Cornmentary on the Three Holy Mantras o f the Srivaisnava Hindus, Leuven, 2008.

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auch wenn der Weg sowohl filr den einzelnen als auch für Gemeinschafts- projekte nicht selten äußerst fordernd war. Eine dieser Entwicklungen kann man an den drei Bänden des Boston-Projektes und der zunehmend mutigeren theologischen Auseinandersetzung verfolgen. An diesen Bei- spielenlo4 lässt sich auch die Veränderung der Sozialformen komparativer Theologie ablesen. Eiizyklopädische Persönlichkeiten wie Wilfred Cant- well Smith oder Keith Ward werden abgelöst von Kooperationsformen. Die Voraussetzung einer komparativen Theologie, die andere Teilnehmer- perspektive einzubeziehen, kann also unterschiedlich erfüllt werden, durch einen eigenen spirituellen Weg in zwei Religionen, durch intensive religi- onswissenschaftliche Beschäftigung, kulturellen, praktischen und spirituel- len Austausch, z.B. in interreligiösen Freundschaften etc., und schließlich in Gemeinschaftsarbeiten, bei denen Forscherlinnen aus unterschiedlichen religiösen Traditionen gemeinsam oderlund unter wechselseitiger kriti- scher Begleitung Theologie treiben.

Welche Theologie betreibt nun komparative Theologie? Neben der theolo- gischen Rezeption anderer Religionen ist der (Rück)Bezug auf die eigene theologische Tradition das andere konstitutive Standbein. So definiert Clooney im Oxford Handbook: „[T]heological reflection in its mature form always stands in a dialogical relationship to the theologies of other religions, both in general and with respect to (nearly) every topic. This commits the theological community to the practice of what will here be termed »comparative theology«, the practice of rethinking aspects of one's own faith traditioii through the study of aspects of another faith tradi- tion."lo5 Komparative Theologie setzt sich also im Interesse des eigenen Glaubens und der eigenen Theologie mit anderen Religionen auseinander. Komparative Theologie steht in der Korrespondenz zweier Orte. Damit wird zum einen ltlar, dass sie keine Abwanderungsbewegung in eine ande- re Religion im Sinn hat, zum anderen müssen auf dieser Grundlage aber wichtige epistemologische Folgeprobleme reflektiert werden. Ist also mög- licherweise das so hoch kultivierte Interesse nur von einer bestimmten

lo4 Vgl. Literaturüberblicke: Fi-aiicis X. Clooney, Curreilt Theology. Comparative Theol- ogy. A review of recent books (1989-1995), in: Theological Studies 56 (1995), S. 521-550; ders., Theology, Dialogue, and Religious Others. Some Recent Books in the Theology of Religions and Related Fields, in: Religious Studies Review 29 (2003), S. 3 19-327. 105 Clooney, Comparative Theology, S. 654.

?\~isbeutungserwartung geprägt? Wie werden die Themen gefunden, die 11111ersucht werden? Nach welcher Erlenntnisordnung werden Inhalte ,II ukturiert etc.? - Pm Unterschied zur alten Religionsphänomenologie ist

( / ; I \ Vorgehen der komparativen Theologie - wie inzwischen in den kul- ~iiicvissenschaftlich arbeitenden Richtungen der Religionswissenschaften ,riich - deutlicher prozesshaft. Beispielsweise wird die Traktatenordnung ilcxi. Dogmatik immer weniger herangezogen.'"%omparativer Theologie i~c~l-it es auch nicht um die Erstellung von synoptischen Tabellen. mit der clie einzelnen Lehrinhalte der Religionen parallelisiert werden, sondern aus tlcii Randbemerkungen und Erzählungen der Forscherlinnen wird deutlich, ivclch kreativer Vorgang das Auffinden von Vergleichsmomenten ist. Ei- r(entlich werden sie nicht gefunden, weil gesucht, sondern sie sind Entde- 1,ungen. Sie können nicht abgeleitet oder auch nicht im Rücksclilussver-

/,ihren, also weder deduktiv noch induktiv gewonnen werden. Um Entde- r*l<ungeil und Uberrascl~ungen in Bezug auf bisheriges Wissen methodisch i ~ i reflektieren, hat Charles Sanders peirceIo7 den Begriff der Abduktion verwendet, den ich vorschlage, für eine Methodologie der komparativen I'heologie fruchtbar zu machen. Durch das tiefe Eintauchen in eine andere i eligiöse Tradition entwickelt sich ein „epistemischcr ~nstinl<t"'('~, der nicht irur kreative Bezüge herstellt, sondern auch die Kompetenz besitzt, die Re- lcvanz und Repräsentativität eines Theinas zu beurteilen. Es geht also we- der um das Auffinden von interreligiösen Fußnoten zur eigenen festste- henden Dogmatik, noch um ein völlig beliebiges Sammeln, sondern um cine Verantwortung nach drei Seiten, nämlich gegenüber der eigenen und der anderen religiösen Tradition uud gegenüber einer Problemmatrix ge- ineinsamer Zeitgenossenschaft. Damit wird klar, komparative Theologie \teht unter theologisch-systematischer Hinsicht am Anfang. Es tut sich ein Meer von Fragen auf und eine Wüste der fehlenden Erfahrungen und unge- losten Rätsel, und nur erste Lichter von Antworten. Sie ist aber unver-

I06 Vgl. die bisher einzige deutschsprachige Dogiiiatik, die eine interreligiöse Perspektive gewählt hat. Sie ist ein verheißuiigsvoller Anfailg, jedoch keine koinpaiative Theologie iin engeren Sinn: Hans-Martin Barth, Dogmatik. Evangelischer Glaube im Kontext der Weltre- ligionen. Eiii Lehrbuch, Gütersloh, 2001. I o 7 Peirce's Semiotik bildet ein wichtiges Instrumentarium für Roberi C. Neville, vgl. jüngst clers., Ritual arid Deference. 108 Thomas Schärtl, Der religiöse Glaube im Windschatten des Wisseiisbegriffs'? Anfragen ;in den Entwurf Alvin Plantingas, in: Tobias Kampmarin 1 Thomas Schärtl (Hgg.), Dcr cliristliclie Glaube vor dein Anspruch des Wissen, Münster, 2006, S. 87-146, hier S. 146.

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zichtbar und gangbar, wenn man Rahners Mahnung - aus einer spirituell durchformten Theologie herkommend - beherzigt, die „schwierige[n] Fra- gen . . . mit Bescheidenheit, Takt und Geduld" Io9 zu bewältigen und ihnen Zeit zu lassen. Oder mit Hans Urs von Balthasar gesprochen: Kniende Theologie ist vertraut mit dem Gebet und dem „Ton ... über das Heilige [zu] reden""lO, das sich eben auch bei den anderen Religionen findet. Kniende Theologie frönt keinen antirationalistischen Tendenzen' I inner- halb der Theologie, sondern muss heute zu einer Gestalt werden, die he- raustritt aus einer innerkatholischen ~innenperspektive."~

Die Kontextualität von Theologie bekommt damit nicht nur einen kulturel- len und zeitbezüglichen Anstrich, sondern einen konkreten Namen aus dem Dialog mit einer je konkreten anderen religiösen Tradition. Verglei- che werden nicht einfach per se angestellt, sondern sind eingebettet in den eigenen Glauben, der das Verstehen sucht, wie Clooney seine Theologie wiederholt umschreibt. Sie werfen ein neues Licht auf die eigene Theolo- gie. Konfessioneller Theologie wird damit die Chance eröffnet, nicht nur anderes, sondern sich selbst und den eigenen Glauben neu im Lichte dieser Lerngeschichte zu entdecken durch den „Reichtum seiner Herrlichkeit" (Phil. 4, 19; Röm. 9, 23), der auch bei den anderen Religionen zu finden ist. Denn „in aufrichtigem und geduldigem Zwiegespräch sollen sie [alle Christgläubigen] lernen, was für Reichtümer der freigiebige Gott unter den Völkern verteilt hat" (AG 1 I), und so füreinander zu einer „wechselseiti- gen ~ereicherung""~ werden. Dazu ist eine Theologie in epistemischer Bescheidenheit und spiritueller Haltung in der Lage.

'09 Rahner, Glaube, S. 272. 'I0 Balthasar, Theologie und Heiligkeit, S. 224. 11' Diese Intention ist in den Debatten, die Benedikt XVI. mit seiner Regensburger Rede ausgelöst hat, fast untergegangen, vgl. Beiledikt XVI., Glaube, Vernunft und Universität. Erinnerungen und Reflexionen. Vorlesung des Heiligen Vaters an der Universität Regens- burg am 12.9.2006, in: ders., Apostolische Reise Seiner Heiligkeit nach München, Altöttiilg und Regensburg 9.-14. September 2006. Predigten, Ansprachen und Grußworte (VAS 174), Bonn, 2006, S. 72-84. "2 Vgl. Ulrich Winkler, Mission Spiritualität - die Frömmigkeit der Religionen schätzen lernen, in: Diakonia 39 (2008), S. 445-449. " 3 Johannes Paul 11, Redemptoris Missio Nr. 55.

Gottfried Adam

„Der Gerechte lebt aus Glauben66

Reformatorischer Aufbruch und heutige Glaubenskommunikation

iVcnn wir alljährlich am 3 1. Oktober den Reformationstag begehen, so i ~ c ~ h l diese Praxis auf Kurfürst Johann Georg II. von Sachsen zurück, der 1111 Jahre 1667 diesen Tag als Festtag festlegte.

I . Der Thesenanschlag

A n diesem Datum, einen Tag vor Allerheiligen, schlug Martin Lutlier 1517 an die Tür der Schlosskirche zu Wittenberg bekanntlich seine 95 I hesen, die so unerwartet große Resonanz finden sollten. Die Phantasie

l i ; i t aus dieseln Vorgang ein Szenarium der Art gemacht, dass Luther mit tvuchtigen Schlägen ein Blatt an die Eiclientür der Kirche schlug. Die I;c%liläge hallten laut wider und die ganze damalige Welt geriet ins Wanken. So dramatisch war es in Wahrheit aber nicht.

Martin Luther war Theologieprofessor. Aber er war auch Prediger an der R/larktkirche. Von dalier kannte er die Praxis des Ablasshandels. Gegen tliese Praxis verfasste er seine Thesen. Diese sollten die Grundlage einer ,tltademischen Diskussion an der Universität bilden. Lutlier hat, wie wir wissen, in Briefen an den Erzbischof von Mainz und den Bischol von Mag- tlcburg gegen die Ablasspredigten von Jolianii Tetzel Stellung bezogen riiid diesen Briefen die 95 Thesen beigelegt. Er hat sie wohl gleichzeitig ,in einige Freunde und Gelehrte geschickt und sie nicht an der Tür der Stadtkirche, wo er Prediger war, sondern am Portal der Schlosskirche an- geschlagen. Dies war nämlich die Kirche für die Universität und deren 'I'ür bildete eine Art Schwarzes Brett für die Universität.

Die Thesen wurden in Basel, Nürnberg und Leipzig nachgedruckt. Sie iriachten ganz schnell in Deutschland, aber auch im Ausland die Runde lind stießen auf breiteste Zustimmung. Im März 15 18 veröffentlichte Lu-

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Strukturen der Wirklichkeit

Schriftenreihe der Deutschen Universität in Armenien und der Akademie S t. Paul

Herausgegeben von Paul Imhof und Eduard Saroyan

Bd. 4

WAGNIS DER FREIHEIT Perspektiven geistlicher Theologie

Festschrift für Paul Imhof

Herausgegeben von Friedrich Erich Dobberahn und Johanna Imhof

via verbis verlag