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Kooperation als Chance Mit Genossenschaften die Zukunft gestalten

Kooperation als Chance - Die Genossenschaften ... Zu allen Zeiten haben Menschen kooperiert, um gemein-same Ziele zu erreichen. Vorläufer der Genossenschaften kennt man seit dem Altertum

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Kooperation als ChanceMit Genossenschaften die Zukunft gestalten

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2Erfolgsmodell seit über 140 Jahren: 1868 schlossen sich 18 Weinbauern in Mayschoß

an der Ahr zum Mayschosser Winzerverein zusammen. Heute rangiert die weltweit älteste Winzergenossenschaft weit vorn unter den deutschen Top-Weingütern.

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Grußwort des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung 4

Vorwort des DGRV 6

Selbsthilfe heißt initiativ werden 8

Lateinamerika: Den ländlichen Raum erschließen 12

Brasilien: Wie Roberio und Gilberto die Bank retteten 13

Paraguay: Finanzdienstleistungen für Kleinunternehmer und Landwirte 14

Netzwerke: Know-how-Transfer über Ländergrenzen 15

Mittelamerika: Genossenschaften sind Motor der Entwicklung 16

Weltweites Engagement des DGRV 18

Südafrika: Die Näherinnen von Nokaneng 20

Südostasien: Vertrauen aufbauen 22

Laos: Unterstützung beim Neuanfang 23

Kambodscha: Wenn Genossenschaften den Kinderschuhen entwachsen 24

Vietnam: Von der Zwangskooperative zum Dienstleister 25

Türkei: Zukunft durch Kooperation 26

Bosnien-Herzegowina: Es ist gut, wenn Genossenschaften Käse machen 28

Ukraine: Regulierung und ein starkes Verbundsystem ebnen den Weg 30

Nicht nur im Ausland aktiv 31

Genossenschaften in Deutschland 32

Brücke zum Markt 33

Inhalt

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Grußwort

Zentrales Ziel unserer Entwicklungspolitik ist es, für die gesamtgesellschaftliche Aufgabe „Förderung einer nach-haltigen Entwicklung weltweit“ auch alle dafür notwen-digen gesellschaftlichen Kräfte zu mobilisieren – sowohl bei uns im eigenen Land als auch in unseren Partnerlän-dern. Denn wirkliche Veränderungen kommen immer aus der Mitte der Gesellschaft. Kein Staat kann die Herausfor-derungen der eigenen Entwicklung alleine bewältigen.

Die nachhaltige Bekämpfung von Armut und Strukturdefiziten im Sinne der Millenniumserklärung der Vereinten Nationen, die Stärkung guter Regierungsführung, der Eigenverantwor-tung und Selbsthilfekräfte in Entwicklungsländern erfordern eine intensive Einbindung und Unterstützung aller in der Ent-wicklungsarbeit Tätigen, die Mobilisierung von Engagement möglichst vieler Bürgerinnen und Bürger, die Stärkung zivilge-sellschaftlicher Initiativen – und auch eine enge Kooperation mit der deutschen Privatwirtschaft. Denn ohne eine starke Zi-vilgesellschaft gibt es keine Freiheit. Ohne Freiheit gibt es kei-ne starke Wirtschaft. Und ohne eine starke Wirtschaft gibt es keine Armutsreduzierung. Aber die steht im Mittelpunkt der Arbeit des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammen-arbeit und Entwicklung (BMZ): Wir wollen Armut und ihre Ur-sachen nachhaltig bekämpfen und das Selbsthilfepotenzial der Menschen mobilisieren und stärken. Und weil es keine nachhaltige Entwicklung ohne eine breitenwirksame wirt-schaftliche Entwicklung gibt, wollen wir die Wirtschaft deut-lich stärker als bisher zur Erreichung dieser Ziele mit einbezie-hen. Daher fördern wir gesellschaftlich verantwortungsvolle Unternehmensführung und Entwicklungspartnerschaften mit der Wirtschaft – und auch den Deutschen Genossenschafts- und Raiffeisenverband (DGRV).

Mit ihrer über 160-jährigen Geschichte gehören die Genossen-schaftsbanken, die landwirtschaftlichen Genossenschaften so-wie die Handwerks- und Handelsgenossenschaften zum deut-schen Wirtschaftsfundament. In Deutschland ist jeder vierte Bürger Mitglied einer Genossenschaft. Sie sind deshalb ein sub-stanzieller Bestandteil unserer Wirtschaftsstruktur – eben „Wirtschaften aus der Mitte der Gesellschaft“ heraus.

Das BMZ ist mit seinen gerade 50 Jahren zwar weitaus jünger, aber bereits seit den 60er-Jahren ein entwicklungspolitischer Partner und Förderer des Genossenschaftswesens weltweit: Es unterstützt die Vorhaben des Deutschen Genossenschafts- und Raiffeisenverbandes in den Partnerländern. Denn mit der För-derung der unternehmerisch ausgerichteten und genossen-schaftlich organisierten Selbsthilfe trägt der DGRV zum Auf-bau von nachhaltigen Wirtschaftsstrukturen, zur Sicherung des sozialen Friedens und zur Bekämpfung der weltweiten Armut bei – und damit zugleich zur Entstehung stabilerer Gesell-schaftsstrukturen.

Grußwort des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Dirk Niebel

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Aufbauend auf diesem Erfolgsmodell haben sich die Genossen-schaften auf der Basis der Ideen von Friedrich Wilhelm Raiffei-sen und Hermann Schulze-Delitzsch zu einem wichtigen deut-schen Exportgut entwickelt – mit einer Besonderheit, die sie auch international interessant macht: Die Mitglieder sind zu-gleich Kapitaleigentümer und Kunde – Genossenschaften set-zen also auf partizipative Wirtschaftsstrukturen. Auch in der Fi-nanzkrise erwies sich das als Vorteil, die Genossenschaften wa-ren hier ein stabilisierender Faktor.

Durch die Förderung von mitgliedergetragenen Bezugs-, Pro-duktions-, Absatz- sowie von Spar- und Kreditgenossenschaften werden die Menschen in die Lage versetzt, ihr eigenes Einkom-men zu erwirtschaften und damit ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Das Sparen in Genossenschaften und die Ver-gabe von Krediten ist eine weltweite Erfolgsgeschichte – auch für die Entwicklungszusammenarbeit. Kein Wunder also, dass die Vereinten Nationen 2012 zum Jahr der Genossenschaften erklärt haben.

Aus Sicht des BMZ sind hierbei insbesondere zwei Aspekte von Relevanz:

• Die Förderung des Zugangs zu finanziellen Ressourcen durch Spar- und Kreditgenossenschaften sowie die Förderung des Zu-gangs zu realen Märkten

• und die hiermit verbundene Stärkung der Selbsthilfekapazi-täten der Zivilgesellschaft sowie Verbesserung der sozialen Strukturen.

Für uns ist hierbei wichtig: Genossenschaften sind Teil der Wirt-schaft und der Zivilgesellschaft, sie handeln unternehmerisch und orientieren sich an marktbasierten Prinzipien. Mit seinem Mehrebenen-Ansatz zur Entwicklung genossenschaftlicher Strukturen setzt der DGRV diesen Anspruch vorbildlich um. Und durch die Stärkung lokaler Initiativen und die zielgruppennnahe Erbringung von Dienstleistungen trägt seine Arbeit ganz we-sentlich zur Entwicklung eines Landes bei.

Für das BMZ ist dies ein anschauliches Beispiel und eine konkre-te Form der „Hilfe zur Selbsthilfe“ und verdeutlicht einmal mehr unser gemeinsames Ziel: Das Selbsthilfepotenzial der Menschen zu stärken und die weltweite Armut zu mindern. Für diese Arbeit wünsche ich dem DGRV weiterhin viel Kraft, Ausdauer und Er-folg – für seine aktuellen und seine zukünftigen Projekte.

Ihr

Dirk NiebelBundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung

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Vorwort

Der DGRV – Deutscher Genossenschafts- und Raiffeisen-verband e.V. fördert in vielen Ländern den Aufbau und die Entwicklung genossenschaftlicher Systeme in enger Zu-sammenarbeit mit unseren nationalen Fachverbänden und der gesamten genossenschaftlichen Organisation. Damit leistet er einen Beitrag zur Entwicklung und Armutsredu-zierung in den Partnerländern und stärkt das entwicklungs-politische Engagement der Bundesrepublik Deutschland.

Dem genossenschaftlichen Subsidiaritätsprinzip entsprechend wird der Ansatz der „Hilfe zur Selbsthilfe“ verfolgt. Denn nur, wenn die Menschen selbst die Verantwortung übernehmen, können selbsttragende unternehmerisch ausgerichtete Koope-rationen und Netzwerke eine nachhaltige Entwicklung auf loka-ler, regionaler und nationaler Ebene sichern.

Die Vereinten Nationen würdigen den Beitrag von Genossen-schaften zur wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung und zur Sicherung der Lebensgrundlagen für einen großen Teil der Welt-bevölkerung, indem sie 2012 zum Internationalen Jahr der Ge-nossenschaften erklärt haben. Als wichtiger Teil unserer Wirt-schaft und unserer Gesellschaft sehen wir es in der Nachfolge unserer Genossenschaftspioniere als Verpflichtung an, gemein-sam mit unseren Partnern in den Projektländern die Herausfor-derungen der Globalisierung und der Sozialstrukturentwicklung anzugehen. Genossenschaftliche Selbsthilfeorganisationen sind ursprünglich aus Notsituationen und dem Bedürfnis heraus ent-standen, gemeinschaftlich die wirtschaftliche Position des Ein-zelnen zu stärken. Friedrich Wilhelm Raiffeisen und Hermann

Schulze-Delitzsch haben ab der Mitte des 19. Jahrhunderts mit ihrer Idee der genossenschaftlichen Selbsthilfe die Grundlage für unternehmerisch orientierte und dauerhaft bestehende Ge-nossenschaften gelegt.

Seitdem ist die Bedeutung von wirtschaftlicher Kooperation ste-tig gewachsen und gewinnt angesichts der fortschreitenden Globalisierung in allen Weltregionen zusätzlich an Gewicht. Schon lange unterstützen die deutschen Genossenschaften ge-nossenschaftliche Initiativen in anderen Ländern und kooperie-ren mit diesen. Die genossenschaftliche Unternehmensform ist heute so modern wie je und hat nichts von ihrer Anziehungs-kraft verloren. In Deutschland nutzen über 20 Millionen Mit-glieder und ein Vielfaches an Kunden die Dienstleistungen von Genossenschaften. Unsere Herausforderung ist es, die genos-senschaftlichen Strukturen den sich ständig wandelnden wirt-schaftlichen Rahmenbedingungen anzupassen und ihre unter-nehmerische Nachhaltigkeit zu sichern.

Kooperation muss den Menschen die Vorteile bringen, die sie alleine nicht erzielen könnten. Genossenschaften basieren auf den Prinzipien der Selbsthilfe, Selbstverantwortung und Selbst-verwaltung. Die wirtschaftliche Förderung der Mitglieder muss aus eigener Kraft gelingen und darf nicht auf die Unterstützung durch Dritte oder den Staat angewiesen sein. Dessen Aufgabe ist es, die ordnungspolitischen und rechtlichen Rahmenbedin-gungen zu schaffen und zu sichern, damit Genossenschaften zur Zukunftssicherung der Menschen in den einzelnen Ländern bei-tragen können.

Dirk LehnhoffMitglied des Vorstands des DGRV

Wilfried HollmannPräsident des Mittelstands- verbundes – ZGV e.V.

Manfred NüsselPräsident des Deutschen Raiffeisenverbandes e.V.

Uwe FröhlichPräsident des Bundesverbandes der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken e.V.

Dr. Eckhard OttVorstandsvorsitzender des DGRV

Vorwort des DGRV

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Die in dieser Broschüre vorgestellten internationalen Projekte des DGRV werden von der Abteilung Interna tionale Beziehungen betreut. Dieses Team arbeitet in Bonn und in mehr als 20 Ländern für den Aufbau und die Stärkung genossenschaftlicher Strukturen. Es bringt Erfahrungen und Kenntnisse aus den verschiedenen Bereichen der Genossen-schaftsförderung und aus unterschiedlichen Regionen mit.

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Selbsthilfe heißt initiativ werden

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Zu allen Zeiten haben Menschen kooperiert, um gemein-same Ziele zu erreichen. Vorläufer der Genossenschaften kennt man seit dem Altertum. Bereits im Mittelalter gab es Deichgenossenschaften, Bergarbeiter schlossen sich in Knappschaften zusammen und Bauern in Wald- oder Land-nutzungsgenossenschaften. Bis heute finden sich in allen Weltregionen verschiedene Formen der Kooperation. In über 100 Ländern sind 800 Millionen Menschen Mitglied in Genossenschaften, die schätzungsweise 100 Millionen Arbeitsplätze zur Verfügung stellen.

Wie alles anfingDie Wurzeln des modernen Genossenschaftswesens liegen im vorletzten Jahrhundert in Deutschland. Nach den Sozialreformen (zum Beispiel Bauernbefreiung und Gewerbefreiheit) sind die Bauern und Handwerker Anfang des 19. Jahrhunderts zwar be-freit, doch den meisten fehlen unternehmerische Kenntnisse und Kapital. Kredit bekommen sie nur bei privaten Geldverleihern – gegen Wucherzinsen. So geraten viele in neue Abhängigkeiten, verlieren Haus und Hof und damit ihre wirtschaftliche Existenz.

„Ich kenne eine Gegend, wo es Bauern gibt, die nichts ihr Eigen nennen auf ihrem ganzen Grundstück; vom Bett bis zur Ofengabel gehört alles Mobiliar den Geldverleihern.“Der spätere Reichskanzler Otto von Bismarck 1847 über die Armut der Bauern im Westerwald

Missernten und der „Hungerwinter“ 1846/47 verschärfen die Lage zusätzlich. Um die Not zu lindern, gründet Bürgermeister Friedrich Wilhelm Raiffeisen im Westerwald den „Weyerbuscher Brodverein“. Aus diesem karitativen Hilfsverein heraus entwi-ckelt Raiffeisen die Idee genossenschaftlicher Selbsthilfe. 1864 initiiert er den „Heddesdorfer Darlehnskassenverein“. Hier kön-nen Bauern Sparkonten eröffnen und bekommen Kredit – eine frühe Form von „Mikrofinanzorganisation“.

In Nordsachsen gründet der Richter Hermann Schulze-Delitzsch 1849/50 eine Einkaufsgenossenschaft für Schuster und Tischler und den „Delitzscher Vorschussverein“. Auf Initiative von Schul-ze-Delitzsch bekommen Genossenschaften 1867 mit dem Preu-ßischen Genossenschaftsgesetz erstmals eine rechtliche Basis. Auch das 1889 erlassene, heute noch gültige Genossenschafts-gesetz basiert auf seinen Gedanken und seiner Vorarbeit als Reichstagsabgeordneter.

Diese ersten „Vorschussvereine“ und „Darlehenskassen“ sind die Vorläufer der heutigen Volksbanken und Raiffeisenbanken und Vorbild für Genossenschaftsbanken in aller Welt. Auch in Landwirtschaft, Handel und Gewerbe waren Selbsthilfe, Selbst-verantwortung und Solidarität der Ausgangspunkt der erfolgrei-chen Entwicklung von Genossenschaften als mitgliedergetrage-ne Unternehmen.

Seither haben sich Genossenschaften als anpassungsfähige Un-ternehmensform bewährt. Wichtige Faktoren dieser Erfolgsge-schichte sind ein verlässlicher rechtlicher Rahmen, die Vernet-zung der Genossenschaften, die genossenschaftliche Aus- und Fortbildung und die bereits in den 1880er-Jahren eingeführte Prüfung der Genossenschaften. Bis heute dient diese dazu, die Mitglieder der Genossenschaft vor Vermögensschäden zu schüt-zen und die Genossenschaftsorganisation zu stabilisieren.

Unverändert aktuell Genossenschaften haben wesentlich dazu beigetragen, dass sich in Deutschland dezentrale, regionale Wirtschaftsstrukturen, ein starker Mittelstand und eine effiziente Landwirtschaft entwickelt haben. Bis in die Gegenwart sind Genossenschaften ein wichti-ger und stabiler Faktor unserer Wirtschaft und Zivilgesellschaft. Dies wird gerade in Krisen deutlich. Die Aktualität der Idee von unternehmerisch ausgerichteter, genossenschaftlich organisier-ter Selbsthilfe zeigt sich auch in den rund 600 neuen Genossen-schaften, die allein in den letzten fünf Jahren gegründet wurden.

Engagement für EntwicklungSeit seiner Gründung im Jahr 1972 engagiert sich der DGRV in der Entwicklungszusammenarbeit. Der Wissenstransfer von deutschen Genossenschaften in andere Länder und Regionen der Welt hat aber eine viel längere Tradition. Bereits vor über 100 Jahren hat beispielsweise Japan das deutsche Genossen-schaftsgesetz als Vorbild verwendet. Viele Länder sind diesem Beispiel gefolgt und haben einen rechtlichen Rahmen für Ge-nossenschaften geschaffen.

Friedrich Wilhelm Raiffeisen Hermann Schulze-DelitzschDie Pioniere des modernen Genossenschaftswesens

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In vielen Entwicklungsländern leisten Genossenschaften heute das gleiche wie vor 150 Jahren in Deutschland: Sie er-öffnen Wege aus der Armut aus eigener Kraft.

Internationale Zusammenarbeit ist eine Verpflichtung, der sich die Genossenschaftsorganisation schon immer gestellt hat. Mit der Förderung von Genossenschaften und ihren Netzwerken trägt der DGRV zur wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung und damit zur Bekämpfung der Armut bei.

Kooperation als ChanceMit der Millenniumserklärung im Jahr 2000 haben sich die Mit-gliedstaaten der Vereinten Nationen verbindliche Ziele gesetzt. An erster Stelle steht die Minderung der Armut. Auch Organisa-tionen der Zivilgesellschaft und Unternehmen sind weltweit aufgerufen, darauf hinzuarbeiten.

Es gibt erhebliche Erfolge bei der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung in einigen Ländern. Dennoch lebt ein großer Teil der Weltbevölkerung weiterhin in Armut. Schlechte politische und wirtschaftliche Rahmenbedingungen behindern die Entwicklung, zudem fehlt oft der Zugang zu regionalen Märkten, aber auch zum Weltmarkt. Die Folgen wirken sich besonders im ländlichen Raum negativ aus und führen zu Landflucht und Migration.

„Gemeinsam handeln, mehr erreichen!“ Genossenschaf-ten aktivieren Entwicklungspotenziale: In über 30 Ländern berät der DGRV beim Aufbau genossenschaftlicher Systeme und Strukturen.

Gerade Kleinst-, Klein- und mittlere Unternehmen, andernorts ein Motor der Entwicklung, haben oft keinen Zugang zu Finanz-dienstleistungen, Märkten, Technologien und Know-how. Zu-dem mangelt es an Rechtssicherheit, an Transparenz des staatli-chen Handelns und an einer Wirtschaftsordnung, die allen glei-che Chancen eröffnet, die sich unternehmerisch betätigen. Strukturbildende Fähigkeiten von kleinen und mittleren Unter-nehmen müssen gefördert und Möglichkeiten für selbstständige Unternehmer ausgebaut werden, um Arbeitsplätze und Einkom-men zu schaffen.

SozialstrukturförderungDie internationale Arbeit des DGRV wird maßgeblich vom Bun-desministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent-wicklung (BMZ) finanziert. Die Bundesregierung fördert die

wirtschaftliche und soziale Entwicklung und trägt so zur welt-weiten Armutsbekämpfung und Sicherheit bei.

Ein wichtiges Instrument ist dabei die Sozialstrukturförderung. Sie will die Lebensbedingungen armer Bevölkerungsgruppen nachhaltig verbessern. Hierbei und bei der Wirtschaftsförderung kommt Selbsthilfeansätzen eine wichtige Rolle zu, denn nach-haltige Armutsbekämpfung kann letztlich nur Hilfe zur Selbsthil-fe bedeuten. In diesem Rahmen bringt auch der DGRV seine Er-fahrungen in die Entwicklungszusammenarbeit ein.

Die Sozial- und Wirtschaftsstruktur eines Landes wird durch Ge-nossenschaften und deren Netzwerke positiv beeinflusst. Ge-nossenschaften im Finanzwesen, in Handel, Handwerk und in der Landwirtschaft sind in vielen Ländern das Rückgrat der wirt-schaftlichen Aktivitäten. Sie tragen wesentlich zur Entwicklung eines Landes bei, weil sie auf lokaler Initiative und Wirtschafts-kraft aufbauen und die Menschen gleichzeitig Träger und Nutz-nießer der wirtschaftlichen Aktivitäten sind. Genossenschaften gehören zu den nachhaltigsten Unternehmen; sie verbinden die Vorteile dezentraler Aktivitäten mit den Stärken einer regiona-len und nationalen Vernetzung.

Mit dieser Zielrichtung fördert der DGRV in seinen Partnerlän-dern den Aufbau von genossenschaftlichen Strukturen im Spar- und Kreditwesen, im Gewerbe und in der Landwirtschaft. Viele Menschen erhalten durch Spar- und Kreditgenossen-schaften – vor allem in ländlichen Regionen – zum ersten Mal Zugang zu Finanzdienstleistungen. Neben Kleinkrediten bieten sie meist auch Sparmöglichkeiten, Zahlungsverkehr und Versi-cherungen, aber auch Geschäftsberatung und Fortbildung. So mobilisieren genossenschaftliche Mikrofinanzinstitutionen die Potenziale der Menschen vor Ort und fördern damit ganz kon-kret die Entwicklung.

In ländlichen Regionen eröffnen Genossenschaften ihren Mit-gliedern Zugang zu regionalen und überregionalen Märkten und damit zu besserem Einkommen. Auch im Handwerk und im Handel ermöglichen Genossenschaften Zugang zu Beschaf-fungs- und Absatzmärkten. Deshalb und auch aufgrund ihrer Eigentümerstruktur, der Partizipation der Mitglieder und der Ein-bindung in Netzwerke weisen Genossenschaften eine hohe Nachhaltigkeit und großes Entwicklungspotenzial auf.

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Der Mehrebenen-Ansatz des DGRVJede Genossenschaft muss leistungsfähig sein, um den Förder-auftrag ihrer Mitglieder erfüllen zu können. Dazu müssen be-stimmte Voraussetzungen gegeben sein.

• In der einzelnen Genossenschaft – also auf Mikroebene – sind eine konsequente wirtschaftliche Ausrichtung, eine ad-äquate interne Organisation und gut ausgebildete Führungs-kräfte und Mitarbeiter erforderlich.

• Zudem muss die Genossenschaft Teil eines subsidiär aufge-bauten Verbundnetzwerks auf Mesoebene sein, denn so profi-tiert sie von den Leistungen spezialisierter Zentralunternehmen und Verbände – etwa bei Ausbildung und Prüfung.

• Auf der Makro-Ebene muss der Staat den richtigen rechtli-chen und regulatorischen Rahmen für genossenschaftliches Handeln schaffen.

In seinen Projekten setzt der DGRV mit Beratung und Dienstleis-tungen auf allen drei Ebenen an, meist im Rahmen mehrjähriger Programme. Daneben reagiert der DGRV auch flexibel und kurz-fristig auf Anfragen aus Ländern oder von Organisationen. Bei seiner Arbeit kann der DGRV auf das umfangreiche Know-how der gesamten deutschen Genossenschaftsorganisation zurück-greifen.

„Das Genossenschaftsmodell bietet eine Formel, mit der Innovation und Dezentralisierung gefördert werden, ohne Werte wie Gemeinschaft, Konsens und gemeinsame Verant-wortung zu opfern. Diese Formel ist sehr anpassungsfähig und kann praktisch auf alle sozialen und wirtschaftlichen Be-reiche übertragen werden.“Kofi Annan (UN-Generalsekretär von 1997 bis 2006, Friedensnobelpreisträger)

Mehrebenen-Ansatz beim Aufbau genossenschaftlicher Systeme

Zentralregierung, Gebietsregierungen, Ministerien, Zentralbank/Aufsichtsbehörde

• Rechtsrahmen für Genossenschaften, KKMU, ländliches Finanzwesen • Regulierung, Verordnungen, Aufsicht, Lizenzierung, Normen, Standards • Refinanzierungsprogramme, Unterstützung / Koordination

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Nationale Verbände(mit diversen Dienstleistungen, z.B. Beratung, Prüfung)

Regionale Verbände(mit diversen Dienstleistungen, z.B. Beratung, Prüfung)

Lokale Genossenschaften(Spar- und Kreditgenossenschaften, ländliche und gewerbliche Waren- und Dienstleistungsgenossenschaften)

Mitglieder/Kunden der lokalen Genossenschaften (KKMU, Landwirte, Bevölkerung), genossenschaftlich organisierte Selbsthilfegruppen

Nationale genossenschaftliche Zentralen

Regionale genossenschaftliche Zentralen (z.B. Bank)

Service

Service

Service Service

ServiceAnteile

Anteile Anteile

Anteile

Anteile

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LateinamerikaSelbsthilfe heißt initiativ werdenDen ländlichen Raum erschließen

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BrasilienWie Roberio und Gilberto die Bank retteten

Kundenorientierung, kompetente Mitarbeiter und die Un-terstützung durch den DGRV – das ist die Erfolgsgeschich-te einer Genossenschaftsbank im Osten Brasiliens.

Es ist 7.30 Uhr in Senhor de Bonfim, einer entlegenen Kleinstadt im Bundesstaat Bahia, als Roberio, Präsident der Genossen-schaft „Sicoob“, die kleine Bank im Stadtzentrum aufschließt. Die Sonne brennt, schon jetzt sind es 35 Grad im Schatten. Die Kundschaft steht bereits Schlange. Scherzende Marktfrauen, Männer in fleckigen, ärmellosen Hemden, sonnenverbrannte Gesichter; es riecht nach Tabak, Schweiß und Aracajé, dem tradi-tionellen Gebäck aus frittiertem Bohnenmehl.

Die Geschäfte liefen nicht immer so gut für Roberios kleine Bank. Vor wenigen Jahren stand sie finanziell am Abgrund, die Schließung war bereits vorbereitet. Dann kam Roberio nach ei-nem Seminar des DGRV auf das Thema Mikrokredite. Es war vielleicht die letzte Chance für seine sorgengeplagte Genossen-schaft. Er überzeugte einige Gründungsmitglieder, etwas Geld nachzuschießen und heuerte Gilberto an, einen jungen Kredit-berater, der schon Erfahrungen mit Mikrokrediten hatte.

Mikrokredite bringen die WendeZusammen entwarfen sie ein Angebot für informelle Kleinst-unternehmer mit wenigen oder keinen Sicherheiten. Diese Kun-den, die bei anderen Banken kaum über die Schwelle gelassen wurden, organisierten sie in kleinen Solidargruppen, getreu dem Prinzip „Einer für alle, alle für einen“. Kreditwürdigkeits-prüfung und die Zahlungsbeitreibung wurden damit vereinfacht und machten das Geschäft auch für kleinere Volumina rentabel. Das war der Wendepunkt für die Sicoob Bonfim. Ein Jahr später erreichte sie die „schwarze Null“ und ist seitdem profitabel. Das Portfolio besteht heute zu 75 Prozent aus Mikrokrediten. Roberio ist zufrieden: „Mikrofinanz hat uns gerettet.“

Die Mitglieder sind dankbar. „Bei keiner anderen Bank konnte ich Kredit bekommen“, erzählt Käsehändlerin Marcia, die seit zwei Jahren die Angebote der Genossenschaft in Anspruch nimmt. Ihr Leben hat sich deutlich verbessert: „Ich konnte einen Kühlschrank und einen zweiten Marktstand für Frischmilchpro-dukte und Eis kaufen. Wir konnten das Haus renovieren und unsere Tochter zur Uni schicken.“

Kreditantrag per SmartphoneDie Kopfschmerzen gingen damit aber für Roberio und Gilberto erst richtig los. Man hat mittlerweile Kapazitätsprobleme, das Archiv platzt aus allen Nähten. Bei den Herausforderungen kann die Bank auf die Unterstützung des DGRV-Büros Salvador zäh-len. Beispiel Bürokratie: Fast 40 Seiten umfasst eine durch-schnittliche Mikrokreditakte, maximal fünf wären notwendig. Die Überzeugungsarbeit bei Bankenaufsicht und Bankzentrale in Brasilia übernimmt der DGRV-Berater.

Um Kunden in weit entfernten ländlichen Gebieten kostende-ckend zu erreichen, hat der DGRV eine Software entwickelt, mit der die Kreditanträge via Smartphone vor Ort bearbeitet und ent-schieden werden können. Und da vielen Mitgliedern grundlegen-de betriebswirtschaftliche Kenntnisse fehlen, bereitet der DGRV ein kombiniertes Ausbildungs- und Finanzierungsprogramm mit der staatlichen Förderagentur SEBRAE vor. Drei Schritte in Rich-tung einer besseren Kreditversorgung der Bevölkerung.

Um 18 Uhr schließt Roberio seine Bank zu, müde, aber lächelnd. Es war ein guter Tag.

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ParaguayFinanzdienstleistungen für Klein-unternehmer und Landwirte

Paraguay ist von einer großen Kluft zwischen Arm und Reich geprägt. 35 Prozent der 6,7 Millionen Einwohner leben in Armut. Die Wirtschaft des Binnenlandes ist ag-rarisch ausgerichtet, die landwirtschaftliche Nutzfläche jedoch ist ungleich verteilt. Der fehlende Zugang zu Märkten und eine prekäre Lebenssituation auf dem Land führen zu Migration in die Städte.

Genossenschaften haben in Paraguay eine lange Tradition. Rund 600 gibt es, die hauptsächlich in der Landwirtschaft und im Spar- und Kreditsektor tätig sind. Über eine Million Mitglieder, zumeist kleine und kleinste Unternehmer und Bauern kooperie-ren in Paraguay, um ihre wirtschaftliche Situation zu verbessern.

Um die Lage der Mitglieder verbessern zu können, müssen Ge-nossenschaften wirtschaftlich erfolgreich sein, in genossen-schaftliche Strukturen eingebettet sein und angemessene Rah-menbedingungen vorfinden. DGRV-Fachleute beraten daher auf allen Ebenen – von den Basisgenossenschaften über die Verbän-de und Zentralen wie beispielsweise die Zentralgenossenschaft der Spar- und Kreditgenossenschaften CENCOPAN (Central de Cooperativas del Área Nacional) und den Verband der landwirt-schaftlichen Genossenschaften FECOPROD (Federación de Co-operativas de Producción) bis zum genossenschaftlichen Auf-sichtsinstitut INCOOP (Instituto Nacional de Cooperativismo), zur Zentralbank und zu Regierungsstellen.

Umfangreiche ArbeitsfelderDer DGRV berät Genossenschaften im Landwirtschafts- und Fi-nanzsektor etwa bei der Modernisierung und Professionalisie-rung der Regulierung, der Prüfungssysteme, des Rechnungswe-sens, der Finanzdienste und der Unternehmensführung von Ge-nossenschaften und ihrer Verbundunternehmen.

So sind seit Anfang 2011 die 20 größten Spar- und Kreditgenos-senschaften verpflichtet, mit einem vom DGRV entwickelten System zum Finanzmonitoring zu arbeiten. Mitarbeiter von landwirtschaftlichen Genossenschaften lernen den Umgang mit Kontrollsystemen, um Schwachstellen frühzeitig erkennen zu

können. Mit Geschäftsführern werden Vermarktungsstrategien für landwirtschaftliche Genossenschaften erarbeitet.

Auch die Ausbildung von Mitarbeitern ist eine wesentliche Vo-raussetzung für den Erfolg einer Genossenschaft. Daher führt der DGRV gemeinsam mit der Universidad del Cono Sur de las Américas (UCSA) in der Hauptstadt Asunción Schulungen zu genossenschaftlicher Betriebsführung an. Über 600 Führungs-kräfte und Mitarbeiter haben bislang an diesen „Diplomados“ teilgenommen. Sie kehren gestärkt in ihre Genossenschaften zurück.

Rückzahlungsquote: 97 Prozent. Die Spar- und Kreditge-nossenschaft Medalla Milagrosa hat 2010 ein Mikrofinanz-zentrum eingerichtet, in dem gewerbliche und handwerkli-che Kunden beraten werden. Sie ist Mitglied in einem Mikro-finanznetzwerk aus 12 Spar- und Kreditgenossenschaften. Das DGRV-Mikrofinanzteam berät beim Konzept und schult die Mitarbeiter der Genossenschaft, besonders bei der Kredit-evaluierung. Darüber hinaus werden den Kreditnehmern Kurse zu betriebswirtschaftlichen Fragen angeboten. Bislang wurden bereits Mikrokredite von mehr als 10 Millionen US-Dollar vergeben – mit einer Rückzahlungsquote von über 97 Prozent!

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NetzwerkeKnow-how-Transfer über Ländergrenzen

In ganz Lateinamerika wachsen Spar- und Kreditgenos-senschaften, steigen ihre Mitgliederzahlen. Dennoch ha-ben große Teile der Bevölkerung noch keinen Zugang zum formellen Finanzsektor – oder nur unter hohen Kos-ten, etwa durch Zinswucher, und mit eingeschränkten Leistungen.

Genossenschaften haben hier eine wichtige Funktion. Sie bieten geeignete und bezahlbare Produkte für ihre Mitglieder und Kun-den. Ihr dezentraler Aufbau erlaubt es ihnen, die Menschen auch in abgelegenen Regionen zu erreichen, wo Banken nicht mehr präsent sind. Gerade Klein- und Kleinstunternehmer und Bauern können über Genossenschaften Investitionen finanzieren.

Kolumbien: Das erste „plástico“ im Leben. Es ist ein er-klärtes Ziel der kolumbianischen Regierung, das formelle Fi-nanzsystem auszuweiten. Der DGRV kooperiert seit 2006 mit der Zentralgenossenschaft VISIONAMOS in Medellín mit rund 300.000 Mitgliedern. VISIONAMOS hat die Zulassung, ein Zahlungssystem für Spar- und Kreditgenossenschaften zu be-treiben.

Das System erreicht gerade jene Menschen, die bislang kei-nen Zugang zum Finanzsektor hatten. Viele Kunden halten mit einer Debitkarte von VISIONAMOS zum ersten Mal in ihrem Leben ein solches „plástico“ in den Händen – und dies weit günstiger als zu den sonst üblichen Gebühren. Niemand muss mehr größere Bargeldbeträge mitführen, um Strom- oder Tele-fonrechnungen zu begleichen. Bargeldlos ist nicht nur siche-rer, sondern es spart auch viel Zeit – Zeit, in der die Menschen jetzt ihrer Arbeit nachgehen können.

DGRV-Fachleute beraten auch die Spar- und Kreditgenossen-schaften, die sich am Kartengeschäft von VISIONAMOS betei-ligen. Dabei werden in Ecuador und Chile entwickelte Instru-mente eingesetzt – ein Beispiel für Know-how-Transfer im länderübergreifenden DGRV-Netzwerk.

Der DGRV arbeitet in Lateinamerika zunehmend länderübergrei-fend, etwa beim Wissensaustausch zwischen den Genossen-schaften. Ob Management-Informationssystem, ob Tools für in-terne Kontrollsysteme oder externe Prüfung, ob Scores für Mik-rokredit- und Konsumkreditrisiken oder Leitfaden zur Corporate Social Responsibility (CSR) – von den Entwicklungen in einem Land profitieren die Genossenschaften und ihre Mitglieder in den Nachbarländern. Diese praktische Solidarität ist eine Stärke des Genossenschaftsmodells.

Auch Fachtagungen gehören dazu. So veranstalten DGRV und CEMLA, eine regionale Notenbankvereinigung mit Sitz in Mexi-ko-Stadt, jedes Jahr eine Konferenz zu Regulierung und Aufsicht von Genossenschaften. Die Teilnehmer kommen aus Genossen-schaften, Finanzaufsichtsbehörden und Zentralbanken in ganz Lateinamerika.

Immer wichtiger für die Wirtschaft der lateinamerikanischen Länder werden internationale Rechnungslegungsgrundsätze. Der DGRV unterstützt die Lobbyarbeit der Verbände zu einer „genossenschaftsgerechten” Umsetzung dieser Rechnungsle-gungsgrundsätze und die Erarbeitung von Leitfäden zu den Grundsätzen.

Süd-Süd-KooperationEin wichtiges Element des DGRV-Ansatzes ist die ver-stärkte Süd-Süd-Kooperation und der regionale Aus-tausch. So werden zum Beispiel Fachbesuchsreisen in benachbarte Länder organisiert und länderübergreifen-de Seminare veranstaltet, um gegenseitig von den Er-fahrungen zu lernen. Gerade in Lateinamerika gibt es wegen der gemeinsamen Sprache viele Beispiele für sol-chen fruchtbaren Austausch: Regelmäßig treffen sich beispielsweise die Geschäftsführer von Spar- und Kredit-genossenschaften aus verschiedenen Ländern.

Was an Expertise in den Projektländern aufgebaut wur-de, wird auch von anderen Ländern nachgefragt. In Mo-sambik beraten beispielsweise bereits Genossenschafts-experten aus Brasilien beim Aufbau von Genossenschaf-ten und ihren Strukturen. Diese Dreieckskooperation wird jetzt vertraglich zwischen der Deutschen Gesell-schaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), dem DGRV, den brasilianischen und mosambikanischen Part-nern und der brasilianischen Entwicklungsorganisation ABC institutionalisiert.

Page 16: Kooperation als Chance - Die Genossenschaften ... Zu allen Zeiten haben Menschen kooperiert, um gemein-same Ziele zu erreichen. Vorläufer der Genossenschaften kennt man seit dem Altertum

MittelamerikaMexiko, El Salvador und Nicaragua – Genossenschaften sind Motor der Entwicklung

16 Traditionelle Papierherstellung einer Kleinunternehmerin in Mexiko.

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Mexiko, El Salvador und Nicaragua – Genossenschaften sind Motor der Entwicklung

Nur ein Viertel der Bevölkerung in Mexiko und El Salvador hat Zugang zu Bankdienstleistungen. Das ist auch im Ver-gleich mit anderen Ländern der Region gering – nur Nica-ragua steht mit fünf Prozent noch schlechter da. Vom Pro-jektbüro in Mexiko-Stadt aus berät und unterstützt der DGRV Genossenschaften in Mexiko, El Salvador und seit kurzem auch in Nicaragua.

Der Finanzsektor in Mexiko wird weitgehend von wenigen gro-ßen Banken beherrscht. Sie selektieren ihre Firmen- und Privat-kunden nach Solvenz. Deren Geschäft ist hochrentabel – doch es verwehrt den meisten Menschen, vor allem kleinen Unter-nehmen, den Zugang zum Finanzsystem. Besonders gravierend ist die Lage in der Landwirtschaft: Nur vier Prozent der Betriebe haben Zugang zu Finanzdienstleistungen. Agrarkredite machen gerade 1,4 Prozent des Kreditvolumens in Mexiko aus, und nur in jeder vierten Gemeinde gibt es überhaupt eine Bankfiliale.

El Salvador: Neue Zweigstellen auf dem Land. Die 32 Mitgliedsgenossenschaften von FEDECACES mit ihren 60 Zweigstellen bieten inzwischen für die über 250.000 Mitglie-der und Kunden im ländlichen Raum Kredite, Sparkonten, Zahlungsverkehr und Versicherungen an. Seit 2008 wurden 16 neue Zweigstellen in Gebieten eröffnet, in denen es bislang keine Bankfiliale gab.

Spar- und Kreditgenossenschaften hatten während des lan-gen Bürgerkrieges in El Salvador einen schweren Stand, gal-ten sie doch der Oligarchie als Störfaktor bei ihren eigenen Geschäften. Doch längst ist ihre Bedeutung für die Entwick-lung des Landes unumstritten. Der DGRV kooperiert mit der FEDECACES-Gruppe, um beim Aufbau eines professionellen Verbands- und Verbundsystems zu unterstützen. Neben Bera-tung der Mitgliedsgenossenschaften führt FEDECACES den Liquiditätsausgleich über eine Zentralkasse durch, darüber hinaus auch Prüfungen, Schulungen und Mikroversicherun-gen. Der DGRV berät FEDECACES auch bei der strategischen Planung und bei der Ausbildung und Professionalisierung der Mitarbeiter.

In Mexiko, aber auch in El Salvador und Nicaragua sind Spar- und Kreditgenossenschaften für die arme Bevölkerung oft der einzige Zugang zu Finanzdienstleistungen. Die Genossenschaf-ten sind im Gegensatz zu den großen Banken lokal und regional

verankert und ihren Mitgliedern verpflichtet. Zudem sind Land-wirtschaft und Kleingewerbe traditionell die Grundlage ihrer Geschäftstätigkeit.

Chance für Gewerbe und LandwirtschaftGenossenschaften eröffnen kleinen Handwerkern, Gewerbe-treibenden und Landwirten die Chance, wirtschaftlich aktiv zu werden und ihre Lage selbst zu verbessern. Dazu müssen die Genossenschaften allerdings nachhaltig wirtschaften – profes-sionell, mit effizienten Kontrollregeln und solider Geschäftsfüh-rung. Die Beratung dazu hat deshalb für den DGRV einen ho-hen Stellenwert.

Daneben berät der DGRV bei der Modernisierung des Genossen-schaftssystems und schult Personal und Mitglieder der Genos-senschaften bzw. deren Verbände und Zentralen. Außerdem veranstaltet er Seminare zu Prüfungen, Geldwäscheprävention oder Bankenaufsicht und unterstützt die Genossenschaften mit EDV-Instrumenten wie dem DGRV-Frühwarnsystem „Alerta Temprana“. Darüber hinaus beraten die DGRV-Experten in Me-xiko bei der Umsetzung des Gesetzes zur Regulierung der Akti-vitäten von Spar- und Kreditgenossenschaften.

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Risiken kontrollierenFür die Stabilität und das Wachstum von Spar- und Kre-ditgenossenschaften ist ein leistungsfähiges Risikoma-nagement unentbehrlich. Frühwarnsysteme sind dabei der erste Baustein. Mit ihnen werden negative Entwick-lungen frühzeitig erkannt, so dass gezielt gegengesteu-ert werden kann. Frühwarnsysteme werden nicht nur von den Genossenschaften selbst, sondern auch von ge-nossenschaftlichen Verbänden, Einlagensicherungs-fonds, Entwicklungsbanken, Ministerien oder Aufsichts-behörden angewendet.

Der DGRV hat für Lateinamerika ALERTA TEMPRANA entwickelt. Mit diesem IT-gestützten Frühwarnsystem lassen sich Kennzahlen aus den Daten des Rechnungs-wesens und weiteren Daten der Genossenschaft aus-werten und interpretieren. ALERTA TEMPRANA kann an spezielle Bedürfnisse angepasst und als Management-Informationssystem genutzt werden. Darüber hinaus kann es in andere Sprachen übersetzt werden.

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Weltweites...Engagement des DGRV

LateinamerikaBolivienBrasilien

ChileCosta Rica

EcuadorEl Salvador

HondurasKolumbien

MexikoNicaragua

PanamaParaguayUruguay

AfrikaBotswana

LesothoMosambikSüdafrikaSwaziland

AsienChinaIndienIndonesienKambodschaKirgisistanLaosPhilippinenThailandTürkeiVietnam

Mittel- und OsteuropaBosnien-HerzegowinaBulgarienMontenegroRusslandUkraine

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Wir beraten bei

• Aufbau, Organisation und Management von Genossenschaften,

• Risikomanagement, Frühwarnsystemen, Managementinformationssystemen,

• Mikrofinanz,

• Genossenschafts- und Bankenrecht, Bankenaufsicht,

• Verarbeitung und Vermarktung landwirtschaft-licher Produkte, Wertschöpfungsketten,

• Kooperation in Gewerbe, Handwerk und Handel,

• genossenschaftlichen Prüfungssystemen, Einlagensicherung,

• Aus- und Weiterbildung.

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Wir wollen, dass

• breite Bevölkerungsschichten an der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung in ihrem Land teilhaben,

• Ursachen und Folgen von Armut und Strukturverwerfungen dauerhaft beseitigt werden,

• Selbsthilfe und Eigenverantwortung gestärkt werden,

• Strukturen für eine nachhaltige Entwicklung geschaffen werden.

Wir orientieren uns an

• den Bedürfnissen der Menschen und des Partnerlandes,

• der unternehmerisch ausgerichteten Selbsthilfe und

• den entwicklungspolitischen Leit linien und Konzepten der Bundesregierung und internatio-naler Institutionen.

Unsere Zielgruppen

• Mitglieder und Kunden von Genossenschaften

• Genossenschaften und genossenschaftliche Zentraleinrichtungen

• Politische Entscheidungsträger

• Fachministerien

• Zentralbanken und Bankenaufsicht

Unsere Leistungen

• Beratung durch Lang- und Kurzzeitexperten

• Seminare und Lehrmaterialien

• Gutachten und Expertisen

• Zusammenarbeit mit Zentralbanken und Bankenaufsicht

• Fachprogramme und Praktika im In- und Ausland

• Partnerschaften und Kooperationen

• Süd-Süd-Kooperationen

Wir fördern

• Genossenschaften und genossenschaftliche Verbundstrukturen in Finanzwesen, Landwirt-schaft, Handwerk, Handel und Gewerbe,

• zentrale Einrichtungen wie Zentral kassen,

• professionelle Aus- und Weiterbildung,

• den Aufbau des genossenschaftlichen Prüfungs-wesens in Zusammenarbeit mit nationalen Bankenaufsichten und Zentralbanken sowie

• angepasste Rahmenbedingungen für Genos-senschaften, zum Beispiel Bankenaufsicht sowie Banken- und Genossenschaftsgesetze.

Wir bringen dabei ein

• unsere langjährige Erfahrung in der Entwicklungs-zusammenarbeit,

• unsere Kompetenz, die im Erfolg der deutschen Genossenschaften und ihrer Geschichte wurzelt,

• unsere weltweite Vernetzung in genossen schaftlichen Strukturen,

• unseren Zugang zu Genossenschaften in unseren Partnerländern.

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SüdafrikaDie Näherinnen von Nokaneng

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Rosina Dikobe erinnert sich ungern an die Zeit vor acht Jahren. Sie hatte keine Arbeit und kein Geld für Essen und die Schulausbildung ihr Kinder. Aber Rosina hat sich dem Schicksal nicht ergeben. Mit anderen Frauen gründete sie eine Genossenschaft.

Die Frauen aus Nokaneng, einem kleinen Dorf rund 100 Kilome-ter von Johannesburg entfernt, machten das zum Haupterwerb, was sie seit Jahren für ihre Familien taten – Kleidung nähen. Ihre „Retlamegila Sewing Primary Co-operative Limited“ gibt es seit 2003. „Am Anfang hatten wir viele Probleme – keine von uns wusste, wie eine Genossenschaft funktioniert und wie man ein Unternehmen führt“, erinnert sich Rosina. „Am Ende eines Mo-nats war meistens weniger in der Kasse als am Anfang.“

Diese Probleme haben viele Genossenschaften, die nach dem Ende der Apartheid gegründet wurden. Viele haben sich wieder aufgelöst. Nicht jedoch die Retlamegila Co-operative: Die sie-ben resoluten Frauen eigneten sich das nötige Wissen in den Schulungen des DGRV an – von Grundlagen der Buchhaltung, der Kalkulation und des Managements bis zu möglichen Absatz-märkten. „Heute nähen wir die Schuluniformen für viele Schu-len und nehmen Privataufträge an. Damit können wir unseren Lebensunterhalt bestreiten“, sagt Rosina mit sichtlichem Stolz. „Angst, dass ich meine Kinder nicht mehr zur Schule schicken kann, habe ich keine mehr.“

Mit solchen Projekten trägt der DGRV dazu bei, die wirtschaftli-che Situation der schwarzen Bevölkerung in Südafrika zu ver-bessern, die zu großen Teilen auch mehr als fünfzehn Jahre nach dem Ende der Apartheid noch in Armut lebt. Die Bemühungen der Regierung und die wirtschaftlichen Erfolge haben noch nicht zu einer gerechteren Verteilung der Einkommen geführt. Der DGRV berät das Wirtschafts-, das Landwirtschafts- und das Fi-nanzministerium bei der Verbesserung des gesetzlichen Rah-mens für Genossenschaften; unter anderem bei der Neufassung des Genossenschafts- und des Genossenschaftsbankgesetzes, bei der Verbesserung des Registrierungsverfahrens von Genos-senschaften und bei der Einführung einer genossenschaftlichen Prüfung. Daneben fördert der DGRV Bäckereien, vorwiegend Fa-milienbetriebe und genossenschaftlich organisierte Gruppen.

Vom Straßenkind zum Bäcker. Kgothso Moseke wuchs in einem Township in Pretoria auf. Arbeitslos, ohne Ausbildung und Hoffnung, drohte er in die Kriminalität abzurutschen. „Ich hatte immer Hunger. Schon beim Gedanken an Brot lief mir das Wasser im Mund zusammen“, erinnert er sich. Dann kam er in das Self-Help Skills Training Centre in Pretoria, wo Straßenkinder nicht nur ein Obdach finden, sondern auch einen Beruf erlernen können. „Mir stieg direkt der Duft von frischgebackenen Muffins in die Nase. Ich dachte: Backen, ja, das wollte ich auch können, dann müsste ich nie mehr hungern.“

Unterstützt vom DGRV hat das Zentrum eine Lehrbäckerei aufgebaut und die Lehrkräfte geschult. Mehl und Zutaten be-zieht die Lehrbäckerei günstig über den vom DGRV initiierten, genossenschaftlichen Sammeleinkauf. „Wir lernen nicht nur, Brot und Scones zu backen, sondern auch, wie man kalkuliert und den Einkauf plant – also alles, was wir brauchen, um uns selbständig zu machen“, erzählt Kgothso begeistert. „Es ist toll, jetzt selbst Brot herstellen zu können. Vielleicht eröffne ich mit einigen Freunden eine Bäckerei und wir gründen eine Genossenschaft.“

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22 „Konferenzraum“ einer Dorfbank in Laos. Diese „Village Banks“ werden vom DGRV beraten.

SüdostasienVertrauen aufbauen

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Genossenschaftliche Selbsthilfe weist vielen Menschen einen Weg aus der Armut. Doch in den südostasiatischen Ländern Laos, Kambodscha und Vietnam ist der Begriff „Genossenschaft“ historisch belastet.

In allen drei Ländern waren Genossenschaften Instrumente staatlicher Machtpolitik: in Kambodscha war es die Terrorherr-schaft der Roten Khmer, in Laos und in Vietnam die Zeit der rigi-den Planwirtschaft und Zwangsmitgliedschaften in sogenann-ten Genossenschaften. All das wirkt in der Bevölkerung und in der Politik bis heute nach.

Auch in Südostasien unterstützt der DGRV den Aufbau einer ge-nossenschaftlichen Struktur, also neben Gruppen und Primärge-nossenschaften auch zentrale Zusammenschlüsse wie Verbän-de, Zen tralgenossenschaften und Zentralkassen. Flankierend dazu werden auch angepasste Rahmenbedingungen für genos-senschaftliche Unternehmen gefördert und dazu beispielsweise Politiker und Behörden beraten. Immer wieder gilt es dabei, Misstrauen und Skepsis bei den Gesprächspartnern abzubauen und darüber aufzuklären, dass Genossenschaften als markt-orientierte Unternehmen allen Bevölkerungsschichten Teilhabe an der boomenden Wirtschaft dieser Länder ermöglichen.

Laos Unterstützung beim Neuanfang

Auch in Laos gibt es einen Wirtschaftsboom. Getragen wird er durch ausländische Investitionen und durch die Rückkehr vieler Menschen, die vor der „Revolution“ ins Ausland geflüchtet wa-ren. Genossenschaften mit ihrer engen lokalen Verwurzelung kön-nen die Wettbewerbsposition der ländlichen Bevölkerung verbes-sern und sie so vom Wirtschaftsaufschwung profitieren lassen.

Mit dem schrittweisen Übergang zur Marktwirtschaft wurden die „alten“ Genossenschaften aus der Anfangszeit der Demo-kratischen Volksrepublik Laos abgeschafft. Der DGRV fördert daher den Neuaufbau genossenschaftlicher Organisationen in der Landwirtschaft und im Finanzsektor. Auch bei der Formulie-rung der allgemeinen Genossenschaftsverordnung, die seit 2010 in Kraft ist, war der DGRV beteiligt.

Spar- und Kreditgenossenschaften und Mikrofinanzinstitute un-terstehen seit 2008 der Regulierung durch die laotische Zentral-bank. Das gilt auch für eine der größten Spar- und Kreditgenos-senschaften des Landes, die sich an der Peripherie der Haupt-stadt Vientiane befindet. Sie wird vom DGRV mit Schulungen und Organisationsberatung unterstützt.

Beratung für DorfbankenLandesweit fördert der DGRV „Village Banks“ – kleine mitglie-dergetragene Spar- und Kreditgruppen. Sie kurbeln vielerorts die lokale Wirtschaft an und verbessern die Lage der Beteiligten. Doch in den von Laien geführten Gruppen droht die Gefahr von Missmanagement und damit der Verlust der Spareinlagen. Um die Village Banks besser zu beraten und zu betreuen, hat der DGRV 2010 im Süden des Landes ein Service-Center aufgebaut und lokale Mitarbeiter ausgebildet. Das Service-Center, das künftig auch Aufgaben einer zentralen Finanzinstitution wahr-nehmen soll, ist der erste Schritt zu einem landesweit im Genos-senschaftssektor operierenden Netzwerk zur Unterstützung der Basisorganisationen.

Ähnliche Basisarbeit leistet der DGRV in der Landwirtschaft, in der über 75 Prozent der laotischen Bevölkerung ihr Auskommen finden. Gerade bei den wichtigen Exportgütern Kaffee und Teak-holz steigt die Nachfrage nach Beratung durch den DGRV: Nicht nur die Bauern wollen stärker an diesen Wirtschaftszweigen partizipieren; auch deutsche Entwicklungsprogramme setzen auf das genossenschaftliche Modell.

Reisbauern von Sanasomboun schließen sich zusammen August 2011, Sanasomboun-Distrikt im Süden von Laos: 60 Reisbauern schließen sich zur „Sanasomboun Cooperative for Development“ zusammen. Sie ist die erste landwirtschaft-liche Genossenschaft in Laos. Zunächst wird sie bei der Ver-marktung der Reisernte im Oktober aktiv. Später sollen weitere Dienstleistungen für die Mitglieder entwickelt werden – unter-stützt vom DGRV. Schon bei der Gründung und bei der Regis-trierung hat der DGRV die Reisbauern beraten.

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Kambodscha Wenn Genossenschaften den Kinderschuhen entwachsen

Seit den ersten demokratischen Wahlen 1993 in Kambod-scha wurden zwar staatliche Institutionen und die durch jahrzehntelange Konflikte zerstörte Infrastruktur wieder aufgebaut. Auch die soziale und wirtschaftliche Lage der Bevölkerung bessert sich allmählich. Doch vor allem auf dem Land herrscht nach wie vor oft Armut.

Da das kambodschanische Genossenschaftswesen noch in den Kinderschuhen steckt, unterstützt der DGRV über Pilotprojekte den Neuaufbau genossenschaftlicher Strukturen. Landesweit sind bis jetzt nur etwa 200 Primärgenossenschaften registriert. Das Potenzial ist allerdings gerade im Agrarbereich deutlich grö-ßer: 2006 zählte eine Studie des Landwirtschaftsministeriums über 13.000 lose Farmergruppen.

Aufklärung auf mehreren EbenenUm dieses Potenzial zu aktivieren, kooperiert der DGRV mit Nichtregierungsorganisationen, Partnergenossenschaften und staatlichen Stellen. Dabei kombiniert er die Förderung einzelner Primärgenossenschaften und die Beratung zuständiger Regie-rungsinstitutionen. In regelmäßigen Fachveranstaltungen wird das Verständnis für genossenschaftlich organisierte Selbsthilfe und marktorientierte Genossenschaften geweckt bzw. gestärkt.

Bestandteil der Beratungen des DGRV für die Basisgruppen ist die Information über bestehende rechtliche Grundlagen zu ge-nossenschaftlichen Aktivitäten. Hier vor allem das königliche Dekret aus dem Jahr 2001, aufgrund dessen Agrargenossen-schaften als anerkannte Unternehmensform registriert werden können. Gemeinsam mit Nichtregierungsorganisationen und unterstützt durch die Behörden wurden erste Genossenschaften aufgebaut, die als Referenz und Multiplikatoren dienen.

Diese Genossenschaft hat Pfeffer. Die Provinz Kampong Cham ist das Land, in der der sprichwörtliche Pfeffer wächst. Über 6.000 Tonnen feinster Qualitäten werden hier jährlich geerntet. Ein erfolgversprechendes Potenzial für Genossen-schaften! Beraten durch den DGRV hat sich 2010 in Memot eine Pfeffergenossenschaft registrieren lassen. Sie soll den Mitgliedern Zugang zum Exportmarkt eröffnen. Das stärkt nicht nur die Marktposition der einzelnen Mitglieder sondern zeigt auch modellhaft, wie Bauern ihre Erzeugnisse über die Genossenschaft direkt und profitabel an Großhändler verkau-fen können.

Förderung genossenschaftlicher NetzwerkeMit der lokalen Partnerorganisation Buddhism for Develop-ment (BFD) werden derzeit 44 landwirtschaftliche Genossen-schaften in fünf Provinzen betreut und ihre Mitglieder geschult. Aus diesen regionalen Netzwerken sollen feste genossen-schaftliche Verbund- und Verbandsstrukturen erwachsen. Bis-her gibt es in Kambodscha noch keinen offiziell registrierten Genossenschaftsverband. Allerdings erkennen viele Genossen-schaften die Notwendigkeit zur zentralen Vernetzung. Der DGRV unterstützt durch Beratung und internationalen Erfah-rungsaustausch die Weiterentwicklung dieser Strukturen.

Unumgänglich für die weitere Entwicklung des Sektors ist ein modernes Genossenschaftsgesetz. Dies haben auch die relevan-ten Behörden erkannt. Seit 2010 berät der DGRV das Landwirt-schaftsministerium bei der Formulierung eines modernen Geset-zes. Mit Unterstützung durch internationale Rechtsexperten von der ILO ist nun ein Gesetzentwurf erarbeitet worden. Der weite-re Prozess wird vom DGRV beraten und unterstützt.

Das zunehmende Interesse und Vertrauen der Bevölkerung zeigt, dass die genossenschaftliche Selbsthilfe ein geeignetes Konzept zur Armutsbekämpfung ist.

Samrith Hun (links) kann auf eine gute Ernte hoffen. Sie hat bei ihrer Genossenschaft bestes Saatgut gekauft. Der Kauf wird mit Daumenabdruck besiegelt.

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Vietnam Von der Zwangskooperative zum Dienstleister

In Vietnam hat der Wandel zur Marktwirtschaft seit den 80er Jahren auch die Genossenschaften vor radikale Ver-änderungen gestellt. Sie mussten sich von Zwangskoope-rativen zu privaten, flexiblen Gesellschaften wandeln.

Doch bis heute besteht ein verbreitetes Misstrauen gegen Genossenschaften, das aus der Zeit von Planwirtschaft und anschließenden drastischen Zwangsauflösungen von Genossen-schaften stammt. Der DGRV unterstützt ein besseres Verständ-nis von Genossenschaften. Sie sollen als gleichwertige Unter-nehmen im Wirtschaftssystem anerkannt werden.

Ein erster Meilenstein war dabei die Reform des Genossen-schaftsgesetzes 2003, an der der DGRV mitgewirkt hat. Offiziell haben die Genossenschaften seitdem den Status einer autono-men wirtschaftlichen Rechtsform mit allen Rechten und Pflichten.

Der DGRV begleitet die Transformation des vietnamesischen Genossenschaftssektors mit Beratung, strategischen Konsulta-tionen und fachlicher Unterstützung. Dabei kooperiert er mit der Vietnam Cooperative Alliance (VCA). Unterstützt vom DGRV wandelt sich dieser Dachverband immer mehr von einer Organisation unter Regierungseinfluss zu einem leistungsfähi-gen Dienstleistungsverband mit dezentralen Strukturen, der von den Mitgliedern getragen wird und sich an deren Bedürf-nissen orientiert.

Training-on-the-Job für MitarbeiterDer DGRV berät VCA-Verbände in fast 20 Provinzen, vor allem in den Wirtschafts- und Verkehrszentren des Mekongs, des Roten Flusses und in den nördlichen Gebirgsprovinzen. Über diesen Weg erreicht der DGRV auch lokale Agrar-, Finanz- und Dienst-leistungsgenossenschaften und schult Mitarbeiter der Provinz-verbände durch Trainings-on-the-Job.

Die Themen der Foren, Workshops und Schulungen des DGRV reichen von Betriebswirtschaft und Organisationsentwicklung über Geschäftsstrategie, Management und Marketing bis zu Bankwesen, Agrarproduktion und genossenschaftlicher Prü-

fung. Regelmäßig werden Politiker, Provinz- und Staatsbehör-den in die Veranstaltungen eingebunden, um bei ihnen für eine möglichst breite Zustimmung zu den genossenschaftlichen Akti-vitäten zu werben. Nicht zuletzt deshalb werden genossen-schaftliche Organisationen zunehmend von den Verwaltungsbe-hörden als gleichwertige Gesprächspartner akzeptiert und kön-nen ihre Interessen wirkungsvoll vorbringen.

Dennoch bleiben Probleme. Oft mangelt es an Kapital für mo-derne Agrartechnik, dem Management fehlen Qualifikation und unternehmerische Kreativität, genossenschaftliche Prinzipien werden vernachlässigt und Behörden setzen den Rechtsrahmen nicht um.

Doch die Aufbauarbeit des DGRV in Vietnam trägt sichtbare Früchte: Die Kreditgenossenschaften, in Vietnam auch Volkskre-ditkassen genannt, verbuchen wachsende Kredit- und Sparvolu-mina mit niedrigen Ausfallraten. Dank Workshops zu Marketing und Qualitätsmanagement lernen Agrargenossenschaften, nachfrage- und marktorientiert zu produzieren. So können sie zum Beispiel Obst leichter bei Großhändlern absetzen, planbare Erträge erzielen und ihren Mitgliedern mehr Dienstleistungen wie Bewässerungsanlagen oder günstigen Strom bieten.

Diese Erfolge erhöhen die Nachfrage nach den Beratungen durch den DGRV und seine Partner. Auch andere Entwicklungsorganisa-tionen zeigen zunehmend Interesse an Kooperationen.

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TürkeiZukunft durch Kooperation

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Die türkische Wirtschaft ist über die letzten zehn Jahre hinweg dynamisch gewachsen. Doch nicht alle Teile des Landes haben davon in gleichem Maße profitieren kön-nen; vor allem strukturschwache Gebiete im Osten sind weiterhin von kleinstrukturierten landwirtschaftlichen Betrieben geprägt. Neue Arbeitsplätze in anderen Sekto-ren entstehen nur langsam. Viele der meist kleinen bäuer-lichen Familienbetriebe erwirtschaften nur geringe Er-träge. Hier können organisierte Kooperation und die Ver-mittlung von modernem Know-how für Produktion und Vermarktung Wege in die Zukunft weisen.

Seit 2004 arbeitet der DGRV auf Initiative der türkischen Regie-rung mit Genossenschaften und deren Organisationen sowie den verschiedenen für Genossenschaften zuständigen staatlichen Ins-titutionen zusammen. Als einziger internationaler Partner hat der DGRV an der nationalen Genossenschaftsstrategie mitgearbeitet.

Vom DGRV-Büro in Ankara aus berät ein Team aus deutschen und türkischen Fachleuten die Partner in Pilotregionen: Kastamonu am Schwarzen Meer, in den Provinzen Nevsehir, Karaman und Aksaray in Zentralanatolien sowie in Erzurum in Ostanatolien. Im Zentrum der Aktivitäten steht der Aufbau verlässlicher und effizi-enter genossenschaftlicher Strukturen, denn nur so lassen sich die landwirtschaftlichen Genossenschaften nachhaltig stärken. Vie-lerorts fehlt noch eine leistungsfähige regionale Genossenschafts-union. Daher kooperiert der DGRV eng mit den Landwirtschaftsdi-rektoraten in den Provinzen, um über diesen Weg die lokalen Genossenschaften zu erreichen. Eine Ausnahme ist die Provinz Kastamonu: Hier arbeitet der DGRV bereits seit 2005 intensiv di-

rekt mit der Regionalunion der Dorfentwicklungsgenossenschaf-ten zusammen. Mit Erfolg: Diese hat mittlerweile Vorbildfunktion für Genossenschaften in anderen Regionen!

Schulungen für die DorfgenossenschaftenDas Hauptgewicht der Arbeit liegt auf der lokalen Ebene. In Schu-lungen und Trainings für Mitglieder und Vorstände von Dorfge-nossenschaften geht es z. B. um die Funktion, Organisation und das Management von Genossenschaften. Zudem wird landwirt-schaftliches Fachwissen vermittelt, etwa über Viehhaltung und Forstwirtschaft. Auch die Mitarbeiter von Regionalgenossen-schaften und anderen landwirtschaftlichen Institutionen nutzen die Fortbildungsangebote des Projekts. Zudem werden Multipli-katoren ausgebildet, die vor Ort als Berater und Betreuer für die Landwirte bereit stehen. Als Trainer werden häufig Mitarbeiter von Partnerorganisationen eingesetzt, die der DGRV zuvor on-the-job ausgebildet hat. In den Schulungen werden genossen-schaftliche Prinzipien und Solidarität auch praktisch demonstriert: Jeder muss sich in die Kooperation einbringen – und sei es nur, dass die Bauern auf eigene Kosten zur Schulung anreisen.

Der DGRV verkörpert glaubhaft das, was er vermittelt: das Kon-zept der unternehmerischen Genossenschaft, eingebunden in ein Verbundsystem von genossenschaftlichen Unternehmen und Ver-bänden. Dies und die Verlässlichkeit des DGRV kommen bei den Partnern vor Ort gut an. Zudem profitieren sie von den weltweiten Erfahrungen des DGRV beim Aufbau genossenschaftlicher Syste-me. Die Arbeit des DGRV ist Teil der offiziellen Entwicklungszu-sammenarbeit zwischen Deutschland und der Türkei und wird vom BMZ voll finanziert.

Die Schulungen für Landfrauen haben regen Zulauf.

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Bosnien-HerzegowinaEs ist gut, wenn Genossenschaften Käse machen

Der Hartkäse? Oder doch besser der Weichkäse? Der Käse stellt sich dem Urteil kritischer Verbraucherinnen.

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Friedlich grasen schwarzbunte und braune Kühe auf Ge-birgswiesen, eine leichte Brise trägt den Duft der blühen-den Wiesen und Kräuter durch die Bergdörfer. Wie bunte Tupfer in der Landschaft leuchten die rotbraunen Ziegel-dächer kleiner Gehöfte im Sonnenlicht.

Es ist ein reizvolles Bild, doch der Schein trügt. Bei näherem Hinsehen erkennt man die Zeichen der Armut, in der die Men-schen in den abgelegenen Gebieten leben. Die Dörfer und Höfe sind oft nur über staubige Schotterstraßen zu erreichen, die sich in engen Serpentinen durch die Berge winden. Im Winter sind die Dörfer oft tagelang wegen der Schneemassen von der Au-ßenwelt abgeschlossen. Die Menschen hier leiden noch immer unter den Folgen des Zusammenbruches des jugoslawischen Staates, des Bürgerkriegs und der wirtschaftlichen Probleme, die er gebracht hat.

Mit dem Aufbau kleiner genossenschaftlicher Käsereien fördert der DGRV seit einigen Jahren die Entwicklung in diesen struktur-schwachen Regionen in Bosnien-Herzegowina und Montenegro. Diese „Pilotgenossenschaften“ sollen zeigen, wie die Menschen im ländlichen Raum ihre Lebensverhältnisse mit genossenschaft-lich organisierten Kleinunternehmen verbessern können.

Endlich ein sicheres EinkommenIn Bosnien-Herzegowina nutzen inzwischen schon rund 750 kleinbäuerliche Betriebe – vorwiegend in armen Gebirgsregio-nen – die Möglichkeit, die Milch, die sie auf ihren meist sehr kleinen Hofstellen erzeugt haben, in gemeinsamen, kleinen Hof-käsereien zu verarbeiten. Viele Milchbauern – sehr oft Frauen –

könnten ihre Milch sonst kaum vermarkten. Nun erhalten sie pünktlich das Geld für ihre Milch. Rund 3.000 Menschen verfü-gen damit erstmals über ein dauerhaft sicheres Einkommen in ihren Familien.

Das Potenzial ist groß: Viele Kleinst- und Kleinbetriebe erzeugen Milch, nicht nur von Kühen, sondern auch von Schafen und Zie-gen. Die Genossenschaften bieten ihnen nun die reelle Chance, die Milchproduktion und damit ihr Einkommen zu steigern. Doch es ist ein langer Weg, die Menschen davon zu überzeugen, dass Genossenschaften Selbsthilfeunternehmen von ihnen und für sie sind. Denn im früheren Jugoslawien waren Genossen-schaften Instrumente der staatlichen Planwirtschaft, und die Bauern sind misstrauisch.

Leckeres KäsesortimentDie schmackhaften, heimischen Käsesorten – Hart-, Weich- und Schnittkäse – erobern unter den verschiedenen Markennamen der Genossenschaften mehr und mehr die Gunst der Verbrau-cher. Um ihre Marktposition zu stärken, haben die bosnischen Käsereigenossenschaften eine zentrale Handelsgenossenschaft gegründet, die bei der Vermarktung unterstützt. Sie hat sich ei-nen exzellenten Ruf als verlässlicher Lieferant eines attraktiven Sortiments an Qualitätskäse erarbeitet und beliefert neben dem Handel auch Großverbraucher wie Krankenhäuser.

Schon jetzt ist das Ergebnis der Genossenschaftsarbeit positiv: Produktion, Qualität und Märkte wurden gesichert, und in die Kassen der Genossenschaften und ihrer Mitglieder fließt mehr Geld.

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UkraineDer Aufbau von Spar- und Kreditgenossenschaften in der Ukraine trägt Früchte: Das Angebot an Finanzdienstleis-tungen im ländlichen Raum hat sich erheblich verbessert. Ansehen und Sicherheit der genossenschaftlichen Kredit-institute sind gestiegen – nicht zuletzt, weil staatliche Regulierung und Aufsicht effizienter geworden sind. Zu-dem haben die Genossenschaften eigene Institutionen geschaffen, um die Stabilität des Genossenschaftssys-tems zu sichern und den Service zu verbessern.

Grundlage dafür ist das Konzept des ukrainischen Parlaments für den genossenschaftlichen Finanzsektor, das international anerkannte Regulierungen und Standards übernommen hat. Zwar sind längst nicht alle Kreditgenossenschaften in das neue System integriert, aber es hat Beispielwirkung und ist über die Grenzen der Ukraine hinaus bekannt geworden. Der DGRV un-terstützt das Genossenschaftssystem im Auftrag der bundesei-genen Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenar-beit (GIZ) seit 2004.

Die Beratung des DGRV und die Arbeit seiner Partner zielen darauf, die Gesetzeslage und die staatliche Regulierung und Finanzaufsicht für Kreditgenossenschaften zu verbessern. Pa-rallel dazu werden Verbundeinrichtungen aufgebaut und unter-stützt, ohne die sich die Genossenschaften nicht nachhaltig entwickeln können.

Der nationale Dachverband VAKS ist Ansprechpartner für die Regionalverbände und die Kreditgenossenschaften. Er vertritt deren Interessen und berät in administrativen, wirtschaftlichen und juristischen Fragen. Er koordiniert die Verbundorganisatio-nen und steuert die Informationspolitik.

Das zentrale Finanzinstitut UOKS übernimmt den Liquiditätsaus-gleich und die Refinanzierung für die Mitgliedsgenossenschaften.

Stabilität und Solidität der Kreditgenossenschaften werden durch die Einlagensicherung PZV und eine Wirtschaftsprüfungs-gesellschaft geschützt. Dabei entsprechen die Prüfungsmetho-dik und die Prüfungsmanuale internationalen Grundsätzen und basieren auf den Erfahrungen der deutschen genossenschaftli-chen Prüfung. Auch die Aufsichtsbehörden nutzen inzwischen diese Arbeitsunterlagen.

Ein wichtiger Faktor für den Erfolg von Genossenschaften ist die Qualifikation der Genossenschaftsmitarbeiter. Dazu entwickeln die Genossenschaftsverbände mit Unterstützung durch den DGRV ein eigenes Bildungsangebot.

Vom expandierenden und verlässlichen Genossenschaftssystem profitieren insbesondere kleine und mittlere Unternehmen und die Bevölkerung auf dem Land: Kreditgenossenschaften finan-zieren neben privaten Anschaffungen gerade auch kleine und mittlere Investitionen in Landwirtschaft und Gewerbe, Verarbei-tung und Handel. Und sie schaffen Zugang zu Finanzierungspro-grammen des Staates – etwa für Wohnungsbau und Maßnah-men zur energetischen Gebäudesanierung.

Kreditgenossenschaftliches Verbundsystem in der Ukraine

Anteile

Ländliche

Wirtschaft und

Bevölkerung

Nationale Sekundärstrukturen:

Nationaler Verband VAKS

Zentrales Finanzinstitut UOKS

Sicherungseinrichtung PZV

WP Gesellschaft

Aus- und Weiterbildung

Rahmenbedingungen

Parlament:

• Gesetz über Kreditgenossenschaften

• Andere relevante Gesetze

Aufsichtsbehörde:

• Normen zur Regulierung und Aufsicht

• Regulierungs- und Aufsichtstätigkeit

Regionale Sekundärstrukturen:

Regionalverbände

• Interessenvertretung

• Bindeglied zu nationalen Strukturen

Mik

ro-

fina

nzse

rvic

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KR

ED

ITG

EN

OS

SE

NS

CH

AF

TE

N

Regulierung und ein starkes Verbundsystem ebnen den Weg

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DeutschlandNicht nur im Ausland aktiv

Der DGRV engagiert sich nicht nur in seinen Partnerlän-dern, sondern flankiert die internationale Arbeit auch durch entsprechende Maßnahmen in Deutschland. Dabei kann der DGRV – wie bei den Aktivitäten im Ausland – auf Unterstützung aus dem gesamten genossenschaftlichen Verbund zurückgreifen.

Fachprogramme und FachpraktikaFriedrich-Wilhelm Raiffeisen und Herman Schulze-Delitzsch, die die ersten modernen Genossenschaften ins Leben gerufen ha-ben, sind weltweit bekannt – ebenso wie die lange Tradition und der Erfolg der Genossenschaften in Deutschland und ande-ren Ländern. Das ist Anreiz für viele Partner, nach Deutschland zu kommen, um das Genossenschaftssystem näher kennen zu lernen. Die Fachbesuche und -praktika mit unterschiedlichen thematischen und regionalen Schwerpunkten zeigen den Gäs-ten konkret und anschaulich die lokale und regionale Bedeu-tung der Genossenschaften und ihre Wirkungen auf unsere Wirt-schaft und Gesellschaft. So geben die Fachprogramme wichtige Impulse zur Weiterentwicklung der Genossenschaftssysteme in den Partnerländern.

Ausstellung „Chance für Millionen“Die Wanderausstellung „Chance für Millionen“ zeigt seit ihrer Eröffnung in der WGZ Bank in Düsseldorf im Oktober 2010 an-hand konkreter Beispiele die internationale Projektarbeit des DGRV. Die Ausstellung ist in Genossenschaften und Institutio-nen im genossenschaftlichen Verbund unterwegs, um Mitglieder und Kunden über die Entwicklungsarbeit des DGRV zu informie-ren. Damit trägt der DGRV auch auf diesem Weg zur entwick-lungspolitischen Bildungsarbeit in Deutschland bei.

International Cooperative DialogueIn enger Zusammenarbeit zwischen dem DRGV und der Akade-mie Deutscher Genossenschaften (ADG) findet seit einigen Jah-ren auf Schloss Montabaur die Veranstaltungsreihe „Internatio-nal Cooperative Dialogue“ (ICD) statt. Für Fachleute aus aller Welt bietet sich hier eine Plattform, auf der sie sich über genos-senschaftsrelevante Themen austauschen und neue Anregungen für Ihre Arbeit bekommen, aber auch – etwa durch Exkursionen – einen Einblick in die praktische Arbeit unserer Genossenschaf-ten erhalten. Vor dem Hintergrund der Finanzkrise und der Be-deutung sicherer und stabiler Finanzsysteme widmete sich der Auftaktdialog im Februar 2008 dem Thema „Sound Financial Systems: Regulation and Supervision – Structures, Processes and Instruments“.

Besonders für kleine und mittlere Unternehmen in Deutschland und vielen Ländern der Welt spielen Genossenschaften eine be-deutende Rolle. Der zweite ICD im Oktober 2009 stand daher unter dem Leitthema „Development and Finance of MSME – Challenges in Times of Crisis”.

Gut ausgebildetes Personal auf allen Ebenen ist einer der wich-tigsten Erfolgsfaktoren von Genossenschaften. So befasste sich der dritte ICD im Herbst 2011 mit dem Themenkomplex „Human Resource Development & Training – Key Success Factors of the Cooperative Business Model“.

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Deutscher Genossenschafts- und Raiffeisenverband

1.138 Kredit- genossenschaften

(Volksbanken, Raiffeisenbanken, Sparda, PSD u.a)

16,7 Mio. Mitglieder 160.000 Mitarbeiter

2.604 ländliche Genossenschaften

(Bezug- und Absatz, Milch, Obst u. Gemüse,

Wein, Fleisch, Agrar u.a.)

1,7 Mio. Mitglieder 100.000 Mitarbeiter

1.622 gewerbliche Genossenschaften

(Handel, Handwerk, fr. Berufe, Verkehr, Produktivgen. u.a.)

300.000 Mitglieder 483.000 Mitarbeiter

219 Konsum- genossenschaften

500.000 Mitglieder 15.000 Mitarbeiter

2 Zentralbanken (DZ BANK, WGZ)

8 Spezial-Verbund- unternehmen

(Bausparkasse Schwabisch Hall, Deutsche Genossen-schafts-Hypothekenbank, R+V Versicherung u.a.)

6 Hauptgenossen-schaften

(daneben gibt es Molkereizentralen, Vieh- und Fleisch-

zentralen u.a.)

7 Zentral- unternehmen

(BÄKO, EDEKA, Rewe, ZEDACH, u. a.)

1 Zentral- genossenschaft

(Zentralkonsum eG)

Genossenschaften in Deutschland

Bundesverband der Deutschen

Volksbanken und Raiffeisenbanken (BVR)

Deutscher Raiffeisenverband (DRV)

Der Mittelstands- verbund – ZGV

Zentralverband deutscher Konsum-

genossenschaften (ZdK)

6 regionale Prüfungsverbände (Baden-Württemberg, Bayern, Genossenschaftsverband, Mitteldeutschland, Rheinland-Westfalen, Weser-Ems)

6 Fachprüfungsverbände (PSD, Sparda, FPV, EDEKA, Rewe, Verkehr)

Stand: 31. 12. 2010

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Seit ihrer Entstehung haben die Genossenschaften ein Ziel: die wirtschaftliche Förderung ihrer Mitglieder. Dies wurde bereits 1889 im deutschen Genossenschaftsgesetz festgeschrieben und findet sich in ähnlicher Form in den Rechtsgrundlagen für Genossenschaften vieler Länder.

Genossenschaften im Realsektor setzen diesen Auftrag ihrer Mit-glieder täglich um, indem sie deren Stellung in einer oder in meh-reren Wertschöpfungsketten stärken: Sie sind Glieder der Kette. Sie bieten ihren Eigentümern Dienstleistungen an, die diese für ihre wirtschaftliche Tätigkeit benötigen; dies ist ihr Existenzzweck.Landwirten bieten Genossenschaften zum Beispiel die Lieferung von Produktionsmitteln sowie die Annahme, Aufbereitung, La-gerung, Verarbeitung von Produkten bis hin zur Vermarktung an Endverbraucher. Dazu gibt es unterschiedliche, spezialisierte Ge-

nossenschaften: örtliche Bezugs- und Absatzgenossenschaften, wo Landwirte etwa Saatgut, Düngemittel, Futtermittel und Ag-rartechnik beziehen und ihr Getreide verkaufen. Ihre Finanzge-schäfte wickeln sie mit der Genossenschaftsbank ab und liefern ihre Milch an die Molkereigenossenschaft. So agieren Genos-senschaften an vielen Stellen der jeweiligen Wertschöpfungs-kette im Interesse der Landwirte und steigern deren Anteil an der Wertschöpfung. Hierzulande gibt es wenige Landwirte, die nicht von den Leistungen einer Genossenschaft profitieren.

Je mehr Stufen einer Wertschöpfungskette den Landwirten selbst gehören, desto größer ist der Nutzen für sie. Schon kurz nach Gründung der ersten landwirtschaftlichen Warengenos-senschaften entstanden daher Warenzentralen zum zentralen Einkauf, zur Verarbeitung, Produktion und Vermarktung.

Brücke zum Markt – starke Glieder in der landwirtschaftlichen Wertschöpfungskette

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DGRV – Deutscher Genossenschafts- und Raiffeisenverband e. V. Abteilung Internationale Beziehungen Adenauerallee 121 D-53113 Bonn Tel. 0228 / 8861-352 Fax 0228 / [email protected]

Text: DGRV, Abteilung Internationale Beziehungen Media Company, Agentur für Kommunikation GmbH

Gestaltung: MediaCompany

Fotos: Alle Bilder wurden im Rahmen der DGRV-Projektarbeit aufgenommen bzw. zur Verfügung gestellt.

Mehr zum entwicklungspolitischen Engagement des DGRV finden Sie unter:www.dgrv.de/international

Nachdruck und Vervielfältigung – auch auszugsweise – nur mit Quellenangabe und nach vorheriger Genehmigung durch den Herausgeber gestattet.

Stand: Oktober 2011

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Deutscher Genossenschafts- und Raiffeisenverband e. V. Pariser Platz 3 | D-10117 Berlin | www.dgrv.de