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Die Textspreu vom Informationsweizen zu trennen fällt Lesern und Web-Nutzern zunehmend schwer. Immer lauter wird der Ruf nach einem Dienstleister, der für sie auswählt und einordnet, das Wichtige vom Unwichtigen scheidet. Das übernehmen heute vielfach kuratierte Newsletter. Das Geschäftsmodell der „Content Curation“ bietet große Chancen. Seite 52 Kompass dringend gesucht 2 / 17 ZEITSCHRIFT FÜR ZEITSCHRIFTENMACHER Sanfte Rocker aus Mannheim Digitale Allesfresser Hurra im Doppelpack Nico Imhof und Björn Meißner führen den Huber Verlag heute. Sein Profil: Lektüre für Biker, Rocker und Tätowierte. Wie können Verlage im Netz Geld verdienen? Antworten lieferten die Referenten des SZV-Abendgesprächs im April. Foto: Sergey Nivens / Fotolia.com Beilagen in redaktioneller Aufmachung sind zu einem interessanten Geschäftsmodell geworden. Seite 4 Seite 26 Seite 32

Kompass dringend gesucht - szv.de · BM: Neben dem eigenen Wissen und einer guten Portion Empathie ist es sehr wichtig die richtigen Fragen zu stellen, zuzuhören, Anleitung zu geben

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Die Textspreu vom Informationsweizen zu trennen fällt Lesern und Web-Nutzern zunehmend schwer. Immer lauter wird der Ruf nach einem Dienstleister, der für sie auswählt und einordnet, das Wichtige vom Unwichtigen scheidet. Das übernehmen heute vielfach kuratierte Newsletter. Das Geschäftsmodell der „Content Curation“ bietet große Chancen. Seite 52

Kompass dringend gesucht

2 /17

ZEITSCHRIFT FÜR ZEITSCHRIFTENMACHER

Sanfte Rocker aus Mannheim

DigitaleAllesfresser

Hurra im Doppelpack

Nico Imhof und Björn Meißner führen den Huber Verlag heute.

Sein Profil: Lektüre für Biker, Rocker und Tätowierte.

Wie können Verlage im Netz Geld verdienen? Antworten lieferten die Referenten des

SZV-Abendgesprächs im April.

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Beilagen in redaktioneller Aufmachung sind zu einem interessanten

Geschäftsmodell geworden.

Seite 4 Seite 26 Seite 32

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Inhalt14. Jahrgang

Porträt: Nico Imhof und Björn Meißner, Huber Verlag, Mannheim Sanfte Rocker 4

Social Media: Auf welchen Kanälen funkt die Branche?Besser alles richtigmachen 12

Print punktet auch im digitalen Zeitalter Die Psychologie des Gedruckten 18

VERLAGSLEITUNG

SZV-Abendgespräch lieferte Fakten zum Content-Verkauf im Netz Vom Umgang mit den digitalen Allesfressern 26

Einblicke in das boomende Geschäft mit PressebeilagenHurra im Huckepack 32

VERTRIEB

Schreibstil ist nicht nur Geschmackssache Aber bitte mit Gehirn 38

REDAKTION

Rechts-Rath.34 Augen auf bei Online-Anzeigen 44

ANZEIGEN

Rechtsunsicherheiten bei Arbeitsverträgen mit freien MitarbeiternFisch oder Fleisch? 46

PERSONAL

Wie Verlage mit kuratierten Newslettern gewinnen könnenKompass dringend gesucht 52

DIGITALES PUBLIZIEREN

Nr. 2 / 2017

SCHLUSSWORT · IMPRESSUM 58

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4 impresso 2 /2017

Der Mannheimer Huber Verlag ist einer wilden Zeit und Szene

entsprungen und hat eine bewegte Historie hinter sich. Nun wandelt

er sich auf seine Art vom printbetonten Verlag zum modernen

Medienunternehmen. Dafür stehen auch die jungen Geschäftsführer

Nico Imhof und Björn Meißner.

VERLAGSLEITUNG

Rocker

Porträt: Nico Imhof und Björn Meißner, Huber Verlag, Mannheim

Sanfte

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impresso 2 /2017 5

Von Roland Karle,

Freier Journalist,

Neckarbischofsheim

VERLAGSLEITUNG

W er in die Sauna geht, trägt eher kei-ne Krawatte. Beim Kreditgespräch

mit dem Bankberater kann sie hingegen nicht schaden. Auf dem Rosenmontags-ball fällt ein Clownskostüm kaum auf, beim Interview mit einem Firmenchef meistens aber schon. Stilfragen, die sich mir so ähnlich und völlig ungewohnt stel-len vor dem Besuch des Huber Verlags. Dazu muss man wissen, dass der vor-nehmlich Biker, Rocker und Tätowierte mit Lektüre versorgt. Soll ich mit einem Motorrad vorfahren? Und mit einem gut sichtbaren Piercing einlaufen? Ein feines

Tattoo tragen, das sich aus dem Hemd-kragen schlängelt? Das würde vermut-lich sofort hohe Akzeptanzwerte brin-gen. Doch weder bin ich Biker noch tra-ge ich einen Ohr- oder Nasenring. Und tätowiert bin ich auch nicht.

Also fühle ich mich etwas nackt, je näher die Markircher Straße 9a in Mannheim kommt, die Zentrale des Huber Verlags. Sie ist die publizistische Heimstatt der deutschen Rockerszene. Gründer Gün-ther Brecht, den alle nur „Fips“ nennen, brachte 1980 die Biker News (zunächst

Foto: Überlassung seitens des Huber Verlags

Seit 2016 Geschäftsführer des Huber Verlags: Nico Imhof (li.) und Björn Meißner

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VERLAGSLEITUNG

6 impresso 2 /2017

als Angel News) heraus, die erste Zeit-schrift für Motorradclubs in ganz Euro-pa. Vom Titel grüßte ein Oben-ohne- Girl „aufm“ Chopper, die Comicseiten stammten vom damals noch unbekann-ten Rötger Feldmann alias Brösel (Wer-ner Beinhart).

Brecht war überzeugter Aktivist und schreibender Chronist, gab nun ein Blatt heraus für die junge, rasch wach-

15 Fragen an die Geschäftsführer Nico Imhof und Björn Meißner

Sagen Sie mal, Herr Imhof und Herr Meißner ...

Welches Buch lesen Sie gerade?

Nico Imhof (NI): Zum dritten Mal Siddhartha von Hermann Hesse. Buddhismus fasziniert mich schon sehr lange.Björn Meißner (BM): Führen, Leisten, Leben von Fredmund Malik und Ich weiß, was du denkst: Das Geheimnis, Gedanken zu lesen von Thorsten Havener.

Mit welchen Medien beginnen Sie den Tag?

NI: Vor dem Duschen überfliege ich am Smartphone zehn Minuten Facebook und Co. Das gehört einfach zum festen morgendlichen Ritual. BM: Mit dem Checken meiner E-Mails, Facebook und diversen News-Seiten.

Auf welchen Internetseiten verweilen Sie am längsten?

NI: Facebook, Spiegel Online und natürlich die Seiten des Huber Verlags. BM: Auf unseren eigenen Seiten, dicht gefolgt von Amazon und diversen News-Porta-len sowie Wetter-Seiten. Die Aussicht auf trockenes, warmes Wetter mit viel Sonnen-schein hebt meine Stimmung enorm.

Die (berufliche) Entscheidung, auf die Sie besonders stolz sind?

NI: Aktuell möchte ich den Verlag maßgeblich für die Zukunft wappnen und ihn so auf-stellen, dass er auch langfristig mit qualitativ hochwertigem Content und weiteren Standbeinen wirtschaftlich gut funktioniert. Auf diesem Weg gibt es viele Meilensteine, auf die ich gerne zurückschaue. BM: Es ist eher die Summe von vielen Entscheidungen, auf die ich gerne zurückschaue, die den Verlag und mich persönlich vorangebracht haben.

Die (berufliche) Entscheidung, die Ihnen am meisten Ärger brachte?

NI: Ich hatte bisher das Glück, halbwegs harmonisch durch meine bisherige berufliche Laufbahn zu gehen. Nicht sorglos, aber harmonisch. BM: Diesen Job angenommen zu haben. Kleiner Scherz – bis auf Kleinigkeiten ist mir so etwas bisher glücklicherweise erspart geblieben.

Die wichtigste Fähigkeit eines Verlagschefs?

NI: Fachwissen, Mut, Spon ta ne i tät und die Bereitschaft, sich immer schnell neuen Gegebenheiten anzupassen. Man muss schneller fahren als die anderen, aber nicht so schnell, dass man aus der Kurve fliegt. BM: Neben dem eigenen Wissen und einer guten Portion Empathie ist es sehr wichtig die richtigen Fragen zu stellen, zuzuhören, Anleitung zu geben und Entscheidungen zu treffen, hinter denen man steht.

Ihr bislang interessantester Gesprächspartner?

NI: Da gab es viele, Götz Alsmann hat schon eine beeindruckende Rhetorik.BM: Die interessantesten und ehrlichsten Gespräche aber finden meist mit den Personen statt, die man schätzt und die einem wohl vertraut sind.

sende Szene der Motorradclubs (MC). Die war in seiner Heimatstadt Mann-heim besonders groß und lebendig. Brecht selbst hatte schon 1965 den Lost Sons MC gegründet, aus dem we-nige Jahre später die Mannheimer Bo-nes wurden. Seine „rollende Diskothek“, die auf so vielen MC-Veranstaltungen einheizte, ist Vielen unvergessen und mitverantwortlich für den legendären Ruf, den Brecht bis heute genießt.

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VERLAGSLEITUNG

impresso 2 /2017 7

Von wem haben Sie beruflich am meisten gelernt?

NI: Carsten Heil, unser ehemaliger Marketingleiter und heutiger Chef vom Dienst, ist ein Verlagsmensch, von ihm habe ich in Bezug auf die Medienbranche sehr viel gelernt.BM: Ich reflektiere sehr viel, höre sehr gut zu und bin der Auffassung, dass man von jedem Menschen etwas lernen kann, auch von den vermeintlich schlechten – und sei es nur, um es besser zu machen!

Was treibt Sie an?

NI: Der Ehrgeiz etwas zu verändern und zu hinterlassen. Kleine Orte zu schaffen, zu denen Menschen gerne kommen. Das gilt beruflich wie privat.BM: Die Neugier. Die Freude am Umgang mit Menschen, Neues zu lernen, Ideen zu verwirklichen und dass ich Spaß habe an dem, was ich mache, zumindest meistens.

Ihr Lieblingsberuf nach Verlagschef?

NI: Chefredakteur der Tattoo Erotica. Die Zeit wollte ich nicht missen. Glücklich kommen, viel erleben, glücklich gehen.BM: Testfahrer bei Porsche. Diese Marke fasziniert mich seit meiner Kindheit.

Ihr Lebensmotto?

NI: Es ist nicht genug zu wissen, man muss auch anwenden; es ist nicht genug zu wollen, man muss auch tun.BM: Lebe! Nicht maß- und kopflos, aber immer mit einer ordentlichen Portion Spaß und Risiko.

Ihr größtes Laster?NI: Gutes Essen, schöne Autos und leider auch das Rauchen.BM: Ein guter spanischer Rotwein und das Rauchen.

Was tun Sie, wenn Sie nicht arbeiten?

NI: Zeit mit meiner Familie verbringen, außerdem lese ich gerne, surfe im Internet, liebe Auto- und Skifahren.BM: Ich versuche, möglichst viel zu entspannen, zum Beispiel in der Sauna, beim Sport, und verbringe gerne viel Zeit mit meinen Kindern in der Natur. Und bin natürlich mit dem Motorrad unterwegs, lasse mich ohne festes Ziel treiben, zum Beispiel indem ich immer abwechselnd nach rechts und links abbiege. Es ist erstaunlich, welche schönen Orte man hierbei entdecken kann.

In welcher Stadt fühl(t)en Sie sich am wohlsten?

NI: Meine Heimatstadt Mannheim. Ansonsten sind auch Berlin und Düsseldorf echte Wohlfühlstädte.BM: Ich weiß zwar um die Vorzüge einer Großstadt, bin aber eher der ländliche Typ, deshalb Schriesheim an der Bergstraße.

Welchen Wunsch wollen Sie sich unbedingt noch erfüllen?

NI: Noch mehr reisen; ich möchte viel von der Welt und ihren unterschiedlichen Kulturen entdecken.BM: Ein Häuschen im Grünen, sehr gerne auch mit direktem Seeblick und einem bequemen Schaukelstuhl.

Wilde Zeiten waren das, als junge Rocker, die „Halbstarken“, mit den Re-geln der aus ihrer Sicht spießigen Ge-sellschaft brachen. Frei sein, Spaß ha-ben, tun, was einem gefällt: Motorrad-fahren drückte dieses Lebensgefühl aus, begleitet von „Musik, Drogen, Weibern“, wie es Fips Brecht in seinem autobiogra-fischen Rückblick Rocker in Deutsch-land beschreibt. Es muss wirklich viel losgewesen sein: Gleich drei Bände mit insgesamt 800 Seiten, verteilt auf die 1960er-, 1970er- und 1980er-Jahre, um-fassen seine Memoiren.

Zwei Generationen Huber Verlag: Gründer Günther Brecht, flankiert von Nico

Imhof (li.) und Björn Meißner (re.)

Foto: Überlassung seitens des Huber Verlags

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wächse installiert, die nicht aus der Fa-milie stammen. Gemeinsam übernah-men Nico Imhof, inzwischen 38 Jahre, und Björn Meißner, 35, im Dezember 2015 die Geschäftsführung von Jörn Nitz. Nach den wirtschaftlich hervorra-genden Jahren 2008 bis 2010, als die Zeitschriften-Auflagen stiegen, das An-zeigengeschäft brummte und der Ver-lagsumsatz zwischenzeitlich auf rekord-hafte 10 Millionen Euro kletterte, spürte auch der Huber Verlag: Mit Print allein lässt sich die Zukunft nicht zufriedenstel-lend gestalten. Die Erlöse mit gedruckten Medien gingen in den vergangenen fünf Jahren um etwa ein Viertel zurück.

Duo Imhof / Meißner nimmt Kurs in Richtung Zukunft

Es gehört zu den Wesensmerkmalen des mittelständischen Mannheimer Me-dienhauses, flott und beherzt auf Verän-derungen zu reagieren. „Ideen zu entwi-ckeln und umzusetzen, neue Wege zu gehen, innovativ zu sein – damit sind wir in diesem Verlag groß geworden. Das ist ein Teil seiner Wurzeln“, sagt Nico Imhof. Eine Einstellung, die die meisten Mitar-beiter verinnerlicht haben. Zum Beispiel Anzeigenberater Lucas Vetter, der fin-

Weder für Meißner (li.) noch

für Imhof gibt es den Dienst

nach Vorschrift. Für sie und

ihr Team zählen Herzblut,

Spaß und unternehmerische

Denke

Im Vergleich zu den gewaltigen Anfän-gen und zur berüchtigten Historie der deutschen Rockerszene geht es im Hu-ber Verlag heute geradezu beschaulich zu. Das Firmengebäude liegt in einem Gewerbegebiet, ist zweckdienlich und wirkt unspektakulär. Inhaber Brecht, in-zwischen 71 Jahre alt, hat sich längst aus dem operativen Geschäft verab-schiedet. Er ist aber immer noch prä-sent und eng verbunden mit dem Me-dienunternehmen, das heute rund 60 Mitarbeiter beschäftigt und einen Jahresumsatz von etwa 6,5 Millionen Euro erwirtschaftet. Für den Huber Ver-lag – der Name geht auf Brechts erste Ehefrau zurück, die Huber heißt – gab es im Lauf der Jahre immer mal wieder Kaufinteressenten. Doch der Gründer hat sich nicht ernsthaft damit beschäf-tigt. „Wir haben es geschafft, den Ver-lag und seine Produkte nie in Abhän-gigkeiten zu bringen. So sind wir bis heute ein Medienunternehmen in priva-ter Hand geblieben“, betont Brecht.

Das soll sich nach seinem Willen auch nicht ändern. Seine Nachkömmlinge, drei Söhne und eine Tochter, sind inzwi-schen Mitgesellschafter. An der Spitze des Verlags hat Brecht zwei Eigenge-

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det, dass „wir uns schon immer durch eine sehr lockere und coole Art von an-deren Firmen unterscheiden“. Das erin-nert durchaus an die Anfänge aus der „Born to be wild“-Zeit, an den Freiheits-drang, das Unkonventionelle.

Und doch schien der Verlag überrascht von der digitalen Welle, kaum gewapp-net für die daraus entstehenden Verän-derungen. Der Wandel klopfte nicht höf-lich an die Tür, er war einfach da und pol-terte herein. So häuften sich die Fragen, aber es fehlte an Antworten. Als die Ge-sellschafterfamilie Brecht nach einigen Gesprächen dem Duo Imhof/Meißner anbot, die Geschäftsführung zu über-nehmen, baten die beiden Mittdreißiger um Bedenkzeit. „Wir trauten uns die Auf-gabe zu und hatten auch recht klare Vor-stellungen davon, was zu tun ist“, erzählt Meißner. „Aber wir haben uns überlegt, wie wir wohl den Wechsel vom Kollegen zum Chef hinbekommen, der auch mal unpopuläre Maßnahmen treffen muss.“

Die Zweifel waren unbegründet. Einein-halb Jahre nach ihrem Wechsel an die Verlagsspitze fühlen sich die Geschäfts-führer „sehr wohl“. Mit dem Mehr an Ver-antwortung kommen sie gut klar. „Wir sind uns der großen Aufgabe bewusst, aber machen uns keinen negativen Stress damit. Wichtig ist, dass wir die Leidenschaft, mit der bei uns gearbeitet wird, in starke Ideen und erfolgreiche Produkte umsetzen“, sagt Nico Imhof.

„Wer einmal im Handel gearbeitet hat, der weiß, was Verkaufen bedeutet.

Das prägt.“Björn Meißner

Er und Kollege Björn Meißner kennen sich seit mehr als zehn Jahren. Meiß-ner, drei Jahre jünger, arbeitet schon 15 Monate länger im Huber Verlag. Ein zupackender Vertriebler, gelernter Ein-zelhandelskaufmann. Beim Media Markt ist Meißner drei Jahre in die Leh-re gegangen, „eine gute Schule“, wie er sagt. „Wer einmal im Handel gearbeitet hat, der weiß, was Verkaufen bedeutet. Das prägt.“

Nach der Ausbildung holte er das Fach- abitur nach und wollte eigentlich ein Stu-dium zum Wirtschaftsingenieur begin-nen. Doch dann landete der begeisterte Motorradfahrer im März 2003 beim Hu-ber Verlag. Das war seine Welt. Als An-zeigenverkäufer konnte er sein Ver-triebstalent gleich ausleben, arbeitete nebenbei in der Redaktion und der Event-Organisation mit. Es gibt zwar Ab-teilungen im Huber Verlag, aber keine strikten Grenzen dazwischen. „Wer et-was tun will und Ideen hat, der kann sich immer einbringen“, sagt Meißner. Neben dem Job absolvierte er eine Weiterbil-dung zum IHK-Fachwirt, ab 2007 gehör-te er zum Führungspersonal, stieg auf zum Leiter Veranstaltungen und Leiter Anzeigenverkauf.

Sieben Magazine produziert

der Mannheimer Huber

Verlag. Aushängeschild ist

das Magazin Biker News

Fotos: Überlassung seitens des Huber Verlags

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VERLAGSLEITUNG

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Die Biker News ist bis heute das Aus-hängeschild des Huber Verlags. Das Monatsmagazin gilt als Sprachrohr der deutschen Biker- und Rockerszene. Es erscheint im 38. Jahr, das Juni-Heft (Co-pypreis: 6 Euro) ist die 422. Nummer seit Gründung. In der IVW, dem deutschen Auflagen-TÜV, sind die Titel des Verlags seit einigen Jahren nicht mehr gelistet. Verzerrungen durch die Quartalszähl-weise und unterschiedlich zugeordnete Remissionen waren ausschlaggebend. „Dadurch ist immer wieder Erklärungs-bedarf entstanden. Unsere Werbekun-den erkennen auch ohne IVW-Stempel, wie gut unsere Magazine als Werbeträ-ger funktionieren“, sagt Björn Meißner.

Mit einem Anteil von rund 60 Prozent sind die gedruckten Medien nach wie vor die wichtigsten Umsatzbringer. Zwi-schen 6 und 7 Euro kosten die einzelnen Magazine. Die Einnahmen aus dem Ver-trieb schlagen etwas kräftiger zu Buche als das Anzeigengeschäft, ungefähr im Verhältnis 60 zu 40. „Unsere Magazine sind echte Marken“, betont Imhof. Sie werden auf Papier noch eine ganze Wei-le gefragt sein und zum wirtschaftlichen

Auch Nico Imhof, der nach BWL-Studium in Ludwigshafen im Februar 2005 als An-zeigenberater beim Huber Verlag anfing, begnügte sich nicht mit einer Tätigkeit. Neben seiner Position als Marketinglei-ter, die er ab 2010 innehatte, war er erst Chefredakteur des inzwischen einge-stellten Magazins Timeless, dann des Magazins Tattoo Erotica. Mit Björn Meiß-ner und anderen Kollegen aus dem Ver-lag brachte er drei Kochbücher für Biker (Cook Wilder) heraus und verfasste das Buch Tattoo Erotica.

„Dienst nach Vorschrift macht bei uns keiner“, sagen Imhof und Meißner – und sind selbst die besten Beispiele dafür. Was sie zudem eint: „Wir wollen etwas bewegen, den Verlag nach vorne bringen und wir denken unternehmerisch.“ Imhof und Meißner verstehen sich auch privat bestens. Wenn sie sich etwa zum Grillen mit ihren Familien verabreden, kann das schnell dazu führen, dass sie über Ver-lagsthemen fachsimpeln und Projekte ausbrüten. „Wir sind halt mit viel Herzblut dabei“, sagt Imhof.

Am Kerngeschäft halten die beiden Ge-schäftsführer fest, der Huber Verlag bleibt Spezialist für Motorrad, Rocker, Tattoos, Körperkult und Lifestyle – da fühlt er sich zu Hause. Sieben Magazine gehören der-zeit zum Programm (siehe Kasten). Bike News, Custom Bike und Tätowier Maga-zin erscheinen monatlich, die anderen vier Titel jeweils sechs Mal im Jahr. 60 Ausgaben im Jahr produziert die Re-daktion mit rund 15 Beschäftigten in Mannheim, unterstützt durch mehrere Dutzend freie Autoren . Bücher und Son-derbände rund um die Kernthemen er-gänzen das Verlagsangebot.

„Unser Bikershop ergänzt das klassische Verlagsprogramm ideal und ich glaube, dass

wir hier noch weiteres Potenzial haben.“Nico Imhof

Save the Choppers! Autor des Buchs des Huber

Verlags ist Chopperszene-Legende Horst Heiler

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Wohlergehen des Verlags beitragen. Aber ein Wachstumsmarkt sei Print nicht, zu sehr verändern sich die media-len Formate und die Vorlieben der Nut-zer. „Unsere Leser schätzen die Inhalte, die wir liefern. Dabei präferieren viele noch die klassische Zeitschrift, doch wir müssen künftig auf möglichst allen Ka-nälen präsent sein“, betont Meißner.

Brückenschlag zu Events und E-Commerce

Dazu gehört auch, das Spektrum des Verlags zu weiten. Darin haben die Mannheimer durchaus Übung. So hat sich die „Custombike Show“ in der Kurstadt Bad Salzuflen zur weltgrößten Messe für umgebaute Motorräder entwi-ckelt. Jedes Jahr am ersten Dezem-ber-Wochenende trifft sich dort diese Szene – und der gesamte Huber Verlag ist im Einsatz. Mehr als 800 umgebaute, veredelte Maschinen waren 2016 auf der Custombike Show zu sehen. Auf einer Ausstellungsfläche von 20.000 qm in drei Messehallen präsentierten sich 330 Aussteller und 35.000 Besucher kamen. „Hier werden die internationalen Trends gesetzt“, sagt Meißner. Die Messe wird auch in den kommenden Jahren fester Bestandteil der verlegerischen Aktivitäten sein. Sie steuert etwa ein Zehntel zum Jahresumsatz bei, ist darüber hinaus als Treffpunkt und Kommunikationsbühne für die Mannheimer wichtig. „Hier kom-men wir mit vielen unserer Leser und An-zeigenkunden ins Gespräch“, so Imhof.

Das stärkste Wachstum sehen er und Co-Geschäftsführer Meißner gleichwohl im Digitalen. Dazu gehört, dass für die Magazine „online mehr getrommelt wird und sie dort präsenter sind“. Bereits deut-lich zugelegt hat der Umsatz im E-Com-merce: ein Plus von rund 40 Prozent 2016 gegenüber Vorjahr. Mit aktuell 20 Prozent Umsatzanteil rangiert der E-Commerce auf Platz Zwei der Umsatzbringer, nach den Magazinen.

Fotos: Überlassung seitens des Huber Verlags

Es war Teil des Sofortprogramms der frisch installierten Geschäftsführer, den Onlineshop des Huber Verlags zu pus-hen: neuer Katalog, intensives Online-marketing, mehr Workware und mehr Premium im Angebot, bewusste Reduk-tion der Artikelzahl um 30 Prozent auf nun 3.500 Produkte. „Wir sprechen auf SzeneShop.com unsere Kernzielgruppe an – Menschen mit einem besonderen Lebensgefühl, abseits des Mainstreams. Unser Bikershop ergänzt das klassische Verlagsprogramm ideal und ich glaube, dass wir hier noch weiteres Potenzial haben“, sagt Imhof.

Mit Motorrädern, gesteht der Geschäfts-führer, hatte er anfangs „nichts am Hut“. Und zu den Schwersttätowierten gehört er auch nicht. Was beweist, dass es für Erfolg und unternehmerische Identifika-tion nicht zwingend äußere Erkennungs-zeichen braucht.

Beste Bühne für den Huber Verlag: Zur Messe CUSTOMBIKE in Bad

Salzuflen kommen rund 35.000 Fachbesucher

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Social Media :

Auf welchen Kanälen funkt die Branche?

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VERLAGSLEITUNG

impresso 2 /2017 13

A uf den ersten Blick mutet es wie ein Widerspruch an: Ausgerech-

net der PLAYBOY, der größtenteils von den recht freizügigen Aufnahmen schö-ner Mädchen lebt, ist Deutschlands er-folgreichste Zeitschrift auf Facebook. Keine andere Zeitschrift in Deutschland hat mehr Fans auf der Plattform – knapp 2,3 Millionen Menschen haben die Seite mit einem „Gefällt mir“ geliked. Der Mix aus ästhetischen Fotos, Videos, Inter-views, mitunter auch plumpen Herren-witzen, scheint im Social Web bestens zu funktionieren – und das, obwohl ge-rade die Freizügigkeit auf Mark Zucker-bergs Plattform argwöhnisch beäugt wird. Der PLAYBOY darf dort nicht so blankziehen, wie es sonst in seinen Pu-blikationen der Fall ist – jedes Foto einer barbusigen Schönheit würde von den Zensoren sofort gelöscht.

Dass der PLAYBOY auf Facebook so er-folgreich ist und auch auf Instagram mit rund 90.000 Abonnenten zu den hei-ßesten Adressen gehört, hat damit zu tun, dass er die Plattformen höchst pro-fessionell bespielt. Jeder Post wird ge-schmeidig an das Medium angepasst, immer wieder wird der User auf die ei-gene Website gelockt, Gewinnspiele und Videos sorgen für das nötige Enter-tainment. Überhaupt scheint das Me-dienhaus Burda, zu dem der deutsche PLAYBOY gehört, bei der Behandlung seiner Social-Web-Aktivitäten ein glück-

liches Händchen zu haben. Auch die Bunte oder der Focus gehören zu sehr gefragten Social-Media-Anlaufstellen.

„Jede Marke nutzt soziale Netzwerke so, wie sie es für erfolgversprechend hält“, erklärt Julia Korn, Head of PR bei Hubert Burda Media, die Strategie. „Ein reines Online-Angebot, das aus einer Zeitschriftenmarke hervorgegangen ist, kann sich auf die Ziele Reichweitenstei-gerung, Nutzerdialog und Recherche konzentrieren. Für einen Auftritt, der sich vornehmlich auf die Print-Ausgabe einer Zeitschriftenmarke fokussiert, können dagegen stärker die visuelle Darstellung der Publikation und der Ab-satz von E-Paper-Ausgaben im Vorder-grund stehen.“ So macht es eben der PLAYBOY. Auch er führt die User immer wieder geschickt zu jener Stelle auf der Website, wo es dann die digitale Aus- gabe des Magazins zum Kaufen gibt.

Wohin soll die Reise gehen?

Jede Marke sollte also ihre eigenen Zie-le verfolgen. Das bedeutet aber auch, dass sich Titelmacher vorher genau überlegen müssen, welche Ziele dies sind. Soll der Traffic auf bestehenden Online-Angeboten gesteigert werden? Soll im Sinne eines Community Building der Dialog mit neuen Zielgruppen geför-dert werden? Soll die Reichweite für den

Von Helmut van Rinsum,

Medienjournalist,

München

Foto: Created by Freepik

Besser alles richtigmachenKaum ein Verlag, der auf Facebook, Instagram und Twitter verzichtet.

Dabei wird häufig unterschätzt: Richtig erfolgreich ist eine Präsenz auf

Social Media nur, wenn mit hohem Sachverstand und den nötigen

personellen und finanziellen Ressourcen daran gearbeitet wird.

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VERLAGSLEITUNG

14 impresso 2 / 2017

redaktionellen Content oder im Sinne von Media-Reichweite für Werbekunden erhöht werden? Will man das Angebot für die Anzeigenkunden ausweiten oder Nutzerdaten sammeln, um diese später beispielsweise über Retargeting gezielt ansprechen zu können? Und welche Plattformen sind für die gewünschte Vorgehensweise sinnvoll? Es sind viele Fragen, die sich im Zusammenhang mit den sozialen Netzwerken stellen.

Für Publikumszeitschriften seien Kanäle wie Facebook, Instagram und Twitter Pflichtveranstaltungen, WhatsApp und der Facebook Messenger dagegen „nice to have“, sagt Rupert Schäfer, Ma-naging Partner der Münchner Digitalbe-ratung Nunatak. Für derzeit noch kom-plett verzichtbar hält er die unter jünge-ren Zielgruppen schwer angesagten Ka-näle Snapchat oder die App Musical.ly. Ein anderes Bild bei den Fachtiteln: Dort sind laut Schäfer die Karriere-Netzwer-ke Xing und LinkedIn unverzichtbar, Fa-cebook und Twitter wiederum nicht un-bedingt nötig. Im Kommen sieht er dort die Messenger-Dienste von Facebook und WhatsApp.

An Social Media führt kein Weg vorbei

Anders ausgedrückt: An Social Media führt für Printtitel kein Weg vorbei. Es

geht lediglich um die Frage, welcher der Sozialen Kanälen der geeignete ist. „Die Auswahl der Kanäle hängt immer von den Kommunikationszielen ab“, erklärt David Eicher. Der Geschäftsführer der Agentur Territory Webguerilla hält neben Facebook und Twitter noch eigene Blogs für ein sinnvolles Instrument, um Themen zu besetzen und die Auffind-barkeit über Suchmaschinen zu opti-mieren. Widmet sich ein Fachtitel bei-spielsweise in seinem Blog ganz be-stimmten Gesundheitsfragen, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass Google diese Seite im Ranking oben aufführt, wenn der User nach entsprechenden Gesundheits-Begriffen sucht.

Der UMSCHAU ZEITSCHRIFTENVER-LAG aus Wiesbaden versteht Social Media als „Digitale Visitenkarte“ der je-weiligen Fachzeitschrift. Je nach Ver-lagsobjekt wird darüber die passende Zielgruppe anvisiert. Die ERNÄHRUNGS UMSCHAU, die vorrangig von Wissen-schaftlern und Ernährungsberatern, sel-tener von Endverbrauchern gekauft und gelesen wird, nutzt deshalb Twitter für die Fachkommunikation. „Dort lassen sich Inhalte wie neue Texte, Fortbildun-gen, Umfragen oder Stellenangebote schnell verbreiten“, erläutert Myrna Apel, die dort für digitale Projekte und die Onlineredaktion zuständig ist. Über das Portal YouTube werden dagegen Vi-deointerviews mit Forschern verbreitet oder live von Kongressen berichtet.

Für Claudius Grigat, Redakteur bei chris-mon.de, dem Onlineportal der gleichna-migen evangelischen Zeitschrift, sind Facebook, Twitter und YouTube gesetzt. Dort wird nach der Meinung der Leser gefragt und werden Inhalte so darge-stellt, dass sie User auf die eigene Web-site holen. Zusammen mit ästhetisch fo-tografierten Bildern wird so eine Platt-form gepflegt, die – im Gegensatz zum monatlich erscheinenden Magazin – je-derzeit aktuell reagieren kann. Die Reak-

Social-Media-Kompetenz:

Der PLAYBOY kombiniert auf

Facebook geschickt Fotos,

Gewinnspiele, Videos und

die Links zur Website

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VERLAGSLEITUNG

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Welche Printmedien haben

die meisten Facebook-Fans?

Unter den Top 10 sind sechs

Zeitschriften

tionen auf die Posts weisen darauf hin, was die Nutzer bewegt, im besten Fall findet ein inhaltlicher Austausch unterei-nander statt. Nutzer lassen über die Pinnwand bei Facebook anderen Mit-gliedern der Community interessante In-formationen zukommen.

Youngsters online für Zeitschriften gewinnen

Gerade jüngere Zielgruppen fühlen sich in dieser Art Kommunikation zuhause. In der Ansprache junger Menschen, die ansonsten mit gedruckten Titeln nicht mehr so viel am Hut haben, sehen Ex-perten deshalb auch eine große Chan-ce. „Wir sprechen chrismon-Leser an,

die hier zusätzliche Inhalte und Diskus-sionen finden, aber auch jüngere Men-schen, die über Social Media erstmals mit uns in Berührung kommen“, so Gri-gat. „Die Lebensrealität junger Men-schen spielt sich zu einem Großteil bei Facebook, Twitter, Instagram, Snapchat und Co. ab“, betont auch Julia Korn. „Hier können wir auf unsere Inhalte auf-merksam machen und mit ihnen kom-munizieren.“ Diese Nähe führt dazu, dass auch immer wieder neue innovati-ve Formen der Ansprache getestet wer-den. So sind inzwischen bei zahlreichen Burda-Titeln Livestreams auf Face- book im redaktionellen Alltag fest veran-kert. Einen anderen Ansatz verfolgt der-zeit noch Reader’s Digest Deutschland.

Quelle: Fanpage Karma © Statista 2017 Weitere Informationen: Deutschland; Stand 10. April 2017

Beliebteste deutsche Printmedien nach Anzahl der Fans bei Facebook im April 2017 (in Millionen)

Bild 2,3 Mio.

Playboy Deutschland 2,3 Mio.

Spiegel Online 1,4 Mio.

Bunte.de 1 Mio.

BRAVO 0,92 Mio.

WELT 0,89 Mio.

Zeit Online 0,79 Mio.

Lecker 0,75 Mio.

Stern 0,71 Mio.

Süddeutsche Zeitung 0,66 Mio.

0 0,25 0,5 0,75 1 1,25 1,5 1,75 2 2,25 2,5

Anzahl der Fans bei Facebook in Millionen

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VERLAGSLEITUNG

16 impresso 2 / 2017

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Der Verlag Das Beste ist derzeit ledig-lich auf den beruflichen Netzwerken Xing und LinkedIn aktiv und richtet sich dort an Vertreter anderer Unternehmen, an Autoren oder Übersetzer. Auf Face-book, Twitter oder Snapchat ist der Ver-lag aus Stuttgart nicht präsent. Zumin-dest noch nicht. Zum Relaunch des Ma-gazins daheim soll es dann auch eine Facebook-Seite geben, ein Anfang im-merhin. „Grundsätzlich sind wir der Meinung, dass die Nutzung von Social Media eine direkte Kommunikation mit den Lesern ermöglicht und dass mit ei-ner guten Themenauswahl neue Leser-gruppen erschlossen werden können“, sagt Sprecher Jürgen Schinker.

Auf die richtigen Inhalte setzen

Genau diese Themenauswahl ist es, die aus einer Standard-Social-Media-Prä-senz eine inspirierende Plattform ma-chen kann. Gelingt es, mit den passen-den Inhalten und der richtigen Anspra-che die User abzuholen, kann sich schnell eine lebendige Community bil-den. Werden dort nur Teaser auf The-men im Heft abgefeiert, wird niemand auch nur einen Kommentar abgeben. „Social-Media-Arbeit sollte als redaktio-nelle Arbeit ernst genommen werden und mit entsprechenden Ressourcen – finanziell und personell – ausgestattet sein“, betont Claudius Grigat von chris-

Auf welchen sozialen Kanälen sollten Zeitschriften aktiv sein? Welche sind verzichtbar, welche Pflicht?

Eicher: Das lässt sich nicht verallge-meinern. Die Auswahl der Kanäle hängt immer von den Kommunika- tionszielen ab. Generell haben sich aber Facebook, Twitter und Blogs bewährt: Facebook in punkto Reichweitenpotenzial, Werbemög-lichkeiten und Targeting. Twitter punktet als Kanal, um Multiplikato-ren anzusprechen. Mit eigenen Blogs lassen sich Themen besetzen und die Auffindbarkeit für Suchma-schinen optimieren.

Auf was sollten Verlage achten, wenn sie für ihre Titel eine Präsenz auf Sozialen Netz- werken pflegen?

Verlage sollten in sozialen Medien vor allem auf die Darstellungsform des Contents achten. Hier gilt: möglichst plakativ, möglichst disruptiv und möglichst zum Duktus des jeweiligen Kanals passend. Vor allem das einfache Duplizieren von Beiträge und Posts ist ein No Go. Denn nicht jeder Inhalt ist für jeden Kanal geeignet. Facebook-Content ist immer ein anderer als der für Twitter oder auch Instagram. Auch der richtige Einsatz von Tags ist ein

Erfolgsfaktor: So stellen Unter- nehmen sicher, sowohl innerhalb des Social-Kanals gefunden zu werden als auch zum Beispiel via Google-Bildersuche Traffic zu generieren. Grundsätzlich wird auch Bewegtbild immer wichtiger – es sorgt für Traffic.

Welche Fehler sollten sie tunlichst vermeiden?

Social Media ist eine Art Appetizer, der Appetit auf den eigentlichen, originären Content macht. Schließ-lich soll der Leser in die digitale Magazinwelt transferiert werden. Aktivität im Social Web heißt auch,

Interview Hellmut van Rinsum befragte David Eicher, Geschäftsführer der Agentur Territory Webguerillas, über Vorteile von Social Media und Fehler, die gerne gemacht werden.

„Social Media ist Appetizer“

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mon.de. Insofern unterscheidet sich die Arbeit am Heft nicht viel von der Arbeit auf den sozialen Kanälen.

Auch Myrna Apel vom UMSCHAU ZEIT-SCHRIFTENVERLAG weiß: „Die Nutzer wollen begeistert werden“. Deshalb sei es auch wichtig, dass die Social-Me-dia-Kanäle von Experten betreut wer-den, sondern, die sich mit den Medien und ihren Möglichkeiten auskennen. „Fortgeschrittene Kenntnisse zu analy-tischen Kennzahlen wie Reichweite und Beitragsinteraktionen sind Grund-voraussetzung, um den Erfolg der eige-nen Beiträge bewerten zu können.“ Ne-ben der redaktionellen Kompetenz und dem journalistischen Riecher ist also

noch ein gewisses Maß an IT-Knowhow nötig, um auch im Netz zu reüssieren. Das liegt auch daran, dass man auf den Sozialen Kanälen um die User-Aufmerk-samkeit ähnlich ringen muss wie am voll besetzten Zeitschriftenkiosk.

Zwingende Paarung: Content und Daten

„In sozialen Netzwerken bestimmen überwiegend Algorithmen die Distributi-on von Inhalten an Nutzer“, erklärt Ru-pert Schäfer von Nunatak. „Das Publi-zieren von Inhalten garantiert noch kei-ne Sichtbarkeit.“ Inhalte müssen des-halb kontinuierlich angepasst und ver-bessert werden. Vorher-Nachher-Tests geben hier wertvolle Einblicke, der ver-sierte Umgang mit Analyse-Daten und sogenannten KPIs (Key Performance Indikatoren) ist von Vorteil. Das bedeu-tet nicht, dass nun nur noch Daten dar-über bestimmen sollten, was letztlich gepostet wird. Doch die Relevanz von Inhalten wird zunehmend danach beur-teilt, ob sie gesehen werden und wel-che Reaktionen sie auslösen. Schäfer: „Daten und Analytics helfen dabei, So-cial Media zu einem effektiven Kommu-nikationskanal auszubauen.“

GLOSSARRETARGETING: Der Begriff aus dem Online-Marketing bezeichnet

ein Verfolgungsverfahren, bei dem Besucher einer Webseite bzw. ei-

nes Webshops markiert und anschließend auf anderen Webseiten

mit gezielter Werbung wieder angesprochen werden sollen. Ziel des

Verfahrens ist es, einen Nutzer, der bereits ein Interesse für eine

Webseite oder ein Produkt gezeigt hat, erneut mit Werbung für diese

Webseite oder ein Produkt zu konfrontieren (Quelle: Wikipedia)

TAG: Der englische Begriff tag kann annähernd mit Etikett oder

Schlagwort übersetzt werden. Mit Tags werden Inhalte einzelner

Wörter beschrieben. Tags für eine Story über einen Urlaub in Sizilien

wären z. B.: „Italien“, „Urlaub“ oder „Sizilien“. Tags bieten Übersicht,

lassen sich verlinken. Sie werden nicht nur in Blogs gesetzt, sondern

auch in Betriebssystemen und Portalen im Web genutzt.

DISRUPTIV: „störend“ im werblichen Sinne

mit der Community zu interagieren und nicht nur eindimensional zu pos-ten. Hierzu braucht man erfahrene Community Manager. Ein großer Fehler schon in der Konzeptionspha-se ist: ein gemeinsamer Themenplan für alle Kanäle und User. Stattdes-sen sollten unterschiedliche Themen und Posts für die jeweiligen Kanäle und Teilzielgruppen aufgesetzt wer-den. Das ist zwar aufwändiger, aber relevanter für die Zielgruppen.

Welche Möglichkeiten ergeben sich, wenn Daten richtig analysiert und verwertet werden?

Zu wissen, welcher Content welche Menschen interessiert, ist die Basis für mehr Relevanz. Und Relevanz führt zu mehr Involvement und Inter- aktion. Dies wiederum führt zu mehr Sekundärreichweite und zu einer stärkeren Leserbindung.

Vielen Dank für das Gespräch, Herr Eicher!

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impresso 2 /2017 19

I n seinem Blog Kaffee & Kapital veröffentliche Martin Oetting im

Februar einen lesenswerten Beitrag. Unter dem Titel „Warum Papier-Journa-lismus besser ist“ beschreibt dieserDigital Native die Nachteile des On-line-Journalismus im Vergleich zum Print-Journalismus in drei Thesen:

(1) Online-Journalismus kennt keine Deadlines, ist „always on“, muss perma-nent etwas Neues bieten, auch wenn es irrelevant ist und keinen Mehrwert bietet. Das geht zu Lasten der Qualität.

(2) Online ist das Medium der Endlosig-keit, mit unendlich viel Platz, der laufend gefüllt sein will, mit dem Ergebnis, „…dass jeder noch so absurde Furz zur Nachricht hochstilisiert wird…“, so Oetting.

(3) Online-Journalismus wird (auch) durch Traffic-Analysen gesteuert. Der Effekt: Die Inhalte sind getrieben durch Klicks und Likes der User. Anders bei Print: Da die Redaktion das Leseverhal-ten nicht kennt, schreibt sie unbefangen das, was aus ihrer Sicht wichtig ist.

Foto: Drobot Dean / Fotolia.com

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Von Dr. Adrian Weser,

Adrian Weser Consulting,

Ratzeburg bei Hamburg

Print punktet auch im digitalen Zeitalter

Die PsychologieDie PsychologieDie Psychologiedes Gedrucktendes GedrucktenEs ist kein Geheimnis mehr: Im Printbereich zeichnet sich ein kleines Revival ab.

Sowohl impresso als auch PRINT & more berichteten bereits über die Gründerlaune

im Zeitschriftenbereich. Aber was ist das Besondere am Phänomen Zeitschrift?

Wie punktet sie im Vergleich zu digitalen Kanälen oder dem bewegten Bild?

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20 impresso 2 /2017

Die Wertschätzung, die Printmedien in der Branche genießen, zeigt sich auch beim Zitate-Ranking von Media Tenor, für das 25.056 Zitate aus Zeitschriften, Zeitungen und TV analysiert wurden. Unter den meistzitierten Medien belegen Printtitel die ersten 13 Plätze: BILD, SPIE-GEL, Süddeutsche Zeitung, Handels-blatt, F.A.Z. etc. Die Plätze 14 bis 17 ge-hen an ARD, NDR, ZDF, WDR. Allerdings wurden digitale Medien bislang nicht analysiert. Das heißt: Print setzt nach wie vor die Agenda der gesellschafts-politischen Diskussion.

Print signalisiertGlaubwürdigkeit

Gehen wir weiter in unserer Analyse. Beim Publisher´s Summit im November 2016 hielt Prof. Renate Köcher, die Ge-schäftsführerin des Instituts für Demos-kopie Allensbach, einen bemerkens-werten Vortrag zum Thema „Vertrau-enskrise der Medien?“ Besonders spannend war die Allensbacher Ergeb-nisanalyse zur Frage: Werden Inhalte derselben Quelle hinsichtlich der Glaub-würdigkeit unterschiedlich wahrgenom-men, wenn sie über unterschiedliche Kanäle kommuniziert werden? Sprich: Wird z. B. ein Bericht im SPIEGEL (Print) als glaubwürdiger bewertet als auf SPIEGEL ONLINE?

Allensbach wollte von den Befragten wissen: „Welche dieser Informations-quellen halten Sie für vertrauenswürdig, wo kann man besonders zuverlässige Informationen über Politik, über politi-sche Ereignisse erwarten?“ Das Ergeb-nis: Informationen der Onlineangebote von Zeitschriften und Zeitungen werden nur von jedem Vierten als vertrauens-würdig eingestuft, während es bei den entsprechenden Printmedien 55 Pro-zent für Nachrichtenmagazine bzw. 66 Prozent für die Lokalzeitung sind. Of-fensichtlich steuert nicht nur der Absen-der, sondern auch die mediale Plattform die Glaubwürdigkeit – dem „anfassba-ren“ Gedruckten glaubt man mehr als dem flüchtigen Digitalen.

Die psychologischePerspektive

Diese beiden Veröffentlichungen for-dern geradezu auf, sich neu mit dem Medium Print zu befassen: Irgendetwas muss dran sein am gedruckten Medi-um. Hier geht es weniger um die Bene-fits, also die Vorteile und den Nutzen der Medien. Da hat Online mit seiner Schnel-ligkeit, seiner Überall-Verfügbarkeit und seiner Interaktivität klare Vorteile.

Aber ist es das, was Menschen immer und jederzeit wollen? Zeitschriften und

Der international gefragte

Online-Marketingexperte

Dr. Martin Oetting findet

Print-Journalismus besser

als die digitale Schreibe

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impresso 2 /2017 21

Zeitungen haben offensichtlich Eigen-schaften, die uns Menschen liegen, die wir lieben und die uns immer wieder zu gedruckten Medien hinziehen. Gefragt ist also jetzt auch die psychologische Perspektive, die Frage, was Menschen wirklich wollen und inwieweit die ver-schiedenen Medien diese Bedürfnisse mehr oder weniger befriedigen können.

Bei der Sichtung der Diskussionen der letzten Zeit, bei der Analyse der For-schungsergebnisse und Betrachtung der Expertenmeinungen kristallisieren sich sieben starke Argumente für Print heraus.

Sieben starke Argumente für Print

Das ist das Schöne an Zeitschriften: Man gönnt sich entspannte Momente, man genießt, man träumt und lässt sich entführen. Kein Klicken und Blinken, kein Zappeln und Zappen, kein nervö-ses Warten, kein Stress. Ganz im Ge-genteil: Man „entschleunigt“ und ist

Erfolgreiches Konzept:

Die LandLust lädt zum

Entschleunigen und

Genießen ein

Sehen – Tasten – Riechen:

Zeitschriften sprechen drei

der fünf Sinne an und mit

Sehen und Tasten die beiden

wichtigsten

froh, dass man nicht permanent „on“ sein muss. Zeitschriften sind eben „slow media“ – digitale Medien sind „fast media“. Der Leser kommt wie beim Spazierengehen oder Shoppen in eine Art Flanier-Modus. Ein Bei-spiel dafür, wie eine Zeit-schrift diesem Bedürfnis der Menschen in der heuti-gen Hektik entgegenkommt, ist die LandLust. Sie ist – ab-gesehen von TV- und Kun-denzeitschriften – die mitAbstand meistverkaufte Zeit-schrift Deutschlands.

Zeitschriften bieten ihren Lesern zudem ein fertiges journalistisches Angebot, sie nötigen sie nicht zum Durchforsten des unendlichen Informations- und Da-tendschungels. Sie sind ein „Gesamt-kunstwerk“, sie kombinieren Spannung und Entspannung, Informations- und Unterhaltungselemente.

Foto S. 20: YouTube, blue events; Foto S. 21: Sebastian Gauert / Fotolia.com

Erfolgreiches Konzept:

schrift diesem Bedürfnis der Menschen in der heuti-gen Hektik entgegenkommt,

. Sie ist – ab-gesehen von TV- und Kun-denzeitschriften – die mitAbstand meistverkaufte Zeit-

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22 impresso 2 /2017

wollen wissen, was richtig ist und was nicht — ob in der Politik, in der Mode oder in der in der Welt der Stars und Sternchen. Hier spielen Medien und insbesondere Zeitungen und Zeitschrif-ten eine entscheidende Rolle in unserer Gesellschaft.

Zeitungen und Zeitschriften recherchie-ren, analysieren, bewerten und stellen In-halte in Zusammenhänge. Zeitschriften bieten damit Orientierung in einer Welt der Informationsüberflutung und vieler Widersprüchlichkeiten. Frank Schirrma-cher, der verstorbene Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, sagte einmal zum Zusammenspiel von Print und Internet: „Tatsächlich fällt mir kein Thema aus den vergangenen Mona-ten ein, bei dem die Agenda nicht von Print gesetzt worden wäre. Natürlich werden die Themen dann im Internet weitergedreht und bekommen dort einen Beschleunigungseffekt. Aber die Nach-haltigkeit findet in Print statt.“

NachhaltigkeitEin Bild sagt mehr als tausend Worte. Es ist das stehende Bild, das verglichen mit dem bewegten Bild tiefer im Gedächtnis verhaftet. Bilder fokussieren, bündeln eine Vielzahl an Informationen zu einem Schlüsselreiz und rufen beim Menschen Assoziationen und Erinnerungen ab, die dann wie ein Film ablaufen. Marylin

InspirationMenschen lieben Überraschungen. Neu-es entdecken, sich anregen lassen, auf neue Ideen kommen: Das ist typisch für das Lesen von Zeitschriften und Zeitun-gen. Henri Nannen sprach damals vom stern als „Wundertüte“.

EmotionSehen – Tasten – Riechen: Zeitschriften sprechen drei der fünf Sinne an und mit Sehen und Tasten die beiden wichtigs-ten. „Der visuelle Sinn dominiert die an-deren Sinne“, erklärt Bernd Werner von der Münchner Gruppe Nymphenburg Consult. Die Forschungsergebnisse des auf Neuromarketing spezialisierten Bera-tungsunternehmens zeigen: „Je mehr Sinne stimuliert werden, desto emotio-naler ist die Erfahrung.“ Die multisensori-sche Verstärkung wird vom Hirn nicht addiert, sondern multipliziert und sorgt so für ein intensives, emotionales Le-seerlebnis. flow von Gruner + Jahr und happinez von Bauer Media sind schöne Beispiele für Zeitschriftenkonzepte, die das taktile Moment nutzen und bewusst die haptischen Sinne ansprechen: Die Ausstattung mit unterschiedlichen Pa-pierqualitäten und Extras aus Papier sind wichtiger Bestandteil des Heftkonzeptes.

NavigationMenschen brauchen Orientierung, seh-nen sich nach Ordnung und Sicherheit,

flow und happinez

bieten taktiles

Erleben. Sie spielen

beispielsweise

bewusst mit

unterschiedlichen

Papierqualitäten

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Monroe auf dem New Yorker U-Bahn-Schacht mit fliegendem Rock – dieses 60 Jahre alte Foto ist nach wie vor bei vielen präsent. Weitere Beispiele für die Kommunikationskraft von Bildern liefern Marken. Die fünf bunten Google-Buch-staben, die Nürnberger Burg mit der gleichnamigen Versicherung, die drei adidas-Streifen, der Mercedes-Stern oder der typische Absolut Wodka- Schriftzug sind Beispiele für die Stärke von Bildern.

Ähnliches gilt für das gedruckte Wort. Worte und Texte lassen mehr Raum für die Phantasie des Lesers als Filme, wer-den aktiv verarbeitet, interpretiert, wei-tergesponnen und dann erst abgespei-chert. Dieser Prozess der aktiven, indivi-duellen Verarbeitung von Bildern und Texten führt zu einer tieferen Veranke-rung der Inhalte. Werbewirkungsforscher weisen immer wieder auf den Depot-Ef-fekt von Printwerbung hin: Zeitschriften-werbung wirkt langsamer, aber nachhal-tiger als TV-Werbung.

WertobjektWir Menschen lieben Geschenke – ob für andere oder für uns selbst. Hier ha-ben Zeitschriften eine Sonderstellung in der Medienlandschaft. Sie sind etwas Substanzielles, nicht flüchtig, nicht ver-gänglich. Sie sehen gut aus, fassen sich gut an und versprechen interessante

Stunden einer anregenden und unter-haltenden Lektüre. Die Gruppe Nymphenburg formuliert zu diesem As-pekt: „Zeitschriften haben eine reale Bedeutung und einen konkreten ‚Ort‘ für den Leser. Sie bergen dadurch eine unbewusste Realität.“

Zeitschriften werden gekauft, aufbe-wahrt, gesammelt, weitergereicht, ver-schenkt – sie genießen also als Produk-te hohe Wertschätzung. Mit ihnen las-sen sich Statements setzen. So man-cher zeigt z. B. mit der FINANCIAL TIMES unterm Arm, in welcher Liga er spielt. Dominik Wichmann, ehemaliger Chefredakteur des stern, formulierte einmal: „Printmedien werden immer mehr zu Luxuskonsumgütern, in dem Sinne, dass wir sie nicht brauchen, son-dern haben wollen.“

IndividualitätMenschen möchten persönlich ange-sprochen werden, mit Themen, die sie interessieren und die ihre Lebenssituati-on betreffen und auf eine Art und Weise, die ihrem Anspruch und ihrem Lebensstil entsprechen. Die Vielfalt der Zeitschrif-tenlandschaft spiegelt diese Stärke. Nehmen wir als Beispiel das Segment der Food-Titel. Alle Titel dieses Seg-ments stellen Rezepte, Zutaten und Gastlichkeiten in den Mittelpunkt, aber aufbereitet für unterschiedliche Zielgrup-

„Zeitschriften sind ein ‚Gesamtkunstwerk‘, sie kombinieren Spannung und Entspannung, Informations- und Unterhaltungselemente.“

Dr. Adrian Weser

Foto: ave_mario / Fotolia.com

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24 impresso 2 /2017

von Bauer Media, die die Printlandschaft immer wieder bereichern.

Hinzu kommt eine Vielzahl neuer Special- Interest-Titel wie EMTB, Magazin für E-Mountainbiker von Delius Klasing, BIER von der Motorpresse oder ELB-PHILHARMONIE MAGAZIN von FUNKE. Und es sind nach wie vor neue Titel für die nach wie vor lesefreudige Zielgruppe der Kinder.

Print bleibt offensichtlich auch in der di-gitalen Welt ein gutes Geschäftsmo-dell. „Nach wie vor sehen wir bei Le-sern eine größere Bezahlbereitschaft für abgeschlossene Produkte als für flüchtige digitale Nachrichten“, resü-miert Thomas Lindner, Vorsitzender der Geschäftsführung der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

Dass aus dem „Digital oder Print“ schon lange ein „Digital und Print“ geworden ist, zeigen die Strategien aller Verlage. Letzt-lich geht es darum, die Stärken jedes Mediums zu erkennen, zu vernetzen und zielgruppengerecht umzusetzen.

pen und Lebensstile. Da gibt es Titel, die familienorientierte Hausfrauen im Visier haben (meine Familie & ich) oder solche, die jüngere, an Gastlichkeiten Interes-sierte avisieren (LECKER). Andere Zeit-schriften zielen auf Gourmets ab (FEIN-SCHMECKER), wieder andere bedienen grillfreudige Männer (BEEF!). Und für die Generation Y kam mutti KOCHT AM BESTEN auf den Markt.

Print ist nach wie vor ein interessantes Geschäftsmodell

Soweit die psychologische Seite der Be-trachtung Dass sich die Vorteile von Print auch wirtschaftlich auszahlen, zei-gen die vielen Zeitschriften-Launches. Tatsächlich war 2016 mit 150 Neuer-scheinungen ein Rekordjahr.

Es sind „line extensions“ wie SPIEGEL Fernsehen, FUSSBALL Bild oder Frank- furter Allgemeine WOCHE, aber auch neue Konzepte wie BARBARA, F MAG oder NoSports von Gruner + Jahr, die dame von Axel Springer, feelgood vom Jahreszeiten Verlag oder Pflege & Familie

Zeitschriften bieten

Inspiration, Emotion,

Orientierung und sprechen

die Sinne an. Der Spaß

beginnt oft schon am Kiosk

Foto: georgerudy / Fotolia.com

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SZV - Seminare

Digitale Grundlagen des Journalismus

SZV-Seminar, 12.09.2017 | 10-16 Uhr | SZV-Geschäftsstelle

Die Digitalisierung bietet Journalisten ein breites Spektrum an

Möglichkeiten. Das Seminar geht auf die wichtigsten Trends

im Online-Journalismus ein und beleuchtet u. a. Themen wie

„Texten fürs Netz“, Multimedia-Reportagen, Datenjournalismus,

Video-Plattformen, Video-Formate oder den Smartphone-Dreh.

Der Referent Christian Jakubetz legt nach 20 Jahren

Journalismus heute seinen Fokus auf Beratung, Publikation und

Kommunikation in den digitalen Medien und eine intensive Lehr-

und Autorentätigkeit.

Das neue Datenschutzrecht. Was es für Verlage zu berücksichtigen gilt

SZV-Seminar, 24.10.2017 | 10-16 Uhr | SZV-Geschäftsstelle

Ab dem 25. Mai 2018 wird das neue EU weite Datenschutz-

recht, die Datenschutz-Grundverordnung (DS-GVO) verbind-

lich. Das Seminar vermittelt die wichtigsten Grundlagen und

Neuerungen. Sie erfahren, welche Vorgaben für Geschäftsab-

läufe, Dienstleistungen und die Online-Präsenz Ihres Verlages

künftig gelten und wie der Umgang mit Kundendaten und

deren Nutzung für Werbezwecke zu gestalten ist.

Referent ist der auf Datenschutz-, E-Commerce-Recht sowie

Urheber- und Medienrecht spezialisierte Jurist Frank

Michael Höfi nger von der Kölner Kanzlei Lausen.

Online-Marketing für Verlage — Ziele, Wege, Mittel zur Kundengewinnung

SZV-Seminar, 26.10.2017 | 10-17 Uhr | SZV-Geschäftsstelle

Das SZV-Seminar liefert Ihnen die Grundlagen und

Instrumente für ein wirkungsvolles Online-Marketing. Sie

erarbeiten sich die wichtigsten Grundbegriffe und lernen

welche Disziplinen es im Online-Marketing zu unterscheiden

gilt (Suchmaschinen, Social-Media, Display-Advertising

mit Analyse-Instrumentarien). Dazu gibt es zahlreiche

Anregungen für den Arbeitsalltag und Fallbeispiele aus

der (Verlags-)Praxis. Die Referentin Angela Domes arbeitet

seit 2010 bei der biz2byte Service GmbH, zuerst als Leiterin

Projektmanagement und seit 2011 als Geschäftsführerin. Sie

betreut zahlreiche Kunden aus der Verlagsbranche.

Grundlagenseminar für Volontäre und Seiteneinsteiger an Zeitschriften

Das Seminar richtet sich an Volontäre im ersten Berufsjahr

sowie an berufsfremde Quereinsteiger in Zeitschriftenverlagen,

die ihre journalistische Arbeitsweise professionalisieren

möchten. Veranstalter sind der Deutsche Journalisten-Verband

Baden-Württemberg (DJV-BW) und der Südwestdeutsche

Zeitschriftenverleger-Verband (SZV). Das Seminar ist als

Bildungsmaßnahme im Sinne von § 8 des Tarifvertrags über

das Redaktionsvolontariat an Zeitschriften anerkannt.

54. Grundlagenseminar

Teil 1: 11. bis 15. September 2017

Teil 2: 09. bis 13. Oktober 2017

Teil 3: 06. bis 10. November 2017

Teil 4: 04. bis 08. Dezember 2017

Intensiv-Seminar für auszubildende Medienkaufl eute

Das Seminar richtet sich an auszubildende Medienkaufl eute

im letzten Ausbildungsjahr, die in Kürze ihre Abschlussprüfung

absolvieren.

Intensiv-Seminar III / 2017

25. September 2017 | 8:00 - 29. September 2017

Bernhäuser Forst Tagungs- und Bildungsstätte,

Leinfelden-Echterdingen

Mehr Informationen zu den jeweiligen Seminaren und das

entsprechende Anmeldeformular erhalten Sie bei uns online

unter dem Menüpunkt Veranstaltungen bzw. Seminare.

Gerne helfen wir Ihnen auch weiter unter Tel.: 0711 / 29 06 18.

Lernen ist wie Rudern gegenden Strom. Sobald man aufhört,

treibt man zurück.Benjamin Britten

Anmeldung auf

www.szv.de

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Vom Umgang mit den digitalen

Allesfressern

SZV-Abendgespräch lieferte Fakten zum Content-Verkauf im Netz

VERTRIEB

26 impresso 2 / 2017

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Ob Tageszeitungen oder Zeitschriften, auch Verlage wollen und müssen

im Netz kräftig Geld verdienen. Die Frage, die alle umtreibt, ist nur: Wie?

Grund genug für den SZV, ein Abendgespräch unter das Motto „Erfolg

mit Paid Content – wie Verlage im Netz Geld verdienen“ zu stellen. Wie

sehr das Thema die Branche beschäftigt, zeigte auch der Umstand, dass

die Veranstaltung im Stuttgarter Haus der Presseversorgung am 25. April

bis auf den letzten Platz ausgebucht war.

R und 50 Teilnehmer konnte SZV-Geschäftsführer Patrick

Priesmann am 25. April im Haus der Presseversorgung am Stuttgarter Wil-helmsplatz begrüßen. Darunter waren nicht nur Vertreter aus den rund 130 Mit-gliedsverlagen, sondern auch aus Häu-sern, die dem Branchenverband nicht angeschlossen sind. „Wir wissen, dass die Zeit unserer Mitglieder knapp be-messen ist und Veranstaltungen nur dann erfolgreich sind, wenn sie wirkli-

Foto: mast3r / Fotolia.com

chen Mehrwert bieten“, so der 40-jähri-ge Medienexperte. Für das „Abendge-spräch“ hatte er deshalb zwei Referen-ten gewinnen können, die für sattelfeste theoretische und praktische Expertise stehen: Professor Christof Seeger, Stu-diendekan Crossmedia Publishing & Management der Stuttgarter Hoch-schule der Medien (HDM), brachte den Verlagsinsidern die „Dos and Don’ts“ im Umgang mit ihrer potenziellen digitalen Leserschaft näher. Andreas Gebauer, Online-Chefredakteur von test.de, stand für Best Practice im wahrsten Wort- sinne: Wohl kaum eine andere Web-

präsenz eines

VERTRIEB

impresso 2 /2017 27

Von Andrea Hohlweck,

Redakteurin,

SZV, Stuttgart

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VERTRIEB

28 impresso 2 / 2017

Zeitschriftenverlags in Deutschland kann test.de in punkto Online-Abos und digitalem Jahresumsatz das Wasser rei-chen. Durch Einmal-Downloads, aber auch Monats- oder Jahresabos kassie-ren die Berliner Verbraucherschützer jährlich rund 4 Mio. Euro. Beide Referen-ten machten aber klar: Aus dem Ärmel schütteln lässt sich ein digitaler Kassen-schlager nicht.

Der User, das scheue Reh

Zu wissen, was der digitale Leser will und wie er im Netz unterwegs wird, ist da laut Prof. Seeger oberstes Gebot. Denn der „User“ ist ein anspruchsvolles und sehr flüchtiges Wesen, dessen Ver-trauen leicht und dann dauerhaft ver-spielt werden kann. Die digitalen „Omni-voren“, also Allesfresser, wechseln im Tagesverlauf ebenso leicht zwischen SmartPhone, Tablet und PC wie zwi-schen beruflicher und privater Nutzung oder zwischen harten Fakten, Social Media und Unterhaltung – und das im Schnitt elf Stunden am Tag. Ihr Interesse ist hoch individuell, ihre Toleranz gering. Was nicht sofort überzeugt, wird wegge-klickt – der Wettbewerber macht’s viel-leicht besser. Diese ungnädige Haltung der User gilt für die Optik und Benutzer-

freundlichkeit einer Seite (Usability) ebenso wie für deren Inhalte. Wer diese „One-Click-Chance“ verpasst, der kriegt sie lange nicht wieder. Denn Aufmerk-samkeit bekommt nur, wer Bedürfnisse ernst nimmt.

Was sucht also der Mediennutzer? Da ist zum einen der Wunsch informiert zu sein. Zudem will er Kontakt zu anderen Menschen, ob über Partnerbörsen, Chats oder Social Media. Auch weltan-schauliche Themen sind im Netz ge-fragt. Und natürlich Unterhaltung! Wie dieser gigantische Entertainment-Markt bearbeitet werden kann, machen der-zeit Netflix und Amazon Go vor. Beide bieten ihren Abonnenten kostenpflichtig Filme und Serien. Formate wie ihre wer-den laut Prof. Seeger zukünftig dem klassischen Fernsehen das Fürchten lehren. Denn während letzteres an fes-ten Ausstrahlungszeiten festhält, setzen die Newcomer auf individuell planbaren Medienkonsum. Und das lassen sich die Nutzer etwas kosten.

Akzeptanz für kostenpflichtige Inhalte steigt

Die PaidContent Studie 2017 des Ham-burger DCI Instituts belegt, dass die Be-reitschaft für digitale Angebote zu zah-

Stellten Paid Content in

den Fokus (v. li. n. re.):

Prof. Christof Seeger von

der Stuttgarter Hochschule

der Medien, SZV-Geschäfts-

führer Patrick Priesmann

und Andreas Gebauer von

test.de

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VERTRIEB

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Kaum wach, schon online:

Die digitalen „Allesfresser“

sind rund elf Stunden „on“

len steigt. Rund 5 bis 10 Euro pro Monat lassen die Nutzer im Schnitt für digitale Inhalte liegen. Heute schon hat bereits mehr als jeder fünfte Websurfer zwi-schen 18 und 34 Jahren für digitale In-halte und Services bezahlt. Setzen Jün-gere eher auf Gaming und Musik sowie auf Filme und Serien, so sind in der Al-tersgruppe der 45- bis 64-Jährigen ins-besondere Fachinformationen im Fo-kus. Alles in allem ein Trend, der die Zeitschriftenverlage optimistisch stim-men sollte. Dazu kommt, dass viele Ver-braucher gerade angesichts von Fake News und „alternativen Fakten“ nach verlässlichen Quellen und Orientierung suchen. Print-Titel der Zeitschriftenver-lage haben hier die Nase vorn, schließ-lich kennen ihre Leser deren Seriosität und Qualität teilweise seit Jahrzehnten. Ihr Markenprofil steht also für sich.

Aber Online-Kapital lässt sich daraus dennoch nur schlagen, wenn sie ihre Hausaufgaben machen und sich tech-nisch und inhaltlich eng auf die Bedürf-nisse der digitalen „Omnivoren“ ein-schießen. Wer z. B. meint, heute noch die Artikel seiner Print-Ausgabe als kos-tenpflichtigen PDF-Download verkaufen zu können oder seinen Lesern aus-schließlich langfristige Online-Abos an-zubieten, der landet im Aus. Vertrauens-

bildende Maßnahmen sind eben auch in Bezug auf die Laufzeiten und Bezahl-modelle gefragt. So führt der beste Weg nach Meinung des HDM-Dozenten vom Einzelpostenverkauf zum Abo. Letzteres kann dann z. B. auch ein Multimedia-An-gebot einschließen, also Print und On-line bündeln. Wer denkt, er könne im Netz als Verlag die schnelle Mark ma-chen, der irrt. „Wer Inhalte verkaufen will, der hat zunächst z. T. jahrelange Ar-beit vor sich“, so Prof. Seeger.

Abschied von der Print-vor-Online-Denke

Über genau so einen Weg referierte Andreas Gebauer von test.de beim SZV-Abendgespräch. Genau 20 Jahre Aufbauarbeit inklusive Trail-and-Er-ror-Methodik waren nötig, bis die Seite heute als Musterschüler für Paid Cont-ent brilliert. Zwar fällte das Manage-ment schon 1997 die Grundsatzent-scheidung Content nur zu verkaufen, damals wanderte in den digitalen Wa-renkorb aber noch die Printausgabe. Im Jahr 2000 starteten die Berliner – übri-gens zeitgleich mit dem Playboy – als Pioniere mit dem Verkauf von PDF-Arti-keln ins eigentlichen Paid-Content- Geschäft. 2008 folgte dann der grund-legende technische und inhaltliche

Foto: ChenPG / Fotolia.com

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VERTRIEB

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Perspektivwechsel. Die Print-zu-On-line-Denke ist seither Geschichte. Eine knapp siebenstellige Summe haben sich die Verbraucherschützer den Um-bau ihres Workflows kosten lassen und generieren nun ihre Inhalte datenbank-gestützt gleichberechtigt und gleichzei-tig für Print und Online.

In der Zeitspanne von 2000 bis 2016 schnellte der Jahresumsatz mit digitalen Produkten bei test.de von 0 auf knapp 4,5 Mio. Euro hoch. Flachte die Kurve ab, so wurde dank engmaschigem Mo-nitoring unmittelbar mit optimierten An-geboten reagiert. Modelle wie das Spar-guthaben oder so genannte Monats- und Jahrestickets erhielten früh die rote Karte. Als gangbar haben sich neben

dem Einzelabruf eines Testberichts(6 bis 8 Seiten) jedoch die Monats-Flat-rate (seit 2009) für 7 Euro und die Jah-resflatrate (seit 2011) für 50 Euro erwie-sen. Wer zudem über ein Abo für die Printausgaben der hauseigenen Zeit-schriften test oder Finanztest verfügt, der erhält die 365-Tage-Online-Nutzung sogar für nur 25 Euro. Gratis ist die On-line-Jahresflatrate für Abonnenten, die sich für ein Abo beider Printtitel ent-schieden haben. „So stabilisieren sich Print- und Online-Angebote gegensei-tig“, erläutert Andreas Gebauer. Dies führte bereits dazu, dass die hauseige-nen Printprodukte weniger stark anBoden verlieren als am Markt üblich.Töne, die Zeitschriftenverleger sicher gerne hören werden.

Insbesondere die Jahres-Flatrate legt bei test.de seither kontinuierlich zu – seit der Einführung 2011 auf über 36.000 Abonnements im März 2017. „Ein Ende ist hier nicht in Sicht!“ Für den Früh-sommer rechnet sein Team damit, dass die Zahl der Online-Flatrate-Abos aller Kategorien zusammen die 100.000er-Marke knacken wird. Somit konnten die Einbrüche bei den Print-Abonnements schon 2016 fast vollständig kompen-siert werden: Dem Minus von 7.000 Printausgaben-Abos standen schon 2016 6.500 neue Online-Abonnements gegenüber.

Online-Dreamteam: Einzelabruf und Abonnement

Basis des Modells bleiben jedoch die Einzelabrufe, das sogenannte „Pay per view“. Hier wird überzeugt, wird Vertrau-en gebildet – ganz wie Prof. Seeger es predigt. Wer vor der Anschaffung hoch-preisiger Produkte steht, der investiert gerne wenige Euro für die Testergebnis-se der Stiftung um sich Frust zu erspa-ren. Kein Wunder führen Matratzen, Waschmaschinen und Fernseher die Top-Ten der Einzeldownloads bei test.de

Prof. Seeger von der Stuttgarter Hochschule der Medien zeigte auf, dass die inten-

sive Auseinandersetzung mit dem Kunden für den Umsatz im Netz elementar ist

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an. Wer aber eine längere Recherche plant, zum Beispiel um vor dem Weih-nachts-Shopping auf dem Laufenden zu sein, der nutzt gerne die Monatsflatrate. Ob Einzelabruf oder Monatsflatrate – oft-mals werden aus den zufriedenen Kun-den dieser Services später überzeugte Dauerkunden der sich selbst verlän-gernden Jahres-Flatrate. „Die Abo-Halt-barkeit dieser entspricht der von Print-abos“, bilanziert Gebauer.

Heute punktet sein Team mit einem in-dividualisierten und maximal nutzer-freundlichen Geschäftsmodell. Kunden-freundlichkeit, Usability und Individuali-sierbarkeit sind die Joker, die test.de ausspielt. Das gilt auch für die Bezahl-möglichkeiten. Auch hier wird auf be-kannte Verfahren und leichte Anwend-barkeit geachtet. Die für Einzelabrufe fälligen 0, 50 bis 5 Euro können per Kre-ditkarte, Paypal oder Handy bezahlt werden. Bei den Flatrates stehen der von den Verlagen favorisierte Bankein-zug, Kreditkarte oder Paypal zur Wahl. Ihr prozentuales Verhältnis liegt bei ca. 40:40:20. In der Zeitspanne von 2000 bis 2016 schnellte so der Jahresumsatz mit digitalen Produkten bei test.de von 0 auf knapp 4,5 Mio. Euro in die Höhe.

Den Appetit auf mehr gekonnt wecken

Aber der Erfolg kommt nicht von unge-fähr. Was dafür zu tun ist, füllt eine län-gere Liste: gezielte Marketingaktionen wie Newsletter, gezielte Versions-Tes-tungen (A/B-Testing), Social-Media- Einsatz, Suchmaschinenoptimierung (SEO), Individualisierung und Usability. Über den Einsatz der Werkzeuge ver-ständigt sich ein abteilungsübergreifen-des Team aus Online-Chefredaktion, Marketingleitung und Vertrieb. Zudem kaufen sich die Berliner bei der SEO und Technik das Know-how von Dienstleis-tern ein. Um suchmaschinenoptimiert zu arbeiten und Expertise nachzuwei-

Der Anteil der Einzelverkäufe bei test.de sinkt stetig im Vergleich zu den

Flatrate-Angeboten der Verbraucherschützer – genau so war das gewünscht

sen, werden zudem relativ viele Fach- inhalte kostenlos zur Verfügung gestellt. Dabei achten die Macher aber stets da-rauf, dass z. B. in den kostenlosen Ba-sistexten wie z. B. „Wer braucht eine Haftpflicht?“ oder „Start in die Fahrrad-saison“ weiterführende Links zum kos-tenpflichtigen Inhalt platziert sind. In der Konversionsrate – also der Kunst, aus Seitenbesuchern auch Käufer zu ma-chen – liegt test.de bei der üblichen Rate von 2 bis 4 Prozent. Bei einzelnen Tests kann dies aber auch bei 6 bis 9 Prozent liegen. Solche guten Quoten sind dann Impulsgeber für eine neue Umdrehung bei der Preisschraube. An-sonsten bleiben die Macher in ihrer Preisgestaltung jedoch sehr stabil: Kostete 1997 ein sechs- bis achtseitiger Test im Umfang von 10 bis 12 Produkten 4 DM, so fallen dafür heute in der Regel auch nur 2,50 Euro an.

Aber über alle Online-Analytics, Marke-ting-Tools und Vertriebsmedien darf doch bitte eines nicht vergessen wer-den: „Das ist alles ist natürlich nichts oh-ne Content, also Inhalt – aktuell, relevant und optimal aufbereitet!“, mahnt Ge-bauer. Sonst schaut der digitale Alles-fresser auf einen Klick beim Nachbarn vorbei – auf Nimmerwiedersehen.

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Sie legen sich in gemachte Zeitungen und Magazine, nutzen

deren Renommee und Reichweite, bringen ihnen aber auch

ordentlich Umsatz: Beilagen in redaktionellem Gewand sind

zu einem Geschäftsmodell geworden.

Hurra im HuckepackEinblicke in das boomende Geschäft mit Pressebeilagen

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R obert Willmann hat genau nachge-rechnet: Es sind zehn Millionen, in

Zahlen: 10.000.000. So viele Hefte sei-nes +3 Magazins wurden bislang ge-druckt und vertrieben. Dafür hat es gera-de mal 33 Ausgaben gebraucht. Vor knapp fünf Jahren, am 20. September 2012, erschien das +3 Magazin zum ers-ten Mal. Zur Premiere auf dem publizisti-schen Parkett war es mit einer sehr an-

Von Roland Karle,

Freier Journalist,

Neckarbischofsheim

gesehenen Partnerin aufgelaufen, der Frankfurter Allgemeine Zeitung.

Die Tageszeitung fungierte, gegen Be-zahlung, als Trägermedium für die neue Beilage. Neun Monate zuvor hatten Will-mann und sein damaliger Kompagnon Iwan Ittermann den Warum Verlag ge-gründet. Sie wollten was Eigenes ma-chen, ein Projekt zum Fliegen bringen,

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an das sie fest glaubten, und ganz ne-benbei „die Zeitung vor dem Internet ret-ten“. Ein ambitioniertes Vorhaben, auch eingedenk der Tatsache, dass da zwei Berufsanfänger am Werk waren, die vor kurzem noch Betriebswirtschaft studiert und sich danach als Kollegen bei der Content-Marketing-Agentur Mediapla-net kennengelernt hatten. Viel mehr hat-ten sie nicht vorzuweisen, außer eben akutes Gründungsfieber, lodernde Lei-denschaft für ihre Idee und den Wunsch, „Inhalte zu schaffen, die anders sind als in gewohnten Zeitungen“.

Die Medienpartnerin hat das +3 Magazin längst gewechselt. Es legt sich seit geraumer Zeit bei der Süddeutschen Zeitung ins gemachte Nest. Dort er-scheint die 24 Seiten starke Publikation bis zu neun Mal pro Jahr in einer Auflage von 300.000 Exemplaren. Inhalt-lich stehen stets drei Fragen im Mittelpunkt, zu ganz unter-

schiedlichen, wechseln-den Themen. In Ausgabe 33, die im April erschien,

lauteten sie: Welche Si-cherheit suchen wir? Wel-

che Karriere wollen wir? Wie viel Mensch braucht dieMaschine?

Die Fragen denken sich Will-mann und sein Team aus. Sie

sollen eine gesellschaftliche Bedeutung haben, zum Nach-denken anregen, überraschen.

„Mich interessieren die Meinun-gen von Menschen“, sagt Will-

mann. In einem Editorial hat der Heraus-geber mal geschrieben, „zwei Antworten auf eine Frage waren mir schon immer zu wenig“. Auf die drei Fragen, die fürs je-weils nächste Heft auf der Homepage un-

ter der Webadresse www.plus-drei.de,auf der entsprechenden Facebook-Seite und in der gedruckten Zeitung veröffent-licht werden, treffen im Durchschnitt bis zu 100 Antworten ein. Das reicht aus, um ein breites Spektrum an Meinungen dar-stellen zu können. Willmann strebt nach noch mehr Beteiligung und wünscht sich, „für jede Ausgabe aus rund 1.000 Antworten auswählen zu können“.

Beim +3 Magazin sind Leser nicht nur Konsumenten, sondern Mitwirkende. Das Konzept lebt vom Mitmachen und den getexteten Ansichten, die in der Re-gel nicht länger als 1.400 Zeichen sind. „Zehn Mal Twitter“, wie Willmann sagt. Neben den Lesern kommen auch Exper-ten und Werbekunden zu Wort. Dieser Dreiklang macht die besondere Mi-schung aus. Wer welcher Gruppe ange-hört, ist durch unterschiedliche Schrift-farben gekennzeichnet. Die Redaktion sammelt, sichtet, sortiert – und wählt aus mit dem Ziel, verschiedene Blickwinkel zu öffnen. „Es ist ein Wettbewerb um die besten, spannendsten, informativsten Antworten“, betont Willmann. Für ihn hat das +3 Magazin den Charakter eines „gedruckten Lagerfeuer-Gesprächs“ – und führe den Beweis, dass Print zum Dialogmedium taugt.

Kunden ein interessantes redaktionelles Umfeld bieten

An redaktionellem Renommee gewinnt das Heft durch Statements von Promi-nenten. Es macht was her, wenn sich Daimler-Boss Dieter Zetsche der Frage stellt, wie grün Mobilität sein kann oder wenn Bildungsministerin Johanna Wan-ka über das Miteinander von Mensch und Maschine schreibt. Ebenso wie wenn Fußballtrainer Peter Neururer er-zählt, was ihn antreibt und wenn der Ex-IBM-Cheftechnologe und Philosoph Gunther Dueck erklärt, warum Persön-lichkeit und Besonderssein wichtig sind. Spannende Statements, interessante

Clevere Strategie Das

Mitmach-Magazin +3

stellt relevante Fragen,

ist interaktiv und bedient

Ehrgeiz und Eitelkeiten

Die Medienpartnerin hat das +3 MagazinEs legt sich seit geraumer Zeit

im Mittelpunkt, zu ganz unter-

che Karriere wollen wir? Wie viel Mensch braucht dieMaschine?

Die Fragen denken sich Will-mann und sein Team aus. Sie

sollen eine gesellschaftliche Bedeutung haben, zum Nach-denken anregen, überraschen.

„Mich interessieren die Meinun-gen von Menschen“, sagt Will-Clevere Strategie Das

Erfolg mit drei Fragezeichen

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Absender und breites Meinungsspekt-rum schaffen ein thematisches Umfeld, in dem, davon ist Willmann überzeugt, „Anzeigen stärker beachtet werden als ohne einen solchen Kontext“.

Die anhaltend hohe Nachfrage bestätigt ihn darin. Rund ein Drittel der Ausgaben sind mit Anzeigenwerbung belegt, die zwischen 7.400 Euro (Viertelseite) und 22.500 Euro (4. Umschlagseite) kostet. Hinzu kommen die von Werbekunden beigesteuerten Texteinträge („gespon-serte Antwort“), für die laut Preisliste 7.200 Euro aufgerufen werden. Der War-um Verlag schreibt schwarze Zahlen. Das Geschäftsmodell ist offensichtlich so attraktiv, dass im vergangenen Jahr der Süddeutsche Verlag als Gesellschaf-ter eingestiegen ist.

Das weite Feld der Supplements

Mit redaktionell anmutenden Beilagen verdienen Verlage seit jeher Geld. Nicht nur Klassiker wie Bauen und Wohnen oder Arbeit und Beruf finden sich bis heute zwischen Zeitungsseiten. Auch zu Anlässen wie Messen und Jubiläen wer-

den Sonderveröffentlichungen produ-ziert. Dabei spannt sich ein weiter Bo-gen, was Schwerpunkte, Auflage und journalistische Exzellenz betrifft: Er reicht von Premiumtiteln wie etwa SZ Magazin und ZEITmagazin über TV-Supplements wie rtv und Prisma bis zu Themenbeilagen, die überwiegend Werbebeiträge enthalten.

Auf diesem Feld tummeln sich inzwi-schen mehrere Agenturen. Als internati-onaler Pionier gilt Mediaplanet, gegrün-det 2002 von den Jungunternehmern Richard Båge und Rustan Panday. Sie wollen redaktionelle Inhalte mit relevan-ten Werbebotschaften kombinieren und entsprechend erstellte Beilagen in be-kannten Medien verbreiten. Salopp über-setzt: Hurrameldungen im Huckepack-verfahren unters Volk bringen. Die erste gedruckte Ausgabe von Mediaplanet erschien in der schwedischen Zeitung Dagens Industri.

Inzwischen ist das Unternehmen in mehr als einem Dutzend Ländern ver-treten, seit einigen Jahren auch in Deutschland. Das Konzept der Schwe-den hat Nachahmer gefunden. Einige

Robert Willmann und

seinem Partner gelang mit

dem +3 Magazin ein

innovativer Wurf, der sich

bestens bezahlt macht

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ehemalige Mitarbeiter, dazu gehören auch die +3 Magazin-Erfinder Willmann und Ittermann, haben sich selbstständig gemacht. So ist es auch kein Zufall, dass nahezu alle größeren Anbieter, die sich auf das Vermarkten und Produzie-ren von Pressebeilagen spezialisiert ha-ben, in Berlin ansässig sind.

Der Warum Verlag hat den ursprüngli-chen Ansatz von Mediaplanet weiterent-wickelt und journalistisch verfeinert, was dazu geführt hat, dass das +3 Magazin nun periodisch erscheint. Andere Dienst-leister arbeiten mit einer breiten Titelpa-lette. So brachte der Reflex Verlag im vergangenen Jahr drei Dutzend Publi-kationen heraus. Die Beilagen heißen zum Beispiel Wege zum Erfolg, Moder-nisierungsfall Mittelstand, Intelligente Mobilität oder Apotheke.

Fünf Pluspunkte für buchende Kunden

Entscheidend ist, thematisch den richti-gen Dreh zu finden und Trends zu bedie-nen, für die sich Werbekunden interes-sieren. Die bezahlen schließlich dafür, dass ihr Advertorial — sei es als Gastbei-trag, Interview oder Kommentar — oder ihre Anzeige im Supplement gedruckt wird. Was die Geldgeber lockt: Sie kön-nen in Absprache mit den Agenturen selbst darüber entscheiden, was sie sagen und in welchem (redaktionellen) Format sie es verpacken wollen.

Presserechtlich ist vorgeschrieben, sol-che bezahlte Beiträge entsprechend kenntlich zu machen – Stichwort „Schleichwerbung“. Dabei beweisen die Blattmacher durchaus Phantasie, indem sie derartige Berichte wahlweise als In-terview und Fokusinterview, Unterneh-mens- und Produktporträt, Gastbeitrag bezeichnen – und zusätzlich als Adverto-rial oder Werbebeitrag kennzeichnen. Die Publikationen, schreibt selbstbe-wusst der Reflex Verlag, seien „gespickt

Inpact Media, Berlin

Geschäftsführer: Edi Karayusuf, Sara Karayusuf-Isfahani

Info: Verlagstätigkeit seit 2009, 26 Ausgaben im Jahr 2016,

von Das neue Arbeiten über Bescherung! bis Technologien

der Zukunft

Internet: www.inpactmedia.com

Lyonsdown, London

Geschäftsführer: Ulrich Merkl (Deutschland)

Info: Deutsche Niederlassung seit Mai 2012, wichtigste Publikationen:

Eco Report (Umwelt und Wirtschaft), Business Reporter´(Finanzen,

Investitionen und Management), Business Technology (Informations-

und Kommunikationstechnologie)

Internet: www.lyonsdown.de

Media Planet, Berlin (deutsche Niederlassung)

Geschäftsführer: Richard Julin (CEO)

Info: 2002 in Schweden gegründet, international aufgestellt mit

Büros in 14 Ländern. Seit 2016 hält der Investmentfond Priveq

die Mehrheit am Unternehmen.

Internet: www.mediaplanet.com/de-de

Publicateur, Berlin

Geschäftsführer: Alan David, Anna Penseler

Info: Der inhaltliche Schwerpunkt liegt auf Technologie, Wirtschaft,

Nachhaltigkeit, Health und Lifestyle. Veröffentlichungen u. a.

in Handelsblatt, Die Welt, F.A.Z., Capital

Internet: www.publicateur.com

Reflex Verlag, Berlin

Geschäftsführer: Pit Grundmann

Info: Gegründet im April 2008, publizierte 36 themenbezogene

Publikationen im vergangenen Jahr. Arbeiten derzeit mit rund einem

Dutzend Medienpartnern von Berliner Morgenpost bis Die Zeit.

Internet: http://reflex-media.net/

Themenbote, Berlin

Geschäftsführer: Sascha Bogatzki

Info: Gestartet 2016, Gründer Bogatzki arbeitete

zuvor beim Reflex Verlag.

Internet: www.themenbote.media

Warum Verlag, Berlin

Geschäftsführer: Robert Willmann

Info: Gibt das +3 Magazin heraus, das exklusiv der „SZ“ beiliegt und 2016

acht Mal erschien. Der Süddeutsche Verlag ist seit Sommer 2016 Gesell-

schafter des Verlags.

Internet: http://warumverlag.de/

Verlage und Agenturen, die Supplements mit gesponserten Beiträgen und Werbeanzeigen herstellen und vermarkten (Auswahl)

Bitte mit Beilage

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VERTRIEB

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mit neuesten Daten, Kommentaren und Beiträgen von weltweit angesehenen Ex-perten und Journalisten. Verständlich aufbereitet und sorgfältig recherchiert für Leser, die eine unabhängige Redaktion zu schätzen wissen“. Neben etlichen jun-gen Mitarbeitern und Berufseinsteigern arbeiten in den Spezialverlagen auch er-fahrene Journalisten wie beispielsweise Karl-Heinz Möller, der viele Jahre Wirt-schaftsredakteur bei Axel Springer war und nun als Ressortleiter beim Reflex Verlag tätig ist.

Für buchende Unternehmen sind die Beilagen aus mehrfacher Hinsicht inter-essant. Erstens: Sie können inhaltlich (mit)bestimmen. Zweitens: Sie tauchen in einem redaktionell anmutenden Um-feld auf. Drittens: Die – meist per Foto gezeigten – Protagonisten treten als Au-tor oder Interviewpartner auf, was ihrer Eitelkeit schmeichelt. Viertens: Sie lan-den per Huckepack bei Lesern angese-hener Medien. Fünftens: Das Ganze kostet weniger als eine Anzeige im ent-sprechenden Trägermedium.

Verlockende finanzielle Alternativen

Zum Beispiel ist eine Seite Anzeige oder (werblicher) Text in einer Reflex-Ausga-

be, die im Handelsblatt erscheint, für rund 23.000 Euro ausgeschrieben, während eine ganzseitige Werbung im Handelsblatt laut Preisliste zweieinhalb Mal so viel, nämlich knapp 58.000 Euro kostet. Stellt man klassische Marken-werbung in der Süddeutschen Zeitung einer Präsenz im +3 Magazin gegen-über, so ist der Unterschied noch frap-pierender: Die Anzeigenseite in der „SZ“ an einem Wochentag schlägt mit rund 73.000 Euro zu Buche, während das Drei-Fragen-Supplement für eine Seite im Innenteil knapp 20.000 Euro verlangt.

Bislang scheint es für alle drei Seiten ein einträgliches Geschäft zu sein: Die Bei-lagen laufen nach wie vor gut, die Kun-den kaufen sich offenbar gerne dort ein. Die Dienstleister arbeiten flexibel und produzieren erst dann, wenn genügend Aufträge und somit Umsatz registriert sind; Herstellung und Redaktion lassen sich deutlich günstiger organisieren als in klassischen Verlagsstrukturen. Schließlich profitieren auch die Magazi-ne und Zeitungen, die als Trägermedium gebucht werden: Sie verdienen an der Distribution der Supplements, die in al-ler Regel wie Prospektbeilagen berech-net werden – und so zählen Reflex, In-pact & Co. bei manchen Verlagen zu den größten Kunden.

Mit redaktionell anmutenden

Beilagen verdienen Verlage

seit jeher Geld. Was Schwer-

punkte, Auflage und Schreibe

anbelangt, spannt sich heute

ein weiter Bogen

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REDAKTION

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Q ualität kommt von Qual“ und

„Einer muss sich quä-len: der Schreiber oder

der Leser“ — nahezu jeder Journalist kennt diese Sprüche

von Wolf Schneider, dem großen alten Mann der deutschen Sprachkri-

tik. Im Laufe seiner Ausbildung oder sei-nes Berufswegs hat fast jeder ein Buch von ihm gelesen. Und wem Wolf Schnei-der nicht behagt, der hat vermutlich zur Stilfibel von Ludwig Reiners gegriffen.

Im englischsprachigen Raum wird William Strunks Ratgeber The Elements of Style, 1920 erstmals veröffentlicht, noch immer an Schulen und Hochschu-len eingesetzt. Und erst kürzlich hat der Linguist und Kognitionswissenschaftler Steven Pinker einen eigenen Stilratge-ber herausgebracht, der laut Untertitel für sich beansprucht, „The Thinking Per-son’s Guide to Writing in the 21st Cen-

Von Markus Reiter,

Journalist, Schreibtrainer

und Berater, Stuttgart

Schreibstil ist nicht nur Geschmackssache

Aber bitte mit Gehirn

tury“ zu sein. Das Interesse an einem „guten Stil“ scheint ungebrochen. Doch was bisher nicht klar war: Stimmen die vielen Regeln, die diese Sprachkritiker aufgestellt haben? Oder handelt es sich schlichtweg um Geschmacksurteile? Kurze Sätze, konkrete Wörter, anschau-liche Formulierungen – kann man das nicht auch „so oder so“ sehen?

Genau das behaupten die meisten Sprachwissenschaftler. Sie verweisen darauf, dass die populären Sprachkriti-ker in der Regel linguistische Laien sei-en, Sprache sich ohnehin ständig wand-le und die Regeln folglich nur Willkür darstellten. Einige Verständlichkeitsfor-scher gefallen sich offenbar sogar darin, sich besonders kompliziert und unver-ständlich auszudrücken. So schrieb vor einigen Jahren der Linguist Hans-Ulrich Biere über sein Verständnis von ver-ständlichen Texten einen Satz, der von seinem geneigten Leser bald alles ab-

Foto: freshidea / Fotolia.com

Sprachkritik-Bücher von Wolf Schneider bis Ludwigs Reiners sind

noch immer beliebt. Aber lassen sich ihre Regeln wissenschaftlich

belegen? Oder ist alles eine Geschmacksfrage? Unser Autor stellt

fünf Schreibtipps auf den neurolinguistischen Prüfstand.

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forderte: „Alle genannten, am Konzept des Auslegers orientierten Formen des Verständlich-Machens, haben gegen-über textoptimierenden Ansätzen einen entscheidenden Vorzug: in keinem Fall findet eine reine Substitution unter Til-gung des substituierten Elements statt. Dadurch ist für den Rezipienten stets die Möglichkeit gegeben, die Verwen-dungsweise des unbekannten Ele-ments, den ausgelegten Text schließlich als solchen zu verstehen zu lernen, mit-hin seine Kompetenz zu erweitern.“

Wenn man diese Aussage etwas zuge-spitzt zusammenfasst, lautet sie: Texte brauchen nicht verständlich geschrie-ben zu sein. Im Gegenteil: Wenn der Le-ser sich gehörig anstrengen muss, lernt er sogar etwas dazu.

Eine solche Auffassung hat einen wissenschaftlichen Namen: rezipienten- orientierte Textverständlichkeit. Im rich-tigen Leben haben die meisten Leser jedoch meist keine Lust, aus schwer verständlichen Texten etwas zu lernen. Das gilt besonders für Zeitschriften- leser, die wie viele andere unter Zeit-druck und Informationsüberfluss leiden.

Also doch Wolf Schneider und Co.? Immerhin enthalten die Ratgeber auffal-lend viele übereinstimmende Regeln. Unter anderem raten die Verfasser den Autorinnen und Autoren:

• einfache, gebräuchliche Wörter mit wenigen Silben zu wählen,

• Fremdwörter zu meiden,

• sparsam mit Adjektiven umzugehen,

• überflüssige (also zur Sinn- konstruktion nicht notwendige) Wörter zu streichen,

• Verben den Substantiven (also zum Beispiel „erwägen“ statt „in Erwä - gung ziehen“) vorzuziehen,

• das Aktiv dem Passiv vorzuziehen,

• Schachtelsätze zu vermeiden,

• die Teile des Verbs innerhalb eines Satzes nahe beieinander stehen zu lassen.

• Eine an konkreten Wörtern und an Metaphern reiche Sprache gilt als besseres Deutsch als eine abstrakte und unanschauliche.

Schreibregeln im neurowissenschaftlichen Test

Sind die Regeln nur tradierte Standards oder halten sie auch einer neurowissen-schaftlichen Überprüfung stand?

Bildhafte und affektive Worte spielen im Gehirn direkt die Regionen an, in denen

die Emotionen verortet werden

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REGEL 1:EINFACHE UND VERTRAUTE WÖRTER BENUTZEN

Um zu verstehen, warum diese Regel sinnvoll ist, muss man zunächst einen Blick drauf werfen, was beim Lesen im Gehirn vor sich geht. Dazu schreibt der Kognitionswissenschaftler Stanislas Dehaene vom College de France in Pa-ris in seinem Buch Lesen. Die größte Er-findung der Menschheit: „Bei seltenen, neuen, regelmäßig geschriebenen Wör-tern oder völlig erfundenen Wortneubil-dungen verläuft das Lesen auf dem phonologischen Weg – man entziffert die Buchstaben, leitet die mögliche Aus-sprache ab und versucht, den Sinn zu ermitteln. Bei häufigen oder unregelmä-ßig geschriebenen Wörtern nimmt das Lesen den direkten Weg – man greift zu-nächst das ganze Wort und den Sinn auf und verwendet diese Information, um die Aussprache zu rekonstruieren.“

Mit anderen Worten: Einfache und ver-traute Wörter verarbeitet unser Gehirn schneller und flüssiger. Sie erleichtern das Lesen.

REGEL 2:REGEL 2:KONKRETE WÖRTER KONKRETE WÖRTER BENUTZENBENUTZEN

Autoren von Stilbüchern raten einem Autor, das konkrete Wort „Salz“ dem abstrakteren „Würzmittel“ vorzuziehen. „Salz“ löst eine klare Vorstellung im Ge-hirn des Lesers aus. Dies konnten der Neuropsychologe Alfonso Barrós-Loscertales von der Universität Jaume I. in Castellón und seine Kollegen 2012 in der Tat nachweisen. Sie testeten spani-sche Wörter, die mit Geschmacksein-drücken zusammenhängen, gegen Testwörter. Das Ergebnis: Konkrete Ge-schmackswörter aktivierten unter ande-

rem die gustatorischen Areale des Ge-hirns. Wir schmecken also salzig, wenn wir von Salz lesen. Das Ergebnis der Studie stützt eine Erkenntnis, die Barrós-Loscertales schon 2006 zusam-men mit seinem Kollegen Julio González präsentierte: Beim Lesen von stark ge-ruchs-assoziierten Ausdrücken („Knob-lauch“, „Zimt“, „Jasmin“) wurden dieolfaktorischen Hirnareale aktiviert.

Ähnliche Belege lassen sich dafür fin-den, dass konkrete Wörter mit motori-scher Bedeutung auch in ihrer meta-phorischen Verwendung die motori-schen und prä-motorischen Areale akti-vieren. Das sind jene Bereiche des Ge-hirns, in denen Bewegungen ausgelöst werden. So zeigte eine Studie, dass so-wohl der Satz „The daughter grasped the flowers“ (wörtliche Verwendung) als auch Satz „The public grasped the idea“ (metaphorische Verwendung) prämoto-rische Areale aktivierten. Dies geschah bei der abstrakten Formulierung „The public understood the idea“ nicht. In der metaphorischen wie in der abs-trakten Formulierung wurden überein-stimmend Areale des linken superioren Temporallappens aktiviert, die mit der Verarbeitung abstrakter Sprache asso-ziiert sind. Daraus ließe sich ableiten (in Übereinstimmung mit den Ratschlägen der Stilbücher), dass ein möglichst grif-figer Stil das Verständnis abstrakter Zu-sammenhänge erleichtert, indem er das Sprachverstehen um eine motorische neuronale Dimension erweitert.

REGEL 3:AUF DEN KLANG DER WÖRTER ACHTEN

REGEL 3:AUF DEN KLANG DER WÖRTER ACHTEN

Einige Stilratgeber verweisen darauf, dass auch der Klang von Wörtern einen Einfluss auf den Leser hat und deshalb von den Verfassern berücksichtigt wer-

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REDAKTION

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die das schnelle Verstehen des Textes behindern:

• Mehrdeutigkeiten (Ambiguitäten),• Verzögerungen des Verständnisses, weil der sinntragende Teil des Satzes zu spät auftaucht.

Ein syntaktisch ambiger Satz wäre: „Der Bauer verkauft den Ochsen, weil er alt und krank ist.“ Wer ist alt und krank – der Bauer oder der Ochse? Der Sinn des Satzes lässt sich nur durch den Kontext verstehen. Diesen zu erfassen, dauert aber länger. Eindeutiger wäre deshalb: „Der Ochse ist alt und krank. Der Bauer muss in deshalb verkaufen.“ Ein Satz mit einem falschen Zwischen-sinn, der im Gehirn erst falsch ausgelegt wird, lautet: „Jakob wusste die Antwort war falsch.“ Das Gehirn muss eine Re-

den sollte. Auf die Richtigkeit auch die-ses Ratschlags gibt es Hinweise: In ei-ner Studie ließen Wissenschaftler Pro-banden den Geschmack von bestimm-ten Nahrungsmitteln mit den Kunst-wörter „takete“ und „bouba“ beschrei-ben. Dabei wurden Kartoffelchips eher als „takete“, Brie-Käse vornehmlich als „bouba“ beschrieben.

REGEL 4:ÜBERSICHTLICHESÄTZE BAUEN

REGEL 4:ÜBERSICHTLICHESÄTZE BAUEN

Ein Text wird nicht verstanden, indem der Sinn jedes einzelnen Wortes erkannt wird. Vielmehr müssen die Wörter in Sätzen zusammengefügt werden. Dabei kann es zu zwei Problemen kommen,

WOLF SCHNEIDER: DEUTSCH FÜR PROFIS

Dieses Buch ist klar, konsequent und praxisorientiert, so wie Schneiders anderemit ähnlichen Titeln und gleichem Inhalt auch. Jedoch wirkt es ein bisschenoberlehrerhaft.

(Taschenbuch, Goldmann, 8,95 Euro)

LUDWIG REINERS: STILFIBEL

Reiners Stilfibel ist zwar schon etwas angestaubt, doch viele seiner Regeln bleiben gültig. Reiners wurde jedoch posthum unterstellt, sich bei der Deutschen Stilkunst von Eduard Engel (s. u.) bedient zu haben und auch seine Rolle im Nationalsozialis-mus gilt als eher dubios.

(C.H. Beck, 14,90 Euro)

EDUARD ENGEL: DEUTSCHE STILKUNST

Das Werk des deutsch-jüdischen Sprachkritikers und Literaturhistorikers Eduard Engel aus dem Jahre 1911 gibt es jetzt wieder in einer bibliophilen Ausgabe der „Anderen Bibliothek“. Etwas für Liebhaber.

(Die Andere Bibliothek, 78 Euro)

MARKUS REITER / STEFFEN SOMMER: PERFEKT SCHREIBEN

Da der Autor dieser Zeilen hier Ko-Autor ist, gibt es dazu keine weitere Bewertung.

(Taschenbuch, Hanser, 9,90 Euro)

BUCHTIPPS

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REDAKTION

impresso 2 / 2017 43

analyse vornehmen, um den Satz zu ver-stehen. Das heißt: Es muss ihn im Zwei-fel nochmals von vorne lesen. Bei einer Version des Satzes, wie er von Stil-Rat-gebern empfohlen wird, wäre die Reana-lyse nicht notwendig, der kognitive Auf-wand folglich geringer: „Jakob wusste: Die Antwort war falsch.“

Ein syntaktisch komplexer Satz, dessen sinntragenden Einheiten spät im Satz auftauchen und bei dem die Referenzen schwer ersichtlich sind, wäre folgender: „Wenn aber die Satzstücke, die dem Sinn nach zusammengehören, durch ei-ne Kette anderer Sätze getrennt werden und wenn im Text von mehreren Subjek-ten und Handlungen die Rede ist, muss sich derjenige, der sich mit dem Text be-schäftigt, selbständig im System der Be-ziehungen zurechtfinden und diejenigen herausfinden, die dem Sinn nach zu ei-nem System gehören, aber im Satz wei-ter voneinander entfernt stehen können.“

Solche Sätze stellen eine hohe Anforde-rung an das Arbeitsgedächtnis. Die Ver-arbeitung sprengt das Intervall von drei Sekunden, das einem Modell des Münchner Neurowissenschaftlers Ernst Pöppel zufolge das „Fenster der Auf-merksamkeit“ darstellt. Auch hier haben Schneider und Co. also Recht.

REGEL 5:SCHREIBENMIT GEFÜHL

REGEL 5:SCHREIBENMIT GEFÜHL

„Wer sich nur an den Verstand wendet, wird nie gut schreiben. Nur was aus Ge-fühl und Willen stammt und Gefühl und Willen aufruft, kann bis in die Tiefe durchschlagen“, schreibt Ludwig Rei-ners in der Stilfibel. Der Berliner Kogniti-onspsychologe Arthur M. Jacobs unter-suchte, ob neuronale Netzwerke, die an der Verarbeitung von Emotionen betei-ligt sind, bei der Worterkennung und

beim Lesen eine Rolle spielen. Daraus entstand die Berlin Affective Word List, die rund 2.100 Nomina, 500 Verben und 300 Adjektive umfasst und diese nach dem Grad ihrer affektiven Wertigkeit ordnet. So entstand die umfangreichste deutschsprachige Wortliste für emotio-nale Wörter. Worte wie „Freiheit“, „Para-dies“ und „Liebe“ lösten dabei beson-ders positive Gefühle aus, „Giftgas“, „Krieg“ und „Nazi“ negative.

Ähnliche Erkenntnisse ergeben sich für die emotionale Verarbeitung von Sät-zen. Sogar negative Sätze, die keine emotional negativen Wörter enthalten („Der Junge schlief ein und wachte nie-mals wieder auf.“), aktivieren emotiona-le Netzwerke einschließlich des media-len präfrontalen Cortexes, der Insula und der Amygdala. Bei neutralen Sätzen („Der Junge stand auf und ergriff dieTasche.“) war dies nicht der Fall.

Für Autoren von Stil-Ratgebern steht al-lerdings nicht die Frage im Vordergrund, ob emotionale Wörter schneller verarbei-tet werden. Vielmehr geht es darum, ob sie einen Text attraktiver machen. In der Tat gibt es Hinweise darauf, dass emoti-onale Wörter beim Lesen die Aufmerk-samkeit erhöhen. Berliner Wissenschaft-ler zeigten dies 2015 in einer Studie an-hand von 120 Abschnitten aus Harry-Pot-ter-Romanen. Dabei ergaben sich Akti-vierungen in den Emotionszentren der linken Amygdala und der Insula. Je wei-ter Probanden die Textabschnitte lasen, desto emotional erregter wurden sie.

FAZIT:Es spricht also vieles dafür: Die bei Jour-nalisten beliebten Stilratgeber behaupten keinen Unsinn. Man kann sie getrost wei-terhin verwenden. Angesichts wachsen-der Textmengen und veränderter Lese-bedingungen durch die Lektüre auf Bild-schirmen und mobilen Endgeräten profi-tieren Leser on- und offline von ihnen.

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44 impresso 2 /201744 impresso 2 / 2017

I st ein redaktionell gestaltetes Printmedium auch anzeigenfinan-

ziert, so muss in dessen Impressum nicht nur der Name des verantwortlichen Redakteurs, sondern auch der des „Ver-antwortlichen für Anzeigen“ ausgewie-sen werden. Grund dieser Vorschrift der Landespressegesetze ist, dass innerhalb eines Verlags eine (natürliche) Person für den Inhalt der veröffentlichten Inserate zivil- und/oder strafrechtlich haftbar sein soll. Bei Telemedienangeboten fehlt eine vergleichbare Regelung. Es existiert lediglich eine Vorschrift, nach der für die Onlineangebote, die „journalistisch- redaktionell“ gestaltet sind, ein verant-wortlicher Redakteur anzugeben ist.

Diese abweichenden Regelungen könn-ten auf den ersten Blick zu der Annahme verführen, es beständen hinsichtlich der Verantwortlichkeit für die Veröffentli-chung von Werbung in Print und Online (gewichtige) Unterschiede. Das Gegen-teil ist der Fall: Zunächst einmal ist fest-zuhalten, dass für den Inhalt von (Fremd-) Werbung in den Medien, gleich ob Print oder Online, immer der Werbetreibende selbst verantwortlich ist. Denn die Medi-en stellen lediglich „Raum“ für die Veröf-fentlichung von Werbung zur Verfügung,

der komplett durch die Werbebotschaft der Werbekunden ausgefüllt wird. Gleichwohl trifft die Medien immer die sogenannte Verbreiterhaftung, also die Verantwortlichkeit bezüglich der Inhalte, die sie gedruckt verbreiten oder online zum Abruf bereithalten. Dass die Medien für ihre redaktionellen Inhalte, die von ihnen stammen, verantwortlich sind, versteht sich von selbst.

Würde man den Medien auch bezogen auf die Veröffentlichung von Werbung eine umfassende Verantwortlichkeit auf-erlegen, dann wäre das Werbegeschäft faktisch tot. Denn dann müssten die Medien, die bei ihnen eingehenden Wer-bemanuskripte vor der Veröffentlichung daraufhin überprüfen, ob deren Inhalte wahr und rechtlich einwandfrei sind. Dass dieser Aufwand nicht zu stemmen ist, liegt auf der Hand. Deshalb hat die höchstrichterliche Rechtsprechung die Verantwortlichkeit der Medien für die Veröffentlichung von (Fremd-)Werbung auf die Fälle beschränkt, in denen eine offenkundige, eindeutige und schwer-wiegende Rechtsverletzung gegeben ist. Dies bedeutet, dass in den Anzei-genabteilungen die eingehende Wer-bung ausnahmslos vor deren Veröffent-

Rechtsanwalt

Dr. Michael Rath-

Glawatz, Hamburg

In unserer mehr tei ligen

Serie schreibt der

Medienrechts experte

Rath-Glawatz über knifflige

Rechtsfragen aus der

ver legerischen Praxis

Augen auf bei Online-Anzeigen

Verlage haften bei offenkundig rechtwidriger Werbung – auch online

RECHTS § RATH.34

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impresso 2 / 2017 45impresso 2 /2017 45

de Rechtsverletzung gegeben ist. Ein Trost gibt es in diesem Zusammenhang: Zur Beurteilung ist es nicht nötig, dass eine rechtlich geschulte Person die Wer-bung prüft. Die schwerwiegende Rechtswidrigkeit von Werbung muss schließlich offenkundig sein – und das bedeutet, dass ein „normaler“ Mitarbei-ter in der Anzeigenabteilung dies beur-teilen können muss. Fällt dem Mitarbei-ter eine Werbung nicht als etwas Be-sonderes auf, so fehlt es bereits an der Offenkundigkeit des Rechtsverstoßes. Fällt die Werbebotschaft jedoch aus dem Rahmen des Üblichen, so muss der Anzeigenmitarbeiter in eine Prüfung einsteigen.

FAZIT:Ob Print oder Online – Medien sind stets gehalten, Werbung vor ihrer Veröffentlichung auf offenkundige, eindeutige und schwerwiegende Rechtswidrigkeit hin zu überprü-fen. Geschieht dies nicht, so haf-ten die Verlage beziehungsweise die Onlineunternehmen. Oder an-ders formuliert: Die „blinde“ Ver-breitung von Werbung ist und bleibt riskant. Sie kann statt des erwarte-ten Erlöses hohe Kosten auslösen.

lichung geprüft werden muss – gleich ob es sich nun um Werbung für Print oder Online handelt. Das Augenmerk muss dabei darauf liegen, ob solch ein oben beschriebener Ausnahmefall ge-geben ist. Wenn ja, dann trifft den Ver-lag beziehungsweise das Onlineunter-nehmen die Verpflichtung, den Anzei-genauftrag nicht auszuführen.

Dies bedeutet aber auch, dass die Unternehmen sich nicht mit dem Hin-weis aus der Verantwortung stehlen können, die Werbung werde digital von dem Werbetreibenden oder dessen Agentur direkt in die Satzsysteme ein-gespeist. Und das gilt eben auch, wenn technisch kein eigener Mitarbeiter invol-viert ist. Sie bleiben in der Haftung, wenn sie offenkundig und eindeutig schwerwiegend rechtswidrige Werbung bei sich veröffentlichen. Wer hier seiner Prüfungspflicht nicht nachkommt, dem drohen die Abgabe der Unterlassungs-erklärung, hohe Kosten für die Abmah-nung und eventuell beträchtliche Schadensersatzforderungen.

Schließlich geht es ja um die schwer-wiegenden Fälle, bei denen eine offen-kundige, eindeutige und schwerwiegen-

Wer offensichtlich rechtswidrige Anzeigen online platziert haftet

Foto S.44: Bilderbox, Privat; Foto S.45: Jcomp – Freepik.com

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PERSONAL

impresso 2 /2017 47Foto: kantver / Fotolia.com

Von Thomas Muschiol,

Rechtsanwalt mit den

Schwerpunkten Arbeitsrecht

und betriebliches Sozial-

versicherungsrecht,

Freiburg

impresso 2 /2017 47

O b für die Vergabe oder Auslage-rung kompletter Produktreihen

oder zur Realisierung einzelner Projekte: Freiberufliche Mitarbeiter sind im Ver-lagswesen nicht mehr weg zu denken. Doch haftet diesen Beschäftigungsfor-men oft der Generalverdacht einer „Scheinselbstständigkeit“ an. Dies auch, weil die Auffassung herrscht, be-stimmte Tätigkeiten seien nur in Form von Arbeitnehmertätigkeiten denkbar und freien Vereinbarungen gar nicht zu-gänglich. Das Gegenteil ist jedoch der Fall: Die Juristen sind sich einig, dass aufgrund der allgemeinen Vertragsfrei-heit jedwede Tätigkeit sowohl in Form eines Arbeitsverhältnisses, als auch in Form eines freien Dienst- oder Werk-vertrags ausgeübt werden kann. Die große Freiheit kommt aber auch mit

Ohne Freiberufler geht es im Verlagswesen kaum mehr. Doch wie lässt sich ihr

Status für den Verleger vertraglich definieren? Wie lässt sich vermeiden, dass

ein „Freier“ vor dem Arbeitsgericht oder seitens der Rentenversicherung doch

als Angestellter betrachtet wird? Das rechtliche Terrain in äußerst schwammig

und diffizil. Am besten ist beraten, wer seine Risiken im Vorfeld minimiert.

Fisch oder Fleisch?Rechtsunsicherheiten bei Arbeitsverträgen mit freien Mitarbeitern

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PERSONAL

48 impresso 2 / 2017

Wermutstropfen daher: Denn saubere Trennlinien oder Verbotsnormen, die Ori-entierung bieten könnten, existieren nicht – sehr zum Leidwesen der Unter-nehmer bzw. Verleger. Denn ob „Fisch oder Fleisch“ – sprich, ob freier Mitarbei-ter oder Angestellter – entscheidet nicht primär die Bezeichnung im Vertrag, son-dern nur die Gesamtbetrachtung aller Umstände. Mit dieser „Schwammigkeit“ sieht sich der Verleger sowohl im Bür-gerlichen Gesetzbuch (BGB) als auch im Sozialgesetzbuch konfrontiert (siehe Kasten 1). Somit gerät das Vorhaben, ei-nen „rechtssicheren Vertrag“ zu entwer-fen oder aus dem unerschöpflichen Fun-dus des Internets zu übernehmen, häu-fig zum Lotteriespiel. Was aber hier hilft, sind zwei Themen: Risikoerkennung und Risikominimierung.

Risikobetrachtung aus arbeitsrechtlicher Sicht

Spekulieren, Wünschen, Daumendrü-cken gehören nicht in das Themenfeld der Verträge, sondern ins Reich des Glücksspiels. Deshalb nutzt es auch wenig, zu wissen, dass Verleger und vermeintlich freier Mitarbeiter ursprüng-lich ja „wirklich nur eine selbständige Tä-tigkeit“ angestrebt haben. Klar, wo kein

Kläger, da kein Richter. Aber wollen Sie sich darauf wirklich verlassen? Was, wenn der freie Mitarbeiter seinen Status als Arbeitnehmer gerichtlich feststellen lässt oder bestimmte Leistungen bei-spielsweise eine Gratifikation oder Ent-geltfortzahlung im Krankheitsfall ein-klagt? Für die Praxis bedeutet dies, dass das arbeitsrechtliche Risiko einer Fehleinschätzung durch die Prognose der Wahrscheinlichkeit oder Unwahr-scheinlichkeit einer Klageerhebung zu relativieren ist. Die Frage, ob ein Prozess geführt und wie er beendet bzw. vermie-den wird, obliegt allein den prozessfüh-renden Parteien. Auch außergericht- liche und gerichtliche einvernehmliche Lösungen im Vergleichswege sind hier jederzeit denkbar.

Natürlich kann sich der Unternehmer auch dafür entscheiden, den arbeitsge-richtlichen Prozess „durchzuziehen“ oder sogar selbst eine Klage mit dem Ziel, dass der Status als Selbstständiger bestätigt wird, anhängig machen.

Aber Vorsicht vor der doppelten Hürde: Auch wenn das Arbeitsgericht die Selbstständigkeit bestätigt hat, heißt das nicht, dass die Sozialgerichte dies ihrerseits bestätigen müssen. Weder

Die arbeitsrechtliche Definition des Arbeitnehmers ist seit dem 01.04.2017 in § 611 a BGB wie folgt geregelt: „Durch den

Arbeitsvertrag wird der Arbeitnehmer im Dienste eines anderen zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in

persönlicher Abhängigkeit verpflichtet. Das Weisungsrecht kann Inhalt, Durchführung, Zeit und Ort der Tätigkeit betreffen.

Weisungsgebunden ist, wer nicht im Wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen kann. Der Grad

der persönlichen Abhängigkeit hängt dabei auch von der Eigenart der jeweiligen Tätigkeit ab. Für die Feststellung, ob ein

Arbeitsvertrag vorliegt, ist eine Gesamtbetrachtung aller Umstände vorzunehmen. Zeigt die tatsächliche Durchführung des

Vertragsverhältnisses, dass es sich um ein Arbeitsverhältnis handelt, kommt es auf die Bezeichnung im Vertrag nicht an.“

Die sozialversicherungsrechtliche Definition des Beschäftigten ist in § 7 SGB IV wie folgt gefasst: „Beschäftigung ist die

nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind eine Tätigkeit

nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers.“

Die Pudding-Paragraphen

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PERSONAL

impresso 2 /2017 49

Sozialversicherungsträger noch Sozial-gerichte sind an Entscheidungen der Arbeitsgerichte gebunden. Zudem kann im Zuge einer Ablehnung des Arbeit-nehmerstatus vom Arbeitsgericht ge-wissermaßen en passant feststellt wer-den, dass der Vertragspartner zwar selbstständig, aber eine „arbeitneh-merähnliche Person“ ist (vgl. Kasten 2). Das bedeutet, dass er als Selbstständi-ger in bestimmte arbeitsrechtliche Schutzvorschriften einbezogen wird und somit auch z. B. Anspruch auf be-zahlten Urlaub hat.

Risikobetrachtung aus sozial-versicherungsrechtlicher Sicht

Stichwort bei der sozialversicherungs-rechtlichen Risikoermittlung ist die Amtsermittlung. Sehen die Betriebs-prüfer der Sozialversicherung in einem vereinbarten freien Dienst- oder Werk-vertrag ein Beschäftigungsverhältnis, so haben die Beteiligten keinerlei Mög-lichkeiten mehr, den einmal ins Rollen gebrachten Stein zu stoppen. Es gilt eben jener Grundsatz der Amtsermitt-lung, der sich auch fortsetzt, wenn die Entscheidung der Betriebsprüfer vor dem Sozialgericht angefochten wird.

Wie aber kann man beurteilen, ob der freie Dienst- oder Werkvertrag sozial-versicherungsrechtlich gesehen einer Betriebsprüfung standhalten kann? Die Antwort darauf fällt noch entmutigen-der aus als bei der arbeitsrechtlichen Betrachtung. Denn der „Eiertanz“ setzt sich auch hier fort. In einschlägigen Ur-teilen zum Beschäftigungsbegriff findet sich zur Ermittlung des Beschäfti-gungsstatus‘ folgender Satz: „Es müs-sen alle nach Lage des Einzelfalls als Indizien in Betracht kommenden Um-stände festgestellt, in ihrer Tragweite zutreffend erkannt und gewichtet, in die Gesamtschau mit diesem Gewicht eingestellt und nachvollziehbar, d. h. den Gesetzen der Logik entsprechend und widerspruchsfrei gegeneinander abgewogen werden“. Dazu kommt, dass es auf die Anzahl der für den je-weiligen Status streitenden Kriterien nur sehr bedingt ankommt. Vielmehr kann und wird dem Vorliegen einzelner Kriterien, wie dem Fehlen eigener Be-triebsmittel, überproproportional viel Gewicht beigemessen.

Wer hätte gedacht, dass andere Krite-rien, wie beispielsweise das Vorliegen einer Gewerbeanmeldung oder das

Foto S. 48: Cpro / Fotolia.com; Foto S. 49: Wellnhofer Designs / Fotolia.com

Ist Ihr Arbeitsvertrag mit

Ihrem freien Mitarbeiter

rechtssicher?

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PERSONAL

50 impresso 2 / 2017

Zahlen von Einkommenssteuervoraus-zahlungen, dagegen als wenig oder so-gar als völlig unbeachtlich aus der Ab-wägung herausgenommen werden?

Da wundert es nicht, wenn der ehema-lige Richter des Bundesarbeitsgerichts Gerhard Reinecke auf die Frage, war-um es denn so schwierig sei, mit dem Beschäftigtenbegriff umzugehen, ant-wortete: „Nageln Sie mal einen Pud-ding an die Wand“. Zu alldem kommt noch, dass die Feststellungen der Be-triebsprüfer auch auf den Wandel in den tatsächlichen Verhältnissen ausge-richtet sind. Wenn also eine Vertrags-gestaltung sowohl nach der Papier-form, als auch zunächst nach den an-fänglichen tatsächlichen Verhältnissen den Anforderungen einer selbstständi-gen Tätigkeit entspricht, so kann sich dies im Laufe der Zeit durchaus än-dern. So können die Prüfer ein ehemals selbstständig zu bewertendes Ver-tragsverhältnis ab einem bestimmten Zeitpunkt als Beschäftigungsverhältnis bewerten.

Hand aufs Herz: Ob Sie Jurist oder Laie sind, trauen Sie sich zu, anhand dieser Auslegungsvorgaben eine sichere Aus-sage über den rechtlichen Bestand Ih-rer Verträge mit freien Mitarbeitern zu machen?

Risikovermeidung durch Statusfeststellungsanfrage

Aber keine Sorge, es gibt eine Lösung des gordischen Knotens. Denn es gibt die Möglichkeit eines sogenannten Sta-tusfeststellungsverfahrens. Bei der ei-gens eingerichteten Clearingstelle der Deutschen Rentenversicherung wird der Sachverhalt vorgetragen und insbe-sondere die vertraglichen Unterlagen für den freien Dienst bzw. Werkvertrag vor-gelegt. Die Clearingstelle entscheidet dann über die Frage, ob aus sozialversi-cherungsrechtlicher Sicht ein freies Ver-tragsverhältnis akzeptiert wird. Der praktische Nutzen dieses Verfahrens liegt vor allem darin, dass die Behörde schon vor dem Erlass einer Entschei-dung verpflichtet ist, „Farbe zu beken-

Was ist er nun? Bei der

Statusfeststellung eines

„Freien“ liegt die Tücke im

Detail

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PERSONAL

impresso 2 /2017 51Foto: Wellnhofer Designs / Fotolia.com

nen“. Sie muss eine „Zwischennach-richt“ unter der Angabe der Tatsachen, auf die sie ihre Entscheidung stützt, er-teilen. An dieser Stelle, kann der Antrag dann noch folgenlos zurückgenommen oder nachbessert werden. Wird der Statusfeststellungsantrag mindestens vier Wochen nach Aufnahme der Tätig-keit gestellt, so wirkt auch eine ableh-nende Entscheidung nicht für die Ver-gangenheit, sondern erst ab Zustellung der Statusentscheidung.

Zur arbeitsrechtlichen Statusklärung gibt es nur die Feststellungsklage. Jedoch muss das Vertragsverhältnis dazu erst begonnen haben.

Schreckgespenst Nach- zahlung gebannt

Aber wie sieht es jetzt mit dem oben be-schriebenen Risiko von sich ändernden Verhältnissen aus? Was nützt es, wenn nach einer erfolgreichen Statusfeststel-lung ein Betriebsprüfer mit dem Hinweis auf aktuell festgestellte geänderte Tatsa-

Risiko für beide Seiten: der arbeitnehmerähnliche SelbstständigeDie Verwirrung für Unternehmer und freie Mitarbeiter ist dann noch steigerungsfähig, wenn ausnahmsweise sowohl auf der

arbeitsrechtlichen Seite als auch bei der sozialversicherungsrechtlichen Beurteilung feststeht, dass die Vereinbarung „hält“,

also weder ein Arbeitsverhältnis, noch ein sozialversicherungsrechtliches Beschäftigungsverhältnis vorliegt.

Das Risiko für den UnternehmerIst er der Hauptauftraggeber des Selbstständigen, was in Verlagen bei den sogenannten „festen Freien“ nicht selten vorkommt,

so ist der freie Mitarbeiter eine „arbeitnehmerähnliche Person“ und wird als Selbstständiger in bestimmte arbeitsrechtliche

Schutzvorschriften einbezogen. Die Wichtigste dabei ist der Anspruch auf bezahlten Urlaub.

Achtung: Demnächst wird ein neues Mutterschutzgesetz in Kraft treten. Darin werden dann auch arbeitnehmerähnliche

Selbstständige einbezogen, was zum Beispiel erstmals zu einem Kündigungsschutz von Selbstständigen führen soll.

Das Risiko für den SelbstständigenDieser kann von der Rentenversicherung zur Kasse gebeten werden, denn er gehört oftmals zum versicherten Personenkreis

der Unternehmer, die überwiegend nur von einem Auftraggeber abhängig sind. Die Folge: Er muss – gegebenenfalls auch rück-

wirkend – die volle Beitragslast in der Rentenversicherung tragen.

Achtung: Wer in diese Situation gerät, sollte unbedingt prüfen, ob er nicht die Voraussetzungen für eine Mitgliedschaft in der

Künstlersozialversicherung erfüllt. Hier ist er als selbstständiger Künstler zumindest berechtigt, die Hälfte der Beiträge von der

Künstlersozialkasse zu verlangen.

chen zu einem abweichenden Ergebnis kommt? Die Antwort ist in den Vertrau-ensschutzbestimmungen des Sozialge-setzbuches zu finden: Eine Statusfest-stellung ist ein Verwaltungsakt, der zwar für die Zukunft zurückgenommen werden kann. Für die Vergangenheit besteht je-doch in der Regel Vertrauensschutz. Das Schreckgespenst horrender Beitrags-nachzahlungen aus der Vergangenheit wird somit gebannt. Das gleiche Ergebnis kann durch den Nachweis erreicht wer-den, dass eine vorherige Betriebsprüfung den Fall schon geprüft und akzeptiert hat. Auch hier kann eine Neubeurteilung nur für die Zukunft vorgenommen werden. Besteht ein solcher Vertrauensschutz nicht — z. B. weil die Betriebsprüfung nur Stichprobencharakter hatte — , kann ei-ne Nachverbeitragung grundsätzlich für einen Zeitraum von vier Jahren erfolgen. Sofern dem Unternehmer dabei vorzu-werfen ist, dass er die Einstufung als Be-schäftigter vorsätzlich unterlassen hat, kann sich eine solche nachträgliche Bei-tragserhebung sogar über 30 Jahre in die Vergangenheit erstrecken.

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52 impresso 2 /2017

Die Textspreu vom Informationsweizen zu trennen

fällt Lesern und Web-Nutzern zunehmend schwer.

Immer lauter wird der Ruf nach einem Dienstleister,

der für sie auswählt und einordnet, das Wichtige vom

Unwichtigen scheidet. Das übernehmen heute viel-

fach kuratierte Newsletter. Das Geschäftsmodell der

„Content Curation“ bietet große Chancen.

M orgendliche Nachrichtenüberbli-cke als kuratierte Newsletter ha-

ben sich etabliert. Deren Absender son-dierten und selektierten für ihre Leser die schier unverdaubare Masse an Nachrichten. So umfasst ihre Zusam-menstellung dann nur Zielgruppen rele-vante Informationen. „Für die Le-ser-Blatt-Bindung sind sie unentbehr-lich geworden“, urteilt Michael Bröcker, Chefredakteur der Rheinischen Post über Newsletter. „Auch Fachverlage können von kuratierten Newslettern er-heblich profitieren“, meint Professor Stefan Hencke von der Hochschule Trier. Der Marketingexperte ist zugleich Geschäftsführer eines Stuttgarter Kom-munikationsdienstleisters, der auch Newsletter-Kampagnen für Unterneh-mens- und Verlagskunden entwickelt.

Doch zumindest viele Fachverlage schrecken noch davor zurück, einen ei-genen Newsletter aufzulegen, um neue

Kompass dringend gesucht

Wie Verlage mit kuratierten Newslettern

Leser und Kunden gewinnen können

Kunden zu gewinnen und ihre bisheri-gen Leser enger an sich zu binden. Da-bei lässt sich mit Hilfe einer Software für den Mailversand und eines simplen Edi-tors ein kuratierter Text-Newsletter mit zahlreichen Verlinkungen auf weitere In-formationsangebote recht unaufwändig realisieren. Insbesondere für Fachverla-ge mit ihrer ausgewiesenen Expertise bietet sich nach Henckes Dafürhalten

Von Peter Welchering,

Medienbüro Welchering,

Stuttgart

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impresso 2/2017 53

das Geschäftsmodell „Content Cura- tion“ einfach an: „Denn in den Fachre-daktionen sind die Experten, die inter-essante, relevante Themen erkennen, bewerten und anmoderieren können“.

Der letztgenannte Punkt erweist sich auch bei kuratierten Newslettern als kri-tischer Erfolgsfaktor. An bloßen Link- sammlungen sind die meisten Leser

nämlich nicht interessiert. „Vom kura-tierten Newsletter erwartet der Nutzer nicht nur Leseempfehlungen, sondern er will, dass die Leseempfehlung in ei-nen Kontext gestellt wird.“ Denn danach richtet er seine Entscheidung aus, ob er der Leseempfehlung folgt oder nicht.

Wie der Kurator eines Museums muss der Kurator eines Newsletters nicht nur

Foto: tortoon / Fotolia.com

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54 impresso 2 /2017

auswählen, welche „Link-Exponate“ er aufnehmen will, sondern auch über ihre Anordnung und Präsentation entschei-den. Deshalb haben sich nicht wenige kuratierte Newsletter auch schnell vom reinen Text-Rundschreiben zu einem zweispaltigen Newsletter, teilweise sogar mit Symbolbildern, entwickelt.

Die Anmoderation der Beiträge ist entscheidend

Die Anmoderationen entscheiden dabei wesentlich über den Erfolg oder Misser-folg der Infoschrift. Hervorragende Er-fahrungen mit ausführlichen Anmodera-tionen hat Marcus von Jordan, Mitgrün-der und Geschäftsführer der „Kuratoren-seite“ piqd.de gemacht. „Wir machen ei-gentlich eine Programmzeitung für das gute Netz“, beschreibt von Jordan den eigenen Anspruch.

Kuratierte Newsletter können von dieser Methode profitieren. Die Anmoderatio-nen bei piqd.de sind keine reinen Inhalts-angaben, sondern bringen auf den Punkt, warum es sinnvoll ist und sich lohnt, den empfohlenen Text zu lesen, der Verlinkung zu folgen. Der Aufwand, solche Anmoderationen zu schreiben, bleibt dennoch überschaubar. „Häufig reicht es vollkommen aus, in zwei bis drei Sätzen aus der ganz persönlichen Sicht des Kurators zu schreiben, warum man

den Beitrag für wichtig hält“, empfiehlt Newsletter-Entwickler Stefan Hencke.

Informationsbeschaffung über RSS-Feeds und Social Media

Und auch die Materialbeschaffung für diese moderierten Rundschreiben ist nicht übermäßig aufwändig. Sie muss nur gut organisiert sein. Viele erfahrene Kuratoren von Newslettern nutzen drei Kanalbündel, um an die Inhalte für ihre Aussendungen zu gelangen. An erster Stelle steht dabei die Nutzung von Blogs und fachlich orientierten Websites. Deren Informationsangebot wird in der Regel per RSS-Feed abonniert.

An zweiter Stelle haben Teilnehmer des Social-Media-Planungsseminars an der Journalisten-Akademie Stuttgart Twitter und Facebook als Quellen für ihre News-letter-Inhalte angegeben. Dabei favori-sieren sie Themenlisten, die von Account-Inhabern angelegt worden sind, die als ausgewiesenen Experten ihres Fachs angesehen werden.

An dritter Stelle werden Links erwähnt, die von Themengruppen auf unter-schiedlichen sozialen Plattformen veröf-fentlicht werden. Dabei liegt das eher be-ruflich orientierte Netzwerk Xing ziemlich weit oben in der Gunst der Newslet-ter-Kuratoren. Zudem haben sich die meisten von ihnen einen News-Alert zu den wichtigsten Schlagwörtern ihres Fachbereiches bei Google eingerichtet.

Die Krautreporter (krautreporter.de) bie-ten gleich drei unterschiedliche kuratierte Newsletter an. Diese stellen nicht nur die Ereignisse in einen Zusammenhang, sondern haben auch eine sehr ausge-prägte Marketingfunktion. Krautrepor-ter-Vorstand Sebastian Esser hat am Rande einer Re-Publica-Veranstaltung durchaus eingeräumt, dass die kuratier-ten Newsletter ein wesentlicher Pfeiler der Abonnentenwerbung seien.

Chance für Verlage:

Leser und Entscheider

wollen fachkundige

Guides im Infodschungel

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impresso 2/2017 55

Kuratieren unterliegtauch Moden

„Wichtig ist, dass hinter der Auswahl Menschen stehen“, hat Pawan Deshpan-de, Chef der Kuratier-Plattform Curata, das eigentliche Erfolgskriterium knapp beschrieben. Er warnt davor, kuratierte Newsletter von Software erstellen und verteilen zu lassen. Die Einordnung und der Grund für die Auswahl müssen in der Anmoderation unbedingt deutlich wer-den, rät Deshpande. Und das könnten Algorithmen nun einmal nicht leisten.

Dabei haben kuratierte Nachrichten auch verschiedene Stil-Phasen durchlaufen. Vor zwei Jahren galt es z. B. als en vogue, zeitliche Abfolgen zu kuratieren. Die Nachrichten, Kommentare und Diskussi-onsanmerkungen zu einem Thema wur-den in eine zeitliche Reihenfolge ge-bracht und dann versandt. Diese Form des Kuratierens hat sich auf Plattformen wie Storify oder die Hootsuite verlagert. Gegenwärtig erheben die meisten kura-tierten Newsletter den Anspruch, die wichtigsten Themen in fachlicher und zeitlicher Hinsicht zu präsentieren. Dabei werden aus Gründen der Eigenwerbung kuratierte fremde und eigene Inhalte ge-mischt.

Acht Sekunden,um zu überzeugen

Wie andere Newsletter werden auch die vorselektierten Infomails in erster Linie ih-rer Themen wegen gelesen. Ungefähr 35 Prozent aller Nutzer entscheiden sich

bereits beim Lesen der Betreffzeile, ob sie die Mail öffnen. Deshalb sollten in der Be-treffzeile auch mindestens zwei bis drei Schlagwörter zu den wichtigsten kuratier-ten Themen angegeben werden. Nach dem Anklicken gibt der Leser den Ma-chern und ihrem Produkt in der Regel acht Sekunden Zeit, ihn vom Nutzen des Dokuments für ihn zu überzeugen.

Außerdem fixiert der Leser in einer Newsletter-Mail viel weniger Punkte als in Print-Produkten. Dies ergaben Auf-merksamkeits- und Blickverlaufsanaly-sen, die auf Untersuchungen mittels Au-genkameras und per sogenannter Mausverfolgung basierten. Die meisten derartigen Studien gehen von bis zu drei sogenannten Fixationspunkten aus, von denen dann die weiteren Inhal-te erschlossen werden. Alle diese Punk-te liegen übrigens im linken oberen Bild-schirmfeld und sind meist auf einer Flä-che von nur drei bis vier Zentimetern versammelt. Erstaunlicherweise ver-schwenden nicht wenige Newslet-ter-Gestalter diesen für die Leseent-scheidung so wichtigen Raum mit Lo-gos der Zeitschrift oder des Verlages und wundern sich anschließend, dass ihr Newsletter nur geringe Aufmerk-samkeitswerte von den Lesern erhält.

Natürlich soll ein Newsletter von mög-lichst vielen Nutzern gelesen werden. Doch die müssen von ihm wissen und ihn abonnieren, damit sie ihn anschlie-ßend nutzen können. Hier ist eine cross-mediale Vermarktungsstrategie gefragt. Sogenannte QR-Codes, die von Smart-

Je spitzer die Zielgruppe für einen Newsletter, umso besser — zwingend ist hierbei aber bereits, dass der Empfänger namentlich angesprochen wird. Unpersönliche Sammel-Newsletter landen entweder häufig im Spam-Ordner oder werden von den Mail-Lesern ignoriert. Gleiches gilt für den Absender: Bei redaktionellen Newslettern will der Leser eben wissen, welcher Redakteur da für ihn tätig geworden ist. Tritt hier lediglich ein unpersönlicher Verlag auf, schwindet die Zustimmung und Treue gegenüber dem Newsletter. Ein Link zu einem Team-Bereich auf der Website unterstützt den persönlichen Draht. Genauso werden persönliche Twitter-Accounts von Newsletter-Redakteuren durchaus beachtet.

Personalisierung ist alles

Foto S. 54: contrastwerkstatt / Fotolia.com; Foto S. 55: beboy / Shutterstock.com

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56 impresso 2 /2017

phones verarbeitet werden können, bringen Leser von den Print-Produkten eines Verlages direkt online auf die Lan-dingpage des Newsletters. Der sollte dort nicht nur heruntergeladen, son-dern zudem auch bestellt werden kön-nen. Auch eine Leseprobe aus der zu-letzt veröffentlichten Aussendung ist empfehlenswert. Ob das Archiv nur für Abonnenten des kuratierten Newslet-ters geöffnet wird oder frei verfügbar ist, hängt von der Portalstrategie des Verlages ab.

In jedem Fall sollte auf die aktuelle Aus-gabe auch via Twitter und auf Facebook hingewiesen werden. Geschichten rund

um die Entstehung des Newsletters und Beiträge über die Richtlinien für das Kuratieren eignen

sich enorm für den Redaktions- oder Verlagsblog — und bringen darüber hin-aus die Abonnentenzahl sicherlich nach oben.

RechtlicheFallstricke vermeiden

Bei kuratierten Newslettern drohen aller-dings auch einige rechtliche Fallen. We-der im Newsletter noch bei den beglei-tenden Aktionen auf unterschiedlichen Social-Media-Plattformen darf der voll-ständige Inhalt eines kuratierten Stücks verwendet werden. Dass diese Art der Verwertung übrigens auch der Ausrich-tung und den Zielvorgaben kuratierter Newsletter widerspricht, muss erstaunli-cherweise in vielen Diskussionen zu die-sem Thema immer wieder deutlich ge-macht werden.

Über 150 Websites, zahlreiche E-Mail-Newsletter und unsere Social-Media-Accounts bei Twitter, Xing, LinkedIn und Facebook durchforsten wir jede Woche, um die momentan 3.200 Abonnenten unseres E-Mail-News-letters jeden Donnerstag mit den wichtigsten Weblinks für Zeitschriften-macher zu versorgen. Wie aber kann man eine solche Menge an Informa-tionen effizient durchforsten, bewerten und zu einem Newsletter zusammen-stellen? Klar: Grundvoraussetzung

sind die Expertise und die Leidenschaft für alle Themen rund um das Zeit-schriftengeschäft. Als Fachverband bringen wir hierfür die nötige Sach-kenntnis mit, um interessante und relevante Themen zu erkennen, zu filtern und aufzubereiten. Zweites Standbein ist das Know-how rund um die digitale Technik. Dabei verlassen wir uns auf zahlreiche oftmals kosten-lose Tools aus dem Internet. So nutzen wir zum Durchforsten der 150 Web-sites z. B. die Feed-Reader-Software

Feedly. Mit deren Hilfe lassen sich sämtliche News-Meldungen des Tages in Sekundenschnelle durchklicken und mit Lesezeichen hinterlegen. Diese Lesezeichen der relevanten Beiträge werden dann mit einem Klick in eine Read-it-Later-Software wie z. B. Pocket oder Instapaper importiert. Der Vorteil dieser Tools: Sie bereiten die Beiträge lesefreundlich auf und ermöglichen es dem Nutzer, sie sowohl auf dem Desktop-Computer, dem Tablet oder dem Smartphone zu lesen. Das ist

Seit 2015 liefert der SZV-Newsletter impressOnline jeden Donnerstag eine Auswahl an kuratierten Online-Artikeln zu

den Themen Verlagsmanagement, Medienrecht, Journalismus, Digitalisierung, Marketing, Personalführung und – zu guter Letzt – Neuigkeiten aus unserem Verband. Geschäftsführer Patrick Priesmann schildert, wie er entsteht.

SZV-Newsletter impressOnline

Mit Insiderwissenund Netz-Technik

den Themen Verlagsmanagement, Medienrecht, Journalismus, Digitalisierung, Marketing,

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DIGITALES PUBLIZIEREN

impresso 2/2017 57

Damit der Verlag einem Nutzer rechtssi-cher seinen kuratierten Newsletter zu-schicken kann, benötigt er nämlich die Einwilligung des Nutzers dazu – am bes-ten mit Unterschrift und Stempel, was in der Praxis sehr unrealistisch scheint, aber von einigen Rechtsgelehrten tat-sächlich empfohlen wird.

Entscheidend ist, dass der Verlag nach-weisen kann, dass der Empfänger dem Bezug des Newsletters zugestimmt hat. Die größte Sicherheit bietet in diesem Zu-sammenhang die sogenannte doppelte Bestelllösung (Double-Opt-in). Dabei muss der Newsletter-Interessierte auf der Website des Verlages nicht nur seine Mailadresse für den Versand eingeben, sondern auch noch ein Häkchen an eine Einverständniserklärung setzen. Der Ver-lag schickt ihm daraufhin eine Bestäti-

gungsmail mit einem Verweislink, der angeklickt werden muss, um den News-letter-Bezug zu aktivieren.

Damit sind rechtlich anfechtbare Bestel-lungen durch Dritte ausgeschlossen. Al-lerdings muss das Content Management System (CMS) der Website auch die Ab-gabe der Einverständniserklärung und das Anklicken des Verweislinks zur Akti-vierung des Bezuges protokollieren. Das sollte auf jeden Fall mit dem CMS-Liefe-ranten bzw. dem Web-Administrator ab-geklärt sein.

Kaum Erfolg ohne Ressourcen und Strategie

Ein kuratierter Newsletter kann ein wich-tiges Element einer ganzheitlichen Mar-ketingstrategie eines Verlages sein. Eines muss aber klar sein: Als bloße Billig-Vari-ante eines Newsletters wird er keinen nachhaltigen Erfolg haben. Sowohl das Kuratieren fremder Inhalte als auch das Mischen dieser Inhalte mit eigenen be-reits in den Verlagsprodukten verwerte-ten Inhalten erfordert schlicht einen ge-wissen Aufwand.

Für Verlage wenig erfolgversprechend ist nach der sogenannten „Eh-da-Strategie“ vorzugehen – sprich, den Mitarbeiter mal eben schnell einen kuratierten Newslet-ter nebenher erledigen zulassen, weil er ja „eh da“ ist. Zudem darf der kuratierte Newsletter kein isoliertes Produkt sein. Er muss in die Marketingstrategie des Verlages eingebunden sein. Von dieser leitet sich das konkrete Geschäfts- modell für den kuratierten Newsletter ab. Auch die Frage, ob dessen Aussen-dung wöchentlich oder monatlich erfol-gen soll, wird von der Gesamtstrategie her beantwortet. Allerdings bringt eine wöchentliche Erscheinungsweise er- fahrungsgemäß wesentliche bessere Reichweiten und größere Aufmerksam-keit als länger auseinanderliegende Erscheinungsrhythmen.

wichtig. Denn wir haben den Anspruch, alle Beiträge, die wir weiterempfehlen, auch selbst gelesen zu haben.

Den eigentlichen E-Mail-Newsletter erstellen wir schließlich mit dem Programm Mailchimp, das eine sehr gute und leicht verständliche Benutzer- oberfläche vorweist. In der grafischen Aufbereitung halten wir uns jedoch stets zurück – steht doch bei uns der Inhalt und die Lesefreundlichkeit an erster Stelle. Über Mailchimp können wir auch das Nutzerverhalten analysieren und messen. So wissen wir, dass wir durch- schnittlich eine Öffnungsrate von 32 Prozent und eine Klickrate von 8,3 Prozent erzielen – Werte, die sich durchaus sehen lassen können. Dass impressOnline gut ankommt, se-hen wir auch an einem hoch erfreulichen crossmedialen Effekt: Seit wir unsere Veranstaltungen über den Newsletter bewerben, sind so gut wie alle Termine ausgebucht.

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SCHLUSSWORT · IMPRESSUMSCHLUSSWORT · IMPRESSUM

Verlag: Südwestdeutscher Zeitschriftenverleger-Verband e.V. (SZV) Hospitalstraße 22 - 24 · 70174 Stuttgart Tel.: 0711 / 29 06 18 · Fax 0711 / 22 19 15 [email protected] · www.szv.de

Redaktion: Andrea Hohlweck (Redakteurin) Tel.: 0711 / 29 06 18, [email protected]

Patrick Priesmann, Geschäftsführer (verantwortlich i.S.d.P. sowie für die Anzeigen) Tel.: 0711 / 29 06 18, [email protected]

Autoren dieser Ausgabe: Andrea Hohlweck (SZV), Roland Karle, Thomas Muschiol, Patrick Priesmann (SZV), Michael Rath-Glawatz, Markus Reiter, Helmut van Rinsum, Peter Welchering, Dr. Adrian Weser Beiträge von Fremdautoren geben die Meinung des Verfassers und nicht unbedingt die des Verbandes wieder. Die in impresso enthaltenen Beiträge und Abbildungen sind urheberrecht- lich geschützt. Mit Ausnahme der gesetzlich zugelassenen Fälle ist eine Vervielfältigung und Verwertung ohne Einwilligung des SZV nicht gestattet.

Bezug: impresso (Print) erscheint viermal jährlich als Mitgliederzeitschrift exklusiv für Mitglieder des SZV sowie für ausgewählte Meinungsbildner der Branche.

Layout und Produktion: Gerhard Typo & Design GmbH, Königsallee 35, 71638 Ludwigsburg

Druck: Göhring Druck GmbH, Seewiesenstraße 27, 71334 Waiblingen

58 impresso 2 /2017

„Ich halte die Printmedien für sehr wichtig.

Lesen können ist noch einmal etwas

Anderes als im Internet zu sein.“ Angela Merkel, 2012

Impressum

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