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Thomas Raithel „Kommt bald nach …“ Auswanderung aus Bayern nach Amerika 1683 2003 So bedeutsam eine Auswanderung im Leben eines einzelnen Menschen auch ist ř, in einer breiteren Per- spektive gehɆren Wanderungsbewegungen zur his- torischen NormalitȨt. Die deutsche und bayerische Auswanderung nach Amerika ist daher immer als Teil einer vielfȨltigen Migrationsgeschichte zu verstehen. 1 ErwȨhnt seien nur drei weitere große Fernwanderun- gen der letzten Jahrhunderte: Vom spȨten 17. bis ins frɒhe 19.Jahrhundert zog es zahlreiche Deutsche nach Ost- und Sɒdosteuropa. Im spȨten 19. und frɒhen 20. Jahrhundert wanderten Hunderttausende meist polnischsprachiger Menschen aus dem Ɇstlichen Preußen in die Industriegebiete des deutschen Wes- tens. Und die Sɒd-Nord-Wanderung aus dem mediter- ranen Raum hat die Bundesrepublik seit den 1960er- Jahren de facto zu einem Einwanderungsland gemacht. Die Auswanderung nach Amerika aus den histori- schen und gegenwȨrtigen Regionen Bayerns lȨsst sich nur in engem Bezug zum allgemeinen PhȨnomen der deutschen Amerikawanderung darstellen. 2 Dies liegt zum einen daran, dass die bayerische Migrations- geschichte noch bei weitem nicht hinreichend erforscht ist. 3 Es gibt teilweise erhebliche Defizite in der regio- nalgeschichtlichen Forschung und vor allem mangelt es an Synthesen. Zum anderen stand die regionale Aus- wanderung stets in einem nationalen Kontext und ist ohne die Kenntnis der nationalen Entwicklungen nicht verstȨndlich. Umgekehrt bietet der vergleichende Blick auf RȨume, die in ganz unterschiedlichem Maße von der Auswanderung nach Amerika erfasst wurden, auch grundsȨtzliche Aufschlɒsse fɒr die deutsche Wan- derungsgeschichte. So war die Pfalz lange Zeit die wichtigste deutsche Auswanderungsregion, wȨhrend aus Schwaben, der Oberpfalz und vor allem aus Ober- und Niederbayern nur relativ wenige Menschen nach Amerika aufbrachen. In einem breiten Zwischenbereich stehen Unter-, Ober- und Mittelfranken. Auf diese Un- terschiede wird noch mehrfach zurɒckzukommen sein. Entwicklung der deutschen und bayerischen Amerikawanderung Als Beginn der deutschen Amerikawanderung gilt ge- meinhin das Jahr 1683. 4 Nach einer Deutschlandreise des QuȨkerfɒhrers William Penn, der fɒr die Ansiedlung in „seiner“ , ihm 1681 von der englischen Krone ɒber- tragenen Kolonie geworben hatte, wanderten 13 Men- noniten- und QuȨkerfamilien aus Krefeld nach Penn- sylvania aus und grɒndeten nahe Philadelphia den Ort Germantown. Als Anfɒhrer agierte der aus dem frȨnki- schen Sommerhausen am Main stammende Franz Daniel Pastorius (1651ř1719/20). Eine stȨrkere Ame- rikawanderung setzte in Deutsch-land erst zu Beginn des 18.Jahrhunderts ein. Den wichtigsten Herkunfts- raum bildete die ř damals noch nicht bayerische ř Kurpfalz. Seit dem DreißigjȨhrigen Krieg herrschte hier ein hohes Maß an politisch-militȨrischer und gesell- schaftlicher InstabilitȨt. Besonders schwerwiegend waren die Verwɒstungen, die von franzɆsischen Trup- pen im PfȨlzischen Erbfolgekrieg (1688ř1697) ange- richtet wurden. Zudem hatte die Pfalz zahlreiche Ein- wanderer aus Glaubensgrɒnden aufgenommen, die dann ein Potenzial der Auswanderungsbewegung dar- stellten. Auch der Ende des 17. Jahrhunderts vollzogene Ƞbergang an die katholische Fɒrstenlinie Pfalz-Neuburg spielte dabei eine Rolle. AuslɆser aber war der harte Winter von 1708/09, der besonders dem Wein- und StȨdte, Menschen, Landschaften in den Vereinigten Staaten, um 1900, unbekannterFotograf (Kat.-Nr.7.11) 23

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Thomas Raithel

„Kommt bald nach …“ � Auswanderung aus Bayern

nach Amerika 1683�2003

So bedeutsam eine Auswanderung im Leben eineseinzelnen Menschen auch ist �, in einer breiteren Per-spektive geh�ren Wanderungsbewegungen zur his-torischen Normalit�t. Die deutsche und bayerischeAuswanderung nach Amerika ist daher immer als Teileiner vielf�ltigen Migrationsgeschichte zu verstehen.1

Erw�hnt seien nur drei weitere große Fernwanderun-gen der letzten Jahrhunderte: Vom sp�ten 17. bis insfr�he 19. Jahrhundert zog es zahlreiche Deutsche nachOst- und S�dosteuropa. Im sp�ten 19. und fr�hen20. Jahrhundert wanderten Hunderttausende meistpolnischsprachiger Menschen aus dem �stlichenPreußen in die Industriegebiete des deutschen Wes-tens. Und die S�d-Nord-Wanderung aus dem mediter-ranen Raum hat die Bundesrepublik seit den 1960er-Jahren de facto zu einem Einwanderungsland gemacht.

Die Auswanderung nach Amerika aus den histori-schen und gegenw�rtigen Regionen Bayerns l�sst sichnur in engem Bezug zum allgemeinen Ph�nomen derdeutschen Amerikawanderung darstellen.2 Dies liegtzum einen daran, dass die bayerische Migrations-geschichte noch bei weitem nicht hinreichend erforschtist.3 Es gibt teilweise erhebliche Defizite in der regio-nalgeschichtlichen Forschung und vor allemmangelt esan Synthesen. Zum anderen stand die regionale Aus-wanderung stets in einem nationalen Kontext und istohne die Kenntnis der nationalen Entwicklungen nichtverst�ndlich. Umgekehrt bietet der vergleichende Blickauf R�ume, die in ganz unterschiedlichem Maße vonder Auswanderung nach Amerika erfasst wurden, auchgrunds�tzliche Aufschl�sse f�r die deutsche Wan-derungsgeschichte. So war die Pfalz lange Zeit diewichtigste deutsche Auswanderungsregion, w�hrend

aus Schwaben, der Oberpfalz und vor allem aus Ober-und Niederbayern nur relativ wenige Menschen nachAmerika aufbrachen. In einem breiten Zwischenbereichstehen Unter-, Ober- und Mittelfranken. Auf diese Un-terschiede wird noch mehrfach zur�ckzukommen sein.

Entwicklung der deutschen und bayerischen

Amerikawanderung

Als Beginn der deutschen Amerikawanderung gilt ge-meinhin das Jahr 1683.4 Nach einer Deutschlandreisedes Qu�kerf�hrersWilliam Penn, der f�r die Ansiedlungin „seiner“, ihm 1681 von der englischen Krone �ber-tragenen Kolonie geworben hatte, wanderten 13 Men-noniten- und Qu�kerfamilien aus Krefeld nach Penn-sylvania aus und gr�ndeten nahe Philadelphia den OrtGermantown. Als Anf�hrer agierte der aus dem fr�nki-schen Sommerhausen am Main stammende FranzDaniel Pastorius (1651�1719/20). Eine st�rkere Ame-rikawanderung setzte in Deutsch-land erst zu Beginndes 18. Jahrhunderts ein. Den wichtigsten Herkunfts-raum bildete die � damals noch nicht bayerische �Kurpfalz. Seit dem Dreißigj�hrigen Krieg herrschte hierein hohes Maß an politisch-milit�rischer und gesell-schaftlicher Instabilit�t. Besonders schwerwiegendwaren die Verw�stungen, die von franz�sischen Trup-pen im Pf�lzischen Erbfolgekrieg (1688�1697) ange-richtet wurden. Zudem hatte die Pfalz zahlreiche Ein-wanderer aus Glaubensgr�nden aufgenommen, diedann ein Potenzial der Auswanderungsbewegung dar-stellten. Auch der Ende des 17. Jahrhunderts vollzogene�bergang an die katholische F�rstenlinie Pfalz-Neuburgspielte dabei eine Rolle. Ausl�ser aber war der harteWinter von 1708/09, der besonders dem Wein- und

St�dte, Menschen, Landschaften in den Vereinigten Staaten, um 1900, unbekannter Fotograf (Kat.-Nr. 7.11)

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Obstbau schwer zusetzte. In den folgenden Jahrenwanderten tausende Pf�lzer nach Nordamerika aus. Siebildeten gleichsam die Vorhut der seit 1720 umfang-reicher werdenden Abwanderung aus dem s�dwest-deutschen Raum. Neben der Pfalz waren vor allemBaden, Teile W�rttembergs und Frankens sowie dasbenachbarte Elsass und die Schweiz betroffen. StarkenAnteil hatten protestantische Sekten, insbesondere dieMennoniten. Es zog aber auch zahlreiche Lutheranerund Reformierte nach Nordamerika, wenngleich weni-ger aus religi�sen denn aus �konomischen Motiven.

Die pf�lzische Auswanderung war in der Fr�hzeitso dominant, dass der Begriff „Palatines“ in Nord-amerika zum Synonym f�r alle deutschsprachigen Ein-wanderer wurde. Die bis weit ins 19. Jahrhundert an-haltende Bedeutung S�dwestdeutschlands und vorallem der Pfalz f�r die deutsche Amerikawanderunghatte eine ganze Reihe tieferer Ursachen. Neben deneben skizzierten pf�lzischen Ausgangsbedingungenseien hier drei grundlegende Faktoren angef�hrt:

Zun�chst ist auf die verkehrsgeografische Lage zuverweisen. Der S�dwestdeutschland durchfließendeRhein bildete bis zum Beginn des Eisenbahnzeitaltersden wichtigsten Verkehrs- und KommunikationswegDeutschlands. �ber Rheinschiffe gelangten die Aus-wanderer in die H�fen Antwerpen und Rotterdam, wobis in die erste H�lfte des 19. Jahrhunderts die meistendeutschen Amerikawanderer die beschwerliche �ber-fahrt antraten. Von S�dwestdeutschland aus war eszudem nicht weit nach Le Havre, den großen franz�si-schen �berseehafen.

Eine klassisch gewordene Erkl�rung zielt auf dielandwirtschaftlichen Besitz- und Erbverh�ltnisse. Inweiten Teilen S�dwestdeutschlands wurde die Real-

teilung praktiziert, das heißt die Aufteilung des Besitzesunter allen Erbberechtigten. Auf diese Weise wurdedas Bev�lkerungswachstum gef�rdert, weil sich dieHofstellen und damit auch die Zahl der Eheschließun-gen erh�hten. Gleichzeitig entstanden aber viele un-rentable Kleinbetriebe, die oft am Existenzminimumlebten. Traditionell gab es in den Gebieten der Real-teilung eine hohe Mobilit�t der Bev�lkerung. Der dritteErkl�rungsfaktor bezieht sich auf eine allgemeine Er-kenntnis der neueren Migrationsforschung: Es gibt soetwas wie eine sich selbst fortsetzende Wirkung vonAuswandererstr�men. Weil aus S�dwestdeutschlandschon seit dem fr�hen 18. Jahrhundert eine lebhafteAuswanderung nach Amerika erfolgte, entwickeltensich hier zahlreiche transatlantische Kontakte, waswiederum intensive regionale und lokale Auswande-rungstraditionen entstehen ließ.

Gebremst wurde die Amerikawanderung, die um1750 einen relativen H�hepunkt erreichte, in derzweiten Jahrhunderth�lfte durch kriegerische Ereignis-se. Zun�chst hatten der englisch-franz�sische Konfliktin Nordamerika (1754�1763) sowie dessen europ�i-sches bzw. deutsches Pendant, der Siebenj�hrige Krieg(1756�1763), abschreckende Wirkung. Dies wieder-holte sich w�hrend des nordamerikanischen Unab-h�ngigkeitskrieges (1775�1783). Gleichzeitig brachtedieser Konflikt aber auch eine spezifische Einwan-derergruppe nach Amerika. Vermutlich sind einigeTausend der von deutschen F�rsten in englischeDienste gestellten Soldaten � darunter auch ans-bachisch-bayreuthische Truppen � in den VereinigtenStaaten geblieben.5

Vom Umfang her hielt sich die deutsche Amerika-wanderung im 18. Jahrhundert in engen Grenzen. Ge-

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„Es ist halt viel mehr Freiheit hier. (1907)“

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naue Zahlen liegen mangels zeitgen�ssischer Statisti-ken nicht vor, die Gesamtsumme betrug nach Sch�t-zungen wohl kaum �ber 130 000 Personen. Auch wenndies im Vergleich zu kontinentalen Wanderungsbewe-gungen und zur sp�teren Massenauswanderung nachAmerika gering erscheint, waren die Deutschen damitim 18. Jahrhundert die wichtigste nicht englischspra-chige Einwanderergruppe in Nordamerika.

Ende des 18. und zu Beginn des 19. Jahrhundertskam die deutsche Amerikawanderung infolge der Re-volutions- und der napoleonischen Kriege zeitweisezum Erliegen. Eine erste kleine Auswanderungswelle

nach der Neuordnung Europas auf dem Wiener Kon-gress (1814/15) bildete sich infolge der Hungerkrise von1816/17. In den 1830er-Jahren erfolgte dann eine mar-kante Steigerung und gleichzeitig gewann die Bewe-gung in Deutschland an regionalerBreite. In bayerischerPerspektive heißt das, dass nun auch Franken und vorallem Unterfranken stark erfasst wurde. In Schwabenund Altbayern blieben die Zahlen hingegen minimal.6

Die deutsche �berseewanderung richtete sich im19. Jahrhundert zu etwa 90 Prozent in die VereinigtenStaaten7, wo die Deutschen neben den Iren die wich-tigste Zuwanderernation stellten. Bis Ende des Jahr-

Deutsche Einwanderung in die Vereinigten Staaten seit 1820(aus Adams, Willi Paul: Deutsche im Schmelztiegel der USA: Erfahrungen im gr�ßtenEinwanderungsland der Europ�er, 3. Aufl. Berlin 1994, S. 5, Grafik: H.-J. K�mmer)

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hunderts sind �ber f�nf Millionen Deutsche in die Ver-einigten Staaten �bergesiedelt, darunter mehrereHunderttausend aus dem K�nigreich Bayern. Beg�ns-tigt wurde die enorme Steigerung durch die beschleu-nigten, verbilligten und weniger risikoreichen Reise-m�glichkeiten per Eisenbahn und Dampfschiff, durchdie beiderseits des Atlantiks relativ liberalen Aus- undEinwanderungsbedingungen bzw. in Deutschland auchdurch die leicht zu bewerkstelligende heimliche Aus-wanderung.

Die große Wanderungsbewegung nach Amerikaverlief auf nationaler wie auf bayerischer Ebene nichtgleichf�rmig, sondern in Form ausgepr�gter Wellen8:Die erste Welle umfasste etwa die Jahre 1846 bis 1857.Die US-Beh�rden verzeichneten in dieser Phase �ber1,1 Millionen Einwanderer aus Deutschland, ein Spit-zenwert von �ber 200 000 wurde 1854 erreicht. AuchBayern hatte an dieser Bewegung erheblichen Anteil:Insgesamt stammten in jenen Jahren nach der amtli-chen bayerischen Statistik �ber 140 000, das sind etwa13 Prozent, aus dem K�nigreich, hiervon wiederumetwa 45 Prozent aus der Pfalz, 17 Prozent aus Unter-franken, 15 Prozent aus Oberfranken, 9 Prozent ausMittelfranken, 5 Prozent aus der Oberpfalz, 4 Prozentaus Schwaben, 3 Prozent aus Niederbayern und 2 Pro-zent aus Oberbayern.9 Als tiefere sozio�konomischeUrsachen des Auswanderungsbooms lassen sich dasstarke Bev�lkerungswachstum der zur�ckliegendenJahrzehnte sowie die mit der Freisetzung von Arbeits-kr�ften verbundene Liberalisierung der l�ndlichen Welterkennen. Die in Deutschland nur langsam einsetzendeIndustrialisierung war noch nicht stark genug, um dieMasse unzureichend Besch�ftigter aufzunehmen undden verbreiteten Pauperismus zu �berwinden. Als Aus-

l�ser der Massenwanderung wirkte dann die Hunger-krise von 1846/47, die letzte große vor-industrielle Krisein Deutschland. Durch das Scheitern der Revolutionvon 1848/49 erfolgte auch ein gewisser politischer Im-puls. Obgleich man die Zahl der ausgewanderten Re-volution�re nicht �bersch�tzen darf � es handelte sichallenfalls um einige Tausend �, d�rfte der Verlauf derEreignisse doch die Bereitschaft zur Auswanderunggesteigert haben. F�r manchen mischte sich das gras-sierende „Auswanderungsfieber“ auch mit einem„Goldrausch“, denn die kalifornischen Goldfunde jenerJahre stellten einen zus�tzlichen Anreiz dar.

Nach dem Abklingen der ersten großen Auswan-derungsbewegung und nach einem starken R�ck-gang w�hrend des nordamerikanischen B�rgerkriegs(1861�1865) begannen die Zahlen Mitte der 1860er-Jahre erneut zu steigen. Die zweite, nicht ganz so hoheWelle dauerte knapp zehn Jahre lang. WirtschaftlicheStrukturprobleme in Deutschland spielten weiterhineine Rolle, aber auch die Anziehungskraft des indus-triellen Arbeitsmarktes in den Vereinigten Staatenwurde nun immer wichtiger. Die zweite Auswande-rungswelle endete Anfang der 1870er-Jahre mit demEinsetzen einer großen atlantischen Wirtschaftskrise.

Bald aber stieg die Auswanderungskurve erneutsteil an. Die dritte und gr�ßte Welle des 19. Jahrhun-derts dauerte von 1880 bis in die fr�hen 1890er-Jahre.Entscheidend war nun die Attraktivit�t des amerikani-schen Arbeitsmarktes. Allein in diesem Zeitraum ver-ließen etwa 1,8 Millionen Deutsche ihre Heimat Rich-tung Vereinigte Staaten. Davon stammten mindestens170 000, also knapp zehn Prozent aus Bayern. EinSpitzenwert wurde im Jahr 1882 erreicht, als etwa250 000 Deutsche � darunter mindestens 18 000 Bay-

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„Wir haben eine sehr feine Kost dieses ist wahr kein drokenes Brod. (1882)“

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ern � auswanderten. Der r�umliche Schwerpunkt derAuswanderung hatte sich inzwischen von S�dwest-deutschland in das �stliche Preußen verschoben undauch innerhalb Bayerns hatte der pf�lzische Anteil �nach den amtlichen Zahlen noch knapp 20 Prozent �etwas von seiner Dominanz verloren.10 Seit Mitte der1890er-Jahre lagen die Zahlen der deutschen Amerika-wanderung deutlich niedriger, im Durchschnitt bei etwa30 000 pro Jahr, davon etwa 2000 bis 3 000 aus Bayern.Der Erste Weltkrieg sorgte dann f�r eine mehrj�hrigeUnterbrechung.

Entscheidend f�r das Abflauen der Massenaus-wanderung war, dass Ende des 19. Jahrhunderts auchdie deutsche Industrialisierung einen hohen Arbeits-kr�ftebedarf entfaltete. Statt in die Vereinigten Staaten,wo der Zustrom s�d- und osteurop�ischer Einwandererimmer st�rker wurde, richtete sich die Migration ausl�ndlichen Regionen Deutschlands nun ins Ruhrgebietoder in andere deutsche Industriezentren. So zog espotenzielle Auswanderer aus der Pfalz in expandie-rende St�dte wie Ludwigshafen oder Pirmasens undaus den l�ndlichen Gebieten Frankens und der Ober-pfalz wanderten viele Menschen nach N�rnberg undF�rth ab.

An dieser Stelle sei ein genauerer Blick auf die in-nerbayerischen Differenzen geworfen. Die bereitsskizzierten Unterschiede zwischen den Regierungs-bezirken hatten, sieht man von der Minderung derpf�lzischen Ausnahmestellung ab, in der Grundtendenzdas gesamte 19. Jahrhundert �berBestand.11 Der heutef�r das Deutschlandbild in den Vereinigten Staaten sohohe Stellenwert bayerischer bzw. altbayerischer Folk-lore h�ngt also keineswegs mit realen Auswanderungs-traditionen zusammen. DieWurzeln dieses Ph�nomens

sind vermutlich recht jung und reichen vor allem in dieBesatzungszeit nach dem Zweiten Weltkrieg zur�ck.Eine befriedigende Analyse der geringen s�dbayeri-schen Neigung zur Amerikawanderung steht in derForschung immer noch aus. Auffallend ist, dass die alsFaktoren einer anhaltend starken s�dwestdeutschenAuswanderung genannten Erkl�rungen, die tendenziellauch auf Teile Frankens zutreffen, gleichsam unter um-gekehrten Vorzeichen auf Ober- und Niederbayern be-zogen werden k�nnen. Vor Anbruch des Eisenbahnzeit-alters bestand hier eine relative verkehrsgeografischeAbgelegenheit, es herrschte �berwiegend Anerben-recht, das Heiratsalter war relativ hoch und die Bev�l-kerungsdichte vergleichsweise gering.12 Wenn im18. Jahrhundert aus dem weitgehend katholischenS�dbayern ausgewandert wurde, dann � oft �ber dieDonau � eher in das �sterreichisch-ungarische S�d-osteuropa. Zudem scheinen Auswanderungsrestrik-tionen mehr Wirkungskraft als in anderen Regionenbesessen zu haben.13

Erhebliche Unterschiede zeigten sich im 19. Jahr-hundert auch innerhalb der bayerischen Regierungs-bezirke. So gab es in Oberfranken Bezirks�mter, diesehr stark von der Wanderungsbewegung erfasstwaren � allein aus dem Amt Ebermannstadt kamenknapp zehn Prozent der oberfr�nkischen Amerikawan-derer �, w�hrend andere nur geringe Werte aufwie-sen.14 Selbst im altbayerischen Raum bildeten sichkleine Migrationszentren aus wie zum Beispiel dieRodungsd�rfer des Passauer Abteilandes im Bayeri-schen Wald.15

Nicht jeder Auswanderer nach Amerika ist dortzeitlebens geblieben. Manche kehrten schon nachwenigen Jahren wieder zur�ck, manche auch erst nach

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Jahrzehnten. In der Forschung wurde diese R�ckwan-derung lange Zeit wenig beachtet; aus bayerischerSicht gibt es nur f�r die Pfalz eine genauere Analyse.16

Einigermaßen zuverl�ssige Sch�tzungen von R�ck-wanderungsquoten lassen sich erst f�r den Beginn des20. Jahrhunderts durchf�hren; ein Wert von 15 bis 20Prozent scheint hier auf nationaler Ebene realistisch.Allerdings lagen die Zahlen bis weit ins 19. Jahrhunderterheblich niedriger. So kam � abgesehen von der Zeitdes nordamerikanischen B�rgerkriegs � der Anteilpf�lzischer R�ckwanderer bis 1870 kaum �ber ein biszwei Prozent hinaus.17 Die sp�tere Steigerung warFolge der vorherigen Massenabwanderung, der ver-schlechterten Bedingungen in den Vereinigten Staaten,aber auch der verbesserten Reisem�glichkeiten. Diekonkreten Motive waren vielf�ltig: Wirtschaftskrisen inden Vereinigten Staaten, Eingew�hnungsprobleme,Heimweh oder auch � im Falle des erfolgreichenR�ckkehrers � die Absicht, den erworbenenWohlstandnun in der alten Heimat zur Geltung zu bringen.

In den ersten Jahren der Weimarer Republik bliebdie Auswanderung nach Amerika zun�chst schwach.18

1923 erreichte sie aber wieder eine relative Spitze von�ber 110 000 Personen. Hiervon stammten nach denamtlichen Zahlen rund 16 000 aus Bayern, wo die Pfalzinzwischen ihre Sonderstellung als Auswanderungs-region weitgehend verloren hatte.19 Wichtigster Anlassdieser kurzzeitigen Steigerung war die 1922/23 inDeutschland herrschende Hyperinflation. Neben denVereinigten Staaten, in denen sich ein restriktiveresKlima gegen�ber Einwanderern durchsetzte, gewan-nen nun auch andere Ziell�nder � zun�chst vor allemBrasilien und Argentinien, dann auch Kanada � erheb-liche, wenn auch stark schwankende Bedeutung. Im

weiteren Verlauf der 1920er-Jahre bewegte sich diedeutsche Auswanderung bei j�hrlich etwa 50 000 bis60 000 Menschen, von denen im Durchschnitt rund75 Prozent in die Vereinigten Staaten gingen. Diebayerische Auswanderungsintensit�t blieb in der ge-samten Weimarer Zeit �ber dem Reichsdurchschnitt.Infolge der Weltwirtschaftskrise sank die �bersee-wanderung allerdings Anfang der 1930er-Jahre stark ab.

W�hrend der nationalsozialistischen Herrschaftstand auch die bayerische Auswanderung im Zeicheneiner durch Diktatur und Verfolgung erzwungenenEmigration. Die USA waren vor allem seit den sp�ten1930er-Jahren, als weite Teile Europas vom NS-Regimebeherrscht oder bedroht wurden, das wichtigste Auf-nahmeland f�r politisch Verfolgte, f�r namhafte Wis-senschaftler und K�nstler und insbesondere f�r zahl-reiche deutsche Juden.

Abgesehen von Sonderf�llen wie der Aufnahme vonVerfolgten des NS-Regimes und von Verwandtenamerikanischer Staatsb�rger ließen die VereinigtenStaaten nach Kriegsende erst ab 1948 wieder eine(west- bzw. bundes-)deutsche Einwanderung zu.20 DieZahlen stiegen bis 1952 auf einen Spitzenwert von �ber50 000 deutschen Auswanderern.21 Der Anteil desFreistaats Bayern, dem die Pfalz nun nicht mehr ange-h�rte, lag bei �ber 11000, darunter mehr als 6 000Fl�chtlinge und Heimatvertriebene aus den ehemaligendeutschen Ostgebieten.22 Diese starke Abwanderungspiegelt auch die wirtschaftlichen, gesellschaftlichenund mentalen Unsicherheiten in den ersten Jahren derBundesrepublik wider. Bis Anfang der 1960er-Jahrelagen die j�hrlichen Fortz�ge von Deutschen in dieVereinigten Staaten im Bundesdurchschnitt noch beietwa 30 000, um dann � auch bedingt durch neue US-

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„Deine Mutter diese war ihre gr�ste Kimmernuß das du in Amerikaals wildling lebst und deinen Standes Pflichten als Christ nicht nach komst. (1887)“

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amerikanische Einwanderungsbestimmungen � deut-lich zur�ckzugehen. Auch die Auswanderung nach Ka-nada stand in den 1950er-Jahren auf einem hohen Ni-veau (insgesamt �ber 200 000), fiel dann aber stark ab.Inzwischen � nach der Vereinigung mit der DDR � hatsich die deutsche Auswanderung in die USA bei etwa10 000 bis 15 000 Personen eingependelt, der relativhoch liegende bayerische Anteil bei etwa 3000. F�r dieBundesrepublik und auch f�r Bayern sind die Vereinig-ten Staaten damit weit vor Kanada, Australien undBrasilien das wichtigste Einwanderungsland.23

Allerdings ist fraglich geworden, ob die Begriffe„Ein-“ und „Auswanderung“ �berhaupt noch ange-messen sind. Angesichts der transatlantischen Mobili-t�t und der intensiven wirtschaftlichen Verflechtungmuss h�ufig eher von einer Zeitwanderung die Redesein, vor allem wenn von Anfang an nur ein be-schr�nkter Arbeits- oder Studienaufenthalt geplant ist.Es verwundert daher nicht, dass die Zuz�ge vonDeutschen aus den Vereinigten Staaten auf nationalerwie auf bayerischer Ebene in den letzten Jahrzehntenzahlenm�ßig relativ nahe an die Fortz�ge heranrei-chen.24

Sozialprofil der Auswanderer

Soziale Schichtung, Beruf, Alter und Geschlecht derAuswanderer sowie die unterschiedlichen Wande-rungsformen � Einzel-, Familien- oder Gruppenwan-derung � spiegelten �ber die Jahrhunderte hinweg inspezifischer Weise die gesellschaftlichen Verh�ltnissedes Herkunftslandes wider. Eine knappe Darstellungkann hier nur einige Schlaglichter setzen.

Dass der gr�ßte Teil der deutschen und auch baye-rischen Auswanderer im 18. und 19. Jahrhundert der

Unterschicht und der unteren Mittelschicht angeh�rte,darf trotz fehlender Gesamtstatistiken als sehr wahr-scheinlich gelten. Regional hat es allerdings offenbardurchaus unterschiedliche Akzente gegeben. So wan-derten aus Bayerisch-Schwaben Mitte des 19. Jahr-hunderts auch viele gut situierte Personen aus.25 Vonden Berufsgruppen her handelte es sich zun�chst meistum Landwirte oder unselbstst�ndige agrarische Be-dienstete sowie um Handwerker, insbesondere inBranchen, die schon fr�h vom wachsenden Maschi-neneinsatz betroffen waren, wie etwa Weber undTuchmacher. Im Verlauf des sp�teren 19. Jahrhundertswanderten immer h�ufiger auch Industriearbeiter aus.Eine Studie zu Oberfranken stellt beispielsweise fest,dass von 1830 bis 1870 41 Prozent der ermitteltenm�nnlichen Migranten landwirtschaftliche T�tigkeitenaus�bten und 30 Prozent aus dem Textil- und Beklei-dungshandwerk stammten. Im Zeitraum von 1871 bis1900 reduzierten sich die entsprechenden Zahlen auf22 bzw. 24 Prozent, w�hrend sich der Anteil andererHandwerke sowie derjenige von „Hilfsberufen“ � da-runter auch Fabrikarbeiter � erh�hte.26 Angemerkt sei,dass sich mit dem allm�hlichen Bedeutungsverlust derlandwirtschaftlichen Herkunft auch die �konomischeZielsetzung der Auswanderung ver�nderte. Etwas ver-einfacht l�sst sich dies als Wandel von der agrarischenSiedlungs- hin zur industriellen Arbeitswanderung be-schreiben. Damit verbunden war auch eine gewisseSchwerpunktverlagerung von der Gruppen- oder Fami-lienwanderung hin zur Einzelwanderung.

Hinsichtlich der Auswanderung aus der Unter-schicht ist eine wichtige Einschr�nkung zu machen.Im 18. Jahrhundert bezahlten Mittellose ihre �berfahrth�ufig durch Abschluss eines Vertrags, der sie zu Ar-

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beiten in Nordamerika verpflichtete. Nachdem diesesso genannte Redemptioner-System im fr�hen 19. Jahr-hundert zusammengebrochen war, konnten die �rms-ten in der Regel nicht mehr aus eigener Kraft auswan-dern, da ihnen die Mittel f�r die �berfahrt und f�r dash�ufig nachzuweisende Mindestverm�gen fehlten.Nur selten gab es Ausnahmen, etwa wenn die Ge-meinde einsprang, um einzelnen Armen in der Hoff-nung auf eine sp�tere Entlastung der kommunalenKasse die Auswanderung nach Amerika zu subven-tionieren.

Der Großteil der Auswanderer wurde von j�ngerenErwachsenen gestellt. Unter den oberfr�nkischen Mig-ranten lag beispielsweise in den Jahren von 1844 bis1871 die Altersgruppe der 16- bis 40-J�hrigen im Durch-schnitt bei 64 Prozent. Kinder und Jugendliche bis16 Jahre, die zusammenmit ihren Eltern auswanderten,machten etwa 25 Prozent aus; nur 11 Prozent der Aus-wanderer waren �lter als 40 Jahre.27

Bis weit ins 20. Jahrhundert gab es unter den Aus-wanderern in der Regel mehr M�nner als Frauen, diezun�chst �berwiegend auf die Gruppen- und Familien-wanderung beschr�nkt waren.28 Im Lauf des 19. Jahr-hunderts wurde aber auch bei Frauen die individuelleWanderung immer h�ufiger; nicht selten wagten sogarledige M�tter zusammen mit ihren Kindern die großeReise. F�r Bayern l�sst sich der amtlich registriertem�nnliche Anteil an der �berseeischen Auswanderungim Zeitraum von 1871 bis 1913 auf etwa 58 Prozentberechnen.29

Zur Zeit derWeimarer Republik unterschied sich dasSozialprofil der deutschen Amerikawanderer noch nichtgrunds�tzlich von den Strukturen vor 1914.30 Auch derTrend zur Einzelwanderung setzte sich fort. Die Zahl der

Auswanderer aus der Landwirtschaft nahm weiter ab,w�hrend � neben der industriellen Herkunft � jetzt derDienstleistungsbereich immer wichtiger wurde.

Abgesehen von den besonderen Strukturen derAmerika-Emigration w�hrend der NS-Zeit, kam es erstin der Bundesrepublik zu deutlichen Ver�nderungen imSozialprofil derMigranten.31 Auffallend ist zun�chst der�ber Jahrzehnte anhaltende hohe Anteil weiblicherAus-wanderer mit Spitzenwerten �ber 70 Prozent. Hierschl�gt sich vor allem die starke amerikanische Trup-penpr�senz in S�ddeutschland und insbesondere auchin Bayern nieder. Zahlreiche „Soldatenbr�ute“ folgtenihren M�nnern in die Vereinigten Staaten. ErheblicheAuswirkungen auf die Zusammensetzung der Aus-wanderer hatten dann die seit 1965 geltenden, sehrrestriktiven US-amerikanischen Einwanderungsvor-schriften. Außer f�r Familienangeh�rige von US-B�r-gern und f�rPersonenmit speziellen, in den VereinigtenStaaten gesuchten Qualifikationen war und ist dieEinwanderung nun kaum noch m�glich.

Motive und Ursachen der Auswanderung

Wesentliche Motive und Ursachen der Amerikawan-derung sind bereits mehrfach angesprochen worden.Eine genauere Betrachtung zeigt freilich ein weitausbreiteres und vielf�ltigeres Bild, das hier nur in seinenGrundlinien skizziert werden kann. Dabei ist zun�chstauf die klassische Unterscheidung von Push- und Pull-Faktoren zu verweisen: Erstere bewegen die Men-schen zum Verlassen der Heimat, letztere machen dasZielland f�r den Auswanderer attraktiv. Allerdings darfdiese Unterscheidung nicht zu schematisch gehand-habt werden. In der Realit�t waren beide Faktorenimmer eng verbunden. Im Folgenden soll daher von

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„Gewies er kan mehr verdinen in diesen Land als in Deutschland. (1884)“

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verschiedenen Motiv- und Ursachenfeldern ausgegan-gen werden, in denen sich „herausdr�ngende“ und„anziehende“ Kr�fte jeweils �berlagerten und ver-st�rkten.

Religi�se Motive spielten vor allem in der Fr�hzeitder Amerikawanderung eine Rolle. Zum einen gabenreligi�s motivierte Auswanderungen eine Art Initial-z�ndung, zum anderen gingen religi�se Motive in einenbreiteren Zusammenhang von Auswanderungsursa-chen ein. Bei der Gewichtung von Push- und Pull-Fak-toren sind die religi�sen Freir�ume, die sich in denbritischen Kolonien Nordamerikas �ffneten, ebenso vonBedeutung wie die religionspolitischen Kontexte inDeutschland. So hatte der Westf�lische Frieden von1648 nur drei Konfessionen offiziell anerkannt � Ka-tholiken, Lutheraner, Reformierte � und ließ daherwenig Raum f�r die diversen protestantischen Sekten.Zudem ist auf das oftmals konfliktreiche Neben- undGegeneinander der Konfessionen zu verweisen, das inDeutschland auf vielf�ltige Weise herrschte.

Wenngleich die neuere Forschung vor einer �ber-sch�tzung des religi�sen Faktors warnt, sollte er �dies zeigt gerade der Blick nach Bayern � auch f�r das19. Jahrhundert nicht ganz aus den Augen verlorenwerden. Beispielsweise f�llt w�hrend des statistischgut belegten Zeitraums von 1846 bis 1852 der relativhohe Anteil an lutherischen und mennonitischen Aus-wanderern aus Oberbayern auf. Die ausgepr�gt katho-lische Kirchenpolitik Ludwigs I. scheint hierbei durch-aus von Bedeutung gewesen zu sein.32 Quantitativunerheblich, in Einzelf�llen aber folgenreich war einemissionarisch motivierte Auswanderung. Erw�hnens-wert sind hier f�r Bayern vor allem die T�tigkeit deskatholischen „Ludwig-Missionsvereins“ sowie die

F�rderung einer evangelischen Amerikawanderungdurch Wilhelm L�he. Dessen Aktivit�ten f�hrten unteranderem zur Gr�ndung der Siedlung Frankenmuth inMichigan � heute ein touristisches Zentrum bajuwari-sierter Bierkultur.33

Religi�se Hintergr�nde waren im 19. Jahrhundertindirekt auch f�r die j�dische Auswanderung von Be-deutung.34 Die bayerischen Herkunftsregionen Schwa-ben, Pfalz und vor allem Franken besaßen hierbei auchim nationalen Maßstab erheblichen Anteil. Die prek�resozio�konomische Stellung des Landjudentums trugdazu ebenso bei wie die Ambivalenz der bayerischenEmanzipationspolitik, die z�h an Restriktionen und Be-nachteiligungen festhielt. J�ngere Juden wurden ins-besondere durch das Matrikelgesetz, das die Zahl derj�dischen Familien an einem Ort begrenzte, in die Ab-wanderung getrieben. Bis 1871, als mit dem Beitrittzum Deutschen Reich auch in Bayern die rechtlicheGleichstellung der Juden abgeschlossen wurde, sollennach Sch�tzungen etwa 20 000 bis 25 000 bayerischeJuden nach Amerika ausgewandert sein. Darunter warauch Levi Strauss (1829�1902), Sohn eines Hausierers,der 1847 zusammen mit seiner verwitweten Mutterund zwei Geschwistern aus dem oberfr�nkischen But-tenheim in die Vereinigten Staaten zog und dort sp�terdie Jeans „erfand“.

Politische Motive konnten in unterschiedlicher Formden Entschluss zur Auswanderung nach Amerika (mit-)bestimmen. Politische Fl�chtlinge im engeren Sinnblieben im 19. Jahrhundert allerdings selten. Von Be-deutung waren insbesondere die erw�hnten „48er“-Emigranten. Im damaligen Bayern war hiervon vorallem die Pfalz betroffen. Offenbar erfolgten nach demScheitern der Revolution auch vereinzelte Abschie-

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bungen. So wurde ein vermutlich an revolution�renAktionen beteiligter Glasergeselle aus dem oberbaye-rischen Teisendorf im M�rz 1849 unter Maßgabe derAuswanderung begnadigt und mit Hilfe eines Auswan-derungsagenten �ber den Atlantik geschickt.35 Dassdie politische Emigration w�hrend der NS-Herrschaftvon erheblicher Bedeutung war, sei hier nochmals er-w�hnt.

Fasst man den Begriff der politischen Motivationbreiter und bezieht auch die latente Unzufriedenheit mitden wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Verh�lt-nissen in der Heimat ein, dann l�sst sich hierin zumin-dest f�r weite Strecken des 19. Jahrhunderts ein be-deutsamer Push-Faktor erkennen. Ein großes �rgerniswar die wachsende Steuerlast, die angesichts der oh-nehin schwierigen �konomischen Lage vielfach alsemp�rend empfunden wurde. So schrieb ein unter-fr�nkischer Bauer im M�rz 1839 an seinen nach Ame-rika ausgewanderten Freund: „Man spricht hier vonso vielf�ltigen Auflagen als Kopfsteuer Fenster undViehsteuer und mehrere, dass alle Bayern aufgebrachtdar�ber von fast nichts anderem sprechen als von Aus-wandern.“ Der Briefschreiber zog ein Jahr sp�ter zu-sammen mit seiner Familie in die Vereinigten Staatenund wurde Farmer in der N�he von Cincinnati.36

Einen zweiten Aspekt latenter Missstimmung, derebenfalls mit dem Ausbau von Staatlichkeit zusam-menhing, bildete im 19. Jahrhundert die allgemeineWehrpflicht. Die in Bayern bis Ende der 1860er-Jahrem�gliche Bezahlung eines Stellvertreters konnte vonden �rmeren Schichten kaum genutzt werden. DieAuswanderung nahm so nicht selten auch die Funktioneiner Wehrdienstverweigerung an, sei es dass jungeM�nner illegal auswanderten, sei es dass f�r Eltern die

drohende Milit�rpflicht ihrer S�hne zu einem Beweg-grund der Auswanderung wurde.

�ber die genannten Punkte hinaus gab es vor allemin den Jahrzehnten vor der M�rzrevolution von 1848,als die Massenauswanderung in Gang kam, teilweiseeine politische Unzufriedenheit, die sich gegen dasautorit�re innen- und gesellschaftspolitische Klima in-nerhalb des Deutschen Bundes richtete. Letzteres giltbesonders f�r die von freiheitlichen Verh�ltnissen ge-pr�gte Pfalz, wo zudem starke Animosit�ten gegen diebayerische Politik herrschten.37 Ein 1836 bei F�rth ge-fundenes „Abschiedslied“ deutet allerdings darauf hin,dass ein diffuser politischer Unmut zu dieser Zeit auchin anderen Teilen Bayerns anzutreffen war: „Teutsch-land fahre wohl, ich gehe / nach Amerikas Segens-Flur. / Teutschland ist voll Ach und Wehe, / Darum folgetmeiner Spur … T�glich wachsen Steuern, Gaben, /Zwang mit Arglist und Gewalt, / Bis wir endlich nichtsmehr haben / Als die nackende Gestalt � / Und beijedem Schritt und Schrei / Nichts als Straf und Poli-zei. / Dies ist mir zum Tod zuwider, / Kommt bald nach,ihr deutschen Br�der.“38

Das weithin bestehende positive Bild der Vereinig-ten Staaten als „Freiheitsland“ gab der politischenUnzufriedenheit einen leuchtenden Gegenentwurf.Dabei handelte es sich keineswegs nur um einen My-thos. Gerade hinsichtlich der vielfach beklagten Steu-erlast wiesen Auswandererbriefe immer wieder auf dieabweichende Lage in „Amerika“ hin.39 Dass wirt-schaftliche und soziale Motive und Ursachen �ber dieJahrhunderte hinweg entscheidende Triebkr�fte derAmerikawanderung dargestellt haben, ist unbestritten.Idealtypisch lassen sich gem�ß der Unterscheidungvon Push- und Pull-Faktoren zwei Varianten erkennen:

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„Wir wollten gerne wieder nach Deutschlandund wir werden gewiß nicht komen als arme Leute. (1863)“

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einerseits die Auswanderung aufgrund der schlechtenbzw. als schlecht empfundenen Lage in der Heimat,zum anderen die Auswanderung wegen der positivenAussichten in Amerika.

Wenngleich es in der Realit�t wohl fast immer eineMischung gegeben hat, ist doch wahrscheinlich, dassdie erstgenannte Variante lange Zeit die wichtigere war.Von der Diskrepanz zwischen Bev�lkerungswachs-tum40 und unzureichenden Arbeitsm�glichkeiten vorDurchbruch der Industrialisierung ist bereits die Redegewesen. In der Landwirtschaft, zumal wenn sie vonBesitzzersplitterung gekennzeichnet war, und im �ber-besetzten Handwerk gab es zu dieser Zeit oft nur be-schr�nkte M�glichkeiten f�r eine Existenzgr�ndung.Hohe Bodenpreise, hohe Mieten und niedrige L�hnewirkten dabei gleichsam als Fesseln. Hinzu kam, dassdie Anf�nge des Maschinenzeitalters in Landwirtschaftund Handwerk Arbeitskr�fte freisetzten. Unbefriedi-gende Aussichten f�r die eigene Lebensgestaltungbildeten in dieserEpochewohl daswichtigsteMotiv derAuswanderung. Agrarkrisen, die mit steigenden Le-benshaltungskosten und sinkenden Reall�hnen ver-bunden waren, wirkten bis zur Mitte des 19. Jahrhun-derts dann in der Regel als Ausl�ser der Wanderungs-wellen.

Die Vereinigten Staaten, in denen g�nstiger Land-erwerb m�glich war, Arbeitskr�fte gesucht und relativhohe L�hne gezahlt wurden, bildeten angesichts diesertief greifenden Strukturprobleme erneut ein attraktivesKontrastbild, das durch die Propaganda der kommer-ziellen Auswanderungswerbung, aber auch durchBriefe der Ausgewanderten best�rkt wurde. VieleMenschen hofften daher, „in Amerika ein besseresFortkommen zu finden“, wie es in Ausreiseantr�gen oft

stereotyp hieß.41 Noch bestimmender wurden diePull-Kr�fte im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts, alssich die wirtschaftliche Lage in Deutschland bereitsverbessert hatte, die dynamische Entwicklung in denVereinigten Staaten aber besonders viel versprechendwar. Auch im 20. Jahrhundert d�rften � sieht man vonden Auswanderungsspitzen zu Beginn der WeimarerRepublik und zu Beginn der Bundesrepublik ab � meistdie sozio�konomischen Anziehungskr�fte Amerikasmaßgeblich am Entschluss zur Auswanderung beteiligtgewesen sein.

Selbstverst�ndlich gab es neben den skizziertenMotivfeldern ganz unterschiedliche individuelle Be-weggr�nde, etwa Abenteuerlust oder private Proble-me. Eine Motivanalyse allein kann freilich die St�rkebestimmter regionaler Traditionen nur unzureichenderkl�ren. Wie bereits erw�hnt, war die Eigendynamikeiner sich selbst erneuernden Migration ein maß-geblicher Faktor. Bestehende Kommunikationsnetzezwischen Aus- und Einwanderungsgebieten sorgtenimmer von neuem daf�r, dass zahlreiche Menschen ineiner „Kettenwanderung“ ihren Verwandten, Freundenoder Bekannten nach Amerika folgten.

Hunderttausende von pf�lzischen, fr�nkischen und� in deutlich geringerer Zahl � auch bayerisch-schw�-bischen und altbayerischen Auswanderern nach Ame-rika haben aus ganz unterschiedlichen Gr�nden ihre alteHeimat verlassen. Viele von ihnen konnten dadurchvermutlich ihr pers�nliches Leben erfolgreicher gestal-ten.42 In der Summe haben sie an der Formung undEntwicklung ihrer neuen Heimat mitgewirkt. Diesertransatlantische Kulturtransfer verlief jedoch nicht aufeiner Einbahnstraße. Inwieweit die Herkunftsregionendurch Kontakte mit den Auswanderern oder durch

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R�ckwanderer in ihrer Entwicklung beeinflusst wurden,ist bislang erst ansatzweise erforscht. Bedeutsamersind wohl jene allgemeinen soziokulturellen Entwick-lungen, die im Lauf des 20. Jahrhunderts von den Ver-einigten Staaten aus auch Deutschland und Bayerngepr�gt haben. „Amerika“ ist hier inzwischen keineferne Welt mehr, sondern gleichsam Teil der eigenenLebenswirklichkeit.

Anmerkungen

1 Allgemein zur neueren Migrationsgeschichte und -forschung mitweiterf�hrenden Literaturhinweisen: Bade, Klaus J. (Hg.): Deutscheim Ausland � Fremde in Deutschland. Migration in Geschichte undGegenwart, M�nchen 1992 (mit grundlegenden Beitr�gen auch zurAmerikawanderung); ders.: Europa in Bewegung. Migration vomsp�ten 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart, M�nchen 2000.

2 Nebender inAnm.1genanntenLiteratur bietenhilfreicheSynthesen:Helbich, Wolfgang J.: „Alle Menschen sind dort gleich …“ Diedeutsche Amerika-Auswanderung im 19. und 20. Jahrhundert,D�sseldorf 1988 (HistorischesSeminar10), S. 17� 40;Bade,Klaus J.:German Transatlantic Emigration in the Nineteenth und TwentiethCenturies, in: Emmer, Piet C. / M�rner, Magnus (Hg.): EuropeanExpansion and Migration. Essays on the Intercontinental Migrationfrom Africa, Asia, and Europe, New York u. a. 1992, S. 121�155.

3 Am besten ist die Lage hinsichtlich der Pfalz; vgl. aus einer F�lle anLiteratur vor allem Faltin, Sigrid: Die Auswanderung aus der Pfalznach Nordamerika im 19. Jahrhundert. Unter besonderer Ber�ck-sichtigung des Landkommissariates Bergzabern, Frankfurt amMainu. a. 1987 (Europ�ische Hochschulschriften 3/293); Heinz, Joachim:„Bleibe im Lande, und n�hre dich redlich!“ Zur Geschichte derpf�lzischen Auswanderung vom Ende des 17. bis zum Ausgang des19. Jahrhunderts, Kaiserslautern 1989 (Beitr�ge zur pf�lzischenGeschichte 1). Zu den �brigen Regionen vgl. bes. Schaub, Hans:Auswanderung aus Oberfranken nach den Vereinigten Staaten vonAmerika im 19. Jahrhundert, Diss. Bamberg 1989; Maidl, Peter:Auswanderung nach �bersee, Studien zur bayerisch-schw�bischenAuswanderung nach Nordamerika im 19. Jahrhundert, Bd.1, Diss.Augsburg 1993; dazu auch: Wellhausen, Marianne: �ber deutscheAuswanderung nach den Vereinigten Staaten von Nordamerika im19. Jahrhundert unter besonderer Ber�cksichtigung Mittelfrankens,Diss. Erlangen 1949; Blendinger, Friedrich: Die Auswanderung nach

Nordamerika aus dem Regierungsbezirk Oberbayern in den Jahren1846�1852, in: Zeitschrift f�r bayerische Landesgeschichte 27(1964), S. 431�487; Hartmannsgruber, Friedrich: Zur Statistik derAuswanderung aus der Oberpfalz und aus Regensburg im 19. Jahr-hundert, in: Verhandlungen des Historischen Vereins f�r OberpfalzundRegensburg122 (1982), S. 337�370.Ans�tzeeinerSynthesebeiMoßner, Renate: Die bayerische Auswanderung im 19. Jahrhundert,Magisterarbeit Erlangen-N�rnberg 1987.

4 Allerdings markiert dieses Jahr nur den Beginn einer Gruppenwan-derung. Einzelne aus Deutschland kommende Einwanderer hatte esin Nordamerika bereits zuvor gegeben; vgl. zum Folgenden auch den�berblick in H�berlein, Mark: Deutsche Auswanderung in daskoloniale Nordamerika, in: Auswanderung aus Bayern nach Nord-amerika, Kolloquium zur Ausstellung, F�rstenfeldbruck, 10.�11. Ok-tober 2002 [www.hdbg.de/auswanderung/docs/haeberein.pdf].

5 Der wohl bekannteste fr�nkischeTeilnehmer, derRegimentsarztundNaturforscherJohannDavidSch�pf (1752�1800), kehrte freilichnachausgiebigen Erkundungsreisen wieder zur�ck. Sch�pf, JohannDavid: Reise durch einige der mittlern und s�dlichen vereinigtennordamerikanischen Staaten nach Ost-Florida und den Bahama-Inseln unternommen in den Jahren 1783 und 1784, 2 Bde., Erlangen1788, [http://gdz.sub.uni-goettingen.de/en/index.html („Early North-Americana“)].

6 Die ab 1835/36 (Oktober bis September) gef�hrte amtliche Statistikverzeichnet bis 1838/39 allein f�r Unterfranken 5374 Auswanderernach Amerika, f�r Schwaben 105 und f�r die drei altbayerischenBezirke insgesamt nur 88. Berechnet nach: Beitr�ge zurStatistik desK�nigreichs Bayern 1 (1850), S.194 f. In die bayerische Statistik sindauch „heimliche“Auswanderer aufgenommen. Wie zuverl�ssig dieErfassung war, sei jedoch dahin gestellt.

7 Daneben gab es vor allem eine gewisse Auswanderung nach Bra-silien und Argentinien.

8 Vgl. auchS. 25,Grafik zurEinwanderung ausDeutschland in dieUSA,1830�1915. In tabellarischer Form finden sich die zugrunde liegen-den Zahlen der US-Statistik von 1820 bis 1970 z. B. in Helbich (Anm.2), S.152 f. �berblick �ber die j�hrlich registrierte � das heißt mitSicherheit nicht vollst�ndig erfasste � bayerische Auswanderung,differenziert nach Pfalz und rechtsrheinischem Bayern, in: BayernsEntwicklung nach den Ergebnissen der amtlichen Statistik seit 1840,hg. vomK. Statistischen Landesamt,M�nchen 1915, S.17 f. Bis 1869/70wird hier die Auswanderung nach „Amerika“erfasst, von 1871 bis1913 die �berseewanderung, die allerdings weitgehend mit derAmerika- bzw. USA-Wanderung identisch war. Soweit nicht andersvermerkt, stammen die folgenden Zahlen und Berechnungen ausdiesen beiden Quellen.

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„Man kann sich in Deutschland gar keinen Begriff von dem Ansehen einer nordamerikanischen Landschaft machen…Eine �de Stille herrscht in diesenW�ldern…Endlich kommtman an eine Ansiedlung. Da sieht es auch traurig aus. Einfreier Platz … in der Mitte eine elende H�tte, von unbeschlagenen Bl�cken aufgef�hrt. Das elendeste Dorf inDeutschland hat Pal�ste dagegen. (1922)“

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9 Die Summen f�r die Jahre 1845/46 bis 1856/57 lauten: 143120Auswanderer nach „Amerika“, davon 3 019 aus Ober-, 4 246 ausNiederbayern, 64 085 aus der Pfalz, 7457 aus der Oberpfalz undRegensburg, 20 801 aus Ober-, 12 824 aus Mittel-, 24 733 ausUnterfranken und Aschaffenburg sowie 5 955 aus Schwaben undNeuburg. Berechnet nach: Beitr�ge zur Statistik des K�nigreichsBayern 3 (1854), S. 323, 4 (1859), S. 241.

10 NachdenamtlichenZahlenkamenvon1880bis1893etwa18Prozentder registrierten bayerischen �berseewanderer aus der Pfalz; vgl.Bayerns Entwicklung (wie Anm. 8), S.17 f.

11 Vgl. Grafik der �berseeischen Auswanderung nach Regierungsbe-zirken in Moßner (wie Anm. 3), S. 83. Moßner hat auch die j�hrlicherscheinende Zeitschrift des K�niglich-Bayerischen StatistischenBureaus ausgewertet.

12 Die amtlichen Zahlen zur Bev�lkerungsdichte (gerundet), bezogenauf Quadratmeilen, lauten f�r 1846: Pfalz 5,6; Oberfranken 4,0;Unterfranken 3,6; Mittelfranken 3,8; Schwaben 3,2; Niederbayern2,8; Oberpfalz 2,7; Oberbayern 2,3; vgl. Beitr�ge zur Statistik desK�nigreichs Bayern 1 (1850), S. 21� 28.

13 Darauf deuten z. B. die amtlichen Zahlen f�r 1844 bis 1857 hin, diesich allerdings auf die bayerische Gesamtauswanderung beziehen.Demnach wurden f�r die Pfalz stets mehr heimliche als „mitErlaubnis“ ausgewanderte Personen vermerkt, w�hrend in Ober-und Niederbayern die festgestellte heimliche Auswanderung auchprozentual extrem gering war; vgl. Beitr�ge zur Statistik desK�nigreichs Bayern 3 (1854), S. 333, 8 (1859), S. 241. Blendinger (wieAnm.3),S. 436 f., geht f�rdieZeit vordembayerisch-amerikanischenFreiz�gigkeitsvertrag von 1845 und der daraus folgenden Liberali-sierung von einer gewissen Wirksamkeit der Verbote aus.

14 Vgl. Schaub (wie Anm. 3), S. 59� 61.15 Vgl. Fegert, Friedemann: „Ihr gh�nt esEich gar nicht vorstelenwiees

im Amerigha zu ged.“Auswanderung aus den jungen Rodungsd�r-fern des Passauer Abteilandes nach Nordamerika seit derMitte des19. Jahrhunderts, Karlsruhe 2001. Aus einer im sp�ten 19. Jahrhun-dert ausgewanderten Familie dieser Region stammte der bekannteGangsterJohnHerbertDillinger (1903�1934); vgl. ebd., S. 357�359.

16 Vgl. Vagts, Alfred: Deutsch-Amerikanische R�ckwanderung. Pro-bleme � Ph�nomene � Statistik � Politik � Soziologie � Biographie,Heidelberg 1960 (Beihefte zumJahrbuch f�rAmerikastudien 6); Folz,Winfried: Pf�lzer R�ckwanderer aus Nordamerika. Schicksale,Motive, Reintegration, Mainz 1992 (Studien zur Volkskultur inRheinland-Pfalz 13).

17 Folz (wie Anm. 16), S.128.18 Vgl. zum Folgenden Bickelmann, Hartmut: Deutsche �berseeaus-

wanderung in derWeimarerZeit,Wiesbaden 1980 (VonDeutschland

nach Amerika 1), S. 43�47 sowie die Tabellen S.143 f. und 150. DieZahlen sindweiterhinmit Vorsicht zubehandeln, da esWiderspr�chezwischen US-Einwanderungs- und deutscher Auswanderungssta-tistik gibt. Zusammenfassend auch: Oltmer, Jochen: Krieg undNachkrieg: Auswanderung aus Deutschland 1914�1950 unterbesonderer Ber�cksichtigung Bayerns, in: Kolloquium zur Ausstel-lung, F�rstenfeldbruck, 10. � 11. Oktober 2002 [www.hdbg.de/aus-wanderung/docs/oltmer.pdf].

19 Vgl. Statistisches Jahrbuch f�r den Freistaat Bayern 16 (1924), S. 40.Von 15 878 registrierten Auswanderern kamen 1923 nur 812 aus derPfalz. Im Lauf der 1920er-Jahre gewann die pf�lzische Migrationfreilich wieder etwas an Bedeutung.

20 Vgl. hierzu und zum Folgenden v. a. Oltmer (wie Anm. 18); Nerger-Focke, Karin: Die deutsche Amerikaauswanderung nach 1945.Rahmenbedingungen und Verlaufsformen, Stuttgart 1995 (Ameri-can-German Studies/Deutsch-Amerikanische Studien 14),S.146�149.

21 Vgl. Nerger-Focke (wie Anm. 20), Tabelle S.153 gem�ß der US-Statistik nach dem Geburtsland der Einwanderer. Die parallelgef�hrte Statistik nach dem Land des letzten Wohnsitzes, diezahlreiche „Displaced Persons“ (meist ehemalige Zwangsarbeiter,Kriegsgefangene sowieH�ftlinge aus Konzentrationslagern) enth�lt,weist weit h�here Zahlen auf (f�r 1952 �ber 104 000); vgl. z. B.Helbich (wie Anm. 2), S.152.

22 Nach Maier, W.: Die Wanderungen �ber die bayerische Landes-grenze 1952, in: Bayern in Zahlen 7 (1953), S. 86�88, hier TabelleS. 88, zogen insgesamt 15 616 Personen aus Bayern in die USA.Darunter befand sich � so der Begleittext � auch „ein Viertel Aus-l�nderundStaatenlose“.DieAuswanderungnachKanada lag1952bei�ber 2 000, darunter knapp 1000 Heimatvertriebene.

23 Die letztgenannten Zahlen und Aussagen nach: Nerger-Focke (wieAnm. 20), S.153 (Tabelle); Statistisches Jahrbuch f�r die Bundes-republikDeutschland1988�2002;StatistischesJahrbuch f�rBayern1988�2002.

24 So zogen z. B. 2001 aus Bayern 3 317 Deutsche in die VereinigtenStaaten, w�hrend 2 934 Deutsche zur�ckkehrten; StatistischesJahrbuch f�r Bayern 2002, S. 56.

25 Vgl. Maidl (wie Anm. 3), S. 84� 87.26 Schaub (wie Anm. 3), S. 66 f.27 Schaub (wie Anm. 3), S. 77.28 Nach Helbich (wie Anm. 2), S. 21, fiel der M�nneranteil im 19. Jahr-

hundert von deutlich �ber 60 Prozent auf unter 55 Prozent. ZurAuswanderung von Frauen vgl. Harzig, Christiane: Die weiblicheSeite der Auswanderung. Leben und Arbeiten der deutschen(bayerischen) Einwanderinnen in Amerika, in: Kolloquium zur Aus-

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stellung, F�rstenfeldbruck, 10. � 11. Oktober 2002 [www.hdbg.de/auswanderung/docs/harzig.pdf].

29 Nach den amtlichen Zahlen der j�hrlichen „Auswanderung nachAmerika und anderen �berseeischen Staaten“, in: Bayerns Ent-wicklung (wie Anm. 8), S.18.

30 Vgl. Bickelmann (wieAnm.18), S.16�18.Studien zuBayern liegen f�rdiese Phase ebenso wie f�r das restliche 20. Jahrhundert nicht vor.

31 Vgl. Nerger-Focke (wie Anm. 20), S.159�225; Tabelle der Aus-wanderung nach Geschlechtern ebd., S.153.

32 Vgl. Blendinger (wie Anm. 3), S. 444, 450 f.33 R�ßler, Hans: Wilhelm L�he und die Amerikaauswanderung, in:

Frankenland 44 (1992), S. 390�399.34 Vgl. zusammenfassend: Brinkmann, Tobias: Von der Gemeinde zur

„Community“. J�dische Einwanderer in Chicago 1840�1900,Osnabr�ck 2002 (Studien zur historischen Migrationsforschung 10),S. 49� 59.

35 Blendinger (wie Anm. 3), S. 457.36 Vgl. Helbich (wie Anm. 2), S. 71� 76, mit Ausz�gen aus Briefen des

Matth�us Haßfurter aus Humprechtshausen nahe Hofheim; Zitatebd., S. 72.

37 Hierauf weist vor allem Faltin (wie Anm. 3) hin, z. B. S. 319.

38 Am24.Mai 1836 gefunden,wohl auf einerHandpresse gedruckt; zit.nach: Schwammberger, Adolf: F�rth von A bis Z. Ein Geschichtsle-xikon, F�rth 1968, S. 31.

39 Briefsammlungen z. B. in: Helbich, Wolfgang J. (Hg.): Briefe ausAmerika. Deutsche Auswanderer schreiben aus der Neuen Welt,1830�1930, M�nchen 1988; Helbich wie Anm. 2), sowie � mitbayerisch-schw�bischem Bezug � Maidl, Peter: Die deutsche�berseewanderung des 19. Jahrhunderts in Zeitzeugnissen, in:Fried, Pankraz (Hg.): „Hier ißt man anstadt Kartofln und Schwarz-brodt Pasteten …“, Augsburg 2000 (Historische Migrationsfor-schung in Bayerisch-Schwaben 1).

40 Angemerkt sei allerdings, dass die traditionelle These, die in derAuswanderung eine direkte Folge von „�berbev�lkerung“ sieht, zuschlicht ist und auf fragw�rdigen Pr�missen gr�ndet; vgl. Ehmer,Josef: Migration und Bev�lkerung. Zur Kritik eines Erkl�rungsmo-dells, in: Tel Aviver Jahrbuch f�r deutsche Geschichte 27 (1998),S. 5 � 29.

41 Nach Maidl (wie Anm. 39), S. 7.42 Vgl. res�mierend � bezogen auf die deutsche Amerikawanderung

insgesamt � Helbich (wie Anm. 2), S. 40� 46.

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„Die Arbeit ist zwar streng am Anfang, weil alles anders gearbeitet wird,wenn es einer kann, ist es leicht. (1851)“