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Dt Ztschr f Akup. 52, 4/2009  47 DZA Letter to the Editor B. Hornstein Komplementärmedizin in der Schweiz – die aktuelle Lage Seit dem 17. Mai 2009 hat die Komplementärmedizin (im Folgenden als CAM – Complementary and Alternative Me- dicine bezeichnet) in der Schweiz ihren Platz in der Bun- desverfassung (Abb.1). Art. 118 (neu) Komplementärmedizin Bund und Kantone sorgen im Rahmen ihrer Zustän- digkeiten für die Berücksichtigung der Komplemen- tärmedizin [l] Die neue Verfassungsbestimmung „Zukunft mit Komple- mentärmedizin“ wurde von sämtlichen Ständen und mit 67,0 Prozent Ja vom Volk deutlich angenommen. Es handelt sich dabei um den direkten parlamentarischen Gegenvor- schlag auf die im Jahre 2004 lancierte Volksinitiative „Ja zur Komplementärmedizin“. Dass die Annahme des Verfassungs- artikels so überaus deutlich und klar erfolgte, überrascht angesichts des schwierigen wirtschaftspolitischen Umfelds und der steigenden Gesundheitskosten. Die Gründe dafür liegen vor allem in der zunehmenden politischen Marginali- sierung der CAM in den letzten Jahren – trotz der steigen- den Nachfrage. Entscheidend war wohl der Ausschluss der fünf ärztlichen CAM-Fachrichtungen chinesische Arzneit- herapie, Homöopathie, Neuraltherapie, anthroposophische Medizin und Phytotherapie aus der obligatorischen Grund- versicherung der Krankenkassen im Jahr 2005. Dies erfolg- te gestützt auf das „Programm Evaluation Komplementär- medizin“ (PEK) [2], welches vom Bundesamt für Gesundheit (BAG) zwischen 1998 und 2005 durchgeführt wurde. Die ge- nannten fünf CAM Fachrichtungen wurden ursprünglich auf Initiative der ehemaligen Gesundheitsministerin Frau Bun- desrätin R. Dreyfuss seit dem 01. Juli 1999 provisorisch von den Krankenkassen in der Grundversicherung übernommen. Aktuell kann alleine die ärztlich ausgeführte Akupunktur weiterhin über die Grundversicherung abgerechnet werden, sofern sie von einem Arzt mit Fähigkeitsausweis ausgeübt wird (s. u.). Des Weiteren hat das schweizerische Heilmittel- institut (Swissmedic) äußerst strenge und teure Zulassungs- vorschriften erlassen, obwohl das Heilmittelgesetz eine „ver- einfachte“ Zulassung für Heilmittel der CAM vorschreibt [3]. Auch hat der Bundesrat die Ausarbeitung von nationalen Diplomen für nichtärztliche Therapeuten gestoppt, obwohl das Projekt vom zuständigen Bundesamt für Berufsbildung und Technologie BBT unterstützt wurden. Noch immer kann in mehreren Kantonen jede Person ohne Ausbildung eine Ge- sundheitspraxis eröffnen und Patienten empfangen. Dass die Nachfrage nach CAM in der Schweiz einen hohen Stellenwert hat, belegt eine aktuelle Studie: Knapp über 14 % der Ärzte der Grundversorgung (FMH Praktische Ärzte, FMH Allgemeine Medizin, FMH Innere Medizin, FMH Pädiatrie; FMH: Foederatio Medicorum Helveticorum – Verbindung der Schweizer Ärztinnen und Ärzte) haben mindestens einen CAM-Fähigkeitsausweis (Abb. 2). Homöopathie SVHA Akupunktur-TCM ASA Neuraltherapie SANTH Anthroposophische Medizin VAOAS Phytotherapie UNION Abb. 2: CAM Fähigkeitsausweise inklusive Zertifikat in Phytotherapie Etwa 30 % der Ärzte der Grundversorgung werden häufi- ger als einmal pro Woche von Patienten nach CAM gefragt. Rund drei Viertel der Ärzte bieten CAM selbst an, überwie- gend Homöopathie und Phytotherapie, oder überweisen Patienten an CAM-Therapien, vor allem an Behandlungen mit Akupunktur [4]. Im Gegensatz zur deutlichen Verbrei- tung in der ambulanten Medizin, spielt die CAM im stati- onären Bereich eine kleinere Rolle: Es gibt einige wenige Spitäler, in denen vor allem Akupunktur und anthroposo- phische Medizin praktiziert werden [5–6]. Welche Entscheidungen stehen nun nach der Abstimmung an? Im Wesentlichen geht es um die Umsetzungen der Kernforderungen der Initiative „Ja zu Komplementärme- dizin“ auf Gesetzesebene, welche durch eine im März 2009 konstituierte parteiübergreifende Parlamentariergruppe (Parlamentarische Gruppe Komplementärmedizin) vor- wärtsgetrieben werden soll (Abb. 3). 1. Integrative Medizin fördern (Zusammenarbeit von Schul- und Komplementärmedizin) 2. Ärztliche Komplementärmedizin (wieder) in die Grundversicherung aufnehmen (Anthroposo- phische Medizin, Homöopathie, Neuraltherapie, Phytotherapie und Traditionelle Chinesische Medizin [TCM]) 3. Qualitätssicherung und Berufsannerkennung für nichtärztliche Therapeuten 5. Förderung von Lehre und Forschung der CAM Abb. 3: Die Kernforderungen der Initiative Insbesondere sollen auf universitärer Ebene vermehrt ordent- liche Professuren geschaffen werden. Angesicht der rund 1.000 ordentlichen medizinischen und pharmazeutischen Professuren sind der eine Lehrstuhl für Naturheilkunde an Abb. 1: Der neue Artikel in der schweizerischen Bundesverfassung DOI: 10.1016/j.dza.2009.11.001  47 Dt Ztschr f Akup. 52, 4/2009

Komplementärmedizin in der Schweiz – die aktuelle Lage

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Letter to the Editor

DOI : 10. 10 16/ j .dza .2009.1 1 .00 1   47    Dt Z tschr f Akup. 52 , 4 / 2009

B. Hornstein

Komplementärmedizin in der Schweiz – die aktuelle Lage

Seit dem 17. Mai 2009 hat die Komplementärmedizin (im Folgenden als CAM – Complementary and Alternative Me-dicine bezeichnet) in der Schweiz ihren Platz in der Bun-desverfassung (Abb.1).

Art. 118 (neu) Komplementärmedizin

Bund und Kantone sorgen im Rahmen ihrer Zustän-digkeiten für die Berücksichtigung der Komplemen-tärmedizin [l]

Die neue Verfassungsbestimmung „Zukunft mit Komple-mentärmedizin“ wurde von sämtlichen Ständen und mit 67,0 Prozent Ja vom Volk deutlich angenommen. Es handelt sich dabei um den direkten parlamentarischen Gegenvor-schlag auf die im Jahre 2004 lancierte Volksinitiative „Ja zur Komplementärmedizin“. Dass die Annahme des Verfassungs-artikels so überaus deutlich und klar erfolgte, überrascht angesichts des schwierigen wirtschaftspolitischen Umfelds und der steigenden Gesundheitskosten. Die Gründe dafür liegen vor allem in der zunehmenden politischen Marginali-sierung der CAM in den letzten Jahren – trotz der steigen-den Nachfrage. Entscheidend war wohl der Ausschluss der fünf ärztlichen CAM-Fachrichtungen chinesische Arzneit-herapie, Homöopathie, Neuraltherapie, anthroposophische Medizin und Phytotherapie aus der obligatorischen Grund-versicherung der Krankenkassen im Jahr 2005. Dies erfolg-te gestützt auf das „Programm Evaluation Komplementär-medizin“ (PEK) [2], welches vom Bundesamt für Gesundheit (BAG) zwischen 1998 und 2005 durchgeführt wurde. Die ge-nannten fünf CAM Fachrichtungen wurden ursprünglich auf Initiative der ehemaligen Gesundheitsministerin Frau Bun-desrätin R. Dreyfuss seit dem 01. Juli 1999 provisorisch von den Krankenkassen in der Grundversicherung übernommen. Aktuell kann alleine die ärztlich ausgeführte Akupunktur weiterhin über die Grundversicherung abgerechnet werden, sofern sie von einem Arzt mit Fähigkeitsausweis ausgeübt wird (s. u.). Des Weiteren hat das schweizerische Heilmittel-institut (Swissmedic) äußerst strenge und teure Zulassungs-vorschriften erlassen, obwohl das Heilmittelgesetz eine „ver-einfachte“ Zulassung für Heilmittel der CAM vorschreibt [3]. Auch hat der Bundesrat die Ausarbeitung von nationalen Diplomen für nichtärztliche Therapeuten gestoppt, obwohl das Projekt vom zuständigen Bundesamt für Berufsbildung und Technologie BBT unterstützt wurden. Noch immer kann in mehreren Kantonen jede Person ohne Ausbildung eine Ge-sundheitspraxis eröff nen und Patienten empfangen. Dass die Nachfrage nach CAM in der Schweiz einen hohen Stellenwert hat, belegt eine aktuelle Studie: Knapp über

14 % der Ärzte der Grundversorgung (FMH Praktische Ärzte, FMH Allgemeine Medizin, FMH Innere Medizin, FMH Pädiatrie; FMH: Foederatio Medicorum Helveticorum – Verbindung der Schweizer Ärztinnen und Ärzte) haben mindestens einen CAM-Fähigkeitsausweis (Abb. 2).

Homöopathie SVHAAkupunktur-TCM ASANeuraltherapie SANTHAnthroposophische Medizin VAOASPhytotherapie UNION

Abb. 2: CAM Fähigkeitsausweise inklusive Zertifi kat in Phytotherapie

Etwa 30 % der Ärzte der Grundversorgung werden häufi -ger als einmal pro Woche von Patienten nach CAM gefragt. Rund drei Viertel der Ärzte bieten CAM selbst an, überwie-gend Homöopathie und Phytotherapie, oder überweisen Patienten an CAM-Therapien, vor allem an Behandlungen mit Akupunktur [4]. Im Gegensatz zur deutlichen Verbrei-tung in der ambulanten Medizin, spielt die CAM im stati-onären Bereich eine kleinere Rolle: Es gibt einige wenige Spitäler, in denen vor allem Akupunktur und anthroposo-phische Medizin praktiziert werden [5–6].Welche Entscheidungen stehen nun nach der Abstimmung an? Im Wesentlichen geht es um die Umsetzungen der Kernforderungen der Initiative „Ja zu Komplementärme-dizin“ auf Gesetzesebene, welche durch eine im März 2009 konstituierte parteiübergreifende Parlamentariergruppe (Parlamentarische Gruppe Komplementärmedizin) vor-wärtsgetrieben werden soll (Abb. 3).

1. Integrative Medizin fördern (Zusammenarbeit von Schul- und Komplementärmedizin)

2. Ärztliche Komplementärmedizin (wieder) in die Grundversicherung aufnehmen (Anthroposo-phische Medizin, Homöopathie, Neuraltherapie, Phytotherapie und Traditionelle Chinesische Medizin [TCM])

3. Qualitätssicherung und Berufsannerkennung für nichtärztliche Therapeuten

5. Förderung von Lehre und Forschung der CAM

Abb. 3: Die Kernforderungen der Initiative

Insbesondere sollen auf universitärer Ebene vermehrt ordent-liche Professuren geschaff en werden. Angesicht der rund 1.000 ordentlichen medizinischen und pharmazeutischen Professuren sind der eine Lehrstuhl für Naturheilkunde an

Abb. 1: Der neue Artikel in der schweizerischen Bundesverfassung

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AkupunkturD e u t s c h e Z e i t s c h r i f t f ü r

DZ

ALetter to the Editor

der Universität Zürich und die vier je zu 25 % angestellten Dozenten an der Kollegialen Instanz für Komplementärme-dizin KIKOM in Bern – davon einer für Akupunktur-TCM – zu wenig um den zukünftigen Ärzten zumindest die Grund-sätze von CAM zu vermitteln. Ein zurzeit sich in Gründung befi ndlicher nationaler Dachverband Komplementärmedizin dürfte diesen Prozess weiter unterstützen.

Wie sieht die Situation der Akupunktur und Chinesischen Medizin im Speziellen aus?In der Schweiz sind die ärztlichen Akupunktur-TCM-Gesellschafen im Dachverband der ASA (Assoziation Schweizer Ärztegesellschaften für Akupunktur und Chine-sische Medizin) zusammengeschlossen [7]. Die ASA koor-diniert und überwacht die Aus-, Weiter- und Fortbildung für den Fähigkeitsausweis Akupunktur –TCM ASA. Sie ist außerdem der Ansprechpartner der FMH und verantwort-lich für die Umsetzung der Bestimmungen zur Erlangung und Erhaltung dieses Fähigkeitsausweises. Sie wurde am 6. Juni 1998 gegründet, besteht aktuell aus vier Mitglieds-gesellschaften (Abb. 4) und stellt mit ca. 750 Mitgliedern die größte ärztliche Gesellschaft im Dachverband der UNI-ON (Union schweizerischer komplementärmedizinischer Ärzteorganisationen) dar [8].

Abb. 4: Mitgliedsgesellschaften der ASA, in alphabetischer Reihenfolge, Stand 2009

AGMAR: Association romand des Médecins acupuncteur

ATMA: Akademie für Taoistische Medizin und Akupunktur

SACAM: Schweizerische Ärztinnen- und Ärz-tegesellschaft für Akupunktur - Chi-nesische Medizin - Auriculomedizin

SMS-Helvetica: Societas Medicinae Sinensis Helvetica

Im Nachgang zur Abstimmung steht für die ASA die Auf-nahme der chinesischen Arzneitherapie in die obligatorische Grundversicherung im Vordergrund. Sie stellt dabei nicht nur auf die politische Umsetzung des neuen Verfassungs-

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artikels ab, sondern ist um die ordentliche Aufnahme anhand der WZW-Vorgaben (WZW = Wirksamkeit, Zweckmäßigkeit, Wirtschaftlichkeit) bemüht, um eine langfristige Existenz-basis zu haben. Erwähnenswert ist außerdem, dass die ASA im Jahr 2007 den ersten gesamtschweizerischen ASA TCM- Kongress auf hohem wissenschaftlichen Niveau initiierte, welcher vom 3.–4. Dezember 2009 zum dritten Mal in Folge in Basel erfolgreich stattfi nden wird [9]. Er ist dieses Jahr dem Thema Herz – Wandlungsphase Feuer gewidmet. Gemäß TCM-Philosophie beheimatet das Herz das „Shen“, über welches die göttliche Intelligenz und der göttliche Geist in den Menschen dringen und ihm Intuition vermitteln [10].Möge möglichst viel davon in den Umsetzungsprozess des Verfassungsartikels und die zukünftige Entwicklung der Akupunktur-TCM einfl ießen.

Dr. med. Beat HornsteinFMH Allgemeine MedizinFähigkeitsausweis ASA TCMPräsident ASA (Assoziation Schweizer Ärztegesellschaften für Akupunktur)Sekretariat ASA, Postfach, CH-8575 Bü[email protected]

Quellenwww.bfs.admm.ch/bfs/portal/de/idex/themen/17/03/blank/key/2009/03.htm. 1. Melchart D, Mitscherlich F, Amiet M, Eichenberger R, Koch P. Programm 2. Evaluation Komplementärmedizin – Schlussbericht Bern. Bundesamt für Gesundheit, 2005, www.bag.admin.ch/themen/krankenversiche-rung/00263/00264/04102/index.html?lang=deFerroni B. Komplementärmedizin: Swissmedic schränkte Therapiemöglich- 3. keiten ein Schweiz Ärztezeitung. 2006;42:1811-2Déglon-Fischer A, Barth J, Ausfeld-Hafter B. Komplementärmedizin 4. in Schweizer Praxen der Grundversorgung, Forsch Komplementmed 2009;16:251-5 oder unter www.kikom.unibe.ch als VolltextAlbonico H. Ein Spital auf dem Weg zur angewandten integrativen Medi- 5. zin? Thema · Schweiz Ärztezeitung. 2008(46):1996–9Widmer M, Dönges A, Wapf V, Busato A, Herren S. The Supply of Comple- 6. mentary and Alternative Medicine in Swiss Hospitals. Forsch Komplement-med 2006;13:356-61Sekretariat ASA, Postfach, CH-8575 Bürglen. www.akupunktur-tcm.ch 7. www.unioncomed.ch 8. www.congress-info.ch/asa-tcm/p1-1.html?l=1 9. Fisch G. Die traditionelle Chinesische Medizin, Kassel: Wenderoth, 199410.