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Knut Hansen Akte 7: Der Dieb mit der Brille

Knut Hansen - Akte7: Der Dieb mit der Brille

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Hauptkommissar Knut Hansen untersucht Diebstähle in einem Kieler Krankenhaus und trifft überraschend auf eine alte Bekannte ...

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Prolog:Allein die Anwesenheit von Knut Hansen in leitender Position der Kieler Polizeibehörde war für deren Pressesprecher schon eine mittelschwere Katastrophe. Ein bisschen war es so, als würde in den Niederlanden eine „Frau Antje“ als Chef-Ermittlerin auftreten. Die meisten Menschen hät-ten Knut Hansen wohl als „Original“ bezeichnet – sein Name klang wie der Künstlername eines Hafenmusikanten und seine Erscheinung stand dem in nichts nach. Die von ihm bevorzugte Kleidung, bestehend aus Jeans, Troyer und Seemannsmütze, zusammengenommen mit seiner etwas spröden, wortkargen Art ließen ihn wie den perfekten Leuchtturmwärter oder Fischkutterkapitän wirken – einen Posten bei der Polizei, geschweige denn als Hauptkommissar traute ihm, auch auf den zweiten Blick, kaum jemand zu.Aufgewachsen war er auf der nordfriesischen Hallig Langeoog. Es gab nur ein anderes Kind in seinem Alter – ein dickes, zickiges Mädchen namens Suse, das mit ihm nichts zu tun haben wollte – daher beschäftigte er sich in seiner Jugend nahezu ausschließlich mit dem Lesen von Kriminalromanen.Er verließ die Insel, um die höhere Schule in Kiel zu besuchen und absolvierte anschließend die Polizeiausbildung wie im Fluge. Hansen, dessen Spitznamen in der lokalen Presse von „Inspektor Kuddeldaddeldu“ bis „Friesenbulle“ reichten, machte es nichts aus, unterschätzt oder belächelt zu werden – Kollegen mutmaßten, er würde es vielleicht gar nicht merken – aber da irrten sie sich …

An dieser Stelle von seinen großen Erfolgsfällen zu berichten, würde den Rahmen sprengen, aus Platz-gründen begnügen wir uns mit seinen kleineren Erfolgen:

Die kleinen unbedeutenden Fälle von Hauptkommissar Knut Hansen aus Kiel

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Der Dieb mit der Brille

*Auf den ersten Blick mochte überraschen, dass Knut Hansen als Inselkind nicht einmal ansatzweise friesischen oder plattdeutschen Dialekt sprach. Außer seiner 95-jährigen Mutter und der dicken Suse gab es auch niemanden, der den Grund dafür wusste. Nämlich den, dass Knut schon früh anfi ng sich einen wertvollen Schatz an Kriminalzitaten anzueignen, und ein Satz wie „Schlechte Leute werden nicht immer aus guten Gründen ermordet“ klang nun einmal eindrucksvoller als: „Eische Lüd warrn nech jümmers wegen goote Ursoken dotslogen.“

Knut Hansen saß an diesem Mittwochmorgen im März auf einer Bank am Hindenburgufer und sah in die aufgehende Sonne. Dieser Platz war einer seiner liebsten in der Stadt und da er an diesem Tag gegen 4 Uhr aufgewacht war und nicht mehr einschlafen konnte, war er hierher spa-ziert, trank Tee aus der Thermoskanne und sog das Plätschern der Wel-len und den würzigen Seegeruch in sich auf. Es war ein guter Tag – der Himmel war klar, der Sonnenaufgang schillerte orangerot und auf dem Wasser spielten die Möwen in den weißen Nebelschwaden Verstecken. Er lehnte sich auf der Bank zurück, zog seinen schwarzen ‚Elbsegler‘ ins Gesicht und schloss die Augen.

Er schreckte hoch und war völlig durcheinander – sein Telefon klingelte: „Ja, Hansen hier?“ „Chef, alles ok? Es ist halb 10, ist was los?“ Es war Olaf Köppcke, sein treuer Kollege. „Köppcke? Ja … nein, äh … alles in Ordnung – ich bin in 10 Minuten bei euch“. „Gar nicht nötig, Chef. Man möchte Sie persönlich in der Klinik oben in Projensdorf sehen.“ „Mich persönlich, Köppcke? Erklären Sie mir das.“ „Tut mir leid, Chef. Kollege Meyer hat wohl private Probleme und das war das letzte Te-lefonat das er annahm, bevor er sich abgemeldet hat. Aus seinen Telefonnotizen werde ich nicht schlau … soll ich ihn zu Hause noch einmal anrufen?“ Hansen seufzte: „Ach nee, lass mal Köppcke – wir treffen uns dann gleich vor Ort, ok?“

Ein halbe Stunde später traf er seinen Kompagnon vor dem Haupteingang der Klinik. „Na, da bin ich ja mal gespannt, was für einen Fan ich da habe, kommen Sie Köppcke, wir gehen rein.“ An der Aufnahme räus-perte Hansen sich kurz und wurde sofort von einer freundlichen, jungen Frau begrüßt: „Wie kann ich Ihnen helfen?“ „Hauptkommissar Han-sen, mein Name. Ich wurde speziell hierher beordert und bin wegen einer Unpässlichkeit unseres Telefonisten leider völlig uninformiert, worum es geht.“ „Ah, Herr Hansen. Gut, dass Sie so schnell kommen konnten. Bitte kommen Sie mit.“ Sie drückte auf einen Knopf ihrer Kon-sole und sprach ins Mikrofon. „Dr. Feldmeier, die Herren von der Polizei sind da!“ Dann führte sie die beiden Polizisten in einen anliegenden

Raum, bat sie zu warten und verließ den Raum. Schon wenige Augen-blicke später stand sie in Begleitung eines Arztes, der sich als Doktor Feldmeier vorstellte, wieder vor ihnen. „Herr Kommissar, schön dass Sie da sind, wir haben hier eine etwas prekäre Situation. Eine Patientin ist offenbar überzeugt, bestohlen worden zu sein – wir können zum genauen Sachverhalt nicht viel sagen, denn die Dame ist leider sehr impulsiv und verhindert jede Intervention. Bitte begleiten Sie mich auf die Station, dann können Sie sich selbst ein Bild machen.“ Han-sen runzelte die Stirn: „Soweit schön und gut, aber wie komme ich zu der Ehre, dass Sie mich persönlich herbeordert haben?“ Dr. Feldmeier lachte: „Das war nicht ich, das war Frau Tönnsen, die besagte Patien-tin“. Knut Hansen wurde kreidebleich. „Tönnsen? Klara Tönnsen? Sie ist hier? Beim Klabautermann, warum ist sie hier?“Der Arzt drückte auf den Fahrstuhlknopf und setzte zur Erklärung an: „Frau Tönnsen kam vor drei Wochen wohl wegen einer Beerdigung nach Kiel und ist auf dem Friedhof ausgerutscht. Dabei hat sie sich den Oberschenkelhals gebrochen – unangenehme Sache, langfristige Angelegenheit: Erst OP, dann Reha. Einige Tage nach der OP beschul-digte sie dann erstmals eine Schwester des Diebstahls. Soweit ich mich erinnere, ging es dabei um eine Fernsehzeitung. Bis heute gab es ein rundes Dutzend neuer Vorwürfe. Wenn ich nicht irre, geht es um etwas Geld, eine Brille, Schmuck und diversen Kleinkram – Haar-spangen und Ähnliches. Heute Morgen war dann gar nicht mehr mit ihr zu reden und sie hat verlangt, dass wir Sie anrufen.“ Die drei Män-ner waren vor der Tür angekommen. „Hier ist das Zimmer, ich muss jetzt dringend zu einem Termin – wenn Sie mich brauchen, melden Sie sich am besten unten an der Aufnahme.“ Mit diesen Worten ver-schwand der Arzt auffällig schnell. „Der hat‘s ja eilig“, witzelte Köppcke. „Sagen Sie mal, Chef, was ist denn das jetzt für eine Frau Tönnsen? Muss ich da was wissen?“ Knut Hansen war das Ganze sichtlich unan-genehm: „Klara Tönnsen ist die beste Freundin meiner Mutter. Eine ungeheuer vornehme Person und alt wie die Berge. Sie ist die Inseläl-teste, was auf Langeoog einiges zählt. In ihrem Leben ist sie, wenn‘s hoch kommt, fünf oder sechsmal von der Insel weggekommen. Sie

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ist …“ Ein schneidender Ruf von der anderen Seite der Tür unterbrach den Kommissar: „KNUDDEL? BIST DU DAS ENDLICH? DAS WURDE JA AUCH LANGSAM ZEIT!“ Hansen zuckte zusammen, sagte kurz an-gebunden: „Lass mich sprechen“, und betrat das Zimmer. Ein bisschen gequält lachend hob er zur Begrüßung an: „Tante Klärchen! Du hier, bei den ‚Verrückten‘ auf dem Festland?“Das Einzelzimmer war beeindruckend freundlich. Durchgehend in Pastelltönen gehalten, mit freundlichen Gemäldedrucken an der Wand und messingfarbenen Vorhang-Garnituren. Auf dem Krankenbett saß eine ältere Frau mit aufwändig hochgestecktem Haar und streng geknöpfter, schwarzer Bluse mit hohem Kragen. Zunächst blickte sie scheinbar durch die Polizisten hindurch und erst zeitversetzt reagierte sie: „Knuddel, Gott sei Dank. Du bist endlich gekommen – DU wirst hier aufräumen in diesem, von ... Kriminellen geführten, ’so genannten’ Krankenhaus.“ Eine Strähne hatte sich aus ihrer Frisur gelockert und hing lose in ihr Gesicht. Ihre Augen wirkten glasig und sie blickte fahrig im Zimmer um-her. Hansen hob beschwichtigend die Hände. „Nun mal ganz langsam, Tante Klärchen – was ist denn überhaupt geschehen?“

Frau Tönnsen setzte zu einem holperigen Bericht an: Sie war auf der Be-erdigung eines ehemaligen Langeooger Pastoren gewesen und, wie vom Arzt berichtet, ausgerutscht. Als sie dann nach der OP auf das Reha-Zim-mer verlegt wurde, vergingen nur wenige Tage, bis sie diverse Dinge ver-misste. Zunächst war nur eine Fernsehzeitung verschwunden, dann zwei ‚gute‘ Haarspangen, ihre wertvolle, goldbesetzte Brille und eine Bürste. Außerdem fehlte ein wertvoller Smaragdring, der schon seit Generationen in Familienbesitz war und abschließend 100 Euro aus ihrer Geldbörse. „Schrecklich ist das hier. Sobald man sich nur umdreht, wird einem was geklaut. Hier arbeitet unehrliches Gesindel – das sag ich dir. Hainer war ja letzte Woche hier, der liebe Junge. Aber der konnte mir auch nicht helfen, er hat ein paar Erledigungen für mich gemacht ... der liebe Junge.“ Knut Hansen horchte auf: „Hainer war hier?“ Hainer Hansen war ein Cousin von ihm. Er konnte ihn nicht ausstehen, ein un-sympathischer, schwammiger Kerl. Er hatte nie für länger eine Arbeit ge-habt und trieb sich für gewöhnlich in der Nähe der älteren Inselwitwen herum und erschlich sich für kleine Gefälligkeiten sein Taschengeld. „Ja ... Hainer ist natürlich gleich gekommen, als er von meinem Unfall hörte. Ein netter Junge, der Hainer. Er war übrigens hier, hatte ich es erzählt?“ Die alte Frau hatte sich sichtlich in Rage geredet, sie tupfte sich die Stirn mit ihrem Taschentuch ab. Knut Hansen befragte sie noch eine Weile und dabei kam nicht viel mehr raus. Die besagten Dinge waren nach Frau Tönnsens Aussage einfach verschwunden. Ihr Bericht wieder-holte sich an vielen Stellen und häufi ger brach ihre Schilderung abrupt ab und die alte Dame blickte sekundenlang abwesend umher. Wenn sie dann fortfuhr, war ihre Schilderung unzusammenhängend und widersprüchlich.

Knut Hansen stand vom Stuhl neben dem Krankenbett auf, nahm sie bei der Hand und sagte: „Gut, Tante Klärchen, ich werde mich jetzt darum kümmern – keine Sorge. Wir fi nden bald raus, wo deine Sachen sind.“ Im Büro von Doktor Feldmeier war Hansen spürbar emotional: „Herr Dok-tor … was ist mit Frau Tönnsen los? Die ist ja total durch den Wind!“ Herr Feldmeier lehnte sich zurück und kaute auf dem Ende seines Kugel-schreibers herum. „Also, Herr Hansen, ich weiß nicht, wann Sie Frau Tönnsen das letzte Mal gesehen haben ... aber Sie wissen ja sicher, dass Frau Tönnsen 103 Jahre alt ist?“ Kommissar Hansens Kinnlade stand offen und er sah den Chefarzt entgeistert an. „Das wussten Sie nicht? Ich dachte, Sie gehören sozusagen zur Familie?“ Hansen vertei-digte sich verlegen: „Meine Mutter und ihre Freundinnen sind sehr ei-gen mit ihrem Alter … ’Alte Schule’, wissen Sie? Ich wusste, dass meine Mutter mit 78 die jüngste von den Damen ist, aber ich hatte keine Ahnung wie viel älter Tante Klär… äh, ich meine Frau Tönnsen ist.“Dr. Feldmeier stand auf und ging im Raum auf und ab. „Für ihren ak-tuellen Geisteszustand ist ihr bemerkenswertes Alter allerdings nicht ausschlaggebend. Soweit ich das beurteilen kann, war sie geistig top-fi t, als sie hier eintraf. Als dann aber ihre täglichen Tortentref-fen anfi ngen, ging es rapide bergab.“ Hansen runzelte die Stirn: „Tor-tentreffen? Erklären Sie …?“ „In den Tagen nach der OP hat sich Frau Tönnsen mit Herrn Gunther angefreundet, einem älteren Herren, der … ich will mal sagen: den Freuden des Lebens nicht abgeneigt ist. Die beiden fi ngen an, sich bei Torte und Sekt unten im Café-Bereich zu treffen, was an und für sich ja kein Problem wäre, wenn Frau Tönnsen nicht Diabetikerin wäre. Man braucht kein Spezialist zu sein, um sich auszurechnen, dass sich das nicht verträgt. Wir haben sie daraufhin angesprochen, aber Sie kennen die Dame ja.“ Knut Hansen kniff die Augen zusammen. „Oh ja, ich kenne sie. Höre ich in Ihrem Unterton mitschwingen, sie könnte sich die Diebstähle vollständig eingebildet haben?“ „Schwer zu sagen – einen Teil vielleicht, aber wahrscheinlich nicht alles. Brille und Schmuck, zum Beispiel, sind laut Aussage der Schwestern tatsächlich verschwunden … in jedem Fall können wir die Vorwürfe natürlich nicht einfach so ignorieren.“

Eine Viertelstunde später suchten Köppcke und Hansen Herrn Gunther und fanden den rund 70-Jährigen allein im Café-Bereich sitzen. Er wirkte wie jemand, der für gewöhnlich seine Tage eher im Jogginganzug ver-bringt, sich aber zurzeit Mühe gibt, vornehm zu wirken. Das schüttere, graue Haar war mit Brillantine nach hinten gekämmt. Das verblichene Hemd war ganz zugeknöpft und er hatte eine Krawatte umgebunden, die aus den 70er Jahren zu stammen schien. Auf dem Bistrotisch vor ihm standen eine Piccolofl asche Sekt, zwei Pappbecher und zwei Teller mit Schwarzwälder-Kirsch-Torte.

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Als die Polizisten sich zu ihm an den Tisch setzten, schaute er sie abschätzend aus interessierten, kleinen Augen an. Knut Hansen setzte zur Begrüßung an: „Herr Gunther? Ich bin Hauptkommis-sar Hansen und das Oberkommissar Köppcke … wir stecken gerade in einer Ermittlung und würden Sie gerne über Ihre Beziehung zu Frau Tönnsen befragen.“ Herr Gunther schaute sie interessiert an. Er hatte eine freundliche, lockere Art an sich, die den Polizisten imponierte.„Klara? Ist was mit ihr? Wir waren heut‘ hier verabredet … ich hatte überlegt, hochzugehen und nach ihr zu sehen … ich konnte mich aber noch nicht so recht überwinden – wir hat-ten uns bisher immer nur hier unten getroffen. Ein Zimmer-besuch schien mir ein zu gewagter Schritt zu sein. Albern, oder?“ Er kicherte wie ein Schuljunge, der von seiner Flamme erzählt. Hansen hakte nach: „Sie treffen sich regelmäßig mit Frau Tönnsen?“ „Ja, die Klara und ich treffen uns hier eigent-lich jeden Tag seit gut zwei Wochen. Wir sitzen hier dann immer ein, zwei gemütliche Stündchen mit lecker‘ Torte und ‘nem kleinen Sektchen. Für mich war jedes dieser Treffen ein unvergessliches Erlebnis. Danach erschien mir mein Kranken-zimmer noch erbärmlicher, als es ohnehin schon ist.“ Knut Hansen hakte nach: „Sie sind unzufrieden mit Ihrem Zimmer?“Herr Gunther lachte auf: „Naja, ich will mich nicht beschweren … ich bin mit meinem ‚Hinkefuß‘ ja nur in einem normalen Doppelzimmer. Zweckmäßig – weiße Wände, weiße Vorhänge, keine Bilder an den Wänden – kein Gold, kein Geschmeide … Ist natürlich nicht vergleichbar mit Klaras schickem Reha-Zimmer. “ Wieder kicherte er etwas verspielt vor sich hin. Han-sen mochte den Mann, er hatte eine warme, unkomplizierte Art an sich. Es tat ihm fast ein bisschen leid, dass er ihn jetzt auf-laufen lassen musste. „Sie wissen, wie Frau Tönnsens Zimmer aussieht? Ich denke, Sie waren noch nicht da?“ Gunther saß plötzlich kerzengerade, hatte aber schnell sein Lächeln wieder: „Mann, Sie sind ja mal ein Bilderbuchpolizist … was soll ich sagen. Bitte, bitte meine Herren – was ich Ihnen jetzt erzähle, dürfen Sie Klara nicht erzählen: Mein Zimmergenosse verbringt den halben Tag auf dem Klo und daher hab ich ab und zu Kla-ras Toilette benutzt, wenn sie in der Physio-Therapie war. Ich dachte mir, solange sie es nicht weiß, hat keiner einen Nach-teil davon … jetzt so rückwirkend betrachtet, scheint es mir doch ein bisschen komisch. Bitte, meine Herren, ich beschwöre Sie; behalten Sie das für sich. Klärch … äh Frau Tönnsen und ich haben uns wirklich gut kennengelernt und wir hatten so-gar besprochen, dass ich sie einmal auf Langeoog besuchen könnte. In diesem Stadium des Kennenlernens wäre es kaum förderlich, wenn sie wüsste, dass ich mich heimlich in ihr Zim-mer geschlichen habe.“

Hansen setzte sein bestes Ermittlungsgesicht auf: „Und als Sie dann in Frau Tönnsens Zimmer waren, haben Sie auch gleich eine Kleinigkeit mitgehen lassen?“ Schlagartig war das letzte

bisschen Gelassenheit aus Gunthers Gesicht gewichen und sein vom langjährigen Alkoholgenuss gerötetes Gesicht wurde fast kreideweiß. Obgleich er weiter lächelte, stiegen ihm Tränen in die Augen: „Wer zum Teufel sind Sie? Sherlock Holmes, oder was? Mannomannomann – ich wollte doch nicht …“ Hansen unterbrach ihn in beruhigendem Tonfall: „Nur ruhig, alles wird gut … wenn Sie jetzt die Wahrheit sagen: Sie geben also zu, die Diebstähle begangen zu haben?“ Gunther hatte einen Teil seiner Selbstsicherheit wiedergewonnen. „Diebstähle?“ Er lachte: „Nun mal langsam … ich habe mir eine Fernsehzeitung mit-genommen, das würde ich noch nicht mal ernsthaft als EI-NEN Diebstahl bezeichnen, geschweige denn als MEHRERE.“ Diesmal war es Köppcke, der dazwischenfragte: „Sie haben nur die Fernsehzeitung mitgenommen? Ach, kommen Sie – wem wollen Sie das denn erzählen?“ Gunther hatte sich gefangen, schien aber von dem Thema peinlich berührt zu sein. „‘Mitge-nommen‘ ist gut – ich habe sie ‚verbraucht‘. Wissen Sie, ich hatte sehr genau darauf geachtet, dass Klara nichts merkt, daher hatte ich immer mein eigenes Toilettenpapier mit da-bei. Einmal hatte ich meins vergessen und wie das Leben so spielt, war auch sonst keines mehr da. Ich habe dann in aller Eile nach Ersatz gesucht und … ich bitte Sie, meine Herren, das ist mir etwas peinlich – muss ich fortfahren?“ Hansen winkte kopfschüttelnd ab: „Nein danke, ich verstehe schon … würden Sie trotzdem nochmal einen Blick auf diese Liste wer-fen? Hier sind die Gegenstände, die fehlen, notiert und der dazugehörige Zeitpunkt des Verschwindens. Vielleicht können Sie ja zu dem einen oder anderen etwas sagen?“ Gunther griff nach der Liste und machte ein neugierig überraschtes Gesicht: „Klara ist bestohlen worden? Zeigen Sie her … Moment.“ Er griff in seine Tasche „Ich bin blind wie ein Maulwurf“, sagte er lachend, zog ein Brillenetui hervor, legte es auf den Tisch und setzte sich die Brille auf. „Mal sehen: Hmmh Brille, Schmuck, Bargeld … Das ist ja ungeheuerlich. Wer könnte … äh, stimmt was nicht, meine Herren?“ Köppcke und Hansen starrten mit offenen Mündern abwechselnd auf Gunther und das Brillene-tui. Als Gunther auf das Etui blickte, bemerkte er den Grund für ihre Verwunderung. Im Etui lag immer noch eine Brille. Auf sei-ner Nase saß ein goldgerandetes Modell mit dezenten kleinen Rubinen. Als ihm die Situation klar wurde, wechselte er schnell die Brillen und sah das sich nun in seiner Hand befi ndliche, wertvollere Exemplar entgeistert an. „Das ist ja Klär … chens Brille! Ich muss sie eingesteckt haben und mit zu meiner ins Etui gelegt haben … Sie müssen mir glauben … ich …“ Er be-gann zu trudeln. Hansen stand auf. „Keine Sorge, wir glauben Ihnen … die Sache scheint klar zu sein. Unser Gespräch hier ist beendet und ich denke, es ist in Ihrem Sinne, wenn wir so tun als hätte es nie stattgefunden. Erzählen Sie Frau Tönnsen auch künftig nichts von Ihren Abstechern in ihr Zimmer und seien Sie nett zu ihr … Ach ja: bevor ich es vergesse: Künftig treffen Sie sich bitte bei Mineralwasser und Obst – Ihre Sekt und Kuchenparties bekommen der guten Frau nämlich nicht … Wenn Sie mir jetzt die Brille geben würden, wären wir so-weit fertig.“ Gunther sah ihn dankbar an: „Herr Kommissar, das bedeutet mir wirklich viel. Vielen, vielen Dank.“

„Na, Chef was nun? Was glauben Sie – gibt es hier einen Dieb oder löst sich das alles in Wohlgefallen auf? Ring und Geld sind ja immer noch spurlos verschwunden“. Hansen griff nach seinem Telefon. „Warte mal, Köppcke.“ Köppcke beobachtete seinen Vorgesetzten interessiert, den während des folgenden Telefonats jedes freundliche Wort offenbar viel Überwindung kostete: „Hainer? Ja, hier Knut … sag mal … ja, ja ist lange her … nein, mir geht‘s gut … hmmh, ja aber was ganz An-deres: Sag mal: Du warst doch hier bei Tante Klärchen im Krankenhaus … ja … ja, und hast was für Sie eingekauft? Ah, ja ich verstehe … und das Wechselgeld? … Hast du be-

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halten? … ok, ja, ja, schon klar … mehr wollte ich gar nicht … du, ich muss auch Schluss machen … wir hören uns bald mal wieder, mach‘s gut … hmmmh ja, genau und Tschüss!“ Dann wandte er sich an Köppcke: „War ich zu barsch?“ „Nö, war noch im Rahmen“, Erwiederte sein Kompagnon, der sei-nen Chef schon wesentlich direkter erlebt hatte. „Was hat das Gespräch denn ergeben?“ Hansen machte ein entspanntes Gesicht: „Tja, sowas hatte ich schon vermutet: Frau Tönnsen hat ihn, als er hier war, zum Einkaufen geschickt. Sie hat ihn mit einem Hunderter losgeschickt, um Lakritzpastillen und eine Fernsehzeitung zu kaufen. Die 97 Euro ‚Wechsel-geld‘ hat er behalten, was mich nicht weiter wundert. So, jetzt bleibt nur noch der Ring und ein bisschen vernach-lässigbarer Kleinkram … ich hab da auch schon eine Idee, wo ich zunächst suche – Köppcke Du fi ndest raus, wann Klärchen bei der Physiotherapie ist und ich besorg mir ‘ne Wasserpumenzange.“

Um 17 Uhr warteten Hansen und Köppcke vor Frau Tönnsens Rehazimmer auf deren Rückkehr von der Physiotherapie. Han-sen hatte ihre Abwesenheit genutzt, um das Badezimmer zu durchsuchen und hatte ihren Ring tatsächlich im Abfl uss des Waschbeckens gefunden, nachdem er den Siphon abgeschraubt hatte. Als sie am Ende des Ganges Schritte und Stimmen ver-nahmen, wandte sich der Kommissar an seinen langjährigen Kollegen: „Sag mal, hast du einen 100-Euro Schein?“ Un-auffällig nahm er das Geld entgegen und wandte sich dann zu Frau Tönnsen: „Tante Klärchen – Gute Nachrichten! …“ Sie begleiteten Frau Tönnsen in ihr Zimmer und erst als sie wieder ruhig auf dem Bett lag und die Schwester den Raum verlassen hatte, sprach er weiter: „Wir haben ihn gefasst: Den ‚Dieb mit der Brille‘ – einen hinterhältigen Gauner, der immer nach der gleichen Masche arbeitet. Er schleicht sich vornehmlich in Krankenhäuser und sucht sich ältere Damen als Opfer. Dann fängt er an, kleine Alltagsgegenstände zu klauen, ganz wertloses Zeug, nur um Verwirrung zu stiften. Nach und nach stiehlt er dann immer wertvollere Dinge und IMMER eine Brille – das ist sein Markenzeichen. Wir konn-ten ihn jetzt endlich dank Deiner Hilfe fassen! Wir waren schon Monate hinter ihm her. Jetzt sitzt er endlich hinter Schloss und Riegel. Hier hast Du Deine Sachen – Brille, Ring und das Geld, ... hatte er alles noch bei sich. Die Zeitung und den anderen Krimskrams hatte er natürlich schon ent-sorgt.“ Tante Klara strahlte ihn an: „Knuddel mein Junge! Ich wusste, dass du diesen Fall lösen wirst. Ach Gott, ach Gott ist das aufregend … Dann war also diese Person hier in meinem Zimmer – man mag sich das ja gar nicht aus-malen. Aber das ist ja jetzt vorbei – warte mal ab, bis ich das Deiner Mutter erzähle. Die wird so stolz auf Dich sein, Knuddel.“ „Ach ja, Tante Klärchen, ich muss Dich noch da-rum bitten, hier im Krankenhaus nicht darüber zu reden. Wir wollen noch überprüfen, ob der Dieb einen Helfer hatte und falls das der Fall sein sollte, darf der auf keinen Fall gewarnt werden.“ Frau Tönnsen kicherte und warf ihm einen verschwörerischen Blick zu: „Ach ja natürlich, selbstverständ-lich. Ich werde schweigen wie ein Grab.“

Um 17.30 Uhr standen Hansen und Köppcke in der Einfahrt des Krankenhauses. „Na, Chef. Ich war ja nicht so ein Mu-sterschüler auf der Polizeischule, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass das nicht Polizeiarbeit nach Vorschrift war …“ Knut Hansen klopfte seinem Kollegen auf die Schulter: „Tut mit wirklich leid, Köppcke, aber es ging nicht anders. Ich kenne diese Frau schon mein ganzes Leben lang – wenn ich ihr Peinlichkeiten ersparen kann, muss ich das tun. Ich kläre das morgen telefonisch mit der Klinikleitung und mit

ein bisschen Glück sorgen Torte und Sekt noch dafür, dass Klärchen die ganze Sache vergessen hat, wenn sie wieder auf Langeoog ankommt.“Köppke schmunzelte: „Und wenn nicht?“ Hansen lachte be-freit auf. „Ach, selbst wenn nicht – auf Langeoog erzählt man sich alle Tage Geschichten, die unglaublicher sind als diese … wenn ich da allein an die Sache mit dem zwei-köpfi gen Walfi sch von 1880 denke …“ Köppcke stimmte in das Gelächter mit ein: „Zweiköpfi ger Wal? Sie machen mich neugierig!“ Hansen setzte sich in Bewegung. „Erzähl ich Dir im Wagen, lass uns losfahren … ich hab noch ein bisschen Schreibarbeit vor mir.“ Bald darauf fuhren die beiden Polizisten zurück zum Kommissariat.

Ende

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