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Empirische Bildungsforschung – Kompetenzorientierung S. Münzer 1 Statement Kompetenzorientierung aus Sicht der empirischen Bildungsforschung Stefan Münzer Den Absolventinnen und Absolventen des schulischen Bildungsprogramms sollen Kompetenzen vermitteln werden, die sie befähigen, in konkreten Anforderungs bereichen relevante, variierende Problemstellungen zu bewältigen. Setzt man voraus, dass die internationalen Schulvergleichsstudien einen gültigen Maßstab für die Bilanzierung von Bildungserfolg darstellen, dann mussten die Ergebnisse für Deutsch land bislang ernüchtern. Diese Ernüchterung hat einerseits mit der (international) vergleichenden Messung von Lernergebnissen an sich zu tun, die vor TIMSS und PISA in Deutschland nicht üblich war. Die Ernüchterung hat andererseits mit der Orientierung des Bildungserfolgs an Kompetenzen zu tun, die ebenfalls nicht üblich war. Seitdem hat ein Paradigmenwechsel stattgefunden. Beides, die Kompetenzorientierung und die Messung der Kompetenzen, werden in enger Verbindung vorangetrieben. Hierzu benötigt man Kompetenzmodelle. In einem Kompetenzmodell ist – verkürzt gesagt – der Anforderungsbereich strukturiert und für eine Messung erschlossen worden. Konkrete Aufgaben können in die Struktur des Anforderungsbereichs eingeordnet werden. Die Beobachtung von Leistungen in einer Reihe von Aufgaben soll eine empirisch fundierte, objektive, reliable (zuverlässige) und valide (gültige) Aussage darüber zulassen, über welche Kompetenzen eine Schülerin / ein Schüler verfügt. Die Kompetenzmodellierung ist eine Aufgabe der empirischen Bildungsforschung. In der empirischen Bildungsforschung arbeiten Fachdidaktiker/innen, Erziehungswissenschaftler/innen und Psycholog/innen eng zusammen. Eine zentrale Aufgabe der empirischen Bildungsforschung ist es demnach, Kompetenzen mit Kompetenzmodellen präzise beschreibbar und messbar zu machen. Dass dabei die Messung im Zentrum der Bemühungen steht, hat mehrere Gründe. (1) Nur etwas, was gemessen werden kann, kann Gegenstand empirischer Auseinandersetzung sein. Um sich also über Ausprägungen von Kompetenzen verständigen zu können, müssen diese zunächst gemessen werden können. (2) Im Verlauf empirischer Untersuchungen, die zum Ziel haben, dass man Kompetenzen einer Messung zugänglich macht, überprüft und präzisiert man zugleich das Modell der jeweiligen Kompetenz. (3) Die Messung von Kompetenzen dient der Bilanzierung der Ergebnisse von Bildungsprozessen im nationalen und internationalen Vergleich. (4) Die Messung von Kompetenzen dient zur Begründung von pädagogischen und didaktischen Entscheidungen (bis hin zu Empfehlungen für den Einzelfall). (5) Die Messung von Kompetenzen begründet und unterstützt bildungspolitische Steuerungsprozesse.

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Empirische  Bildungsforschung  –  Kompetenzorientierung                S.  Münzer         1  

Statement    

 

Kompetenzorientierung  aus  Sicht  der  empirischen  Bildungsforschung    

Stefan  Münzer  

 

Den  Absolventinnen  und  Absolventen  des  schulischen  Bildungsprogramms  sollen  Kompetenzen  vermitteln  werden,  die  sie  befähigen,  in  konkreten  Anforderungs-­‐bereichen  relevante,  variierende  Problemstellungen  zu  bewältigen.  Setzt  man  voraus,  dass  die  internationalen  Schulvergleichsstudien  einen  gültigen  Maßstab  für  die  Bilanzierung  von  Bildungserfolg  darstellen,  dann  mussten  die  Ergebnisse  für  Deutsch-­‐land  bislang  ernüchtern.  Diese  Ernüchterung  hat  einerseits  mit  der  (international)  vergleichenden  Messung  von  Lernergebnissen  an  sich  zu  tun,  die  vor  TIMSS  und  PISA  in  Deutschland  nicht  üblich  war.  Die  Ernüchterung  hat  andererseits  mit  der  Orientierung  des  Bildungserfolgs  an  Kompetenzen  zu  tun,  die  ebenfalls  nicht  üblich  war.  Seitdem  hat  ein  Paradigmenwechsel  stattgefunden.  Beides,  die  Kompetenzorientierung  und  die  Messung  der  Kompetenzen,  werden  in  enger  Verbindung  vorangetrieben.  Hierzu  benötigt  man  Kompetenzmodelle.  In  einem  Kompetenzmodell  ist  –  verkürzt  gesagt  –  der  Anforderungsbereich  strukturiert  und  für  eine  Messung  erschlossen  worden.  Konkrete  Aufgaben  können  in  die  Struktur  des  Anforderungsbereichs  eingeordnet  werden.  Die  Beobachtung  von  Leistungen  in  einer  Reihe  von  Aufgaben  soll  eine  empirisch  fundierte,  objektive,  reliable  (zuverlässige)  und  valide  (gültige)  Aussage  darüber  zulassen,  über  welche  Kompetenzen  eine  Schülerin  /  ein  Schüler  verfügt.  Die  Kompetenzmodellierung  ist  eine  Aufgabe  der  empirischen  Bildungsforschung.  In  der  empirischen  Bildungsforschung  arbeiten  Fachdidaktiker/innen,  Erziehungswissen-­‐schaftler/innen  und  Psycholog/innen  eng  zusammen.  

Eine  zentrale  Aufgabe  der  empirischen  Bildungsforschung  ist  es  demnach,  Kompetenzen  mit  Kompetenzmodellen  präzise  beschreibbar  und  messbar  zu  machen.  Dass  dabei  die  Messung  im  Zentrum  der  Bemühungen  steht,  hat  mehrere  Gründe.  (1)  Nur  etwas,  was  gemessen  werden  kann,  kann  Gegenstand  empirischer  Auseinandersetzung  sein.  Um  sich  also  über  Ausprägungen  von  Kompetenzen  verständigen  zu  können,  müssen  diese  zunächst  gemessen  werden  können.  (2)  Im  Verlauf  empirischer  Untersuchungen,  die  zum  Ziel  haben,  dass  man  Kompetenzen  einer  Messung  zugänglich  macht,  überprüft  und  präzisiert  man  zugleich  das  Modell  der  jeweiligen  Kompetenz.  (3)  Die  Messung  von  Kompetenzen  dient  der  Bilanzierung  der  Ergebnisse  von  Bildungsprozessen  im  nationalen  und  internationalen  Vergleich.  (4)  Die  Messung  von  Kompetenzen  dient  zur  Begründung  von  pädagogischen  und  didaktischen  Entscheidungen  (bis  hin  zu  Empfehlungen  für  den  Einzelfall).  (5)  Die  Messung  von  Kompetenzen  begründet  und  unterstützt  bildungspolitische  Steuerungsprozesse.  

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Es  ist  in  verschiedener  Hinsicht  nicht  einfach,  Kompetenzmodelle  zu  erstellen  und  Kompetenzen  zu  messen.  Zunächst  ist  offensichtlich,  dass  Kompetenzen  erschlossen  werden  müssen  –  sie  sind  nicht  direkt  beobachtbar  und  also  nicht  mit  einem  geeigneten  Messinstrument  direkt  messbar.  Man  muss  folglich  eine  ganze  Reihe  von  Aufgaben  konstruieren  und  aus  den  Ergebnissen  der  Aufgabenbearbeitung  auf  die  zu  Grunde  liegenden  Kompetenzen    schließen.    

Kompetenz  wird  in  verschiedenen  Kontexten  unterschiedlich  verstanden.  In  einer  psychologischen,  funktional-­‐pragmatischen  Verständnisweise  wird  Kompetenz  aufgefasst  als  die  Beschreibung  des  mentalen  Systems,  das  hinter  beobachtbaren  Leistungen  steht.  „If  we  are  ever  to  understand  how  language  is  used  or  acquired,  ...  we  must  isolate  and  study  the  system  of  linguistic  competence  that  underlies  behavior  but  that  is  not  realized  in  any  direct  or  simple  way  in  behavior.“  So  hat  Noam  Chomsky    (1968,  S.  4)  einen  modernen,  kognitivistischen  Kompetenzbegriff  eingeführt.  Im  Beispiel  der  generativen  Grammatik  ist  die  kognitive  Komponente  linguistischer  Kompetenz  ein  Regelsystem,  das  es  erlaubt,  eine  unendliche  Anzahl  verschiedener  korrekter  Sätze  der  Sprache  zu  erzeugen.  Dieses  Regelsystem  erlaubt  damit,  in  variabler  Weise  auf  neue  Anforderungen  zu  reagieren.  Würde  man  linguistische  Kompetenz  nun  messen  wollen,  dann  ginge  es  um  die  Frage,  ob  ein  Individuum  über  diese  Regeln  verfügt  und  sie  in  neuen  und  variablen  sprachlichen  Anforderungssituationen  richtig  einsetzt.  Das  Prinzip  des  Regelsystems  einer  Grammatik  ist  nicht  1:1  auf  den  Kompetenzbegriff  übertragbar.  Aber:  „Es  geht  immer  noch  –  wie  bei  Chomsky  –  um  die  Frage,  welches  ‚system  of  knowledge  and  belief’  den  jeweils  erfolgreichen  Handlungen  zugrunde  liegt,  d.h.  die  angemessene  Bewältigung  von  Anforderungssituationen  ermöglicht.  Die  psychologische  Modellierung  von  Kompetenzen  zielt  darauf  ab,  diese  ‚mentalen  Bedingungen’  zu  rekonstruieren.“  (Klieme  &  Hartig,  2007,  S.  19).  

Kompetenz  ist  dabei  inhaltsbezogen.  Kompetenzen  beziehen  sich  auf  Domänen  (Inhaltsbereiche),  in  denen  Probleme  gelöst  und  Handlungen  vorgenommen  werden.  Daraus  folgt,  dass  Kompetenzen  in  einer  Domäne  kontextspezifisch  erlernt  werden.  Anforderungen  und  Situationen  in  den  Domänen  können  sich  ändern,  und  auch  die  Definition  von  dem,  was  in  einer  Domäne  als  kompetente  Handlung  erachtet  wird,  kann  sich  ändern.  Kompetenz  ist  also  das  Ergebnis  von  Lernen;  es  ist  eine  Disposition,  Situationen  und  Anforderungen  in  einem  Inhaltsbereich  flexibel  zu  bewältigen;  und  die  Auffassung  kompetenten  Handelns  ist  Wandlung  unterworfen.  

In  diesem  Zusammenhang  birgt  der  Begriff  der  Kompetenz  noch  (mindestens)  zwei  Aspekte,  die  das  Verständnis  (und  auch  die  präzise  Messung)  erschweren  können.  Der  erste  Aspekt  ist  der  einer  variablen,  möglicherweise  komplexen  und  neuen  Situation,  in  der  die  Kompetenzen  gemessen  werden  sollen.    Es  wird  verlangt,  dass  Wissen  und  Können  anwendbar  und  transferierbar  ist.  „Wissen  und  Fähigkeiten  zu  besitzen,  ist  etwas  deutlich  anderes,  als  sie  in  unterschiedlichen  Situationen  erfolgreich  anzuwenden,  die  oft  mehrdeutige,  unvorhersagbare  und  stresserzeugende  Elemente  enthalten“  (Bandura,  1990).  Hier  ist  das  Phänomen  des  „trägen  Wissens“  angesprochen.  Unter  Umständen  verfügen  Schülerinnen  und  Schüler  über  umfangreiches  Wissen,  es  ist  ihnen  jedoch  nicht  möglich,  dieses  Wissen  flexibel  abzurufen  und  einzusetzen.  Schülerinnen  

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und  Schüler  sind  es  offenbar  gewohnt,  Aufgabenstellungen  zu  erhalten,  die  präzise  auf  ihre  Wissenskomponenten  abgestellt  sind.  Kompetenzorientierung  sieht  anders  aus  –kompetenzorientierte  Aufgabenstellungen  müssen  der  Anforderung  komplexerer  und  variabler  Situationen  gerecht  werden.  

Der  zweite  Aspekt  betrifft  nicht-­‐kognitive  Dispositionen,  die  ebenfalls  zu  Kompetenzen  gehören,  weil  sie  den  Handlungserfolg  beeinflussen.  Unter  Umständen  bedarf  es  einer  bestimmten,  kompetenten  Affektregulation,  Motivation  und  Volition,  um  Handlungen  in  gegebenen  Anforderungssituationen  erfolgreich  durchzuführen.  Auch  wenn  man  den  kumulativen  Kompetenzerwerb  über  Jahre  des  Lernens  betrachtet,  so  muss  man  motivationale  und  affektive  Aspekte  als  Determinanten  des  Lernerfolgs  einbeziehen  (z.B.  Leistungsmotivation,  Anreizsysteme,  Interesse).  Dennoch  wird  gewöhnlich  eine  Trennung  zwischen  dem  kognitiven  Bereich  und  dem  motivationalen  Bereich  vorgenommen.  Bei  Weinert  (2001b,  S.  28)  entsteht  die  Handlungskompetenz  aus  dem  Zusammenwirken  der  kognitiven  Kompetenzen  und  der  motivationalen  Orientierungen  –  Handlungskompetenzen  enthalten  „neben  kognitiven  auch  soziale,  motivationale,  volitionale  und  oft  moralische  Kompetenzen,  die  es  erlauben,  erworbene  Kenntnisse  und  Fertigkeiten  in  sehr  unterschiedlichen  Lebenssituationen  erfolgreich,  aber  auch  verantwortlich  zu  nutzen.“  Es  ist  möglich  und  auch  nützlich,  die  kognitive  Komponente  und  die  motivationale  Komponente  separat  zu  erfassen.  Diese  beiden  Aspekte  im  Blick  behaltend,  streben  Kompetenzmodelle  an,  den  Inhaltsbereich    sinnvoll  zu  strukturieren,  so  dass  einerseits  der  Inhaltsbereich  in  Kompetenzbereiche  untergliedert  wird  und  andererseits  erkennbar  wird,  welche  Anforderungen  ein  Individuum  in  den  Kompetenzbereichen  erfüllen  kann.  Dazu  werden  die  Anforderungen  gestuft,  und  es  wird  versucht,  eine  Verbindung  zwischen  den  beschriebenen  Anforderungen  auf  der  einen  Seite  und  den  kognitiven  Prozessen  des  Individuums  auf  der  anderen  Seite  herzustellen.  Kauertz  et  al.  (2010)  schlagen  beispielsweise  ein  dreidimensionales  Kompetenzmodell  für  die  Naturwissenschaften  vor.  Die  Kompetenzbereiche  sind  Fachwissen,  Erkenntnisgewinnung,  Bewertung  und  Kommunikation.  Kognitive  Prozesse  werden  in  den  Anforderungsstufen  Reproduzieren,  Selegieren,  Organisieren  und  Integrieren  beschrieben.  Als  dritte  Dimension  tritt  die  Komplexität  des  Sachverhalts  mit  fünf  Komplexitätsstufen  hinzu.  Theoretisch  müsste  sich  jede  Aufgabe  in  einen  Quader  des  aus  drei  Dimensionen  bestehenden  4  x  4  x  5  „Würfels“  einordnen  lassen,  und  die  naturwissenschaftlichen  Kompetenzen  eines  Individuums  müssten  sich  entsprechend  beschreiben  lassen.  An  dieser  Stelle  kann  nicht  eingehend  auf  Kompetenzmodelle  eingegangen  werden.    Es  sei  aber  erwähnt,  dass  durchaus  konkurrierende  Kompetenzmodelle  entwickelt  werden,  welche  die  Diskussion  befruchten  (so  bescheinigen  Kauertz  et  al.,  2010,  S.  143,  dem  naturwissenschaftlichen  Kompetenzmodell  der  nationalen  PISA  2006-­‐Zusatzerhebung  eine  „aus  fach-­‐didaktischer  Sicht  wenig  plausible  Auswahl  notwendiger  Fähigkeiten“).  Alle  Kompetenz-­‐modelle  müssen  sich  einer  empirischen  Überprüfung  stellen.    

Diese  empirische  Überprüfung  geschieht  im  Zuge  der  Entwicklung  von  Messverfahren.  Generell  ist  es  gar  nicht  untypisch,  dass  Dispositionen  aus  beobachtbaren  Reaktionen  auf  Aufgabenstellungen  und  Fragen  erschlossen  werden  müssen.  Die  Psychometrie  

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beschäftigt  sich  mit  der  Entwicklung  von  Messverfahren,  mit  denen  Aufgaben  so  erstellt  werden  können,  dass  sie  ein  zu  Grunde  liegendes  Merkmal  objektiv,  reliabel  (zuverlässig)  und  valide  (gültig)  erfassen.  Diese  Merkmale  haben  den  Status  von  hypothetischen  Konstrukten.  Es  wird  nicht  angenommen,  dass  diese  Merkmale  existieren.  Vielmehr  stellen  die  hypothetischen  Konstrukte  eine  nützliche  Abstraktionsebene,  eine  Modellierung,  eine  Theorie,  eine  Strukturierung  dar.  

Konstrukte  wie  Angst,  Intelligenz,  Extraversion,  psychologisches  Geschlecht,  Leistungsmotivation,  Klassenklima,  etc.  lassen  sich  nachweisbar  objektiv,  reliabel  und  valide  erfassen.  Es  lassen  sich  Aussagen  darüber  treffen,  welchen  „Messwert“  in  einem  solchen  Konstrukt  (z.B.  Intelligenz,  Angst)  ein  Individuum  oder  eine  Gruppe  von  Individuen  in  Bezug  auf  den  Durchschnitt  der  Vergleichspopulation  hat.  Ein  solcher  Messwert  ist  (nachgewiesen)  von  Relevanz  für  die  Vorhersage  künftigen  Verhaltens,  und  er  bildet  eine  Basis  für  Entscheidungen  über  Interventionen.  Dies  ist  ein  Erfolg  der  Psychometrie.  

Im  Zuge  der  Entwicklung  psychometrischer  Messverfahren  wird  außerdem  das  hypothetische  Konstrukt  in  seiner  Struktur  überprüft.  So  wird  empirisch  untersucht,  ob  beispielsweise  eine  Intelligenztheorie  behaupten  kann,  dass  verbale  und  visuell-­‐räumliche  Intelligenz  zwei  unterschiedliche  Dimensionen  kognitiver  Potentiale  seien,  oder  es  wird  überprüft,  ob  man  bei  Leistungsängstlichkeit  sinnvollerweise  zwischen  „Auslösebedingungen“,  „Manifestationen“,  „Bewältigungsstrategien“  und  „Stabilisierungsformen“  unterscheiden  sollte.  Ebenso  kann  versucht  werden  zu  zeigen,  ob  die  Dimensionen  eines  Kompetenzmodells  empirisch  haltbar  sind  oder  nicht.  

(Darüber  hinaus  sorgt  die  psychometrische  Vorgehensweise  auch  für  Klarheit  in  Fällen,  in  denen  der  Nachweis  von  objektiver,  reliabler  und  valider  Messung  nicht  gelingt.  Gelingt  beispielsweise  der  Nachweis  nicht,  dass  „emotionale  Intelligenz“  gemessen  werden  kann,  dann  kann  man  das  Konstrukt  mit  einigem  Fug  und  Recht  in  Frage  stellen.  Jedenfalls  kann  man  in  einer  empirischen  Wissenschaft  damit  nicht  arbeiten.)  

Grundsätzlich  steht  also  ein  Instrumentarium  zur  Verfügung,  um  ein  nicht  direkt  beobachtbares  Konstrukt  zu  modellieren  und  einer  erschließenden  Messung  aus  einer  Reihe  von  Verhaltensbeobachtungen  zugänglich  zu  machen.  Dieses  Instrumentarium  befindet  sich  in  fortwährender  forschungsmethodischer  Entwicklung.  Gerade  die  Modellierung  und  Messung  von  Kompetenzen  ist  theoretisch  und  methodisch  herausfordernd.  Aus  diesem  Grund  hat  die  Deutsche  Forschungsgemeinschaft  ein  Schwerpunktprogramm  „Kompetenzmodelle  zur  Erfassung  individueller  Lernergebnisse  und  zur  Bilanzierung  von  Bildungsprozessen“  (SPP  1293,  seit  2007)  eingerichtet.  In  diesem  Schwerpunktprogramm  arbeiten  Erziehungs-­‐wissenschaftler/innen,  Fachdidaktiker/innen  und  Psycholog/innen  zusammen,  um  in  verschiedenen  Inhaltsbereichen  theoretisch  fundierte  und  für  Diagnostik  und  Assessment  nützliche  Kompetenzmodelle  zu  entwickeln  und  empirisch  zu  prüfen.  Die  Inhaltsbereiche  erstrecken  sich  von  mathematischen  und  naturwissenschaftlichen  über  sprachlich-­‐kulturellen  und  berufsbezogenen  bis  hin  zu  fächerübergreifenden  Kompetenzen  und  Kompetenzen  von  Lehrkräften.    

 

Empirische  Bildungsforschung  –  Kompetenzorientierung                S.  Münzer         5  

 

Literaturhinweise  

Bandura,  A.  (1990).  Conclusion:  Reflections  on  nonability  determinants  of  competence.  In  R.  Sternberg  &  J.  Kolligan  Jr.  (eds.),  Competence  considered.  New  Haven  (pp.  315-­‐362).  

Chomsky,  N.  (1968).  Language  and  Mind.  New  York.  

Klieme,  E.  &  Hartig,  J.  (2007).  Kompetenzkonzepte  in  den  Sozialwissenschaften  und  im  erziehungswissenschaftlichen  Diskurs.  In  M.  Prenzel,  I.  Gogolin  u.  H.-­‐H.  Krüger  (Hrsg.),  Kompetenzdiagnostik.  Sonderheft  8  der  Zeitschrift  für  Erziehungswissenschaft,  11-­‐29.    

Kauertz,  A.,  Fischer,  H.E.,  Mayer,  J.,  Sumfleth,  E.,  Walpuski,  M.  (2010).  Standardbezogene  Kompetenzmodellierung  in  den  Naturwissenschaften  der  Sekundarstufe  I.  Zeitschrift  für  Didaktik  der  Naturwissenschaften,  16,  135-­‐153.  

Weinert,  F.E.  (2001).  Leistungsmessung  in  Schulen.  Weinheim.  

 

 

Kompetenzorientierung

aus Sicht der empirischen Bildungsforschung

Kolloquium Fachdidaktik

Saarbrücken, 27. Juni 2012

Stefan Münzer

Kompetenzmodellierung

Kompetenzen beschreiben

Kompetenzen messen

Kompetenzmodellierung

Kompetenzen beschreiben

Strukturmodell

Kompetenzen messen

objektiv, reliabel, valide

Kompetenzmodellierung

Kompetenzen beschreiben

Strukturmodell

Kompetenzen messen

Kompetenzmodellierung

Kompetenzen beschreiben

Strukturmodell

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ohne Messen keine Empirie

Kompetenzmodellierung

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ohne Messen keine Empirie

Strukturmodell prüfen

Kompetenzmodellierung

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Bildungsergebnisse bilanzieren

Kompetenzmodellierung

Kompetenzen beschreiben

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ohne Messen keine Empirie

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Bildungsergebnisse bilanzieren

pädagogische / didaktische Entscheidungen

begründen

Kompetenzmodellierung

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Bildungsergebnisse bilanzieren

pädagogische / didaktische Entscheidungen

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Kompetenzbegriff

funktional/pragmatisch/kognitivistisch

Kompetenzbegriff

funktional/pragmatisch/kognitivistisch

If we are ever to understand how language is used or acquired, ... wemust isolateandstudythesystemof linguistic competencewemust isolateandstudythesystemof linguistic competencethat underlies behavior but that is not realized in any direct orsimple way in behavior.

Chomsky, 1968, p. 4

Kompetenzbegriff

funktional/pragmatisch/kognitivistisch

inhaltsbezogen/domänenspezifisch

Kompetenzbegriff

funktional/pragmatisch/kognitivistisch

inhaltsbezogen/domänenspezifisch

erlernt/erlernbar

...eine Disposition, Situationen und Anforderungen

in einem Inhaltsbereich flexibel zu bewältigen.

Kompetenzbegriff

? neue/variable/komplexe Situation?

Wissen und Fähigkeiten zu besitzen, ist etwas deutlich anderes, als sie in unterschiedlichen Situationen erfolgreich anzuwenden, die sie in unterschiedlichen Situationen erfolgreich anzuwenden, die oft mehrdeutige, unvorhersagbare und stresserzeugende Elemente enthalten.

Bandura, 1990

Kompetenzbegriff

? nicht-kognitive Kompetenzen?

Affektregulation, Motivation

getrennte Betrachtung

Konstrukt messen

hypothetische Konstrukte

(Modellierung, Theorie, Abstraktion, Strukturierung)

Konstrukt messen

hypothetische Konstrukte

Intelligenz, Angst, Lernmotivation, Extraversion,

Klassenklima, psychologisches Geschlecht, ...

Konstrukt messen

Messwertbildung (Einordnung)

Theorie/Struktur (bestätigen / verwerfen)

hypothetische Konstrukte

Intelligenz, Angst, Lernmotivation, Extraversion,

Klassenklima, psychologisches Geschlecht, ...

Kompetenz messen

Methoden grundsätzlich verfügbar

für Kompetenzen jedoch herausfordernd

Methoden werden weiterentwickelt

DFG-Schwerpunktprogramm „Kompetenzmodelle zur

Erfassung individueller Lernergebnisse und zur Bilanzierung

von Bildungsprozessen“ (SPP 1293)

Kompetenzorientierung

aus Sicht der empirischen Bildungsforschung

Kolloquium Fachdidaktik

Saarbrücken, 27. Juni 2012

Stefan Münzer