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Kommunikationskulturenin digitalen Welten
SchriftenzurMedienpädagogik52
MarionBrüggemannThomasKnausDorotheeM.Meister(Hrsg.)
kopaed(München)www.kopaed.de
Konzepte und Strategien der Medienpädagogik und Medienbildung
4 InhaltKommunikationskulturen in digitalen Welten
Schriften zur Medienpädagogik 52
DemBundesministeriumfürFamilie,Senioren,FrauenundJugend
dankenwirfürdieFörderungdesvorliegendenBandes.
DemFrankfurterTechnologiezentrum[:Medien]
dankenwirfürdieFinanzierungderDruckkosten.
Herausgeber
GesellschaftfürMedienpädagogikundKommunikationskulturinder
BundesrepublikDeutschland(GMK)e.V.
Anschrift
GMK-Geschäftsstelle
Obernstr.24a
D-33602Bielefeld
Fon:0521.67788
Fax:0521.67729
Email:[email protected]
Homepage:www.gmk-net.de
FürnamentlichgekennzeichneteBeiträgesinddieAutorinnenundAutoren
verantwortlich.
Redaktion:MarionBrüggemann,ThomasKnaus,DorotheeM.Meister,TanjaKalwar,
NastasjaMüller
Lektorat:TanjaKalwar
EinbandgestaltungundTitelillustration:KatharinaKünkel
Druck:KesslerDruck+Medien,Bobingen
© kopaed2016
Arnulfstraße205
80634München
Fon:089.68890098
Fax:089.6891912
Email:[email protected]
Homepage:www.kopaed.de
ISBN978-3-86736-552-9
Inhalt
5InhaltInhalt
Inhalt
MarionBrüggemann/ThomasKnaus/DorotheeM.MeisterKommunikationskulturen in digitalen Welten 9
KonzepteundStrategienderMedienpädagogikundMedienbildung
1. Politische Dimensionen und (medien-)pädagogische Positionen
FriedrichKrotzWandel von sozialen Beziehungen, Kommunikationskultur und Medienpädagogik 19
ThesenausderPerspektivedesMediatisierungsansatzes
DanielSüssDigitale Medien als Lebens-, Genuss- und Suchtmittel für Jugendliche 43
AndreasBüsch/BjörnSchreiberLet’s talk about Werte 55
EthischeHerausforderungenfürdieMedienpädagogik inderdigitalisiertenNetzwerkgesellschaft
GerhardTulodzieckiAktuelle Debatten beim GMK-Forum 2015 im „Rückspiegel“ 83
WelchenLösungsbeitragkönnenmedienpädagogische Grundlagenleisten?
ThomasKnausdigital – medial – egal? 99
EinfiktivesStreitgesprächumdigitaleBildungund omnipräsenteAdjektiveinderaktuellenBildungsdebatte
6 3. InternationaleBezügeKommunikationskulturen in digitalen Welten Inhalt
SandraAßmann/NielsBrüggen/ValentinDander/HaraldGapski/GerdaSieben/AngelaTillmann/IsabelZorn
Digitale Datenerhebung und -verwertung als Herausforderung für Medienbildung und Gesellschaft 131
EinmedienpädagogischesDiskussionspapierzuBigDataund DataAnalytics
2. Bildung, Teilhabe und Gestaltung digitaler Kommunikationskulturen in der Praxis
FriederikeSillerYOUCitizen 143
KindheitundFreiheitimNetz
StefanWellingDie schulische Kommunikation des Organisierens im Spiegel von Medienwandel und Mediatisierung 155
KatrinValentin
Verliert die Kinder- und Jugendarbeit den Anschluss an die (digitale) Lebenswelt ihrer Zielgruppen? 171
MaikeGroen/TanjaWitting
There Are No Girls on the Internet 179 GenderundKommunikationinOnline-Gaming-Szenen
WolfgangSchill/IdaPöttingerHörkultur im digitalen Zeitalter – eine medienpädagogische Perspektive 193
Hans-JürgenPalme/WalterStauferInklusive Medienbildung und „Werkstatt einfache Sprache“ 211
Leitgedankenzueinermedienpädagogischen StandortbestimmungundBeispielefürderenpraktischeUmsetzung
73. InternationaleBezügeInhalt
3. Internationale Bezüge
UweHasebrinkMedienkompetenz in Europa 229
VomNutzeninternationalvergleichenderForschung
IdaPöttinger/SebastianRingMedienpädagogik in Europa 243
VierEinrichtungen–eineZielrichtung?
Autorinnen und Autoren 249
Abbildungsnachweis 255
9KommunikationskulturenindigitalenWelten
Marion Brüggemann/Thomas Knaus/Dorothee M. Meister
Kommunikationskulturen in digitalen Welten Konzepte und Strategien der Medienpädagogik und Medienbildung
Digitale Medien verändern menschliche Kommunikation in nahezu allenFeldernunsererGesellschaft.BesondersmobiledigitaleGeräte,wieSmart-phones und Tablets, prägen die Art und Weise wie wir kommunizieren,uns informieren,mit anderenkooperierenundamgesellschaftlichenLe-benpartizipieren.VieleKinderundJugendlichenutzendieMöglichkeitenmobiler,digitalerMedienganz selbstverständlich fürdieKommunikationmitPeers,zumSpielen,zurSelbstdarstellung,zurUnterhaltungsowiezumLernen. Videoportale, Fotocommunitys und Messenger-Apps avanciereninzwischenzumfestenBestandteilnichtnurjuvenilerLebenswelten.
Digitale, vernetzte Kommunikationsräume werden insbesondere vonJugendlichenzurBearbeitungvonEntwicklungsaufgaben,zurAushandlungsozialerGefügeundAusprägungvon Identitätengenutzt.Damitverbun-deneröffnensichfürdieMedienpädagogikneueAufgabenundChancen,diedarinkumulieren,HeranwachsendezueinerkompetentenundsozialverantwortlichenKommunikation zubefähigen.DabeiumfasstdieKulti-vierungundFörderungkommunikativerFähigkeitenweitausmehralseineauf technische Aspekte reduzierte Nutzungsfertigkeit: MedienpädagogiksollKinderundJugendlicheinihrermedialenArtikulationstärkenundun-terstützensowieKommunikationundTeilhabeermöglichen–unabhängigsoziokulturellerRealitäten.
DerBlickrichtetsich indesnichtalleinaufdieZielgruppederHeran-wachsenden,vielmehreröffnendieKonzepteundStrategienderMedien-pädagogik und Medienbildung neue Perspektiven auf digital geprägteKommunikationskulturenunterschiedlicherZielgruppenundInstitutionen.DigitaleKommunikationwirddamitzugleichzurGrundlageundHerausfor-derungfürlebenslangandauerndeBildungsprozesse.
Die Entwicklung hin zu einer „digitalen Gesellschaft“ erfordert eineNeujustierung kultureller Bildung und des Bildungssystems. Um die mitdieserEntwicklungverbundenenPotentialefürTeilhabeundBildungnut-zenzukönnenundumdiedamiteinhergehendenRisikenzumindern,isteinemedienpädagogischeBegleitungnötigundherausgefordert.Vordie-semHintergrundwidmetesichdas32.ForumKommunikationskulturder
10 KommunikationskulturenindigitalenWeltenKommunikationskulturen in digitalen Welten
GesellschaftfürMedienpädagogikundKommunikationskultur(GMK)maß-geblichdenfolgendenFragen:
Q WelcheneuenKommunikationskulturenzeigensichineiner„digitalenGesellschaft“,welcheFormensindkünftigzuerwartenundwiesindsieeinzuschätzen?
Q Wie lassen sich die neuen Kommunikationskulturen theoretisch er-schließenundempirischerforschen?
Q WiekanndieMedienpädagogikdazubeitragen,kommunikativeKompetenzvonKindern,JugendlichenundErwachsenenauszubildenundzufördern?
Q WiekönnenKinderundJugendlichevorriskanterKommunikationundderenFolgengeschütztwerden?
Q WiekannallenMenscheneinegleichberechtigteTeilhabeanundeineGestaltungder„digitalenGesellschaft“ermöglichtwerden?
Q WelcheModelleundStrategiengilteshierbeizuentwickeln,zufordernundzufördern?
IneinerdurchDigitalisierunggeprägtenGesellschaftwandeltsichdasKom-munikationsverhalten innahezuallenBereichen:NeueKommunikationskul-turenentstehenundKonventionen lösen sich aufoder transformierenundverändernsichstetig.DieFolgendieserEntwicklungenfürErziehung,Bildung,politischeundkulturelleTeilhabesowiedieOrganisationvonArbeitundfürdasalltäglicheZusammenlebensindenormundihreTragweitensindnichtab-schätzbar.DieMedienpädagogikmuss sichneuorientierenundgleichzeitigOrientierungbieten.DiegesellschaftlicheundpolitischeDimensiondesmedi-alenWandelserfordernmedienpädagogischePositionen,dieindiesemBandhinsichtlichpädagogischrelevanterAspektediskutiertwerden.
InwiefernderWandeldermedialenMöglichkeitenundAusdrucksfor-men veränderte Kommunikationsformen hervorbringt oder umgekehrtveränderteKommunikationsbedürfnisseneuemedialeMöglichkeitenunddamitneueKommunikationsformenhervortreten lassen, istbislangnocheine weitgehend theoretisch geführte Auseinandersetzung, wenngleichdieAnzeichendesWandelsspürbarsindundoffenzutagetreten.IndenkommunikativenPraxendesAlltagssinddieneuenEntwicklungendigitalerMedien einerseits und die damit verbundenen KommunikationskulturenandererseitsengmiteinanderverwobenundvongegenseitigerBedingtheit.
Bildung, Teilhabe und Gestaltung in digitalen Kommunikationskultu-rensindvoraussetzungsreich.DiesozialenProzessedersichveränderndenKommunikationskulturen können gleichwohl nur durch eine dezidierteAuseinandersetzung mit den Phänomenen und ihren Kontexten erkanntundbenanntwerden.DieMobilisierung,DigitalisierungundVisualisierung
11KommunikationskulturenindigitalenWelten
alltäglicherkommunikativerPraktikenhabenpolitischeundkulturelleFol-gen,dieübereinzelneZielgruppenund InstitutionenweithinausreichenunddiePädagogikinsgesamtherausfordern.Gefragtsindneueundange-messenemedienpädagogischeKonzepteundStrategien,umdasAufwach-sen,LebenundArbeiteninunsererdigitalisiertenWeltzugestalten.
DasgenaueHinsehen–dieWahrnehmungundReflexiondigitalgeprägterKommunikationsräumeausdenunterschiedlichenPerspektivenundZugän-genderMedienpädagogikundderKommunikationswissenschaft–standimMittelpunktdesGMK-ForumsKommunikationskulturimNovember2015inKöln.DieBeiträgederFachtagungberücksichtigtendiezuvorgenanntenFra-genundbeleuchtetendieumfassendenAspekteaktuellerundkünftigerEnt-wicklungen„digitalerWelten“einschließlichihrer(medien-)pädagogischenReflexionundBearbeitung.DervorliegendeBandwirfteinendifferenziertenBlick auf PhänomeneundProzessedigital vernetzterKommunikationskul-turen.DiesgeschiehteinerseitsmitdemFokusaufdiepolitische DimensiondesWandelsundeinerdamiteinhergehendenmedienpädagogischenPosi-tionierung.AndererseitswerdendieTeilhabeundGestaltungdigitalerKom-munikationskultureninder(Handlungs-) PraxissowohlbeschriebenalsauchanalysiertundwirdderBlickaufEuropagerichtetsowiedieFörderungmedi-enbezogenerKompetenzenineineninternationalen Kontextgestellt.
Politische Dimensionen und (medien-) pädagogische Positionen
InseinemBeitragbeleuchtetFriedrich Krotz,ProfessordesForschungsbe-reichs Kommunikations- und Medienwissenschaft mit dem SchwerpunktsozialeKommunikationundMediatisierungsforschungderUniversitätBre-men,denZusammenhangzwischendemstetenMedienwandelundMe-diatisierungsprozessen.DerhiervertreteneMedienbegriffträgtdenstruk-
Abb. 1: Die Entwicklung hin zu einer „digitalen Gesellschaft“ erfordert eine Neuorientie-rung und Neujustierung kultureller Bildung und des Bildungssystems
12 KommunikationskulturenindigitalenWeltenKommunikationskulturen in digitalen Welten
turellenundsituativenPotentialenvonMedienRechnungundbegreiftsiezunehmendalsMediensysteme,diesichzueinercomputergesteuertendi-gitalenInfrastrukturverdichten,welchevorallemKinderundJugendlichezunutzenwissenundihrenBedürfnissenentsprechendweiterentwickelnsowieihrsozialesundkommunikativesLebendaraufhinausrichten.
Daniel Süss,ProfessorfürMedienpsychologieanderZHAWZürich,gehtinseinemBeitragaufdendifferenziertzubetrachtendenUmgangvonKin-dernundJugendlichenmitMedienein.Mediensindinzwischensoselbst-verständlich in den Alltag integriert, dass ein Leben ohne sie kaum mehrvorstellbarist,womitsiegleichwohlquasizueinem„Lebens-,Genuss-undSuchtmittel“gewordensind.DeshalbkommtesaufdierichtigeDosierungan,weshalbesnotwendigist,dieBedingungenfürRisikenundChancenge-nau indenBlick zunehmen. Er verweist dabei aufAnsätzeder PositivenPsychologie,dieAnregungengebenkönnen,wiemedienpädagogischesHan-delnnochstärkerentwicklungsförderndeingesetztwerdenkönnte.
Der Leiter der Clearingstelle Medienkompetenz der Deutschen Bi-schofskonferenz und Professor für Medienpädagogik und Kommunikati-onswissenschaft an der Katholischen Hochschule Mainz Andreas Büschund der Referent für Medienbildung bei der Freiwilligen SelbstkontrollederMultimedia-Diensteanbietere.V.(FSM)inBerlinBjörn Schreiberbe-trachtenMedien insofernals Sozialisationsinstanz, als auch inKontextendigitalerKommunikationeineWertevermittlungrelevantist.DieAutorenplädierenfüreinestrukturelleundnachhaltigeVerankerungderMedienbil-dung,dieKinderundJugendliche,aberauchErwachsenezugesellschaft-licherTeilhabe,eineraktivenGestaltungvonundeinemwertebewusstenUmgangmitMedienbemächtigensoll.
Per„BlickindenRückspiegel“greiftGerhard Tulodziecki,emeritierterProfessorfürAllgemeineDidaktikundMedienpädagogikanderUniversi-tätPaderborn,medienpädagogischeDiskussionssträngedesGMK-Forums2015 inKöln auf, um sie kritisch zu reflektieren,darüberhinaus als Lö-sungsansätzefüraktuelleProblemlagenheranzuziehenundsomit„alteZu-gänge“fürneueEntwicklungenfruchtbarzumachen.Entgegeneinerande-renortspropagiertenNeuausrichtungangesichtsneuerHerausforderungenverweistTulodzieckianhandvonvierBeispielenaufdietradiertenPoten-tiale der Disziplin: Er appelliert an das Selbstbewusstsein einer Medien-pädagogik,diebereitsaufeigenenFüßensteht,undanihrenMut,sichdervorhandenen Ansätze und den bestehenden konzeptionellen, bedürfnis-und entwicklungstheoretischen, inhaltlichen, didaktischen, innovations-bezogenenundsystemischenGrundlagenzubedienen.
13KommunikationskulturenindigitalenWelten
ImNachgangdesforschungsmethodischenSpeeddating,dasdie„Fach-gruppe Qualitative Forschung“ auf dem GMK-Forum 2015 durchführteundaufdemexemplarischfünfStudieninArbeitsgruppenvorgestelltwur-denunterderFrage,obdasjeweilsgewählteForschungsparadigmaeinenkreativen Beitrag zur Erforschung von Kommunikationskulturen in einerdigital geprägten Umwelt leisten kann, wählt Thomas Knaus, ProfessorundWissenschaftlicherDirektoramFTzMinFrankfurtamMain,in„digi-tal–medial–egal?“einemethodischinnovativeForm,dasWorkshopthe-mazureflektieren:AufGrundlagedergeführtenDiskussionenbeginntermiteinerKritikamBegriffdes„Digitalen“undschließtdaraneinfiktivesStreitgesprächan,dasdieRelevanzunddiezubeachtendenFacettenvonMedienbildung und informatischer Bildung einer digital vernetzten WeltamBeispielderSchuleaufzeigt.
MitihremDiskussionspapier„DigitaleDatenerhebungund-verwertungalsHerausforderungfürMedienbildungundGesellschaft“machendieVerfas-serinnenundVerfasserSandra Aßmann, Niels Brüggen, Valentin Dander, Harald Gapski, Gerda Sieben, Angela Tillmann und Isabel Zorn daraufaufmerksam,dassdiemitdemSchlagwort„BigData“betiteltenPhänomeder fortschreitenden „Datafizierung“ bislang unzureichend in ihrer Bedeu-tungfürBildungundErziehungreflektiertwordensind.DashieralsDiskus-sionsgrundlagezurVerfügunggestelltePapierwurdeimKontextderGMKundder Initiative „KeineBildungohneMedien!“ (KBoM!) entwickelt, umdieDiskussionübereinensozialenunddemokratischverantwortungsvollenUmgangmitzunehmenderDatafizierungderGesellschaftzubefördern.DasPapierweistaufwichtigegesellschaftlicheAspektederDatafizierungundins-besondereder„BigDataAnalytics“hin,markierteineSchlüsselfunktionderMedienpädagogikundzeigtzukünftigeAufgabenfelderfürsieauf.
Bildung, Teilhabe und Gestaltung digitaler Kommunikationskulturen in der Praxis
Friederike Siller, Professorin für Medienpädagogik an der TechnischenHochschuleKöln,wendetsichmiteinemPlädoyeranuns:Siefordert,Kin-derneinenverantwortungsbewusstenUmgangmitdemInternetimModusdesZutrauensunddesErprobenszuermöglichen,entgegeneinembehü-tendenundbewahrpädagogischenAnsatz.DennwennKinderanFreiheitund Teilhabe in unserer digitalisierten Welt herangeführt werden sollen,istderUmgangmitUnsicherheiteinTeildavon.DieAutorinsprichtsichdafüraus,einerseitsauchKinderndenUmgangmiteiner inTeilenunsi-cheren,unkanalisiertenundunsortiertenWeltderDingezuzutrauenund
14 KommunikationskulturenindigitalenWeltenKommunikationskulturen in digitalen Welten
andererseits sie zu stärken, indem ihnen auch geeignete Erprobungsräu-me für sozialeVernetzung inder digitalenWelt angebotenwerden.MitzahlreichenBeispielenuntermauertsieihreprogrammatischenThesenzumThema„YOUCitizen.KindheitundFreiheitimNetz“.
Der stellvertretende Leiter des Instituts für InformationsmanagementBremenGmbHStefan WellingschließtmitseinerempirischenArbeitüberden Organisationswandel von Schulen als Schnittstelle zwischen schuli-schemMedienwandelunddemKommunikationswandelinderGesellschafteine bisher wenig beachtete Lücke. Die Nutzung von Medien innerhalbdesLehrerkollegiumsfürdieOrganisationderInstitutionSchulesowiedieKommunikationmitaußerschulischenAkteurinnenundAkteurensindGe-genstandseinerempirischenStudien,dieeinerseitszeigen,dassbestimmteErrungenschaftendesMedienwandels fürdie schulischeKommunikationschonheutealsunerlässlichempfundenwerdenunddieandererseitsaberauch die Macht der Gewohnheit, in Form von Mitteilungsbüchern undtraditionellenPostfächern,sowiedieVorbehaltegegenüberNeuemwider-spiegeln.
Katrin Valentin,WissenschaftlicheMitarbeiterinanderFriedrich-Alex-ander-Universität Erlangen-Nürnberg,beschreibtdasSpannungsverhältnisderKinder-und Jugendhilfe zurDigitalisierungderLebenswelt ihrerKli-entel. Im Mittelpunkt stehen die Folgen, die die Digitalisierung der Le-benswelt fürdieKinder-und Jugendarbeithabenkann.Dabei sindAus-wirkungennichtnuraufdasRekrutierungsfelddersozialenArbeitspürbar,sonderndiefortscheitendeDigitalisierunghatauchweitreichendejugend-politische Konsequenzen. Mit der Betrachtung pädagogischer Praxis alsUmgangmitSpannungsverhältnissenbietetValentineinaufschlussreichesErklärungsmodell,umnachzuvollziehenwieFachkräfteinderKinder-undJugendhilfeaktuellmitdenVeränderungenihresFeldesumgehen.
DerBeitragvonMaike Groen,WissenschaftlicheMitarbeiterinamFor-schungsschwerpunkt „Medienwelten“ der TH Köln, und Tanja Witting, Professorinfür„KunstundMedieninderSozialenArbeit“anderOstfaliaHochschulefürangewandteWissenschafteninBraunschweig/Wolfenbüt-tel,istüberschriebenmitdemZitat:„ThereAreNoGirlsontheInternet“.DieAutorinnen richteneinen feministischgeprägtenBlick aufdieheuti-ge (Medien-) Sozialisation sowie unterschiedliche digitale Spielkulturen,diesiekenntnisreichanalysieren.SiefragennachRollen,CharakterenundDiskriminierungenindigitalenSpieleweltenundzeigen,wieAusgrenzungundDiskriminierungvonFrauenindiesenRäumenfortgeschriebenwird.Der Beitrag bietet Erklärungsansätze dafür, warum und wie Frauen ausbestimmten Bereichen von Online-Communitys ausgeschlossen werden.
15KommunikationskulturenindigitalenWelten
PädagogischeProjekte,diesichexplizitmitGender-AspektenindigitalenSpielenbefassen, sindselten.DieAusführungenderAutorinnenmachendeutlich, dass es erforderlich ist, sich im Rahmen der MedienpädagogikreflektierendmitdenDarstellungenvonMännernundFrauenindigitalenSpielenauseinanderzusetzen,umStereotypeundRollenklischeesinGameskritischzuhinterfragen.
Wolfgang Schill, KooperationsbeauftragterimGMK-ProjektbüroBerlin,und Ida Pöttinger,bisNovember2015VorstandsvorsitzendederGMK,befassensichmitderHörkulturimdigitalenZeitalter,wobeiesihnenbe-sondersumdiePflegedesHörensalsmedienpädagogischeAufgabegeht.Kindern und Jugendlichen, so ihre These, helfen Hör-Bausteine, um dieeigeneStimmungslageden„Lebensthemen“anzupassen.AnhanddesBei-spielsderARD-Radionachtzeigensie,wiedurchgezielteaktiveMedien-arbeit medienbezogene Lebenserfahrungen aufgegriffen und erweitertwerdenkönnen.DasBeispielerscheintSchillundPöttingergutübertragbaraufandereSettingszusein,zumalfürsiedamitdeutlichwird,wiedurchmedienpädagogischesHandelnmitauditivenMedien,nebenallgemeinerMedienkompetenz, vor allem die Medien-Lese-Schreib-Kompetenz vonKindernundJugendlichengefördertwird.
Hans-Jürgen Palme, geschäftsführenderVorstandvonSIN–StudioimNetze.V.inMünchen,undWalter Staufer, ReferentimFachbereichFBC/ZielgruppenspezifischeAngebotederBundeszentralefürpolitischeBildung/bpb in Bonn, zeigen, wie grundlegend die Inklusionsperspektive für dieMedienpädagogikist,dasiedieVielfältigkeitdesMenschseinsindenBlicknimmt.DieAutorenvereinen in ihremArtikeleinerseitsdieüberordnetePerspektivezumVerhältnisvonmedienpädagogischerArbeitundInklusionundwartenandererseitsmitzahlreichenkonkretenPraxistippsauf,dieeinedirekteUmsetzungundNachahmungnahelegen.DiesgeschiehtmitdemZiel,medienpädagogischAktivefüreineinklusiveMedienpädagogikzumo-tivieren.Dabeiwirddeutlich,dasseinekonsequenteInklusionsperspektiveinderMedienpädagogikeinenertragreichenProzessinGangsetzenkann,dessenersteErgebnissesievorstellen.
Internationale Bezüge
DenFokusaufinternationaleEntwicklungenlegtUwe Hasebrink,Professorfür empirischeKommunikationswissenschaft anderUniversitätHamburgund am Hamburger Hans-Bredow-Institut. Anhand des Forschungsnetz-werkes zuEU Kids Online, dasbereits seit JahreneineFülle vonempiri-schenDatenaus25europäischenLändernzuUnterschiedenundGemein-
16 KommunikationskulturenindigitalenWeltenKommunikationskulturen in digitalen Welten
samkeiteninderOnlinenutzungsammelt,zeigter,welcheSchwierigkeitenbeimVergleichderverschiedenenLänderauftreten.Hasebrinkbetont,wiewichtigsolcheVergleichesind,aberdassnichtlediglichUnterschiedederMediennutzung und der Medienkompetenz festgestellt werden sollten,sondern dass die Kontextfaktoren genauer zu untersuchen sind. Nur sokanninternationalvergleichendeForschungzumbesserenVerständnisderRollevonMedienkompetenzunddamitauchzurFörderungvonMedien-kompetenzbeitragen.Undnursoistesmöglich,ErklärungenanhandvonKontextfaktoren zu liefernunddaraus Empfehlungen abzuleiten,welcheFördermaßnahmen sichbewähren, umKinder und Jugendlichedabei zuunterstützen,dieMöglichkeitenderOnlinemedien fürsichpersönlichsovielfältigwiemöglich zunutzen,ohnedabei für siebelastendenegativeErfahrungenmachenzumüssen.
Ida Pöttinger (s.o.)undSebastian Ring medienpädagogischerRefe-rentamJFF–InstitutfürMedienpädagogikinForschungundPraxisinMün-chen,berichteninihremBeitragvondereuropäischenSessiondesGMK-Forums.DievierAkteureausdendreieuropäischenLändernDeutschland,FrankreichundBelgienbeleuchtenaktuelleVernetzungsanstrengungenaufeuropäischerEbeneundmachendeutlich,dassestrotzvielversprechenderPerspektivennochimmerzahlreicheHindernissegibtunddeshalbnotwen-digerSchrittebedarf,bismedienpädagogischeAktivitätenwirklicheuropä-ischorientiertsind.
17KommunikationskulturenindigitalenWelten
1. Politische Dimensionen und (medien-) pädagogische Positionen
18 WandelvonsozialenBeziehungen,KommunikationskulturundMedienpädagogikKommunikationskulturen in digitalen Welten WandelvonsozialenBeziehungen,KommunikationskulturundMedienpädagogik
WandelvonsozialenBeziehungen,KommunikationskulturundMedienpädagogik 19WandelvonsozialenBeziehungen,KommunikationskulturundMedienpädagogik
Friedrich Krotz
Wandel von sozialen Beziehungen, Kommunikationskultur und Medienpädagogik
Thesen aus der Perspektive des Mediatisierungsansatzes
Wer sich das „Handbuch Medienpädagogik“ (Sander/von Gross/Hugger2008) ansieht, findet Texte über die historischen Wurzeln der Medien-pädagogik,breit angelegte theoretischeDarstellungenausverschiedenenBezugsdisziplinenundnatürlichauchAufsätzeüberdieeigentlichenmedi-enpädagogischenThemen:Forschung,Medienentwicklung,Diskussionsfel-der,PraxisbezügeundberuflicheAspekte–alsoeigentlichalles,wasmansichwünschenkann,undvonnamhaftenAutorinnenundAutorenverfasst.AchtJahrenachdemErscheinendiesesBandesmussmangleichwohlfest-stellen,dassdieMedien,mitdenendieKinderundJugendlichenheutegro-ßeTeileihresAlltagsverbringen(vgl.MPFS2015),darinnureinegeringeRollespielen,wieauchdasStichwortverzeichniszeigt:Twitter,Facebook,WhatsAppunddasheutequasiubiquitäreSmartphonetauchenkaumaufundbeispielsweiseauchdasfürdieZukunftderDemokratiesowichtigeIn-formationsverhaltenJugendlicher(vgl.Wagner/Gebel2014)oderdieRollepartizipativangelegterSoftwarekonntenindervorliegendenAusgabenochnichtinihrerheutigenBedeutungdargestelltodertheoretischdurchdrun-genwerden.DiesistnatürlichkeineKritikandenAutorinnenundAutorenoderHerausgeberinnenundHerausgebern,sonderneherandemVerlag,derjaeineganzeReihemedien-undkommunikationswissenschaftlichaus-gerichteterHandbücherherausgebrachthat,sichaberfragenlassenmuss,obdieseStrategieunterdenheutigenBedingungeneigentlichnochsinn-vollist.DennderWandelderMedienindenletztenundvermutlichauchindennächstenDekadenistvielzuschnellundzugrundlegend,alsdasskommunikationswissenschaftlicheundauchmedienpädagogischeErkennt-nissederzeitmiteinemhinreichendenVerfallsdatumgeschriebenwerdenkönnen,sodassbeieinemtrotzseinerQualitätenschnellveraltendenBandvoneinemHandbuchdieRedeseinsollte.
Beispielsweise istheuteunübersehbar,dassdie frühergültigeBetrach-tungsweisederMedien einerGesellschaft als einSystem von historisch zu verschiedenen Zeiten entstandenen, mehr oder weniger unabhängigen Massen-medien,diejeeigeneTechnikenundDistributionswegebenutzen,jeunter-schiedlichüberUnternehmen,sozialeInstitutionen,NormenundRegelnin
Wandel von sozialen Beziehungen, Kommunikationskultur und Medienpädagogik
20 WandelvonsozialenBeziehungen,KommunikationskulturundMedienpädagogikKommunikationskulturen in digitalen Welten
dieGesellschafteingebettetsind,jespezifischeInhalteinspezifischenFor-menundÄsthetikenproduzierenundvertreibenundjevondenMenschenalsErfahrungsräumeinunterschiedlichenWeisengenutztwerden,nurnochsehrbegrenzterfasst,wasgemeintist,wennmanvonMedienspricht.DennindenletztenDekadenhabensichdieMediensysteme,dieinGesellschaftenverwendetwerden(vgl.Kleinsteuber2005),zueinercomputergesteuerten di-gitalen Infrastrukturverdichtet,dieimmerkomplexerundumfassenderwirdundzuderkeineswegsnurvormalssogenannteMassenmediengehören.IndieserdigitalenInfrastrukturhabensichzudemdie„alten“Medienaufgelöst;sie sind zugleich zusammenmit vielenanderenneuenMediendiensten inneuenKontextenundneuenFormenwiedererstanden.
DerMedienwandelvonheuteerschöpftsichdementsprechend,wieichweiteruntennochgenauerargumentierenwerde,nicht indemAufkom-meneinzelnerMedienoderineinemWandeleinzelnerbereitsvorhandenerMedien,sondernistsehrvielgrundsätzlicherausgelegt.Hinzukommt,dassesimGegensatzzufrüherenEntwicklungenheutevorallemdieJugendli-chensind,diedieseInfrastrukturzunehmendnutzenundzumTeilweiter-entwickeln,ihrsozialesundkommunikativesLebendaraufausrichtenundsozumEntsteheneinerinmancherHinsichtneuenKommunikationskulturbeitragen.Dasheißtinsbesondere,dasssichnichtnurzunächstdaskom-munikativeHandelnderJugendlichenundmiteinemgewissenZeitverzugauchdieKommunikationsgewohnheitenvielerandererMenschenverän-dern,sonderndasssichalles,wasaufKommunikationaufgebautundange-wiesenist,wandelt:FamilieundSchule,PeergroupsundKonsumverhaltenundallemöglichenanderenLebensbereichewerdendadurchbeeinflusst.
GenaudieserWandelistaberderUntersuchungsbereichdessogenann-tenMediatisierungsansatzes: Erbefasst sich, kurz gesagt,mitdemWandelvon Alltag, Kultur und Gesellschaft im Kontext des Wandels der Medien(vgl.Krotz2001,2007;Lundby2014).DerMedienwandelunddiesichent-sprechendwandelndenLebensverhältnissebildendenAusgangspunktjederpraktisch relevanten Medienpädagogik und sind somit auch für jede Be-schreibungundRekonstruktionvonjugendlichenKommunikationskulturenvonzentralerBedeutung.DiegenanntenTeildisziplinensowieMediensozia-lisationsforschungundMediatisierungsansatzhängendaherengzusammen.
MitdiesemZusammenhangbefasstsichderfolgendeAufsatz,indemereinenvorherigenText(Krotz/Schulz2014)weiterentwickelt.Erbeschreibtim folgendenzweitenKapiteldenheutigenMedienwandelvorderFolieder früherenEntwicklungen,beschäftigt sichdann inTeilkapiteldreimitdem Mediatisierungsansatz. In Kapitel vier werden einige in diesem Zu-sammenhang gewonnene empirische Ergebnisse und theoretische Über-
21WandelvonsozialenBeziehungen,KommunikationskulturundMedienpädagogik
legungen zumMedienumgang vonKindernund Jugendlichen sowiederdamit verbundene Wandel von sozialen Beziehungen, Subjektivierungs-prozessenundhiermiteinhergehendvonKommunikationskulturenvorge-stellt,dieauch fürdieMedienpädagogikvon Interesse seinkönnen.DiehierentwickeltenThesensinddabeiüberwiegendfüralleNutzerinnenundNutzerdigitalerMedien formuliert, beziehen sich aber insbesondere aufJugendliche,diediecomputergesteuertenMedienjabekanntlichauchalsVorreiterverwendenunddiedamitverbundenenMediatisierungsprozessevorantreiben.
Medienwandel heute: Von einer Kultur der Einzelmedien zu Hardware/Software-Mediendiensten einer computergesteuerten digitalen Infrastruktur
WervonMedienwandelundvonMediatisierungsforschungspricht,musszuallererstbestimmen,wasunterMedienverstandenwerdensoll–vielederderzeitigenKontroversenüberdasKonzeptMediatisierungentstehendeswegen,weilmancheeinenfunktionalenMedienbegriffzugrundelegen,andere–nachLasswell–MedienzuTransportkanälenreduzieren(vgl.Lasswell1964) oder in Anlehnung an McLuhan unter Medien all das verstehen,wassichals „Extensionsofhumans“ (McLuhan1964)begreifen lässt.SobeschränkensichetwaWinfriedSchulz(2004)oderMichaelMeyen(2009)inihrenAusführungenletztlichaufMassenmedienundignorierenanderemedienbezogeneKommunikationsformen,obwohlsie fürdiederzeitigenEntwicklungenundderentheoretischemVerständniskonstitutivsind.
ImHinblickaufdieMedienfunktioneninderheutigenGesellschaftwer-denhierunterMedientechnisch,ästhetischundgesellschaftlichvereinbar-te und betriebene Kommunikationspotentiale verstanden, derer sich dieMenschenunterspezifischengesellschaftlichenundkulturellenBedingun-genbedienenkönnen.UmMedienalsovonihremoffiziellenZweckundih-rernormalenVerwendungsweiseherzucharakterisieren,könnenwirsieineinersemiotischenSichtweiseaufdoppelteWeisedurchihreStrukturundsituativenLeistungspotentialebeschreiben(hierzuauchKrotz2011,2014):
Strukturell sindMedienQ einerseitsgesellschaftlichalsOrganisationenoderUnternehmenindie
Gesellschaft eingebettete Institutionen (vgl. Berger/Luckmann 1980),umdieherumsichzahlreicheweitereInstitutionensowiegesellschaft-lichausgehandelteNormen,RegelnundErwartungenkonstituiertha-ben,dieaufdiesekommunikativenPotentialeEinflussnehmen.
22 WandelvonsozialenBeziehungen,KommunikationskulturundMedienpädagogikKommunikationskulturen in digitalen Welten
Q Andererseits sind Medien technisch/ökonomisch strukturiert und ge-staltet;insofernistihreFunktionsfähigkeitundNutzungvorallemauchandarausresultierendeBedingungengeknüpft.
Situativ existierenMedieninderRealisierungalskommunikativePotentiale.Diesgeschieht,
Q indemsieeinerseitsspezifischeInhalteinspezifischenFormenmanagenoderproduzieren(lassen)undverteilenbzw.weiterleiten,sodassThe-menundFormendiegesellschaftlichenRegeln,NormenundErwartun-genangemessenerfüllen,
Q undandererseits,indemsiealsRäumekommunikativerErfahrungenderMenschenund fürdaraufgründendesoziale,kommunikativeundre-flektierendeAnschlussprozessedienen.
DieseDefinitiongiltfürjedeseinzelneMedium;sieallezusammenbildenineinerGesellschafteingemeinsames,sichstetswandelndesMediensys-tem.WährendsichdieKommunikations-undMedienwissenschaftebensowiedieMedienpädagogik im20.Jahrhundert imWesentlichenmitMas-senmedienbeschäftigthat(vgl.McQuail1996;Burkart1995),lassensichdieheutigenMediensystematischimHinblickaufdiejemöglichenKom-munikationsprozessezunächstindreiGrundtypenunterscheiden:
Q Entweder(1)findetKommunikationeinerseitsalsProduktionundda-vongetrenntandererseitsalsRezeption/Aneignungvonformalundin-haltlichvorstrukturiertenAngebotenwieimFallederfrüherenMassen-medienstatt.
Q Oder(2)KommunikationgeschiehtalsinteraktivesHandelnvonMen-schen mit Hardware/Softwaresystemen wie im Falle des Surfens imNetz,demLesenmittelsE-Book-ReadernoderdemComputerspielen.
Q Oder (3)eshandelt sichumwechselseitige,also reziproksichentwi-ckelndeinterpersonaleKommunikationmittelsMedienzwischenzweiodermehrerenMenschen.
WährenddieerstgenannteKommunikationsform,siehtmanvomTheaterundähnlichenVeranstaltungenab,immeranMediengebundenist,findetdiezweitezwischenMenschundComputerstatt,derdabeinichtnuralsGegenüberauftretenkann,sondernoftauch–wieetwa insogenanntenvirtuellenUmgebungenwieSecond LifeoderinComputerspielen–dieRah-menbedingungen fürden jeweiligenKommunikationsverlauf festlegt;diedritteschließlichgeschiehtmedienvermitteltzwischensituativbeteiligtenMenschen.KomplexereVerhältnisseergebensich,
23WandelvonsozialenBeziehungen,KommunikationskulturundMedienpädagogik
Q wennmandieseGrundformenmiteinanderverknüpftundverbindet,wiees(4)imRahmendersogenanntenSocial Software derFallist(vgl.Ebersbachetal.2008),
Q wennman (5) dendurchdie Technikvorgaben verursachten generel-lenWandelvonBedingungenvonMediennutzungeinbezieht,alsobe-rücksichtigt,dassvielekonkreteKommunikationsaktivitätenheuteauchmobil stattfindenkönnen,
Q wennman(6)inBetrachtzieht,dasssichMedienmittlerweileinvieleandereundnichtnurkommunikativeHandlungsweiseneinfügen,etwaindemmanMaschinennichtmehreinschaltet,sondernveranlasst,dassdieseinComputertut,
Q oderwennman(7)berücksichtigt,dassesauchFormenvonmedienbe-zogenerKommunikation gibt,diealsonichtmedienvermitteltist,abernurwegenmedialerKommunikationexistiert,wennsichbeispielsweisezweiMenschenübereinBuchodereinTelefongesprächunterhalten.
Q Undschließlichauch,wennman(8)miteinbezieht,dassesheuteauchmenschenloseKommunikationsformengibt, fürdiedas „InternetderDinge“ steht,worin letztlichComputermiteinander Symbole austau-schen,wobeieshier imGegensatzzurmenschlichenKommunikationaufExaktheitundVerwendbarkeitundnichtaufeinInterpretierenundVerstehenankommt.
Mithilfe dieser Überlegungen kann man Mediensysteme grundsätzlichbeschreiben,ohne siewie z.B.bei anderenTypisierungen in technischerHinsichtzuhierarchisieren.Medienwandel lässtsichdannerstensalsWan-deldesgesamtenMediensystemsrekonstruieren,derentwederdurchdasAufkommen neuer Medien, wie im Falle der Erfindung des Fernsehens,zustandekommt,oderzweitensdurchdenWandeleinzelnerbereitsvor-handener Medien, etwa als das Fotografieren nicht mehr mit Plattenka-mera, sondern mit einem massentauglichen Knipsautomaten von KodakmiteingelegtemFilmstattfandundsichsodieBildkulturindenIndustrie-gesellschaftenveränderte.Drittensistesaberauchmöglich,dasssichdasgesamteMediensystemsimultanauffundamentaleWeisewandelt,wieeszumBeispielgeschah,alsganzeGesellschaftenlesenlernenmussten(vgl.Stein2010),oderwiederzeitmitdemÜbergangvoneinemMediensystemausvoneinanderunabhängigenanalogenEinzelmedienzueinerdigitalenInfrastruktur.HeutefindendiesedreimöglichenEntwicklungengleichzeitigstatt–ichgehehierimFolgendenvorallemaufdenletztenFallein,derbisherkaumsystematischindenBlickgenommenwordenist.
24 WandelvonsozialenBeziehungen,KommunikationskulturundMedienpädagogikKommunikationskulturen in digitalen Welten
EinerseitshatdervorwenigenJahrzehnteninGanggekommenePro-zessderDigitalisierungdertraditionellenundfrüheranalogensowietech-nisch-organisatorisch eigenständigen Medienteilkulturen die Kultur desFotografierensweitgehendaufgelöst.SosinddiefürdiesesMediumcha-rakteristischeFototechnik, diedamit verbundenenDistributionswege viaFotolaboreundspezifischeGeschäfte,diesozialeEinbindungderFotogra-fie,welcheunteranderemdurchFotojournale,entsprechendausgestatteteZeitschriftenundBildbändeoderdurchNormen,wasmitpornographischenFotografienzugeschehenhabeoderwieFotografenarbeiten,mittlerweilegrößtenteilsverschwunden.ÄhnlichesgeschahundgeschiehtderzeitmitderFilmkultur,derMusikkultur,derLesekultur,undselbstbeimFernsehenkannmanheutenichtmehrgenausagen,obdieNutzungvonYouTube,das Abspielen einer Nachrichtensendung auf dem Smartphone oder derVergleichvonverschiedenenPerspektivenaufeinFoulbeieinemFußball-spielunterdieKategorieFernsehenfälltodernicht.Andererseitssinddiese„alten“MediengleichzeitigalsHardware/SoftwaresystemeimRahmendercomputergesteuertendigitalenInfrastrukturvonheuteineinerneuenFormwiedererstanden.Sowirdheuteimmernoch,abertechnischganzandersfotografiert.Die Ergebnissewerden imUnterschied zu früher direkt dis-tribuiert oder bei Instagram, Flickr, Facebook oder anderswo zugänglichgemachtoderauchalsKommunikateversandt.DieThemenundMotive,die Fotografien zeigen, sowie die Verwendungsweisen von Fotos habensichgeändert,wiebeispielsweisedieSelfiesoderderDienstSnapshotzei-gen.Geschäftsmodelle,die sichheutenochaufdasFotografierenbezie-hen,funktionierenganzandersalsvoreinemhalbenJahrhundert;insofernsiesichaufPassfotosoderandereNischenaktivitätenspezialisieren.Dabeihaben sichauchdie InszenierungsformenundÄsthetikengewandelt, in-sofern etwaprivate FotosnichtmehrnurderUrlaubsfotografieundderDokumentationausgewählterSituationenderFamiliengeschichtedienen,sondernBilderrückendie in ihnenenthalteneErzählungüberFotografinund Fotograf in den Vordergrund und dienen so auch immer mehr derSelbstdarstellungsowiederDokumentationsituativenErlebens.
ÄhnlicheEntwicklungenzeichnensichfürdenFilm,dieMusikoderdieBuchkulturab,dieihrefrüherenTrägermedienverlassenhabenundlang-fristigvermutlichüberwiegendalscomputergesteuerteStreaming-Diensteexistieren werden. Natürlich geschehen diese Entwicklungen in unter-schiedlicherGeschwindigkeitundwerdenvermutlichinunterschiedlichenAusschließlichkeitenenden,aberesistanzunehmen,dassesnochweiterederartigeEntwicklungengebenwird–dasVorhabengroßerInternetversen-der,etwaBuchpreiseähnlichwieMusikpreisenurnochnachdengelesenen
25WandelvonsozialenBeziehungen,KommunikationskulturundMedienpädagogik
SeiteneinesTexteszuberechnen,weistjedenfallsindieseRichtung.DassauchdietagesaktuellenMedien,wieZeitung,RadioundFernsehen,durchPodcasts,BloggerundOnlinediensteinandereKontextegeratensindundsoihnenzwarneueMöglichkeitenderVermittlungundAufmerksamkeits-erzeugungzurVerfügungstehen,sieaberauchdurchneueKonkurrentenunter ökonomischen Druck geraten, ist auch bekannt. Eine interessanteFrageistindiesemZusammenhang,obdieMedien,dieanfrühereanalogeanknüpfen, eine Sonderstellung behalten werden, an der die Menschengewohnheitsmäßig hängen, in ihrer neuen Form bestehen bleiben oderobsiealsTrägereinereigenständigenTeilkulturverschwindenwerden.ObalsoetwadiefürDemokratiebishersowichtigeTageszeitungalsE-Paperweiter bestehen oder als eigenständige Organisation von Nachrichtenverschwindenwird.DerÜbergangvonanalogenMediensystemenhinzucomputergesteuerterdigitalerInfrastrukturmussjedenfallsnichtunbedingtdauerhaftdemokratieverträglichodergarfriedlichvorsichgehen,weildieInteressen,diemitdiesemWandelverbundensind,aufganzandereErfolgehinausgelegtsind.
NebendieserTransformationderaltenMassenmedienentstandenundentstehen indercomputergesteuertendigitalen Infrastrukturbekanntlichauchzahlreicheweitereinteraktivbzw.fürinterpersonaleKommunikationzunutzendeMedien,undwasdavonerfolgreichandieNutzenden,heutemeistensJugendliche,gebrachtwird,differenziertsichimmerweiteraus.Dieszeigtz.B.dieVielzahlvonFormenmedienvermittelterinterpersonalerKommunikationauf,dieheuteschonvonE-Mail,digitalemTelefonieren,ChatsundderSMSbishinzuSkypeundWhatsAppundleichtmodifizier-tenFormenwieThreemaundTelegramreicht.
Insgesamtistzubetonen,dassdieseEntwicklungenzwardurchausaufsichausdifferenzierendeVerwendungsweisen,BedürfnisseundErwartun-genderMenschenBezugnehmen,dasssieabervorallemvonderÖkono-mievorangetriebenwerden,diedie technischenEntwicklungenkontrol-liertundumsetztunddabeiohneZweifeldafürsorgt,dassihreInteressenim Vordergrund stehen. In jedem Fall kann man davon ausgehen, dassdieseEntwicklungensolangeweitergehenwerden,solangesichInvestorendavoneinenGewinnversprechen,obausGebühren, Textüberlassungen,WerbungoderDatensammelinteressenoderauswassonst.
Als zentrales Instrument der so entstehenden digitalen InfrastruktursinddabeiComputerzunennen,ohnediedieseDatenmengennichtkon-trolliertundzugeordnet,nichtsortiertundausgewertet,nichtsinnvollge-speichertundwiederaufgefundenundsomitnichtverwertetwerdenkön-nen.NatürlichkönnenComputerimmernurdas,wasihnenihreSoftware
26 WandelvonsozialenBeziehungen,KommunikationskulturundMedienpädagogikKommunikationskulturen in digitalen Welten
vorgibtbzw.ermöglicht.Softwareistabergenerellakkumulativangelegt,wiedieModulbauweisevonComputerprogrammenzeigt–d.h.Program-me können immer miteinander verbunden werden und ermöglichen soComputernjedenfallsprinzipielldieBearbeitungimmerkomplexererAuf-gaben. Dementsprechend kann man auch davon ausgehen, dass medialangelegteHardware/Softwaresystemenichtnurimmerkomplexerwerden,sondernsichauchimmermehrausdifferenzieren,immerdetaillierterundumfassenderaufeinzelneBedarfeundBedürfnisseeingehenwerdenkön-nen. Insofernwirdsichdiesecomputerkontrollierte,digitale Infrastrukturimmerweiterentwickeln,eswerdenimmerneueMöglichkeitenfürkom-munikativbasiertesHandelnentstehen,diealsChancenundRisikenbe-griffenwerdenmüssen.DabeisollderBegriff„computerkontrolliert“zumAusdruckbringen,dassComputerimmerauchEntscheidungentreffen,undzwarzunehmendsolche,dienichtmehrvomProgrammierervorgegebenwerden,sonderndiedieMaschineauskomplexenInformationenableitet–unddieangesichtsderansteigendenKomplexitätderProgrammeoftmalsvonMenschennichtmehrimEinzelnennachgeprüftwerdenkönnen.Dieswirdjageradeauchinder„Computerethik“diskutiert.Dieskannsichdannetwa auf die zunehmende Personalisierung von Antworten, die man iminteraktiven Kontakt mit Computern bekommt, aber auch auf die Mög-lichkeitenpartizipativenkommunikativenHandelnsauswirken,dieeiner-seitsTeilhabeundDemokratiefördernsollen,dieMenschenandererseitsaberauch inendlosekommunikativeAktivitätenverwickelnkönnen,wieesbeiInternetplattformenwieAvaazoderPetitionsmaschinen,aberauchbeiFacebookundTwitterderFallist.UndobwohlsichInformationsflüsseimNetzzwarauchzwischendenPeripherienentwickelnkönnen,bedeutetdiesnochlangenicht,dassnichtdochdieZentrendasSagenhaben.
Schließlich ist festzuhalten, dass die Bedeutung der Computer ins-besondere auchdarin liegt,dass alleDatenundallesdamit verbundeneWissenineinerspezifischenCodierungundineinermaschinengerechtenAnordnungaufgehobenunderstnacheventuellenVerarbeitungsprozessentransformiert und dann gegebenenfalls wieder den Menschen mitgeteiltwerden–auchwennCodierprozesseinEinzelfällenrückübersetztwerdenkönnen,sindDatenundVerarbeitungdenMenschenzunehmendwenigerdirekt,sondernnurnochüberComputerzugänglich.WardasWissenderMenschheit also früher in Bildern, Schrift und Sprache aufgehoben undkonntendieMenschendaraufdirektzugreifen,so istdies jetztnurnochüberComputermöglich–wieimmermandasbewertenwill.