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Konstantin Simonow DIE GELIEBTE GESTALT Aus dem Roman "Tage und Nächte" Mit dem Namen Stalin sind alle Errungenschaften der sozialistischen Gesellschaft, alle lichten Hoffnungen der Menschheit unlöslich verknüpft. In Stalin verkörpern sich Volksweisheit, revolutionäre Entschlossenheit und Unversöhnlichkeit gegenüber dem Feind, unbegrenzter Mut und Helden- tum. In Stalin vereinen sich der Theoretiker, der überragende Staatsmann von neuem Typus, der geniale Feldherr. Unwiderstehlich zieht seine Ge- stalt die Meister des Wortes an: Dichter, Prosaiker, Dramatiker und Dreh- buchautoren. / Stalins Gestalt ist in den Werken der Sowjetliteratur selbst dann gegen- wärtig, wenn der große Lenker der Gescbuke der Sowjetunion nicht persön- lich in die Handlung eingreift. Von ihm sprechen die Helden der Bücher, sein Vorbild beseelt die Menschen im Leben und Schaffen. Bauern entlegener Kollektivwirtschaften, Arbeiter, Kinder, Menschen jeglichen Alters und Be- . rujs gehen in entscheidenden Augenblicken ihres Lebens Stalin um Rat an. Mit Stalins Namen auf den Lippen gingen die Sowjetkrieger in den Kampf, um die Heimat zu verteidigen. Es ist bemerkenswert, daß uns in den Werken der schönen Literatur Stalins Gest~lt vor allem in den schwierigsten Momenten, an markanten Wendepunkten der Geschichte des sozialistischen Staates entgegentritt, wo sich seine gigantische Willenskraft und seine Weisheit am anschaulichsten offenbaren (Sowjetliteratur 1950/51, S. 158 f.). Auch in dem Roman "Tage und Nächte", der von der eisernen Ver- teidigung Stalingrads durch die Sowjettruppen berichtet, erscheint am Höhe- punkt des Geschehens die Gestalt Stalins. Im Keller einer der Häuserruinen hören der Hauptmann Saburow und der PolitkommissarW anin die histo- rische Rede Stalins vom 6. November 1942. Im Augenblick der schwersten Bedrängnis kündigt sich ihnen die Wende an, die kurze Zeit darauf mit der großen sowjetischen Offensive im Raum von Stalingrad Wirklichkeit wurde und die das Wort "Stalingrad" zum ewigen Symbol der Hoffnung auf den Steg der gerechten Sache machte. 343

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Konstantin Simonow

DIE GELIEBTE GESTALT

Aus dem Roman "Tage und Nächte"

Mit dem Namen Stalin sind alle Errungenschaften der sozialistischenGesellschaft, alle lichten Hoffnungen der Menschheit unlöslich verknüpft.In Stalin verkörpern sich Volksweisheit, revolutionäre Entschlossenheit undUnversöhnlichkeit gegenüber dem Feind, unbegrenzter Mut und Helden-tum. In Stalin vereinen sich der Theoretiker, der überragende Staatsmannvon neuem Typus, der geniale Feldherr. Unwiderstehlich zieht seine Ge-stalt die Meister des Wortes an: Dichter, Prosaiker, Dramatiker und Dreh-buchautoren. /

Stalins Gestalt ist in den Werken der Sowjetliteratur selbst dann gegen-wärtig, wenn der große Lenker der Gescbuke der Sowjetunion nicht persön-lich in die Handlung eingreift. Von ihm sprechen die Helden der Bücher,sein Vorbild beseelt die Menschen im Leben und Schaffen. Bauern entlegenerKollektivwirtschaften, Arbeiter, Kinder, Menschen jeglichen Alters und Be- .rujs gehen in entscheidenden Augenblicken ihres Lebens Stalin um Rat an.Mit Stalins Namen auf den Lippen gingen die Sowjetkrieger in den Kampf,um die Heimat zu verteidigen.

Es ist bemerkenswert, daß uns in den Werken der schönen LiteraturStalins Gest~lt vor allem in den schwierigsten Momenten, an markantenWendepunkten der Geschichte des sozialistischen Staates entgegentritt, wosich seine gigantische Willenskraft und seine Weisheit am anschaulichstenoffenbaren (Sowjetliteratur 1950/51, S. 158 f.).

Auch in dem Roman "Tage und Nächte", der von der eisernen Ver-teidigung Stalingrads durch die Sowjettruppen berichtet, erscheint am Höhe-punkt des Geschehens die Gestalt Stalins. Im Keller einer der Häuserruinenhören der Hauptmann Saburow und der PolitkommissarW anin die histo-rische Rede Stalins vom 6. November 1942. Im Augenblick der schwerstenBedrängnis kündigt sich ihnen die Wende an, die kurze Zeit darauf mit dergroßen sowjetischen Offensive im Raum von Stalingrad Wirklichkeit wurdeund die das Wort "Stalingrad" zum ewigen Symbol der Hoffnung auf denSteg der gerechten Sache machte.

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Beide schwiegen eine Weile."Willst du Tee?" fragte Wanin.,~Ist denn welcher da?"Saburow hatte die Vorstellung, daß es nach allem eben Erlebten über-

haupt nichts Normales, Gewohntes mehr geben konnte."Natürlich", sagte Wanin. "Aber wahrscheinlidi schon kalt.""MaCht nichts."Wanin nahm den Teekessel vom Fußboden und goß beiden die Becher

voll."Oder lieber Wodka?""Wodka? Gut, schenk ein!"Wanin goß den Tee in den Kessel zurück und schenkte beiden je einen

halben Becher Wodka ein. Saburow leerte den seinen fast gleichgültig, ineinem Zug. Der Branntwein' hatte jetzt für ihn überhaupt keinen Geschmack,sondern war einfach eine Medizin gegen die Müdigkeit. Dann griff Waninwieder nach dem Teekessel. Langsam tranken sie den kalten Tee. Zu einemGespräch waren sie nicht aufgelegt. Beide wußten, daß sich heute etwas er-eignet hatte, wovon man in den Frontberichten vielleicht schreiben würde:"Am Soundsovielten hat sich die Lage wesentlich verschlechtert", oder ohne"wesentlich" ein{ach: "verschlechtert". Sie schwiegen auch noch, als sie ihrenTee ausgetrunken hatten. Ober Befehle für morgen zu sprechen, war es nochzu früh, und über den heutigen Tag, über das, was schon gewesen und ver-gangen war, hatten sie beide keine Lust zu reden.

"Willst du Radio hören?" fragte Wanin .."Meinetwegen. "Wanin setzte sich in die Ecke und begann, den alten, altersschwadien

Empfänger einzustellen. Zuerst ertönte ferne Musik, aber nach fünf Minutenwar sie zu Ende. Wanin drehte wieder am Empfänger. Im Kther herrschteSchweigen. Dann hörten sie Bruchstücke einer bulgarischen oder jugoslawi-schen Sendung. Es waren bekannt anmutende, dem Russischen ähnliche unddoch unverständliche Worte.

"Ich kriege nichts rein", sagte W anin. "Totenstille.""Stell doch Moskau ein!" sagte Saburow.Wanin drehte am Knopf und stellte den Zeiger auf den Strich, wo "Mos-

kau" stand. Beide lauschten.·"Auch Moskau schweigt.""Das kann nidir sein.""Doch."

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Plötzlich ertönte aus dem Empfänger die laute Stimme eines Menschen,dem man seine Erregung anmerkte.

"Die Sitzung des Moskauer Deputierten-Sowjets mit den Partei- undSowjetorganisationen ist eröffnet. Das Wort zur Berichterstattung hatGenosse Stalin."

Dann hörten sie fast zwei Minuten lang Beifallklatschen."Ist denn heute der 6. November?" wunderte sich Saburow."Wie du siehst!""Weiß der Teufel, mir ist heute alles durcheinandergekommen. Seit dem

Morgen dachte ich, daß heute der 5. ist.""Wieso· denn der 5.?" fragte Wanin. "Heute ist der 6., und alles

verläuft genauso wie jedes Jahr. Kein einziges Jahr ist der Bericht aus-gefallen. Auch voriges Jahr nicht."

"Voriges Jahr habe ich ihn nicht gehört. Damals lag ich im Schützen-graben." .

"Aber ich hab' ihn gehört", sagte Wanin. "Damals führten wir hier nochein friedliches Leben. Machten uns Sorgen um die Moskauer. Standen hiervor den Lautsprechern und hörten zu."

"Ja, damals habt ihr euch um die Moskauer gesorgt, und jetzt sorgensie sich um uns", sagte Saburow nachdenklich und dachte an Stalins ersteRede im Krieg, die er am Tage vor seiner Abfahrt an die Front in seinemMoskauer Junggesellenzimmer gehört hatte.

"An euch wende ich mich, meine Freunde", sagte Stalin damals, im Juli,mit einer Stimme, die Saburow im Innersten ergriffen hatte.

In dieser wie immer festen Stimme schwang einTon mit, andemSaburowspürte, daß dem Manne am Mikrophon das Herz blutete. Das war eineRede gewesen, an die er sich später im Krieg fast immer in den Augenblickender höchsten Gefahr erinnerte, wobei er nicht einmal an die Worte und Sätze,sondern an den Tonfall der Stimme dachte und an das Glucksen des Wassers,das in den langen Pausen zwischen den Sätzen in ein Glas gegossen wurde.Und obwohl er an jenem Morgen allein vor seinem Lautsprecher gestandenhatte, schien es ihm später immer, er habe gerade damals, als er dieser Redezuhörte, den Schwur abgelegt, in diesem Krieg alles, was in seinen Kräftenlag, zu tun. Er fühlte, daß es Stalin schwer ums Herz war, daß er abergleichzeitig fest entschlossen war zu siegen. Und das entsprach durchaus denEmpfindungen Saburows, denn auch ihm war es damals schwer ums Herz,und auch er hatte damals beschlossen, um jeden Preis zu siegen.

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Mit auffallender Deutlichkeit und in allen Einzelheiten erinnerte sichSaburow plötzlich an alles, was er in jenem Augenblick erlebt hatte undspäter nie mehr vergessen konnte.

Währenddessen hielt der Beifall an. Saburow rückte dicht an den Apparat.Ihn interessierte jetzt nicht nur, was Stalin sagen würde, sondern auch, wieer es sagen würde. Der Beifall nahm noch immer kein Ende. Er war so laut,daß es Saburow einen Moment lang schien, alles spiele sich hier im Unter-stand ab. Und dann hörte man im Lautsprecher nach einem Räuspern eiieruhige und darum besonders deutlich erscheinende Stimme Stalins: "Ge-nossen ... "

Stalin sprach über den Verlauf des Krieges, über die Ursachen unsererMißerfolge, über die Zahl der gegen uns eingesetzten deutschen Divisionen,aber Saburow ging zunächst gar nicht dem Sinn der Worte nach, sondernlauschte auf den Tonfall der Stimme. Plötzlich wollte er brennend gern wis-sen, wie es Stalin jetzt zumute und in welcher Stimmung er sei, wie er jetztüberhaupt wäre und wie er aussähe. Er suchte in der Stimme den Klang,den er in jener anderen Rede im Juli 1941 gehört hatte. Aber jetzt war derTonfaHein anderer. Stalin sprach langsamer als damals, seine Stimme wartiefer und ruhiger. Am Ende der Rede, als sich Saburow innerlich schon be-ruhigt hatte, als er spürte, daß sowohl Stalins Art zu sprechen, als auchdie Stimme, mit der er sprach, ihn, Saburow, ohne daß ihm der Grundklar war, mit einer ungewohnten Ruhe erfüllte, hörte er besonders deutlicheinen der letzten Sätze:

"Unsere zweite Aufgabe besteht eben darin, die Hitlerarmee und ihreFiihrer zu vernichten", sagte Stalin langsam, ohne einzelne Worte hervor-zuheben, und machte danach eine Pause, in der wieder. lauter Beifall ertönte.

Wanin und Saburow saßen lange schweigend am Lautsprecher.Das, was Saburow eben gehört hatte, schien ihm unerhört wichtig zu sein.

Er stellte sich vor, diese Stimme wäre nicht erst jetzt in der Kampfpauseertönt, sondern eine Stunde früher, als er neben Maslennikow in dem nochanhaltenden höllischen Getöse des Angriffs stand. Und als er sich das vor-stellte, da schien ihm die ruhige Stimme, die er am Lautsprecher gehört hatte,erstaunlich. Der da gesprochen hatte, wußte doch alles, was hier vorging,und doch war seine Stimme ruhig, vollkommen ruhig gewesen: Wenn er,Saburow, oder Maslennikow oder Wanin in den schwersten Augenblickenplötzlich sagten: "Macht nichts, wir werden .uns schon raushauen", sospra-chen sie über das Bataillon und hatten für ihre Worte schließlich nur mitfünfhundert Quadratmeter Raum und zweihundert Menschenleben ein-zustehen. Er aber sprach vom künftigen Sieg und dachte dabei an Millionen

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Quadratkilometer und an Millionen Menschenleben, und doch sprach erruhig und entschieden davon, wie jemand, der keinen Augenblick daran

. zweifelt.' .»So ist es auch: Schließlich und endlich werden wir sie doch besiegen."Saburow Sagte das unwillkürlich laut, und als er merkte, daß Wanin es

gehört' hatte und ihn ansah, wiederholte er: »So ist es doch? Nicht, Wanin?"!,So ist es", bestätigte Wanin.

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Konstantin Sim@now .

DREIPUNKTE

An den Genossen ... , New York

Mein namenloser Freund, wie geht es Ihnenjenseits der Freiheitsstatue? Wer bewachtSie Schritt für Schritt bei Tag und bei Nacht?. .

Nur weil Sie nicht der Macht des Mammons dienen?

In welcher Liste stehen Sie bereits?Wer wagt, Sie einen Feind des·Volks zu nennen,den Weltkriegsveteranen, der ein Kreuzbekommen für die Schlacht in den Ardennen?

Wo wohnen Sie? Noch immer in New York?Was macht die Arbeit? Schreitet fort, gedeiht?Treibt Sie vielleicht die Arbeitslosigkeit'von Stadt zu Stadt wie Wasser ein Stück Kork?

Wenn Sie telefonieren, welcher Wichtlauscht voller Neugier an der Türe stetsund schreibt dann einen sternigen Berichtan alle Sterne der United Stares?

Vielleicht umgibt Sie heute ein Gefängnis,und Ihre Mutter schweigt in Einsamkeit.Kein Brief. Kein Betteln. Nichts, was flüs}ert, schreit.Der roten Mütter bitteres Verhängnis.

So viele Fragen, die Sie nicht erreichen,die mich umkreisen, unsre Freundschafl preisend!Nicht wahr, Sie senden mir ein Lebenszeichen,wenn Sie am Leben sind, wenn Sie noch frei sind?

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...•Wie dumm; iclt dacht' an die Taubenpost!

. Ersinnen. Sie was andres, schicken Sie,.ein Buch, das unterstrich ne Wörtchen "free"gibt mir nach vielen bangen 'tagen Trost:

Allein der Fakt, daß Sie in Moskau einenBek~nnten haben, reicht für die Gemeindeunsrer erbitterten New Yorker Feinde,um Sie mit dreisten Lügen zu umzäunen.

Daß wir Kommune sind, weiß jedermann,daß sie Faschisten sind, weiß jedermann,und auch, wie sie den Frieden hintertreiben,doch dem Geheimnislosen geht mein Wu·nsch voran:Ihr Name, Freund, muß noch Geheimnis bleiben.

Der Feind kennt ihn trotz aller Neugier nicht.Er klafft wie eine Lücke in der Hetze,allein schon deshalb, weil ich im Gedichtan dessen Stelle nur drei Punkte setze.

Ich weiß, wie Sie New York abgöttisch liebenmit seinen Straßen, Wolkenkratzern, Brücken,so wie es ist, doch gilt Ihr Hauptentzückendem Bild der Stadt, wie Sie es mir beschrieben -

dem Zukunftsbild New Yorks, wie es sich schlichtvor offner Tür der Zeit - nicht der Tresore -in Träumen malt. Geht, öffnet seine Tore,packt endlich zu und macht es lügendicht!

Und wenn es einst vollbracht, dann schickeich Ihnen einen Brief. Anstarr der zahmendrei Punkte' des Gedichts erblickenSie auf dem Umschlag Ihren weltberühmten Namen.

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Konstantin Simonow

WART AUF MICH

Wart auf mich, ich komm' zurück.'aber warte sehr.Warte, wenn der Regen fällt,grau und trüb und schwer.Warte, wenn der Schneesturm tobt,wenn ·der Sommer glüht.Warte, werin die andern längst,längst des Wartens müd.Warte, wenn vom fernen Ortdich kein Brief erreicht.Warte - bis auf Erden nichtsdeinem Warten gleicht.

Wart auf mich, ich komm' zurück,stolz und kalt hör zu,wenn der Besserwisser lehrt:."Zwecklos wartest du!"Wenn die Freunde, Wartens müd,mich betrauern schon,trauernd sich ans Feuer setztMutter, Bruder, Sohn.Wenn sie, mein gedenkend, danntrinken herben Wein.Du nur trink nicht - warte noch·mutig - stark - allein .

.Wart auf mich, ich komm' zurück,. ja, zum Trotz dem Tod,der mich hundert-, tausendfachTag und Nacht bedroht.Für die Freiheit meines Lands,rings umdröhnt, umblitzt,

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kämpfend, fühl' ich, wie im Kampfmich dein Warten schützt.Was am Leben mich erhält,

. weißt nur du und ich:Daß du, so wie niemand sonst,warten kannst auf mich.

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·Konstantin Sirnonow

MEE.TING IN KANADA

Jetzt trat ich vor. Im Saal kein Laut.Als ich auf die Tribüne stieg,gemahnte mich der Saal an Krieg,indem er jenes Schweigen schwieg,worein die erste Salve haut.Wir sind gewarnt: Hier, Mann an Manndrei Reihen vorn im stummen Saal -die warten nur auf das Signal,uns auszupfeifen; der Skandalzeigt uns alsdann den Kriegsfall an.

Jetzt trat ich vor. Und sah sie hier,drei Reihen voll, zwei Schritt vor mir.In Mänteln. Jung,bös, satt und faul.Den Gummiknaul im frechen Maul.Die Hand im Sack. Blank das Gebiß.Und Fuß auf Fuß - Schuhsohlen groß.Der Feind! Er legt sein Antlitz bloß.Ich seh'vden Saal, schwarz, ungewiß,doch das Gesicht der Freunde nicht,wiewohl dort sicher Freunde sindund Menschen, die mir wohlgesinnt.Auf ihre Reihen fällt kein Licht.Oh, daß ihr Blick Leuchtkraft gewann -Blinkfeuer mir und Weggeleit!Drei Reihen hell, dann Dunkelheit,die erste Reihe qualmt mich an.Ihr Haß ist wie ein Feuerstoß,·ich schreite, und mein Wort erschallt -Nun reißt sich meine Rede loszum Sprung und Hieb: da gibt's kein Halt!

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»Rußland, Stalin, Stalingrad!"Drei Reihen vorne lauern stumm,Doch hinten geht ein Raunen um,und eh ich weiß, woher es naht -auf einmal, durch das Schweigen quer,wie Seeflut brandet es daher,wie Bergrutsch, eh ich mich's versah:Der FreundsdiaA: brausendes »Hurra!"

Längst ist die Mitternacht vorbei,doch unser Meeting währt und währt,der Saal steht auf, er singt und gärtund atmet leicht und atmet frei.Drei Reihen vorn sind still und stumm,so stumm und still ist freilich nur,wem Schrecken in die G lieder fuhr;ganz still ... Drei Stunden sind schon um

Der Schluß will nachgetragen sein.Er ist ganz einfach: Jetzt, sooA:man uns mit Krieg zu schrecken hofft,fällt jener Saal mir wieder ein.ober Saal!

Nicht die drei ersten Reihn,

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K o'fl,stantin Simonow DER D EU T SC H E

Auf einer kalten Bühne sangein Deutscher. Er, den sein Germanienbereits zum Tode durch den Strangverurteilt hatte, der in Spanienverwundet wurde, der fünfmalim Buch der Lebenden gestrichenund schon fünfmal dem Tribunalder braunen Peiniger erirwichen ~er, der im blut'gen Dornenkranz .in der Gestapogruft geschmachtet,ward nun als Held des Widerstandsbestaunt, gepriesen und geachtet; .Er sang den Trümmern von Berlin .vom Traum Madrids, von Spaniens Tränen.

Das lange Schweigen war für ihnwie sieben' Jahre Quarantäne.Er wechselte des Leibes Hülle,Ausweise, Kleider, Stirnme., Gang,doch in der Seele dunkler Stilleklang jahrelang derselbe Sang.Der röchelte zuweilen heiserund fieberte auf nacktem Brett, .quoll derber, aber niemals leiser. . .

im Schrrierz auf dem Prokrustesbett.

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Nach langer Zeit erscholl er wiederin diesem Saal, ergrimmt, erbittert.

r Wer ihn erkannte, war erschüttert,doch mancher schlug die Augen nieder.Gehüllt in tiefes Schweigen stander über dem, der ihn geschunden,und legte Freunden still die Handauf Male ihrer alten Wunden.Noch von dem Licht Madrids besonntsah ihn die .deutsche Metropole -mit Lederjacke und Pistoleund zähem Kampfgeist der Rotfront .

.Der Sänger schien nicht nur zu singen,er sang und kämpfte, stark und kühn,und seiner trocknen Lippen Schwingenwar wie des heißen Schlachtwinds Glühn,

Nach dem Konzert sah man uns zwei,mich und den Deutschen, still und müddurch Straßen gehn, wo ich im Maides Jahres fünfundvierzig schritt.In seinen Adern floß mein Blut.Wir gingen durch die tote Stadt,die gestern unser Fluch zertrat,die heute Asche war und Schutt.Glaubt's mir, wir grämen uns zu zwein,daß er, gefangen und bezwungen,im Jahre dreiunddreißig seinBerlin nicht freigesungen.

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Konstantin Simonow

DER TIGER

Aus der Gedichtsammlung "Freurtde und Feinde"

Heut fiel mir San Franzisko 'ein, der Festsaal,im Wolkenkratzer oben das Bankett;

,derzugestecktt Zettel dann beim Festmahl:'daß ich dem Nachbar nicht zu trauen hätt.

Der Mann besaß drei Zeitungen am Ort -ein Tiger; derb verkleidet stak der vollePelz leib im Flaumgewand aus rau her Wolle,rötlich gestreift, doch kroch in einem fortsein Fell hervor, die glanzgewichste Mähne,und blank das Lächeln seiner Tigerzähne,goldzottig auch die Pranke wohl mit allenfünf sorgsam manikürten Tigerkrallen.

Er sprach mit mir. Es war ein Konversieren;das, lang und nüchtern, außen sicherlichjener Verpackung scharfer Klingen glich,die man erst jeweils aufreißt vorm Rasieren.Wie standhaft er des ganzen Abends Dauerdie Messerehen verbarg im Höflich-Dunkeln:das war kaum Nüchternheit, vielmehr die La~ervorm Raubtiersprung in seinen Zeitungs-Dschungeln.

Die Wittrung hatte ihn. Auf weicher Pfotefolgt er dem Fremdgeruch, ihn lockt das Rote! .üb katzenhafl auch sein Gespräch in Kreisenden scharfen Ecken auswich gleisnerisch, -zwei Feinde, standen wir dann auf vom Tisch,wie wir als Feinde uns gesetzt zum Speisen.

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Und dennoch: denk ich heute, übers Jahr,an jene ziemlich fade Tafelrunde,so ist's vielleicht, weil ich vor jener Stundeder Zeuge einer letzten Runde war: -.:.das Raubgetier vor menschlichem Gericht!Gefaßt, entlarvt als blutiger Betrüger,verschwand im Käfig manch berühmter Tiger,die Giftampulle im Gebiß ... Mein Wichtwar frisch und frech, das junge Fell geleckt,So waren sie wohl alle, die Adepten,als sie den Reichstag selber angestecktund dann Dirnirroff vor den Richter schleppten.

Der Reichstag brennt, er brennt in übe~~ee!Mein Tischnachbar hat ihn mit angezündet.Je höher ich die Flamme züngeln sah,je öfter wird sein Name mitverkündet.Einst wird das Tribunal der Völker tagen,erbarmungslos vergelten jenen Brand.Dann will ich, meinen Kerl erkennend, sagen:"Den hab ich noch in Saft und Kraft gekannt!"

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