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Beobachten, Beraten und Fördern aus erziehungswissenschaftlicher und psychoanalytischer Sicht Konflikte in Schule und Unterricht Sitzung am 23. Mai 2007 Konflikt und Angst 1. Kurze Erinnerung an letzte 2 Sitzungen 2. Lebensgeschichtlicher Hintergrund zum Umgang mit Konflikt und Angst a) kurzes Filmbeispiel: Geschwisterrivalität: Konflikt/ Angst/ Ambivalenz/ Urvertrauen in Konfliktfähigkeit) b) Internalisierung und Externalisierung von Konflikten 3. Was sind Emotionen? a) Definition - Illustration durch Filmbeispiel b) Beispiel: Schulangst

Konflikte in Schule und Unterricht - uni-kassel.de · werden und in einen seelischen Konflikt übergehen • Entwicklungsspezifische Konflikte (vgl. psychosoziales Entwicklungsmodell

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Beobachten, Beraten und Fördernaus erziehungswissenschaftlicher und psychoanalytischer

Sicht

Konflikte in Schule und Unterricht

Sitzung am 23. Mai 2007

Konflikt und Angst1. Kurze Erinnerung an letzte 2 Sitzungen2. Lebensgeschichtlicher Hintergrund zum Umgang mit Konflikt

und Angst a) kurzes Filmbeispiel: Geschwisterrivalität: Konflikt/ Angst/ Ambivalenz/ Urvertrauen in Konfliktfähigkeit)b) Internalisierung und Externalisierung von Konflikten

3. Was sind Emotionen?a) Definition - Illustration durch Filmbeispielb) Beispiel: Schulangst

Postgraduales Studienprogramm

Psychoanalytische Kinder- und Jugendlichenberatung

HEUTE INFORMATIONSVERANSTALTUNG18 Uhr Raum 0109 NP 5

Alexander-Mitscherlich-Institutfür Psychoanalyse undPsychotherapie Kassel e.V.Karthäuser Str. 5aD-34117 Kassel

Institut für Psychoanalyseder Fachbereiche 01 + 04der Universität KasselNora-Platiel-Str. 5D-34109 Kassel

Psychoanalytische Perspektive auf Konflikte

• ZUR ERINNERUNG AN DIE SITZUNG VOM 9.5.2007/16.5.2003

• Konflikte sind ursprünglich immer „äußere“, die im Laufe der Entwicklung verinnerlicht werden und in einen seelischen Konflikt übergehen

• Entwicklungsspezifische Konflikte (vgl. psychosoziales Entwicklungsmodell von Erik Erikson ---> inzwischen vielfältig weiterentwickelt)

• Berücksichtigung des Lebenszyklus (Beispiel: anlässlich des 8.Mai: Kriegskinder im Alter): „genügend gute“ Bewältigung von altersspezifischen Konflikten ist Voraussetzung für produktive Weiterentwicklung,“Konflikte sind konstitutiv für das menschliche Leben“

• Konfliktpädagogische Sicht von Unterricht: Unterricht als Kommunikationssituation (Beziehungsgeschehen), Konflikthaftigkeit als Normalfall, Sachkonflikte als Lernsituationen, Umgang mit Störungen und Konflikten

Psychoanalytische Perspektive auf Konflikte als Chance und Gefahr

• Exemplarische Illustration: Konflikte sind ursprünglich immer „äußere“, die im Laufe der Entwicklung verinnerlicht werden und damit unbewusst werden d.h. in einen seelischen Konflikt übergehen

• Kurzes Filmbeispiel: Illustration der Vulnerabilität während der Frühentwicklung (Geschwisterrivalität)

• Frage: Welche Gefühle zeigt der Drei- bzw. Vierjährige seiner kleinen Schwester gegenüber? Welche Konflikte hat er? Welche Unterstützung braucht er zu einer produktiven Bewältigung?

• Welche Bedeutung haben Rivalitätsgefühle für die Schule?

Psychoanalytische Perspektive auf Konflikte: Thesen-Visualisierungen

• Welche Bedeutung haben Rivalitätsgefühle für die Schule?

• „Angst“: Hinweis auf innere oder äußere Gefahr

a) Angst nicht (mehr) geliebt zu werden, nicht (mehr) gesehen zu werden, Zuwendung zu verlieren ---> Urvertrauen, „Ich werde geliebt, geschätzt und wahrgenommen, auch wenn ich Zuwendung teilen muss“ (vgl. Schulsituation)

b) Angst, eigene Aggressionen nicht kontrollieren zu können --> Rivalität als lustvolle, spielerische Herausforderung, Umgang mit Konfliktsituationen als Lernsituation

c) Angst, „immer zu kurz zu kommen“ --> Fähigkeit, eigene Bedürfnisse wahrzunehmen und in Beziehungssituationen selbstverständlich und selbstbewusst zu vertreten, der „Andere“ wird als Ergänzung, Bereicherung und Chance wahrgenommen, mit ihm Erfahrungen zu teilen, Konflikte zu lösen und sich gemeinsam weiterzuentwickeln

• ---> VISUELLE ILLUSTRATION

Familiensystem

Mutter Vater

Kind

Identifikations-Internalisierungsprozesse

ProjektionenProjektive Identifikationen

Großfamiliensystem

Mutter Vater

Kind

Identifikations-Internalisierungsprozesse

ProjektionenProjektive Identifikationen

KindKind

Großmutter Großvater

Gruppensysteme: Nachbarschaft, Dorf etc.

1. Individuation vs. Abhängigkeit2. Kontrolle vs. Unterwerfung3. Autarkie vs. Versorgung4. Selbstwertkonflikt5. Schuldkonflikt6. Ödipaler Konflikt7. Identitätskonflikt

Konflikte nach OPD-2 (Operationale Psychodynamische Diagnostik)

Zur Erinnerung:

Sozialisierung / Kultivierung menschlicher Konflikte

• Umgang mit Konflikten in Außenwelt --> Voraussetzung für Kultivierung des menschlichen Aggressionspotentials sowie der sukzessiven Differenzierung psychischer Impulse und Strukturen

• Prozess der Symbolisierung, Mentalisierung etc. (Hilfsmittel: Bilderbücher: Beispiel:„Wo die wilden Kerle wohnen.....“), Welche Kinderbücher thematisieren Geschwisterbeziehungen / Rivalitäten?

Was sind Emotionen?

• Emotionen sind zusammenfassend evaluierende Reaktionen des Organismus, die ihn physiologisch in die Lage versetzen, in einer komplexen Situation rasch und intuitiv zu reagieren (Beispiel: Signalangst des Lehrers mit Schülern vor einer befahrenden Straße)

• Gefühle haben eine wichtige Funktion: ohne sie wäre kein Überleben des Individuums und kein soziales Interagieren möglich

Emotionen und Phantasien:Die fabelhafte Welt der Amélie...

Welche Emotionen erkennen Sie im folgenden Filmabschnitt?

Wozu dienen sie?

Welche Funktion kommt der Phantasie (Entführung etc.) zu?

Zu unserem Thema: Welche Bedeutung hat wohl die Lebensgeschichte (beide Protagonisten sind Einzelkinder) für die Angst vor Nähe?

Folie zu Schulangst

Wie unterscheiden wir zwischen „normalen“ und „pathologische“ Emotionen?

1. Entsteht in einer bestimmten Situation die „richtige“ Emotion?Basisemotionen:Konfliktsituationen (Frustrationen) ÄrgerGefahrensituation AngstPositives Erlebnis, Erfolg FreudeVerlust TrauerAbgrenzung EkelÜberlegenheitssituation VerachtungVerstoß gegen Ichideal SchamVerstoß gegen Überich Schuldgefühl2. Ist die Intensität der Emotion einer bestimmten Situation angemessen? (kaum zu bändigender Ärger, der in Wut umschlägt; Panische Angst vor Rivalität, Leistung etc. in der Schule)

Sitzung 23.05.07

Wichtige Unterscheidung zwischen „normaler“ und „pathologischer“Schulangst

a) Intensität ist der Situation nicht angemessen, daher pathologische Angst (Panik statt milder Angst)(vgl. Panikstörungen, Angststörungen, Phobien)

b) Statt Angst (als Hinweis auf eine Gefahrensituation) wird eine andere Emotion generiert (z.B. Wut, Clownerie, Trauer, psychosomatische Reaktion)

Sitzung 23.05.07Warum kommt es zu inadäquater Angst? 3 Beispiele

a) Psychoanalytische Erklärungen für inadäquate Schulangst:Struktur der Lehrer-Schüler Beziehung eignet sich zur Reaktivierung ungelöster Konflikte aus der frühen (dyadischen) Eltern-Kind-Beziehung

Hypothese: Peter ist unbewusst mit seinem Vater identifiziert, der in Konflikten „zuschlägt“, d.h. in Konflikten nicht mit „mildem Ärger“ reagiert, sowie dem Wunsch, verbal die divergierenden Interessen zu lösen, sondern mit Wut und Demonstration von Macht, körperlicher Überlegenheit etc.- In manchen Kulturen gilt „passive Konfliktlösung“ als feminin, schwach, Ausdruck sozialer Unterlegenheit etc.

Sitzung 23.05.07Warum kommt es zu inadäquater Angst?

b) Psychoanalytische Erklärungen für inadäquate Schulangst:Struktur der Schüler - Schüler Beziehung eignet sich zur Reaktivierung ungelöster Konflikte aus der frühen Geschwisterrivalität

Hypothese: Peter erlebt Jungen in Pause unbewusst als seine größeren Brüder, gegen die er sich „schlagend“ durchsetzen muss um nicht selbst geschlagen, beschämt, ausgelacht etc. zu werdenAngst zu verbreiten ist besser als geängstigt zu werden

Sitzung 23.05.07

Warum kommt es zu inadäquater Angst?

b) Psychoanalytische Erklärungen für inadäquate Schulangst:Struktur der Schule als „Machtinstitution“ (Zugang zu Bildung, Berufen, „Selektions-Institution“ eignet sich zur Reaktivierung von frühinfantilen Macht-Ohnmachtskonflikten)

Hypothese: Peter gehört zu einer sozialen Randgruppe, die „objektiv“ oft zu den Verlieren unserer Gesellschaft gehört und daher besonders sensibel auf Macht-Ohnmachtskonflikte reagiert -->Viktimisierung // evtl. traumatisierende Gewaltdurchbrüche in Familie--> Umkehr des passiv Erlittenen in aktive Zugefügtes (vgl. Folterungen im Iran durch „white trash“)

Sitzung 23.05.07

Beispiel Michael (S.237)

1. Clownerie statt Angst (Verlauf d)?

Inadäquate Kognition und Evaluation der schulischen Situation („ Ich muss Frau X. - wie meine Mutter- mit meinen Geschwistern teilen- als Clown kann ich sie am ehesten in eine exklusive Zweierbeziehung verwickeln

Pädagogische Überlegungen: Differenzierung der Kognitionen und Evaluationen von Schule, schulischen Rollen etc. / Befriedigung der Bedürfnisse nach Zweisamkeit (Geigenunterricht bei Lehrerin), Elterngespräche, besondere, aber produktive Rolle in der Klasse etc. --> 10 therapeutische Sitzungen und ADHS Maßnahmen

Sitzung 23.05.07

Beispiel Claudia (S.237/238)

1. Angst wovor? (Verlauf d) (Verlauf g)

Inadäquate Kognition und Evaluation der Todes der Mutter aufgrund ödipaler Phantasien, Claudia ersehnt sich unbewusst die Rückkehr der toten Mutter in Person der Lehrerin-->Loyalitätskonflikt, Überschätzung aggressiver Rivalitätsphantasien--> Suizidalität (vgl. „Die am Erfolge scheitern...“)

Physiologisch: Angst gemischt mit Trauer

Pädagogische Überlegungen: Claudia braucht sozialarbeiterische und psychotherapeutische Hilfe

Sitzung 23.05.07

Umgang mit Schulängsten

1. Genaue Beobachtung des Schülerverhaltens2. Analyse der Beobachtungen und

Hypothesenbildung3. Abstützen der Hypothesen durch weitere

Beobachtungen (Elterngespräche, Gespräche mit Kollegen und Fachleuten)

4. ---> Ansetzen von Interventionen (z.B. fokussiert auf den verschiedenen Subsystemen)

Sitzung 23.05.07

Aufgabe für die nächste SitzungAufgabe I1. Lektüre des Textes : Leuzinger-Bohleber, M.:

Schulangst - (k)ein Thema für die Grundschule?(steht im Internet)

2. Diskussion des Emotionsmodells anhand eines Beispiels aus dem Text oder eines eigenen Beispiels von Schulangst (auf einer Seite )

Oder alternativ: Aufgabe IIDiskussion eines Kinderbuchs mit dem Thema Geschwisterrivalität mit Bezug zur heutigen Vorlesung