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generative fotografie 1960 – 2014 konkrete fotografie

konkrete fotografie generative fotografie · 2014. 10. 10. · spielens des Physischen in das Metaphysische. [2] 9 Was ist Generative Fotografie? Gottfried Jäger Eine Generative

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generative fotografie1960 – 2014

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Konkrete und Generative Fotografie

1960 – 2014

Teil I: Die Pioniere

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Begleitworte zur AusstellungGunther Dietrich und Tomás Rodriguez

Wir freuen uns sehr, erstmals nach vielen Jahren die wichtigsten Pioniere der generativen und konkreten Fotografie in einer gemeinsamen Galerieausstellung zeigen zu können. Diese Pioniere haben eine ganze Generation von Künstlern und Fotografen inspiriert - und stoßen gerade heute in den sogenannten „abstrakten“ Tendenzen in der Fotografie auf eine fundamentale Beachtung und Interesse. Sie bieten ein reiches Universum zur Bildbefragung und Betrachtung in theoretischer und künstlerischer Hinsicht. Ihre Werke sind fest verankert in den Annalen der Fotografiegeschichte - haben jedoch fast wie ein „blinder Fleck“ ausschließlich in Fachkreisen die Anerkennung gefunden, die sie verdienen. Wir wünschen uns diese Ausstellung und die begleitende Publikation als einen Anstoß zu einer weiteren, tieferen und öffentlicheren Wahrnehmung dieser Bewegung.

Im Jahr 1968 wurde der Begriff „Generative Fotografie“ von Gottfried Jäger für ein künstlerisches Programm eingeführt, das Methoden der Konkreten Fotografie aufgreift, dabei jedoch dem Stil konstruktiver Gestaltung folgt: methodisch, sys-tematisch, seriell. „Der Begriff konkret kennzeichnet eine Fotografie, die bewusst auf Abbildung und Darstellung äußerer Gegenstände verzichtet und ausschließlich bildeigene Gesetzmäßigkeiten verfolgt. Sie setzt „sich selbst“ zum Thema: das Licht, ihre einzigartigen Materialien, ihre generativen Prozesse, den Apparat. So entstehen reine Lichtbilder, Fotografien der Fotografie, eine Bildgattung eigener Art.“ [1]

Unsere Ausstellung zeigt frühe Beispiele dieser Art mit Vintage Prints und Unikaten der 1960er Jahre sowie aktuelle Weiterentwicklungen auf der Basis neuer fotoadäquater Mittel. Die nachfolgenden Texte geben eine kurze Einführung in die Programmatik und Inhalte der konkreten und generativen Fotografie - ihren Ge-meinsamkeiten und Unterschiede auch in der zeitlichen Entwicklung - von ihren Anfängen bis Heute.

Wir bedanken uns bei den beteiligten Künstlern für ihre freundliche und großzügige Kooperation. Im Besonderen danken wir Gottfried Jäger für die Beratung und Unterstützung. Ohne ihn hätte die Ausstellung so nicht stattfinden können. Er ist mit seinen Kollegen von Anfang an für die Freiheit der Fotografie als Kunstform eingetreten, als diese noch immer dem Diktum des rein Abbildenden und Doku-mentarischen unterlag.

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Was ist Konkrete Fotografie?Gottfried Jäger

Erst in jüngster Zeit wurde erkannt, dass Konkrete Fotografie als neue Gattung der konkreten Künste aufgefasst werden kann – und muss. Als neuer Begriff für längst bekannte Bilder tritt er neben vergleichbare Gattungsbegriffe wie Konkrete Malerei, Konkrete Musik oder Konkrete Poesie. Gleichermaßen ist die Konkrete Fotografie ein Teilgebiet der allgemeinen Fotografie. Aber es gab bis vor Kurzem dazu keine schlüssige Theorie, keine Geschichte oder sonst zusammenhängende Typisierung – obwohl Fotografien, auf die diese Bezeichnung zutrifft, seit langem existieren und bereits seit Anfang des 20. Jahrhunderts durch entsprechende Bildleistungen signifikant in Erscheinung traten. Zu ihnen gehören die Vortographs von Alwin Langdon Coburn, 1917, ebenso wie die Schadographs von Christian Schad, 1919, wie die Fotogramme von László Moholy-Nagy am deutschen Bau-haus seit Anfang der 1920er Jahre. Dazu zählen auch Arbeiten tschechischer Avantgardefotografen zwischen den beiden Weltkriegen und die zahlreichen Neuansätze der internationalen Nachkriegsfotografie unter Bezeichnungen wie Experimentelle, Subjektive oder Generative Fotografie. Diese Ansätze wirken bis heute entschieden fort. Trotzdem findet ihre Geschichte in den Annalen der etablierten konkreten Kunst kaum Niederschlag. Ein Grund dafür mag darin liegen, dass man hinter der Allgegenwart und Überzeugungskraft des konventionellen Fotos eine eigene Welt der stillen Bilder aus dem Innenleben des Apparates kaum vermuten mochte. Und doch: Wendet man den Blick nach Innen und schaut auf und in diesen Apparat hinein, so öffnet sich ein unvergleichlicher Kosmos phan-tastischer Bilder: Konkrete Fotografien. Nur Wenige haben ihre Schönheit und hohe Bedeutung bisher erkannt.

Denn: Obwohl Abbildung und Darstellung die Ästhetik der Fotografie entschieden dominieren, so stellen sie doch nur kontingente Eigenschaften des Mediums dar. Man kann auf sie verzichten, ohne dabei das Gebiet der Fotografie zu verlassen. Das gilt selbst für die Kamera, obwohl sie das meist benutzte Fotowerkzeug ist. Durch ihr Fehlen entsteht ein neues Gebiet: die kameralose Fotografie. So muss ein Foto auch weder etwas abbilden noch darstellen, um ein Foto zu sein. Es kann sich um eine reine Lichtspur handeln. Es verzichtet auf Kamera, Ikonik und Symbolik. Es ist ‚nur’, was es ist und wird nicht von außen, sondern ausschließlich von innen, durch sein eigenes, inneres Gesetz bestimmt. Es ist sich selbst genug. Ja man könnte sagen: Erst durch den Verzicht auf abbildende und darstellende

Elemente kommt das Foto zu sich selbst und kann auf seinen ureigenen Grund vorstoßen, auf eine Syntax, die sonst verborgen bliebe: Am Nullpunkt der Fotografie. Auf dieser Ebene geht es nicht um Sichtbarmachung, nicht um Sichtweisen, sondern allein um die Sichtbarkeit des Bildes.

Dies ist das Feld der Konkreten Fotografie. Sie setzt sich nur mit dem eigenen Dasein auseinander, ist esoterisch, selbstverliebt und selbstvergessen. Sie changiert zwischen Freiheit und Selbstkontrolle. Sie konkretisiert das Fotografische „an sich“ und sucht dabei die technischen und ästhetischen Grundprinzipien die-ses vielschichtigen und facettenreichen Verfahrens immer wieder aufs Neue zu erkunden und zu beleben. Das bedeutet Askese und Isolation und hat auch etwas Eigenbrötlerisches an sich. L’art pour l’art? Formenspiel? Das ist die eine Seite ihrer Realität, eine Selbstbeschränkung, die sie eingegangen ist und die sie aushalten muss. Die andere Seite ist die Offenlegung und Transparenz ihrer Mittel und Verfahren, ist die Einbeziehung des Betrachters in die künstlerische Produk-tion und in die Überlegungen des Künstlers, ist die Demokratisierung einer Kunst, deren hohes Ziel es ist, ihre Ergebnisse Allen voraussetzungslos verständlich und verfügbar zu machen. Sie trägt die Bedingungen ihrer Produktion und Rezeption offen zur Schau. Sie sind ihr eigentlicher Gegenstand. Wer aber meint, das Feld sei doch eher begrenzt und nur noch geringfügig zu erweitern, es sei alles bereits ‚gesagt’, vor allem hinsichtlich einer Fotografie an der gegenwärtigen Wende zum digitalen Bild, sollte sich das weite begriffliche und real existierende Wechselspiel der dialektischen Phänomene vor Augen führen, die besonders das Konkrete Foto im Spannungsfeld von Schwarz und Weiß, von Hell und Dunkel, von Licht und Schatten bestimmen, sollte Begriff und Realität von Positiv und Negativ, von Innen und Außen bedenken. Konkrete Fotografen entwickeln ihre Bilder nicht durch die Kamera, sondern in der Kamera, in der Camera obscura, denkt man nur daran, dass sie im Dunkeln, blind, tastend, entstehen. Ihr Ende ist nicht in Sicht. Denn sie berühren universelle menschliche Erfahrungen, Tag und Nacht, Aufklärung und Verklärung, Leben und Tod. Insofern bedeutet Konkrete Fotografie nicht nur Formenspiel. Sondern sie weist darüber hinaus zu Fragen der Transzendenz des Technischen in das Künstlerische, des Materiellen in das Geistige, des Hinüber-spielens des Physischen in das Metaphysische. [2]

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Was ist Generative Fotografie?Gottfried Jäger

Eine Generative Kunst nimmt die zukunftsweisenden Gedanken moderner und postmoderner Denker in sich auf. Mitte der 1960er Jahre begründete Max Bense mit seiner Einführung in eine neue Ästhetik eine computer-erzeugte Kunst: „Unter generativer Ästhetik ist nun die Zusammenfassung aller Operationen, Regeln und Theoreme zu verstehen, durch deren Anwendung auf eine Menge materialer Elemente, die als Zeichen fungieren können, in diesen ästhetische Zustände (Verteilungen bzw. Gestaltungen) bewusst und methodisch erzeugbar sind“. Der Kernsatz einer aufkommenden Computerästhetik beschreibt zutreffend und im Sinne einer Zusammenfassung auch die zentralen Arbeiten der generativen Fotografen jener Zeit.

Sie gründeten ihre Visionen auf einen schöpferischen und zugleich humanen Umgang mit den neuen Apparaten und Daten verarbeitenden Systemen, zu denen auch das Fotosystem gehört. Es ist historisch Vorläufer aller modernen Bildmedien und kann seiner Geschichte nach auch als Entwicklungsmodell für den Weg von der reproduzierenden Maschine zu einem wahrlich kreativen Instrument in Anspruch genommen werden.

Zwanzig Jahre später warnt Vilém Flusser allerdings vor den „sturen Apparaten“ – auch im übertragenen Sinn totalitärer politischer Systeme, die den Menschen vereinnahmen und gleichschalten, sofern ihnen nicht kritisch und notfalls auch subversiv begegnet wird: „Freiheit ist, gegen den Apparat zu spielen“. Auch dieser Kernsatz einer Philosophie der Fotografie trifft hier zu. Bei aller Präzision ihrer Bilder und Serien stellen sie sich in der Tat gegen alle üblichen Gebrauchsanweisungen, um eigene Gebrauchsweisen zu entwerfen. Der Künstler erwirbt sich seine Freiheit gegen die Konventionen eines ursprünglich ganz auf Reproduktion hin ausgerich-teten Apparats. [3]

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HEINZ HAJEK-HALKE* 1898 – † 1983, Berlin, Deutschland

Was László Moholy-Nagy für die Fotografie des Bauhauses und der 1920er Jahre geleistet hat, schuf Heinz Hajek-Halke für die 1950er Jahre und die abstrakte Kunst. Dabei war Hajek-Halke (1898-1983) ein genuin fotografisch arbeitender Künstler: Was er in der Dunkelkammer an physikalisch-chemischer Arbeit vollbrachte, darf getrost als Alchimie bezeichnet werden. Unter den großen Fotokünstlern des 20. Jahrhunderts war Heinz Hajek-Halke ein Einzelgänger, der keiner Schule angehörte und dennoch viele Andere beeinflusste. Schon in den frühen 1930er Jahren als Pla-katkünstler berühmt, setzte seine künstlerische Reife in den 1950er Jahren ein. Die Arbeiten von Heinz Hajek-Halke sowie sein gesamtes Negativ-Archiv gelangten 2010 als Schenkung in die Kunstsammlung der Akademie der Künste, Berlin, die ihm auch in 2012 eine Einzelausstellung widmete.

Heinz Hajek-Halke wurde 1898 in Berlin geboren und wuchs in Buenos Aires auf. Von 1948/50 an lebte er in Ehrenbreitstein bei Koblenz und beschäftigte sich ausschließlich mit experimenteller und abstrakter Fotografie, die im Umkreis der Bewegung „subjektive fotografie“ gezeigt wurde. 1955 berief ihn Karl Hofer zum Dozenten für Foto-Grafik an die Hochschule der Bildenden Künste in Berlin, wo er bis 1967 lehrte. Seit um 1965 die Fotografie als Kunst anerkannt wurde, stieg auch der Ruhm von Heinz Hajek-Halke: Bis zum Ende der 1970er Jahre konnte er mehrere Einzelausstellungen einrichten, er war auf zahlreichen Gruppenpräsenta-tionen vertreten und erhielt einige Fotografie- und Kunstpreise. Im Frühjahr 1983 starb Heinz Hajek-Halke in Berlin. [4]

Heinz Hajek-Halke Heinz Hajek-Halke

O.T, ca. 1965Lichtgrafik. Silbergelatine-Barytpapierabzug53,5 x 41,8 cm

O.T, 1965Russ-LuzidogrammSilbergelatine-Barytpapierabzug28,3 x 14,4 cmAuflage: 7

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12 13Heinz Hajek-Halke

Nature MorteSilbergelatine-Barytpapierabzug60,8 x 51 cmEd. 2/12

Blumen für Andrea, 1969Silbergelatine-Barytpapierabzug60 x 45,5 cmEd. 1/4

Heinz Hajek-Halke

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HERBERT W. FRANKE* 1927, Wien, Österreich

Herbert W. Franke ist Philosoph und Science-Fiction-Autor, Höhlenforscher, Symmetrie- und Bionik-Forscher, Physiker und Mathematiker sowie Kunstwissen-schaftler und Vorreiter von computer- und maschinengenerierter Kunst. Er wurde 1927 in Wien geboren und lebt und arbeitet heute in der Nähe von München. Das ZKM | Medienmuseum präsentierte 2010 eine umfassende Ausstellung über das Leben und Werk dieses „Wanderers zwischen den Welten“.

Herbert W. Franke begann sich schon früh für „bildgebende Systeme“ zu interessieren. Er gehört zu den wichtigsten Vertretern der Informationsästhetik und der Computerkunst. Der Mitbegründer der „ars electronica“ in Linz, begann bereits in den späten 1940er Jahren sich mit der Frage auseinander zu setzen, wie wissenschaftliche, bildgebende Systeme und technische Apparate mit Kunst und Ästhetik zusammenhängen. Er war fasziniert von den kreativen Möglichkeiten, die der Einsatz solcher Maschinen für die Produktion ästhetischer Bildwerke bot. So experimentierte er beispielsweise ab den 1950er Jahren mit Oszillographen, mit welchen er seine künstlerischen „Oszillogramme“ (1956) und „elektronischen Grafiken“ (1961/62) herstellte, welche in der Ausstellung zu sehen sind.

Franke ist von seiner Ausbildung her Physiker, und es waren die Aufnahmen der wissenschaftlichen Fotografie, die ihn auf die Idee brachten, mit diesem Instru-mentarium auch freie Fotoexperimente zu machen. So war es nur konsequent, dass er dann für seine gestalterischen Versuche bald auch elektronische Rechen-systeme einsetzte – ein Freund baute ihm dafür einen einfachen Analogcomputer, und wenig später bekam er Gelegenheit zur Herstellung frei gestalteter Bilder mit digitalen Rechnern. 1959 war seinen Ergebnissen eine Ausstellung im Museum für Angewandte Kunst in Wien gewidmet; zum ersten Mal wurden damals in Europa elektronisch erzeugte Bilder als künstlerische Werke zur Diskussion gestellt.

Im Laufe der Zeit wechselte er zu immer leistungsfähigeren Systemen, so dass sich in seinem Werk auch die technische Entwicklung spiegelt. Als übergeordnete philo-sophische Frage und Thema, die Franke auch als Science-Fiktion Autor bewegt, ist die ausweglose Situation von Individuen in zunehmend technisierten, durchor-ganisierten und totalitären Welten der Zukunft.[5]

Herbert W. Franke

Bandform, 1953Gemeinsam mit Andreas HübnerSilbergelatine-Barytpapierabzug16,9 x 23,1 cm

Pendeloszillogramm, 19551. Werkgruppe: AnalogrechnerSilbergelatine-Barytpapierabzug24,1 x 18 cm

Herbert W. Franke

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Wellenform 154, ca. 1953Gemeinsam mit Andreas HübnerSilbergelatine-Barytpapierabzug22,9 x 17,2 cm

Raumform, 1956Silbergelatine-Barytpapierabzug22,7 x 17,3 cm

Herbert W. Franke

Tanz der Elektronen, 1961/622. Werkgruppe: Elektronische GrafikSilbergelatine-Barytpapierabzug23,9 x 18,2 cm

Herbert W. Franke

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ROGER HUMBERT* 1929, Basel, Schweiz

Roger Humbert (geb. 1929) ist ein Schweizer Pionier der Konkreten Fotografie. Seit den 1950er Jahren hat Humbert eine umfangreiche Sammlung an fotografischen Werken hervorgebracht. In seinen Fotoarbeiten löst er sich von Gegenständen und thematisiert die Fotografie als konkretes Objekt selbst, indem er Lichtquellen experimentell und inszenatorisch einsetzt. Seine Fotogramme bilden nicht ab, sondern erschaffen im Augenblick der Belichtung auf dem Fotopapier eine neue Wirklichkeit: Formelemente werden unter einer Lichtquelle derart inszeniert, dass das Licht selber zeichnet und flirrende geometrische Konstellationen sichtbar werden.

Seine Luminogramme sind von einer technischen Formgestaltung geprägt. Form- elemente wie Schablonen, Lochkarten, Stanzabfälle werden in einer Lichtquelle so komponiert, dass sie rein auf ihre geometrischen Strukturen reduziert werden. Die Lichtführung entmaterialisiert sie und lässt sie vibrierend und schwingend erscheinen. Humberts experimentelle, kameralose Fotografie steht in Zusam-menhang mit dichten Überlegungen, die ausgehend von Konstruktivismus und Existentialismus auf eine grundlegende Erneuerung der Fotografie und des Lebens zielen. [6]

Historisch bedeutsam ist die Beteiligung Roger Humberts an der weltweit ersten Ausstellung „Konkrete Fotografie“. Zusammen mit René Mächler, Jean-Frédéric Schnyder und Rolf Schroeter zeigte er im Januar 1967 in der Berner Galerie actuell minimalistische und nur auf ihr eigenes, innerbildliches Gesetz bezogene Licht-kompositionen.

Im Frühjahr 2014 hatte Roger Humbert im Rappaz Museum in Basel eine Retros-pektive seines Schaffens. Roger Humbert lebt und arbeitet in Basel, Schweiz.

Roger Humbert

Fotogramm, 1972Silbergelatine-Barytpapier. Unikat25,3 x 25,3 cm

Fotogramm, 1959Silbergelatine-Barytpapier. Unikat30 x 40,3 cm

Roger Humbert

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Fotogramm, 1960Silbergelatine-Barytpapier. Unikat22,9 x 23,1 cm

Roger Humbert

Fotogramm, 1965Silbergelatine-Barytpapier. Unikat30,5 x 40 cm

Roger Humbert

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KILIAN BREIER* 1930, Saarbrücken, Deutschland – † 2011, Hamburg, Deutschland

Kilian Breier

Kilian Breier gehört unbestritten zu den Pionieren der Konkreten Fotografie nach 1945. Seine Luminogramme sind radikale Entwürfe und grundlegende Beiträge zu diesem Genre. Das Luminogramm ist Breiers eigentliche Bildform geblieben. Das gilt für seine frühen, ab 1953 generierten Chemigrafiken ebenso, wie für seine „Knick“-Arbeiten, beginnend 1960, in denen z. B. das Licht einer Streichholzflam-me Formen und Helligkeiten auf dem Material durch dessen Verformungen und Faltungen hervorruft. Es entstanden selbstidentische Objekte von höchster Glaub-würdigkeit. [7]

Breiers fotografische Arbeiten bewegten sich im Kontext der bildenden Kunst, immer auf der Suche nach den spezifischen Mitteln der Fotografie. Das Mate-rial in seinen Eigenschaften sollte für sich sprechen, die Eingriffe des Gestalters dabei offengelegt werden. In den Ergebnissen ergaben sich Ende der 1950er Jahre Verbindungen zu anderen Künstlern aus der Konkreten Kunst. Breier wurde schließlich 1960 von Otto Piene und Heinz Mack zur Teilnahme an der letzten Katalogproduktion der Gruppe Zero zur Ausstellung „Zero 3“ in Mailand eingeladen.

Der fotografische Gegenstand, das Motiv, wurde bei Breiers Suche nach den Grundlagen der Gestaltung im Labor zunehmend überflüssig. Ein wesentlicher Antrieb Breiers war es, bis hin zu den Arbeiten in den 1990er Jahren, auf den „Nullpunkt“ der Gestaltung zurückzugehen. In seinen „Lichtnutzen“ aus den 1980er Jahren setzte Breier Fotopapier dem normalen Tageslicht oder Bürolicht aus, um in langsamen „Oxydationen“ die Licht-Verschwärzung des Papiers zu akkumulieren.

Kilian Breier absolvierte von 1952 bis 1953 ein Studium der freien Malerei an der Ecole des Beaux-Arts in Paris und von 1953 bis 1955 ein Studium der Fotografik an der Staatlichen Schule für Kunst und Handwerk in Saarbrücken bei Hannes Neuner und Otto Steinert. 1966 wurde er als Professor für Fotografie an die Hoch-schule für bildende Künste Hamburg berufen und war dort von 1968 bis 1999 am Institut für Visuelle Kommunikation tätig. Breier war seit 1966 Mitglied in der Deut-schen Gesellschaft für Photographie und der Gesellschaft Deutscher Lichtbildner.Kilian Breier lebte bis zu seinem Tod 2011 in Hamburg. [8]

Kilian Breier

Knicke, 1960/1965Silbergelatine-Barytpapierabzug23,7 x 22,7 cm

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Erinnerung an Heinz Hajek-Halke, 1983Briefumschlag mit unentwickelter Luminographie25 x 17,6 cmEd. 74/100

Kilian Breier

Ohne TitelFototechnisches Papier32,7 x 33,4 cmEd. 2/5

Ohne TitelFototechnisches Papier40 x 44,6 cmEd. 5/5

Kilian Breier

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PIERRE CORDIER* 1933, Brüssel, Belgien

Eine primäre Form fotografischer Gestaltung und somit vergleichbar mit dem Fotogramm und dem Luminogramm ist das Chemigramm. Es basiert auf der Reaktion von lichtempfindlichem Papier mit Entwickler und Fixierbad und somit auf fotochemischen Reaktionen. Es verbindet die Physik der Farbe (Firnis, Wachs, Öl) und die Chemie der Fotografie (lichtempfindliche Schicht, Entwickler, Fixierbad) - ohne Kamera, ohne Vergrösserer und bei natürlichem Tageslicht.

Als Hauptvertreter gilt der Belgier Pierre Cordier, der 1956 das erste Chemigramm schuf und 1963 diesen Begriff urheberrechtlich schützen ließ. Ohne je eine Auf-nahme gemacht zu haben, erzeugt Cordier Chemigramme allein durch die fotochemische Behandlung und Gestaltung lichtempfindlicher Papiere in der Phase der Entwicklung und Fixierung. Für Cordier, der seine Chemigramme zwischen der Fotografie, der Malerei, der Keramik und der Gravüre lokalisiert, umfasst der Begriff Chemigramm gleichermaßen die Technik und das daraus resultierende Bild. Das Prinzip des Zufalls, dass in seinen Werken immer einer große Rolle spielt, erlaubt ihm eine Vielzahl von Gestaltungsmöglichkeiten.

1958 folgte Cordier einer Einladung von Otto Steinert nach Saarbrücken, welcher später daraufhin notierte: „Die Chemigramme sind, ohne Zweifel, eine Station in der Entwicklung der gestalterischen Fotografie und ihrer Geschichte. Ein Maler kann kaum eine solche Präzision in den Strukturen und Farben haben wie in den Arbeiten von Pierre Cordier“.

Seine Werke sind in vielen internationalen privaten wie öffentlichen Sammlungen vertreten. In den letzten Jahren Ankäufe durch das Centre Georges Pompidou, Paris (2008) und das Victoria & Albert Museum, London (2010).

Seit 2011 arbeitet er mit der österreichischen Künstlerin Gundi Falk zusammen.Pierre Cordier lebt und arbeitet in Brüssel, Belgien.

Pierre Cordier

PIERRE CORDIER & GUNDI FALK* 1933, Brüssel, Belgien / 1966, Salzburg, Österreich

Gundi Falk ist Malerin und Bildhauerin und hat mehrere Jahre in Asien und Europa Tanz und Kalligrafie studiert. Seit 1998 stellt sie ihre Soloarbeiten international aus (Taiwan, Frankreich, Estonien, Belgien). Als sie 2011 in der Laborwerkstatt von Pierre Cordier die gemeinsame Kreation begann, konnte sie ihre erprobten Fähig-keiten, wie das Interagieren mit dem Unbekannten direkt umsetzen. Intuition und Sehschärfe, sowie Gefühl für Raum und Material ermöglichen es, die Parameter des Chemigrammes zu erfassen und weiter zu entwickeln.

Das gemeinsame Weiterforschen von Cordier und Falk entfachte eine sehr produktive Komplizenschaft, die ein Wiederaufleben des Chemigrammes zur Folge hat. Neue Serien von Chemigrammen entstanden wie „Fenster ins Unbekannte“, „Gerade – Ungerade“, „Zeitgenössische Musigramme“, „Twin“ und „Voltagramme“.

Pierre Cordier & Gundi Falk

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Chimigramme 30/8/77 III „Minimal Photography“, 1977Chemigramm. Unikat50 x 50 cm

Pierre Cordier

Chimigramme 26/8/77 VI „Minimal Photography“, 1977Chemigramm. Unikat50 x 50 cm

Pierre Cordier

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Chimigramme 18/9/13 „Twin“, 2013Chemigramm. Unikat50 x 50 cm

Chimigramme 8/4/14 „Voltagramme“, 2014Chemigramm. Unikat60 x 50 cm

Pierre Cordier & Gundi Falk

Chimigramme 15/2/14, 2014Chemigramm. Unikat60 x 50 cm

Pierre Cordier & Gundi Falk

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René Mächler* 1936, Zürich, Schweiz – † 2008, Rheinfelden, Deutschland

René Mächler war wichtigster Vertreter der Konkreten Fotografie in der Schweiz. Anlässlich seines 70. Geburtstages hatte ihm die Fotostiftung Schweiz in Winterthur 2006 eine umfangreiche Retrospektive ausgerichtet, ergänzt durch ein ambitio-niert gestaltetes Buch mit dem Titel „Am Nullpunkt der Fotografie“. Im Zuge dessen übergab René Mächler der Stiftung den Hauptteil seines fotografischen Nachlasses. Diese letzten Aktivitäten krönen ein Lebenswerk, das abseits des Hauptstroms konventioneller Fotografie entstand – doch gleichwohl Zeichen setzte. Historisch bedeutsam ist die Beteiligung René Mächlers an der weltweit ersten Ausstellung „Konkrete Fotografie“, er hat den Begriff mit geschaffen.

„Freiheit ist, gegen den Apparat zu spielen“ Vilém Flusser

Dieser Kernsatz einer „Philosophie der Fotografie“ trifft auf die Arbeiten René Mächlers zu. Bei aller Präzision ihrer Bilder und Serien stellen sie sich in der Tat gegen alle üblichen Gebrauchsanweisungen, um eigene Gebrauchsweisen zu entwerfen. Der Künstler erwirbt sich seine Freiheit gegen die Konventionen eines ursprünglich ganz auf Reproduktion hin ausgerichteten Apparats. So bildete die Anerkennung der Fotografie als Kunst – nicht im materiellen, sondern im Sinne ihrer Vergeistigung –, stets ein erklärtes Ziel René Mächlers.

Sein Gebiet war ein einsames, zuerst unwegsames Gelände. Er hat es kultiviert und dabei unverwechselbare Spuren hinterlassen. Was René Mächler in der Abgeschiedenheit seiner dunklen Kammer über mehr als ein halbes Jahrhundert entwickelt, fixiert und ans Licht gebracht hat, ist mehr als ein Spiel der Formen. Es ist ein fulminantes Lebenszeichen. Und der Versuch, dem Chaos dieser Welt ein bleibendes Signal der Hoffnung und der Orientierung entgegen zu setzen.

René Mächler studierte von 1958 bis 1960 an der Staatlichen Höheren Fachschule für Photographie in Köln und übernahm danach eine Stelle als Wissenschaftsfoto-graf an der Universität Basel, die er bis zu seiner Pensionierung 1996 inne hatte. Daneben entwickelte er seine künstlerische Karriere durch zahlreiche Ausstellungen und Publikationen. [9]

René Mächler

Konstruktion, 1990FotogrammSilbergelatine-Barytpapier. Unikat35 x 27 cm

René Mächler

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Hein Gravenhorst* 1937, Berlin, Deutschland

1968 stellte Hein Gravenhorst zusammen mit Gottfried Jäger, Pierre Cordier und Kilian Breier im Bielefelder Kunsthaus aus. Der Titel dieser Ausstellung „Generative Fotografie“ war gleichsam Programm. Die Fotografen vereinte ein ästhetisches Prinzip, das gekennzeichnet war durch: „Erzeugung ästhetischer Strukturen auf Grund definierter Programme, die durch fotochemische, fotooptische oder fototechnische Operationen realisiert werden mit dem Ziel, einen optionalen und funktionalen Bezug aller am Aufbau der ästhetischen Struktur beteiligten Elemente zu erreichen.“

Diese Richtung der Fotografie suchte logisch nachvollziehbare ästhetische Strukturen zu erzeugen und bezog sich im besonderen Maße auf Max Benses „Generative Ästhetik“. Bense lieferte mit seiner Generativen Ästhetik für diese Fotografen, besonders Jäger und Gravenhorst, ein „Erzeugungsprinzip“, um ästhetische Zustände (innovative Ordnungen, im Sinne originaler Verteilung oder Ge-staltung) über bestimmte Operationen methodisch zu erzeugen. Wie Gravenhorst es darlegt, konnte über die methodische Erzeugung ästhetischer Strukturen das hervorgerufen werden, „was wir als „Ordnungen“ und „Komplexität“ makroästhe-tisch - und „Redundanzen“ und „Information“ mikroästhetisch an Kunstwerken wahrnehmen.“ [10]

Im Zeitraum von 1965-1972 hat Gravenhorst ein unvergleichlich orginäres Werk geschaffen. Exemplarisch werden verschiedene Werkzyklen aus dieser Zeit mit seltenen Unikaten vorgestellt. Seine Werke sind in internationalen privaten wie öffentlichen Sammlungen vertreten. In den letzten Jahren Ankäufe durch die Sammlung Peter C. Ruppert, Würzburg (2007) und das MOMA, New York.

Seit Mitte der 1970er Jahre widmet sich Hein Gravenhorst als Therapeut der Heilkunst. Er lebt und arbeitet in Berlin.

Hein Gravenhorst

Reflexbild, 1965Silbergelatine-Barytpapier. Unikat36,1 x 28,8 cm

Reflexbild, 1965Silbergelatine-Barytpapier. Unikat28,5 x 36,2 cm

Hein Gravenhorst

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Inverse Transformation, ca.1967Silbergelatine-Barytpapier. Unikat45,5 x 45,5 cm

Hein Gravenhorst

Reflexrosette R – RN 3, 1966Rotatorische Mehrfachbelichtung auf Agfa Positiv Film30 x 30 cm. Unikat

Reflexrosette R – RN 1, 1966Rotatorische Mehrfachbelichtung auf Agfa Positiv Film30 x 30 cm. Unikat

Hein Gravenhorst

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Gottfried Jäger* 1937, Burg bei Magdeburg, Deutschland

Kulturpreis 2014 der Deutschen Gesellschaft für Photographie.

Mit Prof. Dr. Gottfried Jäger ehrt die Deutsche Gesellschaft für Photographie (DGPh) einen wichtigen Impulsgeber für die Photographie seit den 1970er Jahren. In seiner Person vereint sich vieles von dem, was die Photographie in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg ausmacht. Er ist Künstler, Vermittler, Kurator, Wissen-schaftler und Ideengeber für viele Projekte.

Gottfried Jäger hat nach seiner Gesellenprüfung Photographie in Bielefeld und Meisterprüfung Photographie in Köln an der Staatlichen Höheren Fachschule für Photographie Köln studiert. Von 1960 – 1972 war er Fachlehrer Photographie an der Werkkunstschule Bielefeld, von 1972–2002 an der Fachhochschule Bielefeld Professor für Photographie mit den Lehrgebieten künstlerische Grundlagen der Photographie, Photographik und Generative Bildsysteme. 2011 promovierte er zum Dr. phil. an der Universität Bielefeld mit einer Arbeit zum Werk des Mikropho-tographen Carl Strüwe.

Gottfried Jäger hat maßgeblich die „Bielefelder Schule der Fotografie“ begrün-det und über Jahrzehnte wichtige Impulse für die Ausrichtung des Studiums in Bielefeld gegeben. Die nahezu legendären Bielefelder Photosymposien haben weit über die Grenzen Bielefelds gewirkt und sind in mehr als 30 Jahren zu einem wichtigen Ort der photographischen Theoriebildung geworden.

Schon in den 60er Jahren entwickelt er den Begriff der „Generativen Photogra-phie“ und arbeitet eng mit Herbert W. Franke, Hein Gravenhorst, Kilian Breier, Pierre Cordier und Karl Martin Holzhäuser zusammen. Seine künstlerische Arbeit in Form von Photopapierarbeiten, Photoobjekten und Installationen wird ergänzt durch die historische und kunstwissenschaftliche Aufarbeitung der Geschichte der „Bildgebenden Photographie“. Gottfried Jäger vereint in herausragendem Maße die sich gegenseitig bereichernden Aspekte eines Künstlers, Hochschullehrers und ‚Netzwerkers‘ für die Belange der Photographie. Mit dem Kulturpreis der DGPh wird ein Lebenswerk gewürdigt, das in Deutschland sicher singulär ist. [11]

Gottfried Jäger Gottfried Jäger

Fotopapierarbeit 2011-III-1-2, 2011Silbergelatine-Barytpapier. Unikat60 x 50 cm

Fotopapierarbeit 1986-VI-1-3, 1986Silbergelatine-Barytpapier. UnikatJe 59 x 49,5 cm (Triptychon)

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Lichtbild. Luzidogramm. 1965-6-17, 1965Agfacolor MCN 111, Colorpapier. Unikat42,7 x 30,2 cm

Gottfried Jäger Gottfried Jäger

Photo 111104.4, 2011Datenbild. Digitalprint60 x 90 cmEd. 5 + 2 AP

Lochblendenstruktur 3.8.14F4.4, 1967/1996Silbergelatine-Barytpapierabzug24 x 24 cmEd. 5/5

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KARL-MARTIN HOLZHÄUSER* 1944, Gardelegen, Deutschland

Karl Martin Holzhäuser, Mitglied der internationalen Gruppe „Konkrete Fotografie“, hat seit den Anfängen seiner freien künstlerischen Praxis Ende der 1960er Jahre ein bemerkenswert konsistentes Werk geschaffen. Sucht man die Wurzeln seiner Kunst, so findet man sie in zwei Kulturen: der Kultur der konkreten, speziell kons- truktiven Kunst, der sich Holzhäuser schon in jungen Jahren verbunden fühlte und der Kultur des Mediums Fotografie, besonders seiner experimentell-gestaltenden Tendenz. Nimmt man alles zusammen, so könnte man das Gesamtwerk Holzhäusers bisher als einen bildnerisch überzeugenden Syntheseversuch dieser beiden Kultu-ren ansehen: Kunst und Technik. Es spiegelt das freie Spiel von Farben, Formen, Raum und Zeit im Apparat eines Mediums, das sich diesen Ambitionen vielfach widersetzt.

Frühe Arbeiten, so die „Mechano optischen Untersuchungen“ von 1965 bis etwa 1972 legen davon ebenso Zeugnis ab wie die Arbeiten der Werkgruppe „Lichtmalerei“, die nur noch mit Zeitdaten betitelt sind, wie bei einer Registratur oder dem Dokument in einem Archiv. Schon diese Titel bedeuten eine Absage an jede metaphysische Überhöhung und Verklärung seiner Kunst durch den Künstler selbst. Er inszeniert eine Bildwelt, die es so bis dahin nicht gab, und er verwirklicht die Idee, aus dem Fotoprozess selbst heraus ein Bild der Zeit zu schöpfen. So entstanden seine Ikonen, die latent in seinem Medium zu ruhen schienen - in einem System aus Optik und Chemie, aus Mechanik und technischen Arbeitsabläufen -, bis jemand sie ans Tageslicht hob. Holzhäuser ist auf der ständigen Suche nach diesem laten-ten Bild der Zeit durch eine Fotografie, die sich nicht damit zufrieden gibt, die Welt, wie sie ist oder wie sie erscheint, abzubilden oder darzustellen. Seine Fotos wollen nicht sichtbar machen, sondern sichtbar sein. Damit geht der Künstler bewusst auf die Wurzeln und Fundamente seines Mediums zurück, er sucht das Elementare in einer Welt, in der das Flüchtige zum Alptraum wird. Frühere Bindungen eines Kunstwerks an Ort und Zeit seiner Entstehung sind durch Reproduzierbarkeit und massenhafte Verbreitung aufgehoben. Die Globalisierung hat hier längst stattge-funden. Fotografie fördert diesen Prozess eher als dass sie ihn stoppt. Aber sie bietet auch die Chance, das Spiel mit zu spielen und dennoch authentische Bilder der Gegenwart zu entwerfen, Zeichen, die dem individuellen und kollektiven Bewusstsein Halt geben. Holzhäusers Arbeit fixiert das Flüchtige auf eigene Art. Er arbeitet im Dunkeln. Aber sein Medium ist das Licht. [12]

Karl-Martin Holzhäuzer

Serie 3, 1969/1975Mechano optische UntersuchungenSilbergelatine-Barytpapierabzug52 x 42 cmEd. 2/2

Serie 4, 1969/1975Mechano optische UntersuchungenSilbergelatine-Barytpapierabzug50 x 40 cmEd. 2/5

Karl-Martin Holzhäuzer

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Lichtmalerei. 88.25.2001Unikatbelichtung auf PE-Colorpapier133 x 133 cm

Lichtmalerei. 88.28.2001Unikatbelichtung auf PE-Colorpapier120 x 120 cm

Karl-Martin Holzhäuzer

Lichtmalerei. 180.29.2003Unikatbelichtung auf Silbergelatine-Barytpapier133 x 133 cm

Karl-Martin Holzhäuzer

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Anmerkungen

1 Jäger, Gottfried: Klappentext des Buches Fotografie konkret / Photography Concrete, Hg. Linschinger, Josef, Ritter Verlag: Wien/Klagenfurt, 2007.

2 Textauszug aus Jäger, Gottfried: René Mächler. Konkrete Fotografie, in Gasser, Martin / Fotostiftung Schweiz (Hg.): René Mächler. Am Nullpunkt der Fotografie, Niggli Verlag: Sulgen/Zürich, 2006, S. 179–192, hier S. 180–182.

3 Ebd., S. 190–191.

4 Textauszug: Pressemitteilung der Ausstellung: „Der Alchimist. Heinz Hajek-Halke. Licht-grafisches Spätwerk“ in der Akademie der Künste, Berlin, 2012.

5 Textauszug: „Herbert W. Franke - Wanderer zwischen den Welten“. In ZKM / Medienmu-seum. Stand: Oktober 2014. http://on1.zkm.de/zkm/stories/storyReader$7195 (abgeru-fen am 14. September 2014).

6 Textauszug: „Roger Humbert“. In Rappaz Museum. Stand: Januar 2014. http://www.rappazmuseum.ch/Humbert.html (abgerufen am 15. September 2014).

7 Textauszug: Reese, Beate. „Zur Stellung und Bedeutung von Fotografie in der Konkre-ten Kunst“. In Jäger, Gottfried / Krauss, Rolf H. / Reese, Beate: Concrete Photography - Konkrete Fotografie, Kerber Verlag: Bielefeld, 2005. Auch: http://www.wuerzburg.de/media/www.wuerzburg.de/org/med_19023/200371_beate_reese_konkrete_fotografie.pdf

8 Textauszug: „Killian Breier“. In Wikipedia. Stand: 19. September 2012. http://de.wikipe-dia.org/wiki/Kilian_Breier. (abgerufen am 16. September 2014).

9 Textauszug: Jäger, Gottfried: René Mächler. Konkrete Fotografie, in Gasser, Martin / Fotostiftung Schweiz (Hg.): René Mächler. Am Nullpunkt der Fotografie, Niggli Verlag: Sulgen/Zürich, 2006, S. 179–192, hier S. 190.

10 Textauszug: Reese, Beate: „Zur Stellung und Bedeutung von Fotografie in der Konkre-ten Kunst“. In Jäger, Gottfried / Krauss, Rolf H. / Reese, Beate: Concrete Photography - Konkrete Fotografie, Kerber Verlag: Bielefeld, 2005. Auch: http://www.wuerzburg.de/media/www.wuerzburg.de/org/med_19023/200371_beate_reese_konkrete_fotografie.pdf

11 Textauszug: „Der Künstler und Wissenschaftler Prof. Dr. Gottfried Jäger erhält den Kulturpreis 2014 der Deutschen Gesellschaft für Photographie“. In Deutsche Gesellschaft für Photographie. Stand: Januar 2014. http://www.dgph.de/sites/default/files/content/presse_news/pressemitteilungen/20140107/pm_2014.01_kulturpreis_jaeger.pdf (abgeru-fen am 15. September 2014).

12 Textauszug: Jäger, Gottfried: „Mit Licht“. In Karl Martin-Holzhäuser. http://www.kmholz-haeuser.com/texte/nav_de_texte.html (abgerufen am 16. September 2014).

Impressum

Konkrete und Generative Fotografie 1960 – 2014Teil I: Die Pioniere

Katalog zur Ausstellung in der Photo Edition Berlin 18.10. – 20.12.2014

Kuratoren / HerausgeberGunther Dietrich, Tomás Rodríguez

Wissenschaftliche BeratungProf. Dr. Gottfried Jäger

GestaltungTomás Rodríguez

Video:Bernd Böhlendorf

Fotonachweis© Die Künstler

Texte© Die Autoren

Auflage500 Exemplare

© Photo Edition BerlinGalerie und Verlag für FotografieYstaderstr. 14a10437 BerlinDeutschlandTel. +49 30 4171 7831www.photoeditionberlin.com

Berlin, 2014

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