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GENOGRAPH 6/2010 44 Schwerpunkt Zukunft der Landwirtschaft er in Zukunft erfolgreich Lebens- mittel verkaufen will, muss die Kultur der Ernährung ändern – was eine zentrale Herausforderung ist, zweifellos. Aber es lohnt sich, denn die Al- ternative heißt: Preiskampf. Und was dieser bedeutet, wissen alle Lebensmittelerzeuger, man denke nur an das Drama der Milch- bauern. Ich habe dabei Verständnis für den Ruf nach politischer Unterstützung, glaube jedoch, dass die Zukunft der Lebensmittel- branche in der Erneuerung ihres Marktes liegt. Dessen Entwicklung zeigt die Ursa- chen des Preisdrucks: Durch die rigorose In- dustrialisierung der Nahrungsmittelerzeu- gung haben wir es mit einer generellen Massen- und latenten Überproduktion zu tun. Hinzu kommt die Marktmacht der Dis- counter. Im 100-Jahresvergleich zeigt sich, dass die Geschichte der Lebensmittelpreise eine Negativspirale nach unten ist. Wäh- rend Einkommen, Vermögen und Kaufkraft in diesem Zeitabschnitt einen Höhenflug er- lebten, sind im Vergleich dazu die Preise für Lebensmittel regelrecht abgestürzt. Die Zukunft des Lebensmittelmarktes W Kost kommt nicht von Kosten von Oliver W. Schwarzmann © detailblick – fotolia.com

Kost kommt nicht von Kosten

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Die Zukunft des Lebensmittelmarktes - Beitrag von Oliver Schwarzmann

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GENOGRAPH 6/201044

Schwerpunkt Zukunft der Landwirtschaft

er in Zukunft erfolgreich Lebens-mittel verkaufen will, muss dieKultur der Ernährung ändern

– was eine zentrale Herausforderung ist,zweifellos. Aber es lohnt sich, denn die Al-ternative heißt: Preiskampf. Und was dieserbedeutet, wissen alle Lebensmittelerzeuger,man denke nur an das Drama der Milch-bauern. Ich habe dabei Verständnis für denRuf nach politischer Unterstützung, glaubejedoch, dass die Zukunft der Lebensmittel-branche in der Erneuerung ihres Marktesliegt. Dessen Entwicklung zeigt die Ursa-chen des Preisdrucks: Durch die rigorose In-dustrialisierung der Nahrungsmittelerzeu-gung haben wir es mit einer generellenMassen- und latenten Überproduktion zutun. Hinzu kommt die Marktmacht der Dis-counter. Im 100-Jahresvergleich zeigt sich,dass die Geschichte der Lebensmittelpreiseeine Negativspirale nach unten ist. Wäh-rend Einkommen, Vermögen und Kaufkraftin diesem Zeitabschnitt einen Höhenflug er-lebten, sind im Vergleich dazu die Preise fürLebensmittel regelrecht abgestürzt.

Die Zukunft des Lebensmittelmarktes

WKost kommt nicht von Kosten von Oliver W. Schwarzmann

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Schwerpunkt Zukunft der Landwirtschaft

Wie ist der Lebensmittelmarkt zu erneuern?

Hier kommt eine Entwicklung ins Spiel, die dieses Vorhabenunterstützt: Verbraucher kaufen nicht mehr wirklich das, wassie essen wollen, sondern sie essen so, wie sie kaufen. Heißt:Das Konsumverhalten bestimmt unsere Ernährungskultur. Unddas Konsumverhalten geht direkt auf unseren Lebensstil zu-rück, der sich wiederum an einigen Trends festmachen lässt,die – und so schließt sich der Kreis – den Markt beeinflussen.Erinnern wir uns an das Ende der 1980er Jahre: Seinerzeit wares chic und angesagt, billig einzukaufen. Die Folge: Selbst hoheEinkommensbezieher tummelten sich bei Billig-Discountern. Eserschien sogar ein Buch zum Trend mit dem vielsagenden Titel:„Im Armani zum Aldi“ (Christine und Harald Lüders, ISBN3596160472). Obwohl es unzweifelhaft ist, dass es Bevölkerungsschichtengibt, die aufgrund ihrer Einkommenssituation jeden Cent um-drehen müssen, ist der Konsum keine Frage des Preises. Wäredem so, würde es viele Konsumbereiche nicht mehr geben.Zudem gilt: Auch mit schmalem Budget ist bewusster Konsum,insbesondere im Lebensmittelsegment, durchaus möglich. DieMehrheit der Verbraucher indes entscheidet nach persönlicherLife-Style-Orientierung – dabei spielt der Preis nur dann eineRolle, wenn andere Alleinstellungsmerkmale fehlen.Das ist ein großes Dilemma im Lebensmittelsegment: Viele Pro-dukte sind einfach nicht klar zu unterscheiden, weshalb derKäufer zwangsweise eine „Wahl nach Preis“ trifft. Alle Analysenzeigen: Interessante Preise lassen sich nur mit einem besonde-ren Mehrwert durchsetzen. Die eigentliche Marktmacht stecktnicht in den Absatzstrukturen, sondern liegt im Wunsch desKunden nach Einzigartigem und Außergewöhnlichem. Wer dasbieten kann, gewinnt. Hiervon profitieren beispielsweise nach wie vor Öko- oder Bio-Produkte. Doch Vorsicht: Mit ihrer Massenausbreitung verfälltihre Exklusivität und damit ihr Marktwert. Gleiches erlebte dieWellnessbranche vor einigen Jahren – dieser Trend war derarterfolgreich, dass er nahezu jede Marktnische zierte und da-

durch letztlich wertlos wurde. Die Bezeichnung „Wellness“ istheute kein Marken-Privileg mehr, höhere Preise lassen sichdamit nicht mehr erzielen. Im Gegenteil: Wellness ist mittler-weile eine Standardeigenschaft.

Lebensstil und Ernährungsbewusstsein

Die Veränderung des Konsumverhaltens beginnt beim Lebens-stil – und dieser ist nichts Geringeres als die Entfaltung unse-res Bewusstseins. Damit stellt sich schon die erste Frage:„Welches Ernährungsbewusstsein besitzen wir?“ Die Antwortist motivierend, denn hier tut sich einiges: Wir wollen nichtmehr nur „billig und schnell“ essen, sondern legen zunehmendWert auf Qualität, Herkunft und Wirkung der Lebensmittelpro-dukte. Die Grafik zeigt die wichtigsten Life-Style-Trends undihre Effekte auf den Lebensmittelmarkt:

Mobilität: In einer dynamischen Welt gehört schnelles Essendazu. Davon profitieren Instant- und Fast-Food-Produkte sowieTo-Go-Angebote. Allerdings steht die Branche im Ruf, schlechteund ungesunde Lebensmittel zu verkaufen, weshalb in diesemMarktsegment mit kommenden Gesundheitskampagnen zurechnen ist.Vitalität: Körperliche und geistige Fitness sind nicht nur das Er-gebnis sportlicher Betätigung, sondern vor allem ein Effekt rich-tiger Ernährung. In diesem Bereich ist die derzeitige Bewusst-seinsbildung am stärksten ausgeprägt – Industrien, die Well-ness-Food, Health-Food, Functional-Food und Design-Food her-stellen, sind erfolgreich. Wenngleich sie ebenfalls im Rufstehen, künstliche, sprich: unnatürliche und ungesunde Le-bensmittel herzustellen. Deshalb glaube ich, dass von diesemTrend vor allem regionale Anbieter und Hersteller von Öko- oderBio-Waren profitieren werden. Intimität: Aufgrund der Lebensmittelskandale und des darausentstandenen Misstrauens setzen viele Verbraucher auf „Pro-dukte der Nähe“ – Anbieter vor Ort punkten daher mit tradi-

Phasen des Lebensmittelmarktes

Sicherstellungder Produktion

Erschließungs-wettbewerb

Versorgung

1900 1950 1990 2000 2010

Industrialisierungder Produktion

Markt-wettbewerb

Verfügbarkeit

Rationalisierungder Produktion

Kosten-wettbewerb

Preis

Mehrwertschaffungzur Produktion

Wirkungs-wettbewerb

Vitalität

Philosophieder Produktion

Motivations-wettbewerb

Bewusstsein

Erzeugung + Verarbeitung Industrialisierung + Distribution

Qualifizierung + Vermarktung

Quell

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liver

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GENOGRAPH 6/201046

Autor

Oliver W. SchwarzmannZukunftsforscher & Vor-denker, Vordenker-Medien,Bley und Schwarzmann AG

tionellem, authentischem und frischem Angebot. In Kombina-tion mit dem Trend zur Vitalität ein Erfolgsrezept. Tipp: GuteBeratung (gerade über die physiologische Wirkung von Le-bensmitteln) und hohe Verfügbarkeit (Öffnungszeiten, Erreich-barkeit) sicherstellen.Privilegierter Genuss: Die Gruppe der Genießer und damit derMarkt für Premiumprodukte wachsen, u.a. auch durch die de-mografische Entwicklung – die „jungen Alten“ besitzen nichtnur Kaufkraft, sondern verfügen über ein gutes Gespür für Qua-lität und Genuss. Die Demografie birgt weiteres Potenzial: Kom-munikations- und Serviceansprüche von Senioren sind hoch– gute Chancen für regionale Anbieter, die Raum für entspannteGespräche schaffen und darüber hinaus verschiedene Service-leistungen anbieten.Philosophie: Der „moralische Konsum“ ist im Kommen – dieSensibilität gegenüber dem Umgang mit unserem Planetenwächst, was sich nicht nur in der Infrastruktur und bei der Ener-gieerzeugung niederschlägt, sondern auch bei der Wahl derNahrungsprodukte: Lebensmittel schaffen eine Art „Verbindungzur Erde“, was sich nicht nur im prosperierenden Marktseg-ment von Öko- oder Bioprodukten ausdrückt, sondern auch imErfolg der Fair-Trade-Waren. Hier gilt: Die Verarbeitungsphilo-sophie ist pures Marketing! Ein Konzept, das auch auf andereLebensmittelsegmente übertragen werden kann. Zudem interessant: Immer mehr junge Konsumenten interes-sieren sich für diese „ethische Form“ der Nahrungsmittel,fernab vom Klischee der Fast-Food-Generation. Nicht nur das: Die Öko- oder Bio-Branche wird sich erneuernmüssen – einen guten Ansatz bietet der Begriff „Biologie“ inseiner Übersetzung für „das Lebendige“ – Bio-Produkte könn-ten mit einer „Philosophie des Lebens“ zum Synonym für „le-bendige Produkte“ werden inklusive der Ausstrahlung einer„neuen Verbundenheit zur Erde“. Für dieses Marketingkonzeptsehe ich Top-Chancen.

Preisorientierung: Wie gesagt – der Preis ist letztes Orientie-rungsmittel, wenn Produkte nicht nur gleich aussehen, sondernauch sonst keine Besonderheiten besitzen.

Genuss verbindet äußerer mit innerer Welt

Lebensmittelherstellung und ihr Vertrieb sind mittlerweile zumMarketingfaktor geworden, weil die „Kultur der Verarbeitung“(Philosophie) und die „Wirkung der Produkte“ (Mehrwert-Ef-fekt) den Konsumenten in einer besonderen und faszinieren-den Weise kommuniziert werden müssen. Der Konsum vonLebensmitteln sollte in Zukunft eine „philosophisch-kulturelleHandlung“ sein – ganz in der Leichtigkeit einer neuen Lebens-Souveränität. Der Genuss sollte als „Verbindung zwischen äu-ßerer und innerer Welt“ verstanden werden. Und danach solltenauch Verkaufsräume gestaltet werden – eine schlechte Waren-präsentation, keine Wohlfühl-Atmosphäre, mangelnde Kom-munikation und Beratung sowie das Fehlen besondererProdukte sind absolute Erfolgskiller. Wir dürfen nicht vergessen – Lebensmittel sind kein Gegen-stand einer rationalen Kosten-Nutzen-Rechnung. Ich meine: DasEssen ist die Weise, wie wir uns selbst in der Welt erleben. Die-sem Anspruch sollten wir gerecht werden. Dann kommt auchder Erfolg.

Die Struktur des LebensmittelmarktesSchwarzmann-Modell der Wirkungsschichten im Lebensmittelkonsum

Quell

e: O

liver

W. S

chw

arzm

ann

Konsum-

Premium-Food

Bio-/Öko-Food/Fair-Trade-Food

Discount-Food/Handelsmarken

Tradional-/Authentic-/Fresh-Food

Instant-/Fast-/To-Go-Food

Wellness-/Health-/Functional-/Design-Food

Ernährungs-

Lebensmittel-

Privi

legier

ter G

enus

s

Preisorientierung

Intimität

VirtualitätMobilität

Philosophie

Kultur

Kultur

Markt

Lebens-kultur