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Rechtswissenschaftliche Fakultät | Institut für Strafrecht und Strafprozessrecht 1 Lehrstuhl für Strafrecht, Strafrechtstheorie und Strafrechtsvergleichung KÖLNER PAPIERE ZUR KRIMINALPOLITIK COLOGNE PAPERS ON CRIMINAL LAW POLICY Michael Kubiciel (Hrsg.)

KÖLNER PAPIERE ZUR KRIMINALPOLITIK … · kriminalpolitische Zurückhaltung Deutschlands auf internationaler Ebene konstatiert auch Vogel, JZ 2012, 25, 26. 4 Universität zu Köln

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Rechtswissenschaftliche Fakultät | Institut für Strafrecht und Strafprozessrecht 1

Lehrstuhl für Strafrecht, Strafrechtstheorie und Strafrechtsvergleichung

KÖLNER PAPIERE ZUR KRIMINALPOLITIK – COLOGNE PAPERS ON CRIMINAL LAW POLICY Michael Kubiciel (Hrsg.)

Universität zu Köln 2

Nach der VW-Affäre: Ein Plädoyer für ein internationalisiertes

Unternehmensstrafrecht

Michael Kubiciel

Köln 3/2015

Prof. Dr. Michael Kubiciel

Lehrstuhl für Strafrecht, Strafrechtstheorie und Strafrechtsvergleichung Universität zu Köln

Albertus-Magnus Platz 50923 Köln

[email protected] [email protected]

Dieses Dokument steht unter dem Schutz des deutschen Urheberrechts. Anfragen zur Nutzung richten Sie bitte an die o.g. Adressen.

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I. Zusammenfassung und Thesen

Während viele Staaten deutsche Unternehmen spürbar bestrafen können, steht

hiesigen Staatsanwaltschaften nur eine vergleichsweise harmlose Geldbuße

zur Verfügung. Die fehlende Waffengleichheit hat weitreichende gesellschafts-,

wirtschafts- und rechtspolitische Folgen. Vor allem mangelt es der deutschen

Kriminalpolitik im internationalen kriminalpolitischen Diskurs an Prägekraft. Die

Rechtsstandards und Verfahren werden maßgeblich von den USA geprägt. In

den letzten Jahren haben sich jedoch auch andere Staaten auf internationaler

Ebene zunehmend Gehör verschafft, weil sie – auch für ausländische

Unternehmen geltende – Strafgesetze mit rigiden Sanktionen in Kraft gesetzt

haben. Während das deutsche Recht kaum dazu geeignet ist, mit wirksamen

Sanktionen nationale Rechtsstandards gegenüber multinationalen

Unternehmen durchzusetzen, sehen sich deutsche Unternehmen auf den

Weltmärkten einem immer dichter werdenden Netz ausländischer Strafgesetze

gegenüber. Erschwerend kommt hinzu, dass die Normen des ausländischen

Unternehmensstrafrechts nicht immer im Einklang mit deutschen und

europäischen Grundrechtsstandards und Strafprinzipien stehen.

Im globalen Wettbewerb der Wirtschaftsstrafrechtsordnungen ist Deutschland

wegen seiner defensiven „Außenrechtspolitik“ ins Hintertreffen geraten.1 Dieses

Ungleichgewicht ist misslich, hat das internationale Wirtschaftsstrafrecht doch

erhebliche Auswirkungen auf die Gestaltung globaler Märkte, weltweiter

Verhaltensnormen und die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen und

Volkswirtschaften. Aus diesem Grund sollte die Bundesrepublik ihre

kriminalpolitische Zurückhaltung im internationalen wirtschaftsstrafrechtlichen

Diskurs aufgeben und seine Rechtspolitik auch als Mittel der auswärtigen

Realpolitik begreifen. Schüfe die Bundesrepublik ein wirksames

Unternehmensstrafrecht für multinationale Konzerne, wäre sie in der Position,

1 Zur Außenrechtspolitik allgemein Hilgendorf, 2. FS Roxin, Bd. 2, 2010, S. 1451 ff. Eine kriminalpolitische Zurückhaltung Deutschlands auf internationaler Ebene konstatiert auch Vogel, JZ 2012, 25, 26.

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den wichtigen Industrienationen Verhandlungen über Guidelines für eine

Unternehmenssanktionierung vorzuschlagen. Diese Guidelines müssten

einheitliche Mindeststandards für die Haftungsvoraussetzungen, Grundsätze für

die Sanktionsbemessung sowie Regeln für Auflösung diesbezüglicher

Jurisdiktionskonflikte enthalten: Es ist, wie die Fälle von Volkswagen und

Siemens zeigen, nicht sinnvoll, dass ein Unternehmen wegen ein und

desselben Rechtsverstoßes von verschiedenen Ländern mit mehreren Strafen

belegt wird. Schließlich bedarf es auch eines Verfahrens und einer Regelung für

die zwischenstaatliche Aufteilung des von einem Staat abgeschöpften

Mehrerlöses aus der Straftat.

II. Ausgangspunkt

Die Staatsanwaltschaft einer deutschen Großstadt ermittelt seit einigen

Monaten gegen Angestellte eines amerikanischen Automobilkonzerns. Die in

einem deutschen Werk beschäftigten Mitarbeiter sollen von

Bestechungsgeldern gewusst haben, die ihre Logistiker russischen Zollbeamten

für eine Beschleunigung der Zollabfertigung zukommen lassen.2 Sollten die

Zahlungen keine legalen „Facilitation Payments“,3 also

Erleichterungszahlungen, darstellen, sondern gegen das Internationale

Bestechungsgesetz verstoßen, hätte dies nur für die Angestellten strafrechtliche

Folgen, nicht jedoch für das Unternehmen. Denn die letzten Überbleibsel eines

sog. Verbandsstrafrechts wurden in den 1950er Jahren aus der Rechtsordnung

eliminiert.4 Seither lässt das deutsche Gesetz über Ordnungswidrigkeiten die

Verhängung eines Bußgeldes gegen juristische Personen zu – bis zu einer

Höhe von 10 Millionen Euro. Zwar kann sich der Betrag durch die Abschöpfung

der durch die Straftat erzielten Mehreinnahmen erhöhen. Doch wird den

2 Ott, Dunkle Geschäfte in Sankt Petersburg, in: Süddeutsche Zeitung vom 18.8.2015, abrufbar unter http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/verdacht-auf-schmiergeld-dunkle-geschaefte-in-st-petersburg-1.2610300 (zuletzt abgerufen am 12/10/2015) . 3 Dazu Kubiciel, ZIS 2015, 473 ff. 4 Engisch, Verhandlungen des 40. Deutschen Juristentages, 1953, Gutachten E, S. 7, 23 ff.; Heinitz, ebd., S. 67 ff.; Schmitt, Strafrechtliche Maßnahmen gegen Verbände, 1958, S. 178 ff., 196 f., 231.

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Unternehmen dadurch im Prinzip nicht mehr genommen als ihnen aus der

Straftat zugeflossen ist.5 Überdies führen Regelverstöße wie

Beschleunigungszahlungen nicht immer zu einem nachweisbaren Mehrerlös.

Dann bleibt es bei einem Bußgeld, das einen der größten Autokonzerne der

Welt gewiss nicht beeindrucken wird.

Anders verhält es sich mit den bis zu 18 Milliarden Dollar, die Volkswagen allein

in den USA als Strafe für die Manipulation von Abgasprüftests drohen und

gegen die selbst die 800 Millionen Euro wie Kleingeld wirken, die Siemens vor

rund sieben Jahren als Strafe in die USA zu überweisen hatte. 10 Millionen

Euro einerseits, 18 Milliarden Dollar andererseits: Schon diese Zahlen

verdeutlichen, dass von einer Waffengleichheit im Arsenal deutscher und

amerikanischer Strafverfolgungsbehörden keine Rede sein kann. Dies

vermindert die Möglichkeiten der Bundesrepublik, die Formierung

internationaler Rechtsstandards mitzugestalten und ihre Interessen

wahrzunehmen. Gerade auf dem wirtschaftspolitisch wichtigen Feld des

internationalen Wirtschaftsstrafrechts entfaltet Deutschland nur geringe

Prägekraft, während sich andere Länder ähnlich weitreichende Kompetenzen

und Sanktionsmöglichkeiten verschaffen wie die USA.

III. Außenrechts- und außenwirtschaftspolitische Konsequenzen der gegenwärtigen Rechtslage

Die wichtigsten Folgen dieser kriminalpolitischen Zurückhaltung sind nicht

ökonomischer oder juristischer, sondern gesellschaftspolitischer Natur. Ein

Staat, der etwa Facebook oder Google von der Respektierung deutscher bzw.

europäischer Datenschutzstandards überzeugen und darüber hinaus Einfluss

5 Aufgeweicht wird dies durch die Anwendung des sog. Bruttoprinzips, dem zufolge die dem Unternehmen entstandenen Kosten vom errechneten bzw. zumeist geschätzten Mehrerlös nicht abgezogen werden können, s. dazu KK OWiG-Rogall, 4. Aufl. 2014, § 30 Rn. 141. Bei einer Neugestaltung des deutschen Unternehmenssanktionsrechts müsste das die Gewinnabschöpfung mit punitiven Elementen vermengende Bruttoprinzip im Tausch für ein Sanktionssystem abgeschafft werden, das eine tat- und täterschuldproportionale Strafzumessung zulässt.

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auf die Etablierung globaler Umwelt- und Arbeitsschutzstandards nehmen will,

sollte sich nicht auf gute Argumente verlassen. Er muss multinationalen

Unternehmen gegenüber glaubhaft machen können, dass er die eigenen

Standards notfalls unilateral mit Zwangsmitteln durchzusetzen beabsichtigt.

Wenn ein deutscher Datenschutzbeauftragter in Verhandlungen mit Facebook

auf das mögliche Bußgeld von 10 Millionen Euro hinweist, dürfte er ein

gelangweiltes „interesting“ zu hören bekommen. Öffnet hingegen das US

Department of Justice seinen Instrumentenkasten, ändern deutsche und

europäische Unternehmen ihre Compliance-Standards. Selbst die Fifa hat auf

die seit langem zirkulierenden Korruptionsvorwürfe erst reagiert, als sich eine

amerikanische Staatsanwaltschaft für zuständig erklärt und die Ermittlungen an

sich gezogen hat.6

Auch die hiesige Wirtschaft orientiert ihr Handeln auf den Weltmärkten nicht

primär an den Vorgaben des deutschen Strafrechts, sondern an Gesetzen wie

dem US Foreign Corrupt Practices Act. Letzterer ist schon bei einem eher

marginalen Bezug des fraglichen Verhaltens zu den USA einschlägig und sieht

empfindliche Strafen vor.7 Dementsprechend nehmen amerikanische

Strafverfolgungsbehörden und Rechtsanwaltssozietäten bei Ermittlungen in und

gegen deutsche Unternehmen häufig die zentrale Rolle ein.8 Dabei wenden sie

Verfahren und Regeln an, deren Vereinbarkeit mit deutschen und europäischen

Rechtsstandards zumindest hinterfragt werden kann. So entsprechen die von

amerikanischen Staatsanwaltschaften oder Unternehmen in Auftrag gegebenen

unternehmensinternen Ermittlungen durch Rechtsanwaltskanzleien und

Wirtschaftsprüfungsgesellschaften häufig nicht dem deutschen

Strafverfahrensrecht. Vielmehr folgen diese sog. Internal Investigations einem

Regelmix von (deutschem) Arbeitsrecht und informellen „best practices“ der die

Untersuchung leitenden Ermittlern. Schwerwiegende Auswirkungen für

6 Kirchick, Wie die Fifa die Welt erklärt, in: Frankfurter Allgemeine vom 06.06.2015, abrufbar unter http://www.faz.net/aktuell/sport/sportpolitik/korruptionsskandal-wie-die-fifa-die-welt-erklaert-13632145.html (zuletzt abgerufen am 12.10.2015). 7 Böttger, Wirtschaftsstrafrecht in der Praxis, 2. Aufl. 2015, Kapitel 5 Rn. 174; Senderowitz/Ugarte/Cortez, wistra 2008, 281, 282. 8 Dazu und zum Folgenden Zerbes, ZStW 125 (2013), 551 ff.

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Unternehmen haben die häufig sehr geringen Strafbarkeitsvoraussetzungen

des amerikanischen Rechts: Nach der Respondeat-Superior-Doktrin kann ein

Unternehmen ohne eigenes Verschulden, d.h. ohne die Feststellung defizitärer

Organisationsstrukturen, bestraft werden: Der Regelverstoß einer

Leitungsperson wird dem Unternehmen ohne Weiteres strafbarkeitsbegründend

zugerechnet.9 Dass diese voraussetzungslose Zurechnung mit deutschen Straf-

und Verfassungsprinzipien schwerlich vereinbar ist,10 muss amerikanische

Ermittler, die amerikanisches Recht anwenden, nicht kümmern. Für den

Volkswagen-Konzern kann diese Frage aber von zentraler Bedeutung sein.

Auf die globale Formierung der für Unternehmen sehr wichtigen Regeln des

Unternehmensstrafrechts haben die deutsche Kriminalpolitik und

Rechtswissenschaft bislang keinen Einfluss. Ihre Debattenbeiträge erschöpfen

sich häufig in dem Einwand, eine Verbandsstrafe sei mit dem Schuldprinzip

nicht vereinbar. Dabei übersehen sie, dass das mitteleuropäische

Strafrechtsdenken auf einem ursprünglich theologischen Schuldbegriff gründet,

der die Bestrafung von Personengesamtheiten nicht ausschloss, sondern im

Gegenteil zuließ.11 Tatsächlich existierten in Deutschland bis in die 1950er

Jahre Überbleibsel eines Verbandsstrafrechts. Angesichts dessen ist es nicht

plausibel, dass der Gesetzgeber Unternehmen eine Vielzahl essentieller Regeln

auferlegt, die Verletzung dieser Regeln aber nur mit einem Bußgeld ahndet.12

Der US Supreme Court hielt die Bestrafung einer Eisenbahngesellschaft einst

mit den Worten aufrecht: “If, for example, the invisible, intangible essence or air

which we term a corporation can level mountains, fill up valleys, law down iron

tracks, and run railroad cars on them, it can intend to do it, and can act therein

9 Böse, ZStW 126 (2014), 132 ff. 10 Kubiciel, Compliance als Strafausschlussgrund in einem künftigen Unternehmensstrafrecht, in: Festschrift für Wessing, 2016, S. 69 ff. 11 Grundlegend Maihold, Strafe für fremde Schuld? - Die Systematisierung des Strafbegriffs in der Spanischen Spätscholastik und Naturrechtslehre, 2005. Dazu Pawlik, HRRS 2005, 298 ff. 12 Kubiciel, ZRP 2014, 133 ff.; Kubiciel/Hoven, in: Jahn/Schoop/Schmitt-Leonardy, Das Unternehmensstrafrecht und seine Alternativen, im Erscheinen (2015). Dass diesem Schritt keine grds. verfassungsrechtlichen Hürden begegnen, zeigt – neben den vorstehend genannten Autoren – auch Jahn, in: Jahn/Schoop/Schmitt-Leonardy (a.a.O.).

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as well viciously and virtuously.”13 Diese einfache, aber treffende Einsicht ist der

Grundstein dafür, dass die USA in den letzten Jahrzehnten eine offensive

Wirtschaftskriminalpolitik verfolgen und deren Regeln maßgeblich prägen

konnten.14

Andere Länder haben ihre Einflussmöglichkeiten inzwischen ausgebaut. So hat

Großbritannien im Jahr 2010 mit seinem Bribery Act die Grundlage dafür

geschaffen, dass das Serious Fraud Office ausländische Unternehmen sogar

für die Bestechung von Amtsträgern in Drittstaaten mit empfindlichen Strafen

belegen kann.15 Zuletzt ist in Brasilien ein Gesetz verabschiedet worden, das

harte Strafen für bestechende ausländische Unternehmen gestattet.16

Und Deutschland? Es verfolgt auf internationaler Ebene eine weithin

zurückhaltende und gelegentlich altruistisch-idealistische Kriminalpolitik. So

setzt es sein Strafrecht als Mittel der Entwicklungshilfe ein,17 indem es

gegenwärtig sein Korruptionsstrafrecht zum Schutz ausländischer

Verwaltungen vor deutschen Bestechungszahlungen verschärft.18 Die oben

beschriebene Ungleichgewichtslage wird dadurch jedenfalls nicht zum

Besseren verändert. Immerhin deutet die Initiative an, dass Deutschland eine

aktivere Rolle in der internationalen Antikorruptions- und Kriminalpolitik

einzunehmen gedenkt. Damit sollte es aber nicht sein Bewenden haben. Wenn

die Bundesrepublik Einfluss auf die Entwicklung des – volkswirtschaftlich

äußerst wichtigen – internationalen Wirtschaftsstrafrechts nehmen will, wenn

auch ihre Werte und Interessen zur Geltung kommen sollen, muss sie ihre

auswärtige Rechtspolitik als Mittel der Realpolitik begreifen.

13 US Supreme Court, NY Railroad v. US (1909), 492-3. S. auch Bottke, wistra 1997, 241, 248 ff. 14 Krit. dazu Schünemann, GA 2003, 299, 308; SSW/Rosenau, 2. Aufl. 2014, § 331 Rn. 4. S. ferner die Beiträge von Schünemann, Pieth und Kubiciel, in: Hoven/Kubiciel (Hrsg.) Das Verbot der Auslandsbestechung, 2016. 15 Kappel/Lagodny, StV 2012, 695, 696ff. 16 Lis/Püschel, Newsdienst Compliance 2014, 71008. 17 So ausdrücklich Maas, NStZ 2015, 305, 308. Krit. Schünemann, ZRP 2015, 68, 71; Weigend, in: Hoven/Kubiciel (Fn. 14). 18 Kubiciel/Spörl, KPzK 2014; Kubiciel, in: Hoven/ders. (Fn. 14).

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IV. Folgerungen für die Zukunft

Vor diesem Hintergrund verdient ein Satz aus dem Koalitionsvertrag des Jahres

2013 erneut gelesen zu werden. Er lautet: „Wir prüfen ein

Unternehmensstrafrecht für multinationale Konzerne.“19 Gelänge diese (oder

die nächste) Bundesregierung zu einem positivem Ergebnis, wäre die

Bundesrepublik in der Position, um den wichtigen Industrienationen einen sich

geradezu aufdrängenden Schritt vorzuschlagen: die Aufnahme von

Verhandlungen über Guidelines eines internationalen Unternehmensstrafrechts.

Diese müssten nicht nur die Grundzüge der Haftungsvoraussetzungen, sondern

auch gemeinsame Regeln für die Sanktionszumessung beinhalten. Vor allem

aber wären Jurisdiktionskonflikte zu vermeiden, denn es macht offenkundig

keinen Sinn, ein Unternehmen wegen derselben strukturellen Verfehlung in

einer Vielzahl von Ländern und damit in der Summe unverhältnismäßig zu

sanktionieren. Überdies ist es auch verfassungsrechtlich problematisch, dass

ein Unternehmen wegen ein und desselben Rechtsverstoßes mit mehreren

Strafen belegt wird. Schließlich bedarf es auch eines Verfahrens und einer

Regelung für die zwischenstaatliche Aufteilung des von einem Staat

abgeschöpften Mehrerlöses aus der Straftat. Denn weder sollte der Mehrerlös

bei dem Staat verbleiben, der als erstes sein Rechtsverfahren gegen das

Unternehmen abgeschlossen und die Abschöpfung betrieben hat, noch ist es

(verfassungsrechtlich) legitimierbar, wenn der Mehrerlös kumulativ von

mehreren Staaten abgeschöpft wird.

Könnte Deutschland Verhandlungen auf Ebene der G7 oder G20 zu diesen

Fragen anstoßen, hätte es die Krise seines größten Konzerns als Chance

genutzt.

Der Verf. ist geschäftsführender Direktor des Instituts für Strafrecht und

Strafprozessrecht der Universität zu Köln, berät u.a. internationale

19 CDU/CSU/SPD, Deutschlands Zukunft gestalten, 2013, S. 103.

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Organisationen zu Antikorruptionsfragen und ist Sprecher der Kölner

Forschungsgruppe „Anwendungsfragen eines Verbandsstrafrechts“. – Eine

kürzere Fassung ist erschienen in ZEIT-ONLINE v. 13.10.2015.