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Kreatives Schreiben an der Hochschule
Interdisziplinäre Perspektiven auf kreative Schreibkompetenzen und
Schreibprozesse von Studierenden.
Eine qualitativ-empirische Untersuchung
Der philosophischen Fakultät
der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg
zur
Erlangung des Doktorgrades Dr. phil.
vorgelegt von
Jens Behning
aus Saalfeld/Saale
2
Nur die ästhetische Erziehung des Menschen führt in die einzig
menschenwürdige Freiheit.
Friedrich Schiller
3
VorwortundDanksagung
Es wäre vermessen, nicht zu erwähnen, wie viele unterschiedliche Personen zur Entstehung
der vorliegenden Arbeit beigetragen haben. All jenen möchte ich danken.
Allen voran bedanke ich mich bei meiner „Doktormutter“ Prof. Dr. Gabriele Pommerin-Götze
für die jahrelange Unterstützung, die Geduld und die steten Ermutigungen, nicht an der
thematischen und methodologischen Komplexität und der Interdisziplinarität des
Forschungsvorhabens zu verzweifeln. Ihre Hartnäckigkeit und ihre klaren Worte gegenüber
meiner fast schon zelebrierten Ausdauer beim Schreiben der Dissertationsschrift halfen mir
für den Abschluss der Arbeit. Frau Prof. Dr. Gabriela Paule danke ich für die
Zweitbegutachtung, für die Tipps und für die Unterstützung während meiner Zeit in Bayreuth.
Die Dissertation entstand im Rahmen des Verbundforschungsprojekts Die Bedeutung des
Schreibens und Kreativen Gestaltens für die Entwicklung des Menschen, speziell im
Teilprojekt Kreatives Schreiben und ästhetisches Gestalten unter der Leitung von Prof. Dr.
Gabriele Pommerin-Götze. Für die Stelle als Forschungsassistent danke ich der Staedtler-
Stiftung und insbesondere der Leiterin des Gesamtprojekts Prof. Dr. Susanne Liebmann-
Wurmer für die Möglichkeiten des Austausches und des Hineinwachsens in eine
überdurchschnittlich dimensionierte und stark interdisziplinäre Forschungsgemeinschaft. Für
die Durchführung der Intensivseminare sei Dr. Jutta Wolfrum, Stephanie Wunderlich und
Frauke Lehn ganz herzlich gedankt.
Des Weiteren danke ich Prof. Burkard Vetter und Prof. Peter Thiele für die herzliche
Aufnahme an der Fakultät Design der Technischen Hochschule Nürnberg, wo ich mehrere
Semester versuchte, bildnerisch-ästhetische Fertigkeiten zu entwickeln und künstlerische
Arbeitsweisen der Designstudierenden zu verstehen. Danke auch für die kritischen und
kontroversen Auseinandersetzungen zum Thema Kreativität und für die Zusammenarbeit
beim Dreh des Dokumentarfilms durch transfers-film mit Gülseren Suzan und Jochen Menzel.
Für das Vorstellen-Dürfen und Kritisiert-Werden im Sinne eines wissenschaftlichen
Austausches mit konstruktivem und hilfreichem Feedback bedanke ich mich außerdem bei
Prof. Dr. Anja Ballis, Prof. Dr. Katrin Lehnen und bei Prof. Dr. Torsten Steinhoff. Für die
Mitarbeit, die geopferte Freizeit, die Hilfe und die ehrlichen Rückmeldungen zum
entwickelten Bewertungsmodell bedanke ich mich bei allen Ratern und studentischen
Hilfskräften, insbesondere bei Nadine Aigner, Maximilian Eder, Sandra Kreuzer, Iliada
4
Karamihali, Stephanie Dietrich und Magdalena Baßler. Für das Korrekturlesen und das
Nachrechnen zu jeglicher Tag- und Nachtzeit danke ich Doris Behning aufrichtig.
Die erhobenen Daten, die in der vorliegenden Dissertation vorgestellt, ausgewertet und
diskutiert werden, gehen auf Fragebögen und Arbeiten von insgesamt fast zweihundert
Studierenden zurück, die über ein gefordertes Maß hinaus arbeiteten, sich ständig
Befragungen aussetzten und Arbeitsweisen ausprobieren mussten, welche normalerweise
keine Inhalte des gewählten Studiengangs sind. Ihnen gebührt ein außerordentliches
Dankeschön.
Die vorgelegte Dissertation hat mir nicht selten meine eigenen Grenzen in verschiedenen
Bereichen aufgezeigt, und doch konnte ich nicht nachlassen und wollte weitere Aspekte
untersuchen. Das war aber nur möglich, weil meine bessere Hälfte Lena mich bei dem
Promotionsvorhaben voll unterstützt hat. Muchisimas gracias a ti, mi vida. Danke auch an
meine beiden Kinder für die Nachsicht, viele Wochenenden und einige Urlaube ohne den
Papa verbracht zu haben.
Inhaltsverzeichnis
Vorwort und DanksagungVorwort und DanksagungVorwort und DanksagungVorwort und Danksagung ................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................ 3333
1.1.1.1. EinleitungEinleitungEinleitungEinleitung ................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................ 9999
1.1 Zielsetzung ................................................................................................................... 13
1.2 Verortung und Abgrenzung .................................................................................... 14
1.3 Darstellungsweise ..................................................................................................... 16
2.2.2.2. Kreatives Schreiben an der Hochschule Kreatives Schreiben an der Hochschule Kreatives Schreiben an der Hochschule Kreatives Schreiben an der Hochschule ‒ Theoretische Grundlegung‒ Theoretische Grundlegung‒ Theoretische Grundlegung‒ Theoretische Grundlegung ....................................................................................18181818
2.1 Kreativität: Begriffsdiskurs und disziplinspezifische Arbeitsdefinition .. 18
2.1.1 Zum historisch gewachsenen Verständnis von Kreativität ................................ 182.1.2 Kreativität im Fokus von individueller Leistung und individuellem Prozess ...... 222.1.3 Kreativität und ästhetische Sprachverwendung ................................................ 292.1.4 Kritik am Konzept der Kreativität ....................................................................... 312.1.5 Lehr- und Lernbarkeit kreativer Leistungen ....................................................... 32
2.1.6 Fazit: Kreativität ................................................................................................. 34
2.2 Forschungsgegenstand Schreiben ‒ ein Überblick ......................................... 37
2.2.1 Sprache und Denken ‒ Schrift und Schreiben .................................................. 392.2.2 Mündlichkeit und Schriftlichkeit ......................................................................... 422.2.3 Schreibkompetenz und Schreibkompetenzentwicklung für Hochschulreife
und Studium ....................................................................................................... 482.2.4 Schreibprozessforschung .................................................................................. 572.2.5 Schreibdidaktische Hochschulperspektiven ...................................................... 71
2.2.6 Fazit Fortgeschrittenes Schreiben mit Studierenden ........................................ 80
2.3 Fortgeschrittenes Kreatives Schreiben im Rahmen bildungs- institutionellen Lernens ........................................................................................... 83
2.3.1 Fortgeschrittenes Kreatives Schreiben zwischen Experimentieren und Rationalisieren, Willkür und Intention ................................................................ 84
2.3.1.1 Annäherung an den Begriff Fortgeschrittenes Kreatives Schreiben ....... 842.3.1.2 Entwicklung des Kreativen Schreibens: Ein historischer Rückblick ........ 86
2.3.1.3 Neurowissenschaftliche und neurodidaktische Überlegungen ................ 912.3.1.4 Zielgerichtetes Konzipieren und „ernsthaftes Spielen“ bei
der Textproduktion ................................................................................... 942.3.1.5 Bedeutungen fortgeschrittener kreativer Schreibkompetenzen für das
akademische Schreiben .......................................................................... 952.3.2 Zum Zusammenhang von Kreativem Schreiben und Ästhetischem Gestalten 102
5
6
2.3.3 Reflexion und fortgeschrittenes Kreatives Schreiben als akademische Praxis115
2.3.3.1 Reflexion und Kreativität ........................................................................ 1152.3.3.2 Selbstreflexion und anthropologische Überlegungen ............................ 1162.3.3.3 Reflexion des Textprodukts und des Schreibprozesses ....................... 1192.3.3.4 Didaktische Perspektive auf Reflexion beim Kreativen Schreiben
Studierender .......................................................................................... 122
2.3.3.5 Mündliche vs. schriftliche Reflexion ....................................................... 1262.3.3.6 Reflexion und Portfolio ........................................................................... 127
2.3.4 Exkurs: Überlegungen zur Reformation akademischen Lernens durch Schreiben ............................................................................................... 131
2.3.5 Lehrerbildung und Kreatives Schreiben an Schule und Universität ................ 1352.3.6 Fazit fortgeschrittenes Kreatives Schreiben .................................................... 137
2.4 Analyse und Bewertung des Kreativen Schreibens ....................................... 143
2.4.1 Diskurs über die Bewertbarkeit Kreativen Schreibens .................................... 143
2.4.2 Analyse und Bewertung von Texten mit einem Kreativitätsfokus.................... 1472.4.2.1 Kriterien für eine textproduktorientierte Analyse und Bewertung
kreativer Texte ....................................................................................... 1492.4.3 Analyse und Bewertung des Schreibprozesses mit Kreativitätsfokus ............. 155
2.4.3.1 Kriterien für eine prozessorientierte Bewertung kreativer Texte ........... 1582.4.4 Analyse und Selbstbewertung durch den Autor .............................................. 161
2.4.5 Vereinbarkeit von Text- und Prozessfokus ...................................................... 1632.4.6 Fazit Bewertung des fortgeschrittenen Kreativen Schreibens ......................... 165
3333 EEEEmmmmppppiiiirrrriiiisssscccchhhheeee UUUUnnnntttteeeerrrrssssuuuucccchhhhuuuunnnngggg ....................................................................................... 111166669999
3.1 Leitende Forschungsfragen .......................................................................................... 166
3.2 Untersuchungskonstellationen ................................................................................... 167
3.2.1 Auswahl und Charakterisierung der Probanden .............................................. 1673.2.2 Interdisziplinäre Intensivseminare zum fortgeschrittenen Kreativen Schreiben
und ästhetischen Gestalten mit Studierenden ................................................. 1693.2.3 Selbstständige Projektarbeit der Studierenden in interdisziplinären Tandems.
Das Besondere Portrait .................................................................................... 172
3.3 Methodisch-praxeologische Vorüberlegungen zur Datenerhebung
und Auswertung ................................................................................................................. 174
3.3.1 Befragung von Studierenden und Experten ..................................................... 1783.3.2 Textanalyse und Fallstudien ausgewählter Texte und Teilnehmer.................. 1843.3.3 Grounded-Theory-Methodik (GTM) ................................................................. 1863.3.4 Zusammenfassung methodisch-praxeologischer Vorüberlegungen ............... 188
3.4 Untersuchungsschwerpunkt 1: Schriftliche Befragung Studierender
mit dem Fragebogen: Ich kann schreiben .............................................................. 190
Soziographische Daten befragter Studierender ............................................... 1923.4.1
Bedeutung des Schreibens für Studierende .................................................... 1943.4.2 Schreiberfahrungen, Schreibgewohnheiten und Mediengebrauch .................. 1973.4.3 Selbsteinschätzungen Studierender hinsichtlich ihrer Schreibkompetenz ...... 2113.4.4 Motivation und Emotion beim Schreiben Studierender .................................... 2153.4.5 Einschätzungen Studierender hinsichtlich kreativer Prozesse, 3.4.6
Schwierigkeiten und Wünsche beim Schreiben ............................................... 229 Relationen zwischen Schreiben und bildlichem Gestalten Studierender ........ 238 3.4.7
3.5 Untersuchungsschwerpunkt 2: Bewertung von Kreativität beim fortge-
schrittenen Kreativen Schreiben von Studierenden .......................................... 241
Datengrundlage zur Untersuchung .................................................................. 2423.5.1 Aufbau der Untersuchung ................................................................................ 2453.5.2 Entwicklung der Messinstrumente ................................................................... 2463.5.3
3.5.3.1 Erste Globale Lesebegegnung EGL ...................................................... 246
3.5.3.2 Textproduktorientierte Analyse TOA ...................................................... 2483.5.3.3 Prozessorientierte Analyse POA ............................................................ 2523.5.3.4 Kreativitätsorientierte Textanalyse ......................................................... 261
Rating der Textproduktorientierten Analyse TOA an 100 Texten .................... 2653.5.4 Exemplarischer Einsatz der Messinstrumente EGL und TOA zur Bewertung 3.5.5
von Kreativität in vier verschiedenen Studierendentexten ............................... 2743.5.5.1 Text aus Seminareinheit Schreiben und Zeichnen zu Musik.
Musikalische Phantasiereise .................................................................. 2753.5.5.2 Seminareinheit Situatives Schreiben und Illustrieren............................. 282
3.5.5.3 Seminareinheit Écriture Automatique .................................................... 2873.5.5.4 Seminareinheit Schreiben und Zeichnen zu einem literarischen Impuls 293
3.5.5.5 Schreib- und Gestaltungsprojekt Das Besondere Portrait ..................... 298
3.6 Untersuchungsschwerpunkt 3: Schreibprozesse und deren Reflexion beim
fortgeschrittenen Kreativen Schreiben und ästhetischen Gestalten
von Studierenden ............................................................................................................... 311
3.6.1 Auswahl und Entwicklung eines diagnostisch-didaktischen Instrumentariums 3123.6.1.1 Datenerhebung: Monitoring und Reflexion kreativer Schreib-
und Gestaltungsprozesse ...................................................................... 313
3.6.1.2 Datenauswertung: Offene qualitative Inhaltsanalyse schriftlicher Reflexionen Studierender ....................................................................... 316
3.6.1.3 Diskursive Gruppeninterviews mit Studierenden zu Schreibprozessen im Intensivseminar ................................................................................. 318
7
Analyse von Reflexionen Studierender beim Kreativen Schreiben 3.6.2(und ästhetischem Gestalten) .......................................................................... 319
3.6.2.1 Seminareinheit Schreiben und Zeichnen zu Musik. Musikalische Phantasiereise .................................................................. 320
3.6.2.2 Seminareinheit Situatives Schreiben ..................................................... 3233.6.2.3 Seminareinheit Écriture Automatique .................................................... 3283.6.2.4 Seminareinheit Schreiben und Zeichnen zu einem literarischen Impuls 330
3.6.2.5 Reflexion zum Entstehungsprozesses des Besonderen Portraits: „Das rote Gewand“ ................................................................................. 334
3.6.2.6 Prozessanalyse des Besonderen Portraits „a′namnisi“ ......................... 3453.6.2.7 Ergänzende Auswertungen diskursiver Gruppeninterviews .................. 352
4444 FFFFoooorrrrsssscccchhhhuuuunnnnggggsssseeeerrrrggggeeeebbbbnnnniiiisssssssseeee,,,, AAAAuuuussssbbbblllliiiicccckkkk uuuunnnndddd DDDDeeeessssiiiiddddeeeerrrraaaatttt ................................................................................................................................................................................................................ 333355559999
4.1 Zur forschungsleitenden Fragestellung I: Schreibverhalten, Schreib-
prozess und Schreibmotivation Studierender .......................................................... 360
4.2 Zur forschungsleitenden Fragestellung II: Beurteilung von Kreativität
beim Kreativen Schreiben Studierender ..................................................................... 372
4.3 Zur forschungsleitenden Fragestellung III: Retrospektivische Reflexion
beim Kreativen Schreiben Studierender ..................................................................... 376
4.4 Zur forschungsleitenden Fragestellung IV: Eine Kreativität fördernde
Schreibdidaktik an der Hochschule .............................................................................. 382
4.5 Fazit und Ausblick .............................................................................................................. 391
Literaturverzeichnis ........................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................ 444400000000
Abbildungsverzeichnis ........................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................ 444422223333
Tabellenverzeichnis ........................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................ 444422226666
Anhang (CD) ................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................ 444422228888
8
9
1. Einleitung
Kreatives Schreiben heißt sich schreibend zu erproben, dabei seine Phantasie und seinen
Verstand benutzen, über Sprache und seine Konventionen nachzudenken und trotzdem das zu
schreiben, was man will. Ob dies mit besonderer Rücksicht auf Grammatik, Stil und
Orthographie geschieht oder zunächst ohne, hängt dabei vom Schreibenden und von der
Schreibsituation ab. Das Kreative Schreiben hat seine Anforderungen, aber auch seine
Chancen in der spielerischen Ernsthaftigkeit, was bei einer intensiveren Auseinandersetzung
mit diesem schreibdidaktischen Spezialgebiet deutlich wird. Dazu sollen die folgenden
Kapitel beitragen und anregen.
Da das Erlernen und die Vermittlung schriftsprachlicher Fähig- und Fertigkeiten in
Bildungsinstitutionen ‒ insbesondere die der Schreibkompetenz ‒ eng an die ontogenetische
Entwicklung1 der Lernenden gebunden ist, sei vorab gesagt, dass sich die im Folgenden
dargestellten Ausführungen auf das fortgeschrittene Schreiben2 beziehen. Der
Schriftspracherwerb bzw. das Erstschreiben und das Rechtschreiben als Kulturtechnik und
damit als Grundlage für die Ausdifferenzierung schriftsprachlicher Kompetenzen, die ab der
Phase der Adoleszenz befähigen, formalen, stilistischen, argumentativen oder gestalterischen
Kriterien zu entsprechen und diese zu reflektieren3, werden damit vorausgesetzt. Einen
besonderen Stellenwert hat hierbei das Kreative Schreiben, das Schreiberfahrungen und
Schreibvermittlung konträr zur textsortenspezifischen Schreibdidaktik versteht und als
koexistente schreibdidaktische Konzeption neben bisherigen Praktiken der Schreibvermittlung
gelten soll. Neben motorischen und kognitiven Fähig- und Fertigkeiten erfordert das Kreative
Schreiben zusätzlich ein hohes Maß an Assoziationsvermögen und Phantasie, die Fähigkeit
zur Abstraktion und Selbstreflexion, zum Perspektivenwechsel und zugleich eine gewisse
Empathie des Schreibenden.
Eine Fokussierung auf diese zusätzlichen Anforderungen des Kreativen Schreibens an den
Schreibenden, ist für die Themenabhandlung im Folgenden maßgebend. Weiterhin wird unter
Kreativem Schreiben in dieser Arbeit kein begrenztes Repertoire an Schreibverfahren
verstanden, sondern ferner die Subsumption bekannter Herangehensweisen und Verfahren des
1 Vgl. Feilke und Augst 1989 zur Ontogenese der Schreibkompetenz 2 vgl. Glück 2000, 604 3 Becker-Mrotzek unterscheidet bei der Entwicklung von Schreibkompetenz zwischen dem Schriftspracherwerb und dem
Schreiberwerb. Die Schreibentwicklung unterteilt er in vier Entwicklungsphasen, wobei er die hier beschriebene und ab der Adoleszenz mögliche Phase Literale Orientierung nennt. In dieser Phase können laut Becker-Mrotzek Lernende erstmals „ganz im Medium der Schriftlichkeit“ handeln (Becker-Mrotzek 2007, 27)
10
Kreativen Schreibens, die den Schreibenden individuelle Gestaltungsmöglichkeiten zu
vorgegebenen Anlässen und Themen bieten. Ebenso im Verständnis des fortgeschrittenen
Kreativen Schreibens sind Verfahren aus den Bereichen des personalen und freien Schreibens
oder der genreübergreifenden produktiven Literaturarbeit einbegriffen.
In diesem Kontext wird ein tiefgreifendes Verständnis eines der Schreibforschung
zuträglichen Kreativitätsbegriffes gefördert und auf bekannte Vorurteile gegenüber dem
Kreativen Schreiben Bezug genommen. Ausgehend vom Begriff der Kreativität, der
unbestreitbar in nahezu sämtlichen Disziplinen und Lebenswelten heute inflationär und als
„Allheilmittel“ präsent ist und von der Kulturindustrie geradezu zelebriert wird, wird nach
einer skizzenhaften historischen Betrachtung der Entwicklung des Kreativen Schreibens und
der Schreibforschung ausführlicher dargestellt, welche Voraussetzungen das Kreative
Schreiben ab der Adoleszenz determinieren, welche Anforderungen es an Schreibende stellt
und wie Kreativität und analytische Reflexion beim Kreativen Schreiben zusammenspielen.
Hervorzuheben ist hierbei, dass auf die Ähnlichkeiten und auf die Sinnhaftigkeit der
Kombination von Schreiben und ästhetisch-bildnerischem Gestalten eingegangen wird. Im
Anschluss an den theoretischen Teil dieser Arbeit werden Synergien, Chancen und Grenzen
dieser Kombination anhand einer empirischen Untersuchung im Rahmen eines
Modellversuchs mit Studierenden exemplarisch untersucht. Jeweilige spezifische Verfahren
wie das Clustern oder das Écriture Automatique, Selbsteinschätzungen der eigenen
Schreibkompetenz, die Auseinandersetzung mit eigenen Erfahrungen mit dem Kreativen
Schreiben und ästhetischen Gestalten oder studentische Sichtweisen auf diese Verfahren
werden im Untersuchungsschwerpunkt 1 dieser Arbeit thematisiert. Im
Untersuchungsschwerpunkt 2 wird der Versuch unternommen, den Graubereich des
′inhaltlichen und sprachlichen Wagnisses′ (Sieber/Nussbaumer 1991; 1995, 36-52) für
geschriebene Texte greifbar zu machen. Desweiteren werden spezifische Kriterien etwickelt,
anhand derer kreative Leistungen studentischer Schreiber aus externer Perspektive beurteilt
werden können. Damit wagt sich die Arbeit an die seit Jahrzehnten anhaltende Debatte, ob
und wie kreative Leistungen in Texten von Studierenden bzw. von Lernenden zu bewerten
sind.
Das Kreative Schreiben hat Schnittmengen mit anderen „Schreibarten“, wie beispielsweise
mit dem performativen, kommunikativen oder wissenschaftlichen Schreiben, was besonders
bei den Darstellungen zum Schreibprozess im Theorieteil deutlich wird. Trotz dieser
Schnittmengen hat das Kreative Schreiben seinen eigenen Platz in der Schreibforschung.
Welche Teilprozesse beim Kreativen Schreiben der Studierenden in den verschiedenen, aber
11
miteinander korrelierenden Schreibphasen der Planung, Formulierung und Überarbeitung
auftreten und wie die Studierenden mit ihnen im Schreibprozess verfahren, wird im
Untersuchungsschwerpunkt 3 anhand von Analysen mündlicher und schriftlicher Reflexionen
von Studierenden zu ihren selbst verfassten Texten aufgezeigt.
Durch das interdisziplinäre Forschungsprojekt Kreatives Schreiben und Ästhetisches
Gestalten, in dessen Rahmen die Untersuchungen dieser Arbeit in einem Modellversuch
durchgeführt wurden, wird ein weiterer Fokus ‒ wenn auch mit deutlich weniger Gewichtung
‒ auf das bildnerisch-ästhetische Gestalten in der Fläche4 gelegt. Es handelt sich bei dieser
ebenfalls wie beim Schreiben um eine individuelle Ausdrucksform, die über die Hand
realisiert wird. Auf die Kombination von kreativer Schrift- und Bildproduktion wird daher in
allen drei Untersuchungsschwerpunkten näher eingegangen. Eine dem Kreativen Schreiben
gleichwertige fachdidaktische Analyse und Interpretation der studentischen Illustrationen,
Zeichnungen und Drucke kann in dieser Arbeit dennoch nur ansatzweise geleistet werden.
Somit bleiben Hintergründe, Ansätze, Datenerhebungen und Auswertungen des ästhetisch-
bildnerischen Gestaltens oberflächlich. Aufgrund der Besonderheit des Modellversuchs, in
dem eine Vielzahl der untersuchten studentischen Texte und Bilder durch die Kombination
von Kreativem Schreiben und bildnerisch-ästhetischem Gestalten entstanden sind, wird an
einigen Stellen dieser Arbeit dennoch versucht, die beiden teilweise verwandten Formen des
individuellen Ausdrucks Schreiben und bildnerisch-ästhetisches Gestalten miteinander in
Beziehung zu setzen oder zu vergleichen.
Durch die Komplexität des Forschungsgegenstands kann der methodische Zugang kein
einseitiger, sondern muss dem Forschungsgegenstand angemessen multiperspektivisch sein.
In einem mixed-method-Modell werden sowohl quantitative als auch qualitative bzw. sowohl
explorativ-interpretative als auch analytisch-nomologische Forschungsinstrumentarien
verwendet, wobei die qualitativen klar dominieren. Insbesondere im didaktischen
Forschungsfeld sind rein quantitative Erhebungen nur bedingt aussagekräftig, was sich bereits
seit mehreren Jahren in der Häufigkeit fachdidaktischer Qualifizierungsarbeiten des
wissenschaftlichen Nachwuchses anhand der gewählten multi-methodischen
Forschungsansätzen bemerkbar macht (Riemer 2006, 451f.).
Für eine adäquate und valide Erfassung und Auswertung der Erkenntnisse orientiert sich die
Arbeit methodologisch an der Grounded Theory von Strauss, Glaser und Corbin, da sich der
4 Der Begriff des bildnerischen ästhetischen Gestaltens in der Fläche bezieht sich auf das Zeichnen und Illustrieren, das auf
einem flächigen Untergrund wie Papier, Holz, Leinwand, o.ä. sowie digital zu (Text-)Bildern führt, wobei nicht die orginalgetreue Abbildung der Wirklichkeit, sondern die künstlerisch-ästhetische Ausdrucksweise im Vordergrund stehen.
12
Autor der vorliegenden Arbeit weder an einem existierenden Theoriekonzept für das Kreative
Schreiben an deutschsprachigen Hochschulen noch an einem für die Kombination von
Kreativem Schreiben und ästhetischem Gestalten orientieren kann5. Zudem ist es
unumgänglich, während des Forschungsprozesses Modifizierungen und Ergänzungen der
Fragestellungen zuzulassen, um im Sinne einer fortschreitenden Erkenntnisforschung
möglichst alle beteiligten Bedingungsfaktoren und Aspekte beim Kreativen Schreiben und der
Kombination mit dem ästhetischen Gestalten an der Hochschule zu erfassen. Für die gesamte
Arbeit sind folgende zentrale Begrifflichkeiten und deren Verständnis leitend:
Begriffsklärung:
Das Kreative Schreiben mit Studierenden, wird in dieser Arbeit als ein Sammelbegriff für assoziierendes, freies, reflektierendes, lyrisches und literarisches Schreiben auf fortgeschrittenem Niveau verstanden, das stark über das weiterführende Schreiben6 hinausgeht. Mit dem Zusatz mit Studierenden werden für diese Arbeit ein fortgeschrittener kognitiver Entwicklungsstand und bereits gut ausgebildete Schreib- und Textkompetenzen angenommen, deren Ausprägungen sich im Vergleich zu jüngeren Schreibern, wie bspw. Grund- und Mittelstufenschülern, deutlich unterscheiden. Das Ästhetische Gestalten bezeichnet das illustrative Abbilden oder Hinterlassen von Spuren mittels eines Schreib-, Mal-, oder Zeichengeräts auf einem flächigen Untergrund ebenso wie das Collagieren, Malen oder Drucken in der Ebene. Die verschiedenen Vorgehensweisen unterscheiden sich dabei in der Technik oder der Art und Weise, wie auf einem Untergrund Spuren hinterlassen werden, analog und/oder digital.7
5 mit Ausnahme der Angebote zum Kreativen Schreiben an der Alice-Salomon-Hochschule und den literarischen
Schreibstudiengängen der Universität Leipzig, der Universität Frankfurt, der HAW Hamburg und der Universität Hildesheim 6 vgl. Glück 2000, S. 604 und Becker-Mrotzeck 2007, S. 27 7 eine nähere Erläuterung des Begriffes aus sprachlicher und bildnerisch-künstlerischer Sicht, sowie deren Diskussion finden
sich im Kapitel 2.3.3 und 2.3.4 des theoretischen Teils
13
1.1 Zielsetzung
Die vorliegende Arbeit soll einerseits eine speziell Kreativität fördernde Schreibdidaktik
untersuchen und dabei erörtern, wie offen und gleichzeitig wie gezielt universitäre
Aufgabenstellungen für das Kreatives Schreiben angelegt sein können und sollten. Das
übergeordnete Ziel ist somit die (Weiter-)Entwicklung und Begründung eines
Schreibkonzepts, welches systematische und analytische Prozesse mit kreativen und
ästhetischen Aspekten verbindet. Dabei werden Schreibprodukte und Schreibprozesse von
Studierenden differenziert analysiert, individuelle Verhaltensweisen erforscht, und deren
kreative Leistungen eingeschätzt. Es soll untersucht werden, inwieweit sich die individuelle
Herangehensweise an einen Text oder an ein Bild durch das Kennenlernen und Anwenden
unterschiedlicher kreativer Schreibverfahren und bildnerisch-ästhetischer Gestaltungsformen
verändert. Im Erkenntnisinteresse stehen somit Faktoren, die bei den hochkomplexen
Schreibaktivitäten in verschiedenen Textproduktionsphasen eine Rolle spielen. Darüber
hinaus wird Antwort auf die Frage gesucht, wie diese relevanten Faktoren während des
Schreibprozesses, bei dem der einzelne Schreibende sukzessive zu einem angemessenen
Textprodukt gelangt, wie miteinander interagieren.
Gleichzeitig wird untersucht, ob sich Synergieeffekte aus der Kombination der beiden
Disziplinen Kreatives Schreiben und Ästhetisches Gestalten mit Studierenden ergeben. Dabei
ist maßgebend, dass Schreib- und Gestaltungsprozesse, und somit disziplinspezifische
Lernprozesse, aus ganzheitlichen Erfahrungen heraus und im Hinblick auf die individuelle
Selbstkompetenz der Lernenden aus deren Intro- und Retroperspektive mündlich wie
schriftlich für die vorliegende Untersuchung reflektiert werden. So soll der Identitäts- und
Persönlichkeitsbildung im Sinne einer gesteigerten Selbstkompetenz des Schreibenden durch
die Auseinandersetzung mit dem Kreativen Schreiben an der Hochschule Rechnung getragen
werden. Ebenso werden so die gesteigerte Fähigkeit zum Schreiben und Gestalten und die
zunehmende Freude an diesen beiden Aktivitäten angestrebt.
Ein übergeordnetes Ziel der vorliegenden Forschungsarbeit ist es, aus den gewonnenen
Erkenntnissen zeitgemäße Konzeptbausteine für die universitäre Bildungspraxis abzuleiten
und einen Rück- und Ausblick auf die Schule zu wagen. Letztendlich werden damit
realitätsnahe Empfehlungen für eine kreative und attraktive akademische Schreibdidaktik,
inklusive möglicher Bewertungskriterien, erarbeitet.
14
1.2 Verortung und Abgrenzung
Die Arbeit ist der Disziplin Didaktik der deutschen Sprache und Literatur zuzuordnen, weist
aber aufgrund der Einbettung in das Forschungsprojekt „Kreatives Schreiben und
Ästhetisches Gestalten“ am Lehrstuhl für Didaktik des Deutschen als Zweitsprache
interkulturelle Themenbezüge auf. Die bisherigen Forschungstätigkeiten und Erfahrungen des
Verfassers im Fachbereich Deutsch als Fremd- und Zweitsprache haben zudem zu der
Erkenntnis geführt, dass bestimmte sprachliche Phänomene, Prozesse oder Schwierigkeiten
beim Erwerben sprachlicher Kompetenzen häufig erst aus der fremdsprachlichen
Forschungsperspektive deutlich und bewusst werden. Daher sind in der Arbeit ganz bewusst
vereinzelt Referenzen und Literaturverweise aus der zweit- bzw. fremdsprachlichen
Forschung enthalten. Die besondere Herausforderung sprachdidaktischer und insbesondere
schreibdidaktischer Forschung ist, dass sie häufig (psycho-)linguistische und
literaturwissenschaftliche Forschungserkenntnisse einbeziehen muss. Diese Notwendigkeit
wird in dieser Arbeit neben der Interdisziplinarität durch die Forschungsprojekt-bedingte
Kooperation mit dem Fachbereich Design und Illustration deutlich. Aufgrund der hohen
Komplexität multidisziplinärer Kooperation verlangen die Untersuchungen daher eine
fächerübergreifende theoretische Grundlegung und eine methodologisch komplexe Empirie.
Die vorliegende Arbeit thematisiert das Kreative Schreiben mit der Zielgruppe Studierende.
Da einerseits bereits erworbene Schreibkompetenzen aus mindestens zwölf Schuljahren
Grundlage für eine Erweiterung bzw. Ausdifferenzierung schriftsprachlicher Kompetenzen
sind, werden diese Voraussetzungen allgemein sowohl im theoretischen als auch im
empirischen Teil dieser Arbeit analysiert und berücksichtigt.
Es sei erwähnt, dass aufgrund der Studierendengruppen, mit denen gearbeitet wurde,
theoretische Annahmen und Forschungsergebnisse, beispielsweise sprachlicher, ästhetischer
und kognitiver Art, nicht ohne weiteres auf Schülergruppen übertragen werden können. Dafür
sind Anschlussforschungen mit anderen Kooperationspartnern und mit Schülern notwendig.
Im theoretischen und vereinzelt im empirischen Teil der Arbeit finden sich überproportional
häufig Referenzen auf Publikationen und Forschungserkenntnisse, die in den achtziger Jahren
erschienen sind bzw. diskutiert wurden. Dieses ist keineswegs der Tatsache geschuldet, dass
zum Zeitpunkt des Erstellens dieser Arbeit keine aktuelle Literatur vorlag, sondern ist bewusst
gewählt, da sich in dieser Zeit nach der sogenannten „Kognitiven Wende“ im
deutschsprachigen, aber vor allem im angelsächsischen Sprachraum, besonders in den USA,
eine Vielzahl von Linguisten, Psychologen und Schreibforscher mit der Ergründung des
15
Schreibens und speziell mit prozessualen Aspekten des Schreibens auseinandergesetzt haben
(vgl. Antos 1982, 1989; Beaugrande 1980, 1984; Bereiter/Scardamalia 1984; Fröchling 1987;
Grésillion 1987; Hayes, Flower 1979, 1980, 1983;; Ludwig 1983; Rico 1980, 1984, 1987;
u.v.a.).
16
1.3 Darstellungsweise
Hinsichtlich der sprachformalen Gestaltung habe ich mich bewusst gegen einige
schriftsprachliche Konventionen und für Diskontinuitäten entschieden, die ich eingangs kurz
begründen möchte:
• Der Erfolg des Prozesses der Gleichberechtigung von Mann und Frau hängt vor allem
von gesellschaftspolitischen Faktoren und weniger von terminologischer Morphologie
ab. Die gleichzeitige Nennung der weiblichen und der männlichen Form leistet nur
scheinbar einen Beitrag, vermindert aber gerade in wissenschaftlichen Texten häufig
die Lesbarkeit. Die alleinige Verwendung der weiblichen Form als
Gerechtigkeitsausgleich, wie in einigen neueren Publikationen ersichtlich, kann dies
ebenso wenig, allerdings ist diese Form für viele Leser wiederum noch stärker
irritierend. Aufgrund der besseren Lesbarkeit und der Chance, die Genderdebatte der
inhaltlichen Darstellung fernzuhalten, habe ich mich für die Verlaufsform (z.B.
Studierende, Schreibende) entschieden. Leider gibt es die nicht für alle Nomen
gleichermaßen, daher wird in diesen Ausnahmefällen aufgrund der besseren
Lesbarkeit auf die maskuline Form als nomen generale zurückgegriffen, wobei
keinesfalls eine Dominanzzuschreibung der einen gegenüber der anderen Form von
mir intendiert ist.
• Bei der Zitationsweise habe ich mich für das Havard-System entschieden, da ich es für
das leserfreundlichste halte. Somit entfällt das Springen beim Lesen von der Textstelle
zur Fußzeile und zurück in den Text (jedenfalls für die Mehrheit der
Literaturangaben). Ebenfalls mit Rücksicht auf Lesefreundlichkeit wird auf den
Verweis der Erstnennung ebd. verzichtet, stattdessen ist an jeder Stelle der
entsprechende Quellennachweis zu finden.
• Für Darstellungen und Formulierungen über abgeschlossene Forschungsaktivitäten,
speziell bei den Datenerhebungen in den beiden Interventionen, werden beide
Vergangenheitsformen Präteritum und Perfekt verwendet. Daraus resultierende
Folgerungen und Ergebnisse hingegen, ebenso wie faktische Darstellungen von
Erkenntnissen und Forschungsmethodik, erscheinen allerdings in der Gegenwartsform,
was beim Lesen häufig als holprig wahrgenommen wird, aber nicht als fehlende
Kontinuität des Tempusgebrauchs zu verstehen ist. Daher habe ich mich aufgrund der
Nachvollziehbarkeit des methodologischen Vorgehens in Abgrenzung zur
erkenntnisorientierten Bedeutungszuschreibung für die koexistenzielle Variante
entschieden.
• Nicht-deutschsprachige Eigennamen, Titel, und das Hervorheben einzelner Wörter
oder Termini, die sich vom Fließtext abheben sollen, werden nicht unterschiedlich in
Anführungszeichen gesetzt, sondern aufgrund der besseren Lesbarkeit durch weniger
Sonderzeichen im Fließtext kursiv geschrieben.
• Nummerierte Kapitelüberschriften sind in der Arbeit bewusst nicht kontinuierlich mit bzw. ohne Textanschluss gewählt. Ist es meiner Meinung nach notwendig, thematisch
in ein Kapitel einzuführen, folgt ein einführender Text, bevor tieferstufige
Kapitelüberschriften inklusive Nummerierungen folgen. Gleiches gilt für eine
17
Themensensibilisierung durch ein Eingangszitat. Bedarf es keiner Einführung, folgt
sogleich die tieferstufige Kapitelüberschrift. In einigen Unterkapiteln wird bei
weiteren thematischen Gliederungspunkten gänzlich auf eine Nummerierung
verzichtet, um einer zu starken Kleingliedrigkeit im Inhaltsverzeichnis
entgegenzuwirken. Einzelne Modelle und Theorien werden so im Text fettgedruckt als
Überschrift hervorgehoben, sind aber im Inhaltsverzeichnis nicht ersichtlich.
• Steht Kreativ in Klammern, beispielsweise „beim (Kreativen) Schreiben“, bezieht sich
die Aussage auf das Schreiben generell. Gleichzeitig wird durch das Einklammern
herausgestellt, dass die Aussage im Text damit sowohl für die Spezifizierung des
Kreativen Schreibens als auch generell für jegliche andere Formen des Schreibens zu
verstehen ist.
18
2. Kreatives Schreiben an der Hochschule ‒ Theoretische
Grundlegung
Creative Writing paedagogies are intrisically Freirean, and the aim remains
emancipatory: practice-based methodologies privilege experimenting with linguistic
form and function over the packaging and delivery of information to “student-
receptacles”.8
2.1 Kreativität: Begriffsdiskurs und disziplinspezifische Arbeits- definition
2.1.1 Zum historisch gewachsenen Verständnis von Kreativität
Der Begriff Kreativität ist heutzutage allgegenwärtig und erscheint nicht erst seit gestern fast
wie ein Slogan für Berufs- und Privatleben, aber auch für Wissenschaft und Freizeit.
Kreativität ist sowohl ein sehr universeller Begriff und dennoch gleichzeitig sehr schwach im
Hinblick auf eine klare Definition; er unterliegt seit der Antike einer kontinuierlichen
Erweiterung. Welches Individuum ist wodurch kreativ? Welche Leistung oder welches
Produkt gilt als kreativ und wer beurteilt das?
Aus ethymologischer Sicht spiegelt sich die Diversität des Begriffs Kreativität schon bei der
Deskription in verschiedenen Sprachen und Religionen wider. Somit ist Kreativität
kulturabhängig und nicht kulturneutral. Im Kontext von Bildung wird mit diesem Begriff in
verschiedenen Erdteilen sehr unterschiedlich umgegangen. Während es im Buddhismus und
Taoismus um das Zulassen einer genetisch veranlagten Kreativität geht, ist man in den
Literaturepochen Sturm und Drang und Klassik von Kreativität in Form der selbsttätigen
Praxis überzeugt. In der konfuzianischen Tradition wiederum ist vor allem die
kollektivistische Konformität ein generelles Charakteristikum für eine Art von Kreativität.
Im historisch-kulturellen Kontext hat sich der Mensch viele Jahrtausende lang nicht als
kreierendes und wertschöpfendes Wesen betrachtet. Er versuchte dennoch, auftretende
Phänomene und Ereignisse mit dem zu den jeweiligen Zeitpunkten in der Geschichte zur
Verfügung stehenden Fach- und Weltwissen zu verstehen und zu erklären. Für
Vorkommnisse, die sich der Mensch nicht erschließen konnte, wurden häufig Götter
8 Das Zitat wurde der Einleitung von Dan Disneys Exploring Second Language Creative Writing. Beyond Babel. entnommen (Disney 2014, 1). Er stellt damit das Kreative Schreiben auf die Ebene Paolo Freires pädagogischer Ansätze, die den Menschen vor allem durch das Erlangen von Literalität befähigen, sich frei aber kritisch mit seiner Umwelt im emanzipatorischen Sinn auseinanderzusetzen.
19
verantwortlich gemacht. Die biblische Vorstellung, dass ein übermenschliches Wesen den
geordneten Kosmos und die Erde geschaffen hat, bedingte lange Zeit den Glauben an
Abhängigkeit und Ausgeliefertsein gegenüber einer oder mehrerer Gottheiten. So verstand
sich der Mensch als ein von höheren Mächten geleiteter kleiner Bestandteil dieses Kosmos,
der seine Zukunft aber nicht selbst bestimmte (Holm-Hadulla 2011, 7ff.).
Noch in der Renaissance werden im westlichen Kulturraum geniale und besonders kreative
Persönlichkeiten wie Michelangelo oder Leonardo da Vinci als Verkörperungen göttlichen
Schöpfertums angesehen (Holm-Hadulla 2011, 9). Die Epoche der Renaissance führte aber
durch die große Anzahl von Entdeckungen, Erfindungen und Erkenntnissen, sowohl in den
Geistes- und Naturwissenschaften als auch in der Kunst und Musik zu einer geistigen Wende
in Europa. Aus heutiger Sicht ermöglichte die Renaissance nach dem Mittelalter eine
philosophische Perspektive, die den Menschen als schöpferisches Individuum nach antikem
griechischem Vorbild betrachtet.
Mit der Aufklärung und Kants Werken der Erkenntnistheorie, wandelte sich das Verständnis
hin zum reflektierenden, selbstschaffenden und zukunftsgestaltenden Menschen, sprich zu
einem kreativen Wesen. Mit dem durch Kant ausgelösten Diskurs schaffte die Vernunft als
Urteilsinstanz Raum für individuelle Handlungsfreiheit, Toleranz und Gleichberechtigung
gegenüber Andersdenkenden. Im Zeitalter der Aufklärung verhalfen unter anderem Rousseau
und Pestalozzi zu einem völlig neuen Verständnis von Pädagogik, wodurch natürliche und auf
Kreativität basierende Entwicklungsprozesse von Kindern und Jugendlichen erstmalig
untersucht und an Schule und Universität berücksichtigt wurden.
In der Moderne und Postmoderne wird Kreativität oft mit Genialität gleichgesetzt,
beispielsweise die Genialität von Machthabern, Künstlern und Wissenschaftlern. Der
Psychologe Joy Paul Guilford beschreibt 1950 die Erforschung der Kreativität durch den
Wettlauf der beiden Supermächte Sowjetunion und USA um die Vormachtstellung im Weltall
als ein technisches Ereignis. Guilfords Schlussfolgerung als Vorstandsvorsitzender der
American Psychological Association (APA) beschrieb in der presidential adress von 1950 in
der Zeitschrift American Psychologist, dass die Nation USA nur überleben kann, wenn das
Individuum Mensch kreativ sei9.
Der Auftakt zum Wettrennen um die Erforschung der Kreativität war ein technisches Ereignis, nämlich die Entsendung des ersten Sputniks ins Weltall. Der Bedarf an kreativen Wissenschaftlern brachte Staat und Industrie vor allem in Amerika dazu, psychologische Untersuchungen zum Thema der Kreativität zu finanzieren und zu fördern. Dieser Beginn stand
9 vgl. dazu Guilford, J. P. (1950): Creativity. In: American Psychologist Vol. 5 (9) Sept., S. 444-454.
20
unter dem Motto: um als Nation zu überleben, muß das Individuum kreativ denken (Landau 1984, 1310).
Der Begriff „Kreativität“ oder „kreativ“ wird spätestens seit den 70er Jahren im westlichen
Kulturraum nahezu omnipräsent und bereits seit den 90er Jahren geradezu inflationär
verwendet. Eine Suche nach vermehrter sogenannter kreativer Betätigung kann auch mit Max
Webers Einschätzung zur Moderne begründet werden. Durch die vermehrte und sich in allen
gesellschaftlichen Bereichen ausbreitende Zweckrationalität wurde und wird ein
Artefaktemangel hervorgerufen, der sich in der Entwicklung und Verbreitung
disziplinübergreifender Vorstellungen von Kreativität und Ästhetik äußert (Kaesler 2011,
78ff.)11. Kreativität, vor allem im angelsächsischen Raum, stand mit dem technischen
Fortschritt wie z.B. dem Wettlauf um die erste Mondlandung in direktem Zusammenhang,
bevor Kreativität durch kontinuierliche künstlerische Impulse seit den 70ern heute als eine
Mischung aus ästhetisch-Erfahrbarem und innovativer Technik verstanden werden kann. Der
Kreativitätsbegriff hat sich von der jahrhundertealten Tradition des reinen Geniekults bis zu
Beginn des Kalten Krieges allmählich gelöst und wird aus einer kognitivzentrierten
Perspektive zunächst auf Talent und Intelligenz bezogen12. Angelehnt an Gardners sieben
Intelligenzen differenziert Holm-Hadulla sprachliche, logisch-mathematische, musikalische,
körperlich-kinästhetische, räumliche, interpersonale und intrapersonale Intelligenz (Holm-
Hadulla 2010, 11).
Csikszentmihalyi, von Hentig, de Bono, Mahrenholz und Holm-Hadulla, ausgewiesene
Forscher über das Phänomen und zum Begriff der Kreativität, gehen von sehr
unterschiedlichen Kreativitätskonzepten aus. Zudem wird der Begriff der Kreativität in
verschiedenen Disziplinen teilweise anders verwendet und anders interpretiert. Dennoch
scheint es für alle dieser Forschenden universelle Kriterien für Kreativität zu geben, die in
allen Disziplinen zu finden sind. Ihre Ausprägungen sind dabei dennoch häufig
disziplinspezifisch. Holm-Hadulla unterscheidet dabei harte und weiche Faktoren. Zu den
harten Faktoren zählen seiner Meinung nach Intelligenz, Geduld, Hartnäckigkeit, Fleiß,
Risikobereitschaft, Nonkonformismus Mut, Selbstvertrauen, Beharrlichkeit, Zuversicht,
Frustrationstoleranz, Ausdauer, Ehrgeiz, Unterscheidungs- und Trennvermögen sowie
10 vgl. dazu auch Chris Argyris (1965): Organization and Innovation. (Argyris 1965, 1) 11 Max Webers Rationalisierungsthese wird erstmals im Rahmen seiner ideengeschichtlichen Studie „Die protestantische Ethik
und der Geist des Kapitalismus“ 1904 publiziert. Stark zusammengefasst erschienen diese Ideen 2011 im Kapitel „Rationalisierung, Intellektualisierung, Entzauberung der Welt. Wissenschaft als Beruf“ im Beck Verlag unter dem Titel „Max Weber“. Der Autor des Buches ist Dirk Kaesler.
12 vgl. dazu vgl. Jacob Warren Getzels and Philip Wesley Jackson (1962): Creativity and intelligence. Explorations with gifted students.
21
unkonventionelles Verhalten (Holm-Hadulla 2010, 18). Zu den weichen Kreativitäts-
bedingenden Faktoren zählt er Imagination, Intention, Phantasie, Spielfähigkeit, Originalität,
Neugier, Interesse, Hingabefähigkeit, Ambiguitätstoleranz, Offenheit, Sensibilität und
Experimentierfreude (Holm-Hadulla 2010, 18).
22
2.1.2 Kreativität im Fokus von individueller Leistung und individuellem Prozess
In der psychologischen Kreativitätsdiagnostik wird Kreativität als kognitive
Leistungsdimension verstanden. Kreativität ist somit eine Fähigkeit, die jede Person in
gewissem Ausprägungsgrad besitzt und die grundlegend für kreative Ausdrucksformen wie
erfinderische, forschende und künstlerische Tätigkeiten steht. Getzels und Jackson
untersuchten mit diesem Verständnis den Zusammenhang zwischen Kreativität, Intelligenz,
Persönlichkeit und familiärem Umfeld. In zahlreichen variierenden Tests, wie beispielsweise
zu Sprach- und Zahlensystemen, zum Wortschatz und zu Bedeutungsunterscheidungen, zur
mentalen Schnelligkeit, zum Zeichnen, aber auch zum Verhalten, zu Zukunftswünschen und
zu moralischen Einstellungen, versuchten die beiden Psychologen, Erkenntnisse über
Korrelationen und Einflussfaktoren auf kreative Prozesse zu erlangen. Zum Testen der
bildlichen Vorstellungskraft wurde in einem Schreibtest Kreativität im Sinne von Phantasie
getestet. In diesem Test, bei dem zu Bildern kurze Geschichten geschrieben werden sollten,
wird die Sprache selbst jedoch nicht zum Untersuchungsgegenstand (Getzels/Jackson 1962,
219f.). Ausgeprägte sprachliche Fähigkeiten und Textkompetenz galten bei „begabten“
Kindern und Jugendlichen dennoch als Indiz für Kreativität und Intelligenz. Im
Umkehrschluss hieße dies, dass schlechtere sprachliche Leistungen in derjenigen Sprache, in
der der Test stattfindet, in direktem Zusammenhang mit dem kognitivem Leistungspotential
der Lernenden stünden. Einerseits wird hier deutlich, dass zum Zeitpunkt der Untersuchungen
in den sechziger Jahren sprachunsensibel vorgegangen wurde und sprachliche Fähigkeiten
teilweise mit kognitiver Leistungsfähigkeit gleichgesetzt wurden. Andererseits wird deutlich,
dass kreative Leistungen auch mit einem elaborierten Sprachvermögen in Zusammenhang
gebracht wurden, und dies schon vor Entwicklung der großen Spracherwerbstheorien, in
denen der Spracherwerb erstmals als individueller kreativer Prozess, der von der Qualität und
Quantität des Inputs und des Outputs abhängen, verstanden wurde.
Folglich ergibt sich ein Kreativitätsverständnis, das sich nicht auf wenige genialische
Menschen reduziert, sondern Kreativität als Potential ansieht, das in jedem Menschen
angelegt ist und welches bewusst durch Stimuli gesteigert werden kann (Birner 1978, 8;
Merkelbach 2002, 22). Das Entwickeln von Kreativität, so wie es in der Forschung diskutiert
wird, resultiert neben sozialen und gesellschaftlichen Umweltbedingungen und der Art der zu
lösenden Aufgabe maßgeblich aus den drei Aspekten: der kreativen Persönlichkeit, dem
kreativen Prozess und dem kreativen Produkt (Beyer/Gerlach 2011, 133). Nach
Csikszentmihalyi ist für die Einschätzung, ob etwas kreativ und nicht nur originell ist, ein
23
sogenanntes Expertenfeld notwendig, dass „das Neue“ anerkennt, verwendet und somit
etabliert. Für ihn ist stets maßgebend, dass ein Individuum, ausgehend von gesellschaftlich-
kulturellen Rahmenbedingungen, neue Produkte, Verfahrensweisen oder Perspektiven
entwickelt und diese einer Öffentlichkeit zugänglich sind, in der dann Experten über die
kreative Leistung befinden (Csikszentmihalyi 1997, 41-51).
Abbildung 1: Eigene Darstellung in Anlehnung an Csikszentmihalyis Unterscheidung der
drei Entstehungs- und Bedingungsbereiche von Kreativität: Kultur, Individuum und Expertenfeld
Inwieweit Kreativität die Kriterien Nützlichkeit und Angemessenheit überhaupt erfüllen
muss, wird in der Forschung kontrovers diskutiert (Beyer/Gerlach 2011, 132). Ein weniger
elitäres Verständnis von Kreativität geht davon aus, dass die Einschätzungen hinsichtlich
Kreativität von den Handelnden selbst getroffen werden können.
Werden kreative Leistungen, beispielsweise für einen geschriebenen Text oder eine
angefertigte Zeichnung oder Illustration, von externen Personen eingeschätzt, muss der
Beobachter/Betrachter Kreativität zunächst wahrnehmen können. Für das Erkennen von
kreativem Denken und Handeln sind die Einstellungen und Erwartungen des Beobachters
maßgebend. Signale, die Kreativität anzeigen, können durch eine beobachtende Person nur
dann wahrgenommen werden, wenn sie dem möglichen Auftreten von Kreativität offen
begegneten (Urban 2004, 32). Brodbeck bezeichnet Handlungen oder Produkte als kreativ,
wenn sie folgende Kriterien erfüllen (Brodbeck 1995, 30):
• Wenn das Produkt neuartig und wertvoll ist
• Wenn der Weg, der zum Produkt führt, neuartig ist
• Wenn etwas auf neuartige Weise wahrgenommen, gefühlt, erkannt oder gedacht werden
kann
•Symbolische Regeln
•Situation
Kultur
•Neues Produkt
•Auf einem neuen Weg
•Aus neuer Sicht
Individuum•Wahrnehmen undBeurteilen derErkenntnis
•Anerkennung derInnovation
Expertenfeld
24
Zur Ausbildung von Kreativität stellt der Heidelberger Psychologe Holm-Hadulla
psychologische Betrachtungen an13.
Seit der Antike kennen wir die Vorstellung, dass außergewöhnlich kreative Menschen besonders labil sind. In dieser Labilität empfangen sie den Kuss der Musen und öffnen sich der Inspiration. Dies ist aber nur die eine Seite der Medaille. Aus zahlreichen Studien wissen wir, dass viele Künstler und Wissenschaftler besonders stabil, zielgerichtet und diszipliniert arbeiten und deswegen die Labilisierung im kreativen Prozess besser ertragen können (Holm-Hadulla 2013, 2)14.
Obwohl er in seinen Schriften zu Kreativität häufig Bezug auf weltweit angesehene Künstler
und Literaten nimmt15, und somit ähnlich wie Csikszentmihalyi von einem anerkennenden
Expertenfeld ausgeht, überträgt Holm-Hadulla seine Kreativität beeinflussenden Prinzipien
auf alle Menschen und alle Altersgruppen16. In Anlehnung an Gardners 7 Intelligencies geht
er von folgenden Grundannahmen aus:
• das kindliche Bedürfnis nach Spielen ist Grundlage und gleichzeitig Modell der Kreativität• es gibt 7 Formen von Intelligenz17 (sprachlich, logisch-mathematisch, musikalisch, körperlich-
kinästhetisch, räumlich, interpersonal, intrapersonal)• Kreativität ist nicht angeboren, Genialität nicht vererbbar – dennoch bedingen sich die
genetischen Anlagen und die Einflussfaktoren der Umwelt gegenseitig• Zentrale Vorrausetzung der Kreativität sind Neugier, Interesse, Ehrgeiz, Hingabe,
Selbstvertrauen, Frustrationstoleranz; diese wiederum hängen von Kindheitsbedingungen undrelevanten Bezugspersonen ab
Als Quintessenz aus den Veröffentlichungen von Gardner, Sternberg, Lubart und Torrance
formuliert auch Glindemann ‒ teilweise holzschnittartig ‒ fünf „Ressourcen“, die eine
kreative Person charakterisieren und eine, die die soziale Umgebung miteinbezieht. Trotz der
Vereinfachungen und der Unklarheit, ob die Ressourcen voneinander abhängig sind, oder wie
sie aufeinander wirken, gibt Glindemann einen Überblick über Konstituenten allgemeinen
Kreativpotentials:
1. Intelligenz zum Definieren, Beurteilen, Selektieren und Präsentieren von Ideen undErgebnissen
2. Wissen zur Kontextualisierung der Arbeit3. Denkstil zum Aufstellen eigener Regeln anstelle von Konformismus4. Persönlichkeit zur Bereitschaft von Risiko und dem Streben nach Verwirklichung und
Wachstum
13 vgl. auch Gardner 2002, an dessen Konzept der 7 Intellegencies sich Holm-Hadulla orientiert 14 aus einem Zeitungsinterview in Zeit Online. Prof. Dr. Rainer Holm-Hadulla interviewt von Katrin Zeug, Rubrik Wissen 02/2013,
neu editiert am 17.02.2016. http://www.zeit.de/zeit-wissen/2013/02/Kreativitaet-Psychologie-Rainer-Holm-Hadulla (zuletzt aufgerufen am 14.09.2016)
15 vgl. hierzu Holm-Hadulla 2008 und 2011 16 vgl. Holm-Hadulla 2003 und 2010 17 angelehnt an Howard Gardner, erste Auflage des Buches in deutscher Sprache mit dem Titel Intelligenzen ist bereits 2002
erschienen
25
5. Motivation zur Ausbildung produktiver Energie (intrinsisch und extrinsisch)6. Umwelt zur Unterstützung beim Abweichen von Normativen und Entwicklung von
Neuem(nach Glindemann 2001, 114)
Demgegenüber nennen von Hentig und de Bono Faktoren(-komplexe), die die Ausbildung
von Kreativität verhindern. Nach deren Meinung sind Gewissheit, das ständige Konfrontieren
mit fertigen Lösungen und fehlende Interdisziplinarität entscheidend an der Hemmung von
Kreativität beteiligt (von Hentig 2000). Des Weiteren spielen Sättigung, mangelnde
Fokussierung der Aufmerksamkeit und die Vorgabe von Systemen und Ordnungen, deren
Wert(e) nicht selbst ergründet und kritisch betrachtet werden, ebenfalls eine verhindernde
bzw. hemmende Rolle bei der Ausprägung von Kreativität (de Bono 2010, 259-264) .
Eine psychologische Betrachtung kreativitätsfördernder bzw. -hemmender Faktoren legt
ebenso eine Betrachtung hirnphysiologischer Zusammenhänge bzw. das Zusammenspiel
beider Hirnhemisphären nahe. De Bono führt in diesem Zusammenhang den Begriff des
lateralen Denkens ein und kritisiert bildungsinstitutionelles Lernen häufig als zu einseitig
analytisch-memorierend und damit als unzulänglich (de Bono 2010, 18). Auf der Grundlage
des Verständnisses der getrennten Hirnhemisphärentheorie aus den 1980er und 1990er Jahren
forderte der Jurist Gerhard Huhn in seiner Dissertationsschrift eine Abkehr vom einseitig
linkshemisphärischen Schulunterricht und beklagte in den Lehrplänen eine Dominanz des
rational-analytischen Lernens, das die Förderung der geistigen Entwicklung nur einseitig
ermöglicht (Huhn 1990, 12). Obwohl er das analytische Denken als grundlegend für
Bildungsprozesse wertschätzt, sieht er in dessen Dominanz sogar eine Verletzung des Artikels
2 des Grundgesetzes, der besagt, dass die freie Entfaltung der Persönlichkeit ein Grundrecht
ist, insoweit es nicht die Freiheit anderer einschränke.
Eine konkrete Gefährdung könnte unter anderem dann vorliegen, wenn durch die Art und Weise des staatlich geregelten Unterrichts nachteilig in die inneren Funktionsabläufe des Gehirns eingegriffen wird (Huhn 1990, 12).
Eine angemessene Entwicklung der Persönlichkeit sei erst dann gewährleistet, wenn die linke
und rechte Gehirnhälfte gleichberechtigt auf ihre spezielle Art gefordert und gefördert
werden. Diese gegenseitige Anregung gestaltet unser Denken vielseitiger, origineller,
lebendiger und menschlicher (Huhn 1990, 154).18
Zudem behauptet Simone Mahrenholz entgegen der Tendenzen des Kanons in der
Philosophie, in dem die ‚Entstehung von schöpferischem Neuen im Menschen und in der
18 Weitere Kritiken und Forderungen, die dieser Argumentation folgen finden sich bei Merkelbach 2002; von Hentig 1985; Fromm 2013; LeBoeuf 1988; McAleer 1989
26
Natur‘ (Mahrenholz 2011, 10) als Luxusdisziplin abgetan wird, dass die „theoretische
Rücksicht auf Kreativität grundlegend sei, um aus philosophischer Sicht Denken, Erkenntnis,
Wahrheit, Wissenschaft und Rationalität‘ zu verstehen (Mahrenholz 2011, 11).19 Klammere
man Kreativität als Kern philosophischen Verstehens aus, so Mahrenholz, würden
Erkenntnisse dem menschlichen Denken und Handeln nicht gerecht.
Somit impliziert Kreativität ein Konzept mentalen Erkenntnishandelns, das in Philosophie-
angrenzenden Wissenschaften längst Gemeingut ist. Dieses Erkenntnishandeln ist keineswegs
nur auf Verbales, an Denken "in Worten", reduziert. Das Konzept versteht Erkennen,
Schließen und Urteilen nicht bloß als geistige Tätigkeiten (z.B. im Sinne des Gegensatzes
zum Körperlichen oder zum Sinnlichen), sondern es betrachtet diese Leistungen als Produkte
eines Kontinuums: Das Gehirn ist ebenso eine Extension des Körpers wie der Körper eine
Extension des Gehirns ist, womit sie letztendlich eine Einheit bilden. Physiologischen sowie
emotionalen Zustände der Erregung, des Genusses oder der Aversion lassen sich als Formen
des Urteilens auffassen, bevor sie in Sprache übersetzt werden. Sinnliches Wahrnehmen ist
dabei nicht als passives Aufnehmen zu verstehen, sondern als eine "enaktive" Tätigkeit
(Mahrenholz 2011, 11).
Daher ist Kreativität als wissenschaftlicher Forschungsgegenstand neben der individuellen
persönlichen Ausprägung auch auf der Ebene des individuellen Prozesses zu betrachten.
Bereits 1926 formuliert Graham Wallas vier verschiedene Stufen des kreativen Prozesses
(Preparation, Inkubation, Illumination, Verifikation). Holm-Hadulla spricht vom kreativen
Prozess als Wechselspiel von Ordnung und Chaos (Holm-Hadulla 2011, 82) mit den
insgesamt fünf Phasen Vorbereitung, Inkubation, Illumination, Realisierung und Verifikation.
1. Vorbereitung
Ausgehend von entwickelten Kompetenzen bzw. Expertisen ist die Vorbereitungsphase
insbesondere durch das Verständnis des zu lösenden Problems (Beyer/Gerlach 2011, 139)
oder der Aufgabenstellung gekennzeichnet. Die frühe Kindheit, Schulzeit, Berufsausbildung
und das Studium zählen ebenfalls zur Vorbereitung eines kreativen Prozesses (Holm-Hadulla
2011, 82). Dabei ist der zeitliche Umfang der vorbereitenden Phase zunächst unerheblich, da
dieser vor allem von der Art und der Komplexität der Aufgabenstellung bzw. des Problems
19 Mahrenholz bezieht sich in ihren Äußerungen hinsichtlich der Akzeptanz von ‚Kreativität‘ als Gegenstand der Philosophie u.a. auf Forscher und Philosophen wie Schelling, Schopenhauer, Nietzsche, Dewey, Foucault, Sloterdijk, Bergson oder Benjamin, die ihrer Zeit nur unter Vorbehalt volle Akzeptanz mit ihren Ansichten erfuhren.
27
abhängig ist. Erste Lösungsideen und -versuche sind ebenfalls dieser ersten Phase
zuzuschreiben (Beyer/Gerlach 2011, 139).
2. Inkubation
Die Notwendig- und Nützlichkeit der Inkubationsphase, in der eine oder mehrere Ideen einer
Person „reifen“, ist in der Forschung nicht unumstritten. Auch ist nicht klar, welche
Auswirkung das Unterbewusstsein und der Schlaf auf die Bildung von assoziativen
Netzwerken auf das Ausarbeiten einer kreativen Idee haben (Csikszentmihalyi 1997, 145ff.).
Studien von Mednick oder Sio & Ormerod zeigen dennoch, dass eine Inkubationsphase vor
allem dann Personen genützt hat, wenn die Aufgabenstellung oder das Problem eine kreative
Lösung unbedingt notwendig machten (Beyer/Gerlach 2011, 140).
3. Illumination
In dieser Phase gelangt eine Person zur Einsicht in das Problem bzw. zur Erleuchtung, dem
sogenannten „Aha!-Erlebnis, das zur plötzlichen oder schrittweisen Lösung des Problems
führt (Csikszentmihalyi 1997, 154f.). Besonders interessant scheint nach Forschungen von
Jung-Beemann (2004) und Subramaniam (2009) die in der Illuminationsphase erhöhte
Aktivierung des Temporallappens der rechten Hirnhemisphäre zu sein. Nach deren
Interpretation wird dadurch eine integrative Funktion für den Sprachverstehensprozess
realisiert, die die Integration neuer oder weit entfernter semantischer Informationen
gewährleistet (Beyer/Gerlach 2011, 141).
4. Realisierung
In den Ausführungen zum kreativen Prozess kritisiert Holm-Hadulla bei einigen
Kreativitätsforschern das Fehlen der entscheidenden Realisierungsphase und damit indirekt
das Verständnis jener Kreativitätsforscher, dass die mythisch religiöse Vorstellung der
Erleuchtung keinesfalls die vollständige Lösung bzw. die Ordnung von Bedeutungen sein
könne (Holm-Hadulla 2011, 84). Erst in der Realisierungsphase wird ein Produkt nach dem
„empfangenen kreativen Funken“ ausgearbeitet (Holm-Hadulla 2011, 84). Insbesondere die
erforderliche Widerstandsfähigkeit, Ausdauer und Frustrationstoleranz während der
mühsamen Darstellung des „Neuen“ sind charakteristisch für diese produktfokussierende
Phase (Holm-Hadulla 2011, 84). Im Hinblick auf mehrphasige Schreib- und
Gestaltungsprozesse weisen diese von Holm-Hadulla betonten Zusammenhänge bei der
Realisierung nachvollziehbare Parallelen mit den Herausforderungen für den Schreibenden
auf.
28
5. Verifikation
Die kritische Bewertung, ob das gefundene Ergebnis eine angemessene Lösung der
Aufgabenstellung oder des Problems darstellt, bildet den Schwerpunkt der
Verifikationsphase. In manchen Fällen ist das entstandene Produkt trotz der Abweichung
vom ursprünglichen Ziel aufgrund der Aktivitäten aus den vorangegangenen Phasen durch
Kreativität gekennzeichnet, auch wenn die Verwendbarkeit der gefundenen Lösung weniger
gegeben ist.
(6. Elaboration)
In einer umstrittenen sechsten Phase, in der Anpassungen, Überarbeitungen und
Verfeinerungen stattfinden und die insbesondere für das (Kreative) Schreiben von Bedeutung
sind, sind Aus- und Überarbeitungsproesse von zentraler Wichtigkeit. Auf der Grundlage
kritischer Bewertungen und möglichen Beurteilungen von anderen werden in der
Elaborationsphase gefundene Lösungen hinsichtlich Qualität, Nutzen und Praktikabilität
verbessert (Csikszentmihalyi 1997, 155ff., Beyer/Gerlach 2011, 142). Ob das Überarbeiten
zum kreativen Prozess gehört oder bereits eine weitere Prüfung nach dem Finden einer
kreativen Lösung ist, bleibt in der Forschung umstritten (Beyer/Gerlach 2011, 142). Holm-
Hadullas Modell begreift das Elaborieren im kreativen Prozess bereits in die
Realisierungsphase ein. Ähnlich wie bei Phasenmodellen, die den Schreibprozess
beschreiben, ist die Idee einer generellen linearen Abfolge der verschiedenen Phasen wenig
plausibel, wenn auch bestimmte Abfolgen einzelner Phasen bei kreativen Prozessen häufig
auftreten.
Betrachtet man das Phasenmodell jedoch weniger regide und räumt ein, dass in Abhängigkeit vom Problemgegenstand und persönlichen Faktoren Phasen mehr oder weniger stark ausgeprägt sein können und sich in Wiederholungsschleifen vollziehen können, so ist es möglich, kreative Prozesse zu analysieren und damit zu einem besseren Verständnis für dieses komplexe Phänomen zu gelangen (Beyer/Gerlach 2011, 142).
Vielmehr entstehen kreative Lösungen häufig in schrittweise voranschreitenden
Erkenntnisprozessen oder durch Rückgriffe auf frühere Phasen, inklusive durch den
kommunikativen Austausch mit anderen.
29
2.1.3 Kreativität und ästhetische Sprachverwendung
Language is one of the unique characteristics of the human family (Chenfield20).
Die einzige Möglichkeit einer Erziehung des Menschen liegt in der Übung im Ästhetischen […] Erst durch die Kunst wird der Mensch vollwertig (Friedrich Schiller 1795)
Nachdem in den vorangegangenen Kapiteln erörtert wurde, wie sich das Verständnis von
Kreativität gebildet und weiterentwickelt hat und nachdem diskutiert wurde, wann eine
Person oder eine Leistung als kreativ gilt bzw. wie eine Person zu einer kreativen Leistung
gelangt, soll nun anschließend darauf eingegangen werden, warum Sprache kreativ sein kann
und was eine ästhetische Sprachverwendung mit Kreativität zu tun haben kann.
Nach der Überwindung der behavioristischen Annahme, demzufolge Spracherwerb ein rein
imitativer Lernprozess sei, hat Chomsky mit seiner Universalgrammatik und der Language
Acquisition Device (LAD)21 maßgeblich dazu beigetragen, dass die menschliche
Sprachentwicklung heute als grundlegender individuell-kreativer Prozess definiert wird.
Konkret bedeutet diese kreative Leistung, dass ein Sprecher oder Schreiber neue und selbst
nie gehörte sprachliche Äußerungen produzieren und verstehen kann. De Beaugrande
orientiert sich an Chomskys Konzept und unterstreicht die Vielfältigkeit der Textproduktion
durch den „Sprachproduzenten“ aufgrund der unbegrenzt möglichen Kombinierbarkeit
innerhalb eines jeden Sprachsystems. Er betont die Notwendigkeit kreativer
Sprachverwendung, die aber keine kontinuierliche Bedingung für sprachliches Handeln
darstellt. Sprache braucht Konventionen, da sonst viele Angelegenheiten nicht verständlich
repräsentiert werden könnten. Er weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die
unbegrenzte Kombinierbarkeit nicht im Sinne einer zero-organisation22 zu verstehen sei (de
Beaugrande 1980, 23).
20 Das Zitat stammt von Mimi Brodsky Chenfield, die besonders in den USA für ihre Kreativität-, Offenheit-, Experimentierfreude-und Wissbegier-fördernde Pädagogik bekannt ist. Mit ihrem Buch Teaching Language Arts Creatively macht sie deutlich, dass Kunst und Kreativität keine kontextabhängigen und disziplinspezifischen Ausdrucksformen bzw. Phänomene sind, die besonders im (schrift-) sprachlichen Bereich die Basis des Lernens darstellen, sondern universell die kulturelle Entwicklung in allen Kulturen begleitet und geprägt haben und prägen werden.
21 Ausgehend nativistischer Lerntheorien, maßgeblich aufgestellt durch Vertreter der kognitiven Psychologie, entwickelt Noam Chomsky die Theorie, dass jeder Mensch mit dem sogenannten angeborenen Instrumentarium Language Acquisition Device (LAD) ausgestattet ist. Dieses befähigt jeden Menschen jede Sprache problemlos und zielgerichtet zu erlernen, wobei durch die Impulse der Lernumgebung sprachlich angeborene Sprachstrukturen aktiviert werden. Die Universalgrammatik (UG) ist ebenfalls eine Theorie Chomskys, die die prinzipielle strukturelle Ähnlichkeit aller existierender Sprachen propagiert, da alle Sprachen sich einer Grammatik bedienen, in der sprachliche Zeichen in Systemen organisiert sind und sich in der Kommunikation gegenseitig bedingen.
22 Unter zero-organisation wird die maximale Kombiniermöglichkeit verstanden, wobei jede Einheit in beliebiger Reihenfolge mit anderen kombiniert werden kann. Bei Sprache ist dies aufgrund von sprachlichen Konventionen (insbesondere aufgrund
30
Da der Spracherwerb in seiner ontologischen Komplexität, insbesondere für die
schriftsprachliche Entwicklung, altersabhängig ist, sind auch die Verwendung von
Konventionen und Klischees hinsichtlich einer kreativen und als ästhetisch wirkenden
Sprachverwendung altersabhängig und erfahrungsgebunden. Das bewusste Vermeiden von
Klischees, konventionellen Mustern und erwarteten Versatzstücken kann oftmals erst
erfolgen, wenn der Schreibende sie kennt und damit umzugehen weiß. In einem Schritt zuvor
ist es für einen Sprach- oder Schreibanfänger bzw. für einen weniger erfahrenen Schreiber gar
eine Errungenschaft, diesen Konventionen zu entsprechen, um so vom Leser verstanden zu
werden. Klischees dienen jungen und jugendlichen Schreibern häufig auch, um sich von der
einen oder anderen Ausprägung der Mehrheitsgesellschaft abzugrenzen, „sich zu etwas
zugehörig zu erklären“ oder, um sich als Individuum zu positionieren (Uhle / Deutelmoser
2000, 29). Kreative Leistungen23 in Texten sind somit alters- bzw. erfahrungsspezifisch.
Der Anspruch, Ästhetik in einem Text zu erzeugen, realisiert der Schreibende durch eine
bewusste kreative Verwendung von Inhalten und sprachlichen Mitteln. Der „Autor“ des
Textes zielt dabei gleichzeitig auf die sinnliche Wahrnehmung von diesen gewählten
Textinhalten und sprachlichen Mitteln ab. Beispielweise durch die Verwendung von
Metaphern oder durch phantasievolle und elaborierte Darstellungen werden so häufig
Wohlwollen und Interesse gegenüber dem Gelesenen oder Gehörten, zuweilen aber auch
bewusst Irritation und Spannung erzeugt. Als kreativ beim Schreiben kann somit das
Erzeugen von Ästhetik und Stimmung im Text verstanden werden, die durch den Leser
sinnlich oder als schön wahrgenommen werden können. Doch was ist das Wahrnehmen von
Schönem und Ästhetischem?
Kant diskutiert die sinnlich-ästhetische Wahrnehmung erstmals nachweislich im Hinblick auf
eine erkenntnistheoretische Relevanz. Gegenüber der empirischen Erkenntnis fehlte die
Gültigkeit der sinnlichen Eindrücke und Erfahrungen im Sinne einer wissenschaftlichen
Verallgemeinerung. Kants ästhetische Theorie versucht eine Verbindlichkeit des Ästhetischen
als die „Verbindung von verschiedenen Vermögen, Tätigkeiten und Formen der Erkenntnis“
zu beschreiben (Kant 1790, 15). Schließlich erfährt das ästhetische Urteil für Kant durch die
Wahrnehmung des Wohlgefallens oder Missfallens an einer Sache oder Vorstellung
sprachenspezifischer Grammatik) so nicht möglich. Obwohl es quasi unbegrenzte Kombinationsmöglichkeiten von existierenden Wörtern gibt, müssen diese bestimmte Abfolgen (z.B. Syntax) enthalten bzw. müssen die kombinierten Einheiten semantisch zueinander passen, damit eine erfolgreiche Kommunikation zwischen Sprachsender und Sprachempfänger möglich ist.
23 Die Beurteilung von Texten wird bewusst an dieser Stelle nicht weiter ausgeführt, da dieser Themenbereich ausführlich in Kapitel 2.4 behandelt wird.
31
Gültigkeit, weil sie interessenungebunden ist und weil sich dieser ′Geschmack′ aus dem freien
Zusammenspiel von ′Einbildungskraft und Verstand′ (Casale 2004, 233f.) ergibt. Obwohl der
Geschmack über jemanden oder über etwas, oder ob etwas als ′schön′ empfunden wird,
zunächst als subjektive Einschätzung zu werten ist, betont Kant in seiner Analytik des
Schönen, dass die allgemeine Gültigkeit des Geschmacks auf vier verschiedenen Ebenen
begründet ist: Auf der Ebene der Qualität, der Quantität, der Relation und der Modalität,
wobei sich in letzterer die allgemeine Gültigkeit des Schönen zeigt (Kant zitiert von Casale
2004, 234).
2.1.4 Kritik am Konzept der Kreativität
Man will kreativ sein, und man soll es sein. Kreativität ist zum gesellschaftlichen Imperativ geworden. Zu einem Dogma, das vom Strickkurs bis zum Kreativworkshop die Menschen auf Trab hält. Doch wer kam eigentlich auf die Idee, dass jeder Mensch kreativ sein kann? Genau besehen ist diese Idee relativ jung. Sie entstand in der Moderne - und entwickelte eine mächtige Dynamik, die das Kreativitätspostulat aus der künstlerischen Nische heraus zum Mainstream werden ließ. Vielleicht aber hat sie ihren Zenit bereits überschritten (Kretschmer 2012, 124).
Trotz der zentralen Notwendigkeit des Kreativ-Seins und somit des Konzepts Kreativität für
die Diskussion des Kreativen Schreibens als Thema dieser Arbeit soll das Verständnis von
Kreativität als Begriff und Konzept kritisch reflektiert werden. Dass Kreativität große
Vorteile in Berufs- und Arbeitswelt mit sich bringt und dass „der Kreative“ attraktiv,
glücklich und vielseitig sei, gilt als modern und ästhetisch, was in verschiedenen
Massenmedien seit dem Sputnik-Schock zunehmend häufiger kommuniziert wird (Brodbeck
1999, 4, Holm-Hadulla 2011, 54f.).
Immer mehr soziale Felder wurden auf die Idee des Kreativen umgestellt, das gilt für die Ökonomie, für die Massenmedien, für den psychologischen Diskurs, für die Stadtentwicklung. Seit den 70er-Jahren wird diese Orientierung am Kreativen dann mehr und mehr zu einem dominanten kulturellen Muster (Reckwitz in Kretschmer 2012, 225).
Kreativität ist dabei nicht selten Ausdruck von Flexibilität und das scheinbare Entstehen von
immer Neuem, was wiederum zu Erfolg führt. Langwierige, handwerkliche, wiederholende
und schwierige Kompetenzaneignungen dagegen werden ‒ insbesondere von Schülern und
Studierenden ‒ häufig als nicht mehr zeitgemäß, lästig und als unästhetisch empfunden, da
24 Kretschmer, Winfried (2012): Bloß nicht kreativ sein. Wie die Kreativität erfunden wurde und wie sie unsere Gesellschaft bestimmt - ein Gespräch mit Andreas Reckwitz. https://changex.de/Article/interview_reckwitz_bloss_nicht_nicht_kreativ_sein, S.1-5. (zuletzt aufgerufen am 14.09.2016
25 https://changex.de/Article/interview_reckwitz_bloss_nicht_nicht_kreativ_sein
32
kreativ-Sein viel mit der Anwendung von variablen Methoden und Strategien26 zu tun hat. Es
scheint, als stünde damit das spontane und leichtgängige kreativ-Sein einem mühsamen
Erarbeiten hoher und ausdifferenzierter Lösungen und in diesem Fall (Schreib-)Kompetenzen
entgegen. Gesellschaftlich wird Kreativ-sein und das häufig damit einhergehende Streben
nach Ästhetischem von der heute so einflussreichen „Kulturindustrie“ zum Ethos befördert.
Die Annahme, dass stete Veränderung und Dynamik gleichzeitig kreativ sind, trügt über die
Tatsache hinweg, dass kreative Leistungen häufig Wiederholungen und handwerkliches Üben
unabdingbar machen, um zu einem kreativen (Schreib-)Produkt zu gelangen (Holm-Hadulla
2011, 84). Die Gewohnheit, ständig nach ästhetisch Neuem zu streben, birgt die Gefahr, dass
einerseits ästhetische Erlebnisse immer weniger funktionieren und sich damit „eher eine
Unzufriedenheit in dieser ständigen Jagd nach dem ästhetisch Neuem einstellt“ (Reckwitz in
Kretschmer 2012, 527) und andererseits zu einer abnehmenden Bereitschaft zur Optimierung
und Perfektion führt, was für das (Kreative) Schreiben das Überarbeiten darstellt.
Gleichzeitig wird durch den Begriff kreativ in Kreatives Schreiben der Eindruck des
Alleinstellungsmerkmals erweckt, als wäre nur diese Form des Schreibens kreativ und die
Textproduktion von anderen und insbesondere von funktionalen Textsorten nicht. Beim
Kreativen Schreiben sind Spontanität und das Spiel mit Sprache durchaus erwünscht, jedoch
ist damit kein zielloses und unreflektiertes Umherschreiben gemeint.
Dagegen ist die Kritik an der Verwendung des Begriffes Kreativität dann wenig plausibel,
wenn Klagen über den Sprachverfall heutiger Studierender mit der vermehrten Verwendung
kreativer Schreib- und Lernformen in deutschen Klassenzimmern begründet werden. Nicht
der kreative Umgang mit Sprache, sondern die unzureichende Förderung der Lese- und
Schreibkompetenz in allen schulischen Fächern, insbesondere im Deutschunterricht, sind für
die Verringerung der schriftsprachlichen Kompetenzen heutiger Studierender
verantwortlich28.
2.1.5 Lehr- und Lernbarkeit kreativer Leistungen
Wie bereits erläutert, können kreative Prozesse durch bestimmte Bedingungen gehemmt oder
gefördert werden, was besonders aus schreibdidaktischer Perspektive ‒ einem zentralen Fokus
dieser Arbeit ‒ bedeutsam ist. Somit spielt im Lehr-Lernkontext, wie beispielsweise in der
universitären Lehrerbildung, die Entwicklung der Motivation zum kreativen Tätigsein eine
26 vgl. de Bono 2002; 2010 27 https://changex.de/Article/interview_reckwitz_bloss_nicht_nicht_kreativ_sein 28 vgl. Ausführungen zu Klagen über den Sprachverfall in Kapitel 2.2.5
33
gewichtige Rolle. Diese setzt sich wie in einer Art Kontinuum aus intrinsischer und
extrinsischer Motivation zusammen, sozusagen aus innerem Antrieb und äußerer Belohnung
(vgl. Holm-Hadulla 2011, 187). Die Struktur der Lernumgebung und die vom Dozenten bzw.
der Lehrkraft gegebenen Freiräume und Strukturen sind damit Steuerungsmöglichkeiten im
kreativen Prozess und gewährleisten dennoch die Berücksichtigung individueller
Störanfälligkeiten in den bereits skizzierten Phasen des kreativen Prozesses.
Auch die Motivation zu schulischer, beruflicher und persönlicher Entwicklung ist nicht einfach gegeben, sondern entfaltet sich im Wechselspiel zwischen Struktur und Freiheit. Es existiert ein Ergänzungsverhältnis von intrinsischer und extrinsischer Motivation, innerem Antrieb und äußerer Belohnung. Die intrinsische Motivation kann durch qualifizierte Freiräume, die extrinsische durch kompetente und kontinuierliche Anerkennung gefördert werden (Holm-Hadulla 2011,187).
Treten bekannte Handlungszusammenhänge auf oder sind Stereotype und eindeutige Muster
Grundlage einer inhaltlichen Auseinandersetzung, sind unkonventionelle und kreative
Überlegungen weniger zu erwarten. Werden in Lehr-Lernsituation Studierenden beispielweise
Widersprüchlichkeit, Zwiespältigkeit oder Mehrdeutigkeit in den Überlegungen zu Beginn
einer inhaltlichen Auseinandersetzung bewusst, werden Imaginationskräfte aktiviert, die neue
Gedanken oder Perspektiven auf einen Gegenstand oder Sachverhalt ermöglichen. Konkret
können das Bilder, Stör- oder Reizwörter sein, die auf den ersten Blick nicht miteinander oder
mit einem Sachverhalt in Verbindung stehen. Stimuli hierfür können das Aufgreifen
widersprüchlicher Erfahrungen, die Bearbeitung psychischer Verletzungen des Schreiber-
Ichs, Faszination oder Identifikation mit etwas Bösem, eigene oder fremde Stärken und
Schwächen oder auch logische Widersprüche sein (vgl. auch Spinner 1993, 21f.).
Kreativität ist in diesem Zusammenhang sowohl Persönlichkeitsmerkmal aufgrund einer
bestimmten individuellen persönlichen Entwicklung als auch die Eigenschaft eines (Text-)
Produkts. Aus einer konstruktiven Sichtweise heraus ist Kreativität zwar nicht vorhersehbar,
kann aber im Rahmen gesteuerter Lernprozesser durch erfahrene Pädagogen initiiert,
angeleitet und begleitet werden.
Solch ein Argument widerspricht nicht der persönlichen Kreativitätsförderung durch pädagogische Anleitung, sondern besagt lediglich, dass diese in der Vorbereitung auf kreative Leistungen anstatt in der Planung ihres Resultats stattzufinden habe. Bedenkt man den Prozesscharakter kreativer Tätigkeiten, so wird deutlich, daß an vielen Punkten innerhalb des Prozesses bewusste Entscheidungen anfallen (Glindemann 2000, 128).
Die Lehr- und Lernbarkeit von Kreativität ist damit ebenso wie die Schreibdidaktik
unmittelbar an die Prozesshaftigkeit gebunden, in der an bestimmten Stellen und angemessen
auf das bereits erreichte domänenspezifische Niveau von Text- und Schreibkompetenzen
Lernprozesse initiiert, begleitet und gefördert werden können. Für die Förderung von
34
Kreativität ist es nicht notwendig, ein erwartetes Ergebnis vorab konkret zu benennen. Dabei
bleibt zunächst unabhängig, ob das Ergebnis zufallsbedingt oder intendiert ist. Aufgrund der
prinzipiellen Prozessorientierung kreativen Lernens und Lehrens ist das angestrebte Ergebnis
sehr viel offener (Glindemann 2000, 128).
2.1.6 Fazit: Kreativität
Der Begriff Kreativität ist im westlichen Kulturkreis omnipräsent und taucht in vielfältiger
Weise in gesellschaftlichen Diskursen und in den Medien auf. Die Bedeutung von: wer und
was kreativ ist, gestaltet sich, abhängig von Kulturzugehörigkeit und Religion, dennoch
unterschiedlich. Nach dem sogenannten Sputnik-Schock sind es vor allem die USA, die
Kreativität als existentielle Notwendigkeit für technischen Fortschritt und Wettrüsten
verstehen, die sich seit den 1950er Jahren bis heute auf alle gesellschaftlichen Bereiche
ausgebreitet hat. Die Annahme, dass Kreativität das Denken und Handeln der zugehörigen
Individuen begünstigt und somit fördert, ist common sense. Neben aller Kritik der
Instrumentalisierung und der inflationären Benutzung des Begriffs und dem fast drohenden
Zwang zur Kreativität sind grundlegende menschliche kreative Verhaltensmuster und
Bedürfnisse nach individuellem kreativen oder auch ästhetischem Ausdruck ab den jüngsten
Lebensjahren dennoch nicht von der Hand zu weisen. Kreativität äußert sich in
Persönlichkeitseigenschaften, im Prozess beim Lösen von Problemen oder Aufgaben und im
Ergebnis bzw. im entstandenen Produkt. Jedes Individuum kann prinzipiell kreativ sein.
Zentrale Abhängigkeitsvariablen sind dabei soziale und gesellschaftliche
Umweltbedingungen, die Art der zu lösenden Aufgabe der individuelle kognitive
Entwicklungsstand und individuelle Vorerfahrungen. Das grundlegende kreative
Potential jedes Menschen kann durch bestimmte Aktivitäten gefördert werden (vgl.
Brodbeck 1995, Pommerin 1996, Carter 2005, Pöppel 2012, Padget 2013, de Bono 2010).
Als kreativ gelten Handlungen oder Produkte, wenn sie als neuartig und auf eine
relevante Weise als wertvoll von den Rezipienten oder Nutzern eingeschätzt werden.
Neben der Neuartigkeit des Produkts spricht man auch von Kreativität, wenn der Weg
oder Prozess zu diesem Produkt neuartig ist oder wenn ein Produkt auf eine neuartige Art
und Weise rezipiert, erfahren oder verstanden werden kann.
Hinsichtlich universeller Kriterien für Kreativität, deren Ausprägungen
allerdings disziplinspezifisch sind, gelten für deren Erreichen die grundlegenden
kreativitätsfördernden Faktoren: Neugier, Interesse, Ehrgeiz, Hingabe,
Selbstvertrauen, Originalität und Frustrationstoleranz. Kreativitätshemmende Faktoren
sind dahingegen das ständige
35
Konfrontieren mit fertigen Lösungen, fehlende Interdisziplinarität, Sättigung, Gewissheit,
mangelnde Fokussierung der Aufmerksamkeit und die Vorgabe von Systemen und
Ordnungen, deren Wert(e) nicht selbst ergründet oder kritisch betrachtet wird (werden).
Lernerbiographische, individuelle und gesellschaftliche Bezugsgrößen können sowohl als
förderliche als auch als hemmende Faktoren einen großen Einfluss ausüben. Insbesondere in
Lehr-Lernprozessen ist neben der kreativen Persönlichkeit und dem kreativen Produkt der
kreative Prozess relevant, in dem sowohl rational-analytische als auch emotionale und
ästhetische Denkprozesse gleichberechtigt ihren Platz haben. Der kreative Prozess selbst ist
dabei in verschiedene Phasen unterteilt. Diese können in einer bestimmten chronologischen
Abfolge verlaufen, aber ebenso rekursiv oder wiederholend. Im Hinblick auf die Lehr-und
Lernbarkeit von Kreativität scheint die „Motivationsquelle“ entscheidend zu sein, wobei diese
sich maßgeblich aus innerem Antrieb und äußerer Belohnung zusammensetzt. Eine
Vorhersehbarkeit von Kreativität ist nicht gegeben; zu Kreativität kann aber angeleitet und die
Entwicklung begleitet werden, da im kreativen Prozess bewusste Prozessentscheidungen
anstehen. Damit werden der Prozess und das letztendlich entstandene Produkt in der
Retrospektive auch analysierbar.
Betrachtet man sprachliche Ästhetik aus dem Blickwinkel der sinnlichen Wahrnehmung, des
Wohlwollens oder der Irritation des Rezipienten durch Sprache und Inhalt, bleibt festzuhalten,
dass sich sprachliche und inhaltliche Konventionen und Klischees wie ein Pendel zu den
unbegrenzten Möglichkeiten der Kombination und zu intendierten Normverstößen verhalten.
Die Merkmale und Facetten sprachlicher Ästhetik, die als solche wahrgenommen werden
(können), sind dabei alters- und kenntnisabhängig. Es ist ein Trugschluss, dass ein bewusstes
Streben nach Kreativität handwerkliche, langwierige und komplexe Aneignungs- und
Wiederholungsprozesse kompensiert oder gar ersetzt. Disziplinspezifische kreative Techniken
oder Strategien eignen sich daher am besten in Kombination mit diesen und beinhalten ein
abgestimmtes Wechselspiel aus Struktur und Freiraum.
Abschließend möchte ich mich bei der Definition eines Kreativitätsbegriffes auf den
Kultursoziologen Andreas Reckwitz beziehen, weil seine Ausführungen zum Begriff
Kreativität für die Fachdisziplinen Kreatives Schreiben und ästhetisches Gestalten mir am
trefflichsten erscheinen. Reckwitz′ ästhetischer Horizont, seine Kritik am ästhetischen
Kapitalismus und an der Selbsterschaffung (self-creation) und Reckwitz′
Kreativitätsdefinition in Anlehnung an Günter Blamberger reflektieren in hohem Maße das
dieser Arbeit zu Grunde liegende Verständnis von Kreativität.
36
Kreativität hat zunächst eine doppelte Bedeutung. Zum einen verweist sie auf die Fähigkeit und die Realität, dynamisch Neues hervorzubringen. Kreativität bevorzugt das Neue gegenüber dem Alten, das Abweichende gegenüber Standard, das Andere gegenüber dem Gleichen.[...] Zum anderen nimmt Kreativität Bezug auf ein Modell des "Schöpferischen", das sie an die moderne Figur des Künstlers, an das Künstlerische und Ästhetische insgesamt zurückbindet. Es geht um mehr als eine rein technische Produktion von Innovationen, sondern um sinnliche und affektive Erregung durch das produzierte Neue. Das ästhetisch Neue wird mit Lebendigkeit und Experimentierfreude in Verbindung gebracht, und sein Hervorbringer erscheint als ein schöpferisches Selbst, das dem Künstler analog ist. Das Neuartige im Sinne des Kreativen ist dann nicht lediglich vorhanden wie eine technische Errungenschaft, es wird vom Betrachter und auch von dem, der es in die Welt setzt, als Selbstzweck sinnlich wahrgenommen, erlebt und genossen. (Reckwitz 2012, S. 10)
Letzteres wird ebenso aus psychoanalytischer wie aus gestalttherapeutischer Sicht deutlich, da
sowohl der Rezipient von Texten als auch der Schreiber selbst durch ein selbstreflektiertes
Bezugnehmen zum Schreiben angeregt wird. Dabei offenbart sich ästhetisches Erfahren und
das Genießen für den Hörer, Leser oder Schreiber kreativer Texte.
Auch sind mögliche Effekte des Aufeinandertreffens von Bild und Text, und in produktiver
Hinsicht von kreativem Schreiben und ästhetischem Gestalten interessant, wenn es um die
Beeinflussung kreativer Leistungen bei der Kombination beider Disziplinen kommt. Eine
Analyse und Interpretation von studentischen Texten, Bildern und deren kreativer
Erstehungsprozess werden im empirischen Teil dieser Arbeit vor- bzw. dargestellt.
37
2.2 Forschungsgegenstand Schreiben ‒ ein Überblick
Für die Archäologie, die historische Linguistik und die Kulturwissenschaft ist das Schreiben
seit jeher ein traditionelles Forschungsgebiet29. Bei dem nun folgenden Forschungsüberblick
über das Schreiben wird sich jedoch maßgeblich auf die akademische Schreibdidaktik und die
Schreibprozessforschung beschränkt, weil diese als theoretische Grundlegung für die
anschließenden empirischen Untersuchungen von zentraler Bedeutung sind. Dabei geht es
überwiegend um langwierige Aneignungsprozesse schriftsprachlicher Kompetenzen und die
Erkenntnisse, wie Schreiben in Schule und Hochschule attraktiv und effektiv unterrichtet
werden kann.
Es verwundert zunächst nicht, dass das Schreiben aufgrund seiner komplexen Anforderungen
und seiner relativ langen Erwerbsdauer bis zur Hochschulreife nach zwölf Schuljahren,
zentraler Gegenstand der linguistischen und didaktischen Forschung geworden ist. Die
Spracherwerbsforschung fokussierte sich historisch jedoch maßgeblich auf den Bereich der
mündlichen Kommunikation ‒ sprachwissenschaftliche Forschungen zu Beginn des 20.
Jahrhunderts eingeschlossen. Schrift, Schriftlichkeit und das Schreiben wurden didaktisch in
der Reformpädagogik zwar thematisiert, aber sprachwissenschaftlich höchstens durch die
Begründer des Strukturalismus beiläufig tangiert. Erst ab der Hochphase des (Post-)
Strukturalismus in den 1960er Jahren und der folgenden kognitiven Wende30 wurde der
schriftsprachlichen Textproduktion, ausgehend von der Rezeption und Analyse von Texten,
zentrales Forschungsinteresse zuteil. Der Zeitraum nach dem linguistic turn ab den 1970er
Jahren und insbesondere in den 1980er Jahren ist für die Schreibforschung besonders relevant
und ist durch eine Vielzahl an Forschungsprojekten und Publikationen zum (Schrift-
)Spracherwerb gekennzeichnet. Dadurch wurden grundlegende Erkenntnisse über die
Schriftlichkeit und den Schreibprozess formuliert. Antos und Pogner untergliedern hierfür die
zusammengetragenen internationalen Forschungen und Publikationen in sechs Gruppen31:
1. Forschungsstand und Forschungsentwicklung
2. Schreiben im Kontext der Schriftlichkeit: Spezielle Fragen, Schnittstellen und interdisziplinäre Verflechtung
3. Oralität und Literalität
4. Schreibprozessforschung
29 vgl. dazu Ludwig 2005: Geschichte des Schreibens, Bd. 1 30 hier sind vor allem die Entwicklungen in den USA und in Kanada ausschlaggebend 31 Die ausführlich kommentierte Bibliographie von Gerd Antos und Karl-Heinz Pogner mit dem Titel Schreiben erschien in der
Reihe Studienbibliographien Sprachwissenschaft (1995, Bd. 14) und dokumentieren die Schreibforschung im deutschsprachigen und internationalen Kontext bis 1995.
38
5. Texte und Schreibprodukte
6. Anwendungsfelder
Für die vorliegende Arbeit ist die sechste Gruppe Anwendungsfelder von besonderer
Bedeutung, in der das Kreative Schreiben als eine sich etablierende eigenständige
Teildisziplin der Schreibforschung aufgeführt wird. Hierbei fällt auf, dass es eine Verdichtung
der Forschung ab Anfang der achtziger Jahre gegeben hat, wofür die Entwicklungen des
Creative Writing im angloamerikanischen Raum als ausschlaggebend gelten können. Aus
heutiger Sicht ist das Creative Writing aber kein Synonym für das Kreative Schreiben in
Europa und schon gar nicht für jenes im deutschsprachigen Raum.
Während die anglo-amerikanische Schreibforschung in chronologischer Abfolge zunächst
jeweils fast ausschließlich den Text, dann den Prozess und zuletzt den sozialen Kontext
erforscht, werden im deutschsprachigen Raum im gleichen Zeitraum vor allem die Rezeption
geschriebener Texte, die Erweiterung von Schreibprozessen und kognitive, für das Schreiben
relevante Fragestellungen in der Schreibforschung diskutiert. Die traditionelle
Aufsatzdidaktik und deren Erforschung, vor allem im Hinblick auf schriftsprachliche
Fähigkeiten in der Sekundarstufe II und an der Hochschule, bleibt in der deutschsprachigen
Schreibforschung und -didaktik bis heute trotz mehrerer Schul- und Universitätsreformen seit
Humboldt wichtiger Bestandteil32 (Girgensohn, Sennewald 2012, 86f.), was wiederum ein
deutliches Unterscheidungsmerkmal zur anglo-amerikanischen (Schreib-)Forschung darstellt.
Bezüglich der schreibdidaktischen Forschung an den Hochschulen entstanden seit 2000
vermehrt Publikationen, die sich fast ausschließlich der kognitiven Schreibforschung
widmeten und akademisches Schreiben, inklusive einer fächerübergreifenden
Hochschuldidaktik, wie beispielsweise dem Peer-Tutoring33, erforschen. Das subjektiv-
personale Schreiben, zu dem das Kreative Schreiben mit kommunikativen und ästhetischen
Ansprüchen zählt, ist in der schreibdidaktischen Forschung weit weniger präsent und wird als
Lern- und Forschungsgegenstand insbesondere für den Hochschulbereich enorm unterschätzt.
32 Einen fundiert recherchierten Einblick in die Geschichte des universitären Schreibens im deutschsprachigen Raum geben
Girgensohn und Sennewald. Durch Veränderung der Rahmenbedingungen werden auch Realität und Ursachen mangelnder Schreibfertigkeiten heutiger Studierenden angeführt (Girgensohn 2012, 86), welche zur Notwendigkeit universitärer Schreibzentren oder Schreiblabore führten.
33 Beim Peer-Tutoring, eingeführt von Gerd Bräuer an der Pädagogischen Hochschule in Freiburg im Jahre 2001, beraten schreiberfahrenere Studierende in Zusammenarbeit mit Redakteuren oder Coaches andere Studierende hinsichtlich ihrer akademischen Textprodukte wie Haus-, Seminar- und Abschlussarbeiten. Heute arbeiten nahezu alle universitären Schreibzentren im deutschsprachigen Raum mit diesem Prinzip. Eine Liste aller deutschsprachigen Schreibzentren gibt es unter http://www.europa-uni.de/schreibzentrum
39
Diese Forschungslücke wird in den folgenden Kapiteln des theoretischen und anschließend
des empirischen Teils dieser Arbeit aufgezeigt und bearbeitet.
2.2.1 Sprache und Denken ‒ Schrift und Schreiben
Ohne Sprache keine menschliche Existenz! Ohne Schrift keine komplexe Zivilisation!34
Die Frage, ob das Denken die Sprache oder die Sprache das Denken beeinflusst, ist nach wie
vor nicht eindeutig beantwortet. Höchstwahrscheinlich bedingen sie sich gegenseitig, da sich
das Denken ohne Sprache und die Sprache ohne das Denken nicht weiterentwickeln könnten.
Dennoch kann ein Mensch zwar eine oder mehrere Sprachen beherrschen, das Denken jedoch
nicht. Viele theoretische Konzepte über den Spracherwerb, die Sprachverwendung und den
Zusammenhang von Denken und sprachlicher Produktion haben sich mit dem Zusammenhang
von Sprache und Denken beschäftigt - viele haben sich als unzureichend bzw. gar falsch
herausgestellt. Der Ansatz der Translation beispielsweise ging davon aus, dass im Gehirn
abgespeicherte Gedanken erst bei der Sprachproduktion (durch Sprechen oder Schreiben) in
Sprache übersetzt würden. Für das Schreiben hieße das, dass der Inhalt und die Gedanken vor
dem Beginn des Schreibens bereits beim Schreiber im Kopf existent wären und durch den
Schreibprozess (beispielsweise durch Stift auf Papier) würden diese dann in einer
Schriftsprache realisiert, was nach heutigen Forschungserkenntnissen unhaltbar ist. Bereits
Wittgenstein bezeichnete es als Trugschluss, dass es gleichsam „zwei Reihen“ gäbe, wovon
eine die Gedankenreihe (Ideen, Vorstellungen) und die andere die Wortreihe wäre und
zwischen denen eine Beziehung bestünde. (Wittgenstein 1989, S. 50).
Ortner interpretiert die Ausführungen von Saussure, Vygotskij und Hegel dahingehend, dass
die Sprache als Medium Gedanken ermöglicht, die als besonders klar und strukturiert gelten,
und die für den Produktionsprozess besonders relevante Diskursivität (Ortner 2000, 133). Mit
Sprache können beispielsweise Gedanken, Weltsichten und Identitätsmerkmale geäußert
werden, die sich gleichzeitig durch die Versprachlichung erst bilden.
Sprache ist nicht bloß ein Mittel, das Gedachte zu bezeichnen und anderen mitzuteilen, Sprache ist nicht bloß Zeichen, sondern Mittel der Bildung des Denkens, Mittel der Bildung des Selbst und der Welt, d.h. Sprache selber produziert das Denken (Trabant 1990, 38).
34 Das Zitat stammt aus Rieses Einführung zum Sammelband Schrift und Sprache von 1994. Damerow, Englund und Nissen
erklärten darin mit ihrer Auswertung von über 4000 Tontafeln aus der Stadt Uruk in Mesopotamien (die ältesten erhaltenen Schriftdokumente) maßgeblich die Entwicklung der Schrift in Vorderasien und die damit verbundene Übertragung auf den europäischen Kontinent (abgedruckt in dem genannten Sammelband Schrift und Sprache) . Sie fanden heraus, dass die Schrift das zwangsläufige Ergebnis einer immer komplizierter gewordenen Wirtschaftsorganisation war, die sich als Folge der Verstädterung ergab. Die ältesten beschrifteten Tontafeln entstanden ca. 3000 v.Chr. im heutigen Südirak. Gleichzeitig entstanden zu dieser Zeit die ersten schriftlichen Zahldarstellungen und die Entwicklung des Zahlbegriffs.
40
Mit der Erfindung der Schrift und der zunehmenden Praxis des Schreibens nahm die
Bedeutung der mündlichen Überlieferung stetig ab. Betrachtet man Kommunikationsformen
in vorschriftlichen Kulturen, wie beispielweise bei indigenen Völkern im brasilianischen
Regenwald oder bei bereits von Linguisten untersuchten Völkern und Sprachen in Papua
Neuguinea, wird deutlich, wie stark mündliche Überlieferungen an Rituale und an physische
Präsenz der Kommunizierenden gebunden sind. Die Technik des Schreibens, die von nahezu
jedem erlernt werden kann und nur auf wenige technische Hilfsmittel angewiesen ist, befreit
die Sprache „von den Zwängen der unmittelbaren Situation, Zeitdruck, Gedächtnis-
Limitationen etc., die die mündliche Kommunikation kennzeichnen“ (Meyer 1996, 41). Damit
hat sich Sprache qualitativ um eine Ebene und um einen völlig neuen Texttyp erweitert, mit
welchem wiederum über einen langen historischen Prozess ein starker Einfluss auf die
gesprochene Sprache einherging (Meyer 1996, 40).
Die sich konstituierenden Aktivitäten Denken und Sprechen werden allerdings von der
Paarung Denken und Schreiben hinsichtlich des Grads an kognitiver Verarbeitung
übertroffen. Noch komplexere und abstraktere, kognitiv und motorisch stärker anfordernde
Bedingungen werden dem Menschen bei einer Vielzahl schriftsprachlicher Äußerungen
abverlangt. Schreiben stellt lebenslang komplexe Anforderungen an Motorik und Kognition
des Lernenden oder Ausführenden. Vygotskij, der mit Humboldts Schriften zur Sprache35 gut
vertraut war, und ebenso Kleist, sind von der Schrift als der eigentlichen Sprache des Denkens
überzeugt.
Schriftsprache wird seit jeher als eine Sprache des Denkens bezeichnet, die sich vor allem durch einen hohen Grad an Symbolisierungsleistungen und Abstraktionsvermögen auszeichnet, die vom schreibenden Individuum ein hohes Maß an Kognition und Konzentration abverlangt (Vygotskij 1971, 222ff.).
Der Kenntnis über ein oder mehrere schriftsprachliche Systeme geht das Erlernen des Lesen
und Schreibens einher oder sogar voraus. Mit der Etablierung von Schrift(en) wurde erstmals
nach der Schulung von Rhetorik eine Pädagogik zum Erwerb schriftsprachlicher Fertigkeiten
notwendig - sozusagen der Beginn der Schreibdidaktik. Dabei sind das bloße Abschreiben
eines Textes und das Schreiben von Texten, bei dem der Schreiber selbst Konzeption,
Komposition und Formulierung realisiert, zu unterscheiden. Auf eine grundlegende
Differenzierung der beteiligten Dimensionen des Begriffes Schreiben soll aber hier aufgrund 35 Wilhelm von Humboldt befasst sich umfassend mit der vergleichenden Sprachwissenschaft und der Sprachphilosophie, wobei
er insbesondere auf den Zusammenhang von Denken und Sprechen und auf entstandene Interdependenzen von gesprochener und geschriebener Sprache eingeht. Insofern verwundert es wenig, dass sich Vygotskij bei seinen Argumentationen an Humboldts „Schriften zur Sprache“ orientiert (vgl. Humboldt 2008).
41
der Vielzahl von Veröffentlichung zur Fassung dieses multidimensionalen kulturellen
Technik und Praxis verzichtet werden.36
Eine umfassende Umschreibung des Begriffs Schreiben beginnt mit der historischen
Perspektive. Bei den Anfängen des Schreibens handelt es sich zunächst um das handwerkliche
und künstlerische Tätigsein und hat damit große Ähnlichkeit mit dem ästhetischen Gestalten
in der Fläche, wie beispielsweise dem Zeichnen, Illustrieren oder Malen, bevor es sich, auch
durch technische Weiterentwicklungen bedingt, grundlegend veränderte und ausdifferenzierte.
Das Schreiben gehört historisch gesehen zunächst in die Gruppe handwerklicher und künstlerischer Tätigkeiten, worunter jahrhundertelang vor allem das Abschreiben (Kopieren) von Texten verstanden wurde. In der aktuellen Diskussion versteht man Schreiben so, dass derjenige, der einen Text konzipiert und formuliert, als sein Schreiber (Autor) betrachtet wird, unabhängig davon, ob er den Text selbst mit der Hand geschrieben oder einem (Ab-)schreiber diktiert hat (Glück 2010, 589).
Das Ästhetische in der Schriftlichkeit und gleichzeitig der moderne Begriff des Schreibens
kommen allerdings spätestens bei der Verschriftung von Reden und deren „kunstvoller“
Rhetorik hinzu. Ästhetik in geschriebenen Texten geht über die reine Funktionalität von
Schriftlichkeit hinaus, was für das Kreative Schreiben von Bedeutung ist und in dieser Arbeit
untersucht wird. „Der moderne Begriff des Schreibens hat seine Wurzeln in der Rhetorik,
deren Figuren dann in den Bereich des Schreibens übertragen wurden“ (Glück 2010, 589).
Vor allem die Hermeneutik37 und Rezeptionsästhetik38 betonen in diesem Zusammenhang die
multivalenten und non-linearen Aspekte von Schriftsprache entgegen einer Reduzierung auf
rein funktionale und strukturalistische Eigenschaften. Das Ästhetische in der Schrift, wie z.B.
in der Poetik, wird somit ähnlich wie bei der Artikulation verbalsprachlicher Texte rezeptiv
und produktiv erzeugt oder zumindest determiniert. Aufgrund dieses engen Verhältnisses
zwischen schriftlicher kreativ-ästhetischer Ausdrucksform und der mündlich-rhetorischen
Textproduktion ist ein vertieft vergleichender Blick auf Mündlichkeit und Schriftlichkeit
hinsichtlich einer späteren Analyse von Zugängen und Bedingungen zum Kreativen Schreiben
sinnvoll.
36 Eine ausführliche Darstellung des Begriffes Schreiben findet sich in Glück 2010, Steiner 2007, Dürscheid/Spitzmüller 2012,
Becker-Mrotzeck/Böttcher 2006, u.a. 37 Hermeneutik ist in diesem Zusammenhang als eine objektivierte Interpretation zu verstehen, bei der linguistische,
sprachphilosophische, gesellschafts- und kommunikationstheoretische sowie psychoanalytische Betrachtungsmöglichkeiten bei der Analyse von Einzeltexten eine Symbiose eingehen (Glück 2000, 312f.).
38 Rezeptionsästhetik meint die gedankliche und emotionale Text-Leser-Auseinandersetzung, bei der sich die Wirkung des Textes durch die gegenwärtige Wahrnehmung bzw. den aktuellen Standpunkt des Lesers einer entgegen der „Was-will-der Autor-damit-sagen-Interpretation“ herausbildet. Auf das Konzept von Iser und Jauß wird im Kapitel 2.4.2 zur Analyse und Bewertung von Texten mit einem Kreativitätsfokus näher eingegangen
42
2.2.2 Mündlichkeit und Schriftlichkeit
Textlinguistischer Diskurs
Die Dichotomie von Mündlichkeit und Schriftlichkeit ist Gegenstand vieler Ansätze und
Theorien in der Linguistik im 20. Jahrhundert und wird nach wie vor kontrovers diskutiert.
Der Textlinguistik vorausgehend waren Sprachforscher wie beispielweise Ferdinand de
Saussure mit seinem Werk Cour de linguistique générale (1922), wenn auch hier
hauptsächlich auf den Bereich der Semiotik beschränkt, Vygotskij, besonders mit seinem
Werk Denken und Sprechen (1934), in dem er neben den Besonderheiten des schriftlichen
Formulierens, insbesondere auf das erkenntnisfördernde epistemische Schreiben, eingeht,
Bühler mit seinen bis heute aktuellen und immer wieder aufgelegten Arbeiten zur
Sprachtheorie (1934) oder J.R. Firth, der die anthropologische Semantik Malinowskis
fortführte und die semiotische Anthropologie in den papers in linguistics begründet und
ausführt (1957). Vygotzkij setzt sich mit Schwierigkeiten und Eigenschaften der
schriftsprachlichen Produktion auseinander, bei der dem Sprachverwender ein erhebliches
Maß mehr an kognitiven Fähigkeiten als vergleichsweise bei der Mündlichkeit abverlangt
wird.39
Sie ist eine Sprache ohne Intonation, ohne das Musische, Expressive, überhaupt ohne ihre lautliche Seite. Sie ist eine Sprache im Denken, in der Vorstellung, aber eine Sprache, der das wesentliche Merkmal der mündlichen Sprache fehlt, nämlich der ‚materielle‘ Laut.[…] Die Motive der geschriebenen Sprache sind selbst abstrakter, intellektualistischer, und beruhen in weniger starkem Maße auf einem Bedürfnis (Vygotskij 1979: 228ff.).
Seit den 1970er Jahren galt der Textlinguistik im Deutschen, aber vor allem im
angelsächsischen Sprachraum, ein besonders großes Interesse und die Publikationslisten sind
kaum überschaubar. In der Debatte um die Dichotomie von Mündlichkeit und Schriftlichkeit,
als zwei sehr verschiedene Formen der Kommunikation. differieren die Meinungen
verschiedener Ansätze dennoch nicht grundlegend. Knoop interpretiert die Dichotomie von
Mündlichkeit und Schriftlichkeit als eine verengte Darstellungsweise der
Kommunikationstheoretiker, nach der Kommunikationsmuster und –mechanismen prinzipiell
erscheinen sollen. In diesem Zusammenhang kritisiert er die Auffassung von Saussure und
Bloomfield, dass Schreiben nur ′eine bloße Umsetzung der Lautsprache in eine anderes
39 In seinem viel zitierten Buch Denken und Sprechen betont Vygotskij den monologischen und abstrakten Charakter der
geschriebenen Sprache. Er geht bei seiner Argumentation ausschließlich von Texten aus, die keinen Adressaten haben und damit Äußerungen ohne die Notwendigkeit von Antworten beinhalten. Er behauptet, dass die Schriftsprache für kommunikativ-dialogische Zwecke weniger geeignet sei, was aus heutiger Sicht durch das Hinzukommen zahlreicher Texttypen, insbesondere durch die Kommunikation literarischer Texte oder via Internet mit digitalen Medien, erweitert und differenziert werden muss.
43
Zeichensystem sei′. Aber genau diese Umsetzung ist für Knoop der relevanteste Prozess beim
sprachlichen Gestalten (Knoop 1983: 25).
Konsens herrscht z.B. darüber, dass Geschriebenes häufig differenzierter und elaborierter
gegenüber dem Mündlichen ist, was auf eine tiefere und reflektiertere sprachliche
Verarbeitung zurückzuführen ist. Unterschiedlich in den verschiedenen Ansätzen sind eher
neue Phänomene bzw. unterschiedliche Gewichtungen oder Fokus, die Texte in formell oder
informell, spontan oder geplant, dialogisch oder monologisch, in Texte der Nähe oder Ferne,
in innere und oder äußere Situationen im Kommunikationsakt, wie beispielweise bei Lux
(Lux, Friedemann (1981): Text, Situation, Textsorte), oder in konzeptionell mündlich und
schriftlich, wie bei Koch und Oesterreicher (1994), einteilen. Dabei geht es stets um die
Skalierung der Parameter Rückmeldung im interaktiven Kommunikationskontext.
In diesem Zusammenhang erscheint Meyers Sphärenmodell interessant, das den Kontext als
vollständigen Sammelbegriff für alle die Kommunikation betreffenden Parameter beschreibt.
Die Übertragung von Meyers drei Sphären textueller Kontext, individuell-situativer Kontext
und kultureller Wissenskontext bedeuten für das Kreative Schreiben ‒ wenn auch häufig nicht
der textuelle Kontext, sondern eher der individuell-situative Kontext im Zentrum steht ‒ ein
Changieren zwischen mündlichen und schriftlichen Sprachverwendungen, ohne dass der
textuelle Kontext zu stark an Bedeutung verliert. Im Hinblick auf die Dichotomie von
Mündlichkeit und Schriftlichkeit beschreibt Meyer mit seinem Modell grundlegende Faktoren
zur Wahl des mündlichen oder schriftsprachlichen Prototyps der kommunikativen Handlung.
Die Bedeutung dieser Sphären für das Kreative Schreiben wird in den Reflexionen
Studierender deutlich40, wenn Sie beschreiben, wie sie sich in der Planungs- und
Formulierungsphase des Schreibprozesses an ihnen bewussten mündlichen oder
schriftsprachlichen Kriterien und Anforderungen, an der Einschätzung des eigenen subjektiv-
situativen Kontextes und am (kulturellen) Weltwissen über den zu kommunizierenden
Sachverhalts förmlich „entlanghangeln“.
40 vgl. Kapitel 3.6 im empirischen Teil dieser Arbeit
44
Abbildung 2: Sphärenmodell des Kontexts nach Meyer (1996)
Ein weiterer, die Mündlich- und Schriftlichkeit unterscheidender Punkt ist die
Erwartungshaltung des Rezipienten. Während ein Hörer von einem Sprecher erwartet, dass
Unklarheiten oder Ambiguitäten durch den Sprecher wieder aufgenommen und spontan
geklärt werden, wird ein Leser vom Schreiber eine viel stärker geplant-kontrollierte
Textfassung erwarten, da eine spontane Klärung hier nicht möglich ist. Grund dafür ist unter
anderem die Annahme, dass der Schreiber so viel Zeit zur Textproduktion verwendet hat, wie
es letztendlich für einen klar verständlichen Text notwendig ist. Würde dagegen ein Schreiber
ähnlich flüchtig einen gesprächsähnlichen Text schreiben anstatt sprechen, würde, mit
Ausnahme verkürzter rein kommunikativer Textsorten wie SMS, Tweet oder Chat41, kaum ein
befriedigender Text entstehen (Beaugrande 1980, 201).
Ohne Frage ist eine gut ausgeprägte mündliche Sprachfähigkeit ohne eine vorherige
kontinuierliche hochschwellige Forderung und Förderung, beispielsweise durch gezieltes
Lesen oder durch häufige inhaltlich und rhetorisch anspruchsvolle Redeanlässe, kaum
möglich. Koeppel betont, dass durch die schriftsprachliche Kommunikation der Zwang zu
einer präziseren, relativ situationsunabhängigen Benennung des Gemeinten entsteht, der
wiederum den Grad an Explizitheit erhöht und den der möglichen Missverständnisse senkt
(Koeppel 2010, 268). Schreiben ist somit eine grundlegende und nachhaltige Form der
Objektivierung von Wissen und Gedanken. Die verwendeten Kommunikationsformen mit
41 Beaugrande kannte 1980 sicherlich SMS, Tweet oder Chat nicht. Die Beispiele wurden vom Autor zum Zitat Beaugrandes zur
Veranschaulichung mit der Intention des aktuellen Bezugs hinzugefügt
1. textueller
Kontext
2. individuell-
situativer
Kontext
3. kultureller
Wissenskontext
45
deren sprachcharakteristischen Merkmalen und mit deren Verwendungshäufigkeit bestimmen
dabei die Favorisierungen der mündlichen oder der schriftlichen Ausdrucksweise maßgeblich.
Ortner weist bei dieser Unterscheidung dem Schreiben letztendlich den objektivierbareren
Status zu und erläutert dies unter anderem an Schriftstellern wie Kafka, der von sich
behauptete, dass er nur in der Schrift seine Gedanken zum Ausdruck bringen kann (Ortner
2000, 128). Das Schreiben ist nach der Auffassung Ortners gut geeignet, eine hochwerte
Qualität der Objektivierung zu gewährleisten, auch weil Texte überarbeitet werden können.
Sprechen und Schreiben sind nur Voraussetzungen der allmählichen Objektivierung der Welt, der Außen- wie der Innenwelt. Das Schreiben liefert vielleicht in fast vollendeter Qualität das, warum es Objektivationen gibt und braucht. Sie ermöglichen Abstand, Dauerhaftigkeit und Bearbeitbarkeit. Das Objektivierte kann zum Werkstück werden - beim Schreiben viel mehr als beim Sprechen (Ortner 2000, 129).
Hinsichtlich einer Beeinflussung der Schriftlichkeit auf die Mündlichkeit sind die
Untersuchungen von Henrici und Riemer zu nennen, die auf den förderlichen Einfluss des
Schreibens auf die mündliche Ausdrucksfähigkeit hinweisen (Henrici/Riemer 1996, 111).
Obwohl sie diese Lernwirksamkeit des Schreibens im fremdsprachlichen Kontext
nachwiesen, ist mit einer positiven Beeinflussung, beispielsweise für den sprachlichen
Ausdruck, für die Eindeutigkeit mündlicher Äußerungen oder für die mögliche
Differenzierung von Inhalten, auch generell bei allen Spracherwerbsverläufen zu rechnen.
Die polarisierende Unterscheidung zwischen einer Sprache der Nähe und einer Sprache der
Distanz liefert insbesondere mit den Begrifflichkeiten der medialen und konzeptionellen
Mündlichkeit bzw. Schriftlichkeit (Koch und Oesterreicher 1985, 1994, 2001 S. 217-221) eine
interessante Perspektive, die trotz der kontrastiven Gegenüberstellung der beiden Konzepte
ein Kontinuum zwischen spontaner face-to-face-Kommunikation und elaborierter
monologischer Sprachverwendung in konzeptionell schriftliche Texten mit raum-zeitlicher
Trennung implizieren. Koch und Oesterreicher konkretisieren ihr Konzept anhand von
kontinuitativ angelegten Parametern, die in ihrer maximalen Ausprägung entweder
konzeptionell mündlich oder schriftlich sind (Koch/Oesterreicher 1985, 23). Beim Kreativen
Schreiben allerdings müssen die „Parameterwerte“ emotionslos, situationsentbunden und fixes
Thema genauer betrachtet oder revidiert werden. Genau diese Parameter können und sollen
beim Kreativen Schreiben Schwerpunkte sein, was gleichzeitig aber keine Aufhebung des
Schriftlichkeit-Mündlichkeit-Pols bedeutet, da die Texte Kreativen Schreibens
konzeptioneller Mündlichkeit (Alltagssprache) selten ähneln. Eher ist das kreative Schreiben
eine emotional-kognitive Erweiterung, die das Modell von Koch und Oesterreicher unbeachtet
lässt. An kreativen und lyrischen Texten lässt sich erkennen, dass die Unterscheidung in
46
medial mündlich und schriftlich und in konzeptionell mündlich und schriftlich nicht
ausreichend ist. Je nach Textsorte und Schreibanlass bzw. Schreibmotivation vermischen sich
die von Koch und Oesterreicher grundgelegte Kriterien hierbei.
Sowohl für das stark normierte genrespezifische Schreiben als auch für das Kreative
Schreiben macht diese mangelnde Differenzierung deutlich, dass es vielmehr Fragen über die
Varietäten schriftsprachlicher Kommunikation und über den situationsbedingten
Schreibkontext aufwirft, wodurch einer zu Sprachsystem-zentrierenden Schwerpunktsetzung
begegnet werden könnte. Das Kreative bei der schriftsprachlichen Produktion, wie z.B. bei
der Lyrikproduktion, oder das bewusste Mischen von Dialogizität und elaborierter
konzeptionell-schriftlicher Sprachverwendung beim Kreativen Schreiben bekommen also
seinen Wert unter anderem genau an der Stelle, wo es von der Normen-zentrierten
Sprachbetrachtung abweicht.42
Sprachdidaktik zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit
Da sich das Schreiben (mit ästhetischem bzw. kreativem Anspruch) historisch gesehen aus der
Rhetorik heraus entwickelte, ist die Perspektive der gesprochenen Sprache für die in dieser
Arbeit gewählte Thematik des Kreativen Schreibens ebenfalls bedeutsam. Predigten die
großen Philosophen Platon und Sokrates ihren Schülern gegenüber stundenlang und standen
diese der aufkommenden Schriftkultur eher kritisch gegenüber43, so ist, nach einem über zwei
Jahrtausende dauernden Prozess, die Vermittlung von Lesen und Schreiben spätestens seit der
Einführung der Schulpflicht44 nicht nur die grundlegende Voraussetzung für das Erlangen von
Wissen geworden, sondern wurde mehr und mehr Bedingung für die Teilhabe am kulturellen
und gesellschaftlichen Leben. Die Bedeutung schriftsprachlicher Kompetenzen nahm stetig zu
42 vgl. auch Onea Gáspár 2006, 7ff. 43 Gundel Mattenklott beschreibt Platons schriftkritische Position mit dem Gleichnis der Kultivierung des Feldes durch den
Bauern und der Bepflanzung von Adonisgärtchen für das griechische Adonisfest im Sommer. Hierbei wird das Schreiben als kurzfristiger und die mündliche Rhetorik als weit vorausgedachter Planungsprozess verstanden. Während das zum Vergnügen angelegte Adonisgärtchen von der Aussaat bis zum Welken nur wenige Tage in Anspruch nimmt, muss der Bauer mit sehr viel Überlegtheit, Geduld und Fachkompetenz von der Aussaat bis zur Ernte rechnen (so Platon). Das Gleichnis ist natürlich aufgrund der Weiterentwicklung von Schriftsprache in Quantität und Qualität, allen voran durch die Entwicklung des Mediums Papier, nicht mehr tragfähig, beschreibt aber als Kontrast die Sichtweisen über die Bedeutung des gesprochenen Wortes gegenüber dem geschriebenen Wortes aus historischer Perspektive sehr eindrucksvoll.
44 Es ist von der Schulpflicht im europäischen Raum die Rede, wenngleich die Einführung aufgrund der territorial kleinteiligen Hoheitsgebiete wie Fürsten- und Herzogtümer zeitlich unterschiedlich realisiert wurde. In Deutschland beispielsweise zog sich die Einführung der Schulpflicht vom 16. bis ins 19. Jahrhundert hin. Erst in der Weimarer Republik wurden der Schulbesuch und damit das Erlernen von Lesen und Schreiben in Deutschland flächendeckend für Mädchen und Jungen zur Pflicht.
47
und ist nicht nur in Europa der Einflussfaktor für Bildungserfolg. Im Hinblick auf den
Hochschulsektor heute, sind die Präsenz und die Bedeutung des gesprochenen Wortes durch
die Abnahme des Formates der Vorlesung, der zunehmende Anteil von E-Learning- und
Blended-Learning-Programmen, der Wegfall mündlicher Prüfungen rückläufig und damit, vor
allem nach der Bologna-Reform, Indiz für die Abnahme der Bedeutung von elaborierter
Mündlichkeit im Studium. Im Schriftsprachlichen ist vor allem der Einfluss der digitalen
Medien hervorzuheben. Auf Smartphones und Tabletcomputern, in Chatrooms, Foren und
Blogs und anderen Social-Media-Kanälen wird von Sekundarstufenschülern und Studierenden
kontinuierlich, teilweise von früh bis spät nachts geschrieben. Hierbei werden meist kurze und
wenig komplexe Texte produziert, die zum Teil sehr stark konzeptionell mündlich anmuten
und für die Reduzierungen, Abkürzungen, Symbole und Icons charakteristisch sind. Trotz der
häufiger stattfindenden Textproduktionen durch diese Medien im Alltag der Lernenden ist
durch international angelegte Studien wie PISA, PIAAC oder DESI keine steigenden, sondern
eher sinkende schriftsprachliche Kompetenzen festgestellt worden (mit Ausnahme in der
Fremdsprache Englisch)45. Die Ergebnisse sind unter anderem darin zu begründen, dass durch
das zur-Verfügungstellen von Arbeitsblättern, Lückentexten, ausgedruckten Skripten und
Power-Point-Präsentationen und von gedruckten anstatt von abzuschreibenden
Aufgabenstellungen der Umfang des Schreibens bildungssprachlicher und literarischer Texte
insgesamt gesunken ist. D.h., dass beim schulischen und akademischen Lernen eine deutliche
quantitative Abnahme selbst (ab-)geschriebener Texte stattgefunden hat, bei denen häufig
zusammengefasst, paraphrasiert selektiert und letztendlich auch kohärent formuliert werden
musste. Dagegen wird von Schülern und Studierenden, auch durch die Zunahme und
Entwicklung technischer Möglichkeiten der Vervielfältigung und der digitalen Medien,
überproportional rezeptiv durch Lesen und somit zu häufig alleinig durch Nachvollziehen
nicht selbst geschriebener Inhalte gelernt. In Leistungsüberprüfungen hingegen wird dann
verlangt, angereichertes Wissen sprachlich angemessen und stringent selbst zu formulieren,
obwohl das Schreiben beim Lernen zunehmend weniger praktiziert wird.
Für das ernsthafte Spiel mit Sprache und Inhalten, wie beim Kreativen Schreiben, spielt der
rezeptive Umgang mit literarischen prosaischen und lyrischen Texten eine zentrale Rolle.
Dennoch sollte aus sprachdidaktischer Perspektive auch hier darauf geachtet werden, dass die
Produktion von eigenen Texten mit zumindest künstlerisch-ästhetischem Anspruch nicht
45 vgl. Ausführungen zum Sprachverfall Kapitel 2.2.5
48
vernachlässigt und in angemessenem Umfang durch methodische Variationen durch Schüler
und Studierende selbst praktiziert wird.
2.2.3 Schreibkompetenz und Schreibkompetenzentwicklung für Hochschulreife
und Studium
Das Paradigma der Kompetenz, eingeführt durch die Erziehungswissenschaften, unter
anderem aufgrund der Suche nach einer empirisch messbaren Einheit, hat sich spätestens seit
2010 sowohl in der empirischen Bildungsforschung als auch in den fachdidaktischen
Forschungen flächendeckend etabliert. Spätestens nach der Veröffentlichung einheitlicher
länderübergreifender Bildungsstandards für die Hochschulreife im Fach Deutsch im Jahr 2012
durch die Kultusministerkonferenz (KMK) werden Kompetenzen, als der erwünschten Stand
von sprachlichen Fähig- und Fertigkeiten zu Beginn eines Studiums, angegeben. Insgesamt
taucht der Begriff Kompetenz in diesem Dokument 194 Mal auf46. Daher müssen
verschiedene Begrifflichkeiten gefunden werden, mit der sich an die unendlich erscheinende
Begriffsbestimmung einer holistischen Schreibkompetenz angenähert werden kann, um den
Kompetenzbegriff inhaltlich ausreichend zu füllen. Vor allem für das schreibdidaktische
Spezialgebiet des Kreativen Schreibens an der Hochschule ist hervorzuheben, dass eine
Begriffsdefinition zur Schreibkompetenz neben kognitiven auch literale, kreative und
emotionale zur Identitätsbildung beigetragene Aspekte beinhalten muss. So findet
Kompetenzerwerb generell statt, wenn auf der Basis erworbener Wissensbestände die
individuellen kognitiven sowie emotionalen und kreativen Ressourcen so aktiviert werden,
dass langfristig und nachhaltig souveräne Handlungen bei unterschiedlichen Anforderungen
erlangt werden und auf diese Weise die Persönlichkeitsentwicklung gefördert wird
(Büchel/Graf 2014, 1). Zudem muss eine Diskussion des Schreibkompetenzbegriffs jeweils
kontextuell, d.h. mit einer Differenzierung von Schreibkompetenzen bei beispielsweise
narrativer, sachlicher, persönlicher oder lyrischer Textproduktion, und niveauspezifisch
reflektiert sein. Dazu zählen alters- und anforderungsspezifische Bedingungen hinsichtlich der
Textrezeption und der Textproduktion. Demnach gelten im didaktischen Feld prozessuale
bzw. transitorische Normansprüche, je nach Zielsetzung der zu erreichenden Schreibexpertise.
Feilke geht in diesem Zusammenhang davon aus, dass konzeptionell schriftliche
46 vgl. Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 18.10.2012, Bildungsstandards im Fach Deutsch für die Allgemeine
Hochschulreife. http://www.kmk.org/fileadmin/veroeffentlichungen_beschluesse/2012/2012_10_18-Bildungsstandards-Deutsch-Abi.pdf
49
Routinebildungen47 maßgeblich an der Ausbildung der Schreibkompetenz, bis hin zu einem
Schreibexpertenniveau, beteiligt sind. Demnach ist die allmähliche Ausbildung von
metatextuellen Routinen, intertextuellen Routinen und Fiktionalisierungsroutinen und die
Organisation und Strukturierung der Schreib- und Lesesituation beim Schreibenden zu
erwarten. Je ausgeprägter die schriftsprachlichen Fähigkeiten sind, desto ausdifferenzierter
entwickeln sich Schreib- und Textroutinen, beispielsweise auf den Ebenen des Ausdrucks, der
Lexik, der Syntax oder der Textualität (vgl. Feilke/Köster/Steinmetz 2012).
Aufgrund des Fehlens von Schreibkompetenzentwicklungsmodellen für Kreatives Schreiben
werden im Folgenden Modelle erläutert, die fast ausschließlich Annahmen über das
Anfertigen expositorischer Texte abbilden. Dennoch bieten sie eine Orientierung in dem
komplexen Feld der Schreibkompetenzforschung und lassen Anknüpfungspunkte für das
Kreative Schreiben und insbesondere für die forschungsleitenden Fragestellungen II und III
zu, weshalb diese Modelle im Folgenden näher diskutiert werden.
Schreibkompetenzmodelle
Aufgrund des Gesamtzusammenhangs des komplexen Prozesses des Schriftspracherwerbs
und seiner Dauer und hinsichtlich der für diese Arbeit wichtigen Erkenntnis, welche
Kompetenzen beim Schreiben wann gelernt und damit unterrichtet werden können, sind die
knappen anschließenden Erklärungen zum generellen Schreibenlernen von Bedeutung ‒ auch
wenn diese Arbeit den Fokus auf Studierende legt. Es soll in den hier vorgelegten empirischen
Untersuchungen nämlich später darum gehen, welche Schreibroutinen mit welchen
angewendeten Techniken und bewussten Reflexionsprozessen heutige Studierende beim
Kreativen Schreiben nutzen und welche nicht.
Eine Grundlage dieser auf Lese- und Schreibroutinen abzielenden Argumentation bildet das
Modell zur Entwicklung von Schreibkompetenz nach Bereiter (1980). Das integrative
Entwicklungsphasenmodell beschreibt grundlegende und miteinander interagierende
Fähigkeitskomplexe, die die Schreibkompetenz aus seiner Sicht kennzeichnen. Der
Komplexitätsgrad nimmt mit jeder Stufe zu, wobei die jeweils niedrigere Stufe beim
Erreichen der höheren integriert wird. Der Stufe der assoziativen Fähigkeiten zum
Hervorbringen von Ideen, Vorstellungen und Sprache ohne Berücksichtigung jeglicher
47 Feilke leitet seine Begrifflichkeiten Schreib- und Textroutinen aus der Sozialforschung her und bezieht sich auf Berger und
Luckmann, die Routinen primär als soziale Konstrukte begreifen, die sich aus erfolgreichen individuellen Handlungsmustern entwickeln. Die Ähnlichkeit dieser problemlösenden Habitualisierungen konkretisiert Feilke für das Schreiben, allerdings mit Einschränkung für das wissenschaftliche Schreiben, weshalb in dieser Arbeit nicht näher auf Feilkes Konzept der Schreib- und Textroutinen eingegangen wird.
50
Textkohärenz folgt der Fähigkeitskomplex des Regel-gerechten Schreibens, d.h. der
Entsprechung von grammatischen, stilistischen, formalen und orthographischen Normen. Die
dritte Stufe ermöglicht dem Schreibenden, kommunikative Ziele, wie Adressatenorientierung
und Wirkungsabsicht, zu verfolgen und eine vierte Stufe erlaubt es dem Scheibenden, eine
kritische Beurteilung seines eigenen geschriebenen Texts vorzunehmen, bei der er bereits
bekannte textuelle Kriterien überprüft. In der fünften und höchsten Stufe, in der Bereiter wie
Vygotzkji von einem Wissen kreierenden Schreiben ausgehen, wird vom epistemischen
Schreiben gesprochen, worunter das akademische und wissenschaftliche Schreiben zu zählen
ist48. Auffällig ist, dass das literarische (kreative) Schreiben bei den Überlegungen von
Bereiter so wie bei der Mehrheit der Schreibforscher aus den 1970er und 1980er Jahren keine
Erwähnung findet, obwohl klar ist, dass dabei die beschriebenen Fähigkeiten der einzelnen
Kompetenzphasen ähnlich vorkommen müssen.
Mit dem Hinweis auf die Illusion einer allgemeingültigen Norm für lineare
Schreibentwicklungsstufen haben Böttcher und Becker-Mrotzek versucht, ontogenetische
Anhaltspunkte für die sukzessive Aneignung von Schreibfähigkeiten zu benennen (vgl. Feilke
1993, Bötcher/Becker-Mrotzek 2003). Demnach entwickelt sich die Fähigkeit des
Perspektivenwechsels, bei dem sich der Schreibende in den Leser versetzt, erst zwischen dem
11. und 15. Lebensjahr (Raible 1999, 3-6, Böttcher/Becker-Mrotzek 2003, 39). Die
Schreibentwicklungsstufe, in der Schreibende stilistische und argumentative Anforderungen
und Intentionen im Sinne eines fortgeschrittenen Schreibens mitreflektieren, sowie den
eigenen Text kritisch beurteilen, ist, nach Meinung der beiden Schreibforscher, erst ab Ende
der Sekundarstufe I zu erreichen (Böttcher/Becker-Mrotzek 2003, 39). Dabei gilt die
Warnung, die Entwicklung der Schreibkompetenz nicht als lineare oder additive Abfolge zu
verstehen. Besonders die individuellen Bedingungsfaktoren und Vorerfahrungen beim und
mit dem Schreiben und nicht zuletzt die durch Unterrichtsvorgaben und Curricula gesteuerte
Reihenfolge des Inputs und der Schreibaufgaben, beeinflussen die Entwicklung der
Schreibkompetenzen maßgeblich (vgl. Ossner 1996, Merz-Grötsch 2005, Feilke 2006).
Für den Hochschulbereich entwickelte Otto Kruse 2003 ein Schreibkompetenzmodell, das
vier notwendige Dimensionen oder Kompetenzbereiche für einen studentischen Schreiber
enthält. In der Dimension Kontent benötigt der Schreibende Wissen, über was er schreiben
will bzw. Recherchekompetenzen, wie dieser an dieses benötigte Wissen gelangt (Kruse
48 Die Übersetzung der verschiedenen Stufen nach Bereiter ist teilweise schwierig und in der Forschungsliteratur nicht identisch.
Bereiter formuliert diese Stufen als die Fähigkeitskomplexe associative writing, performative writing, communicative writing, unified writing und epistemic writing.
51
2007, 130ff.). In der zweiten Dimension Prozess, sieht Kruse die Vorstellung und
Methodenkenntnisse des Schreibenden als notwendige Dimension, in der bestimmte
Arbeitsschritte wann einzusetzen sind. In der dritten Dimension Produkt sieht er die
Schreibkompetenz dadurch bedingt, dass der Schreibende angestrebte oder verlangte formale
und schriftsprachliche Normen wie Textsortenangemessenheit, rhetorische Mittel,
Fachterminologie oder Zitierkonventionen einhält bzw. einsetzt (Girgensohn/Sennewald
2012, 33). Als vierte und letzte Dimension nennt Kruse das Kontextwissen als eine Art soziale
Kompetenz. Dabei berücksichtigt der Schreibende Adressaten oder Diskursgemeinschaften,
die mögliche Wirkung seines Textes auf andere und die mögliche Verortung und
Repräsentanz seiner eigenen Person. Alle vier Dimensionen sind aufeinander bezogen, wobei
Schreibprobleme auch in der Problemhaftigkeit einer einzigen Dimension begründet sein
können (Kruse 2007, 133).
Im Hinblick auf die vorliegende Untersuchung zum fortgeschrittenen Kreativen Schreiben mit
Studierenden ist die US-amerikanische Schreibforscherin Anne Beaufort mit ihren
Untersuchungen zu universitären und später professionell Schreibenden ebenfalls interessant.
Als frühere Lehrerin und Schreibberaterin für Erwachsene entwickelte sie während ihrer
Tätigkeit als Professorin und Schreibdidaktikerin ein Modell für eine fortgeschrittene
Schreibkompetenz. Das fünf Wissensbereiche umfassende Modell beinhaltet eine inhaltlich-
fachliche Teilkompetenz, Genrewissen, eine rhetorisch-stilistische Kompetenz und eine
Schreibprozesskompetenz. Der erste Wissensbereich umfasst nach Beaufort Kenntnisse zum
Thema bzw. beinhaltet Wissen über den zu formulierenden Sachverhalt. Das Genrewissen
stellt dem Schreibenden sprachübergreifende Kenntnisse über die Textsortencharakteristika
zur Verfügung, während die rhetorisch-stilistische Kompetenz sprachliches Wissen zum
Formulieren beinhaltet. Nicht ganz deutlich wird aus Beauforts Ansatz, inwiefern das Wissen
über verschiedene Genre und die rhetorisch-stilistische Kompetenz jeweils eigene
Wissensbereiche darstellen und welche ihre Schnittmengen sind. Die Kompetenz über den
Schreibprozess beinhaltet Wissen über das Anfertigen und Überarbeiten von schriftlichen
Texten im Sinne eines autonomen Schreibhandelns. Eine fünfte Dimension bzw. Kompetenz,
das Wissen über die Diskursgemeinschaft, hat für Beaufort eine zentrale Bedeutung, da alle
anderen vier Kompetenzbereiche darin eingebettet sind (vgl. Abb.3). Zur
Diskursgemeinschaft zählen beispielsweise die Assoziation potentieller Leser oder das
Wissen über die erwarteten Anforderungen einer universitären oder beruflichen
Schreibaufgabe, was insbesondere bei der Bewältigung sogenannter Operatoren, wie
Beschreiben, Erklären, Bewerten oder Erörtern, wesentlich zum Schreiberfolg, der noch
52
zudem häufig eine Bewertung durch eine externe Person vorsieht, die meist die
Schreibaufgabe gestellt hat, führt. Für eine Analyse studentischer Texte, die durch Kreatives
Schreiben zustande gekommen sind, bietet Beauforts Modell zumindest eine differenzierende
Erklärung an, welchen Kompetenzbereichen sich Studierende bedienen können, um
experimentell und spielerisch inhaltlich wie sprachlich beim Schreiben zu handeln. Mit dem
übergeordneten Ziel des Kreativen Schreibens, einen aussagekräftigen Text mit einer
ästhetischen Wirkung zu erzeugen, werden die Parallelen zwischen Beauforts Ansatz und den
Gelingensfaktoren im kreativen Schreibprozess sichtbar, insbesondere im Hinblick auf die
kommunikativen Schreibziele, auf die gestellten und antizipierten Anforderungen und die
antizipierten potentiellen Leser/Hörer (Wissen über die Diskursgemeinschaft).
Abbildung 3: Das Schreibkompetenzmodell nach Anne Beaufort, das sie nach ihren Untersuchungen
mit universitären und beruflichen Schreibenden entwickelte (Beaufort 2007, 19)
Vor allem bei der kompetenzorientierten Diskussion bleibt neben dem Erwerb formaler
Fertigkeiten jedoch häufig ein wesentlicher Schwerpunkt unbeachtet: Das Schreiben ist
nämlich ein Lernmedium, mit dem durch das praktizierende Schreiben grundsätzliche
„inhaltlich-existenzielle“ Attribute erworben werden (Fritzsche 1980, 72ff.). Formen des
Wissen über die Diskursgemeinschaft
Schreib-prozess-kompetenz
inhaltlich-fachliche Kompetenz
rhetorisch-stilistische Kompetenz
Genre-wissen
53
Kreativen Schreibens, und das gilt vor allem für Schreibende ab der Adoleszenz und in dieser
Arbeit insbesondere für Studierende, ermöglichen das Artikulieren und Reflektieren ihrer
Umwelt inklusive eigener und fremder Norm- und Wertesysteme. Dabei entwickelt der
Schreiber nicht nur seine individuelle Schreibkompetenz, sondern auch seine Persönlichkeit
und seinen (Er-)Kenntnisstand über die verschiedensten Sachverhalte und Themengebiete
weiter (Büchel/Graf 2014, 36f.). Konkret heißt das, dass es jugendlichen und erwachsenen
Schreibern gelingen soll, Texte ohne einen konkreten Adressaten Textsorten-adäquat zu
produzieren, sich dabei sowohl mit realen, fiktiven oder abstrakten Gegenständen schriftlich
auseinanderzusetzen als auch den Raum für Individualität und Selbstreflexion dabei nutzen.
Sicherlich hat die Entwicklung der Schriftkultur49 und der große Stellenwert der Schrift
wesentlich zur Möglichkeit der Objektivierung durch Schreiben beigetragen, dennoch ist
Schreiben sowohl in seiner kulturellen Entwicklung als auch in seiner Praxis nicht rein
rational und objektbezogen, sondern immer auch individueller Ausdruck gewesen, der
subjektivistische Reflexionen enthalten kann und sollte50.
Wenn sich, wie Vygotskij es versteht, Schriftsprache als Medium besonders gut zur Reflexion
und zur Gewinnung neuer Erkenntnisse eignet, dann ist diese Paarung vom schreibenden und
individuell denkenden Menschen, dessen Überlegungen durch kulturelle Voraussetzungen
geprägt sind, gar eine synergetische Konsequenz. Demnach müsste vielmehr der psychischen
Innendimension des Schreibenden für die Entwicklung einer ausgeprägten Schreibkompetenz
Rechnung getragen werden, in der Schreiben wieder (z.B. wie auf der Sprachtheorie Karl
Bühlers basierenden anthropologischen Kategorien) verstärkt als Mittel zum Denken und zur
Kommunikation (Büchel/Graf 2014, 42) diskutiert wird, zu dem das Kreative Schreiben
vielfältige Ansätze bietet, weshalb es im universitären Rahmen fächerübergreifend eine
stärkere Anwendung finden müsste.
Kritik am Kompetenzbegriff der Bildungs- und fachdidaktischen Forschung
Kompetenzen, wie sie in den länderübergreifenden Bildungsstandards im Fach Deutsch für
die Allgemeine Hochschulreife von 2012 festgeschrieben sind, spielen für die vorliegende
Arbeit insofern eine Rolle, als dass die meisten Studierenden über das Gymnasium an die
Hochschule gelangen, an der die in den Standards beschriebenen Kompetenzen für den
Umgang mit der deutschen Sprache vorausgesetzt und deren Beherrschen von den
49 Vgl. Kapitel 2.1.1 50 ausgenommen sind hier einzelne Textsorten wie die Abschrift, eine Vorgangsbeschreibung oder das Protokoll o.ä, bei denen
subjektivistische Anteile ausdrücklich vermieden werden sollen
54
Studierenden erwartet werden. In der Debatte um Reformierung im westlichen Schul- und
Kulturbetrieb fällt, ähnlich wie beim Kreativitätsbegriff, die übermäßig häufige Verwendung
des Begriffs Kompetenz auf, welcher in Deutschland spätestens seit der Reaktion auf den
„PISA-Schock“ 2000 aus keinem bildungsinstitutionellen Curriculum mehr wegzudenken ist.
Semantisch geklärt ist dieser Begriff allerdings nach wie vor nicht vollständig, vielmehr lässt
seine inflationäre Verwendung den Begriff unscharf erscheinen und versieht häufig bereits
formulierte Fähigkeiten und Fertigkeiten mit einem neuen Etikett. Die Existenz und den
Diskurs um den Begriff der Kompetenz trotz Kritik an diesem auszublenden, wäre für eine
deutschdidaktische Diskussion schriftsprachlicher Fähig- und Fertigkeiten engstirnig, weshalb
er hier verwendet, aber kritisch kommentiert wird.
Mit der Einführung des Begriffs Kompetenz in nahezu alle Curricula entsteht der Eindruck,
dass sich sowohl Können als auch Wissen nur aus theoretisch zusammenhängenden
Einzelkompetenzen zusammensetzen. Eine Schreibfähigkeit, als Teilkompetenz sprachlicher
Kompetenz, setzt sich demzufolge aus Formulierungskompetenz, Strukturierungskompetenz,
Textsortenkompetenz, grapho-motorischer Kompetenz, Phonem-Graphem-
Zuordnungskompetenz, Selbstkompetenz, Abstraktionskompetenz, Reflexion-Kompetenz und
vielen weiteren zusammen, die bei der Schreiberziehung alle berücksichtigt werden sollen.
Vorangestellt sei die Bemerkung, dass Sprachkompetenz als facettenreiches menschliches Verhalten in ihrer Komplexität empirisch nur schwer erfassbar ist.[...]Theoretische Modelle zur Sprachkompetenz sind oft sehr fein differenziert, situationsspezifisch und postulieren viele Dimensionen und Facetten, deren empirische Abbildung nicht immer gelingt (Jude und Klieme 2007, 12).
Aufgrund des Umfangs aller für das Schreiben notwendigen Teilkompetenzen, die noch
zudem in verschiedenen Entwicklungsstadien durch teilweise sehr unterschiedliche
Gewichtungen kognitiver, motorischer, affektiver, emotionaler, sozialer und externer
Faktoren beeinflusst werden, müsste eine allgemeingültige bzw. allumfassende Definition von
Schreibkompetenz gegeben sein. Weinert kommt mit seinem Verständnis über Kompetenz
dieser Multidimensionalität entgegen, wenn er beschreibt, dass Kompetenz kognitive
Fähigkeiten und Fertigkeiten und die Auswahl zielgerichteter Problemlösestrategien
beinhaltet, mit denen unter Einfluss von motivationalen, volitionalen und sozialen Faktoren
verantwortungsvoll gehandelt wird (Weinert 2001, 27f.). Dabei bezieht sich der Psychologe
Weinert nicht spezifisch auf die Schreibkompetenz, sondern lediglich auf einen allgemeinen
Begriff der Kompetenz. Ziel der Definition von Kompetenz war die Schaffung einer
begrifflichen Grundlage für Weinerts Leistungsmessungen in Schulen. Werden die
Anforderungen an das Schreiben, als die komplexeste der vier sprachlichen Fertigkeiten, nun
55
noch hinzu gedacht, wird sehr schnell klar, dass eine Generaldefinition der Schreibkompetenz
schwierig ist.
Prinzipiell ist die Berücksichtigung aller das Schreiben beeinflussenden Faktoren sehr
sinnvoll, allerdings muss die Schreibfähigkeit als ein ganzheitlicher Lernprozess unterrichtet
und von den Schreibenden auch als solcher wahrgenommen werden können bzw. schlicht
erfahrbar sein. Dass dies häufig nicht der Fall ist, weil vielfältige und insbesondere produktiv-
ästhetische Erfahrungen beim Umgang mit Schrift in der Sekundarstufe und im
Hochschulstudium fehlen51, wird im empirischen Teil dieser Arbeit dargestellt. Studierende
haben aus ihrer Schulzeit zu wenige oder zu begrenzte Umgangsformen mit Texten
kennengelernt, obwohl sowohl stark kognitiv geprägte als auch ästhetisch-literale und kreativ-
produktive Fertigkeiten im Umgang mit Texten in den Lehrplänen theoretisch festgeschrieben
sind.
Zum Umgang mit Texten ist selbstverständlich auch das Rezipieren eigener und fremder
Texte zu zählen. Die Interdependenz der vier sprachlichen Fertigkeiten Hören, Sprechen,
Lesen und Schreiben ist nicht erst seit der Möglichkeit der bildgebenden Verfahren der
Hirnforschung52 common sense. Wird in diesem Zusammenhang von Textkompetenz53
gesprochen, wird die begriffliche Annäherung an Schreibkompetenz nochmals um weitere
Dimensionen erweitert. Petersen weist darauf hin, dass sowohl das Verhältnis von Sprach-
und Textkompetenz als auch die Verzahnung von Lese- und Schreibkompetenz nicht
ausreichend geklärt sind und verweist auf die konstituierende Verzahnung beider
Kompetenzen im Sinne von Portmann-Tselikas Definition der operationalen Textkompetenz
(Petersen 2012, 202).
Zudem wird in der Kompetenzdebatte deutlich, dass durch die Verkürzung des
Schreibkompetenzbegriffs und die häufig einhergehende Segmentierung in
Einzelkompetenzen die wesentliche Schlüsselqualifikation „Sprache als soziales Handeln“
bereits in der schulischen Bildung zu sehr außer Acht gelassen wird. Insbesondere das
Schreiben eignet sich im besonderen Maße zum Einüben bildungssprachlicher Varietäten in
Verbindung mit dem Verarbeiten und Reflektieren eigener Lebenserfahrungen, Perspektiven
51 Zum Kompetenzbegriff in der literarisch-ästhetisch Didaktik siehe auch Frickel/Kammler/Rupp (2012): Literaturdidaktik im
Zeichen von Kompetenzorientierung und Empirie. Perspektiven und Probleme. Freiburg i. Br. 52 Als bildgebende Verfahren werden in der medizinischen Diagnostik Visualisierungen bezeichnet, die zwei- oder
dreidimensionale Bilder von körperinneren Strukturen oder Organen (hier Gehirn) aufgrund von vorausgegangenen Untersuchungsmethoden (z.B. Kernspintomographie, Ultraschall, Impedanz, Endoskopie, u.a.) sichtbar machen.
53 Ansprüche an eine Textkompetenz, die u.a. Grundlage für die Hochschulreife sind, sind im Hinblick auf das Zusammengehören von Verstehen und Verfassen von Texten ist Feilke/Köster/Steinmetz (2014) mit dem Titel Textkompetenzen in der Sekundarstufe II von 2014 zu finden.
56
oder Probleme, wie es bereits in den 1970er und 1980er Jahren mit den sogenannten Reform-
Lehrplänen eingefordert wurde (Wintersteiner 2009, 15). Dadurch werden die „sprachliche
Denk- und Kommunikations- und damit Handlungsfähigkeit“ als Grundlage für
Emanzipation, „das Lebenlernen“, „die Mündigkeit“ und die „selbstständige Lebensführung“
entwickelt54 (Wintersteiner 2009, 15). Büchel und Graf weisen in diesem Zusammenhang auf
die fehlende anthropologische Dimension des Verständnisses von Schreibkompetenz hin und
kritisieren Weinert und Fix aufgrund ihres auf wissensdominierter Organisation beschränkten
Begriffsverständnisses von Schreibkompetenz heftig (Büchel/Graf 2014, 1-42). Der
amerikanische Kommunikations- und Schreibforscher Thomas Kent stellt 1999 mit weiteren
Experten den Sammelband Post-Process Theory: Beyond the Writing Process vor, in dem er
die Schreibforschung und deren Fokussierung der Schreibentwicklung auf generalisierbare
kognitiv-technisierte Prozesse kritisiert und den sozialen und kulturellen Beziehungscharakter
des Schreibens hervorhebt. Stattdessen charakterisiert er als “post-process theorist” das
Schreiben als öffentlich, interpretierbar und situativ, wobei er unter öffentlich einen
generellen kommunikativen und auf andere Individuen bezugnehmendes Verständnis
voraussetzt. Demzufolge kann es nach Kent keine universelle
Schreibkompetenzentwicklungstheorie geben (Kent 1999, S. 1). Obwohl sich die Post-Prozess
Theorie für die Schreibforschung aufgrund fehlender Anhaltspunkte für die Didaktik nicht
durchsetzen konnte, hat sie dennoch eine entscheidende Aussage: Die Entwicklungs- und
Prozessmodelle beanspruchen für das Schreiben eine zu generalisierte und technische
Erklärung für eine so komplexe und individuelle Kommunikationsform.
Sowohl eine Beschäftigung aus synchroner als auch aus diachroner Sicht verlangen
demzufolge verschiedene Ansätze und Definitionen zum Begriff der Schreibkompetenz. Vor
allem ist hervorzuheben, dass eine Begriffsdefinition zur Schreibkompetenz eine literale
Dimension, eine Dimension als Werkzeug und Medium und eine, die die Identitätsbildung
durch Schreiben zum Ziel hat, beinhalten muss. Eine übergeordnete Einordnung von
Schreibkompetenz in Textkompetenz, die Lesen und Schreiben und deren interdependente
und interaktionale Verflechtungen beinhaltet, ist für ein Verständnis von umfassenden Fähig-
und Fertigkeiten beim Verfassen von Texten ebenfalls relevant.55
54 Wintersteiner bezieht sich hierbei auf die programmatischen Äußerungen von Rumpf (1977), der im Begleitband zum
Schulbuch unter der Oberfläche eine Spracherziehung fordert, die die Lebenszusammenhänge der Lernenden unbedingt einbegreifen muss.
55 vgl. Feilke/Köster/Steinmetz 2012
57
2.2.4 Schreibprozessforschung
Mit dem Beginn der Kognitiven Wende, ausgelöst durch Chomskys kritische Antwort auf
Skinners behavioristischen Erklärungsversuch zum Spracherwerb, rücken auch in
Deutschland sprachliche Prozesse wieder verstärkt in das Erkenntnissinteresse von Kunst und
Wissenschaft. In Bezug auf das Schreiben wird spätestens seit den Frankfurter Poetik-
Vorlesungen, deren erste durch Ingeborg Bachmann im Wintersemester 1959/60 abgehalten
wurde, der „mystische“ Schreibprozess von professionellen Schreibern kreativer Texte
erstmals öffentlich thematisiert. Wenngleich der Höhepunkt der hauptsächlich durch
Psychologen und Linguisten vorangetragenen Schreibprozessforschung erst in den achtziger
Jahren erreicht wurde, beschäftigen sich seitdem einzelne deutsche Autoren, wie z.B.
Enzensberger mit „Die Entstehung eines Gedichts“ von 1963 oder später Hermann Burger
1985/86 mit „Vom allmählichen Verfertigen der Idee beim Schreiben“, in diesen Frankfurter
Vorlesungen mit der Erforschung ′literarischer Schreibspuren′56. Jahrhunderte lang galt
nahezu alles Forschungsinteresse an kreativen Texten der Rezeption des Schreibprodukt
allein, bevor die Genese von Texten zu einem zentralen Punkt der modernen Ästhetik und
schließlich der prozessorientierten schreibdidaktischen Forschung geworden ist (Grésillon
1987, Koeppel 2010, Feilke 1996, 2012). Diese Entwicklung ist dadurch begründet, dass seit
den 1970er Jahren vermehrt psycholinguistische Forschungen und dabei insbesondere
sprachverarbeitende Prozesse, wie beispielsweise das Inferieren57 und Elaborieren, im
wissenschaftlichen Interesse standen. Gleichzeitig rückte die Sprachdidaktik von einer
lernerunabhängigen Produktorientierung mehr und mehr ab und schwenkte fast gänzlich über
zur Entwicklung des schreibenden Individuums und zur Prozessorientierung.
...denn erst, wenn man darüber Erkenntnisse besitzt, was die Lerner zu welchem Zeitpunkt innerhalb der Entwicklung fokussieren, lässt sich didaktisch fundiert und auf der Grundlage gezielter Lernarrangements in diesen Prozess eingreifen (Pohl 2007, 3).
Mit dem Ziel, Erkenntnisse über Prozesse beim Schreiben zu erlangen, arbeitet Neumann mit
Lautes-Denken-Protokollen58. Sie kommt aber zu dem Schluss, dass wenig metasprachliche
Erklärungen der Probanden geliefert werden, da eine Reflexion, besonders die
56 Den Begriff ′literarische Schreibspuren′ verwendet Almuth Grésillon in ihrem Artikel Literarische Schreibprozesse, in dem sie
teils kultur-historisch vor allem die Nachvollziehbarkeit von Schreibprozessen vor den Möglichkeiten der phono-, photo- oder videographischen Aufzeichnungen aktuellen Tendenzen in der Schreibforschung gegenüberstellt,
57 Inferieren meint das Schlussfolgern oder Erkennen einer Aussage aufgrund mehrerer gegebener (sprachlicher) Informationen (Glück 2000, 295).
58 zu Untersuchungen zum Lauten Denken (Thinking Aloud Protocols) vgl. auch Krings 1989, 1992, Nystrand 1986, Flower 1989, Neumann 1995
58
introspektivische, vorab ausgiebig trainiert werden müsse. Sie beschreibt individuelle
Schreibprozesse anhand der Triangulierung von retrospektiven Interviews, Lautes-Denken-
Protokollen und Schreibproduktanalysen. Exemplarisch stellt sie transkribierte zeitnah nach
dem Schreiben durchgeführte Interviews zur Beweisführung vor. Sie spricht an, dass die
Analyse der Interviews und der Lautes-Denken-Protokolle mangelhaft sind und dass nur eine
Kombination aller vorliegenden Informationen die Explizitheit von forschungsrelevanten
Aussagen erhöhen könne. „For gaining insight into the writing process, however, TAPs59 do
not seem to be as fruitful” (Neumann 1995, 95).
Weil es sehr wohl Unterschiede zwischen studentischen und professionellen Schreibern bzw.
zwischen akademischem und kreativem Schreiben gibt, sei betont, dass es viele Parallelen
und Schnittmengen hinsichtlich geeigneter Schreibstrategien und Textroutinen geben kann,
aber nicht zwangsläufig muss. Selbstverständlich aber gibt es auch Kriterien im
professionellen Schreibprozess, die sich nur sehr schwer auf nicht-professionelle Schreiber
übertragen lassen. Daher werden nachfolgend zwar immer wieder Bezüge zu Erkenntnissen
aus der Schreibforschung über professionelles Schreiben hergestellt, dennoch aber
konzentriert sich die Darstellung auf den bildungsinstitutionellen Bereich, hauptsächlich auf
das fortgeschrittene Schreiben in der Sekundastufe II und an der Hochschule. Zudem sei
bemerkt, dass sich die im Folgenden erläuterten Modelle zum Schreibprozess nicht explizit
auf literarisch-ästhetische Textproduktionen beziehen, sondern eine generelle Erklärung zum
Zusammenwirken von beteiligten Faktoren im Schreibprozess für das Schreiben jeglicher Art
von Texten beanspruchen60.
Schreibprozessmodelle
Was ist ein Schreibprozess und was beinhaltet er61? Gibt es Unterschiede zwischen den
Begriffen Schreibakt, Schreibprozess, Schreibhandlung und Schreibtätigkeit? Diese Begriffe
und teilweise konzeptionellen Vorstellungen sollen in der folgenden Darstellung synonym
verwendet werden, wenn auch an der einen oder anderen Stelle unterschiedliche Nuancen
oder zeitliche Verortungen im Schreibprozess in einzelnen Vorstellungen stärker betont
werden.
59 TAP steht für Thinking Aloud Protocol 60 Hiervon ausgenommen ist das Schreibprozessmodell von Ludwig, der explizit eine Beschränkung auf expositorische Texte
vornimmt und der angibt, welche Variablen er für die Entwicklung seines Modells vernachlässigt. 61 Katrin Girgensohn und Nadja Sennewald beschreiben in ihrem Buch „Schreiben lernen, Schreiben lehren“ (2012) Kapitel 2
einen historischen Werdegang der Schreibprozessforschung, vor allem aus der Sicht der damals dominierenden psychologischen und psycholinguistischen Forschungen in den USA.
59
Die sukzessive Ordnung des Schreibprozesses besagt nicht, daß eine Aktivität erst abgeschlossen sein muß, bevor eine andere zum Zuge kommt. Die Aktivitäten können zwar grundsätzlich voneinander getrennt auftreten: sie sind potentiell isolierbar. In der Regel aber überlappen sie einander in einem hohen Maße. Bestimmte Korrekturen oder Überarbeitungen des Textes, die durchaus noch zum Schreibprozeß zählen, können erst vorgenommen werden, wenn etwas vorliegt, das verbessert werden kann (Ludwig 1983, 47).
Für alle Modelle aus der Schreibprozessforschung gelte, so Ludwig, dass die Darstellung des
Schreibprozesses als lineares Phasenmodell aufgegeben werden muss. Entscheidend ist aber
der Spielraum zwischen den verschiedenen Teilprozessen, den die prozessorientierte
Schreibdidaktik nutzen muss, um sie „an die Dynamik der Schreibaufgabe und das
individuelle Arbeitsverhalten anzupassen (Kruse 2006, S. 16)“.
Das Schreibprozessmodell nach Hayes/ Flower
Aus Darstellungsgründen, und damit entgegen einer allgemein gültigen Chronologie im
Schreibprozess, werden in der Schreibforschung und der prozessorientierten Schreibdidaktik
häufig Phasenmodelle verwendet, die in ihrem Grundmuster auf das Schreibmodell von John
R. Hayes und Linda Flower von 1980 zurückgehen. Da dieses Modell in der
Schreibprozessforschung das am meisten referierte ist, das nahezu ausnahmslos in jeder
Publikation zum Schreiben Erwähnung findet, wird auf eine Erläuterung bzw. auf eine
visuelle Darstellung verzichtet62. Viel wichtiger dagegen erscheint in diesem Zusammenhang
die Weiterentwicklung dieses Modells nach einer gründlichen Überarbeitung durch Hayes
1996.
Darin geht er detaillierter auf innere Einflussfaktoren, d.h. auf diejenigen der schreibenden
Person, und auf äußere Einflussfaktoren, d.h. diejenigen Faktoren außerhalb der schreibenden
Person, ein. Die Kategorien innerer Faktoren auf der Ebene des einzelnen Schreibers betitelt
Hayes nun mit Motivation/Affekt, Arbeitsgedächtnis, Langzeitgedächtnis und mit kognitiven
Prozessen, die jeweils mehrere Einzelfaktoren beinhalten (Becker-Mrotzeck/Böttcher 2015,
31f.). Bei den äußeren Faktoren, die er unter der Umgebung der Aufgabenstellung subsumiert,
unterscheidet er die Kategorie der sozialen Umgebung und die der physischen Umgebung, die
alle Informationen einschließt, die den Schreibprozess von außen beeinflussen
(Girgensohn/Sennewald 2012, 18).
Wie bereits im Modell mit Linda Flower (1980) stellt das Langzeitgedächtnis nach der
Annahme von Hayes das benötigte Wissen, wie beispielsweise sprachliche, allgemein-
62 Eine Erläuterung und Visualisierung des Modells findet sich außer in der Publikation von Hayes und Flower (1980)
beispielsweise bei Becker-Mrotzek/Böttcher 2015, 19f.
60
weltliche, adressaten- und aufgabenspezifische Kenntnisse oder Schreibhandlungsroutinen,
zur Verfügung. Der Faktor Langzeitgedächtnis und der Zugriff auf das dort gespeicherte
Wissen stellen damit eine zentrale Säule jeglicher erfolgreichen Textproduktion dar.
Den Faktor kognitive Prozesse beschreibt Hayes als die mental ablaufenden Prozesse der
Planung und Ausführung der Schreibhandlungen. Darin sind die Texthandlungsprozesse beim
Schreiben Interpretieren, Reflektieren und Textproduzieren (Girgensohn, Sennewald 2012,
21) zusammengefasst, die sowohl linearen Text als auch non-lineare Darstellungsformen und
Assoziationen beinhalten.
Abbildung 4: Das überarbeitete Schreibprozessmodell nach Hayes (übersetzt und publiziert in:
Becker-Mrotzek/Böttcher 2011, 40)
61
Neu gegenüber der Version von 1980 ist, dass Hayes dem Arbeitsgedächtnis eine zentrale
Funktion als Koordinator und Kontrolleur aller ablaufenden Prozesse zuweist. Hier wird
deutlich, dass ein schreibspezifisch gut entwickeltes Arbeitsgedächtnis, das alle aktuellen
Informationen und alle nicht automatisierten und routinenhaften Teilprozesse speichert und
ausführt, den Unterschied zwischen einem geübten Schreiber und einem Schreibnovizen
bedingt. Für das fortgeschrittene Schreiben ‒ wie hier bei den Untersuchungen mit
Studierenden ‒ ist also ein gut belastbares Arbeitsgedächtnis ebenso wichtig wie ein gut
schreibspezifisch ausgeprägtes Langzeitgedächtnis. Der Kritikpunkt, dass das Modell sich zu
sehr an Schreibexperten und zu wenig an Schreibnovizen orientiere, ist für den Schwerpunkt
des fortgeschrittenen Schreibens mit Studierenden eher eine Stärke, da, wie erwähnt,
Arbeitsgedächtnis und Langzeitgedächtnis der Schreibenden bereits viele Prozesse
gleichzeitig ausführen, koordinieren und kontrollieren bzw. abrufen und speichern können.
Das Schreibprozessmodell nach Ludwig
Ludwig ist davon überzeugt, dass eine Analyse des Schreibprozesses in der Gesamtheit aller
möglichen Schreibzwecke nicht möglich ist. Er beschränkt sich auf das zielgerichtete
Schreiben mit der Hand und schließt beispielsweise das Drucken oder das surrealistische
ècriture automatique als Untersuchungsgegenstand und als Geltungsbereich für sein Modell
aus (Ludwig 1983, 37). Lediglich einzelne Ausprägungen, inklusive notwendiger
Ausgrenzungen bzw. Vernachlässigung von unkontinuierlichen Faktoren, wie beispielsweise
Scheibunterbrechungen oder kooperatives Schreiben, sind im Schreibprozess isoliert
betrachtbar (Ludwig 1983, 38f.). Ludwig beschränkt sich in seinen Untersuchungen auf das
Schreiben expositorischer Texte. Damit sind nach Ludwig das zum-Ausdruck-Bringen innerer
Zustände und Gedanken (Ludwig 1983, 39) beim und durch das Schreiben maßgebend.
Nach Ludwig konstituieren den Schreibprozess fünf Teilprozesse: motivationale, kognitive,
motorische, sprachliche und redigierende Prozesse, die „ineinander“ und nicht unbedingt
nacheinander ablaufen (Ludwig 1983, 46.f). Neben der Betonung der Komplexität des
Schreibprozesses ist ihm auch die Komponente der Dynamik im Schreibprozess wichtig, weil
die beteiligten Aktivitäten in hohem Maße „in ihrem Zusammenspiel nach Verlauf, Richtung
und Intensität modifizierbar“ sind. (Ludwig 1983, 44).
62
Abbildung 5: Schreibprozessmodell „Die Struktur des Schreibprozesses“ nach Ludwig (Ludwig 1983,
46)
Ludwig versteht sein Modell unter der Voraussetzung, dass sich einzelne Aktivitäten beim
Schreiben auf folgende Weise entwickeln bzw. sich zueinander verhalten können (Ludwig
1983, 47f.):
• multilevel: Am Schreibprozess beteiligte Aktivitäten operieren auf verschiedenen Ebenen
(z.B. die motivationale, konzeptionelle, sprachliche Ebene).
• sukzessiv: Einzelne Aktivitäten im Schreibprozess erfolgen nach- bzw. aufeinander. Diese
Reihenfolge ist aber insbesondere auf Phasen der Überarbeitung keinesfalls festgelegt. Häufig
überlappen sie sich bei geübten Schreibern.
• interaktiv: Die beteiligten Aktivitäten wirken aufeinander ein, sodass sich gedankliche,
sprachliche und emotionale Konzepte beeinflussen und voneinander profitieren. Die Dynamik
des Schreibprozesses hängt vom Grad der Interaktion beteiligter Aktivitäten ab.
• iterativ: Einzelne Aktivitäten können wiederholt werden, so dass sich an Phasen der
Ausarbeitung eines Plans immer wieder auch Phasen der Planentwicklung anschließen können
• rekursiv: Redigierende Aktivitäten als Teil des Schreibprozesses beziehen sich gleichzeitig
auf den gesamten Schreibprozess und somit auf sich selbst.
• routinisiert: Durch wiederholendes bzw. regelmäßiges Schreiben entstehen
Prozessabbreviaturen und Routinen. Grundsätzlich sind alle Aktivitäten im Schreibprozess
routinisierbar, motorische Aktivitäten sind sogar automatisierbar.
Dass sich Ludwig in vielen seiner Überlegungen am Modell von Hayes/Flower anlehnt, wird
vor allem bei der Beschreibung der fünf Ebenen im Schreibprozess deutlich. Dennoch
verfeinert und erweitert er das amerikanische Modell an mehreren Stellen stark:
63
a) Motivationale Basis: Die Motivation für das Schreiben kann nach Ludwig kaum überschätzt werden und wächst im zunehmenden Schreibprozess. Von der Art und Stärke der Motivation hängen das Zustandekommen, die Dauer und die Intensität entscheidend ab. Die Vergegenständlichung von Gedanken, Gefühlen, Wünschen, Erinnerungen oder Vorstellungen ist, anders als bei der Mündlichkeit, seiner Meinung nach das stärkste Motiv (Ludwig 1983, 49-53).
b) Konzeptionelle Prozesse: Mit Bezug auf Bereiter geht Ludwig von einem durchgehend zielgerichteten Schreibprozess aus. An der Zielvorstellung misst der Schreiber auch abschließend sein Ergebnis und entscheidet, ob der Text überarbeitet oder gar neu geschrieben werden muss. Die Zielbildung ist komplex und abhängig von der Situation, der Absicht und dem Kommunikationsziel. Sie wird im Schreibprozess gefolgt von der inhaltlichen Konzeption (Bereitstellen von Wissen, gedankliche Verarbeitung, Fixierung der Ergebnisse) und der Bildung eines Schreibplans (Ludwig 183, 53-60).
c) Innersprachliche Prozesse: Bei der Bildung eines Schreibplans treten semantische Komplexe, als simultan auftretende Fragmente eines Gedankens oder einer Vorstellung, in eine Art operationalen Dialog mit dem Denkenden/Schreibenden. So bilden sich aus simultanen Ordnungen sukzessive Prädikate und letztendlich Sätze, in die die Gedankenfragmente wiederum eingebunden werden. Der Grad der Explizitheit der inneren Sprache hängt dabei vom potentiellen Leser bzw. vom Kommunikationszweck ab (Ludwig 1983, 60-66).
d) Motorische Prozesse: Ausgehend vom Stand der Hirnforschung von 1983 geht Ludwig beim handschriftlichen Schreiben von einer motorischen Handlung aus, bei der der Cortex, die Basalganglien und das Kleinhirn die Ansteuerung, Ausführung und Kontrolle der über dreißig beteiligten Muskeln koordinieren. Die Beschaffenheit der Schreibutensilien, -situation und -unterlage sind dabei erhebliche Einflussfaktoren (Ludwig 1983, 66f.).
e) Redigierende Aktivitäten: Voraussetzung jeder Überarbeitung ist das vorherige Lesen des bereits Geschriebenen. Ludwig zeigt, dass zwischen Fehlerkorrekturen, der Verbesserung sprachlicher Ausdrücke und des Stils (Emendation), dem Redigieren und dem Neuverfassen zu unterscheiden ist, wobei beim letzteren alle Komponenten des gesamten Schreibprozesses erneut zur Disposition stehen (Ludwig 1983, 67ff.).
Mit Ludwigs Überlegungen und seinem Modell zum Schreibprozess wird sicherlich keine
endgültige Theorie des Schreibens expositorischer Texte begründet. Sein Modell zeichnet sich
aber dennoch durch seine weitreichenden Identifikationen und Benennungen von beteiligten
Einflussfaktoren und Teilprozessen aus, was spätestens für die Interpretationen studentischer
Reflexionen zu ihren Schreibprozessen in der vorliegenden Untersuchung von zentraler
Bedeutung ist. Eine empirische Erforschung der zahlreichen Teilprozesse erscheint aufgrund
der hohen Anzahl beschriebener Faktoren und Prozesse bis heute notwendig, von denen
einige leichter, z.B. Prozesse redigierender Aktivitäten, und andere sehr viel schwieriger, z.B.
innersprachliche Prozesse, zu erforschen sind. Die Schreibdidaktik hat nach Ludwig den
größten Nutzen aus Erkenntnissen der Schreibprozessforschung, wenn sie den Schreibprozess
anhand von äußerlichen und situativen Faktoren beeinflussen will, aber insbesondere, indem
sie schreibdidaktische Überlegungen aus der Analyse des Schreibaktes selbst (Ludwig 1983,
70) ableitet. Schreibmodelle geben somit Anhaltspunkte für Bedingungen und Prozesse
64
geübter Schreiber, aber auch eine Orientierung über das Ziel und den Verlauf individueller
Schreibentwicklungen von beispielsweise Schülern und Studierenden.
Das Schreibprozessmodell nach Beaugrande
Ebenso sieht es der Linguist Robert de Beaugrande, nach dem verschiedene Teilprozesse
beim Schreiben parallel ablaufen bzw. der Schreibende zwischen den Ebenen der
Teilprozesse beliebig hin und her wechseln kann (vgl. auch Pommerin 1996: 70). Schon
Anfang der achtziger Jahre lehnt er ebenso wie Ludwig und Bereiter ein seriales
Schreibmodell als zu simplifiziert ab und begründet dies mit der Komplexität und dem
Ineinander-verschränkt-Sein verschiedener den Schreibprozess bedingender Faktoren. Er
formuliert hierzu siebzehn teils psycholinguistische, text- und prozessanalytische und
schreibdidaktische Fragen63, denen sich ein praxisorientierter Schreibforscher stellen müsse
(de Beaugrande 1984, 105).
In seinem Parallele-Prozesse-Modell unterteilt er das Schreiben in sechs Teilprozesse: Ziele,
Ideen, konzeptionelle Entwicklung, Versprachlichung, Satzbildung, phonologische und
graphemische Realisierung. Diese Teilprozesse rufen in den drei beteiligten
Gedächtnissystemen sensorisches Kurzzeitgedächtnis (STSS - short-term sensory storage),
Kurzzeitgedächtnis (STM - short-term memory) und Langzeitgedächtnis (LTM - long-term
memory) je nach Tätigkeit unterschiedliche Beanspruchungen hervor (de Beaugrande 1984,
127), wobei nicht alle Prozesse zwangläufig zur gleichen Zeit ablaufen müssen.
Einzigartig an Beaugrandes Schreibprozessmodell ist, dass er Zeitspannen für die Aktivitäten
bzw. Erinnerungskapazitäten auf den unterschiedlichen Prozessebenen angibt, die auf
Gedächtnisuntersuchungen von Spiro, Norman und Bartlett zurückgehen (Beaugrande 1984,
130). Dabei wird dem sensorischen Kurzzeitgedächtnis, das für die Wahrnehmung
phonetischer oder graphemischer Textbestandteile verantwortlich ist, eine Bearbeitungszeit
von bis zu vier Sekunden zugeschrieben, während das Kurzzeitgedächtnis für den Prozess des
Schreibens und Formulierens eine Erinnerungskapazität von bis zu 20 Sekunden hat. Im
Langzeitgedächtnis können Informationen unbegrenzt abgerufen werden, obwohl in
Beaugrandes Modell nicht klar wird, wie und ob der Zugriff des Kurzzeitgedächtnisses auf
das Langzeitgedächtnis, z.B. bei abgespeicherten Formulierungsmustern, erfolgen kann.
63 Vgl. Kapitel Prozessorientierte Bewertung 2.4.3.
65
Abbildung 6: Schreibprozessmodell nach Beaugrande (Beaugrande 1983, 129)
Die Dichte der Punkte in der Grafik stellt dabei den Grad der Beanspruchung der einzelnen
Gedächtnissysteme dar. Auch für Beaugrande hat das Arbeitsgedächtnis (WM - working
memory) wie in der überarbeiteten Fassung von Hayes einen zentralen Stellenwert, das die
aktuell ablaufenden Prozesse vorbereitet, steuert und kontrolliert. Die Erinnerungen des
Schreibenden an den bereits geschriebenen Text, die Wahrnehmung des aktuellen Texts und
die Zielvorstellung des angestrebten Texts erfordern ein permanentes Hin- und Herspringen
zwischen den verschiedenen Gedächtnissystemen, deren Kapazitäten aber unterschiedlich
ausgeprägt sind (Girgensohn/Sennewald 2012, 23). Somit kommt es nach Beaugrande zu
Engpässen während des Schreibprozesses, insbesondere beim Wechsel zwischen dem
Kurzzeit- und dem sensorischen Kurzzeitgedächtnis, welche er metaphorisch als
Flaschenhälse (bottlenecks) betitelt (Beaugrande 1984, 96). Wie stark die kognitiven
Belastungen des Schreibenden sind, hängt unter anderem davon ab, wie gut der Schreibende
den bereits erstellten und den noch zu produzierenden Text reflektieren kann (Molitor-
Lübbert 1989, 283). Werden demnach getätigte Schreibaktivitäten vom Schreibenden
reflektiert, spielt die Unmittelbarkeit bzw. die kurz darauf folgende Auseinandersetzung mit
Herangehensweisen, Verfahren, Techniken, Emotionen, Blockaden und anderen erfahrbaren
Faktoren eine zentrale Rolle.
Durch Beaugrandes Darstellung, dass das Arbeitsgedächtnis stark damit beschäftigt ist,
während der Wahrnehmung des im-Moment-Geschriebenem, retrospektiv die
66
Sprachverwendung beim Schreiben zu reflektieren bzw. prädiktiv zu planen, wird klar, dass
jegliches Untersuchungsverfahren zur Ergründung des Schreibprozesses, das simultan zum
Schreiben selbst stattfindet, den Schreibfluss radikal unterbricht (z.B. Lautes Denken, innerer
Sprachbegleiter). Damit wird eine Unnatürlichkeit des Schreibprozesses evoziert, wodurch
falsche Erkenntnisse über den Schreibprozess provoziert werden. Es entsteht das Dilemma
und gleichzeitig die Notwendigkeit, das Auskünfte der Schreibenden zum eigenen
Schreibprozess so kurz wie möglich nach der getätigten Textproduktion geleistet werden
müssen, um so so viele wie mögliche Faktoren, sprachliche Auswahlkriterien und
Entscheidungsprozesse aufgrund der zeitlich begrenzten Erinnerungskapazität beim
Schreibenden nachvollziehen zu können. Diese Erkenntnisse aus Beaugrandes Modell über
die zeitliche Dimension des Erinnerns und des Planens beim Kreativen Schreiben
Studierender werden in den Intensivseminaren des Forschungsprojekts Kreatives Schreiben
und ästhetisches Gestalten sowohl bei der mündlichen als auch bei der schriftlichen Reflexion
aus der Retrospektive berücksichtigt und im empirischen Teil dieser Arbeit, speziell im
Kapitel 3.6 untersucht.
Das Schreibprozessmodell nach Becker-Mrotzek und Böttcher
Die beiden Schreibforscher und -didaktiker Becker-Mrotzek und Böttcher verstehen das
Schreiben als einen Prozess, der prinzipiell dem Problemlösen gleicht. Grundlage ihres
Modells ist ebenfalls das von Hayes und Flower, wobei sie bemängeln, dass die Situation, in
der die schriftliche Kommunikation stattfindet, als zentrale Rahmenbedingung nicht
berücksichtigt wird. Demnach muss nach deren Ansicht systematisch berücksichtigt werden,
dass das Schreiben stets Teil einer komplexen kommunikativen Handlung ist (Becker-
Mrotzek/Böttcher 2015, 20). Inklusive der Trennung von Raum und Zeit, als Gegensatz zur
mündlichen Kommunikation ist der geschriebene Text die Schnittstelle zwischen Produzenten
und Rezipienten, sprich zwischen dem Schreibenden und dem (antizipierten) Lesenden, wobei
der Schreibende den Text auch nur für sich selbst verfassen kann (Becker-Mrotzek/Böttcher
2015, 20). Dabei schätzt der Schreibende seine Situation so ein, dass er darin einen
Schreibanlass sieht, was wiederum zur Entwicklung einer ersten Schreibmotivation führt, die
anschließend in ein konkretes Ziel umgesetzt werden müsse (Becker-Mrotzek/Böttcher 2015,
21). Die Einschätzung der Kommunikationssituation ist dabei abhängig von Fach- und
Adressatenwissen, von den kognitiven Voraussetzungen, wozu für Becker-Mrotzeck und
Böttcher ebenso Fähigkeiten zur sozialen Kognition (Empathie, Perspektivübernahme) zählen
(Becker-Mrotzek/Böttcher 2015, 21).
67
Abbildung 7: Schreibprozessmodell nach Becker-Mrotzek und Böttcher (Becker-Mrotzeck/Böttcher
2015, 21)
Ähnlich wie bei Ludwig sind im Schreibprozessmodell der beiden Schreibdidaktiker Becker-
Mrotzek und Böttcher die materiellen Gegebenheiten von Relevanz, wobei neben den
Schreibutensilien insbesondere die Recherchemöglichkeiten von Bedeutung sind, durch die zu
integrierendes Wissen nicht aus dem Langzeitgedächtnis abgerufen werden muss, sondern
analog oder digital(-online) verfügbar wird. Im Schreibprozess greift der Schreibende nicht
nur einseitig auf kognitive Ressourcen zu, sondern bildet bzw. verändert diese nach Meinung
beider Autoren auch gleichzeitig (Becker-Mrotzek/Böttcher 2015, 22). Durch die
verlangsamten Formulierungsprozesse (gegenüber dem Sprechen) werden Prozesse der
Sprachverwendung und Sprachbildung bewusster wahrgenommen und sind somit an der
Ausprägung von kognitiven Fähigkeiten aktiv beteiligt. Durch die Bedeutung des zum
Zeitpunkt des Schreibens vorliegenden Materials, wie beispielsweise Bilder, Musik, ein
literarischer Impuls, ein Text, ein Film oder die Reize einer örtlichen Situation, wird für das
Kreative Schreiben mit Studierenden die Vernetzung zwischen simultaner Wahrnehmung und
Abrufen von Wissen deutlich. Diese angestoßenen Assoziationsketten sind insbesondere für
das Finden von Schreibideen, von Kommunikationszielen und während des Formulierens im
Schreibfluss von geübten Schreibern von Bedeutung, weshalb diese Spezifizierungen im
68
Schreibprozessmodell von Becker-Mrotzek und Böttcher sowohl für den zweiten als auch für
den dritten Untersuchungsschwerpunkt im empirischen Teil vorliegenden Arbeit relevant
sind.
Überlegungen zum Schreibprozess von Ortner und Portmann
Ortner, der 6000 Selbstaussagen, darunter viele von Studierenden, ausgewertet hat, erläutert
den Schreibprozess anhand zehn einzelner Schreibstrategien, die er aus der Analyse der
schriftsprachlichen Objektivierungen ableitet und die, je nach individuellem Schreibtyp,
unterschiedlich angewandt werden. Er plädiert für eine Schreibaktivitäten-zerlegende und für
eine mehrspurige Textproduktion, die, was er allerdings nicht erwähnt, jedoch in dem
geforderten Grad der Zerlegung häufig nur von erfahrenen Schreibern auf hohem kognitivem
Niveau geleistet werden kann. Daher ist sein Modell für das fortgeschrittene (Kreative)
Schreiben, insbesondere für Studierende, gut geeignet. Erst, wenn das Schreiben beherrscht
wird, könne aus der Praxis heraus der Schreibprozess in kleine Einzelschritte zerlegt werden,
um die Schreibkompetenz durch hartes Training zu verbessern. Alle Arten von schriftlicher
Versprachlichung sind für ihn Objektivierungen, deren Analyse zu einem Schreiberportrait
und schließlich zur möglichen Ableitung von Schreibstrategien führt (Ortner 2000: 128). Er
orientiert sich bei seiner Beschreibung der stark funktionalistischen Textproduktion am
epistemischen Schreiben ('Wissen schaffendes Schreiben'), das nach Bereiter die höchste
Stufe der Schreibkompetenz darstellt und alle vier vorangegangenen Stufen seines Modells
integriert. Somit orientiert sich Ortner stark an psycholinguistischen Forschungsergebnissen64,
wobei er verschiedene kognitive Entwicklungsphasen bei Lernenden hinsichtlich des
Schreibens und somit die Verschiedenheit von Schreibprozessen auch aufgrund verschiedener
existierender Schreibsituationen und -kontexte zu wenig in seine Überlegungen einbezieht.
Diese Überlegungen zu schriftsprachlichen Fähigkeiten sind aber für eine in Teilprozesse
zergliedernde Schreibdidaktik wesentlich und müssen sich daher gleichzeitig am Alter bzw.
am Niveau des Schreibenden orientieren. Insbesondere, da Textüberarbeitungsprozesse hohe
kognitive Anforderungen und eine Routine der simultanen Anwendung mehrerer
Teilfertigkeiten beim Schreiben voraussetzen. Eine maximal mögliche Zerlegung des
Schreibprozesses, so wie ihn Ortner für die Schreibforschung fordert, ist im
schreibdidaktischen Arrangement nur sehr bedingt sinnvoll. Im kurzen Pausieren bzw. dem
Unterbrechen der flüssigen Schreibaktivität und dem Kurz-Inne-Halten allerdings, sieht
64 vgl. Vygotskij 1988; Kainz 1964, 1965, 1967; Leontev 1975; Scardamalia 1986,1987
69
Ortner die Basis aller Zerlegung überhaupt65 (Ortner 2000: 289f.), was für eine
prozessorientierte Schreibdidaktik wiederum eine Rolle spielen muss.
Das Kreative im Schreibprozess sieht Ortner im Aufeinander-Beziehen von intuitivem,
diskursiv-sprachlichem und nicht-sprachlichem Denken, was er in Anlehnung an Sokolov und
Vygotskji als 'Mehrspurigkeit' bezeichnet (Ortner 2000: 304). Das Kreative Schreiben
hingegen diffamiert er geradezu und wertet es als illusionsbeladenes Natürliches Schreiben ab
und baut so künstliche Gegensätze auf, indem er die Argumentation ad absurdum führt, weil
das Schreiben eine anerzogene Kulturtechnik sei, die an sich gar nicht natürlich sein könne
(Ortner 2000, 283). Ortner plädiert für ein ganzheitliches und handlungsorientiertes Schreiben
und benennt viele Wegbegleiter aus den verschiedensten Fachdisziplinen, deren Ansätze
direkt gelten oder sich auf das Schreiben übertragen lassen. Er erteilt dem Ansatz der
Schreibforschung, die aus einer rein zweckrationalen Schreibabsicht argumentiert, eine klare
Absage. Er wirft der Linguistik vor, sich innerhalb eines Zweck-Mittel-Schemas zu bewegen
und schreibpraktische Erkenntnisse und Erfahrungswerte zu negieren. Die scheinbare Wende
in der Schreibforschung, nun von Kognition und Wissen anstatt von Gedanken bezüglich des
Schreibers zu sprechen, schafft es seiner Meinung nach nicht, sich vom uralten „dualistischen
Dogma“ der sprachlichen und gedanklichen Prozesse zu lösen (Ortner 2000, 98).
Portmann betont, dass sich beim Schreibenden desto eher kleinschrittiges Arbeiten durch die
Entfaltung von Teilschreibprozessen wie Planen, Formulieren oder Überarbeiten einstellt, je
schwieriger der zu schreibende Text ihm erscheint (Portmann 1996, 161). Prinzipiell ist dem
zuzustimmen, doch hieße das gleichzeitig, dass dem Schreibenden damit unterstellt wird,
jederzeit die Schwierigkeit des zu produzierenden Textes im Hinblick auf die begünstigende
Unterteilung in Teilprozesse einschätzen und daraufhin geeignete Strategien und Techniken
zur Textproduktion anwenden zu können. Zudem müssen dem Schreibenden eine Vielzahl
von Schreibverfahren über die Produktion rein funktionaler Textsorten hinaus bekannt sein,
um diese Techniken und Strategien adäquat auswählen zu können. Diese Text- und
Schreibkompetenz kann nur durch vielfältige und teils professionelle Schreiberfahrungen und
durch ein hohes Maß an Reflexion geleistet werden, was wiederum für ein bereits hochgradig
entwickeltes Schreibkompetenzniveau spricht, von dem aus Portmann argumentiert. Ortner
geht davon aus, dass sich der Schreibende beim Nicht-Vorhandensein eines konkreten
Schreibplans von Aktivposten zu Aktivposten, d.h. von Satz zu Satz, hangelt, wodurch er
neue Ideen und Formulierungen schöpft. Er sieht den zentralen Motor für eine kreative
65 Vgl. auch Keseling, Wrobel, Rau 1987
70
Schriftproduktion in der Steuerung der Aufmerksamkeit, die wiederum für die
Ausdifferenzierung der von ihm postulierten Schreibstrategien verantwortlich ist. Aufgrund
der Flexibilität und ihrer vielfältigen Kombinierbarkeit der Aktivposten kommt es also zur
anlassbezogenen Selbstorganisation, was Bereiter und Scardamalia durch ihre 'thinking-
aloud-Protokolle' dokumentiert haben (Ortner 2000, 282f.).
Überlegungen zu individuellen Schreibtypen
Eines der Teilziele der im empirischen Teil angestellten Untersuchungen ist, herauszufinden,
wie Studierende sich in ihrem Schreibprozess besser zurechtfinden und reflektieren können.
Dazu zählt auch, als Schreibender zu erkennen und zu wissen, welche Verfahren, Techniken
und Herangehensweisen zu meinem individuellen Schreibtyp passen, was heißt, wie, wann
und wodurch das eigene Schreiben effektiv und erfolgreich beeinflusst werden kann. Deshalb
soll hier im theoretischen Teil der Arbeit ebenfalls auf mögliche Schreibtypunterscheidungen
vorab eingegangen werden.
Trotz der dargestellten Erkenntnisse zum Schreibprozess und der geäußerten Kritik gegenüber
einzelner Annahmen kommt dem Analysieren und Verstehen der persönlich präferierten
Schreibstrategien bzw. des eigenen Schreibtyps im Hinblick auf die Textproduktion als
individueller Prozess eine entscheidende Rolle zu. Gerade im digitalen Zeitalter, in dem viele
Schreiber Texte in einzelnen Phasen oder gänzlich mit dem Computer und nicht mehr
ausschließlich mit der Hand schreiben, ist eine Betrachtung des individuellen Schreibtyps
hilfreich. Kruse, der sich bei seiner Einteilung an Wyllies66 „Writer Models“ orientiert,
benennt fünf Schreibtypen (Kruse 2010, 157):
1. Top-down Schreiber: Der Schreibende plant das zu Schreibende im Kopf vor und
formuliert größtenteils endgültige Sätze. Dieser Schreibtyp kommt ohne das
Anfertigen mehrerer Entwürfe und mit wenig Überarbeiten aus.
2. Externe Planer: Dieser Schreibtyp ist charakterisiert durch das detaillierte Planen in
Sequenzen oder durch das differenzierte Gliedern inhaltlicher Abschnitte.
Überarbeitungen finden statt, wenn auch in geringerem Maße als beim Top-down
Schreiber.
3. Maurer: Die metaphorische Bezeichnung dieses Typs geht auf die abschnittsweise
Verfertigung von Wänden zurück. Der Schreibende überarbeitet (verputzt) einzelne
Abschnitte so lange, bis sie ihm perfekt erscheinen. Erst dann wendet er sich dem
nächsten Abschnitt zu. Kruse bezeichnet diesen Typ als halb Entdecker und halb
Planer.
4. Planende Entdecker: Ein vierter Typus beschreibt den Schreibenden mehr als
Entdeckender denn als Planer, indem er nach einer groben Planungsphase zu Beginn 66 Wyllie, A. (1993): On the road to discovery. MA Dissertation. University of Lancaster, UK.
71
meist sprunghaft, aber permanent den Inhalt, die Form und die Formulierungen des
Textes umarbeitet.
5. Spontane Entdecker: Bei diesem Schreibtypus fallen alle Schreibphasen zusammen.
Planen, Entwerfen, Überarbeiten und Gestalten wechseln sich je nach Entdeckung
spontan ab, meistens jedoch beginnen sie mit dem einfachsten Teil. Begonnen wird
mit kleinen lokalen Textstellen, worum der Text letztendlich als Ganzes entsteht. Was
dem Schreibenden nicht gefällt, wird wieder gelöscht oder umgearbeitet.
Gute Schreiber tendieren zwar zu einem gewissen Grundtyp, aber natürlich variieren sie ihr
Schreibverhalten je nach Schreibaufgabe. Kruse unterstreicht dennoch, dass jeder Typ einem
Denkstil entspricht. Dadurch sei das Schreiben immer auch als eine Mischform von
abstraktem Denken, worunter auch das rationale Planen von Schreibhandlungen gehört, und
„kreatives Gestalten von Sprache“ anzusehen (Kruse 2010, 158).
2.2.5 Schreibdidaktische Hochschulperspektiven
Dass das Schreiben in keiner begrenzten (schulischen) Phase stattfindet, sondern ein
lebenslanger dynamischer Lernprozess ist, der ähnlich wie der Spracherwerb progressiv,
fossilisierend oder rezessiv stattfinden kann, gilt in der Schreibforschung heute als
unanfechtbar. Schreibaktivitäten lassen sich nicht auf eine Disziplin, wie beispielsweise den
Deutschunterricht oder das Germanistikstudium, beschränken. Kruse versteht die
Schreibdidaktik als eine lebenslange Aufgabe, die Jahrzehnte lang als Unterkapitel des
Deutschunterrichts angesehen wurde67. Bereits in der schulischen Erstausbildung sollten
differenziertere Spezialisierungen in den Domänen des wissenschaftlichen, technischen,
journalistischen, literarischen und beruflichen Schreibens (siehe folgende Abbildung)
ausgebildet werden. Durch die unterschiedlichen Schreibtätigkeiten mischen sich dabei
handwerkliche mit kreativen, intellektuellen und künstlerischen Fähig- und Fertigkeiten, die
sich aber nicht durch einfache Regeln und Normen vermitteln lassen. Vielmehr ist eine
Anleitung notwendig, die sprachliche, organisatorische, kognitive, fachliche und soziale
Kompetenzen umfasst und die eigene Annahmen und Erfahrungen mit dem bereits erlangten
Weltwissen kombiniert (Kruse 2006, S. 9). Hierbei wird deutlich, dass das Schreiben die
komplexeste aller Sprachfertigkeiten und damit die am schwierigsten zu erlernende ist.
Unter anderem aufgrund der vielen Kontexte, in denen häufig domänenspezifisch geschrieben
wird, ist die schreibdidaktische Forschung natürlich keine in sich geschlossene und von
anderen sprachfokussierenden Forschungsbereichen unabhängige Disziplin. Vielmehr bedient 67 vgl.auch Kruse 2006
72
sie sich, besonders seit dem Erstarken psycholinguistischer Forschungen, benachbarter
Forschungsdisziplinen, wie beispielsweise der Linguistik, der Psychologie, inklusive der
Schreibprozessforschung, der Gehirnforschung oder der Literaturwissenschaft und deren
Didaktik. Jedoch leistet die Schreibdidaktik den entscheidenden Beitrag bezüglich der
Qualitätskriterien, Vorgehensweisen und Hilfestellungen einer angemessenen und
erfolgreichen Vermittlung des Schreibens, was keine der benachbarten Disziplinen leisten
kann. Somit verknüpft die Schreibdidaktik theoretische wissenschaftliche Grundlagen mit
einer wissenschaftlich-praxisorientierten Umsetzung, wobei Erfahrungen aus der
Unterrichtspraxis mit fachtheoretischem und fachdidaktischem Wissen zusammengedacht
werden.
Abbildung 8: Die großen Domänen des Schreibens (nach Kruse 2010, 153)
Zu einem erfolgreichen Studium, vor allem in den Geisteswissenschaften, bedarf es gut
ausgeprägter literaler Kompetenzen. Besonders dem „objektiven“ wissenschaftlichen
Schreiben kommt eine hohe Bedeutung zu. Trotz hoher Erwartungen an die Studierenden
hinsichtlich ihrer Schreibkompetenz, um Informationen schriftlich zu fixieren, eigene
Technisches
Schreiben
Berufliches
Schreiben
Wirtschafts-
kommunikation
Journalistisches
SchreibenLiterarisches
Schreiben
Schulisches
Schreiben
Wissenschaftliches
Schreiben
73
Formulierungen zu durchdringen, um Klausurfragen adäquat beantworten zu können und um
Hausarbeiten oder Portfolio angemessen anzufertigen, wird der Erwerb bzw. das
Weiterentwickeln von akademisch notwendigen Schreibkompetenzen an der Hochschule
kaum gefördert. Vielmehr wird die Fähigkeit, propädeutisch oder akademisch-
wissenschaftlich zu schreiben, bereits bei Antritt des Studiums vorausgesetzt bzw. wird von
universitärer Seite erwartet, dass Studierende notwendige schriftsprachliche Kompetenzen
autodidaktisch ausbilden. Daher verwundert es nicht, dass Studierende häufig beim
Anfertigen schriftlicher Prüfungsleistungen hinter den Erwartungen zurückbleiben und sie die
mittlerweile an vielen Universitäten eingerichteten Schreiblabore und Schreibzentren
konsultieren. Klar wird hierbei, dass die Entwicklung der Schreibkompetenz keinesfalls mit
der Hochschulreife abgeschlossen ist, sondern sie weiterer Praxis und Förderung bedarf.
Klagen über den Sprachverfall
Klagen über den Verfall von Sprache sind geradezu zyklisch und treten seit der Antike als ein
Phänomen auf, bei dem sich Mitglieder „einer“ Generation über die qualitative
Verschlechterung der Sprachkompetenz und der Sitten der jüngeren Generation(en)
beschweren und die veränderte Sprachverwendung verurteilen (Struger 2009, 23).68
Entgegen diesem zyklischen Beschweren über abnehmende sprachliche Leistungen jüngerer
Generationen steht fest, dass in den 1970er Jahren mangelnde und stark abnehmende
Kenntnisse von US-amerikanischen Schülern und Studierenden im schriftsprachlichen
Bereich großes öffentliches Interesse hervorriefen. Die sogenannte Schreibkrise („literacy
crisis“) in den USA und in Kanada motivierte maßgeblich die Diagnose und Erforschung von
Schreibkompetenzen und -prozessen, was wiederum die moderne Schreibforschung seit den
1970er Jahren und damit in ihrer Konsequenz auch die didaktische Forschung entscheidend
prägte.
Lutz von Werder und Barbara Schulte-Steinicke, die von 1996 bis 2003 Untersuchungen zum
Schreiben in deutschen Schulen, Hochschulen, Volkshochschulen und beruflichen
Organisationen vornahmen, zeichnen hierzulande ein düsteres Bild und sprechen, wenn auch
verzögert im Vergleich zu den nordamerikanischen Einschätzungen, von einer deutschen
Schreibkrise (Werder/Schulte-Steinicke 2003). Sie bemängeln vor allem sinkende
Schreibfertigkeiten, die Fähigkeit längere kohärente und attraktive Texte zu schreiben und
mangelndes Wissen über Techniken, die in den verschiedenen Schreibphasen der Planung,
68 vgl. auch Sokrates Mängelrüge, u.a. geschildert bei Ortner (Ortner 2000. 143)
74
Formulierung und Revision Abhilfe schaffen69. In einem Interview lobt Schulte-Steinicke
schreibdidaktische Neuerungen im Primarstufenbereich hinsichtlich eines schülerzentrierten
Lernansatzes und kritisiert gleichzeitig, dass an weiterführenden Schulen und an der
Hochschule eine auf eigenen Erfahrungen basierte Textproduktion, wie beispielsweise beim
Kreativen Schreiben, fast völlig fehlen. Diese, so Schulte-Steinicke, sind aber für das weitere
Formulieren von propädeutischen und wissenschaftlichen Texten, die „länger und gehaltvoll,
in sich stimmig und lebendig“ sind, eine Grundvoraussetzung.70
Gründe für den Rückgang von literalen Fähig- und Fertigkeiten und insbesondere von
Schreibkompetenzen werden vor allem im passiven und übermäßigen Medienkonsum
gesehen. Bereits in den 1980er Jahren ist der angestiegene Fernsehkonsum stark kritisiert
worden und gilt für Wissenschaftler wie Beaugrande als zentrale Ursache für den Rückgang
schriftsprachlicher Kompetenzen.
Participation in mass media, despite a widespread lack of intellectual challenge, seems to promise social integration and divert attention from one's own problems. Reading and writing are essentially active and creative, whereas mass media encourage passive, reactive attitudes. The latter experiences could leave one's processing capacities underdeveloped, so that literate activities would demand uncomfortable strain.[...]The visual and acoustic impact of a film can overpower its conceptional organisation (Beaugrande 1984, 8).
Als Beaugrande diese Gedanken verfasste und die Abnahme von literalen Erfahrungen und
Kompetenzen anmahnte, waren Smartphones, Tablets und Laptops längst noch nicht
verfügbar und das Lesen und Schreiben von E-Mails, Chats, Tweets, SMS und WhatsApp-
Nachrichten und in „sozialen“ Netzwerken über das Internet wie auf Twitter, bei Facebook,
Instagram oder in Blogs noch nicht gegeben. Zu bedenken ist, dass die Ursachen für
mangelnde Schreibkompetenz ebenso vielfältig sind wie die im vorangehenden Kapitel
beschriebenen Determinanten des Schreibprozesses selbst. Die Allgemeine Hochschulreife ist
unbestreitbar für viele Studierende keine ausreichende Grundlage für die geforderten
Schreibaufgaben im Studium. Unabhängig, ob den Anforderungen einer propädeutischen oder
wissenschaftlichen Textproduktion entsprochen werden muss oder ob das Schreiben als
Wissen generierend und als aktiver Lernprozess verstanden wird, haben die Studierenden
zunehmend Probleme mit dem Verfassen von längeren zusammenhängenden Texten
69 Ähnliches beschreiben auch Böttcher und Becker-Mrotzek, die eine mangelhafte Schreibdidaktik für die sinkenden
Kompetenzen von Schülern der Sekundarstufe I und II verantwortlich machen: „Schreibkompetenz wird im Deutschunterricht nicht hinreichend entwickelt“ (Becker-Mrotzek/Böttcher 2006: S. 23). Gleichzeitig zeigen beide Vorschläge für eine wirkungsvollere Schreibdidaktik auf.
70 Spiegel-Interview mit Barbara Schulte-Steinicke am 03.08.2003 http://www.spiegel.de/schulspiegel/interview-deutschland-steckt-in-einer-schreibkrise-a-258764.html (zuletzt aufgerufen am 10.10.2016)
75
(Bremerich-Voß 2016, 9-12, Bräuer 2014, 15). Diese Textproduktion unterscheidet sich von
einer Verschriftlichung mündlicher Texte, wie beispielsweise im Chat, im Messenger, bei
Kurznachrichten oder auch in E-Mails aber teilweise sehr stark.
Studierende schreiben heute täglich auf mobilen digitalen Geräten, häufig verbunden mit dem
Internet. Auf den ersten Blick steht das permanente Lesen und Schreiben mit den erwähnten
digitalen Medien in sozialen Netzwerken den Schilderungen eines Sprachverfalls von
Beaugrande scheinbar entgegen. Die mehrheitlich jungen Nutzer dieser Medien schreiben in
ihrer Freizeit und im Alltag eventuell viel häufiger als noch vor 20 Jahren.71 Erst auf den
zweiten Blick wird deutlich, dass es einer differenzierenden Einschätzung der literalen
Fähigkeiten heutiger Schüler und Studierender und damit einer Analyse dieser digitalen Texte
auf grammatischer, semantischer, lexikalischer, pragmatischer, prozessualer und
motivationaler Ebene bedarf.
Diese Nutzung hat das Lese- und Schreibverhalten und die Akzeptanz von
Normabweichungen in schriftlichen Texten stark verändert. In der Deutschdidaktik gibt es
kontroverse Debatten über Pros und Contras beim Schreiben übers Smartphone, Tablet oder
den Computer in den verschiedene Kommunikationsforen, die über das Internet intensiv
genutzt werden.
Inwiefern handelt es sich bei Twitter-, Instagram-, WhatsApp- oder Facebook-Nachrichten
überhaupt um (elaborierte) schriftliche Texte, die über eine rein medial-kommunikative Ebene
hinausgehen? Welche Textsorten- bzw. Schreibkompetenz liegt dieser Form des Schreibens
zugrunde? Enders benennt diese medial schriftliche Art des Schreibens, die aber
konzeptionell eher eine „Sprache der Nähe“ ist, als tertiäre Mündlichkeit (Enders 2007, 2f.)
und sieht in ihr eine Bedrohung für die konzeptionelle Schriftlichkeit und damit einen Verlust
an Schriftlichkeit in einem gesamtgesellschaftlichen Kontext (Frentz 2010, 2). Dies ist nicht
trivial, da die Möglichkeit, sich konzeptionell und medial schriftlich auszudrücken zu den
wesentlichen Bildungszielen von Schule und Hochschule zählen. Im Gegensatz zum
Schreiben von Texten tertiärer ′Mündlichkeit′ unterstützt eine umfassende Schreibkompetenz
das Herausbilden von „Rationalität und Intellektualität“ ebenso wie eine „reflexive Distanz zu
sich selbst“ und letztendlich auch die Entwicklung der eigenen Identität des Schreibenden
(Enders 2007, 192).
71 vgl. auch Esterl 2007, 5.
76
Im Hinblick auf akademisch relevante Schreibkompetenzen Studierender benennt Pohl72
strategische und sprachliche Mängel und beruft sich dabei auf viele Untersuchungen
renommierter Schreibforscher und –didaktiker wie Knorr, Ruhmann, Kruse, Ehlich, Jakobs
und Ludwig und sieht eine zunehmende Tendenz für ineffiziente und krisenhafte
Schreibprozesse, die sich in „Schreibblockaden, Schreibabbrüchen, Schreibverzögerungen
und psychischem Leiden“ der studentischen Schreiber äußern (Pohl 2007, 7).
Schreibschwierigkeiten äußern sich also sowohl im Textprodukt als auch im Schreibprozess
bzw. ist die Wahrscheinlichkeit des direkten Zusammenhangs beider statistisch sehr
wahrscheinlich.73 “Rein phänomenal oder auch extensional scheinen sich 'Schreibprobleme'
oder auch 'Schreibschwierigkeiten' sowohl auf Produkt- als auch auf Prozessebene zu
erstrecken“ (Pohl 2007, 13). Hinsichtlich der Schreibprodukte erkennt er „gravierende
sprachliche Mängel und Verstöße“ wie rechtsschriftliche Mängel, Formulierungsschwächen,
allgemein textorganisatorische Mängel, textsortenspezifische Mängel, und
argumentationslogische Schwächen, für die er maßgeblich die Gymnasien und die
Universitäten verantwortlich macht (Pohl 2007,18). Abraham erläutert mit dem Verweis auf
die Studie von Pohl74, dass es bei der Einschätzung von fortgeschrittenen
Schreibkompetenzen darum gehen müsse, wie viel reflexives Wissen und technisches Können
den Schreibenden zur Verfügung stehen, und weniger, was und wie viel in der derzeitigen
Umgebungskultur (Medien) geschrieben wird (Abraham 2010, 9). Eine Bestätigung, dass sich
das Kreative Schreiben mit seiner befreienden und motivierenden Wirkung auf andere
Schreibformen, wie das argumentative, sachliche, propädeutische und wissenschaftliche
Schreiben, auswirkt, betonen Werder (2007, 1995) und Spinner (1993) und verweisen auf die
Verwendung von kreativen Schreibmethoden in der Schule, Hochschule, der
Erwachsenenbildung und bis in Managerfortbildungen hinein (vgl. auch Spinner 1993, 21).
Die Schreibkompetenz darf keinesfalls rein funktionalistisch gesehen werden, denn sie
72 Thorsten Pohl bezieht sich bei seiner Argumentation primär auf das wissenschaftliche Schreiben, weil seiner Meinung nach
diese spezifische Textkompetenz „den entscheidenden Erfolgsgaranten innerhalb der universitären Selektionspraxis“ darstelle. Im Sinne einer ausdifferenzierten Schreiberziehung und Kompetenzentwicklung, bei der Fähigkeiten zum produktiven, experimentell-kreativen Umgang mit Inhalten und Schriftlichkeit fehlen, gelten Pohls kritische Äußerungen gegenüber der schulischen und universitären Schreiberziehung auch für das Kreative Schreiben.
73 Vgl. Prosser und Webb 1994 in ihrer Studie zum Aufsatzschreiben Studierender, speziell zur Relation zwischen dem Schreibprozess und dem endgültigen Text
74 vgl. Pohl (2007): Studien zur Ontogenese wissenschaftlichen Schreibens.
77
braucht als kulturrelevante Dimension die individuelle Ausdrucksfähigkeit, die in starkem
Zusammenhang mit dem kreativen Schreiben steht75.
Abraham betont, dass es vor allem die Ausdauer beim Schreiben sei, die bei vielen
Studierenden nicht hinreichend ausgebildet ist. So sind es rekursive und repetitive Lese-,
Denk- und Planungsaktivitäten, die für einen elaborierten Schreibprozess und letztendlich für
ein angemessenes Textprodukt bedeutsam sind (Abraham 2010, 10).
Voraussetzungen für Textrevisionen Studierender
Wie bereits in der Einleitung erwähnt, wird der Lernkontext Schule für das Schreiben trotz
der Fokussierung auf Studierende dann für diese hier vorliegende Forschungsarbeit
einbezogen, wenn Schreibkompetenzen oder deren Vermittlung direkt auf schulische
Vorerfahrungen hin analysiert werden müssen. Im Hinblick auf (fehlende)
Textüberarbeitungskompetenzen im Sinne einer Prozessorientierung beim (Kreativen)
Schreiben scheint dies besonders relevant. Lehrenden an Schule und Hochschule fällt in
diesem Zusammenhang häufig auf, dass Texte wenig bis gar nicht überarbeitet werden. Das
liegt zum einen daran, dass das Überarbeiten nicht gelernt wurde. Zum anderen spielt die
Überwindung und die erforderliche Mühe als emotionale Komponente eine entscheidende
Rolle, weil der Schreibende den Text, den er mühsam produziert hat, kritisch hinterfragen
muss, sich mit den Mängeln des eigenen Vorgehens und Denkens konfrontieren und den Text
meistens auch wieder auseinanderreißen muss (Kruse 2010, 171).
In der Schule wird seit einigen Jahren eine größere Prozessorientierung beim Verfassen von
Texten Einzug angestrebt, welche in den Lehrplänen der Primar- und Sekundarstufen
bundesweit enthalten ist. Trotzdem überwiegt häufig in der alltäglichen Schulpraxis,
besonders in den Sekundarstufen, das spontane Verfassen von Texten, bei dem, wenn auch
unterbrochen durch einige Denkpausen, der Text in einem Guss produziert wird. Es mangelt,
und dies nicht nur im Deutschunterricht, an Routinen im Texte revisieren, was sich unter
anderem in mangelnder Motivation bzw. im Widerwillen der Schüler zur Überarbeitung
widerspiegelt. Kommt es zu einer „Überarbeitung“, schließt sie in vielen Fällen den „fertigen
Text“ ab und ist nicht selten auf die Korrektur grammatischer oder orthografischer Fehler
reduziert und bleibt daher oberflächlich (vgl. Antos 1982, Becker-Mrotzek 2000, Fix 2000,
2004, Merz-Grötsch 2001, Steinig/Huneke 2011, Kuß 2012). Eine angemessene
Überarbeitung bzw. Revision des Textes sollte aber unbedingt alle Teilprozesse, d.h. vom
75 Vgl. weitere Ausführungen zur Relevanz des Zusammenspiels von Kreativität und Schreibkompetenz im Kapitel 2.2.3
78
Ideensammeln und Planen über das Strukturieren und Formulieren bis zum finalen
Niederschreiben, beinhalten. Texte überarbeiten zu können und zu müssen ist zudem ein
Verständnis, dass bereits in der Primarstufe angebahnt werden sollte.
Die ursprünglich von Spitta entwickelten Grundregeln für Schreibkonferenzen z. B. regen
kommunikatives Überarbeiten für das Ende der Primarstufe an. Die Schreibdidaktikerin
macht zur Bedingung, dass nach dem ersten Vorlesen spontane Reaktionen zugelassen
werden müssen, dass die Sätze einzeln inhaltlich und sprachlich geprüft werden und dass im
dritten Schritt die Orthographie überprüft wird (vgl. Spitta 1992). Steinig fügt hinzu, dass eine
genaue Analyse sprachlicher und inhaltlicher Textstrukturen nötig ist, die aber nicht selten
von der Interaktion und der Art und Weise des Gesprächsverlaufs im Rahmen der
Schreibkonferenz abhängen (Steinig 2011, 135). Erfahreneren Schreibern fällt kooperatives
Überarbeiten häufig schwer oder überfordert sie aufgrund der Neuigkeit dieses interaktiven
reflexiven Austausches. Sowohl das Überarbeiten des Geschriebenen ‒ allein als auch
kooperativ mit anderen ‒ muss erlernt und eingeübt werden. Kruse kommt zu dem Schluss,
dass den Lernenden zu vermitteln gilt, dass jeder Text „durchgeknetet“ werden muss, um zu
einem qualitativ hochwertigen Textprodukt zu gelangen und um nach mehrmaligem
Überarbeiten sicher zu gehen, dass der Text auch die tatsächliche Intention des Schreibers
wiedergibt (Kruse 2010, 171). Genauer heißt das, dass der Schreibprozess in einzelne,
weniger komplexe Teilprozesse zerlegt wird und Prozeduren vermittelt werden, um
Teilprozesse systematisch so zu steuern, dass am Ende ein angemessenes Schreibprodukt
entsteht. Im Rahmen einer solchen Didaktik erwerben Schreibende ein Verständnis für die
Probleme, die im Schreibprozess zu bearbeiten sind. Sie lernen wahrzunehmen, was sie tun,
wenn sie schreiben, dies zu reflektieren, darüber zu sprechen und so ihre individuellen Denk-
und Arbeitsstrategien beim Schreiben zu optimieren. (Kruse 2006, 14–15)
In der Aufarbeitung des Forschungstandes zur Textrevisionsforschung kommt Kuß zu dem
Ergebnis, dass größere didaktische Anstrengungen im Bereich der Anleitungen für eine
prozessorientierte Textproduktion in den Sekundarstufen unternommen werden müssen (Kuß
2012, 49). Studierende sind somit aufgrund fehlender Überarbeitungsstrategien und –routinen
häufig mit einer über Orthografie und Grammatik hinausgehende Textüberarbeitung
überfordert. Tiefenstrukturelle Revisionen dagegen, die den Perspektivenwechsel zwischen
Schreiber und Leser benötigen, haben die Berücksichtigung argumentativer, stilistischer,
kreativer, intentionaler und ästhetischer Aspekte zum Ziel. Mit Bezug auf Bereiter
schlussfolgert Kuß, dass für eine tiefenstrukturelle Textrevision eine Distanzierung zum
eigenen Textprodukt notwendig ist (Kuß 2012, 50). Diese Distanz kann entweder durch eine
79
zeitliche Verzögerung zwischen Entwurf und Überarbeitung oder aber durch eine
Fremdperspektive, sprich die Revision oder das Feedback einer anderen Person, geschaffen
werden. In schreibdidaktischen Kontexten können sowohl die Reflexion des Autors als auch
die Beobachtungen und Textanalysen bzw. -korrekturen einer externen Person herangezogen
werden, um einzelne Schreibhandlungen nachvollziehen zu können. Zudem können sich
wichtige Erkenntnisse zum Schreibprozess und zum Schreibprodukt aus Gesprächen zwischen
Autor und Externem ergeben, die Grundlage für anschließende Textrevisionen sind. Kuß′
Annahmen sind theoretisch grundlegend für die Entwicklung mehrerer Frageitems der
schriftlichen Befragung von Studierenden (erster Untersuchungsschwerpunkt), für das
Erstellen des prozessorientierten Analyserasters (POA) (zweiter Untersuchungsschwerpunkt)
verschiedene Auswertungsfokus des dritten Untersuchungsschwerpunkts im empirischen Teil
der vorliegenden Arbeit.
Schreiben an der Hochschule als soziale Praxis
Es erscheint fast banal und redundant, bei der Auseinandersetzung mit schreibdidaktischen
Fragen, Konzepte der Handlungsorientierung ins Feld zu führen. Längst vor der Debatte um
Schreibkompetenzen betonten doch bereits etliche Schreibdidaktiker76 die Essentialität und
die Notwendigkeit des Schreibens als soziale Praxis, in der sich Lernende künstlerisch,
sinnlich, emotional, sozial und gar historisch durch das Schreiben mit der Welt in Beziehung
setzen. Trotz scheinbar unzählbarer Plädoyers für eine handlungsorientierte Schreibdidaktik,
die diese soziale Praxis stärker in die Entwicklung der Schreibkompetenz einbezieht, fehlen
Studierenden nach ihren eigenen Angaben gerade in diesem Bereich Erfahrungen und
grundlegende Fähig- und Fertigkeiten77. Sicherlich fokussieren schreibdidaktische
Überlegungen häufig das schulische Schreiben und kritisieren das ′entfremdete Schreiben′78
als defizitär hinsichtlich des Bedürfnisses und des Rechts ′nach subjektiver Aneignung und
nach Selbstausdruck′ und der Möglichkeit des Perspektivenwechsels und somit des
Fremdverstehens und der Toleranz gegenüber anderen (vgl. auch Haas 2007, 30). Dass dieser
Lernprozess aber keinesfalls mit dem Erlangen der Hochschulreife abgeschlossen sein muss
und ein sprachästhetischer reflexiver Umgang durch (Kreatives) Schreiben an der Hochschule
im Sinne des Praktischen Lernens von Studierenden dankend angenommen wird, zeigen u. a.
76 Vgl. Abraham, Ivo, Haas, Pommerin, Spinner, von Werder, u.v.a. 77 Vgl. dazu Kap. 3.4 des Empirischen Teils, in der die schriftliche Befragung Studierender dargestellt und ausgewertet ist. 78 Vgl. Brenner 1990
80
die Ergebnisse und Erkenntnisse der anschließenden Untersuchungen im empirischen Teil
dieser Arbeit.
2.2.6 Fazit Fortgeschrittenes Schreiben mit Studierenden
Das Schreiben stellt in seiner höchsten Ausprägung, dem epistemischen Schreiben, für
zahlreiche Schreibforscher das Medium des Denkens dar (Vygotskij 1971). Humboldt, Hegel,
Saussure, Vygotskij, Kleist, Leontev, Wittgenstein, Bereiter, Hayes, Ludwig, Beaugrande,
Trabant, Ortner und viele andere trugen mit ihren Erkenntnissen zur schrittweisen
Entschlüsselung des aus unzähligen Teilprozessen bestehenden Schreibprozesses bei. Eine
Theorie des Schreibens, die bis heute fehlt, scheitert letztendlich an der Komplexität der
schriftsprachlichen Produktion, die in ihrer Vollständigkeit schier unerforschbar zu sein
scheint. In verschiedenen Schreibprozessmodellen haben beispielsweise John Hayes und
Linda Flower, Otto Ludwig oder Robert de Beaugrande aus jeweils kognitionslinguistischer
Perspektive versucht darzustellen, wie ein Schreibprozess funktioniert, welcher Ressourcen
sich der Schreiber bedient und welche mentalen Systeme für welche Prozesse verantwortlich
sind. Jedes Modell basiert auf der Grundannahme, dass der Schreiber Kurzzeitgedächtnis,
Arbeitsgedächtnis und Langzeitgedächtnis für das Ausführen von Schreibaktivitäten benötigt.
Je nach Modell sind bestimmte Teilprozesse hinsichtlich von Zuständigkeiten, Zeitspannen
oder Intensitäten näher ausdifferenziert. Da das Schreibenlernen fast ausschließlich in
gesteuerten Lehr-Lernkontexten vermittelt wird, ist der Schreibprozess und dessen Genese
stark davon abhängig, wie und was zum Erwerb von Schreibkompetenz vermittelt bzw. geübt
wurde. In diesem Zusammenhang und im Hinblick auf das Kreative Schreiben mit
Studierenden, das in dieser Arbeit untersucht wird, ist das Schreibprozessmodell von Becker-
Mrotzek und Böttcher, zwei schreibdidaktischen Forschern, am zielführendsten. Das Modell
stellt keine der bisher von Hayes, Flower, Ludwig oder Beaugrande beschriebenen
Teilprozesse in Frage, ergänzt jedoch einen allen Schreibprozessen übergeordneten Rahmen,
den sie als „schriftliche Kommunikationssituation“ (Becker-Mrotzek/Böttcher 2015, 21) bzw.
als die „zerdehnte Sprechhandlung“ bezeichnen (nach Ehlich in Rothkegel/Sandig 1984, 9-
25). Von diesem Rahmen, der den Textautor sowohl als Schreiber als auch als Leser
einbegreift, hängen die zu wählenden Handlungsschritte und die benötigten kognitiven
Voraussetzungen ab, wodurch ein Schreibprozessmodell nicht auf die Entstehung non-
fiktionaler argumentativer Texte reduziert ist, sondern es auf vielfältige Schreibanlässe und
Textproduktionsverfahren angewendet werden kann. Genau dieser situative Rahmen ist für
81
die folgenden Untersuchungen im epirischen Teil zu studentischen Schreiblernbiographien,
zum kreativen Scheiben Studierender und deren Reflexionen zum Schreibprozess von
grundlegender Bedeutung, da er das Schreibverhalten der an den Untersuchungen
teilgenommenen Studierenden maßgeblich beeinflusste, indem die Studierenden didaktisch
angeleitet wurden, an konkrete Orte mit speziellen Stimuli gebracht und mit konkreten
Arbeitsaufträge betraut wurden.
Weil das Schreiben aus so vielen Teilprozessen besteht, die allesamt von den kognitiven
Ressourcen (Bereiter 1980), unter Beeinflussung motivationaler, volitionaler und sozialer
Faktoren, abhängen (Kompetenzbegriff bei Weinert 2001), ist die Entwicklung der
Schreibkompetenz stets lerner- und kontextspezifisch zu reflektieren. Das heißt, dass Alter
(Becker-Mrotzek 2007), Welt-, Fach-, Sprach- und Adressatenwissen (Beaufort 2007, Kruse
2007) und Vorerfahrungen mit dem Schreiben (Feilke/Lehnen 2012, Feilke/Köster/Steinmetz
2012) ebenso grundlegende Bedingungsfaktoren darstellen wie die Schreibsituation bzw. der
Kontext (Becker-Mrotzek/Böttcher 2015), in dem sich beispielsweise Studierende beim
kreativen Schreiben an der Hochschule befinden. Modelle von Bereiter, Kruse, Beaufort und
Böttcher/Becker-Mrotzek, die die Entwicklung der Schreibkompetenz in verschiedene
Komponenten oder Phasen einteilen, sind sich dennoch über die fließende Dynamik der
Aneignung einig. Das fortgeschrittene Schreiben baut dabei auf bereits erworbene
schriftsprachlich-produktive Fähig- und Fertigkeiten auf, die komplexere und reflektiertere
Schreibhandlungen, wie das Fokussieren stilistischer und argumentativer Intentionen und
Anforderungen sowie eine kritische Reflexion des eigenen Textes, erst ermöglichen. Für das
Schreiben von Studierenden, wie hier in dieser Arbeit, scheinen das Schreibkompetenzmodell
von Beaufort und das von Kruse die geeignetsten zu sein, wobei die anthropologische
Dimension dennoch fehlt (Wintersteiner 2009, Büchel/Graf 2014). Eine Schreibkompetenz
auf Studierendenniveau sollte ebenfalls beinhalten, sich künstlerisch, sinnlich, emotional,
sozial und gar historisch durch das Schreiben mit der Welt in Beziehung setzen zu können.
Für eine ganzheitliche Begriffsbestimmung von Schreibkompetenz eignen sich im Hinblick
auf die Zielsetzungen dieser Arbeit Frentz Arbeitsbegriffe Schreibentwicklung, Kompetenz,
Kreativität und Identität demnach als notwendige Ergänzung (Frentz 2010, 7-42).
Schreibkompetenz im Sinne des fortgeschrittenen Schreibens ist somit ein Komplex
wissensbasierter Fähig- und Fertigkeiten, der produkt- und prozessorientiert das Herstellen
fiktionaler und non-fiktionaler Texte ermöglicht. Der Schreibende kann Schreibfunktionen
verwirklichen und Schreibaktivitäten schreibphasenspezifisch steuern und dabei externe
Aufgabenstellungen, eigene Zielsetzungen und (ästhetische) Wirkungsabsichten
82
berücksichtigen bzw. wählen. Durch eine Reflexion individueller Schreibbedingungen und -
prozesse zum einen, sowie aufgrund des Abgleichens mit schriftsprachlichen Konventionen,
Textsortenmustern und von Textintention und potenzieller Textwirkung zum anderen, ist der
Schreibende in der Lage, eigene Texte zu überarbeiteten und zu beurteilen.
Der fachdidaktische Forschungsgegenstand Schreiben als soziale und kulturelle Praxis an der
Hochschule ist in deutschsprachigen Publikationen sehr selten Thema. Dagegen finden sich
Untersuchungen zum akademisch-wissenschaftlichen Schreiben seit 2000 vermehrt in der
Forschungsliteratur. Grund ist, dass die schriftliche Haus- und Seminararbeit als universitäre
Denk- und Prüfungsform trotz einiger Hochschulreformen der vergangenen 150 Jahre nach
wie vor eine reine Orientierung am Textprodukt, mit Ausnahme des Portfolios als
Prüfungsform, verlangt (Girgensohn/Sennewald 2012). Auf diese Textproduktorientierung
und die abnehmenden Kompetenzen von Studierenden, elaborierte längere schriftliche Texte
zu verfassen (Bremerich-Voß 2016, Bräuer 2014, Abraham 2010, Pohl 2007, Werder/Schulte-
Steinecke 2003), reagierten die Hochschulen mit dem Aufbau universitärer Schreibzentren
und Schreiblabore, die wiederum durch eine starke Prozessorientierung qualitativ gute
Textprodukte der Studierenden ermöglichen wollen. In den Angeboten zur Verbesserung der
Schreibkompetenz kommt der Vermittlung von Revisions- und Selbstreflexionstätigkeiten
beim Schreiben eine zentrale Bedeutung zu. Somit sind ab der Primarstufe über alle
Jahrgangsstufen, Revisions- und Reflexionsaktivitäten sukzessive zu unterrichten und
einzuüben. Geschieht dies nicht, sind Studierende häufig mit der Überarbeitung ihrer
geschriebenen Texte jenseits von Orthographie und Grammatik überfordert. Wie Revisions-
und Reflexionsaktivitäten beim Kreativen Schreiben auf universitärem Niveau
schreibdidaktisch initiiert werden können, wird im folgenden Kapitel erläutert und
anschließend im empirischen Kapitel untersucht.
83
2.3 Fortgeschrittenes Kreatives Schreiben im Rahmen bildungsinstitutionellen Lernens
Das kreative Schreiben ist nicht nur ein Verfahren, Texte literarischer Art zu verfassen, und nicht nur ein Angebot für gelegentliche Abwechslung, sondern es erweist sich als ein grundlegender Zugang zum Schreiben, der zur Leitlinie eines gesamten Schreibcurriculums werden kann (Spinner 1993, 21).
Der Gedanke des selbsttätigen und kritischen Denkens durch das Kreative Schreiben von
Studierenden heute tangiert, jenseits des Anspruchs auf gesellschaftsverändernde Texte,
mehrere Themenbereiche dieser Arbeit. Die folgende Darstellung erörtert maßgeblich eine
kreativ-ästhetische Schreibkompetenz, die vermehrt auf kreative, literatur-ästhetische,
identitätsbildende und damit stärker auf anthropologische Aspekte zielt. Aufgrund dieser
Ausrichtung wird das Kreative Schreiben als eigenständige schreibdidaktische Disziplin und
als spezieller Forschungsbereich in diesem eigenen und gesonderten Kapitel behandelt und
nicht in das vorangehende Kapitel Forschungsgegenstand Schreiben ‒ ein Überblick
integriert. Parallelen und Verweise zur allgemeinen Schreibforschung treten dennoch
aufgrund der fachlichen Nähe an der einen oder anderen Stelle auf.
Um zu verstehen, warum das Kreative Schreiben eine eigene Art ist, epistemisch zu schreiben
und dabei mit einem Anspruch an Ästhetik Wahrgenommenes und Gedachtes sprachlich
darzustellen, werden im Folgenden sowohl historische und bildungspolitische, als auch
kognitive und ästhetische Perspektiven erläutert und diskutiert. Umso bedeutsamer erscheint
die emanzipatorische Perspektive auf das Kreative Schreiben, wenn das Schreiben dafür
genutzt werden kann, benachteiligten Gruppen eine Möglichkeit des kommunikativen und
ästhetischen Ausdrucks zu geben. Politisch unterdrückte Strömungen im 19. und 20.
Jahrhundert, wie beispielsweise Studierende republikanischer Gruppen, die Frauenbewegung
Anfang des 20. Jahrhunderts, Migrantenliteratur im Rahmen des Gastarbeiterzuzugs,
literarische und darstellende Künste wie Debattierklubs oder das Theater haben sich durch das
Schreiben kommunikativer, gesellschafts-, identitäts- und oder biographiebezogener Texte zu
Wort melden und emanzipieren können.
In diesem Sinne kann auch dem kreativen Schreiben eine gesellschaftsbezogene, politische Funktion zugesprochen werden. [...] Der politische Aspekt wird auch darin deutlich, dass eine Traditionslinie des kreativen Schreibens auf das revolutionäre Postulat einer Demokratisierung des Kulturschaffens zurückführt, also auf die avantgardistischen Strömungen im ersten Drittel unseres Jahrhunderts (Spinner 1993, 18).
Da das universitäre Schreiben permanent in Lehr-Lernkontexte eingebunden ist, wird die
didaktische Perspektive fast kontinuierlich als Querschnittsperspektive in die folgenden
Darstellungen eingebunden. Dabei finden Perspektiven auf die Bildungsinstitution Schule
84
Beachtung, in der das Kreative Schreiben angebahnt wird, der Fokus auf den
Hochschulbereich bleibt dennoch maßgebend.
2.3.1 Fortgeschrittenes Kreatives Schreiben zwischen Experimentieren und
Rationalisieren, Willkür und Intention
2.3.1.1 Annäherung an den Begriff Fortgeschrittenes Kreatives Schreiben
Das fortgeschrittene Kreative Schreiben baut auf bereits erworbene Lese- und
Schreibkompetenzen auf, die so weit entwickelt sind, dass die Verwendung rhetorisch-
stilistischer Mittel, die Wahl- und Mischfreiheit zwischen verschiedenen Textgenres und das
Entwickeln und Erzeugen bestimmter (ästhetischer) Wirkungsabsichten schreibproduktiv
genutzt und reflektiert werden kann. Es beinhaltet sowohl experimentelle, spontane und
häufig auch spielerischer Aspekte der Schriftproduktion, aber gleichzeitig konzeptionelle
Verfahren wie Clustern, Mind-Mapping, impulsgebende didaktische Rahmungen wie das
Schreiben zu Bildern oder zu Musik und einige wenige Überarbeitungstechniken. Obwohl das
Kreative Schreiben nicht auf ein vorgeschaltetes ausschließlich ideengenerierendes Schreiben
zu reduzieren ist, an das sich dann funktionales und Textsorten-zielgerichtetes schriftliches
(Über-)Arbeiten anschließen kann, finden sich in der Fachliteratur Aussagen, dass es beim
Kreativen Schreiben besonders um zunächst ungelenktes Schreiben gehe. Die Bedeutung der
Qualität des Textprodukts und der je nach Schreibkontext relevante Textinhalt rücken dabei
teilweise ungerechtfertigterweise in den Hintergrund. Vereinfachungen, wie beispielsweise,
dass das Kreative Schreiben als ′glatt verlaufende Tätigkeit ohne Stockung und ohne
Hemmung′ Zugänge zum Schreiben leichter als stark normgebundenes Funktionales
Schreiben ermögliche und bei dem persönliche Themen und Befindlichkeiten des Autors
behandelt und reflektiert würden (Ortner 2000, 293), sind Beispiele für diese reduzierenden
Aussagen. Dazu ist, bezogen auf den Textinhalt, Ludwig interessant, der das Kreative und das
Freie Schreiben als sehr ähnlich betrachtet: ′Kreatives Schreiben ist grundsätzlich freies
Schreiben′. Das Kreative Schreiben diene aber im Vergleich zum freien Schreiben nicht so
sehr der Persönlichkeitsbildung, sondern ′vielmehr der Entfaltung von Phantasie und
85
Imagination′ (Ludwig 2003, 175). Freies Schreiben79 verlangt dem Schreibenden zwar eine
stärkere Zielsetzung- und Entscheidungskompetenz innerhalb des gesamten Schreibprozesses
ab - eine Anforderung, die überfordern kann. Es ermöglicht aber zugleich die Wahl des
vertrauten Weges. Somit stellt freies Schreiben zu Beginn möglicherweise ein komplexeres
Problem dar als normgebundenes Schreiben, nach der einmal getroffenen Entscheidung über
das Textmuster aber auch einen einfacheren Weg. (Fix und Melenk 2002, 36f.)
Pogner attestiert dem Kreativen Schreiben eine übergeordnete Stellung, indem er das Freie
Schreiben ′als Mittel der Selbsterfahrung und Selbstdarstellung′ und das Personale Schreiben,
bei dem die Schreibenden ′Individuelles, Emotionales und zutiefst Eigenes erforschen und
preisgeben′ (Pogner 2010, 15-84), als Teilbereiche des Kreativen Schreibens begreift.
Pommerin betont in ihrem breit angelegten Modell des Kreativen Schreibens die wichtigen
Einsichten und Erkenntnisse in und über die Strukturen der Sprache, die das funktionale
Schreiben höchstens in Ansätzen bietet. Somit ist das Kreative Schreiben als wesentliche
Ergänzung zum Funktionalen Schreiben bei der Schreiberziehung und darüber hinaus zu
verstehen. (Mummert Ingrid und Pommerin-Götze, 2000) Somit ergeben sich konkrete
Zielsetzungen für das Kreative Schreiben (nach Chromik 1993, 29f.):
• Fähigkeiten zur sensiblen und bewussten Wahrnehmung der durch die Sinne vermittelten Wirklichkeit des Schreibers weiterentwickeln
• Fähigkeiten zur Wahrnehmung eigener innerer Vorgänge und deren selbstkritische Reflexion stärken und weiterentwickeln
• Schärfung des Blicks für Probleme, Aufgaben und offene Fragen der Wirklichkeit; Fähigkeit diese zu benennen und sie für andere nachvollziehbar zu machen
• Fähigkeiten zum Erleben von Traum und Phantasie als innere Wirklichkeit; das Ermöglichen von Zugängen zum Unterbewusstsein
• Entwickeln von Sensibilität gegenüber Fühl-, Denk- und Schreibweisen anderer
• Fähigkeiten zum Erkennen sprachlicher Mittel und deren Wirkung steigern sowie deren funktionale Anwendung zur Entwicklung sprachlicher Ausdrucksfähigkeit verbessern
Um die beschriebenen Zielsetzungen zu ermöglichen, werden für das fortgeschrittene
Kreative Schreiben folgende Fähigkeiten der Schreibenden vorausgesetzt (nach Chromik
2012, 76f.): 79 Fix und Melenk untersuchten die Produktion der stark normgebundenen Textsorte Inhaltsangabe und das Schreiben zu
Bildern als freie kreative Art der Textproduktion von Schülern der Sekundarstufe I. Als freies Schreiben bezeichnen sie das Freie Schreiben zu Bildimpulsen, was einen typischen Schreibauftrag beim Kreativen Schreiben entspricht (vgl. Melenk/Fix 2002).
86
• Bereitschaft zur intensiven Wahrnehmung und ernsthaften Fokussierung des darzustellenden Objekts
• das Zulassen des Wechsels zwischen starker emotionaler Befangenheit und rationaler Selbstkontrolle
• Fähigkeit zum Entspannen, so dass ein Changieren zwischen Bewusstem und Unbewussten möglich wird
• Das Aushaltenkönnen innerer Gespanntheit zwischen Ratio und Gefühlen
• die psychische Kraft, verschiedene Ichs in sich wahrzunehmen
• die Fähigkeit, Erlebtes als statische oder dynamische Bilder als Erinnerungen abzurufen und neue Bilder zu assoziieren
• das Aushaltenkönnen von Unzufriedenheit im schöpferischen Schreibprozess, weil die sprachliche Realisierung von Assoziiertem und Gedachtem nicht immer befriedigend genug gelingt
• die Fähigkeit zur Distanzierung von Thema und Text trotz starker innerer Beteiligung
Durch die benannten Zielsetzungen des Kreativen Schreibens und die dazu notwendigen
Voraussetzungen auf Seiten des Schreibers wird deutlich, wie anspruchsvoll Fortgeschrittenes
Kreatives Schreiben sein kann. Das simultane Einbeziehen vielseitiger Wahrnehmungen,
Erinnerungen, Befindlichkeiten und deren Reflexion demonstrieren neben der Fokussierung
des Schreibenden auf das Anfertigen des Texten mit Sprachstil und Leserorientierung die
Komplexität und den Umfang kognitiver Aktivitäten des Arbeits- und des
Langzeitgedächtnisses, wie sie in den Schreibprozessmodellen von Hayes/Flower,
Beaugrande und Ludwig beschrieben sind80. Damit wird auch klar, dass der Schreibende beim
Kreativen Schreiben beim Formulieren zwar teilweise andere Informationsquellen nutzt als
beim Schreiben funktionaler Texte, aber der Umfang kognitiver Beanspruchung und die
Verarbeitungstiefe insgesamt auf hohem Niveau zu bleiben scheinen. Daher spielen für das
Kreative Schreiben Erkenntnisse aus der Gehirnforschung eine Rolle, die im übernächsten
Unterkapitel 2.3.1.3 angerissen werden.
2.3.1.2 Entwicklung des Kreativen Schreibens: Ein historischer Rückblick
Der Ansatz des Kreativen Schreibens geht zurück auf das freie Schreiben oder ungelenkte
Schreiben aus der Zeit der Reformpädagogik zu Anfang des 20. Jahrhunderts, z.B. unter
Célestin Freinet (texte libre)81. Vorgänger in diesem Zusammenhang sind Ende des 19.
Jahrhunderts die in größeren Städten Europas etablierten literarischen Salons oder der
′amateur writers′ club′, die, ähnlich wie heutige Schreibwerkstätten organisiert, Schreibspiele
80 vgl. Kapitel zur Schreibprozessforschung 2.2.4 81 Vgl. Freinet 1947/1960 Le Text Libre und Clanche (1988): L’enfant ecrivain. Genetique er symbolique du texte libre.
87
praktizierten (Myers 1993, 278). Der Ansatz der Reformpädagogen stellte die
Persönlichkeitsbildung von Kindern in den Mittelpunkt der Schreib- und Aufsatzerziehung,
der die Freiheit der Kinder und deren Gedanken zum Ziel hatte. Jegliche Rahmenbedingungen
und Vorgaben zu Thema, Inhalt, Form, Schreibdauer, Schreibort oder die gewählte Sprache
waren daher unzulässig (Ludwig 2003, 174). Bereits in den 1920er-Jahren wurden die
reformpädagogischen Ansätze des Freien Aufsatzes angenommen und für das Gymnasium
adaptiert. Die Vertreter dieses an die Reformpädagogik orientierten Schreibunterrichts, wie
etwa der Ansatz von Paul-Georg Münch, Heinrich Scharrelmann, Fritz Gansberg, Wilhelm
Lamszus oder Adolf Jensen hatten das Ziel, den Schreibunterricht am Schreibenden
auszurichten (Sennlaub 1980, 17). Dadurch sollten die Motivation zu schreiben und die
Freiheit in der inhaltlichen wie sprachlichen Ausgestaltung der Texte steigen. Der Begriff
kreativ etabliert sich im deutschsprachigen Raum erst, wie in Kapitel 2.1 erläutert, sehr viel
später mit der Bedeutungszuschreibung des Originellen und Neuartigen. Daher ist es sehr
wahrscheinlich, dass der Begriff des Kreativen Schreibens eine Übersetzung des aus dem
Englischen stammenden Creative Writing ist. An Universitäten in England, aber vor allem in
den USA, werden seit Ende des 19. Jahrhunderts Composition und Creative-Writing-Kurse
für Studierende angeboten, die die etablierten Rhetorik-Kurse ablösten und das
literaturwissenschaftliche Studium ergänzten (Glindemann 2000, 23). Im
angloamerikanischen wie im deutschen Sprachraum haben sich das Creative Writing und das
Kreative Schreiben kontinuierlich weiterentwickelt, sich fachdidaktischer Erkenntnisse
bedient und bildungspolitische Entscheidungen mitgeprägt. Dabei sei dennoch
hervorgehoben, dass sich das deutsche und das anglo-amerikanische Schreibkonzept sowohl
kulturhistorisch als auch schreibdidaktisch teilweise stark voneinander unterscheiden82. Die
heutige Disziplin des Kreativen Schreibens im deutschsprachigen Raum hat teilweise mehrere
Facetten und ist ein Konglomerat und eine Weiterentwicklung aus vielen Einflüssen, u.a. aus
der anglo-amerikanischen Schreibbewegung, aus reformpädagogischen Ansätzen und
Praktiken des Schreibens, der produktiven Literaturarbeit im deutschsprachigen Raum, wie
sie vor allem in Schulen anzutreffen ist, und natürlich aus den dynamischen und sich stets
82 Glindemann beschreibt in ihrer Dissertationsschrift sehr ausführlich die jeweiligen kulturhistorischen Entwicklungen und deren
resultierenden schreibdidaktischen Eigenheiten. Während sich das Creative Writing in den USA schon sehr für das Berufsfeld des Schriftstellers oder Journalisten aber auch in der Psychotherapie etabliert, beschränkt sich das Kreative Schreiben in Deutschland eher auf den Bereich von Schule und Freizeitgestaltung von Erwachsenen. Aufgrund der Zielsetzung dieser Arbeit wird auf die Unterscheidung von Creative Writing und Kreativem Schreiben nicht weiter eingegangen.
88
diversifizierenden Erfahrungen im Umgang mit dem Kreativen Schreiben selbst, und das,
sowohl in- als auch und außerhalb bildungsinstitutioneller Lernkontexte.
Melenk und Fix beispielsweise bezeichnen in ihren Untersuchungen im Rahmen des
Ludwigsburger Aufsatzkorpus´ zur Schreib- und Überarbeitungskompetenz das assoziative
Schreiben zu einem Bildimpuls nicht als Kreatives Schreiben, sondern als freies Schreiben zu
Bildimpulsen83. Das bestätigt, dass es im deutschsprachigen Raum häufig keine klare
Differenzierung und Bezeichnung nicht-textsorten gebundener Textproduktion gibt. Vielmehr
sind parallel und ineinander greifende Verfahren und Bezeichnungen zum phantasievollen
schriftproduktiven Umgang mit Texten anzutreffen.
Obwohl im deutschsprachigen Forschungskontext bis in die neunziger Jahre eine
eigenständige Bezeichnung für das Kreative Schreiben kaum bis nicht zu finden ist, werden ‒
entgegen der Entwicklungen des Creative Writing in den USA, das als das Ergebnis fehlender
schulischer Schreiberziehung gewertet wurde ‒ hat es sich im bildungsinstitutionellen
Kontext, und dort insbesondere im schulischen Kontext, heute klar etabliert. Bereits 1993
spricht Spinner vom Kreativen Schreiben in Deutschland, das sich aus der traditionell starken
Aufsatzerziehung, mit Formen des personalen und freien Schreibens, der zunehmenden
Prozessorientierung und der außerschulischen Schreibbewegung84 heraus vermischt und
entwickelt hat (Spinner 1993, 18). Parallel dazu hat sich das Verständnis des
Kreativitätsbegriffs (wie bereits im Kapitel 2.1 ausgeführt) entwickelt. Standen in den 1970er
Jahren für einen kreativen Umgang mit Sprache mehrheitlich das „Durchbrechen sprachlicher
Normen“ und das (Sinn-)Entfremden von Texten, rückte in den 80er Jahren die
Selbsterfahrung des Schreibenden in den Mittelpunkt, unter dem der persönliche Ausdruck in
Verbindung mit innersubjektiven und identitätsstiftenden thematischen Bezügen verstanden
wurde.85 Spinner sieht in dieser Entwicklung auch ein Abbild der Subjektivierungs- und
Intimisierungstendenzen der 1980er Jahre, in denen Infragestellen und Auflehnen gegen
83 Fix und Melenk thematisieren in der ′didaktischen Diskussion der Schreibaufgabe′ sowohl den linguistischen Begriff kreativ
nach Chomsky als auch den Aspekt des divergenten Denkens und der notwendigen Flüssigkeit beim Denken und Schreiben. Aufgrund der gezielt gewählten Gegenüberstellung der sehr gebundenen Textproduktion der Inhaltsangabe und der des freien Schreibens zu Bildimpulsen, wurde wahrscheinlich aus Gründen der Kontrastivität der Begriff frei dem Begriff kreativ von den Autoren vorgezogen. Mit 2300 ausgewerteten Schülertexten ist das Ludwigsburger Aufsatzkorpus eines der größten Untersuchungen zum Schreiben, Überarbeiten und Bewerten von Texten im deutschsprachigen Raum.
84 Die sogenannte Schreibbewegung bildete sich in Deutschland nach amerikanischem Vorbild in den 1970er durch die Gründung von zunächst außerinstitutionellen Schreibwerkstätten und Schreibgruppen. Schnell wurden vor allem in der Erwachsenenbildung Kurse zum kreativen, biographischen und häufig auch zum therapeutischen Schreiben angeboten, deren außerschulische und außeruniversitäre Popularität 1982 in der Gründung des ersten Instituts zum Kreativen Schreiben gipfelte.
85 Vgl. auch Boehncke/Humburg 1980, Schalk/Rolfes 1986, Fröchling 1987, Brenner 1990
89
Autoritäten zunehmen und für die eine größere Bedeutung psychologischer Therapien im
Alltag kennzeichnend sind (Spinner 1993. 17f.).
Man kann im Kreativen Schreiben einen Versuch sehen, sich gegen die zunehmende Anonymisierung in unserer Gesellschaft zu wehren, sich zu behaupten in einer Welt, in der durch Medienflut und Bürokratisierung der einzelne immer mehr aus dem Blick gerät (Spinner 1993, 18).
Zudem galt lange, dass Kreatives Gestalten eine reine Angelegenheit abbildender Künste sei.
Viele Vorbehalte gegen einen kreativen Sprachunterricht, insbesondere an der Universität,
machten es den reformwilligen Schreibdidaktikern86 seit Mitte der 1950er Jahre sehr schwer,
„überkommene Dogmen aus dem 19. Jahrhundert“ zu verdrängen (Birner 1978, 9). Spätestens
seit Mitte der neunziger Jahre finden Konzepte des Kreativen und freien Schreibens vermehrt
Verwendung in der Primar- und Sekundarstufe. Mit einer Verzögerung und abhängig von der
jeweiligen Lehrkraft bzw. des Dozenten finden sich seit den zweitausender Jahren kreative
und freie Schreibanlässe in den Curricula der einzelnen Bundesländer87.
Abbildung 9: Anzahl der Bundesländer mit explizitem curricularem Hinweis auf ausgewählte
Textsorten getrennt nach Schulform (SF) und Klassenstufe (Kl) (Harsch et. al 2007, 52).
86 Bereits 1953 fordert Ulshöfer einen Texte produzierenden Literaturunterricht neben der Aufsatzerziehung, Winterling spricht in
seinem Aufsatz 1971 Kreative Übung oder Gestaltungsversuch von einer „Didaktik produktiver Befreiung im Deutschunterricht“, auch Mecklings Kreativitätsübungen im Literaturunterricht der Oberstufe 1974, Pielows Artikel 1973 Kreativität und Deutschunterricht leisten Pionierarbeit hinsichtlich einer Öffnung des Deutschunterrichts für kreativ-produktive Aspekte.
87 vgl. Harsch/Neumann/Lehmann/Schröder 2007: Schreibfähigkeit. In: Klieme; Beck: Sprachliche Kompetenzen. Konzepte und Messung. DESI-Studie. Weinheim: Beltz, S. 42-62.
90
Nachdem sich das Kreative Schreiben als Teildisziplin des schulischen Deutschunterrichts in
vielen Bundesländern etabliert hat und der Nutzen des Kreativen Schreibens bei der
Entwicklung und Ausdifferenzierung der Schreibkompetenz immer mehr Lehrkräften bewusst
wird, muss nun auch eine universitäre Ausbildung der Lehrkräfte erfolgen, die diese
Lehrkräfte in die Lage versetzt, differenziert nach den bereits vorhandenen Fähigkeiten der
Lernenden, Kreatives Schreiben anleiten und unterstützen zu können.
Eine seriöse Schreibpädagogik kann nur ganzheitlich unter Berücksichtigung der kognitiven, emotionalen, physiologischen und hirnneurologischen Aspekte von Schreibern arbeiten (Werder 2001, 150).
Somit hat sich ein Bereich in der Deutschdidaktik herausgebildet, der Kreativität beim
Schreiben erst durch bestimmte Perspektiven, Verfahrens- und Handlungsweisen und nicht als
Prinzip jeder schriftsprachlichen Äußerung versteht, die per se kreativ ist, weil der
Schreibende beispielsweise auf einen leeren Untergrund einen neuen Text (re-)produziert.
Kreatives Schreiben ist heute in Deutschland außerhalb von Schule und Hochschule so
nachgefragt, dass Verlage, Buchhandlungen und Online-Versandhäuser eine überwältigende
Menge an Publikationen dazu anbieten. Der DUDEN-Verlag gibt eine eigene Reihe zum
Kreativen Schreiben heraus, wobei das Kreative Schreiben vielfach differenziert als attraktive
Tätigkeit zum „Selbermachen“ angeboten wird. Hanns-Josef Ortheil beispielsweise hat in
dieser Reihe „Schreiben über mich selbst - Spielformen des autobiographischen Schreibens“,
„Schreiben dicht am Leben - Notieren und Skizzieren“, „Schreiben auf Reisen -
Wanderungen, kleine Fluchten und große Fahrten - Aufzeichnungen von unterwegs“ oder
„Schreiben unter Strom: Experimentieren mit Twitter, Blogs, Facebook & Co.“ publiziert.
Mario Leis hat 111 Ideen und Übungen zusammengetragen, um kreative Texte mit
anregenden Schreibverfahren zu beginnen. Dabei differenziert er zwischen erzählendem,
dramatischem, lyrischem und journalistischem Schreiben, was besonders im Hinblick auf das
fortgeschrittene Schreiben mit und von Jugendlichen und Erwachsenen sinnvoll erscheint.
Gründe, warum Kreatives Schreiben an der Hochschule nach wie vor relativ wenig
Verwendung findet, sind, trotz der Fülle an Ideen zu Schreibverfahren, in der
Forschungsliteratur kaum zu finden. Wahrscheinlich sind fehlende didaktische Konzepte zum
Überarbeiten kreativer literarisch-ästhetischer Texte und fehlende Bewertungsmaßstäbe, auf
die bildungsinstitutionelle Einrichtungen mehrheitlich angewiesen sind, wesentliche Gründe
dafür. Für ein Kreatives Schreiben in den Wissenschaften - unabhängig vom jeweiligen
Studiengang - haben Werder und Schulte-Steinicke eine Vielzahl von in der Praxis erprobten
Verfahren bereits seit Mitte der 1990er Jahre vorgestellt (Werder 1995, Werder/Schulte-
91
Steinicke 2002). Einen Überblick über die vielfältigen kreativen Schreibverfahren geben unter
anderem Liebnau 1995, Pommerin-Götze 1995; 1996, Rico 1998; 2004, Merkelbach 1997;
2002, Glindemann 2001, Brock 2006, Werder 2007, Böttcher 2008, Leis 2009 und Wolfrum
2010.
2.3.1.3 Neurowissenschaftliche und neurodidaktische Überlegungen
Die Forschungserkenntnisse aus den Neurowissenschaften, die für eine fundierte
Perspektivendarstellung auf das Kreative Schreiben notwendig wären, sind zu umfassend und
zu fachspezifisch, als dass sie hier hinreichend ausgeführt, interpretiert und angewendet
werden könnten. Dennoch sei auf einige wenige Aspekte hingewiesen, die sich im
Zusammenhang von Hirnforschung, Sprachwissenschaft und Lernpsychologie für die
gewählte Themenabhandlung über das Fortgeschrittene Kreative Schreiben als bedeutsam
erweisen. Es soll der Beantwortung der Frage dienen, inwiefern kreativ-künstlerische
Aktivitäten, wie z.B. das Kreative Schreiben in Schule und Hochschule, aus der Sicht der
Hirnforschung wichtig sind.
Manfred Spitzer beschreibt 2012 auf dem Kommunikationskongress in Berlin, einer
internationalen Fachtagung für Public Relations, warum Glück und Lernen ganz ähnlich sind
und warum ihre Reaktion im Gehirn identisch sei. Spitzer geht davon aus, dass, wenn das
Gelernte in der Hirnrinde landet und benutzt werden kann, die Ängste schwinden und das
Kreativ-Sein möglich wird. Hätte man dagegen Angst, funktioniere Kreativ-Sein nicht. Die
Verarbeitungstiefe sei für den Lerneffekt demnach ausschlaggebend. Wäre die
Verarbeitungstiefe gering, sei der Lerneffekt gering, d.h. eine gründliche Reflexion über das
Gechriebene mit Ableitungen für das eigene Lernen käme einem hohen Lerneffekt gleich.
Gleichzeitig betont Spitzer, dass die Voraussetzung für Kreativität sei, viel zu wissen.
Übertragen auf das fortgeschrittene Kreative Schreiben ist vor allem der Schreibbeginn, der
wie beim Clustern linear und non-linear zugleich stattfinden kann, von dieser angstfreien
Atmosphäre abhängig. In diesem Zusammenhang testiert Gabriele Pommerin-Götze den
assoziativen Verfahren, die beim kreativen Schreiben häufig zur Anwendung kommen, diesen
angstfreien Raum, da das freie Fließenlassen von Ideen und Assoziationen, zunächst ohne
Bewertung des Textes oder des Schreibprozesses, Schreibhemmungen entgegen wirkt. Erst in
einem weiteren Schritt würden Verdichtungen und Verstehensinseln durch Reflexion und
Überarbeitung, als bewusste analytische und kontrollierte Aktivitäten, fokussiert (Pommerin-
Götze 2009, 227f). Nicht unumstritten ist hierzu die in der Literatur häufig anzutreffende
Funktionsunterscheidung zwischen linker und rechter Hirnhemisphäre, deren
92
Zusammenarbeit beim Kreativen Schreiben im Vergleich zum funktionalen Schreiben um ein
Vielfaches besser gelingt. Die schriftsprachliche Produktion bei Rechtshändern beansprucht
demnach vorwiegend die linke Gehirnhälfte, in der analytische und logische Prozesse und
Denkmuster dominieren. Das Assoziative, das Phantasieren, das Entstehen und die
Verarbeitung von Emotionen und das Experimentelle betreffen mehrheitlich die rechte Hälfte
des Gehirns (Rico 2004, 27-63).
Mit dem kreativen Schreiben wird besonders die Arbeitsweise der rechten Hirnhälfte angesprochen und damit die bisherige Überbetonung des Logischen schöpferisch aufgehoben. Erst wenn die linke und die rechte Hirnhälfte gleichberechtigt auf ihre spezielle Art gefordert und gefördert werden und sich gegenseitig anregen können, wird unser Denken vielfältiger, origineller, lebendiger und menschlicher (Liebnau 1995, 6ff).
Dabei ist unschwer zu erkennen, dass das Kreative Schreiben mit seinen Anforderungen an
das schriftliche Formulieren und an die motorische Leistung der rechten Hand, unter
gleichzeitigem Einfluss assoziativen und emotionalen Denkens der rechten Hemisphäre, die
simultane Verwendung und die Wechselwirkung beider Hemisphären erfordert.
Allerdings darf nicht unerwähnt bleiben, dass die Theorie der distinkten Funktionsweisen der
beiden Hemisphären, mit ihren abgrenzbaren Funktionszuschreibungen bereits aus den 60er
Jahren stammt und bis heute mehrfach revidiert oder zumindest differenziert wurde88. Die
Behauptungen, dass die linke Großhirnhemisphäre für das analytische Denken, die Sprache
oder das Rechnen und die rechte für das ganzheitliche Denken, für Musik, Kunst und Tanz
zuständig ist, sind unvollständige Verallgemeinerungen. Sprache kann Konventionen-
gebunden, spontan und kreativ sein, zugleich hat das Berechnen eines Umfangs in einer
Längenmaßeinheit oft mit bildlichem Vorstellungsvermögen zu tun und ein Komponist in der
Musik arbeitet sicherlich häufig detailanalytisch, womit die Simplifizierungen der
Funktionszuschreibungen zu einer einzigen Hemisphäre nahezu haltlos sind.
Was für die Schreibforschung und speziell für die Methodik des Kreativen Schreibens
interessant bleibt, ist weniger die exakte bipolare Aufteilung der Funktionen oder eine
Fokussierung auf die Asymmetrien im Großhirn, sondern die optimale Vernetzung beider
Hirnhemisphären. Einerseits um Schreibblockaden vorzubeugen und vielfältige
Schreibstimuli zu generieren und andererseits, um den Lernenden zu ermöglichen, bildliche
und attraktive Texte produzieren zu können. Spinner moniert die in der schulischen und später
auch in der akademischen Bildung zu einseitig gewichteten rational-begrifflichen
88 Prof. Onur Güntürkin von der Abteilung Biopsychologie der Universität Bochum gibt auf dem Online-Portal dasgehirn.info
Auskunft über die Funktionszuschreibungen der Hirnhemisphären des Großhirns. http://dasgehirn.info/aktuell/frage-an-das-gehirn/linke-und-rechte-hirnhaelfte-verschiedene-welten
93
Entwicklungen, die im zu großen Ungleichgewicht zu emotionalem, bildlichem und analogem
Denken stehen (Spinner 1993, 19). Demnach müsste mit dem Anstieg der kognitiven
Leistungsfähigkeit, die für die Produktion zunehmend komplexerer funktionaler Texte
notwendig wird, auch eine stärkere kreative Auseinandersetzung mit Sprache, dem eigenen
Selbst, umweltlicher Wirklichkeit, aber auch mit fachlichen Lerngegenständen einhergehen,
um einem solchen Ungleichgewicht entgegenzuwirken89.
Besonders deutlich wird das Zusammenspiel zwischen analytischen rational-begrifflichen und
emotionalem bildlich-analogen Denken beim Verfahren Écriture Automatique, das häufig
auch als Freies Schreiben oder Automatisches Schreiben bezeichnet wird. Das ursprünglich
von Surrealisten verwendete Verfahren bringt durch das bewusste Weglassen von Themen-
und Formzwängen den Schreibenden in einen sogenannten Schreibfluss, bei dem die
Gedanken, die dem Schreiber durch den Kopf gehen, zu Papier gebracht werden.
Verwunderlich ist dabei, dass der Schreibende häufig nicht zusammenhangslos und
themenungebunden schreibt, sondern dass sich der Text häufig auf ein Thema bzw. einen
Themenkomplex hin entwickelt oder sogar zuspitzt. Somit ist das Écriture Automatique
besonders gegen auftretende Schreibblockaden, für die Themenentwicklung und die
Planungsphase nützlich und zeigt das Zusammenspiel zwischen Zielgerichtetheit und freier
Assoziation. Die lockernde und den Schreibfluss in Gang bringende Methode löst durch das
Mitwirken von Emotionen assoziative Denkvorgänge aus, durch die wiederum häufig mentale
Bilder vor dem sogenannten inneren Auge des Schreibenden entstehen. Das Entstehen dieser
inneren Bilder ist dennoch vornehmlich auf Aktivitäten in Hirnarealen der rechten
Hemisphäre zurückzuführen. Um einen qualitativ guten, wenn auch experimentellen und
lebendigen Text zu produzieren, reicht das Verfahren des Écriture automatique aber häufig
nicht aus. Für eine Schreibdidaktik, die die individuelle Förderung zum Ziel hat, sind
Anschlussaktivitäten und Überarbeitungen fast unumgänglich. Bei einem Kreativen
Schreiben, bei dem beispielsweise Texte einer innerer Logik folgen, was einen bewussten,
wenn auch experimentellen Umgang mit Sprache zum Ziel hat und bei dem sich der
Schreibende während des Schreibprozesses in die Perspektive des Lesers versetzt, werden
gleichzeitig analytische und kreative Anforderungen an den Schreiber gestellt, wodurch das
Zusammenarbeiten beider Hirnhälften im kreativen Prozess beansprucht wird
(Werder/Schulte-Steinicke/Schulte 2001, 32). So gelingt es der kreativen Schreibdidaktik
89 vgl. auch Werder/Schulte-Steinicke/Schulte 2001, 31f.
94
Schreibräume zu schaffen, in denen Subjektivität und Objektivität beim Schreiben
zusammenwachsen.90
2.3.1.4 Zielgerichtetes Konzipieren und „ernsthaftes Spielen“ bei der
Textproduktion
Ist das Ziel das originalgetreue Kopieren bzw. Abschreiben eines Textes, gibt es eine
eindeutige Lösung und jede Abweichung wäre ein Fehler. Beim Schreiben und Formulieren
eines Textes, der nicht auf einer Vorlage basiert, die es zu kopieren gilt, gibt es keine
eindeutige Lösung. Selbst das Umformulieren, das Zusammenfassen oder das Wiedergeben
eines Textinhalts wird nie identisch mit der Version eines anderen Schreibers sein.
Lösungsentwürfe, z.B. das Finden von Formulierungen, das Setzen in ein Format, das Prüfen
von Interpunktion oder das Gestalten des Texts, müssen vom Schreiber während des
Schreibprozesses permanent auf Widersprüche überprüft werden, was aus der Perspektive des
′Schreibens als Problemlösen′ eine kreative Tätigkeit ist (Fix/Melenk 2002, 35).
Sowohl die Zielgerichtetheit einer Aussage oder deren Provokation als auch die Elaboriertheit
und die Schärfe des Ausdrucks, z.B. der einer Metapher, können für eine hohe
Schreibkompetenz repräsentativ sein. Leerstellen, Doppeldeutigkeiten oder unbequeme
Themen oder Darstellungen können sowohl bewusst als auch ungeplant in den Text integriert
werden. Das Kreative, was sich in einer sprachlichen Realisierung durch zielgerichtetes
Konzipieren und ernsthaftes Sprachexperimentieren äußert, ist dabei die ungewohnte
Kombination von Darstellungen, Bezügen, Themen oder Begriffen. So entstehen neue
Sinnzusammenhänge. Die Wahrnehmung und Einschätzung des Kreativen im Sinne einer
„kreativen Wirkungsästhetik“ bleiben dennoch immer eine Interaktion zwischen Leser und
Schreiber, was der kreativen sprachlichen und inhaltlichen Realisierung aber nicht
widerspricht, sondern lediglich die Komplexität des Erzeugens und Wahrnehmen von
Kreativität in Texten verdeutlicht. Der Rahmen für Kreativität in Texten wird somit vom
Schreiber vorgegeben, mit dem der Rezipient sich angeregt, aufgefordert oder gar provoziert
fühlt ′Leerstellen und Unbestimmtheitsgrade′ zu deuten und zu ergänzen (Iser 1994, 233ff.).
Hier zeigt sich u.a., dass das fortgeschrittene Kreative Schreiben damit keineswegs für eine
Bezeichnung des Verfassens von laienhaften Texten steht oder auf dilettantische literarisches
Schreiben zu reduzieren ist. Diese Leerstellen und Unbestimmtheitsgrade müssen für
potentielle Leser im Sinne einer Rezeptionsästhetik erst einmal durch das Schreiben bzw.
90vgl. auch Egle, Jürgen (2010): Was heißt gehirngerecht lehren und lernen? In: Seminar 2 S. 160-187, insbesondere S. 167
95
durch den Schreibenden erzeugt werden. Warum das Herabsetzen des Kreativen Schreibens
zu laienhaftem und dilettantischen Schreiben ebenfalls nicht zutrifft, liegt in der Komplexität
und in der Verschränkung von konventionellem und unkonventionellem bzw. divergentem
und konvergentem Denken beim Kreativen Schreiben. Originelle Textideen und
Formulierungen, die von konventionellen Denkmustern abweichen, müssen ‒ ähnlich wie
beim Schreiben gebundener Textsorten ‒ gleichsam der Schreibsituation oder dem
Schreibauftrag entsprechen. Somit ist die Orientierung an einem bekannten Lösungsweg beim
Schreiben weniger gegeben, wodurch sich eher die Notwendigkeit des divergenten Denkens
erhöht. Die Komplexität des Kreativen Schreibens, besonders des fortgeschrittenen Kreativen
Schreibens mit Studierenden, begründet sich somit durch die permanente Wechselbeziehung
von Konvention und Experiment und von zielgerichtetem Konzept und ernstem Spiel. In der
schriftsprachlichen Realisierung können hierbei alle Sprachbereiche91 betroffen sein.
Verschiedene Schreibexperimente bzw. Schreibverfahren, die für das Kreative Schreiben in
der späten Sekundarstufe und an der Hochschule angewendet werden können, verdeutlichen
die Kombination von Verfolgen eines Schreibziels im bildungsinstitutionellen Kontext und
vom anspruchsvollen Experimentieren mit Inhalt, Norm und Form. Weil Schüler und
Studierende keine Schriftsteller sind, werden für das fortgeschrittene Kreative Schreiben
meistens lenkende Aufgabenstellungen und literarische Schreibhilfen benötigt (Kunkel 2000,
20). Dazu zählen etwa das Verfremden von Vertrautem oder von Stil und Sprache, die
Versetzung durch eine ungewöhnliche Perspektive oder divergierende Rollen, die
Verwendung von Bildsprache und phantastischen Situationen, das Schreiben nach Bildern,
Texten und Musik sowie situativ vor Ort und im Gehen, das Registrieren, Reihen, Verdichten,
Montieren, Reduzieren und Collagieren, inklusive des inneren Dialogs, das Automatische
Schreiben oder die Sprachakrobatik mit Anagrammen, Elfchen, Permutationen, visueller
Poesie, Lautgedichten oder DADA-Un-Sinn (Kunkel 2000, 26).
2.3.1.5 Bedeutungen fortgeschrittener kreativer Schreibkompetenzen für das
akademische Schreiben
Unter den Studienangeboten deutschsprachiger Universitäten zum Kreativen Schreiben zählen
in erster Linie Literaturinstitute oder Poetik-Lehrstühle, wie sie an den Universitäten
Hildesheim, Leipzig, oder Frankfurt/Main etabliert sind. Schreiblabore, universitäre
Schreibzentren oder Beratungsstellen zum Anfertigen schriftlicher Texte im Studium arbeiten
stark prozessorientiert, wobei sich die Textprodukte in vielerlei Hinsicht - aufgrund des
91 als Sprachbereiche sind hier gemeint: Phonem-Graphem-Zuordnungen, Lexik, Syntax, Pragmatik, Morphologie und Semantik
96
Fokus´ des akademisch-wissenschaftlichen Schreibens“ von kreativen und literarischen
Texten unterscheiden. Dennoch gibt es grundlegende Gemeinsamkeiten jeglicher Arten des
Schreibens, so auch zwischen dem Kreativen Schreiben und dem wissenschaftlichen
Schreiben, hinsichtlich der Organisations- und der Formulierungsaktivitäten, der visuellen
Textgestalt und des Textdesigns.
An nordamerikanischen Universitäten wird das Kreative Schreiben erfolgreich zum
„Schreiben lernen“ in nahezu allen Studienfächern eingesetzt. Durch die gleichzeitige
Verwendung von Begriffen, Formulierungen, sprachlichen Normen, logischen
Argumentationsmustern und bildlichen/akustischen Qualitäten, wie „Wortbilder, Rhythmus
und Metaphern“ (Müller 2008, 108f.), haben Studierende US-amerikanischer Schreibkurse
zum creative writing ihre Schreibkompetenzen verbessern können92. Pommerin verweist hier
ebenfalls auf die englische und us-amerikanische Schreibforschung seit den 70er Jahren, die
den positiven Einfluss des Kreativen Schreibens, insbesondere das expressive und poetische
Schreiben, ′auf wissenschaftliches Lernen in verschiedenen Fakultäten nachgewiesen hat′
(Pommerin 1999, 199). Sehr deutlich werden die möglichen Synergieeffekte durch Kreatives
Schreiben auf eine erweiterte Schreibkompetenz bzw. auf das wissenschaftliche Schreiben
durch die Darstellungen von Erlach und Brenner, die sowohl inhaltliche, sprachliche,
strategische und methodische Anforderungen durch Kreatives Schreiben aufzeigen
(Brenner/Erlach 2000, 53ff.), die gleichwohl für das akademische Verfassen von Texten von
Bedeutung sind. Mit der folgenden Abbildung ist somit keinesfalls eine vollständige
Identifikation aller möglichen Entscheidungen im Schreibprozess zu verstehen, die beim
Kreativen
92 Vgl. auch Rico 1998
97
Abbildung 10: Entscheidungsbaukasten zum fortgeschrittenen Kreativen Schreiben, dessen Inhalte je
nach Intention, Schreibsituation und -verfahren variabel verwendet werden können und dem Schreiber
eine gute Orientierung bei Schreiben bzw. Überarbeiten bieten (Benner/Erlach 2000, 55)
98
Schreiben möglich sind. Vielmehr können Lehrende aus der in verschiedene
Entscheidungskategorien gegliederten Darstellung (rhetorische Strategien, Wahl der
Sprachebene, des Stils und der Begriffsstrategien, Sprechhandlungen, Erzählhaltung. u.a.)
verschiedene schreibdidaktische Perspektiven für Schreiblernende auswählen, vorschlagen
oder gezielt in Arbeitsaufträge einbinden. Gleichzeitig kann der Entscheidungsbaukasten
Lehrkräften oder Dozenten nutzen, um kreative Leistungen in Texten zu analysieren bzw.
diese zu identifizieren. Einzelne Inhalte dieses Entscheidungsbaukastens sind aufgrund dieser
detaillierten Systematik in die Kriterienentwicklung für die Bewertung des Kreativen
Schreibens von Studierenden durch die Textproduktorientierte Analyse (POA) einbezogen
worden, was im empirischen Teil dieser Arbeit näher ausgeführt wird.
Lutz von Werder entwickelte ab 1995 einen bemerkenswerten didaktischen Ansatz des
Kreativen Schreibens für sachliche und wissenschaftliche Texte (vgl. dazu von Werder 1995,
2000, 2001, 2002)93, der aufgrund seiner multiperspektivischen Förderung des
Schreibprozesses die Verbindung von Kreativität und gesteigerter Schreibkompetenz
hervorhebt. Grundannahme ist, ähnlich wie bei Antonie Hornung94, dass Schreibende
aufgrund der Erwartungshaltung und der angewöhnten Denk- und Schreibhabitus nicht in der
Lage sind, ihr bereits vorhandenes Wissen zu verschriftlichen und ′ihrer inneren Sprache eine
angemessene Ausdruckskraft zu verleihen′ (Hornung in Pommerin 1999, 199). Bei Hornungs
Untersuchungen dagegen stehen weniger zielgerichtete und vorstrukturierende Techniken wie
bei von Werder, sondern eher surrealistische Ansätze wie das Écriture automatique, im
Vordergrund. Bei ihren Untersuchungen profitierten Fremdsprachenlernende vom Kreativen
Schreiben, indem sich deren Produktivität beim Schreiben erhöhte und sie anschließende
weniger von Schreibhemmungen betroffen waren, was in der akademischen Schreibpraxis
jedoch häufig vorkommt. Mit dem Ansatz des Kreativen Schreibens in den Wissenschaften,
93 Lutz von Werder publizierte ab 1995 zunächst allein und später mit Barbara Schulte-Steinicke Dutzende schreibdidaktische
Bücher für Lernende in Schule, Studium und Beruf, z.B. Grundkurs wissenschaftliches Schreiben (1995), Kreatives Schreiben in den Wissenschaften (1995), Kreatives Schreiben von Diplom- und Doktorarbeiten (2000), Kreatives Schreiben von wissenschaftlichen Hausarbeiten und Referaten (2000). Neben einem Theorieteil und praktischen Übungen finden sich in den meisten Büchern, vor allem aber im Lehrbuch des Kreativen Schreibens (2001), häufig auch empirisches Anschauungsmaterial, insgesamt über 200 Schreibspiele, 40 verschiedene kreative Schreibmethoden und 20 Schreibprojekte. Aufgrund der großen Erfahrung der Ausbildung von Schreibdidaktikern an der Alice-Salomon-Hochschule werden ab 2001 Artikel in der Hochschuldidaktischen Zeitung (HDZ) und Monografien veröffentlicht, in den auch Betätigungsfelder der Schreibpädagogik und die „Durchsetzung am Markt und in den Institutionen“ als quasi Multiplikator-Effekt Werders Ideen beschrieben werden, z.B. in Lehrbuch des Kreativen Schreibens (2001), Schreibpädagogik an der Hochschule (2002), Einführung in das Kreative Schreiben (2003) oder Umrisse einer Berliner Fachhochschuldidaktik (2003).
94 vgl. Hornung (2002): Zur eigenen Sprache finden. Modell einer plurilingualen Schreibdidaktik. Tübingen: Niemeyer Verlag (Reihe Germanistische Linguistik; 234)
99
den Lutz von Werder u.a. zusammen mit Barbara Schulte-Steinicke fortentwickelte, wird
sowohl der prozessorientierte Ansatz, das Streben nach Lernerautonomie als auch die
Verbindung von kreativen Schreibverfahren und analytischen Fähigkeiten deutlich. Die
Autoren plädieren dafür, mit Schreibaktivitäten zu beginnen, die nach dem Prinzip vom
kreativen Chaos hin zur Ordnung funktionieren (Werder/Schulte-Steinicke/Schulte 2001, 32).
In ihren Überlegungen, die sich auf das Schreiben von Erwachsenen beziehen, wird der Text
anschließend zielgerichtet weiterentwickelt und überarbeitet, wofür das Autorentrio einen in
der Praxis bewährten Katalog kreativer Techniken anbietet, die vom Wechsel von Schreiber-
Leser-Perspektive und von Gliederungsmöglichkeiten der Ideen, über Möglichkeiten des
Optimierens des Schreibprozesses bis hin zu Tipps für das Überwinden von
„Schreibschmerzen“ (Werder/Schulte-Steinicke/Schulte 2001, 57ff.) reicht. Dazu zählen das
Ermutigen und Anleiten zum kreativ-experimentellen Umgang mit Sprache und Themen
ebenso wie das Diskutieren, Kritisieren und Überarbeiten eigener und fremder Texte. Ziele
des persönlichen Selbstausdrucks und der Wahrnehmung des eigenen ICHs des Schreibenden
werden nach Auffassung von Werder aus einer dem handwerklichen übergeordneten Ebene
stets berücksichtigt. Synergien zwischen dem Kreativen Schreiben und dem normorientierten
Schreiben entstehen laut Glindemann vor allem durch den dabei selbstreflexiven und
prozessorientierten Charakter (Glindemann 2000, 253). Diese Synergien werden
beispielsweise durch die Tatsache bestätigt, dass bei der Ideenentwicklung Vorwissen und
Netzwerke aller im sogenannten Weltwissen vorhandenen Wissenskomponenten beteiligt
sind. Die Herausforderung für den Schreibenden besteht nun maßgeblich darin, der Flut von
Informationen und Erinnerungen Herr zu werden, d. h. sie zu ordnen und zu selektieren, es sei
denn, es sollen alle Gedanken über ein Thema oder einen Schreibanlass tatsächlich
niedergeschrieben werden. Nach der automatischen Suche nach allen gespeicherten
Informationen und der Auswahl und Einschätzung muss der Schreibende nicht selten neue
Kombinationen und Einheiten der einzelnen Wissenskomponenten bilden. Dieser Anteil von
Rekombination bestimmt die Kreativität des Schreibers bei der Ideenentwicklung
(Beaugrande 1984, 110) und ist Ausdruck von gleichzeitigem Rationalisieren und
Experimentieren, wie es insbesondere beim Schreiben von Studierenden notwendig ist. Diese
Annahme gilt sowohl für den Prozess der Ideengenerierung als auch für das eigentliche
Formulieren. Das Kreative Schreiben bereichert somit das Fähigkeitenrepertoire Bereich der
Kommunikationsfähigkeiten insgesamt.
Ein sprachlich sensibilisierter Student schreibt sicher nicht nur passable Sonette über den Herbst oder realistische Dialoge, sondern ist zudem für das Verfassen exotischer Reisereportagen, eingängiger Nachrichten, Werbeslogans oder lesbarer Geschäftsberichte bestens vorbereitet. Die
100
im kreativen Schreibseminar erlernten Fertigkeiten sind in andere Tätigkeitsbereiche übertragbar (Glindemann 2001, 201).
Trotz aller didaktisch wichtigen Entscheidungsunterstützungen und Systematisierungen im
Schreibprozess und der dargestellten Synergieeffekte von Kreativem und Akademischem
Schreiben für Studierende soll die kritische Einschätzung von Wenger angeführt und
entkräftet werden. Er behauptet, dass der ′schöpferische Akt′ nicht zu lehren sei und sich
somit jeglichen didaktischen Ansatzes entziehe (Wenger 2007, 74). Es erscheint zu Teilen
sogar widersprüchlich, wenn Wenger einem (didaktischen) Lernziel spricht, das die
verbesserte sprachliche Ausdrucksfähigkeit inklusive einer präziseren Ausdrucksweise in den
Vordergrund rückt, in der sich die Genauigkeit des Denkens spiegele, aber gleichzeitig
behauptet, dass der Erfolg beim Schreiben vom didaktischen Konzept unabhängig wäre und
gänzlich vom Ergebnis des Schreibenden abhinge. Dem wird entgegengesetzt, dass es in
einem didaktischen Kontext geradezu unerlässlich ist, den Studierenden verschiedene
Verfahren anzubieten und deren Textproduktion zu begleiten, um Kreativität beim Schreiben
zu steigern. Auch kreative Texte, deren Themen sich aus dem Persönlichen und Fiktiven
heraus entwickeln können, sind durch handwerkliche Techniken, durch Reflexionsphasen mit
dem Wechsel von Schreiber-Leser-Perspektive und durch die Verwendung von Lesestrategien
gekennzeichnet.
Die im folgenden Modell skizzierte Verzahnung von kreativen und systematischen
Schreibphasen, wie sie für das Kreative Schreiben an der Hochschule erforderlich ist, zeigt
ablaufende Prozesse, die nebeneinander ablaufen- und miteinander agieren. Pommerin zeigt
durch ihre Untersuchungen (Pommerin-Götze 1996), dass Schreibende ‒ vor allem bei
herausfordernden Schreibaufgaben ‒ für die Entwicklung von Schreibideen häufig auf
assoziative Verfahren in der Planungsphase angewiesen sind. Die Annahme, dass an jedem
Beginn Kreativen Schreibens assoziative Verfahren notwendig sind, ist dennoch nicht zu
generalisieren, da der Beginn einer Textproduktion sehr vom Niveau der schriftsprachlichen
Kompetenzen des Schreibenden abhängt. So sind geübte Schreiber oder bestimmte
Schreitypen durchaus in der Lage, spontan mit der Textproduktion zu beginnen und die
verschiedenen Teilschritte bei der Textproduktion vernetzt und rekursiv im Verlauf ihres
Schreibprozesses zu organisieren und zu nutzen95. Stellt die Schreibaufgabe dagegen zunächst
eine größere Herausforderung dar, haben Schreibende häufig große Schwierigkeiten von der
Ideensammlung zum schriftlichen Formulieren überzugehen. Pommerin-Götze empfiehlt in
95 vgl. Kapitel 4.3 Zusammenfassung der Auswertungen des dritten Untersuchungsschwerpunktes Schreibprozesse und deren
Reflexion beim fortgeschrittenen Kreativen Schreiben und Ästhetischem Gestalten
101
ihrem Schreiblernmodell für diese Situationen ein sukzessives von Gruppen– zu Einzelarbeit
führendes Schreiben, bei dem kreative und systematische Schreibphasen schrittweise
miteinander verknüpft werden.
Abbildung 11: Prozessorientierte Analyse beim Kreativen Schreiben anhand eines Zwei-Varianten-
Modells nach Pommerin, bei dem im Prozessmodell A der Schreibprozess ohne und im Prozessmodell
B mit reflexiven Unterbrechungen beschrieben wird (Pommerin 1996, 77)
Das Aufzeigen möglicher kleinschrittiger Vorgehensweisen im Modell von Pommerin bietet
nicht nur eine Analysemöglichkeit an, wie ein Schreiber vorgegangen ist, sondern ermöglicht
gleichzeitig eine didaktische Modellierung und somit eine Anleitung im Schreibprozess durch
eine lehrende Person. Das Modell impliziert zwar eine chronologische Vorgehensweise in der
Textproduktion, was aber nicht heißt, dass Planungs- und Strukturierungschritte den Anfang
jedes Schreibprozesses von geübteren Schreibenden bilden. Planende und strukturierende
Überlegungen können ebenso an andere Phasen angegliedert oder in andere Phasen integriert
werden. Beim écriture automatique werden gerade durch den unreflektierten Schreibfluss
Ideen und Gedanken niedergeschrieben, die anschließend für eine systematischere
Textproduktion genutzt werden sollen (vgl. Hornung 2002).
102
2.3.2 Zum Zusammenhang von Kreativem Schreiben und Ästhetischem Gestalten
Die Sprache der Wissenschaft und der Technik entspricht dieser präzisen, inhaltsarmen
und ökonomischen Effektivität der Linearität der Schriftsprache. Es scheint mir jedoch
möglich zu sein, die anderen Ausdrucksmöglichkeiten des Denkens nicht aus den Augen zu
verlieren, insbesondere jene, die der Flexibilität der Bilder gerecht zu werden vermögen,
die den halo der Assoziationen, all die komplementären und gegensätzlichen
Darstellungen, die um das Zentrum eines Begriffes kreisen, zum Ausdruck bringen.
(Leroi-Gourhan 1988, 260)
Ein auf Papier vorliegender Text ist zunächst ein Bild, das sich im Kontrast zu einer
Illustration oder Grafik, sofern sie nicht selbst Grapheme enthält, nicht aus ikonischen
sondern aus normierten konventionellen Zeichen zusammensetzt. Gáspár spricht dabei von
einer Bildästhetik im Text (Gáspár 2006, S. 127). Die Ästhetik der Sprache in einem Text
liegt häufig außerhalb der Einheit von signifiant und signifié, es ist eher die „Schönheit“ der
Gedanken oder der Vorstellungen, die durch die formalen Zeichen des Textes kommuniziert
werden. Der Autor setzt somit ′ästhetische Qualitäten des Bezeichneten′ in ein normiertes
Zeichensystem um. Texte gelten somit als ästhetisch, wenn mittels sprachlicher Normen
ästhetische Verhältnisse im dargestellten Kontext formal nachgebildet werden können
(Gáspar 2006, 127). Gáspár et.al. leitet dazu ästhetische Kategorien für Texte aus der
Bildästhetik ab und überträgt dabei einzelne Aspekte auf sprachliche Bereiche wie Syntax,
Morphologie oder Rhythmus, die im Kapitel zur Kreativitätsfokussierenden Textanalyse im
empirischen Teil dieser Arbeit genauer erläutert werden.
Aus physikalischer Sicht betrachtet ist Schreiben mit dem Malen und Zeichnen verwandt, da
Inhalte aus dem Bewusstsein und bildliche Vorstellungen durch eine schreibende Hand mit
herangezogenen Hilfsmitteln auf einem beschreibbaren Untergrund fixiert werden. "Diese
enge Verwandtschaft von Schreiben und anderen Formen bildlicher Darstellung hat in allen
Phasen der Geschichte des Schreibens eine große Rolle gespielt“ (Glück 2010, 589). Der
Ausdruck durch die menschliche Hand ist gegenüber der gesprochenen Sprache unabhängig
von der Raum-Zeit-Koordination. Diese Unabhängigkeit hat das Auslösen geistiger
Assoziationen zur Folge und stellt durch ihren graphischen Ausdrucksmodus eine
gemeinsame Parallele zur gesprochenen Sprache dar, die durch die schöpferische Hand
realisiert wird. Die alphabetphonetische Schrift bedeutet letztendlich eine Verarmung an
Mitteln zum Ausdruck irrationaler Momente (Leroi-Gourhan 1988, 264) und in gewisser
Weise den Zugang zur Totalität der Wirklichkeit, bei der der technische Utilitarismus als
103
Ausdruck einer vollständig kanalisierten Schrift als scheinbares Symbol unbegrenzter
Entwicklung zu verstehen ist (Leroi-Gourhan 1988, 265). Da die Schrift aus der
Verschränkung zweier Systeme entstanden ist, nämlich die der Mythogrammme (die
Verschränkung von mehreren Bildern, die mit der ganzen Tiefe ihres ethnischen Umfelds
hinzukommen) und der phonetischen Linearisierung, wird der Zusammenhang zwischen
Mündlichkeit und Schriftlichkeit96 nochmals deutlich. Dieser Zusammenhang ist im Kontext
des Kreativen Schreibens und ästhetischen Gestaltens insofern wichtig, als dass die
alphabetphonetische Sprache das Denken weg von einer Vieldimensionalität in eine
phonetische Linearität eingezwängt hat. Hieraus kann die Formalität der geschriebenen
Sprache gegenüber dem freieren ästhetischen Gestalten abgeleitet werden. Der Beginn des
Buchdrucks hatte sowohl orthographische als auch morpho-syntaktische Normierungen zur
Folge, die einen maßgebenden Standard von Sprache bildeten, was wiederum das Denken
beeinflusst (Saussure 1967: 38) hat. Dadurch hat sich aber die lateinische Schrift immer mehr
zum Gegensatz zur Non-Linearität der Bilder entwickelt, was die von Saussure
angesprochene Begrenzung auf die Anordnungsmöglichkeiten einer begrenzten Anzahl von
Buchstaben im Alphabet zur Konsequenz hatte. Eine Kombination linearer und non-linearer
Elemente in einem Textbild wiederum eröffnet ein weites Denkfeld.
Dass das Schreiben und die bildende Kunst eigens komplexe, aber dennoch vergleichbare
Verhaltensweisen bei den ausführenden Individuen zeigen, ist u.a. durch die Kategorisierung
von Schreibtypen klar zu erkennen. Wyllie97 und Chandler98, und später Kruse in der
deutschen Übersetzung, entlehnen fünf sich voneinander unterscheidende Schreibtypen: den
Aquarellmaler, als alles im Kopf Planenden, den Architekten, als am Reißbrett Entwerfenden,
den Maurer, als in Abschnitten Fertigenden, den Zeichner, als exakt Planenden und
Radierenden und den Ölmaler, als spontanen Übermalenden und in kleinen Einheiten
Startenden99. Es wird deutlich, dass sich vor allem Planungs- und Überarbeitungsprozesse
beim Schreiben und ästhetischen Gestalten in der Fläche sehr ähnlich sind. Zum kognitiven
Aspekt des Entwerfens, Ausarbeitens, Überarbeitens oder Verwerfens kommt die
Kommunikation und die Koordination zwischen dem Kopf bzw. dem Gehirn und dem Arm
96 vgl. Kapitel 2.2.2 97 Wyllie, A. (1993): On the road to Discovery. MA Dissertation. University of Lancaster, UK. 98 Chandler, D. (1995): The Act of Writing. University of Wales, Aberystwyth. 99 Die fünf verschiedenen Unterteilungen von Wyllie und Chandler in Schreibtypen sind als ein dynamisches und nicht als ein
starres und sich von den anderen Typen stark abgrenzendes System zu verstehen. Wyllie und Chandler entwickelten dieses Modell mit dem Ziel, dass Studierende ihren eigenen Schreibtyp einschätzen lernen. Nähere Ausführungen vgl. Kapitel 2,2.4 Schreibprozessforschung und 2.3.5.3 Reflexion des Schreibproduktes und des Schreibprozesses
104
bzw. der Hand. Ideen, die im Kopf entstehen, müssen letzten Endes durch die Hand mit einem
Schreib-, Mal- oder Zeichengerät auf einem Untergrund realisiert werden. Die verschiedenen
Vorgehensweisen beim in der Fläche tätigen Künstler unterscheiden sich in der Technik oder
der Art und Weise, wie auf einem Untergrund, beispielsweise Papier, Holz oder Stoff, Spuren
hinterlassen werden. Mit dem Zeichen- oder Malverfahren und den verwendeten
Zeichenutensilien ändert sich auch die Herangehensweise und die Umsetzung von der Idee bis
zum fertigen Bild100. Beim Schreiben ist das Pendant zum Zeichen- oder Malverfahren häufig
die angestrebte Textsorte oder das verwendete Schreibverfahren. Planungs-, Überarbeitungs-
und Korrekturphasen sind u. a. je nach Textsorte und Schreibverfahren vom Schreibenden zu
wählen und anzupassen. So ist der individuelle Schreibtyp häufig eine treffende
Charakterisierung persönlicher Verfahrensweisen bei der Textproduktion, der sicherlich durch
die angestrebte Textsorte und die bewusst gewählten Schreibverfahren beeinflusst ist. Für das
Kreative Schreiben ist die Nähe zum bildnerisch-ästhetischen Gestalten in der Fläche noch
deutlicher, wenn auch zunächst aus einer anderen Perspektive. Alternativ zu Sachtexten
erzeugen kreative oder literarische Texte beim Schreiber und beim Leser häufig vielfältige
Assoziationen und mentale Bilder vor dem sogenannten inneren Auge. Bilder, seien es eigen
assoziierte oder aus dem Gedächtnis abgerufene, inspirieren den Schreibenden häufig bei der
Textproduktion. In einer Vielzahl von Publikationen, vor allem für den Bereich des Kreativen
Schreibens, werden Verfahren zum Schreiben zu visuellen Vorlagen beschrieben und die
Synergien aus der Kombination von Text und Bild aufgezeigt (vgl. Pommerin 2014, Wolfrum
2010, Merz-Grötsch 2005, Baurmann/Ludwig 2001, Dehn 2004). Die zeitlich parallele, vor
oder nachgestellte Bild- und Textproduktion ist trotz ihres Potentials wenig beforscht. Esterl
und Mattenklott sehen in der „Schrift-Bild-Beziehung“ einen wichtigen künstlerischen Aspekt
100 Im Gegensatz zum bereits angesprochenen mentalen Bild dienen beim Bild als Produkt künstlerischen Ausdrucks materielle
Bilder als kommunikativer Akt, bei dem „flächige und zumeist klar begrenzte physische Objekte der anschaulichen Darstellung realer, fiktiver oder abstrakter Gegenstände dienen.
105
beim Schreiben, was den Autoren zufolge ein großes schreibdidaktisches Potenzial für die
Zukunft innehat (Esterl 2007, 5; Mattenklott 2007, 16f.). Im schulischen Literaturunterricht
hat das Zusammenspiel von Text und Bild großes Potential und kann im Studium
fächerübergreifend weiterentwickelt werden (Bräuer 2000, 149). Dabei soll sich zunächst
nicht nur auf das Zeichnen beschränkt werden. Das ästhetische Gestalten bezieht explizit das
Collagieren, Malen oder Drucken als Möglichkeit ein, ′die Grundthematik bzw.
Grundstimmung und -tönung′ (Haas 2007, 131) eines Texts bildlich zu unterstützen, zu
kontrakarieren oder zu paraphrasieren (Haas 2007, 130f). Besonders das Collagieren, weil es
weniger abhängig vom zeichnerisch-malerischen Können des Schreibenden ist, eignet sich,
um Protagonisten zu charakterisieren, Figuren- und Handlungskonstellationen zu
verdeutlichen oder um aussagekräftige Situationen oder Textstellen hervorzuheben. Die
Tätigkeiten, die mit dem Collagieren verbunden
sind, so Haas, motivieren aufgrund des spielartigen
Suchens, Probierens und Findens zu einer intensiven
Auseinandersetzung mit dem Text (Haas 2007,
158). Diese Form der Kombination wird konkret an
Beispielen im empirischen Teil dieser Arbeit
erläutert.
Dass sich das Kreative Schreiben besonders durch
Metaphorik und Bilderreichtum auszeichnet, ist
nahezu auf allen relevanten Titelseiten von Büchern
oder Zeitschriften zum Thema Kreatives Schreiben
zu erkennen. Meist sind es Illustrationen, die zum
Assoziieren, zum Weiterdenken oder zum
Experimentieren einladen101. Diese Annahme
scheinen auch die Herausgeber der
deutschdidaktischen Zeitschrift PRAXIS
DEUTSCH mit der Illustration der gewählten
101 Vgl. Zeitschrift Deutsch. Unterrichtspraxis für die Klassen 5-10: Schreiben kreativ. 20, 2009, 2. Frontcover mit einem
illustrierten Naturmotiv.; Schuster, Karl (2003): Das personal-kreative Schreiben im Deutschunterricht. Frontcover mit einem durch viele Farben und unkonventionellen Formen gekennzeichnetes Gemälde. Merkelbach, Valentin (2002): Kreatives Schreiben. Frontcover zeigt ein Schulmädchen, dass sich gereihte Text-Illustrations-Produktionen anderer Schüler anschaut.; Ruf, Oliver (erscheint am 17. September 2014): Kreatives Schreiben. UTB A.Francke. Frontcover zeigt in Anlehnung an Eschers „Zeichnende Hände“.; u.v.a.
Abbildung 12: Frontcover der
deutschdidaktischen Zeitschrift Praxis
Deutsch mit dem Titelthema "Kreatives
Schreiben" und phantasievoller
Illustration
106
Umschlaggestaltung zu bestätigen. Mit dem Stift, hier als Füllfederhalter dargestellt, begibt
sich der Schreiber auf eine Reise. Die im Wind stehenden Segel und die wehende Fahne an
der Spitze lassen eine rasche Fahrt erkennen, auch wenn sich das Segel an einem Ende schon
vom Schiffsmast losgerissen hat, womit Aufbruch, Energie und Vorankommen symbolisiert
werden. Die Aufbruchsstimmung in ein tiefes Blau und die gerissenen Taue könnten
gleichzeitig eine Reise ins mystische und weite Land der Phantasie, aber auch ins Ungewisse,
andeuten.
Das Kreative Schreiben hat zu großen Teilen eine Textproduktion zum Ziel, deren Texte sich
stark an literarischen Texteigenschaften orientieren und sie sich somit von ′jenen Textarten
unterscheiden, die einen Gegensand vorstellen oder mitteilbar machen′ (Iser 1994, 231).
Es unterscheidet sich zum funktionalen Schreiben vor allem in seinem Anspruch an Ästhetik,
deren Begrifflichkeit auch im Hinblick auf Kreativität und Sprache bereits diskutiert wurde.
Doch wie kann man diese als Leser beschreiben bzw. als Schreiber erzeugen? Eine Antwort
auf diese Frage gibt Maria Peters für das Ästhetische in der bildenden Kunst. Sie geht davon
aus, dass sich künstlerisch-ästhetische Praxis eines Individuums nicht aufgrund eines
Nachvollziehens bestehender Kunst, sondern aufgrund eines Schöpfens aus allem bisher
Wahrgenommenen und Erlernten herausbildet. Die Summe alles Wahrgenommenen bildet
somit „ein großes Reservoir ästhetischer Möglichkeiten, aus dem jeweils die ausgewählt,
variiert oder modifiziert werden, die den eigenen Intentionen entsprechen, bzw. nahe
kommen“ (Kämpf-Jansen in Peters/Heinisch/Natorp 2006, 55). Selbstverständlich trifft diese
Auswahl aus dem Schreiber-individuellen Pool der Möglichkeiten auch für die kreative
Textproduktion zu. Dennoch sei an dieser Stelle kritisch angemerkt, dass bei weitem nicht alle
rezeptiv wahrgenommenen und erlernten Phänomene ‒ wie sie Peters für die bildenden
Künste annimmt ‒ gleichwohl schreibproduktiv genutzt werden können.
Kreatives Schreiben als literarisch-ästhetisches Gestalten
Um die Entwicklung des ästhetischen literarischen Schreibens einiger weniger aber
hochbegabter Personen aus vergangener literarischer Epochen zum ästhetischen Anspruch des
fortgeschrittenen Kreativen Schreibens aus heutiger Sicht besser nachvollziehen zu können,
soll im Folgenden kurz noch einmal die historisch-didaktische Perspektive bemüht werden:
In der „Genieästhetik“ der Romantik gilt das Schreiben unter Zuhilfenahme von rhetorisch-
stilistischen Techniken als künstlich und nicht als authentisch. Sowohl die Schreibintention
als auch Schreibprozess und Textprodukt seien im damaligen Verständnis kein Ausdruck
elaborierter Schreibtechnik und Redaktion, sondern Ausdruck individueller Passion und
107
Zeugnis des lyrischen Ichs und seiner Weltsicht (Glindemann 2001, 85). Die damit
einhergehende Sonderstellung und Isolation des literarischen Genies gegenüber der Masse
mündet aber nach Ansicht einiger Schreibdidaktiker in einer „romantischen Falle“
(Glindemann 2001, 87), durch die die Unvereinbarkeit von handwerklichem Schreiben durch
das Modellieren rhetorischer Muster mit persönlicher Originalität (Glindemann 2001, 93)
teilweise bis heute begründet wird. Dieses Grundsatzproblem bezeichnet Abraham, bezogen
auf die Schreibausbildung, als didaktische Aporie (Abraham 1996, 44).
Das Schreibvermögen Studierender hinsichtlich literarisch-ästhetischer Schreibkompetenzen
soll keinesfalls an dem erfolgreicher Schriftsteller oder Lyriker gemessen werden. Lediglich
sind es ähnliche Erfahrungen, getragen durch das Formulieren, das Ausbilden und
Weiterentwickeln von Vorstellungen und Perspektiven, die im Schreibprozess ermöglicht
werden. Ab einem fortgeschrittenen schriftsprachlichen Niveau, wie etwa das von Lernenden
in der Sekundarstufe II oder das von Studierenden an der Hochschule, beinhaltet das
Einbeziehen literarischen Schreibens auch das Erlernen literarischer Techniken102, so dass die
Schreibenden in der Lage sind neben narrativ-expressiven Prosatexte auch Lyrik zu verfassen.
Eine zu starke Fokussierung auf das Anwenden von Techniken birgt jedoch die Gefahr,
kreative Vorstellungen des Schreibenden zu behindern. Neben der bewussten Verwendung
von Textsortencharakteristika äußert sich das Anwenden von Techniken in sprachlicher
Hinsicht häufig durch eine Fokussierung auf die Kombination von Lexemen, Morphemen und
Graphemen, auf die Bildung von Metaphern, Kontrasten oder Analogien oder auf
verschiedene Syntaxformate. Die bewusste Sprachbetrachtung, wie sie beispielsweise bei der
Rezeption von Lyrik, literarischen Texten oder häufig auch beim Kreativen Schreiben zum
Tragen kommt, schärft somit die Wahrnehmung literarischer und sprachlicher
Besonderheiten.
This means that rather than looking at language as a transparent medium for the transferral of information, language is in itself forgrounded and the choice of linguistic forms is purposeful for both aesthetic an communicative reasons. It is the specificity and unusualness of the form of expression that makes it valuable from a poetic perspective (Hanauer 2014, 15).
Neben dem Auseinandersetzen mit dem eigenen ICH kann die Einnahme von
Fremdperspektiven durch eine gezielte Aufgabenstellung des Schreibarrangements explizit
eingefordert werden. Bei der Komponente des Fremdverstehens hingegen ist das
102 Eine fundierte theoretische und unterrichtspraktische Zusammenstellung zum Erlernen und Anwenden von Techniken
literarischen Schreibens bietet Günter Waldmann mit seinem Buch Produktiver Umgang mit Lyrik. Dieses ist aufgrund seines klugen didaktischen Aufbaus mit seinem Vier-Phasen-Modell zum produktiven literarischen Textverstehen bereits seit 1988 bis 2013 in über zehn Auflagen erschienen.
108
Hineindenken in andere Perspektiven, Empfindungs- und Erfahrungsweisen, die sich häufig
erst durch das schriftliche Ausformulieren für den Schreibenden konkret darstellen, viel
konkreter als in einer Diskussion über die Charaktereigenschaften eines oder mehrerer
Protagonisten (Spinner 1993, 20). Bei jeglicher Form der Versetzung, einer Methode aus der
Literatur bzw. aus dem literarischen Schreiben, mäandert der Schreiber zwischen einer
potentiellen Fremdperspektive, die aus dem kulturellen (Welt-)Wissen abgeleitet wird, und
der Eigenperspektive. Auf der Grundlage der sogenannten narrativen Intelligenz103 versucht
der Schreiber beispielsweise beim Schreiben von Geschichten eine plausible
Fremdperspektive inhaltlich wie sprachlich darzustellen, wobei er sich intensiv um die
Konstruktion der nicht-eigenen Sichtweise bemüht.
Mit dem kreativen und ganz besonders mit dem literarischen Schreiben sind häufig
Emotionen verbunden, die auf eigens gemachten Erfahrungen beruhen. Der emotionale
Aspekt ist deshalb wichtig, weil er es ermöglicht, Intensitäten durch Schreibarrangements
wahrzunehmen und zu erzeugen. Im Hinblick auf lyrische Textproduktion erläutert
Waldmann die Besonderheiten produktiver literarischer Erfahrungen (Waldmann 2010,
263ff.). Durch das Hören und Schreiben von Reimen in Gedichten beispielsweise, erlangen
Studierende ein größeres Verständnis der Beziehung zwischen dem Gedicht und seinem
emotionalen Effekt (Katz/Thomas 1992, 33f.). So müssen sie bei der Suche nach geeigneten
Reimen sich klar mit ihren Aussageabsichten auseinandersetzen, ihre eigenen Erinnerungen
und Erfahrungen abrufen, um Bilder in Worte zu übersetzen und mit Worten Bilder zu
erzeugen. Solch ästhetisch-literarische Schreibaktivitäten fördern die ehrliche und intime
Auseinandersetzung mit der eigenen Gefühlswelt und tragen so mittelbar zur Identitätsbildung
bei. Bei der Produktion von Lyrik gehen der sprachliche Formgebrauch, der Bedeutungsinhalt
des Gesagten und eventuell noch die visuelle Erscheinungsform eine Symbiose ein – wodurch
ein sprachästhetischer Ausdruck entsteht, der vom Rezipienten wahrgenommen werden kann.
Ästhetische Erfahrungen durch den Umgang mit Gedichten werden sowohl für den Schreiber
als auch für den Rezipienten häufig durch die Konnotation des Genres Lyrik bzw. durch die
Kontexte unterstützt, in denen Lyrik häufig öffentlichkeitswirksam anzutreffen ist. Gedichte
finden sich bei offiziellen und wichtigen Anlässen wie zur Geburt eines Kindes, bei religiösen
Riten, offiziellen Reden, in Liebesbeziehungen oder bei Beerdigungen. Somit wird dem
Schreiben von Gedichten eine hohe Aufmerksamkeit und Motivation zuteil, weil der
Schreibende Lyrik häufig mit Erfahrungen oder Begegnungen assoziiert, die größtenteils
103 Vgl. Bredella 2011, S. 123-134.
109
emotional stark aufgeladen sind. Beim Schreiben von Gedichten reflektieren Studierende
Gefühle und emotionale Sichtweisen und erzeugen durch diesen schriftlich-produktiven
Umgang mit Sprache ästhetische Wirkungen Diese Annahmen werden sowohl durch
Erkenntnisse aus der schriftlichen Befragung als auch durch die Auswertung der
studentischen Reflexionen über den eigenen Schreibprozesses im Rahmen dieser
Untersuchung bestätigt104.
Mit dem Kreativen Schreiben kommt der künstlerisch-ästhetischen Ebene eine weitere
Dimension zu. Während im gesellschaftlichen aber und insbesondere im schulischen Kontext
Kunst vorrangig rezeptiv begegnet wird, bietet das Kreative Schreiben prinzipiell die
produktive Auseinandersetzung mit Ästhetik an. Ab der Adoleszenz sind kritische Analysen
gesellschaftlicher Bedingungen und Zustände und eine Einordnung des Selbst in eine größere
Gruppe beim Kreativen Schreiben möglich und sinnvoll. Zudem fördern kritische Analysen
und Selbstreflexion ein kulturschaffendes Bewusstsein Jugendlicher und Erwachsener und
tragen maßgeblich zum Demokratisierungsprozess innerhalb einer Gesellschaftsordnung bei.
Eine sozialtheoretische Grundlage hierfür bietet etwa Theodor W. Adorno, der, wie in seiner
Ästhetischen Theorie beschriebenen, das Verhältnis von Kunst und Gesellschaft als ein
zentrales Thema sieht. Er stellt die Forderung auf, dass dieses Verhältnis nicht vorwiegend im
Bereich der Rezeption, sondern vorrangig in der Produktion aufzusuchen ist, was sich auf der
Ebene des Individuums, als konstituierendes Mitglied der Gesellschaft, niederschlägt.
Diese Annahme und die damit verwobenen Verhaltensweisen des Zuhörens, Antwortens und
des Fremdverstehens spiegeln sich auch in der literarischen Geselligkeit bzw. in der
Sozialität105 des Kreativen Schreibens und nicht zuletzt in der publizierten belletristischen
Literatur wider, da es den Austausch kreativ geschriebener Texte, das Vorlesen und
Diskutieren über eigene und fremde Texte prinzipiell mit einschließt.
Ontogenetische Zusammenhänge zwischen Schreiben und bildnerischem Gestalten
Aus historischer Perspektive sind das Herstellen und Darstellen und besonders die
Artikulation durch und mit Bildern Kennzeichen des Menschen, die uns gleichzeitig vom
Wesen eines jeden Tieres unterscheiden (Scholz 2000, 618). Nur Menschen zeigen auf
Gesehenes, gebrauchen Bilder und Symboliken und schließlich verbale oder schriftliche
104 siehe Untersuchungsschwerpunkt I im empirischen Teil der Arbeit, speziell die Auswertungen der schriftlichen Befragung zu
Motivation und Emotion im Kap. 3.4.5 105 Gemeint ist das gemeinsame Erfahren von Lernenden und Lehrenden von Nähe und Distanz, Eigenem und Fremden,
Imagination und Wirklichkeit im Schonraum kreativer Texte.
110
Sprache, um über Gesehenes und Gezeigtes zu kommunizieren (Oomen-Welke/Staiger 2012,
8).
Die neuronale Nähe von Motorik und Sprache, und damit auch die gleichzeitige Entwicklung
von Gestik-, Mimik- und Lautbildung, sind in der Ontogenese des Menschen die Grundlage
für das Zeigen und spätere Spurenhinterlassen durch Zeichnen, Malen und Schreiben mit der
Hand. Spätestens mit der Möglichkeit der bildgebenden Verfahren in der Hirnforschung sind
diese Erkenntnisse interdisziplinär Konsens (vgl. auch Bauer 2006). So entstehen
ontogenetisch betrachtet die ersten mit Händen und Fingern gezeichneten Spuren lange vor
den ersten „gekritzelten“ Buchstaben oder gar Texten. Das bewusste Zeichnen von
Gegenständen und das Formulieren von Texten sind nach Piaget erst ab einem bestimmten
kognitiven Entwicklungstand möglich und müssen, ist eine Ausdifferenzierung angestrebt,
erlernt und geübt werden (Liebmann-Wurmer 2014, 15f.). Dennoch findet das Erlernen der
Schriftsprache deutlich nach der Entwicklung zeichenhafter Darstellungsfähigkeiten statt. Die
ersten Zeichen- oder Malversuche finden bei Kindern weitaus früher als die ersten
schriftsprachlichen Realisierungen statt. Die Schriftsprache wird meist mit dem Eintritt in die
Schule erlernt, ebenso wie im Kunstunterricht spielen dabei konzeptionelle Realisierungen
von ästhetischer Gestaltung eine immer größere Rolle. In der Primarstufe befinden sich somit
die Lernenden im Hinblick auf die Produktion von Schrift und Bild in Entwicklungsphasen,
die nach Piaget grundlegende Gemeinsamkeiten und Bedingungen der
Kommunikationsfähigkeit aufweisen:
1. Die gesamtsprachliche Entwicklung, auch die mündliche Kommunikationsfähigkeit, ist noch
nicht abgeschlossen
2. Die kognitive Entwicklung ist erst auf einem sehr situationsverhaftetem Stadium angelangt
(inklusive der motorischen Entwicklung)
3. Die emotional-soziale Entwicklung ist noch stark der egozentrischen Stufe verhaftet.
Nach Brügelmanns Auffassung, der sich intensiv mit dem kindlichen Erlernen von Schrift
auseinandergesetzt hat, kommt zu dem Schluss, dass schon vor der Alphabetisierung der
Kinder erste Vorstellungen und grundlegende Fertigkeiten für das Schreibenlernen
ausgebildet werden. Im intendierten Schreiben, dem sogenannten Schreibkritzeln von 3-4
Jährigen, ist zu entnehmen, dass Besonderheiten der Schrift bereits in diesem Alter erkannt
werden. Seine Untersuchungen haben gezeigt, dass 3-4 Jährige statt kreuz und quer zum
Ziehen von horizontalen Linien neigen, dass sie einen Spuren hinterlassenden Gegenstand
häufig bereits linear führen und die „Zeichnungen“ durch regelmäßige Hoch und Runter,
ähnlich wie bei einer Zickzack-Linie, gekennzeichnet sind. Nach Brügelmanns Meinung
111
haben Kinder implizit ein grundlegendes Verständnis von Schrift ausgebildet, weil sich diese
Bilder von bloßen Kritzeleien und ohne die Anleitung von Erwachsenen unterscheiden
(Brügelmann 2012, 170).
Notwendigen motorischen Voraussetzungen für das Schreiben sind also zeichnerische
Aktivitäten vorausgegangen, wodurch das Schreiben auf Kenntnissen des bildnerischen
Ausdrucks aufbaut. Im Zuge des Kenntniszuwachses und der fortschreitenden kognitiven
Entwicklung im Kindes- und Jugendalter werden für die Disziplinen des Schreibens und
bildnerisch-ästhetischen Gestaltens Universalien wie das Verarbeiten von eigenen
Erfahrungen und Emotionen, Darstellungsabsichten, das Einnehmen der Perspektive des
potentiellen Rezipienten, die bewusste Verwendung oder Vermeidung von Konventionen und
Mustern, die Verarbeitung von Weltwissen, die zunehmende Prozesshaftigkeit und der
häufige Wunsch nach Ästhetik des eigenen Bild- oder Textproduktes deutlich.
Bis ins hohe Alter dienen Aufzeichnungen in Bild und Schrift somit dem Bewusstwerden,
dem Elaborieren und Begreifen, der Verarbeitung und Reflexion von Erfahrungen, Emotionen
und Eindrücken und nicht zuletzt der Kommunikation mit anderen Individuen. Dafür sind
besonders die Faktoren Zeit und Motivation von besonderer Bedeutung. Nach Reckwitz
bindet dieses kreative Schaffen den bildnerisch Gestaltenden oder kreativ Schreibenden
zurück an das Künstlerische und Ästhetische, was mehr als eine technische Produktion ist
(Reckwitz 2012, 10). Durch das „neuartige Bild- und oder Textprodukt“, das mit
Experimentierfreude und Lebendigkeit hervorgebracht wird, entstehen sinnliche und affektive
Erregungen, die durch einen Betrachter, einen Leser oder Hörer zum Selbstzweck sinnlich
wahrgenommen, erlebt und genossen werden können (Reckwitz 2012, 10). Bilder und Texte
haben somit heuristische, identitätsstiftende aber auch Resilienz fördernde Funktionen und
aktivieren gleichzeitig neuronale Prozesse (Liebmann-Wurmer 2014, 33). Die Verbindung
von Schreiben und bildnerischer Gestaltung, beispielsweise durch den interdisziplinär
bedingten multisensorischen Umgang mit schrift- und bildgebenden Verfahren, sollte
demnach das Kreativitätspotential nachhaltig fördern.
Didaktisches Potential von Text-Bild-Beziehungen
Die Ähnlichkeit der beiden persönlichen Ausdrucksformen Schreiben und Gestalten in der
Fläche, wie das Zeichnen, Malen oder Illustrieren, sind - wie bereits erwähnt - nicht zu
leugnen. Beide Disziplinen werden häufig in Unterrichtssituationen ausschließlich getrennt
voneinander gelernt und vermittelt. Mit der Fortentwicklung der Schreibkompetenz tritt das
ästhetische Gestalten in der Fläche - mit Ausnahme des Faches Kunsterziehung - sukzessive
112
in den Hintergrund. Die Didaktiken beider Disziplinen sind somit getrennt, obwohl große
Ressourcen und Möglichkeiten in der Kombination beider Formen liegen, z.B. durch
fächerübergreifende Kooperationen.
Die Wechselwege zwischen Bild und Schrift, ihre inneren Affinitäten wie ihre differenzierten
Funktionen sind offensichtlich starke Anstöße zu immer neuen künstlerischen
Erkundungsabenteuern. […] Die Kunst des 20. Jahrhunderts hat sich dieser Durchdringung
von Schrift und Bild mit besonderer und andauernder Intensität gewidmet und aus ihr
innovative künstlerische Prinzipien sowie differenzierte bislang unbekannte Formensprachen
entwickelt.[…] Als ein den traditionellen Fächerkanon ignorierendes Gesamtphänomen wäre
die Schrift-Bild-Verschmelzung indes noch zu entdecken. Sie könnte mit ihrer Vielzahl von
Anregungen für eine zeitgenössische schulische Schreibkultur, für ein ′Gartenland der Schrift′
produktiv werden (Mattenklott 2007, 16f.)
Die Lernchancen für prozessorientiertes Schreiben sind in der Fachdidaktik diskutiert und
werden für die schulische und universitäre Praxis weiterhin eingefordert. Die fachdidaktische
Auseinandersetzung mit Schreibprozessen fokussiert allerdings vorwiegend lineare
Textkompetenzen und Vertextungsmuster, ausgenommen einiger non-linearer Verfahren in
der Planungsphase, wie z.B. das Scribbling, Clustern, oder Mind-Mapping, insbesondere,
wenn sie gleichzeitig aus sprachlichen Zeichen und Zeichnungen bestehen.
Demgegenüber belegt das Schreiben professioneller Autoren die permanente
Auseinandersetzung bzw. das Nutzen von hybriden Text-Bild-Relationen und den
Medienwechsel zwischen Text- und Bild-Elementen im Zuge schöpferischer Prozesse. Ihnen
scheint es letztendlich zu gelingen, was sich unerfahrenen Schreibern als Problem darstellt:
Der oft kontingente, sprunghafte Übergang und das aktive Einbinden von inneren
Vorstellungen und Bildern zur Sequenzialität eines narrativen, kohärenten
Textzusammenhangs. Auch Eykman geht im Zusammenhang des Schreibens über Bilder von
einem wechselseitigen sich ergänzenden Verhältnis von Bild und Wort aus, bei dem sich
Sprache und Bildwerk des gemeinsamen Gestus des Zeigens bedienen (Eykman 2003, 34f.)
Offenbar kommt demnach jenen Schrift-Bild-Interaktionen eine zentrale Funktion im Rahmen
schöpferischer Prozesse zu, die aus fachdidaktischer Perspektive zur Förderung des in dieser
Arbeit untersuchten fortgeschrittenen Kreativen Schreibens mit Studierenden entscheidend
beitragen kann. Levin formuliert folgende Bildfunktionen (Levin 1981 in Venohr 2007, 83),
die sich für die Kombination aus Kreativem Schreiben und Ästhetischen Gestalten sowohl im
Hinblick auf die typo- und topographische Gestaltung als auch auf die Verschränkung von
bildlich-ästhetischem Material und Schrift anwenden lassen:
113
1. Darstellende Funktion: Das Bild veranschaulicht Inhalte des Textes
2. Organisierende Funktion: Das Bild liefert eine gliedernde, kohärenzstiftende, reduktive
Makrostruktur der Textinhalte.
3. Interpretative Funktion: Das Bild visualisiert schwer verständliche Inhalte des Textes, z.B.
diejenigen einer Metaphern, eines Aphorismus′ oder einer Analogie
4. Transformierende Funktion: Das Bild bietet eine mnemotechnisch nützliche Umkodierung
an, z.B. als Hilfe beim Verstehen von Einzelwörtern
5. Dekorative Funktion: Das Bild illustriert den Text und hat eine emotionale bzw.
motivationale Bedeutung (Venohr 2007, 83)
Für die Rezeption von Texten wird die Bedeutung non-linearer Strukturen und Inhalte bereits
seit der Erweiterung des Bildverständnisses im Zuge des iconic turn in den 1980ern
(Bachmann-Medick 2010, 329-380) und insbesondere angesichts der anhaltenden
inflationären Präsenz von Bildern in der heute alltäglichen multimedialen Wirklichkeit vieler
Lernender thematisiert, hinsichtlich einer prozessorientierten Schreibdidaktik wiederum
kaum. Stöckl betont in diesem Zusammenhang die bei der Rezeption vorzufindende visuelle
Verstärkung und die wechselseitigen Determinationen des Text-Bild-Zusammenwirkens, aber
auch er bezieht sich nur auf die Rezeption ohne Bezug zur Textproduktion bzw. auf die
Kreation dieser Text-Bild-Produkte.106 Bei der Betrachtung und Wahrnehmung von
bildlichem Material beim Schreiben, zu dem die Organisation von Wörtern, Texten,
Symbolen, Kürzeln und zeichnerischen Elementen zu zählen sind, ist der Text selbst
Gegenstand einer bildtranszendierenden Reflexion. Das prozessorientierte Schreiben müsste
aus schreibdidaktischer Sicht demnach durch Blick auf schriftbildliche Hybride und Text-
Bild-Medienwechsel während der Produktion Kreativen Schreibens weiter erforscht
werden107, worauf in dieser Arbeit nur verwiesen werden kann. Mögliche Fragestellungen
könnten hierbei sein:
• Wie können non-lineare bildliche Elemente in die Textproduktion kreativer und literarischer
Texte einbegriffen werden?
• Inwieweit können durch das Einbeziehen von Bildern aufgrund deren möglicher
Mehrdimensionalität, Reduktion oder Konkretisierung individueller Zugänge zu Kreativität
geschaffen werden?
• Wie lassen sich schreibprozessimmanente Perspektivenwechsel zwischen Autor, der
gleichzeitig Produzent und erster Rezipient seines eigenen Schreibens ist, und den Leser durch
106 Vgl. auch Große, Franziska (2011): Bild-Linguistik. Frankfurt/Main. oder Diekmannshenke/Klemm/Stöckl (2011):
Bildlinguistik. Theorien - Methoden - Fallbeispiele. Berlin. 107 Publikationen zum Gestalten von Texten im Sinne einer sprachlichen Handlung aufgrund von Stilistik und Ästhetik (Fix 1996,
318) finden sich in der Literatur nur vereinzelt, beispielsweise bei Abraham (1996) und Fix (1996)
114
ein stärkeres Bewusstsein über die Bedeutung von Bildern und Bildlichkeit in Texten
verwirklichen?
• Was fördert ein interdisziplinäres Verständnis zu Text- und Bildproduktionen?
• Wie lässt sich ein schöpferischer Umgang mit Text-Bild-Hybriden im ästhetischen Feld
realisieren?
• Wie lassen sich tieferes literarisches und poetisches Verstehen durch rezeptive
Auseinandersetzungen mit Text-Bild-Relationen bei der eigenen Textproduktion sichtbar
machen?
115
2.3.3 Reflexion und fortgeschrittenes Kreatives Schreiben als akademische
Praxis
Das Wesen des Denkens besteht im Reflektieren, d.h. im Unterscheiden des Denkenden von dem Gedachten.[...]Die Sprache beginnt daher unmittelbar und sogleich mit dem ersten Akt der Reflexion, und so wie der Mensch aus der Dumpfheit der Begierde, in welcher das Subjekt das Objekt verschlingt, zum Selbstbewusstsein erwacht, so ist auch das Wort da - gleichsam der erste Anstoß, den sich der Mensch selbst gibt, plötzlich stillzustehen, sich umzusehen und zu orientieren. (Humboldt 2008, S. 11)
2.3.3.1 Reflexion und Kreativität
Nach Ansicht einer modernen Kreativitätsforschung entsteht Kreativität nicht aus dem Nichts,
sondern bedarf des Experimentierens, des Modellierens, des Neuentwerfens und Verwerfens
mit Schrift, Form, Farbe, Licht und Dunkelheit, Noten oder Material (Pommerin-Götze 2011,
2). Diese polarisierende Beschreibung impliziert auf den ersten Blick wenig Reflexion und
Analyse und scheint für alle Personen generell wichtig zu sein. Wird dagegen davon
ausgegangen, dass Studierende aufgrund ihrer kognitiven Entwicklung im Optimalfall
weitreichende Fähigkeiten zum autonomen Lernen ausgebildet haben, sind reflektierende und
analysierende Tätigkeiten unverzichtbar und wünschenswert. An der Hochschule werden von
den Studierenden die Texthandlungen Beschreiben, Protokollieren, Zusammenfassen,
Notieren und Schlussfolgern - um nur einige zu nennen - gefordert, was gleichzeitig Basis
wissenschaftlichen Arbeitens ist. Schreiben ist demzufolge ein essentielles „Darstellungs-,
Reflexions- und Analysewerkzeug“ (Schirmer 2009, 84), das aber gleichzeitig Gedanken,
Texte und somit Daten produziert, welche wiederum Grundlage einer Analyse sein können.
Studierende, sozusagen als „kleine Forscher“, benötigen das Schreiben, und das gilt für
funktionales und kreatives Schreiben gleichermaßen, als reflexive und abstrahierende Praxis,
„um Dinge zu sehen und Gedanken, Standpunkte und Thesen zu entwickeln“ (Schirmer 2009,
84). Ähnlich wie in der bildenden Kunst, ist durch eine Reflexion, die auch in der inneren
Sprache ablaufen kann, die aber wechselseitig auf Denken und Sprache wirkt, literarisches
und fortgeschrittenes Kreatives Schreiben überhaupt erst möglich.
Als Paradebeispiel für diese beiden nur scheinbar unvereinbaren Pole Kreativität und Analyse
wird häufig die Kunst, als Repräsentant für das Freie und Rituelle, und die Wissenschaft, als
Vertreter für Ordnungen und Gesetze, gebraucht. Warum aber gibt es Kompositionen wie die
„Kunst der Wissenschaft“ oder warum heißt Forschung im Englischen re-search, also gar
nicht Forschen oder Entdecken, sondern das Wiedersuchen und Wiederfinden, wenn doch
Entdecktes in Form von Regeln bereits manifestiert und beschrieben worden ist? Die Antwort
116
ist: Weil das Reflexive und das Kreative im gemeinsamen Element des schöpferisches Aktes
sich gegenseitig bedingen. Eine analytische Reflexion untersucht quasi wahrgenommene
Phänomene und Rituale mit dem Ziel der wahrheitsfindenden Erkenntnis. Indem der Mensch
also eine Analyse versprachlicht, ist er kreativ.
Diese Kontinuität der Bemühung schafft eine Ähnlichkeit zwischen Dichter und Wissenschaftler[…]Aus dem hier Gesagten können wir eine Analogie zwischen dem wissenschaftlichen Handeln und dem künstlerischen Prozess feststellen (Knill 1990, 107).
Für Strauss und Corbin, die mit der Grounded Theory eine experimentelle, aber strukturierte
Forschungsmethodik entwickelten, sind sich Wissenschaft und Kunst, aufgrund ihres
gemeinsamen kreativen und schöpferischen Potentials, sehr nah und vereinbaren so ebenfalls
Kreativität und systematische Reflexion (Strauss/ Corbin 1996, 11).
Eine Rationalisierung der Bedingungen, die den kreativen Prozess begünstigen, verhilft
ebenfalls zu positiven Leistungen. Pommerin-Götze wies nach, dass es sich im
wissenschaftlichen Diskurs daher nicht um ein Entweder-Oder, um Kreativität oder
Rationalität und Reflexion handelt, sondern vielmehr um ein Austarieren von kreativer
Produktivität und einem selbstreflexivem Innehalten und Reflektieren (Pommerin-Götze
2011, 3).
2.3.3.2 Selbstreflexion und anthropologische Überlegungen
′Man hält die Feder hin, wie eine Nadel in der Erdbebenwarte, und eigentlich sind nicht wir
es, die schreiben; sondern wir werden geschrieben. Schreiben heißt: sich selber lesen′ (Max
Frisch in Giuriato et.al. 2008, 9)108. Auch wenn heute ein Schreiber eher zum Stift oder
Laptop als zur Feder greift, ist der Schreiber-Leser-Perspektivenwechsel und die gelegentliche
bewusste Versetzung des Schreibers in einen konkreten potentiellen Leser allgegenwärtig und
dennoch äußert schwierig. Doch ist das Selbst beim Kreativen Schreiben die eigene Person
oder eine Metaebene zwischen dem Leser und der eigenen Wahrnehmung?
Die Selbstreflexion kann als eine Menge kognitiver Verarbeitungsprozesse verstanden werden
(Augst 2003, 30). In hohem Maß werden beim Kreativen Schreiben eigene Gedanken, eigene
Meinungen und Verhaltensweisen reflektiert. Dabei werden lebensweltliche Bezüge aufgrund
häufiger biografischer Bezüge und aufgrund der Auseinandersetzung mit dem Eigenen und
dem Fremden deutlich. Für das Verstehen und Schreiben narrativer Texte ist die sogenannte
108 Das Zitat stammt von Max Frisch aus einem seiner Tagebucheinträge zwischen 1946 und 1949 und ist gleichzeitig Teil des
Buchtitels von Giuriato/Stingelin/Zanetti: „Schreiben heißt sich selber lesen. Schreibszenen als Selbstlektüren“ und ist in der Reihe „Zur Genealogie des Schreibens“ erschienen.
117
narrative Intelligenz109 von Relevanz, die eben diese Auseinandersetzung verdeutlicht. Die
narrative Intelligenz ermöglicht die kognitiv und emotional beanspruchende Reflexion eigener
und fremder moralischer Denk- und Verhaltensweisen beim Lesen, durch die der Leser die
Wahrscheinlichkeit einschätzen kann, inwieweit der vorliegende fiktionale Text und dessen
Inhalt als real und logisch zu begreifen wären. Das heißt, dass selbst in einem narrativen oder
fiktionalen Text, etwa die Konstellationen der Figuren zueinander, die Handlungsabfolgen
und die Konsequenzen für die Protagonisten glaubhaft erscheinen müssen. Bei Formen des
Kreativen Schreibens wiederum muss diese Konstruktion wahrscheinlich-möglicher
Handlungsabfolgen in einem narrativen Text vom Schreibenden erst erzeugt werden, während
sie beim Lesen nur nachvollzogen werden muss. Der emotionale Zugang zu kreativen Texten
und die Reflexion, beispielsweise über Moral oder Werte, kommen häufig daher zustande,
weil beim Kreativen Schreiben oft authentische, aber persönlich-intime und (auto-)
biographische Quellen genutzt werden (Glindemann 2001, 49f.), etwa beim Artikulieren von
Wünschen, Ängsten, Träumen und Gefühlen ober beim Erzählen besonderer Erlebnisse und
Eindrücke. Nach Freud110, und übertragen auf das fortgeschrittene Kreative Schreiben,
gelangt Unterdrücktes durch Assoziieren und Phantasieren in Form von Verdichtungen,
Verschiebungen und Symbolisierungen an die Oberfläche des schreibenden Individuums, was
durchaus therapeutische Affekte haben kann (Spinner 1993, 18f.).
Die eigenen Handlungen und Arbeitsprodukte zu reflektieren, insbesondere um der
Schwachstellen im Schaffensprozess und der selbst erstellten Texte und Bilder bewusst zu
werden, ist selbst noch für Studierende keinesfalls einfach und emotional teilweise äußert
problematisch. Eine selbstkritische Perspektive einzunehmen, sehr wohl mit dem Ziel einer
Optimierung von Prozessen und einer Verbesserung der verfassten Texte, bedarf eines
Lernprozesses und ist, ähnlich wie die Entwicklung schriftsprachlicher Fertigkeiten, an den
kognitiven Entwicklungsstand der Lernenden gebunden. An der Universität, je nach Grad der
Abstraktions- und Reflexionsfähigkeit der Studierenden, wird ein in diesem Sinne handelndes
Vorbild für diese metakognitiven Auseinandersetzungen mit der eigenen Person benötigt (z.B.
Professor/Dozent/Schreibdidaktiker, Autor), um letztendlich eine Kompetenzsteigerung und
′eine emotionale Beeinflussung des Wertesystems der Lernenden′ zu erreichen (Cohors-
109 Der von Lothar Bredella verwendete Begriff „narrative Intelligenz“, z.B. in seiner Publikation „Narratives und Interkulturelles
Verstehen: Zur Entwicklung von Empathie-, Urteils- und Kooperationsfähigkeit“ geht ursprünglich auf Paul Ricoeur zurück. 110 Spinner bezieht sich auf Freuds Aufsatz Der Dichter und das Phantasieren von 1908 und interpretiert vor allem die
Beziehung zwischen Traum und Tagtraum, bei der Wünsche, Ängste, Verdrängtes und Unbewusstes durch die aktive Integration in das Bewusstsein zum Tragen kommen. Vor allem Verfahren wie der Phantasiereise oder der Versetzung schreibt er große tiefenpsychologische Bedeutung zu.
118
Fresenborg 2012, 146). Der Gefahr des einseitigen Abwertens des Selbstwertgefühls und der
Persönlichkeit wird so entgegengewirkt. Dieser Sachverhalt des Aushaltens gilt nicht nur,
weil es beim (Kreativen) Schreiben um persönliche Themen und Erfahrungen geht, sondern
auch im Hinblick auf den Austausch mit anderen und möglicher Kritik gegenüber dem
entstandenen Text oder eventueller Illustrationen. Reflexiv heißt hier keineswegs alleinig
Selbstbeobachtung in Form einer Bilanzierung der individuellen Leistungen, um einer
optimierten Selbstoptimierung und Selbstvermarktung gerecht zu werden. Vielmehr geht es
um das Anwenden des Denkens auf sich selbst, um das ′Eingedenken des eigenen
Gewordenseins′ und der ′Konversion der sozialen und ökonomischen Bedingungen′, in denen
sich die Lernenden befinden (Meyer et. al. 2011, 23).
Eine Erforschung dieser reflektierenden Art des Schreibens muss, noch zudem unter kreativen
und ästhetischen Gesichtspunkten, eine zweifelnde und hinterfragende Auseinandersetzung
mit dem Normativen und Selbstverständlichen beinhalten. Im Fokus stünden damit der
Schreiber und seine Beziehung zu Gegenständen, Situationen, tradierten Schreibnormen und
Verhaltensweisen zu anderen und nicht zuletzt zu sich selbst. Hierbei wird erneut deutlich,
wie vielfältig sich die intra- und interpersonellen Perspektiven des Schreibenden darstellen,
die es zu reflektieren gilt. Dieses In-Beziehung-Setzen, inklusive des Wechselspiels zwischen
phantasievoll-assoziativem Denken und dem reflexiv-analytischen, ist anspruchsvoll und
schreibmotivierend zugleich, was sich beispielsweise in der beliebten Praxis des
Tagebuchschreibens vieler Studierender111 widerspiegelt.
Die heuristisch-anthropologische Perspektive auf das Schreiben, insbesondere für Vertreter
der Reformpädagogik, wie beispielsweise Paul-Georg Münch112 oder Heinrich
Scharrelmann113, oder später im Bereich des freien Schreibens, hat beim Kreativen Schreiben
eine hohe Gewichtung. In Konzeptbeschreibungen US-amerikanischer Schreibdidaktiker ‒
und später auch deutscher ‒ wird die Bedeutung dieses persönlichkeitsfördernden Aspekts
beim Kreativen Schreiben immer wieder betont114. Anders als in Deutschland wird das
Kreative Schreiben in anglo-amerikanischen Schreibseminaren auch als therapeutische
Maßnahme angewandt, was in Deutschland nur sehr vereinzelt anzutreffen ist. Die
111 vgl. schriftliche Befragung im empirischen Teil 112 Paul Georg Münch (1871-1951), Pädagoge, Gymnasiallehrer und Kunsterzieher, Mundartdichter und Lehrerausbilder war ein
Vordenker der frühen Moderne („Inkubationszeit der Moderne“) auf dessen Annahmen unter anderem die Heuristik aufbaute. siehe auch https://renaissancen.unibas.ch/berichte-brk/bericht-32.-brk/index.html (zuletzt aufgerufen am 10.11.2014)
113 Heinrich Scharrelmann (1871-1940 ) war davon überzeugt, dass Lernen im heuristischen Sinn durch das zur-Verfügungstellen und Einfordern von Anschauungen, Beobachtungen und Eigenaktivitäten am besten möglich ist
114 vgl. hierzu u.a. Pommerin-Götze 2011, 2007, 1996, Spinner 2004, 2001, 1993, Abraham 1996
119
Amerikanerinnen Katz und Thomas sehen vor allem bei der produktiven Lyrikarbeit großes
Potential, sich mit dem „Eigenen“ und dem „Fremden“, also größtenteils mit emotionalen und
affektiven Zugängen zur „eigenen“ Realität reflexiv auseinanderzusetzen.
At some point, however, it becomes important for students to see their poems as reflections of themselves. They need to understand that what they say in their poems is the mirror image of who they are and how they feel about themselves and the world around them. (Katz und Thomas 1992, 152)
Eine reflexive Praxis beim Kreativen Schreiben kann somit als eine Art tiefgründigeres
Denken im Sinne eines autonomen Lernens verstanden werden, das eine Stabilisierung und
Fortentwicklung des Selbst durch eigenes Handeln und Formulieren von Texten und Ideen zur
Folge hat.
2.3.3.3 Reflexion des Textprodukts und des Schreibprozesses
Entgegen einer das persönliche Ich fokussierenden Reflexion ist der Fokus auf den
Schreibprozess zu verstehen, der letztendlich das Ziel eines qualitativ hochwertigen und den
Schreiber zufriedenstellenden Textprodukts verfolgt. Reflexion ist dabei das Nachdenken
über den Text und die damit verbundenen Schreibaktivitäten. Reflektiert werden können
sämtliche Dimensionen von Textqualität. Dies beinhaltet die inhaltliche Gestaltung, den
Textaufbau, Formulierungen bis hin zur Ebene der Grammatik, die Lexik, die Orthographie,
die äußere Form und die für das Kreative Schreiben besonders wichtige Semantik und
Lyrik/Stilistik. Es handelt sich bei der Reflexion im Gegensatz zum Nachlesen oder zu
Vorformulierungen um eine metasprachliche Aktivität und um ein „Sprechen“ über den Text
(Rau 1988, 211). Was aber ermöglicht diese Reflexion, was benötigt sie? Ist der Schreiber in
der Lage, sich beim Schreiben selbst zu beobachten und wodurch kann er letztendlich die
Bedingungen für erfolgreiches Schreiben für sich selbst reflektieren?
Die Selbstbeobachtung und das Verschieben und Verschwimmen von Wahrnehmungsebenen
werden in der studentischen Arbeit Die automatische Hand offensichtlich115, indem eine
Studentin durch das surrealistische Schreibverfahren Écriture automatique einen Text über
den eigenen Schreibprozess schreibt. Sie versetzt sich dabei teilweise in ihre Hand, die sie
gleichzeitig personifiziert, indem dieses Körperteil über Gefühle, Eindrücke und Schmerzen
„spricht“. Auf der Ebene des Textprodukts und dessen Analyse spricht Feilke von
metatextuellen Kompetenzen des Schreibenden und Lesenden, die Möglichkeiten zu kennen,
Inhalte, aber auch „kommunikative, grammatische und ästhetische Arten der Darstellung“ zu
115 vgl. Empirischer Teil, insbesondere Hauptuntersuchung I, Einsatz der Messinstrumente EGL und TOA, Auswertung
120
fokussieren. Dies ist die Voraussetzung, um über Texte fachlich sprechen zu können
(Feilke/Köster/Steinmetz 2012, 9).
Die psychoanalytische Rationalisierung des eigenen ästhetischen Ausdrucks beim Schreiben
steht dann eventuell einem lebendigen, divergenten und spielerischem Umgang mit Sprache
entgegen, obwohl diese die Kreativität beim Schreiben eigentlich steigern soll. Die
Abgrenzungen und vor allem die gegenseitig voneinander abhängenden Objekt- und
Metaebenen, wie Fremd- und Selbstbeobachtung, sind jedenfalls kaum begrifflich
voneinander zu trennen (Guirato, Stinglein, Zanetti 2008, 10). Ist eine kontinuierliche
Schreibpraxis vorausgesetzt, erscheint es im (auto-) didaktischen Kontext als unverzichtbar,
sich des eigenen Schreibtyps und der begünstigenden Bedingungsfaktoren bewusst zu werden.
Sei es die eigene Subjektivität, das Schreibgerät, das Reisen, inklusive dem Begegnen fremder
Menschen, seien es Themen, bestimmte Uhrzeiten oder einzelne Schreibverfahren und
Praktiken, alle diese Determinanten werden, wenn der Schreibende sie reflektiert hat und in
der Lage ist, auf sie einzuwirken bzw. zu verändern, die eigene Schreibkompetenz verbessern.
Werder et al. schlagen die sogenannte PEACE-Formel vor, sprechen dabei aber von
„Störungen im Schreibprozess“ (Werder 2007, 44). Für einen therapeutischen Ansatz ist das
zwar nachvollziehbar, jedoch sind das Erlernen von Schreib- und Reflexionsfertigkeiten
keinesfalls primär Medien, um eine Störung zu beheben, sondern eher als dynamische
Entwicklungen zu verstehen, die je nach Input und Voraussetzungen des Schreibers
unterschiedlich verlaufen und entsprechend gefördert werden können. Dennoch ist das
„PEACE“-Modell für den Schreibenden hilfreich, um analytisch und zielgerichtet den eigenen
kreativen Schreibprozess wahrzunehmen und in seine Einzelteile zu zerlegen. Bei dem
Ansatz, der von den Autoren als „Schreiben-als-Problem-Lösen“ verstanden wird, steht P für
das Benennen des Problems, E für das Herstellen von Empathie, A für die Analyse des
Problems, C für Coaching und wiederum E für Evaluation des Erfolges. Als Akchrostichon
entsteht somit folgendes Text-Bild:
Problem benennen
Empathie herstellen
Analyse des Problems
Coaching
Evaluation des Erfolges (Werder et al. 2001, 33 und 151ff.)
Reflexionen können vor, während und nach dem (kreativen) Schreibprozess stattfinden und
begleiten besonders die Schreibpausen. Sie sind nicht Medium-gebunden, können mündlich,
121
schriftlich (extraliteral) und nichtsprachlich (extralingual), z.B. in Form von Gefühlen oder
Bewegungen zum Ausdruck gebracht werden (Ortner 2000, 287).
Vor allem für fortgeschrittene Schreiber, deren Vorerfahrungen und Fertigkeiten meist
vielfältiger und komplexer sind, ist das Wahrnehmen, Analysieren und Beurteilen vor dem
Hintergrund des Erfolgs oder Misserfolgs bei der Textproduktion zentral wichtig. Erst im
Anschluss kann der Schreibende, wie es Steinig fordert, das flexible Ineinandergreifen der
Teilprozesse beim Planen, Formulieren und Überarbeiten als ganzheitlichen Prozess üben.
(Steinig und Huneke 2011, 134)
Im Mittelpunkt des Interesses steht nicht das fertige Werk, sondern dessen Anfertigung. Deshalb erscheint der Text auch nicht als etwas Geschlossenes, sondern als Prozess, der in Teilprozesse, also in Abfolgen, Serien, Überschneidungen, Parallelhandlungen, Kooperationen und Koordinationen, Phasen der Planung, der Dynamisierung oder Verlangsamung, des Wartens und des Handelns, des Konstruierens, Rekonstruierens und Dekonstruierens aufgelöst werden kann (Porombka 2006, 81).
Wie bereits erwähnt, ist nach Vygotskij das Schreiben als monologische Sprachform
besonders gut für Reflexionen geeignet. Dabei verweist er auf den Begriff der „inneren
Sprache“, welche beim Kreativen Schreiben zusätzlich durch emotionale Einflüsse (bspw.
durch das Über-Ichs und das Es (verdrängte Gefühle, Erinnerungen, Träume, Widerstand,
Zensur, u.a.116) Gedanken für den Text und über sich als Schreibenden generiert.
Die innere Sprache ist in beträchtlichem Maße ein Denken mit reinen Bedeutungen. Sie ist dynamisch, inkonstant und fluktuierend und erscheint zwischen den geformten und stabileren extremen Polen des sprachlichen Denkens - zwischen dem Wort und dem Gedanken (Vygotskij 1971, 350).
Wichtig in diesem Zusammenhang ist aber die von Ingendahl aufgegriffene heuristische
Funktion, durch das Schreiben zu eigenen Erkenntnissen zu gelangen, sich selbst und seine
Umgebung zum Gegenstand des Nachdenkens zu machen und somit die personale
Entwicklung von Lernenden zu fördern. Weiterhin kann hier auf die epistemische Funktion
oder das epistemische Schreiben selbst hingewiesen werden, so wie es beispielsweise Bräuer
als Explizieren von Handlungsweisen versteht (Bräuer 2000: Schreiben als reflexive Praxis).
Pommerin-Götze geht davon aus, dass sich kreativer Sprachgebrauch und eine analytische
Sprachbetrachtung in Form von Reflexion sogar gegenseitig positiv bedingen und keinesfalls
als bipolare Extrema zu verstehen sind.
In Lebensräumen außerhalb von Schule und Universität oder anderen Bildungsinstitutionen, in denen Sprache institutionell gelernt wird, also in Situationen des sog. Ernstfalls, gehen wir selbstverständlich davon aus, dass es keine Trennung gibt zwischen kommunikativen
116 nähere Ausführungen zu emotionalen Einflüssen auf den Schreibprozess beim Kreativen Schreiben siehe Werder 2007, S.
36-42)
122
Handlungen und Reflexion, die dieses Handeln begleitet, plant und auch evaluiert. Einsichten über sprachliche Gesetzmäßigkeiten und Regeln des Sprachgebrauchs dagegen, die zu einem explizitem Wissen über Sprache führen (können) und schließlich zu einer Systematik, gehen dagegen über das alltägliche Interesse an funktionierender Kommunikation hinaus und sichern Experten-Wissen[...]Der kreative Umgang mit Sprache ist also nicht die Kür, wenn die Pflichtübung hier: die Kenntnis grundlegender grammatikalischer Strukturen und ein sog. Grundwortschatz, erfolgreich absolviert ist. Der produktive Umgang mit Literatur etwa außerhalb von Schule, Theateraufführungen, Lesungen und Kabarett ebenso wie guter Journalismus bieten eine Fülle gelungener Synthesen jener vermeintlicher Polaritäten (Pommerin-Götze 2007, 275).
2.3.3.4 Didaktische Perspektive auf Reflexion beim Kreativen Schreiben
Studierender
In Sprachlernkontexten sind im Sinne der language awareness oder einer sprachkontrastiven
Grammatik mögliche nachhaltige Lerneffekte durch das Ausbilden metakognitiven Wissens
zu erwarten. Teilweise wird der Einfluss von Metakognition in Relation zur Intelligenz von
Lernenden sogar als größer eingeschätzt117, was auf das enorme Potential von
metakognitivem Wissen verweist. Dennoch wird in Lehr-Lernsituationen häufig zu selten der
Fokus auf Metakognition und somit auch auf reflexive Tätigkeiten gelegt. Wie aber kann nun
eine Reflexion gelingen, die den möglichst flüssig verlaufenden Schreib- oder
Gestaltungsprozess nicht behindert und dennoch Kreativität zulässt?
Pommerin-Götze empfiehlt eine Reflexion des Schreibprodukts und des Schreibprozesses
inklusive seiner Bedingungen und der Befindlichkeiten des Schreibenden aus der
Retrospektive, da das Einnehmen einer gleichzeitigen introspektivischen Perspektive während
des Schreibens häufig als störend empfunden wird und daher als dekonstruktiv einzuschätzen
ist (Pommerin-Götze/Behning 2011, 5). Für eine retrospektivische Reflexion Studierender ist
ein sogenannter Monitor bedeutsam, der sich als metakognitive Instanz zwischen der inneren
Sprache und einer kontrollierenden kritischen Instanz bewegt und der die Reflexion
maßgeblich unterstützt.
In der Schreibforschung treffen wir zunehmend häufig auf den Begriff des Monitors. Darunter ist eine innere, kritische Instanz des Individuums zu verstehen, die wie ein Filter sortiert, aufnimmt, sortiert, auswählt, Entscheidungen trifft und dies mit zunehmendem Alter und entsprechend wachsender Sprachhandlungskompetenz immer sicherer und schneller. (Pommerin-Götze/Behning, 2011, S. 4).
Dieser Monitor ist keinesfalls bei den Studierenden als bereits entwickelt anzusehen, sondern
muss, ebenso wie die Reflexion insgesamt, als Teilkomponente metakognitiver Fähigkeiten
entwickelt und nutzbar gemacht werden. Obwohl metakognitive Aktivitäten, zu denen die
Reflexion des eigenen Textes und Schreibprozesses inklusive des Monitorings zählen, häufig
117 vgl. Veenman 2004 und 2006
123
in einzelnen Disziplinen distinkt untersucht wurden, sind sie als ′intellektueller Kern′
disziplinübergreifend gültig (Cohors-Fresenborg 2012, 146).
Unterstützend zur Entwicklung eines sensiblen Monitors ist das Führen eines sogenannten
Logbuchs (Posner et.al. 2010), in dem konkrete Einflussfaktoren auf den Schreibprozess,
beispielsweise Aufgabenstellung, Schreibsituation, Zeitdauer, emotionale Befindlichkeiten,
Schreibmaterialien, Eindrücke und Flow-Momente beim Schreiben, schriftlich notiert werden,
um daran aufbauend zu einem späteren Zeitpunkt Reflexionen anschließen und vertiefen zu
können. Reflexion enthält im Optimalfall ein Monitoring, welches entweder vorausgeht oder
simultan verschränkt abläuft. Reflexion unterscheidet sich qualitativ von einem
kontrollartigen Monitorings und richtet sich stärker interpretativ auf Denkprozesse über
Handlungen, Zielvorstellungen, Wirkungen, Habitus und des beschrittenen Lösungswegs118.
Während Monitoring eher im Verlauf des Problemlöseprozesses praktiziert wird, ist davon eine geistige Tätigkeit zu unterscheiden, die auf (Zwischen-)Ergebnissen aufsetzt. Diese wird Reflexion genannt (Cohors-Fresenborg 2012, S. 147).
Die Verwendung des Monitoring soll auf mögliche Techniken und Strategien hinweisen, die
im Optimalfall bei wiederholter Anwendung von den Lernenden verinnerlicht und bei
weiterer Textarbeit selbstständig angewendet werden. Um konkret zu erfassen, welche
Tätigkeiten durch ein Monitoring und welche durch eine weiterführende Reflexion realisiert
werden können, bestimmt Cohors-Fresenborg in seinen Untersuchungen zu metakognitiven
und diskursiven Aktivitäten acht Unterkategorien für das Monitoring (M) und sieben
Unterkategorien für die Reflexion (R) (Cohors-Fresenborg 2012, 148).
M1 Kontrolle einer spezifischen Tätigkeit R1 Strukturanalyse einer spezifischen Darstellung
M2 Kontrolle der verwendeten Lexik R2 Reflexion der Lexik (Analogien/ Metapher)
M3 Kontrolle der Syntax R3 Explikation des Ergebnisses der Reflexion
M4 Kontrolle der Auswahl und Relevanz angewandter Methoden
R4 Wirkungsweise der verwendeten Methoden
M5 Kontrolle von Kohäsion und Kohärenz R5 Analyse von Textstruktur und Kohärenz
M6 Kontrolle der Passung von Textprodukt und Aufgabenstellung
R6 Reflektierende Einschätzung/Evaluation
118 Das Lösen eines Schreibvorhabens wird häufig auch als Problembasiertes Lernen (PBL) verstanden, dessen Vertreter es als
eine der größten Reformen der internationalen Bildungslandschaft betrachten. Metakognitive und reflexive Aktivitäten machen das Ziel von mehr Nachhaltigkeit durch den bewussten Einsatz von Strategien deutlich (vgl. Boud et al. 1993, Boud/Feletti 1999, Zumbach 2003). Das Konzept lässt sich auf viele Lehr-Lernbereiche adaptieren und eignet sich sowohl in der Lehrerausbildung, (vgl. Bischoff 2007) als auch in der Gestaltungsausbildung (vgl. Aregger 2007)
124
M7 Fehlvorstellungen aufdecken R7 Zusammenspiel von Inhalt und bildlicher Textgestaltung überdenken
M8 Selbstüberwachung
Tabelle 1 Gegenüberstellung von Unterkategorien eines von Cohors-Fresenborg vorgeschlagenen
Konzepts zur metakognitiven Auseinandersetzung (Cohors-Fresenborg 2012, 148f.). 119
Beim (kreativen) Schreiben an der Hochschule, geht es beim Monitoring um die Kontrolle
verschiedener Aspekte auf Produkt- und Prozessebene sowie um eine Kontrolle der
metakognitiven Aktivitäten selbst. Bei der Reflexion geht es zudem um Einschätzungen und
Interpretationen über Art und Weise der Darstellung oder um Wirkungsabsichten gegenüber
möglicher Rezipienten (Cohors-Fresenborg 2012, 148). Die Reflexion des eigenen
Schreibtyps ist von besonderer Bedeutung, um sich individuell stimulierende bzw. hemmende
Bedingungsfaktoren im Hinblick auf tradierte Verhaltensmuster beim Schreiben bewusst zu
machen. Für die Untersuchung und die Entwicklung von sogenannten „Writer Models“ ließen
Wyllie und Chandler Studierende während und nach der Textproduktion acht Fragen
beantworten und die Antworten auf einer fünfstufigen Skala (always; usally; sometimes;
rarely; never) gewichten. Ziel dieser Untersuchung war die Evaluation und Explikation von
Schreibschwierigkeiten britischer Studierender (Chandler 1995):
1. Does writing help you to organize your thoughts? 2. Do you correct slips as you write? 3. Do you complete a draft at the first attempt? 4. Do you start with the easiest part? 5. Do you find the screen restrictive? 6. Do you consciously use writing strategies? 7. How much do you revise your text at the end of writing? 8. How much do you plan at the beginning?120
Wie bereits erwähnt, passen geübte Schreiber ihr Schreibverhalten den Schreibaufgaben, den
angestrebten Textsorten und den ausgewählten Schreibverfahren an, wobei dennoch eine
Grundtendenz zu einem Schreibtyp bleibt. Die Auswahl geeigneter Strategien bei der
schriftlichen Textproduktion spielt daher eine wesentliche Rolle. “Zu reflektieren, welchem
Schreibtypus sie angehören, ist also deshalb wichtig, weil sie dann flexibler mit diesen
Strategien umgehen können“ (Kruse 2010, 158).
119 Das ursprünglich für das Fach Mathematik entwickelte Modell wurde bereits in geisteswissenschaftlichen Fächern erfolgreich
ausprobiert. Für die hiesige Darstellung wurde es für die Disziplin des Schreibens vom Autor dieser Arbeit angepasst. 120 http://www.eee.bham.ac.uk/bull/papers-pdf/um99-scrawl.pdf (aufgerufen am 10.05.2014)
125
Allerdings muss berücksichtigt werden, wann und in welchem Maß eine Reflexion sinnvoll
ist, damit sie ihr Ziel des optimalen Nutzbarmachens des kreativen Potentials beim Schreiben
nicht konterkariert und durch ständige Unterbrechung der Schreibaktivitäten die kreative
Leistungsfähigkeit letztendlich eher hemmt anstatt fördert. Aus dieser Problematik lassen sich
drei prinzipielle Fragen herleiten:
Zu welchen Zeitpunkten ist eine Reflexion beim Schreiben sinnvoll?
(Wie) Sollte eine Reflexion angeleitet und begleitet werden?
Was bewirkt Reflexion beim Schreiben bzw. beim Schreibenden?
Ziel einer Reflexion der eigenen kreativen Schreibaktivitäten ist ein detaillierter Einblick in
Prozesse, die einerseits routiniert erscheinen und andererseits Vermeidungsstrategien,
Blockaden und Stress hervorrufen. Den Grundgedanken eines tiefgreifenden Lernprozesses
durch reflexives Schreiben121 möchte ich an dieser Stelle aufnehmen und gleichzeitig
gegenüber dem folgend erläuterten Konzept zur Reflexion beim fortgeschrittenen Kreativen
Schreiben deutlich abgrenzen. Erfahrungen haben gezeigt, dass Reflexion, als meta-kognitive
Aktivität, große Anforderungen an Lernende, oft sogar eine Überforderung darstellt.
Reflexion über das Schreiben muss daher erlernt und eingeübt werden. Somit kommt der
schrittweisen Hinführung zur reflexiven Arbeit ein besonders hoher Stellenwert zu. Die
Unterteilung der Reflexionsorganisation über vier Ebenen, vom privaten bis zum öffentlichen
Diskurs, wie Bräuer es benennt (Bräuer 2014, 29), reicht dazu nicht aus.
Es ist daher ratsam, für eine Reflexion zu sensibilisieren, da häufig davon ausgegangen
werden muss, dass sich Lernende der Vielfalt der Einflussfaktoren auf das Schreiben und
Gestalten nicht bewusst sind. Hierzu bietet es sich an, zielgruppenadäquate Fragebögen
einzusetzen. Zum einen findet so eine erste Auseinandersetzung der Lernenden mit den
eigenen Erfahrungen beim (Kreativen) Schreiben und Gestalten und damit ein
Bewusstwerden dieser Erfahrungen und Erkenntnisse statt. Bei einem detailliert angelegten
Fragebogen können so individuelle Verhaltensweisen, Motive und Gewohnheiten, Vorlieben
für Arbeitstechniken, Medien und Materialien, das Erinnern und Benennen von
Erfolgserlebnissen und Misserfolgen oder von Ängsten und Blockaden sichtbar werden. Zum
anderen verschafft es der Lehrkraft bzw. dem Dozent Einblick in die Schreib- oder
Lernbiographie jedes Einzelnen, was eine angemessene individuelle Schreib- und
Gestaltungsförderung unterstützen kann.
121 vgl. auch Bräuer 2006, 2009 und 2014
126
2.3.3.5 Mündliche vs. schriftliche Reflexion
Während das schriftliche Reflektieren eine eher einsame Tätigkeit ist, bei der sich der
Schreibende Zeit für eine fundierte Auseinandersetzung mit seinem Text und dessen
Entstehungsprozess nimmt, profitiert die verbal-mündliche Auseinandersetzung, etwa durch
den kommunikativen Effekt in einem Workshop, von der Erprobung der Texte und deren
Wirkungen in einer Studierendengruppe. Nach einer Sensibilisierungsphase, die sowohl
mündlich wie auch schriftlich (z.B. Monitoring, Fragebogen) erfolgen kann, wird zur
Reflexion von selbst geschriebenen Texten und Bildern übergegangen. Als Texte und Bilder
gelten in diesem Zusammenhang insbesondere Cluster, Mind-Maps, verschriftlichte oder
visualisierte Brainstorming, Organigramme, Zeichnungen oder Illustrationen, weil sie zentrale
Bestandteile der Planungsphase und somit des ersten Entwurfes sind oder weil sie Textinhalte
ergänzen, ausdifferenzieren oder in non-linearer Weise widerspiegeln. Kurze kreative Texte,
wie Elfchen, Akchrostichen, visuell-poetische Texte, Wachsgedichte und andere literarische
Kleinformen, eignen sich zum ersten Anwenden eines Monitoring oder zum Erlernen des
Reflektierens über einen selbst verfassten kreativen Text besonders, da zum einen die
Zeitabstände zwischen Ideenfindung, Realisierung und Reflexion relativ kurz sind und zum
anderen die Reflexionen aufgrund der „Einfachheit“ der Texte weniger komplex sind.
Dennoch laufen bei der Produktion kurzer Texte verschiedene Prozesse in verschiedenen
Phasen ab, die es zu reflektieren gilt. Bei Reflexionsun- oder Wenigerfahrenen ist eine
moderierte Reflexion gemeinsam mit der Lehrkraft bzw. dem Dozenten bei gleichzeitiger
Präsentation der Texte von Vorteil. Generell fällt es vielen Lernenden leichter, über ihren
Schreibprozess und die darin enthaltenen Themen zu sprechen als zu schreiben
(Werder/Schulte-Steinicke/Schulte 2001, 36f.). In einer kommunikativen Atmosphäre können
Lehrkräfte und Lernende Fragen zu vorliegenden Texten und Bildern mündlich stellen und
sich so einer komplexeren und später schriftlichen Reflexion annähern. Diese können zum
Teil sogar in der Alltagssprache oder in einer Peergroup-Sprachvarietät abgegeben werden,
was einen konstruktiven Umgang mit Kritik fördert. Dabei können und sollten sowohl Stärken
als auch Schwächen im Text angesprochen werden. Diese Vorgehensweise hat große
Ähnlichkeiten mit dem Vorgehen universitärer Workshops zum Creative Writing in
Großbritannien und den USA (Glindemann 2001, 84). Da im bildungsinstitutionellen Rahmen
häufig Schreibaufgaben in einer Gruppe simultan bearbeitet werden, bietet sich in einer
freiwilligen Präsentationsrunde die Besprechung der Aufgabenstellung(en) und einzelner
127
individueller Realisierungen an. Zur Unterstützung der Reflexion empfehlen Steinig und
Huneke folgende Fragen an den Text bzw. an den Autor122:
• Wie wirkt mein Text?
• Welche Stimmung, welche Haltung oder welche Gedanken hat er ausgelöst?
• Was ging dem Leser besonders nahe?
• Was hat überzeugt, was nicht so richtig?
• Welche Formulierung sind besonders gut gelungen, welche eher nicht?
• Was klang eigenartig?
• An welcher Stelle sollte was verändert werden?
Für Kruse ist „darüber reden“123 sogar essentiell: „Nichts entwickelt sich, wenn man nicht
darüber redet. Kollaboratives Schreiben ist wichtig, um das Schreiben als Form der
Kommunikation verstehen zu lernen und um über eigene Texte reden zu lernen“ (Kruse 2010,
161). Er ist überzeugt, dass das Geben und Nehmen von Feedback die wichtigste
Voraussetzung für den Lernprozess beim Schreiben ist. Dabei ist ein Blick aus der Distanz,
aus der Nicht-Schreiber-Perspektive essentiell, um die „Textblindheit“ des Autors zu
überwinden (Kruse 2010, 164).
Eine Reflexion erleichtern kann auch der Einsatz eines Aufnahmemediums (z.B. Diktiergerät,
Handy mit Aufnahmefunktion, Digitalkamera u.v.a.), wobei entweder in einer Art
Selbstgespräch oder im Gespräch mit anderen über den eigenen Text oder den behandelten
Inhalt erzählt werden kann. Ganz im Sinne von Kleists Aufsatz „Über die allmähliche
Verfertigung der Gedanken beim Reden“124 wird das spontane Formulieren bzw. Reden, hier
zur Erkenntnisförderung über den eigenen Schreibprozess inklusive des Inhalts, eingesetzt.
Diese aufgezeichneten Gespräche können die Grundlage für eine anschließende
Textproduktion oder für den Austausch mit anderen Personen bilden.
2.3.3.6 Reflexion und Portfolio
Das Portfolio ist keine Erfindung des Deutschunterrichts oder einer individuell verstandenen
Pädagogik. Das Portfolio (oder auch Leistungsmappe) ist eher ein aus der Kunst und
Architektur transferiertes Konzept und bedeutet ursprünglich „tragbare Blätter“. Obwohl die
Leistungsmappe bereits in den 70er Jahren im deutschsprachigen Raum als Alternative zum
Notenzeugnis vorgeschlagen wurde (Winter 2012, 196), hat es breitere Forschungen und
122 Steinig und Huneke verweisen hier auf Bräuer (Bräuer 1998: 122f) 123 gemeint ist hier: Über das Schreiben reden 124 In einem Briefwechsel zwischen Heinrich von Kleist und Rühle von Lilienstern empfiehlt Kleist das eigene Reden über den
Sachverhalt in der Situation des Nicht-Weiterkommens. Kleist war davon überzeugt, dass die zündende Idee beim Sprechen durch den Zwang zur sprachlichen und somit zur gedanklichen Strukturierung entsteht (vgl. Streller 1986, 722f.).
128
Publikationen zum Portfoliokonzept vermehrt erst in den letzten zehn Jahren gegeben125. Es
hat bis heute aber das Zusammentragen und Sammeln einzelner Materialien als
Kerneigenschaft. Eine Definition des Begriffs ist unter anderem bei Häcker zu finden (Häcker
2006, 36)
Ein Portfolio ist eine zielgerichtete Sammlung von Arbeiten, welche die individuellen Bemühungen, Fortschritte und Leistungen der / des Lernenden auf einem oder auf mehreren Gebieten zeigt. Die Sammlung muss die Beteiligung der / des Lernenden an der Auswahl der Inhalte, den Kriterien für die Auswahl, der Festlegung der Beurteilungskriterien sowie Hinweise auf die Selbstreflexion der / des Lernenden einschließen (Häcker 2006, 36).
Gerd Bräuer beschreibt in seinem 2012 erschienen Artikel Deep Learning durch reflexive
Praxis in einer persönlichen Stellungnahme seine Erfahrungen mit der Portfolioarbeit in den
USA und die zunehmende Verbreitung in Deutschland. Er spricht davon, dass so durch das
Aufschreiben Einsichten und Vorstellungen der durchlaufenden Phasen, Orte und Prozesse
beim Schreiben und Erstellen des Portfolios gesichert werden könnten und auch sollten.
Gleichzeitig muss auf die Heterogenität der Ansätze zur Portfolioarbeit in der
wissenschaftlichen Literatur hingewiesen werden, da sie teilweise sehr unterschiedliche Ziele
verfolgen. So kann Portfolioarbeit Aktivitäten, Entwicklungen, Leistungen und Reflexionen
der Lernenden ebenso beinhalten wie Informationen zum Seminar oder Rückmeldungen und
Bewertungen der Lehrenden. Winter unterscheidet je nach Funktion des Portfolios zwischen
den beiden Hauptarten Arbeitsportfolio (Prozessportfolio) und Bewertungsportfolio (Winter
2012, 198). In Anlehnung an Häcker differenziert Winter weitere Typen von
Portfolios/Leistungsmappen aus, die sich hinsichtlich ihrer Dokumentations-, Reflexions- und
Bewertungsziele unterscheiden (nach Winter 2012, 200f):
Vorzeigeportfolio: Auswahl von Arbeiten durch den Lernenden, die der Lernende selbst für
sein Leistungsniveau als besonders vorzeigewürdig einschätzt
Projektportfolio: Dokumentation von meist mehrwöchigen Themen- und Rechercheaktivitäten,
die die individuell erarbeiteten Texte und Materialien zu einem oder wenigen Oberthemen
beinhaltet
Lern-Entwicklungsportfolio: Sichtbarmachen von individuellen Entwicklungen und
Fortschritten, die Grundlage für eine Bewertung sein können
Prüfungsportfolio: Grundlage für eine oder mehrere Prüfungen vor einer Kommission, bei der
der Lernende über einen festgelegten zeitlichen Abschnitt Rechenschaft über seine
Aktivitäten/Arbeiten ablegt
125 vgl. Bräuer 1998, 2000, 2014, Winter 2000; Häcker, 2006, 2007, 2008, 2013; Koch-Priewe et. al. 2013
129
Bewerbungsportfolio: Auswahl von aussagekräftigen Dokumenten durch den
Lernenden/Bewerbenden, um besonderen Anforderungen oder Bedingungen von aufnehmenden
Institutionen bzw. deren Mitarbeitern zu begegnen
Das Portfolio fungiert somit als Brückenschlag zwischen Theorie und Praxis, wenn es neben
den einzelnen Texten und sonstigen bei der Schriftproduktion entstandenen Materialien auch
tiefgreifende Reflexionen über das Textprodukt und den Schreibprozess enthält.
Der Aspekt des Kommunizierens, wie bei Kruse, wird bei der wissenschaftlichen Diskussion
der Portfolioarbeit häufig weggelassen, der aber im schreibdidaktischen Kontext einen
größeren Stellenwert spielen muss. Durch den Austausch und das Kennenlernen individuell
gestalteter Portfolios der Lernenden erfährt der Einzelne verschiedene Inhalte, Gestaltungs-
und Realisierungsformen. Gleichzeitig findet im Bestfall durch das Lesen nicht-eigener
Arbeiten eine Reflexion auf selbst erstellte Portfolio statt, was so eine Rückbesinnung auf
Aufgabenstellung und Schaffensprozesse fördert, welche nicht zuletzt häufig bewertende
Überlegungen oder Einschätzungen nach sich ziehen. Vor allem für das Studium eignen sich
Portfolio häufig aufgrund des permanenten In-Beziehung Setzens von Selbst- und
Fremdbeurteilung und des Abgleichens der Anforderungen im Studium gegenüber den im
zukünftigen Lehrerberuf geforderten Kenntnissen. Die Portfolioarbeit beim fortgeschrittenen
Kreativen Schreiben setzt sich zudem mit eigenen Perspektiven im Verhältnis zu fremden
Perspektiven und deren Wirkungsbedingungen auseinander. Dabei findet eine Verlagerung
von aufsteigenden Verarbeitungsprozessen (bottom-up), die beim universitären Lernen vor
allem beim Verarbeiten von fachlich theoretischen Informationen auftreten, auf stärker
absteigende (top-down) Verarbeitungsprozesse statt (Bräuer 2014, 14), bei dem eigene
Erfahrungen und Sichtweisen stärker zum Tragen kommen.
Portfolioarbeit, bei deren Konzept Reflexion und Prozessorientierung trotz vielfältiger
Portfolioformen im zentralen Erkenntnisinteresse stehen, wird nicht selten von Lehrern und
Dozenten nach dem Ausprobieren des vielversprechenden Ansatzes deshalb verworfen, weil
Strukturvorgaben und Anleitungen zum Reflektieren der eigenen Tätigkeiten fehlen.
Nach Aussage verschiedener Mentoren bleiben Studierende in der Portfolioarbeit oft schon in der ersten Phase – der Dokumentation – stehen: Es wird nur gezeigt, was in einem Lernprozess passiert ist. Auch Wintersteiner weist darauf hin, dass es selten zur Selbstreflexion kommt. Die Aufgabe, den eigenen Lernzuwachs einzuschätzen und zu beurteilen, wird von Studierenden manchmal als Zumutung und unerfüllbar zurückgewiesen (Miscovic 2006, 3).
Häufig kommen Studierende in der Portfolioarbeit über die Dokumentationsphase nicht
hinaus. Sind keine konkreten Hilfestellungen zur reflektierenden Aktivitäten bereitgestellt
130
worden, werden Aufgaben, wie den eigenen Schreibprozess und Lernzuwachs einzuschätzen
und zu beurteilen, von Studierenden als kaum lösbar empfunden und bezeugen Überforderung
bei den Versuchen zu Reflexionsaktivitäten.
Eine Kritik an der Portfolioarbeit zielt maßgeblich auf das Prinzip der Selbstvermarktung ab,
dem sich der Portfolioersteller häufig, jedoch nicht zwangsläufig unterwerfen muss (Häcker
2011, 161ff.). Dabei geht es einerseits um das In-Frage-Stellen des häufigen Präsentierens von
Arbeiten und damit eihergehend der eigenen Person vor Dritten in einer Art Wettbewerb.
Andererseits werden die häufig mangelnde Struktur und die Oberflächigkeit im
Arbeitsverhalten als Kritikpunkte angebracht, wenn Lernende beim Erstellen des Portfolios
nicht engmaschig begleitet werden. Da für die vorliegende Arbeit das Portfolio als
studentisches Arbeitsprodukt und tiefergründige Analysemöglichkeit der Selbstreflexion
verstanden wird, wird die durchaus berechtigte Kritik hier nicht weiter ausgeführt.
131
2.3.4 Exkurs: Überlegungen zur Reformation akademischen Lernens durch
Schreiben
Defizite der universitären (Lehrer-)Bildung
Das Studium an Universitäten, an denen Wissen, Erkenntnisse und Wahrheiten aus
vergangenen Jahren und Jahrhunderten gesammelt sind und kommuniziert werden, ermöglicht
Studierenden ihren Kenntnisstand zu erweitern. Dieser Aspekt ist insbesondere für ein
Studium einzelner gewählter Disziplinen oder Fächer existentiell wichtig, aber nicht
ausreichend. Neben vertieften Kenntnissen in einem oder zwei Fachgebieten benötigt jeder
Studierende bzw. Lehramtsstudent ein ausdifferenziertes Welt- und Wertewissen, einen
Kontext also, in den das erworbene Wissen eingebettet ist. Dieses Wissen, so de Bono, wird
immer als altbekannt vorausgesetzt, ohne den Wert aus mehreren Perspektiven selbst zu
erkennen oder zu hinterfragen (de Bono 2010, 135). Dazu zählt nach der Überzeugung von de
Bono die Gestaltung durch Zusammensetzen von dem, was zur Verfügung steht (de Bono,
2010, 134), inklusive der Prüfung nach seinem Sechs-Werte-Medaillen-Prinzip.
Zusammengefasst soll jeder Studierende in der Lage sein, die Werte einer Sache
herauszufiltern, die das Denken, Verhalten und die Gestaltung leiten, was, wie bereits
dargestellt, durch fortgeschrittenes Kreatives Schreiben mit epistemischem Charakter als
besonders zielführend zu sein scheint. Er unterscheidet dabei sechs Arten von Wert:
menschliche Werte, Werte innerhalb einer Organisation, Qualitätswerte, Innovations- und
Kreativitätswerte, ökologische Werte und Wertewahrnehmung (de Bono 2010, 135f.).
An der Hochschule stehen Innovation, Kreativität, Bildung und Lernen auf einer Makro- und
Mikroebene miteinander in Beziehung. Auf der Makroebene sieht der englische
Sprachpädagoge Padget Kreativität als den Entwicklungsfaktor für gegenwärtige
Bildungsprogramme im nationalen Rahmen. Die Mikroebene dagegen soll Fragen klären, wie
Vorstellungen von Kreativität Einfluss auf die pädagogische Praxis haben können (Padget
2013, 17). Holm-Hadulla betont, dass sich insbesondere Hochschulen zu wenig am
Gleichgewicht zwischen Struktur und Freiheit, Ordnung und Chaos orientieren (Holm-
Hadulla 2011, 186). Seiner Forschung und Erfahrung nach gibt es einen steten Wechsel der
Extreme, und zwar hin zu Überstrukturierung und Überorganisation. Vielmehr müsste es
denjenigen Studierenden, die 40 Stunden Pflichtveranstaltungen besuchen, ermöglicht
werden, Freiräume zum selbstständigen Arbeiten, Denken, Lesen und kreativen
Kommunizieren nutzen zu können. Gleichzeitig sind strukturierte Führungen im Studium für
132
diejenigen sinnvoll, denen das eigenmotivierte selbstständige Arbeiten schwerer fällt (Holm-
Hadulla 2011, 186), zu dem zweifelsfrei das Verfassen von schriftlichen Texten zählt.
Die Fähigkeit zur generellen Ausbildung von Kreativität ermöglicht es den Lehrenden,
inspirierende Erfahrungsräume beim Lernen zu gestalten, um den Lernenden das Erreichen
ihres individuell möglichen Entwicklungspotentials zu ermöglichen. D.h., dass in
Lernkontexten, insbesondere an Hochschulen, so unterrichtet werden sollte, dass am schon
vorhandenen Kreativpotential der Studierenden angeknüpft wird. So erhalten die Lernenden
einen robusten 'problem-solving toolkit', mit dem sie vor dem Hintergrund des lebenslangen
Lernens Anforderungen bestmöglich begegnen können (Best/Thomas 2013, 33). Allerdings
ist damit nicht das Ziel gemeint, auf möglichst jede schriftlich zu bewältige Aufgabenstellung
ein „Strategieset“ oder erlernte Schemata anwenden zu können.
Bedingt durch modularisierte, berufsvorbereitende und verschulte Studiengänge fordern
Studierende häufig, dass ihnen fertige Lösungen vorgestellt werden, die sie dann in der Praxis
‒ möglichst ohne Risiko ‒ anwenden können. Neben der Entsprechung bestimmter Standards
oder schriftsprachlicher Konventionen dürfen das Ausprobieren im eigenen schriftlichen
Ausdruck und das Reiben an eigenen Formulierungen nicht fehlen, auch bei bereits
erfahrenen Schreibern wie Studierenden braucht es diesen Freiraum.
Die Erfahrung, dass ich mich selbst nicht angemessen auszudrücken vermag, birgt mehr Bildungspotential als die Geläufigkeit einer zügigen Aufgabenerledigung nach einem vorgegebenen Schema. Studierende verlangen zunehmend nach solchen Schemata, aus Angst, sie könnten die Anforderungen nicht erfüllen. So wenig wie sie zuhören, sich fremden ‒ vielleicht schwer verständlichen ‒ Worten ausliefern mögen, so wenig wollen sie das Ringen um die eigene Sprache und die eigene Form riskieren, das den Erfolg nie garantiert. Ohne dieses Risiko allerdings ist Schreiben nichts als Bürokram (Mattenklott 2007, 14).
Glindemann stellt in ihrer kontrastiven Analyse des universitären Creative Writing in
England, den USA und Deutschland heraus, dass im Germanistikstudium in Deutschland
konkrete Konstituenten zur erfolgreichen Ausbildung fehlen (vgl. Glindemann 2001, 59):
1. Die Lehrenden sind Theoretiker und keine Praktiker
2. Der Umfang, in dem kreativ und literarisch geschrieben wird, ist zu gering
3. Es erfolgen zu wenige Anbindungen an den professionellen Literaturbetrieb, beispielsweise
durch das Engagieren von Schriftstellern, Verlegern oder Agenten.
4. Die Homogenität der Teilnehmergruppe, die sich selten aus Teilnehmern unterschiedlicher
Fachbereiche generiert.
Bologna und der verkürzte Bildungsbegriff
Die Idee von Bologna gibt es nicht erst seit dem Treffen von Rektoren und Bildungsministern
1999 in einer der ältesten europäischen Universitäten in Italien, an dem die transnationale
hochschulpolitische Erklärung namens „Bologna-Reform“ unterzeichnet wurde. Die
133
grundlegenden Ziele der höheren Mobilität, um innerhalb Europas studieren zu können,
erbrachte Leistungen und Abschlüsse international anerkannt zu bekommen und durch
getätigte Auslandsaufenthalte sich in verschiedenen europäische Sprachen und Kulturen
zurechtzufinden, sind mehr als wünschenswert für die immer interkultureller und mobiler
werdenden Lebensentwürfe von Lehrenden und Studierenden. Gibt man den Begriff Bologna-
Reform heute in die Suchmaschine Google ein, erhält man außer dem Wikipedia-Eintrag und
dem Eigenlob des Bundesministeriums für Bildung und Forschung nur kritische Beiträge, die
der Umsetzung für die deutsche Hochschullandschaft ein desaströses Bild bescheinigen.
Unabhängig vom jeweiligen Leserklientel äußerten sich die Medien zynisch und
schonungslos über das Ergebnis im Kanon: Fast alle angestrebten Ziele seien verfehlt,
Bildungsstandards wären gesenkt worden, Bildung wäre zur Ausbildung verkommen und die
Lage der Studierenden hin zu mehr Mobilität und Flexibilität hätte sich gar verschlechtert.
Die FAZ resümiert 2009, zehn Jahre nach Einführung der Reform, dass Studierenden Neugier,
Erkenntnisinteresse, selbständiges Denken „und alles was höhere Bildung ausmacht“
abhandengekommen sei. An anderer Stelle wird der Reform vorgeworfen, sie sei feindlich
gegenüber Forschung und Lehre und zu sehr auf Geldeinnahme durch Drittmittel und
permanente Evaluation fixiert126. Die europaweiten Studierendenproteste und monatelangen
Besetzungen von Hörsälen und universitären Verwaltungsgebäuden 2009 bestätigen die hohe
Unzufriedenheit mit den Studienbedingungen und der Umsetzung der Bologna Reform. 2014,
15 Jahre nach Einführung und der Möglichkeit der Umsetzung und Korrektur der Reform,
kommen die Süddeutsche Zeitung und der Spiegel zu einem ebenfalls sehr kritischen Fazit.
Sie beklagen die Reduktion von Hochschulbildung auf verlängerte Schulbildung, dass der
Bachelor-Abschluss außerhalb der Universität kaum ernst genommen wird, dass es keinen
Lehrer, keinen Physiker, Ingenieur oder Historiker mit Bachelor-Abschluss geben kann und
dass so viele Bachelorabsolventen in niedrig bezahlten Arbeitsverhältnissen, bis hin zur
gastronomischen Aushilfskraft, nach ihrem Abschluss arbeiten127. Durch die
arbeitsmarktorientierte Ausprägung von Studiengängen kämen kritisches und vernetztes
Denken genauso wie freies Entfalten und Interessensentwicklung deutlich zu kurz. Dem
126 http://www.faz.net/aktuell/politik/bildungspolitik-bologna-idee-und-wirklichkeit-1810561.html (18.06.14) 127 http://www.sueddeutsche.de/bildung/jahre-bologna-reform-akademische-tellerwaescher-1.2004303 (18.06.14)
134
gegenüber steht allerdings die Erwartung der Mehrheit der Studierenden128 an eine stark
berufsvorbereitende Ausbildung und die studentischen Erwartungen an hohe Praxisbezüge129.
Neben der viel diskutierten Ebene, auf der die Bologna-Ansätze formal-strukturell geregelt
sind, sind es aber auch fachdidaktische Elemente, die besonders im Hinblick auf die
universitäre Lehrerbildung fehlen. Schröder fordert daher für eine universitäre Lehrerbildung
eine grundlegende Veränderung, in der innovative Ansätze sowohl unter hermeneutischen als
auch unter empirisch-validierten Gesichtspunkten durchdacht und durchschaut werden
(Schröder 2007, 296). In diesem Zusammenhang fordert er u.a. für die angehenden Lehrkräfte
im universitären Studium „eine bessere sprachpraktische Ausbildung“ mit dem Fokus auf
Kommunikationsfähigkeit, „eine Ausrichtung der sprach- und literaturwissenschaftlichen
Anteile nach fachdidaktischen Kriterien“, „eine Etablierung kultureller Bezüge im
philologischen Studium“, „eine Ausbildung im Bereich der Grundwerte-Erziehung bei
gleichzeitigem Abrücken von billigen Formen einer Fun-Pädagogik und dem „Aufbau einer
alltagsunterrichtlichen Handlungs- und Beratungskompetenz“ (Schröder 2007, 297).
Bezogen auf die Entwicklung fachdidaktischer Kompetenzen Studierender, die den
Forderungen von Schröder gerecht werden, bietet das Lehramtsstudium in einem
modularisierten Studiengang hinsichtlich der Produktion verschiedenartiger Textgenres häufig
sehr wenig Möglichkeiten. Für die meisten Studierenden ist Schreiben an der Hochschule
gekennzeichnet durch unkommunikative Textgenres, die fast ausschließlich von einer Person,
nämlich dem Dozenten, gelesen werden (Kruse 2010, 152). Es sind aber insbesondere
kommunikative Aspekte und die Relevanz des Textes für die eigene Person, die als
Schreibmotivation dienen und letztendlich großen Anteil an der Entwicklung einer
ganzheitlichen Schreibkompetenz haben. Selbstverständlich ist das fachliche Interesse am
gewählten Studiengang für Studierende ebenfalls gewichtig für die Schreibmotivation,
weshalb fachliche und ästhetische schriftsprachliche Produktion beim akademischen
Schreiben koexistent ihren Platz haben sollten. Kruse unterstellt der Hochschule eine
Tatenlosigkeit, um Fehleinschätzungen hinsichtlich der Entwicklung von Schreib- und
Lesekompetenzen zu korrigieren (Kruse 2010, 152). Gerade auch durch die Verkürzung der
Studienzeit nach den Bologna-Reformen bleibt häufig zu wenig Zeit, um sich „kritisch mit
128 so die zitierte Studie des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW) an der sich von 2009-
2012 26.300 Studierende beteiligten 129 http://www.spiegel.de/unispiegel/studium/studie-zu-bachelorstudium-nur-wenig-verbesserungen-a-958000.html (18.06.14)
135
und durch Schreiben auseinander zu setzen“ (Kruse 2010, 156).130 Für Schröder sind nicht nur
die Fachdidaktiken „nicht nur für die Verwirklichung der fachlegitimierenden Zielsetzung
zuständig“, sondern auch für ganzheitliche, fächerübergreifende und fachunabhängige
Zielsetzungen verantwortlich, die sie in Kooperation mit anderen Fächern und den
Erziehungswissenschaften koordinieren müssen (Schröder 2007, 292f.).
2.3.5 Lehrerbildung und Kreatives Schreiben an Schule und Universität
Im Zusammenhang mit Unterricht sprechen wir beim fortgeschrittenenKreativen Schreiben
mit wechselseitigen Bezügen zu Themen aus der Schul- und Alltagswelt, von
fächerübergreifendem Projektunterricht, auf universitärer Ebene hingegen häufiger von
Interdisziplinarität, ′die allerorts eingefordert, aber kaum mehr eingelöst wird′ (Pommerin
1999, 203). Hinzu kommt, dass Lehrkräfte und Dozenten, die selbst nicht kreativ schreiben
(können), nur sehr begrenzt Kreatives Schreiben unterrichten können, wenn Erfahrungen zum
respektvollen Umgang mit der imaginären Kraft organisierter Sprache fehlen (Cox in
Glindemann 2000, 31). Wie sollen Schülern ästhetische Wahrnehmungsbereiche glaubhaft
vermittelt werden, wenn sie dem Lehrenden nicht auf einem hohen und differenzierten Niveau
bekannt sind? Dabei gilt keinesfalls der Anspruch, aus Lehrkräften erfolgreiche Schriftsteller
zu machen, sondern dass sie im Studium, gemeinsam mit ihren Kommilitonen, befähigt
werden, handwerkliche und kreative Techniken kennenzulernen und einzuüben. Auch wenn
Glindemann bereits im Jahr 2000 auf diesen Missstand hinwies, zeigt es trotz der Zunahme
von schulischen und universitären Projekten die Relevanz der Verzahnung von
professionellen Autoren und Didaktikern auf. Die erfolgreichen und beliebten Projekte wie
„Wortsport“ des Literaturhauses München, die bayerische Akademie des Schreibens oder
universitäre Schreibkurse mit dem Schriftsteller José Oliver an der Ludwig-Maximilian-
Universität München und anderen zeigen die schreibproduktive Wirkung von Glindemanns
indirekten Forderungen und bestätigen damit gleichzeitig ihre Notwendigkeit. Einen
interdisziplinären und den Forderungen Pommerin-Götzes und Glindemanns nachkommenden
Ansatz für Kreatives Schreiben an der Hochschule bietet das interdisziplinäre
130 Kruse bezieht sich hierbei zwar auf das wissenschaftliche Schreiben, dessen Vermittlung seiner Meinung nach zwar durch
das Angebot der an vielen Hochschulen etablierten Schreibzentren kompensiert wird, gilt aber an dieser Stelle ebenso für das Kreative Schreiben im Hinblick auf eine umfassende textsortenübergreifende Schreibkompetenz Studierender, insbesondere da die Angebote von universitären Schreibzentren häufig keine Angebote zum literarischen oder identitätsbezogenem Schreiben bereitstellen.
136
Forschungsprojekt Kreatives Schreiben und Ästhetisches Gestalten, das im empirischen Teil
dieser Arbeit vorgestellt und dessen Forschungsergebnisse dort diskutiert werden.
Dass die Tätigkeit einer Lehrkraft und vielmehr noch der Beruf eines Lehrers hochkomplexe
Kompetenzen und Verhaltenscodices erfordert, ist unumstritten. Lehrer sind im Optimalfall
für Lernende ein Vorbild, unabhängig von der zu unterrichteten Fachdisziplin. Für den
Unterricht, in dem Texte produziert werden, ist es unabdingbar, dass die Lehrkraft als
sprachliches Vorbild wahrgenommen wird. D.h. konkret für den schriftsprachlichen Bereich,
dass sie sowohl „Schreibexperten“ sind, was die Qualität von Textprodukten angeht, als auch,
dass sie hohe Kompetenzen im Bereich Schreibreflexion und Schreibberatung besitzen. Es
reicht, wie in didaktischen Modellen zum offenen Unterricht, nicht aus, dass die Lehrerrolle
auf Arrangement und Moderation des Lernangebots reduziert wird. Im Gegenteil, die
Lehrkräfte sollten sich an geeigneten Punkten der Textproduktion, z.B. nach Abschluss der
Planungs- oder der ersten Formulierungsphase, in den Schreibprozess einbringen, was
wiederum weitreichende diagnostische und didaktische Kompetenzen der Pädagogen
erfordert. Die Fähigkeit eines Lehrers, Schreibaufgaben anzuleiten, zu unterstützen, zu
begleiten und zu bewerten, ist nicht ausschließlich an theoretische oder fachdidaktische
Kenntnisse gebunden, sondern erfordert sehr häufig eigene Erfahrungen im Umgang mit
vielfältigen Schreibverfahren und dessen Prozessen bei der Textproduktion ‒ die Lehrkraft
muss selbst kreativ schreiben können. Als unzureichend ausgebildet würde ein Musik-, Kunst-
oder Sportdozent gelten, der in der eigenen Disziplin kaum Kompetenzen hat. Umso mehr
Motivation und Unterstützung kann eine Lehrkraft geben, wenn sie eine hohe
Kompetenzstufe im eigenen Metier erkennen lässt. Im Lehramtsstudium fehlt aber häufig
diese Komponente der primären Schreiberfahrungen mit kreativer, literarisch-ästhetischer
Textproduktion; zu häufig stehen rezeptive und interpretative Aktivitäten im Mittelpunkt.
Gegen dieses Argument der fehlenden Primärerfahrungen spräche die zunehmende Output-
Euphorie in Schule und Universität, die durch unreflektierte Spaßaktivitäten und eine sehr
starke dezentrale Rolle des Lehrers oder des Dozenten gekennzeichnet sind, was hier
ausdrücklich nicht gemeint ist. Diesen Spaßaktivitäten geht häufig ein illusionäres
pädagogisches Verständnis voraus, dass Lernprozesse von allein stattfänden, eine Vorbildrolle
des Dozenten/der Lehrperson für das Lernen nicht konstituierend sei und durch die Quantität
der Schreibaktivitäten sich gleichzeitig die Schreibkompetenz und das fachdidaktische Wissen
bei den Studierenden und zukünftigen Lehrkräften einstelle. Dass diese Art des Kreativen
Schreibens als Spraßaktivität während der Schulzeit zu wenig auf die „Herausforderungen des
universitären Schreibens vorbereitet, bestätigen der Erfolg und die Beliebtheit universitärer
137
Schreiblabors, in denen Studierende von Experten beraten werden oder in sogenannten peer-
tutorings (eigene) geschriebene Texte analysieren und reflektieren. Insbesondere für
Kreatives Schreiben mit literarisch-ästhetischem Anspruch ist die Nachfrage nach
Schreibworkshops mit Schriftstellern und Lektoren, wie beispielsweise die der „Bayerischen
Akademie des Schreibens“ stark angestiegen.
Möge die derzeit vorherrschende Output-Euphorie von den Verantwortlichen nicht den Blick auf die Tatsache verstellen, dass der Output nur stimmen kann, wenn der Input stimmt, und der stimmt eben derzeit, wenn man beispielsweise an die Lehrerausbildung denkt, in vielerlei Hinsicht nicht.[...]Die angestammte Struktur der Universität selbst ist das Grundproblem (Schröder 2007, 293).
Im Hinblick auf die universitäre (Lehrer-)Bildung sind die Chancen der lebensweltlichen
Lernorte außerhalb von Räumlichkeiten der Lerninstitution Universität ebenfalls
hervorzuheben. Die multisensorischen Erfahrungen mit realen Personen, Orten und
Gegenständen erweitern das Lernen wesentlich. Das Lernen wirkt, natürlich je nach
Aufgabenstellung, aufgrund der Öffentlichkeit und der kontextuell-integrierten Mischformen
authentisch und abenteuerlich, erhöht die Anforderungen an Antizipationsfähigkeiten und
macht die eigentliche Schreib- und Gestaltungserfahrung um ein vielfaches wertvoller.
Anschließende Reflexionen über solche Erfahrungen im Feld fördern die Verarbeitung und
die Vertiefung der Gesamterfahrung und sichern das Gelernte langfristig in einem
Gesamtzusammenhang und nicht nur als einzelne Lernaktivität (Katz und Thomas 1992, 200).
Es liegt also im Verantwortungsbereich der Universitäten, (Lehramts-)Studierende durch das
breite und offengestaltete Angebot von Schreibarrangements besser hinsichtlich einer
Lernerautonomie des Individuums und einer von wirtschaftlichen Interessen und einem Beruf
ungebundenen Bildung profitieren zu lassen, so, wie es der Humboldt’sche Bildungsbegriff
vorsieht. Das Verhältnis und die Qualität von sprachlichen und hochschuldidaktischen Inputs
und Outputs, natürlich hauptsächlich disziplinspezifisch, müssen also im Zentrum einer
Debatte für eine Korrektur der Ausrichtung universitärer Bildung stehen. Das bedeutet
ebenso, dass ′im Hinblick Bildung Kreativität als conditio sine qua non im Übergang zu einer
auf Wissen basierenden Gesellschaft′ gesehen werden muss, sodass eigenständiges
schöpferisches Lernen, inklusive des Abweichens von bekannten Wegen, statt bloßes
Erlernen wieder zunimmt (Grözinger/Krücken 2010, 7).
2.3.6 Fazit fortgeschrittenes Kreatives Schreiben
Als theoretische Grundlegung der empirischen Untersuchungen, die im Anschluss an diesen
theoretischen Teil dieser Arbeit folgen, werden ausgewählte Erkenntnisse aus diesem Kapitel
138
2.3 zusammengefasst. Das Fazit soll als Fokus für die Bedeutung des Kreativen Schreibens an
der Hochschule vor den Darstellungen der drei Untersuchungsschwerpunkte im empirischen
Teil sensibilisieren und die Vorgehensweise der dazu durchgeführten Intensivseminare mit
Studierenden zum Kreativen Schreiben und Ästhetischen Gestalten besser verständlich
machen.
Bei einer Annäherung an den Begriff des Kreativen Schreibens ist die Unterscheidung
zwischen dem eher amerikanischen Creative Writing und dem sich in deutschsprachigen
Ländern etablierten Kreativen Schreiben zentral. Während sich das Creative Writing
hauptsächlich als Reaktion auf die sogenannte literacy crisis in Kanada und den USA in den
70er Jahren entwickelte und in Schule und Universität fester Bestandteil des Curriculums
wurde, hat das Kreative Schreiben in den deutschsprachigen Ländern seine Wurzeln bereits in
der Reformpädagogik des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts (Vertreter: Célestin Freinet,
Paul-Georg Münch, Heinrich Scharrelmann, Fritz Gansberg, Wilhelm Lamszus, Adolf Jensen,
u.a.). Mit der stärker in den Mittelpunkt gerückten Persönlichkeitsbildung entstanden zunächst
der freie Aufsatz, und, unterbrochen durch die Pädagogikvorstellungen und Curriculainhalte
der Nationalsozialisten bis über 1945 hinaus, ab den 8oer Jahren das Kreative Schreiben
(Sennlaub 1980), das seit den 2000ern fester Bestandteil der Curricula fast aller sechzehn
Bundesländer ist (Harsch et.al. 2007). Die heutige Disziplin des Kreativen Schreibens in der
Sekundarstufe II und an der Hochschule, wie sie für diese Arbeit relevant ist, kann als ein
Konglomerat aus reformpädagogischen Ansätzen, der produktiven Literatur- und Lyrikarbeit
und den sich teils stark überschneidenden Formen des freien, personalen oder assoziativen
Schreibens angesehen werden. Grundlegende Fähig- und Fertigkeiten der Schreibenden zum
Verwenden rhetorisch-stilistischer Mittel, zur Wahl- und Mischfreiheit zwischen
verschiedenen Textgenres und zum Entwickeln und Erzeugen bestimmter (ästhetischer)
Wirkungsabsichten werden dabei vorausgesetzt. Für eine wissenschaftliche Analyse des
Kreativen Schreibens wird zwischen drei Bereichen des Kreativen Schreibens unterschieden:
dem Kreativen Schreiben als Stilaneignung, als Spiel und als Selbsterkenntnis und letztlich als
Selbsterfahrung (Werder 2007, 19).
Werden Texte verfasst, die einer inneren Logik folgen oder einen experimentellen Umgang
mit Sprache zum Ziel haben, die gleichzeitig analytische (z.B. begriffliches Denken,
Argumentationslogik, Analyse und Anpassen von Inhalt, Sprache und Form, Zeitempfinden,
Kontrolle, u.a.) und kreative (z.B. bildliches Denken, Assoziation, Emotionalität,
Experimentieren mit Inhalt, Sprache und Form, Wirkungsabsichten, Raumempfinden, u.a.)
Anforderungen an den Schreibenden stellen, arbeiten verschiedene Bereiche beider
139
Hirnhemisphären vermehrt gleichzeitig und zusammen. Wenn auch keine endgültige Theorie,
weder aus der Sprachwissenschaft noch der der Lernpsychologie oder den
Neurowissenschaften vorliegt, die die distinkten Funktionszuschreibungen je Hirnhemisphäre
klären können, bleibt die Erkenntnis für das Kreative Schreiben, dass die Vernetzung
verschiedener Gehirnareale und die Verarbeitungstiefe ausschlaggebend sind. Diese
wiederum ist abhängig von einer angstfreien Atmosphäre und dem ausgebildeten Wissen des
Schreibenden (Spitzer 2012, Pommerin-Götze 1996). Die Verschränkung von
konventionellem und unkonventionellem bzw. konvergentem und divergentem Denken
unterstreicht die Komplexität kreativen Schreibens und widerspricht somit Aussagen, die
diese Art des Schreibens auf wenig anspruchsvolles dilettantisches und laienhaftes Schreiben
degradieren (Ortner 2000). Dabei haben diese Wechselbeziehungen zwischen kon- und
divergentem Denken beim Kreativen Schreiben durchaus Bedeutung für die Entwicklung
akademischer Schreibkompetenzen (Müller 2008, Glindemann 2000, Pommerin-Götze 1999),
die an den Hochschulen vorausgesetzt werden, aber selten Inhalt des Studiums sind.
Insbesondere das Verwenden von bildlichen und akustischen Qualitäten wie Metaphern,
Rhythmen, Wortbildern, die gleichzeitige Verwendung unzweideutiger Begrifflichkeiten oder
der bewusst experimentelle Umgang mit Sprache haben das Potential, die akademischen
Schreibkompetenzen zu verbessern (Werder et.al. 2001) und die sprachlichen
Ausdruckfähigkeiten zu präzisieren (Wenger 2007). Durch den prozessorientierten und
selbstreflexiven Charakter des fortgeschrittenen Kreativen Schreibens werden neben den
Zielen handwerklicher Kompetenzen, im Sinne von textkompositorischen Fähig- und
Fertigkeiten, der persönlichen Ausdruck und die Wahrnehmung des studentischen Schreiber-
ICHs gefördert (Glindemann 2000, Pommerin-Götze 1996). Dies steht mit dem Ziel, die
Genauigkeit des Denkens durch eine vielseitige schriftsprachliche Verwendung von Sprache
zu schärfen, in keinerlei Widerspruch. Vielmehr bestätigt es die Annahmen über die
Entwicklung der inneren Sprache und der epistemischen Funktionen (Vygotskji 1979,
Sokolov 1972). Somit fungiert kreatives Schreiben ebenso als Sprache des Denkens, bei dem
eigene Gedanken, Emotionen, Konventionen und erlerntes Wissen ausgedrückt und welche
letztendlich durch ein ernstes Spiel um Inhalt und Sprache vom Schreibenden ganzheitlich
verarbeitet werden.
Trotz Gemeinsamkeiten zum funktional-akademischen Schreiben orientiert sich das
fortgeschrittene Kreative Schreiben in besonderem Maße an literarischen Texteigenschaften
(Iser 1994) und damit auch am Anspruch an Ästhetik. Nach der Überwindung einer
romantischen Genieästhetik-Verständnisses, in der das lyrisch-literarische Kunstwerk kein
140
Ergebnis eines prozesshaft entwickelten Texts darstellt, sondern nur Ausdruck individueller
Passion und Zeugnis des lyrischen Ich, muss anerkannt werden, dass beim fortgeschrittenen
Kreativen Schreiben das Modellieren rhetorischer Muster als Schreibhandwerk und die
persönliche Originalität des Schreibenden vereint werden. Kann also der Schreibende aus
vielen Verfahrensmöglichkeiten und Kompetenzbereichen sprachlicher, literarischer oder
ästhetischer Art auswählen und verschieden kombinieren, ist der Grundstein zu Originalität,
Flexibilität und Innovation, als Determinanten für die Förderung von Kreativität, gelegt
(Holm-Hadulla 2010). Die alleinige Rezeption und Interpretation von literarisch-ästhetischen
Texten führt zur romantischen Falle (Glindemann 2001) und somit zur didaktischen Aporie
(Abraham 1996), weshalb dem Produzieren solcher Texte bei der Ausbildung von
Schreibkompetenz ein höherer Stellenwert im Studium eingeräumt werden muss.
Die Nähe von künstlerischem Ausdruck zum Schreiben literarisch-ästhetischer oder kreativer
Texte, insbesondere dem bildnerischen Gestalten in der Fläche, das ebenfalls, zumindest beim
handschriftlichen Schreiben, durch die Hand veräußert wird, ist in diesem Zusammenhang
außerordentlich interessant. Nicht nur werden während der ontogenetischen Entwicklung
Parallelen in der Entwicklung zwischen dem bildnerischen Gestalten und dem Kreativen
Schreiben deutlich (Liebmann-Wurmer 2015), sondern ebenfalls bei den einzelnen „Phasen“
im kreativen Prozess. So sind Prozesse und Vorgehensweisen zum Ideengenerieren, Planen,
zum Produzieren und Überarbeiten von und am Text und Bild generell ähnlich, wenn auch,
abhängig vom Schreib- oder Gestaltungstyp, präferierte Verfahrensweisen individuell sind
(Kruse 2010, Chandler 1995). (Assoziative) Bilder sind zudem ein erheblicher
Bedingungsfaktor bei der Ideenfindung und der Planung des Schreibens generell. Das
Produzieren von kreativem Text oder ästhetischem Bild schärft dabei jeweils die
Wahrnehmung sprachlicher bzw. bildnerischer Besonderheiten sowie von Beziehungen,
soweit vorhanden, zwischen Text und Bild (Mattenklott 2007). In sprachlicher Hinsicht
bedeutet dies z.B. eine Fokussierung auf Lexeme, Morpheme, Grapheme, stilistische Mittel,
Analogien, Erzählperspektiven, Textsorten, formale Gestaltungmittel oder bestimmte
Syntaxformate.
Mit der angesprochenen geschärften Wahrnehmung, der Textproduktion, der Fokussierungen
auf bestimmte Phänomene und mit dem Einbeziehen des Schreiber-Ichs wird der breit
gefächerte reflexive Anteil beim kreativen Schreiben offensichtlich. Dabei kann es sich um
eine Selbstreflexion im anthropologischen Sinne ebenso handeln wie um eine Reflexion des
entstandenen Schreibproduktes oder um eine Reflexion des eigenen individuellen
Schreibprozesses. Als Ausdruck der Selbstreflexion beim fortgeschrittenen Kreativen
141
Schreiben gelangen so häufig authentische, persönlich-intime und biographische Inhalte
(Glindemann 2001), wie Wünsche, Ängste, Verdrängtes und Unbewusstes, an die Oberfläche
(Freud 2014) und somit in den Text, was durch den emotionalen Zugang, inklusive einer
Reflexion eigener und fremder Moral- und Wertevorstellungen, und das darüber-Schreiben
veräußert wird (Cohors-Fresenborg 2012, Spinner 1993) .
Betrachtet man das fortgeschrittene Kreative Schreiben in diesem Kontext aus einer
hochschuldidaktisch-bildungsinstitutionellen Perspektive, muss die Frage beantwortet
werden, wie diese mehrere Bereiche betreffende und in sich komplexe Reflexion vermittelt
bzw. wie dazu angeleitet werden kann. Als am besten geeignet131 erweisen sich
Reflexionstätigkeiten aus der Retrospektive (Pommerin-Götze 2011), da dadurch die
Flüssigkeit des Schreibens und die sich mit dem Schreibprozess fortentwickelnde innere
inhaltliche Logik nicht behindert werden (Pommerin-Götze/Behning 2011).
Reflexionsunterstützend kann dabei ein sogenanntes Logbuch sein (Posner 2010), mit dem
das Ziel der Entwicklung eines leistungsfähigen Monitors beim Schreibenden verfolgt werden
soll. Reflexionen können prinzipiell mündlich oder schriftlich expliziert werden. Dabei
kommt die Möglichkeit der spontanen Verwendung konzeptionell-mündlicher oder auch peer-
group-spezifischer Sprachvarietäten den Studierenden bei den jeweils ersten Reflexionen
entgegen. Ein sukzessives Herantasten bei gleichzeitiger Zunahme der Reflexionstiefe kann
durch prozessual-didaktisch modellierte Reflexionsphasen, z.B. durch ein dynamisches und in
der Reflexionstiefe ansteigendes Stufenmodell erreicht werden (Pommerin-Götze/Behning
2011). Das Portfolio ist sowohl zur Dokumentation von Schreibprodukten und
Schreibprozessen als auch als Medium der Reflexion gut geeignet und hat sich für
Studierende (und Lehrende) als besonders vorteilhaft herausgestellt (Bräuer 2014 und 2012).
Obwohl es keinen gerechtfertigten Anspruch darauf gibt, dass Lehramtsstudierende und somit
spätere Lehrkräfte schriftstellerische Schreibkompetenzen ausprägen müssen, bleibt dennoch
die Frage offen, wie sie als zukünftige Lehrkräfte das Produzieren ästhetischer, epistemischer
und reflexiver Textformen als ästhetisches Ausdrucksvermögen in literarischen und
pragmatischen Zusammenhängen[…]zur Interessensbildung und Wissensgenerierung132
glaubhaft vermitteln können sollen, wenn sie ihnen nicht auf einem hohen und
ausdifferenzierten Niveau aus Primärerfahrungen bekannt sind. Bundesweit erfreuen sich
(interdisziplinäre) literarische Schreibprojekte großer Beliebtheit und großen Erfolges, bei
131 mit Ausnahme der Erforschung zum Schreibprozess selbst (vgl. dazu Neumann 1995, Flower 1989, Nystrand 1986) 132 http://www.kmk.org/fileadmin/veroeffentlichungen_beschluesse/2012/2012_10_18-Bildungsstandards-Deutsch-Abi.pdf, S. 18,
(21.06.2014).
142
denen Schriftsteller, Autoren, Lektoren und passionierte Lehrkräfte und Dozenten mit
Schülern und oder Studierenden kreativ schreiben. Dies unterstreicht den Zusammenhang
zwischen dem Kreativen Schreiben und der Schreibmotivation einerseits genauso wie
andererseits die Tatsache, dass zukünftige Lehrkräfte eigene kreative Schreib(beratungs-
)expertisen gegenüber den Schülern erkennen lassen müssen, auch, weil eine Lehrkraft ein
(sprachliches) Vorbild ist. Darüber hinaus sollten ganzheitliche, fächerübergreifende und
fachunabhängige Zielsetzungen an der Hochschule (Schröder 2007) eng mit Möglichkeiten
für Studierende verknüpft werden, sich kritisch mit Themen, Gegenständen und Perspektiven
schreibend auseinanderzusetzen (Kruse 2010). Insbesondere nach der Bolognareform haben
diese Möglichkeiten stark abgenommen, was sich kontraproduktiv auf das akademische
Lernen im Sinne eines Humboldt′schen Bildungsverständnisses auswirkt und dringend zu
erforschen und zu ändern ist133.
133 Die Beforschung ganzheitlicher, fächerübergreifender und fachunabhängiger Zielsetzungen einer Praxis akademischen
Schreibens sind fachdidaktisch in Deutschland nach wie vor wenig beforscht. Ausnahmen sind Knopp et.al 2012., Werder et.al. 2002, 2003, (Kruse 2006, 2010, Frank et.al. 2003, 2006, 2010). Dass die Fachdidaktiken als eigene Forschungsdisziplinen anerkannt sind, ist vor dem Hintergrund der dominierenden Fachwissenschaften und der in der Bildungsforschung nach wie vor omnipräsenten Erziehungswissenschaften keine Selbstverständlichkeit. Daher verwundert es nicht, dass die Tradition interdisziplinärer fachdidaktischer Forschung sehr jung ist, aber gemeinsame Fragestellungen und Untersuchungen zunehmend an Bedeutung gewinnen (vgl. auch Knopp/Jost/Nachtwei/Becker-Mrotzek/Grabowski (2012) Teilkomponenten von Schreibkompetenz untersuchen: Bericht aus einem interdisziplinären empirischen Projekt. In: Bayrhuber et. al.: Formate Fachdidaktischer Forschung. Empirische Projekte - historische Analysen - theoretische Grundlegungen. Münster.)
143
2.4 Analyse und Bewertung des Kreativen Schreibens
Zunächst mag die Bewertung kreativer Texte zeitaufwendiger und willkürlicher wirken, als die Bewertung einer Mathematikaufgabe. Mit den richtigen Methoden ist die Bewertung aber ebenso professionell wie sachlich. Allerdings ist der methodische Maßstab ein anderer (Glindemann 2000, 251).
Im folgenden Kapitel werden Argumente für und gegen die Bewertbarkeit des Kreativen
Schreibens vorgebracht und diskutiert. Gleichzeitig wird erörtert, welche Ansätze sich für
eine mögliche Bewertung in Schule und Hochschule eignen. Bewusst wird zuerst der
schulische Kontext beleuchtet, da er bei der Schreibsozialisation der Studierenden prägend
vorangeht, wobei die Diskussion anschließend auf den Hochschulbereich und somit auf das
fortgeschrittene Kreative Schreiben übertragen wird. Letztlich wird aufgezeigt, welche
Kriterien zur Einschätzung von Kreativität sich im Hinblick auf das Schreibprodukt und auf
den Schreibprozess eignen und wie diese beiden Fokus miteinander vereinbar sind.
2.4.1 Diskurs über die Bewertbarkeit Kreativen Schreibens
Die Debatte über eine mögliche Einschätzung und Bewertung des Kreativen Schreibens ist
nicht neu und wird nach wie vor kontrovers diskutiert. Uneinig sind sich Schreibdidaktiker
hinsichtlich der Überarbeitung kreativ geschriebener Texte. Einschätzung, Bewertung und
Überarbeitung bzw. Korrektur liegen häufig nah beieinander. Fehlen dagegen eine Schreiber-
externe Einschätzung oder Bewertung, sinkt damit häufig auch die Schreibermotivation, einen
geschriebenen Text zu verbessern oder zu korrigieren. Was aber ist ein guter kreativ
geschriebener Text, was macht ihn aus und nach welchen Kriterien kann man Kreativität in
Texten bewerten?
Lehrer und Schüler sehen Kreatives Schreiben oft als willkommene Abwechslung im
Unterricht, bei der es keine Kritik und keine Noten, sondern vermehrt Lob für die Lernenden
(Wenger 2007, 72) und Freiheit in der Ausgestaltung gibt. Nun ist diese vereinfachte Variante
des Kreativen Schreibens Chance und Problematik zugleich. Zum einen wird die häufig als
freier und persönlicher empfundene Art des Schreibens auch aufgrund der fehlenden
Bewertung von den Lernenden gemocht und deshalb von den Lehrkräften bewusst in den
Unterricht eingebracht. Zum anderen leidet häufig die Ernsthaftigkeit und der Stellenwert
ohne Beurteilung, letztendlich durch fehlende Bewertungskriterien für das Kreative
Schreiben134. Dem entgegen stehen die länderübergreifenden Bildungsstandards im Fach
134 vgl. dazu das Züricher Textanalyseraster von Nussbaumer und Sieber 1996, 36-52.
144
Deutsch für die Allgemeine Hochschulreife, in denen die Fähigkeit zur kreativ-ästhetischen
Textgestaltung zur Interessensbildung und Wissensgenerierung ausdrücklich als Ziel135
benannt wird. Wenn kreatives Schreiben in der Schreibausbildung einen zentralen Stellenwert
einnehmen soll, wird man eine Beurteilung und Benotung kreativer Leistungen nicht
umgehen können. Konsequenterweise müsste es, ähnlich wie für alle anderen in den Curricula
geforderten Textproduktionen, schreibzielorientierte Kriterien zur Analyse bzw. zur
Einschätzung kreativer Aspekte hinsichtlich der Auswahl und Verwendung aller Dimensionen
von Schreibkompetenz, wie etwa Inhalt, Sprache und Strukur, geben.
Es ist nicht zu leugnen, dass Ängste kreatives Handeln beeinträchtigen und sogar unterbinden
können. Geht man so weit, dass die Gewissheit einer Bewertung kreativer Schreibleistungen
Schreibblockaden und Schreibhemmungen hervorruft, würde die Bewertung solcher
Leistungen kontraproduktiv wirken. Singer und Barrios fordern daher den Verzicht von
Bewertung beim Schreiben, da es die Kreativität untergräbt. (Baer und McKool 2009) Zum
Diskurs der Bewertung kreativer Texte tragen auf der Seite der „Bewertungsgegner“ vier
Vorurteile bei (nach Uhle/Deutelmoser 2000, 27):
a) Kreative Texte seien so individuell, subjektbezogen und unterschiedlich, dass sie nicht
vergleichbar seien. Sie wären eine „Eruption des subjektiven Ichs“ und nicht mit
sprachlich-handwerklichen und künstlerischen Verfahren verfertigte Texte, die
eingeführt, angeregt, angeleitet und begleitet würden.
b) Das Schreiben kreativer Texte erfolge immer mit „Herzblut“ und gäbe schreibereigene
Befindlichkeiten preis. Eine schlechte Bewertung wäre demütigend, da der Schreiber
die Beurteilung nicht pragmatisch auf die Anforderungen und das Lösen der
Schreibaufgabe beziehen könne.
c) Die Bewertung kreativ geschriebener Texte demotiviere die Schreibenden und sei
somit kontraproduktiv für schreibdidaktische Rahmen.
d) Die Bewertungsunsicherheiten der Lehrkräfte gegenüber dem Kreativen Schreiben
spiegle sich entweder in euphorischer Überbewertung oder in starker Kritik wider und
spräche daher gegen eine Benotung.
Vorurteile sind in der Regel relativ resistent, haben Anteile von Wahrheit und prägen sich
durch Wiederholen ein. Die Kritikpunkte sind nicht von der Hand zu weisen und dennoch
nicht überzeugend. Jedes der vier vorgebrachten Vorurteile kann entkräftet werden, wobei
sicherlich immer schwierig zu lösende Aspekte bleiben, so wie bei jeder Einschätzung und
Beurteilung. Es ist nicht zu leugnen, dass eine Beurteilung auf das Textprodukt abzielt,
135 vgl. Bildungsstandards im Fach Deutsch für die Allgemeine Hochschulreife, Beschluss der Kultusministerkonferenz vom
18.10.2012. http://www.kmk.org/fileadmin/veroeffentlichungen_beschluesse/2012/2012_10_18-Bildungsstandards-Deutsch-Abi.pdf (zuletzt aufgerufen am 20.11.2014)
145
obwohl der Schreibende bei vielen kreativen Schreibverfahren mehr als bei einer Erörterung
oder bei der Produktion eines Sachtexts als Subjekt im Mittelpunkt steht. Aus der Perspektive
einer modernen und prozessorientierten Schreibdidaktik wird jedoch klar, dass die
Textproduktion, von der Idee bis zum fertigen Text, eingeschätzt und bewertet werden muss,
ohne dass die Individualität eines Textes dabei gering geschätzt wird. In diesem
schreibdidaktischen Zusammenhang stellt Therese Chromik die Faktoren Einstellungen und
Verhaltensweisen in den Mittelpunkt, die für die Entwicklung von Kreativität notwendig sind
(Chromik in Merkelbach 2002, 68). Neben dem Vergleich von Theorien über die
Bedingungsfaktoren von Kreativität beim Schreiben ist es erforderlich, einzelne
Bewertungskriterien aufgrund der verschiedenen Altersgruppen und Niveaustufen
verschieden zu gewichten136.
Des Weiteren liegt dem Vorurteil b) eine Unterschätzung der pragmatischen Kompetenz der
Schreibenden zugrunde. Auch wenn die Schreibmotivation aufgrund emotionaler Bezüge137,
eigener Erfahrungen138 und identitätsbildender Themen sehr hoch ist und die Schreibenden in
ihren Texten über persönliche Denkweisen, Gestaltungsvorlieben oder Humor Auskunft
geben, kann davon ausgegangen werden, dass die Schreibenden vor, während und nach der
Textproduktion realisiert haben, dass es sich um eine schulische oder universitäre
Schreibaufgabe handelt oder gehandelt hat (Uhle / Deutelmoser 2000, 27). Ein individueller
und persönlicher Stil oder Ausdruck ist gerade beim Schreiben literarisch-anmutender Texte
geradezu erwünscht und damit kein Argument für die Unangemessenheit der Bewertung.
Ähnlich verhält es sich mit dem dritten Vorurteil unter c). Ist die Beurteilung eines
literarischen Textes nicht nur auf eine Notenvergabe beschränkt, sondern orientiert sie sich
am Ziel der Schreibförderung, so können positive Rückmeldungen über gute schriftliche
kreative Leistungen motivieren. Sind dagegen Schwachstellen oder Defizite im Text
erkennbar, so braucht der Schreibende konstruktive Rückmeldung und Hilfestellungen, um
das eigene Kreative Schreiben weiterzuentwickeln und zu verbessern (Uhle / Deutelmoser
2000, 27). Häufig sind Rückmeldungen Gleichaltriger über Schwachstellen im Text gerade
dann eine Motivation den eigenen Text an den angemerkten Stellen zu überarbeiten, da sich
136 Vgl.auch Uhle / Deutelmoser 2000, 27-31 137 Vgl. Kapitel 3.4.5 im empirischen Teil 138 Vgl. Kapitel 3.4.5 Motivation und Emotion beim Schreiben Studierender
146
sowohl die Sprachverwendung als auch der Erfahrungs- und Verstehenshorizont zwischen
den einzelnen Lernenden mehr ähneln als zwischen dem Schreibenden und der Lehrkraft139.
Wird Kreatives Schreiben unvoreingenommen analysiert und bewertet, ist, entgegen dem
Vorurteil d), ein Bewertungskontinuum zwischen einer sehr positiven bis hin zu einer
negativen Einschätzung, so wie in allen Fächern, bei denen schriftsprachliche Leistungen
Grundlage für Bewertungen sind, absolut legitim. Diese Einschätzungen können, müssen aber
nicht zwangsläufig nur an „Autoritätspersonen“, wie beispielsweise Lehrkräfte oder
Dozenten, gebunden sein. Häufig erfolgen Einschätzen und Rückmeldungen auch bei
Präsentationen in der Lerngruppe oder in Schreibkonferenzen durch andere Mitglieder einer
Lerngruppe. Sicherlich spielt die Sensibilität der Lehrkraft bzw. der Lerngruppenmitglieder
hinsichtlich der Art und Weise der Rückmeldung, auch hinsichtlich der Aufgabenstellung,
eine besondere Rolle. Dennoch sollte eine Beurteilungsmöglichkeit durch eine oder mehrere
externe Personen keinesfalls ausgeschlossen werden. Im Streit um die Möglichkeiten der
Bewertung Kreativen Schreibens nennen dennoch wenige Befürworter konkrete
Bezugsmöglichkeiten oder Kriterien, die zur Einschätzung kreativer Leistungen beim
Literarischen oder Kreativen Schreiben hilfreich sind, was im Folgenden thematisiert wird.
Waitman hält es in der Debatte um die Einschätzung von Kreativität für zentral, das
Verständnis von Kreativität zu entmystifizieren. (Waitman und Plucker 2009) Dietrich
Homberger spricht in seinem Aufsatz Kreativität und Kontrolle über acht Faktoren
(Überwinden gewohnter Denk- und Verfahrensweisen, Frustrationstoleranz,
Assoziationsfähigkeit, Flexibilität, Ausdauer, Urteilsfähigkeit, vernetzbare Kenntnisse und
Kommunikationsbereitschaft), die das kreative Denken und Handeln begünstigen (Homberger
1997, 14). Abraham geht davon aus, dass die generell von Homberger benannten Faktoren
gleichsam für das Schreiben gelten und dass somit eine Beurteilung des Schreibproduktes
bzw. der Schreibentwicklung des Einzelnen, ähnlich wie im Kunstunterricht, möglich sei
(Abraham 1999). Dennoch muss das Erreichen von fachspezifischen oder auch
fachübergreifenden Lernzielen Priorität gegenüber einem Bewertungsfokus haben.
Wichtig bleibt allerdings, dass die Lern- und Bildungsziele Vorrang vor der Ausrichtung an der Bewertung behalten; auf Möglichkeiten eines als sinnvoll erkannten Unterrichts zu verzichten, weil man mit der Bewertung in Schwierigkeiten gerät, verkehrt den Bildungsauftrag in sein Gegenteil und macht die Schule zu einer Institution der Verhinderung von Bildung (Spinner 1993, 23).
139 Leider kommt es im Unterricht und in schreibdidaktischen Kontexten häufig aber nicht zu dieser Phase des Präsentierens der
Textentwürfe und somit auch nicht zum Feedback durch andere Schüler oder Kommilitonen.
147
Wird die Bewertung von Kreativität in Texten speziell aus der Hochschulperspektive
diskutiert, bei der von fortgeschrittenen Schreibfähigkeiten und Kenntnissen von Stilmitteln,
Textgenres und Erzählperspektiven aus dem (gymnasialen) Deutschunterricht ausgegangen
werden muss, überzeugt das Argument, dass die Bewertung von fiktiven Texten nach
objektiven Kriterien für Verleger und Redakteure ganz klar und normal ist. Dies
widerspricht der Annahme, dass fiktive oder kreative Texte nur abhängig vom persönlichen
Geschmacksurteil bewertet werden können (Glindemann 2001, 90).
An englischen Universitäten gibt es weitreichende Erfahrungen mit Bewertungen in
etablierten künstlerischen Disziplinen, insbesondere beim Kreativen Schreiben. Diese
Erfahrungen zeigen, dass derartige Bewertungen ′weder komplizierter noch
arbeitsaufwendiger als herkömmliche Bewertungstechniken′ sind (Glindemann 2001, 199).
Diese stellen zwar die Studenten zunächst vor neue Herausforderungen, weil es das
Verständnis bekannter akademischer Praxis, dem schriftlichen Diskutieren eines
Wissensbereichs, zunächst umkehrt. Dass beim Kreativen Schreiben die Leistung im
Schreiben und damit am produzierten fiktiven Text selbst liegt, wird den Studierenden mit
wachsender Praxis aber schnell geläufig (Glindemann 2001, 199). Die Bewertung erfolgt
dabei kriterien- und prozessorientiert und somit am Textprodukt und am persönlichen
Schreibentwicklungsprozess des einzelnen Studierenden.
2.4.2 Analyse und Bewertung von Texten mit einem Kreativitätsfokus
Betrachtet man Eduard Mörikes Frühlingsgedicht Er ist`s140, wird jeder, der bereits
Schreibkompetenzen erworben hat, von der Kreativität dieses Textprodukts überzeugt sein.
Ich behaupte, dass der Leser ohne Eduard Mörikes Person, Schreibtechniken, Vorlieben,
Motivation, Kontext, benötigte Zeit oder die Anzahl seiner Überarbeitungen zu kennen, das
Gedicht als qualitativ hochwertig und kreativ einschätzt. Bei Literaturwettbewerben, bei
denen Texte „gegeneinander antreten“ und deren Textproduktion im weiten Sinne dem
Kreativen Schreiben ähnelt, entscheiden weltweit Jurys fast ausschließlich textimmanent und
geben so Einschätzungen über das Textprodukt ab, ohne dass der Schreibprozess oder
Informationen über Verfahrensweisen des Autors bei der Bewertung eine Rolle spielen. Die
Bewertung erfolgt auch nicht rein nach normsprachlichen Kriterien wie beispielsweise
Sprachrichtigkeit oder Angemessenheit oder anhand (text-)linguistischer Phänomene wie
Syntax, Lexik, Kohärenz oder bestimmter Kohäsionsleitungen. Bei der textimmanenten
140 Auf Zitieren des Gedichts wird verzichtet, da es als bekannt vorausgesetzt wird.
148
Einschätzung kreativer oder literarischer Texte stehen dagegen vielmehr sprachästhetische
Umsetzungen, thematische Zusammenhänge, Aktualität, Wirkung, Leseattraktivität und
manchmal, je nach Textgattung, auch formale Qualitäten im Zentrum der Betrachtung141.
Genau aber in diesem Bereich der sprachästhetischen Umsetzung fehlen Kriterien, um vor
allem in bildungsinstitutionellen Kontexten wie Schule oder Universität Einschätzungen von
Kreativität in Texten vorzunehmen, was Lehrkräfte und Dozenten häufig monieren. Sicherlich
besteht dabei eine große Schwierigkeit, einzelne Kriterien kreativer Leistungen von Kriterien
sprachlicher Angemessenheit zu unterscheiden, da sich gute kreative Texte meist auch durch
eine hohe sprachliche Komplexität, wie z.B. durch Textmusternormen, Rezipientenführung
und Sprachmittel, auszeichnen können, aber nicht prinzipiell müssen142.
Tatsächlich aber ist die Perspektive auf Textmerkmale literarischer, vor allem lyrischer Texte
für die Analyse und Bewertung kreativer Texte wichtig, da sie ihnen auf einem
fortgeschrittenen Schreibkompetenzniveau häufig sehr ähnlich sind oder zumindest einen
Anspruch an diese Textgattungen erheben143.
Wie und anhand welcher Kriterien kann also Kreatives Schreiben als kreative individuelle
Ausdrucksform beurteilt werden? Für eine Einschätzung kreativer und ästhetischer
Phänomene in Texten ist u.a. eine Betrachtung der Text-Leser-Interaktion im
rezeptionsästhetischen Sinn von Bedeutung. Wie gelungen nämlich bietet der Schreiber dem
Leser (z.B. in einem Gedicht, in einer Erzählung oder einer Anekdote, die weder reale
Gegenstände noch reale Erlebnisse des Lesers beinhalten müssen) Einstellungen und
Perspektiven an, ′in denen eine durch Erfahrung gekannte Welt anders erscheint′ (Iser 1994,
233). Die Kunst und damit die Leistung beim Kreativen Schreiben ist somit die
Wirkungsästhetik, wobei durch den geschriebenen Text Reaktionen beim Rezipienten
hervorgerufen werden. Die Skala, auf der durch den Text provozierte Reaktionen als positiv
oder negativ empfunden werden, ist zu beiden Enden offen und kann sich von der Bestätigung
und Erweiterung eigener Lesereinstellungen und -erfahrungen über das Korrigieren von
Einstellungen aufgrund von Reflexion bis hin zur absoluten Ablehnung und dem Abbruch der
Textauseinandersetzung erstrecken. Diese Unbestimmtheiten sind grundlegende
Wirkungsbedingungen literarischer Texte und gelten maßgeblich in ihrer Apellstruktur auch
141 vgl. auch 2.3.3 Kreatives Schreiben und ästhetisches Gestalten 142 In der konkreten oder visuellen Poesie beispielsweise wird Ästhetik und Kreativität in den Texten häufig gerade nicht durch
eine hohe Komplexität ausgedrückt 143 vgl. hierzu Kapitel 2.3, insbesondere die Ausführungen zum ästhetischen Gestalten in Texten
149
für das Kreative Schreiben, bei dem sich die Rezeption entstandener Texte nicht auf die
Interpretation von Bedeutungen im Text reduziert bleiben muss.144
Bei der Bewertung kreativer Texte unterscheidet Liebnau zwischen zwei Typen von
Aufgabenstellungen: Typ A-Aufgaben mit verbindlichem inhaltlichen oder formalen
Forderungen und Typ B mit einer offenen Aufgabenstellung, bei der Inhalt, Realisierung und
Form gänzlich den Schreibenden bzw. Lernenden obliegen (Liebnau 1995, 133). Diese
Unterscheidung ist sicherlich für eine Vielzahl von Schreibarrangements sinnvoll und erklärt
zugleich die Konzentration der Schreibdidaktik auf die Bewertung von propädeutischem und
wissenschaftlichem Aufsatzschreiben und das Zögern, kreative Schreibprodukte zu beurteilen
und zu bewerten. Beim Kreativen Schreiben handelt es sich aber häufig um eine Mischform
dieser beiden Aufgabenstellungstypen, bei der sprachliches Spielen und Experimentieren mit
Formalia und Inhalten diese Vermischung intensivieren. Insbesondere das Kreative Schreiben
in der Sekundarstufe II oder mit Studierenden verlangt neben der Kenntnis schriftsprachlicher
Normen auch Fähigkeiten zum handelnd-schriftproduktiven und spielerisch-experimentellen
Umgang mit Sprache, Themen und Literatur145. Eine Bewertung dieser Fähigkeiten
auszuschließen und die Einschätzung von schriftsprachlichen Leistungen auf
sprachstrukturelle Konventionen zu beschränken, ist generell kritisch zu betrachten.
Daher sind vielseitige Phantasie-, Kreativitäts- und Gestaltungsfreude-fördernde Aktivitäten, wie das Kreative Schreiben, besonders einzusetzen (Steinig und Huneke 2011, 46–47).
Die erste Bewertung eines Textes nimmt der Leser bzw. die beurteilende Person spontan vor,
womit er die grundlegende Qualität eines Textes einschätzt (Uhle 2000, 100). Stehen
Kriterien zur Bewertung von kreativen Texten zur Verfügung, kann die Beurteilung
sachangemessener und somit objektiver erfolgen. Daher werden im folgenden Kapitel
mögliche Kriterien zur Bewertung des Kreativen Schreibens diskutiert.
2.4.2.1 Kriterien für eine textproduktorientierte Analyse und Bewertung kreativer
Texte
Generell ist eine Bewertung kreativer Texte daran festzumachen, ob der Schreibende Chancen
oder Besonderheiten der Schriftsprache und einzelne schriftsprachliche Textsorten, -stile und
-merkmale erkannt und sie kreativ und eindrucksvoll einsetzt oder miteinander verknüpft. Die
Bewertung ist dabei zunächst unabhängig davon, ob der Schreibende zufällig, unbewusst oder
intendiert diese Leistung erbringt. Ein Kriterienraster für die Bewertung (fortgeschrittenen)
144 vgl. auch Sontag 1964 in Iser 1994 145 vgl. Kapitel 2.3.2
150
Kreativen Schreibens, dessen Einzelkriterien die genannte generelle kreative Leistung
ausdifferenzieren, muss den Zusammenhang zwischen der Kreativitätsforschung und der
Schreibdidaktik herstellen, was heißt, dass die Kriterien des Rasters mit den Kriterien und der
Definition von Kreativität kompatibel sind. Müller-Michaels hält weder die Kriterien nach der
Theorie der literarischen Wertung noch Kriterien aus der Kreativitätsforschung im Hinblick
auf schreibdidaktische Kriterien für uneingeschränkt sinnvoll (Müller-Michaels 1993, 340).
Dennoch sei es möglich, einzelne Kriterien für die Beurteilung von Testen heranzuziehen. Er
relativiert seine Aussage aber im selbigen Artikel anschließend und schlussfolgert, dass die
induktive Herangehensweise vom Textbeispiel aus, unter Berücksichtigung der Kenntnisse
aus der Theorie der literarischen Wertung und der Kreativitätsforschung, zielführend sei
(Müller-Michaels 1993, 340). Die Textbewertung erfolgt so gerechter, da Aspekte, die die
strukturelle oder kommunikative Analyse nicht leisten können im kreativitätsfokussierenden
Modell aufgegriffen werden könnten (Müller-Michaels 1993, 346).
Im Modell Züricher Textanalyseraster von Nussbaumer und Sieber, welches im Folgenden
abgebildet ist, werden für den bereits skizzierten Analyse- und Bewertungszusammenhang
von kreativen Texten zwei Bereiche benannt: den der ästhetischen Angemessenheit und den
der besonderen formalen und inhaltlichen Qualitäten. Die fast Unterpunkt-losen Kapitel B2
und B3, die gestrichelten Linien und deren Länge (im Vergleich zu den anderen
Verzweigungslinien) deuten an deren Enden darauf hin, dass es an konkreten Anhaltspunkte
für diese Bereiche fehlt (siehe Abbildung), was die Autoren selbstkritisch zugeben
(Nussbaumer/Sieber 1995, 48f.). Für die in der Grafik aufgezeigten Bereiche des sprachlichen
und inhaltlichen Wagnisses und der Attraktivität der Sprachmittel gibt es höchstens für die
produktive Literaturarbeit konkrete Kriterien für eine Analyse und Einschätzung von
Kreativität im Text des Schreibenden, die Autoren auf Wortwahl, Satz- und Textbau,
Rhythmus und Registerwahl und Tonlage reduzieren.
Demzufolge wirken die Kriterienbereiche B2 und B3 von Nussbaumer und Siebers
Analyseraster als bedeutsam, bieten aber lediglich für die Attraktivität der Sprachmittel die
Unterscheidung von Wortwahl, Satz- und Textbau, Rhythmus, Registerwahl und Tonlage an.
Die Darstellung von Nussbaumer und Sieber ist trotz ihrer Entstehungszeit (1991) bis heute
symptomatisch für die Textanalyse und spiegelt die rein normsprachlich orientierte
Ausrichtung der Textanalyse und Bewertung wider, mit Ausnahme des erlernten
Stilmitteleinsatzes, um die Textattraktivität zu steigern. Nach welchen Kriterien kann aber
darüber hinaus Ästhetik, Form und Inhalt beim (Kreativen) Schreiben textimmanent
objektivierbar gemacht werden?
151
Abbildung 13: Bewertungsbereiche des Züricher Textanalyserasters mit Hervorhebungen der wenig
konkreten Bereiche B2 und B3, insbesondere inhaltliches und sprachliches Wagnis
(Sieber/Nussbaumer 1995, 51)
Phantasie und Originalität sind sicherlich die grundlegenden Kriterien für das Kreative
Schreiben, unter denen die meisten Einzelkriterien leicht subsumiert werden können. Unter
Originalität beim Schreiben sind neuartige inhaltliche Einfälle oder Denkweisen ebenso zu
verstehen wie sprachschöpferische und strukturelle Ideen und der phantasievolle Umgang mit
Vorgaben und Mustern (Uhle/Deutelmoser 2000, 28). Dazu zählen beispielsweise
Ideenreichtum, Selbstständigkeit und ungewohnte Denkmuster ebenso wie eine ungehemmte
und intensive Wahrnehmung als rezeptive Grundvoraussetzungen. Im Hinblick auf
sprachproduktive Kriterien betont Wolfrum, dass es weniger normative Stilvorstellungen sind,
sondern dass die Besonderheiten des Textes, wie etwa das Nutzen oder Spielen mit der
Textsorte, mit der Wortwahl, der Grammatik, den Formulierungen oder dem Gebrauch der
Tempusformen (Wolfrum 2010, 72) ausschlaggebend sind. Darüber hinaus sind
152
Glaubwürdigkeit und Wirksamkeit (Kuhl 1988, 150) in einem kreativen Text unverzichtbar.
Eine bildliche Sprache bzw. die Verwendung von Metaphern erzeugt das für einen kreativen
Anspruch für Texte notwendige Leseinteresse (Merkelbach 1993, 108), wobei Langatmigkeit
und Redundanzen einem Kreativitätsverständnis entgegenwirken. Denkfehler,
Kommunikationsfehler und Widersprüche können teilweise zu Komik und Ästhetik in einem
kreativen Sinn führen, unabhängig, ob sie der Schreibende bewusst oder unbewusst durch
seinen Text erzeugt hat.
Ein Konzept zur Bewertung und Benotung schulischer „literarischer“ Texte, die durch
Kreatives Schreiben entstanden sind, stellt Mechthild Uhle vor. Sie geht dabei von
überarbeiteten kreativen Schülertexten aus (Uhle 2000, 106):
Note 1 Die literarischen Texte müssen die geplante Wirkungsabsicht erreichen, die Aufgabenstellung vollständig erfüllen, entsprechend der Aufgabenstellung sprachlich differenziert gestaltet sein und sich durch besondere Originalität auszeichnen
Note 2 Die literarischen Texte müssen die geplante Wirkungsabsicht erreichen, die Aufgabenstellung vollständig erfüllen und entsprechend der Aufgabenstellung sprachlich differenziert gestaltet sein.
Note 3 Die literarischen Texte müssen die geplante Wirkungsabsicht zumindest in Teilen erreichen, die Aufgabenstellung richtig erfassen und weitgehend erfüllen. Der Gesamttext ist von der Gestaltung und/oder von der sprachlichen Leistung her weniger differenziert. Der Text kann strukturelle Fehler enthalten, durch die an einzelnen Stellen die beabsichtigte Wirkung beeinträchtigt wird.
Note 4 Die Aufgabenstellung wird in wesentlichen Ansätzen erfasst. In der Textgestaltung ist das Bemühen um die Erfüllung von Regeln erkennbar. Der literarische Text enthäl aber deutliche Schwächen in einem der beiden Bereiche: Idee und Ausführung oder sprachliche Umsetzung der Gestaltungsideen.
Note 5 Die Aufgabenstellung wird nicht richtig erfasst und dementsprechend im literarischen Text nicht angemessen umgesetzt. Der literarische Text enthält gravierende Fehler im sprachlichen und gestalterischen Bereich.
Note 6 Die Aufgabenstellung wird überhaupt nicht erfasst oder berücksichtigt, so dass der literarische Text nicht als Lösungsversuch der vorgegebenen Gestaltungsaufgabe angesehen werden kann. Der Text enthält sehr schwerwiegende Mängel im sprachlichen und gestalterischen Bereich.
Eine Notengebung ist immer auch eine Skalierung von erbrachten Leistungen, weshalb die
abstufenden Formulierung von Uhle für das Entwickeln eines skalierten Kriterienrasters eine
Orientierung darstellen, dessen entwickelte Kriterien im empirischen Teil dieser Arbeit von
Ratern auf Validität, Objektivität und Reliabilität hin untersucht werden.
Barbara Glindemann hebt für Creative-Writing-Studiengänge an englischen Universitäten
hervor, dass eine Beurteilung Kreativen Schreibens nicht rein rechnerisch im Sinne einer
153
reinen Leistungsmessung funktionieren kann und wirft den Ablehnern einer Bewertung vor,
einem Missverständnis aufgesessen zu sein, indem sie „kritisch“ und „kreativ“ als bipolare
Gegensätze im Sinne von gut und schlecht verstehen (Glindemann 2000, 251). Sie plädiert für
eine kriterienorientierte Herangehensweise, die sowohl die Texte als auch die Schreibenden
selbst in den Blick nimmt.
[…]Denn für das Bewerten kreativer Texte steht kein normierter Referenzrahmen bereit, wie in den Naturwissenschaften. Auch können kreative Texte aufgrund des Prozesscharakters der Schreibausbildung nicht immer relativ zueinander bewertet werden. Stattdessen ist der Bezugsrahmen kriterienorientiert. Damit die Bewertung nicht unpersönlich und generalisierend ausfällt, muss jegliche Kritik sich sowohl an bestimmten Kriterien orientieren, als auch auf die persönliche Entwicklung des jeweiligen Studenten zugeschnitten sein (Glindemann 2000, 252).
Mit dieser maßgeschneiderten Prozess-Produktorientierung am Schreibenden verlangt sie der
Lehrkraft bzw. dem Dozenten eine enorme diagnostische Kompetenz ab, da dieser nicht
allwissend Kenntnis über alle Prozesse und Kompetenzen der studentischen Schreibenden
haben kann. Dennoch zeigen die von ihr summarisch zusammengetragenen Kriterien, die sie
anhand von Curricula mehrerer englischer Universitäten erhob, deutlich die sowohl am
Textprodukt als auch am Schreibenden ausgerichtete Beurteilungsperspektive. In der
folgenden Darstellung führt Glindemann scheinbar ungeordnet Kriterien zur Beurteilung von
Kreativität beim Kreativen Schreiben an, die speziell für das Hochschulniveau, sehr
aufschlussreich sind. Mit Blick auf die Authentizität wurde die Darstellung unverändert
übernommen (vgl. Glindemann 2000, 258), für die vorliegende Arbeit, insbesondere die
Untersuchung und Testung von Kriterien, wird aber zunächst eine Trennung von produkt- und
prozessorientierte Kriterien angestrebt.
�
�
lebendiger Ausdruck
bilderreiche Sprache
�
�
innovativer Blickwinkel
ungewöhnliche Aspekte
�
�
Selbstmotivation
redaktionelle Techniken
(showing not telling) � neue Verbindungen � Planung Präsentation
� innovative Form � Stil � Struktur
� innovativ in bestehender
Form
�
�
Sachverstand
Risikobereitschaft
� persönliches Interesse für die
Sache
� sprachlich effektiv � Eigenständigkeit des Denkens � Selektionfähigkeit aus
�
�
formal effektiv
Ausgewogenheit von
� Experimente (begründetes
Brechen von Regeln)
�
verschiedenen Ideen
Einheit, Gleichgewicht
Kontrolle und Inspiration � Recherche, neue � Umgang mit Theorien,
� bewußter Einsatz von
Techniken
�
Informationen
Ausgestaltung von Ideen
�
Konzepten
Prozeßbewußtsein
� Integration intellektueller und � kritisches Bewußtsein � Plausibilität
�
kreativer Fähigkeiten
Organisation
�
�
Analysefähigkeit
Auswahl des Mediums
�
�
Präzision
Redundanz, Überfrachtung
154
� Lesbarkeit � Kontextbewußtsein � hermetische
�
�
Kohärenz
Komplexität
�
(historisch, kritisch, kulturell)
intrinsischer Wert (does it
�
Selbstreferenzialität
Verständnis des Einflusses
� Geläufigkeit work?) moderner Produktions-,
� interessant? � Vermeiden von Klischees, Distributions- und
�
�
überraschend?
Sensibilität der
�
Melodram, Stereotypen
Intention erkennbar?
Rezeptionsprozesse auf den
Schreibenden
Wahrnehmung � Positionierung des Textes � Leser-/Publikumsbewußtsein
Tabelle 2: Unsystematische Zusammenstellung von Bewertungskriterien an englischen Universitäten,
die in den Curricula der Creative-Writing-Studiengänge erwähnt werden (Glindemann 2001, 204)
Auf der Suche nach Normen für die Einschätzung kreativer und ästhetischer (künstlerischer)
Aspekte in Texten geben Ansätze von Iser und Jauß Aufschluss über die
Wirkungsbedingungen zwischen Text und Rezipient bzw. zwischen Schreiber und Leser. Das
kreativ-ästhetische Moment konstituiert sich erst in der dialektischen Aneignung zwischen
Produktion und Konsumption146, um das transzendierende Schöne in einem ästhetischen Text
zu realisieren (Marx 1857 in Jauß 1994, 345ff.). Das heißt, dass die Bewertung kreativ-
ästhetischer Texte neben der Entsprechung gültiger ästhetischer Normen, wie etwa der
Einhaltung von Reimschemata oder der nachvollziehbaren Verwendung bekannter
Metaphern, auch emanzipatorischen und normbrechenden Merkmalen Wert zuschreiben
muss, um einer identitätsstiftenden, kommunikativen und Nachahmung vermeidenden
Schreiberziehung gerecht zu werden. Das Erkennen und Wertschätzen von Neuartigem und
Kreativem fordert von der bewertenden Person die ′implizite Übernahme von Erwartungen
und Normen, aber auch von Einsichten in Erfahrungen und Rollen anderer ein′ (Jauß 1994,
393). Die Bewertung kreativ-ästhetischer Texte transformiert die Textbewertung somit in eine
mit dem Schreibenden interaktive und ebenso selbstreflektorische Aktivität, deren Auslöser
Apellstruktur oder Wirkung wiederum eine zu bewertende Leistung des geschriebenen Textes
darstellen. Gesichtspunkte zur Bewertung in diesem Sinne trägt Liebnau auf der Hamburger
Fachtagung Kreatives Schreiben im Deutschunterricht bereits 1998 vor147. Gemeinsam mit
einer 11. Klasse gruppiert er Kriterien, die nach dem Wie zur Erfüllung inhaltlicher und
formaler Aufgaben fragen, die Wirkung auf den Leser einschätzen, die thematische
Originalität beurteilen und Authentizität und Machart einschätzen (Liebnau 2000, 33).
146 wird hier als synonymisch für Rezeption verwendet 147 Veröffentlichung als Tagungsbericht durch die Behörde für Schule, Jugend und Berufsbildung im Jahr 2000
155
2.4.3 Analyse und Bewertung des Schreibprozesses mit Kreativitätsfokus
Dass in der Schreibforschung heute übereinstimmend von einem multiprozessuralen
Schreibmodell ausgegangen wird, bei dem verschiedene kognitive, motorische, motivationale
und soziale Prozesse parallel, iterativ, sukzessive, interaktiv und rekursiv aufgebaut und
ablaufen können, ist bereits näher erläutert worden148. Ein seriales Schreibmodell, von dem
man spätestens seit Flower & Hayes abgerückt war, könnte gegenüber einem prozess-
parallelen und -interaktiven Modell (kreative) Schreibprozesse sehr viel einfacher erklären, ist
aber aus heutiger Sicht keinesfalls zielführend, da die Komplexität der verschiedenen
Verarbeitungsebenen nicht ausreichend berücksichtigt werden kann. Beaugrande hält
aufgrund der Vielfalt der beteiligten Prozesse die praxisnahe Analyse des Schreibprozesses
mit insgesamt 17 Fragen für notwendig149. Für die Analyse und Bewertung des
Schreibprozesses beim fortgeschrittenen Kreativen Schreiben gelten diese Fragen
mehrheitlich ebenfalls, weshalb sie für die Prozessorientierte Analyse (POA) im empirischen
Teil dieser Arbeit herangezogen werden. Die Beantwortung folgender Fragen gibt einen
fundierten Einblick in eine zergliedernde wenn auch sehr technokratische
Schreibprozessanalyse (Beaugrande 1984, 105): a) How are operations scheduled? b) What is
done simultaneously vs successively? c) Which operations are contingent upon others, and
how strictly? d) Which operations dominate others? e) Which operations are, or can be,
chunked? f) How much is automatic, and how much is attentional? g) How are thresholds of
initiation and termination set or reset? h) How are special problems resolved? i) How many
skills are open, and how many are closed? j) How are limited resources allotted? k) Where
are the main control points in text production? l) What factors contribute to overloading? m)
Does the production process have inherent weak spots or bottlenecks? n) To what extent must
processing adapt to each specific occasion? o) How are processing strategies acquired, and
how do they evolve? p) What counts as a successful or satisfactory text? r) How can text
production be improved by educational training?
Für die Rekonstruktion von Schreibprozessen gilt nach Giuriato/Stingelin/Zanetti der Umstand,
daß der Prozess des Schreibens im Geschriebenen eine Wiederkehr erfahren kann, die sich wiederum für eine Analyse des Schreibprozesses nutzen lässt - auch im Vergleich mit den tatsächlich überlieferten Materialien (Reinschrift, Notizen, Entwürfe) (Giuriato et al. 2008, 12).
148 vgl. Kapitel 2.2.4 zur Schreibprozessforschung 149 Vgl. De Beaugrande 1984, 105.
156
Die drei Schreibforscher sprechen in diesem Zusammenhang dann von einer ′Schreibszene′,
wenn der Rahmen der Textproduktion durch Sprache (Semantik des Schreibens),
Instrumentalität (Technologie des Schreibens) und die Gestik (Körperlichkeit des Schreibens)
konstituiert ist. Die ‘Schreibszene’ entspringt somit der Prozessualität des Schreibens, deren
Problematisierung zur (Auto-) Reflexion anhält, (Giuriato et al. 2008, 12f.) womit
Schreibprozesse primär vom Schreibenden selbst analysiert und bewertet werden können.
Kreativität in einem Prozess zu analysieren und zu beurteilen, ist, im Gegensatz zu einer am
Textprodukt objektivierten Beurteilung, das Analysieren einer individuelle Leistung, deren
Einschätzung wiederum von den Vorerfahrungen, Kompetenzniveaus und Bedingungen des
Schreibenden abhängig ist. Für Steinig und Huneke ist der kommunikative und interaktive
Schreibprozess Voraussetzung für eine schreibmethodische Förderung, in der eine produktiv-
kreative Atmosphäre erst entstehen kann (Steinig/Huneke 2011, 143). Dabei sehen sie eine
Abhängigkeit zwischen der Entstehung dieser produktiv-kreativen Atmosphäre und einer
gerechten Benotung mit relevanten Kriterienrastern. Wenn also kreative Schreibprodukte das
Ziel einer Schreibförderung sind, bei der „Rückmeldung, Rat und Hilfe vom Lehrer“ den
Schreibprozess unterstützen (Steinig/Huneke 2011, 143), dann müssen gleichzeitig
Beurteilungskriterien vorhanden sein, die transparent und dem Lernenden verständlich
gemacht werden können. Somit müssen Kriterien des Inhalts, des Ausdrucks und der
Rechtschreibung und Kriterien zum produktiv-kreativen Lösen der Schreibaufgabe
zusammengedacht werden, auch, um letztendlich Eingang in eine Bewertung von Texten
finden zu können.
Um die Schreibprogression und die damit verschiedenen miteinander verwobenen
Teilprozesse und Schreibphasen bei einer Textproduktion einschätzen zu können, werden
Informationen benötigt, die sich aus der Reflexion des Autors und aus Beobachtungen,
Korrekturen und Gesprächen entstandenen Informationen durch den Lehrenden speisen. Je
nach Anwesenheit und Betreuung des Beobachters/Lehrenden während der Textproduktion
und je Fähigkeiten der Selbstreflexion des Schreibenden überwiegt bei der Einschätzung des
Schreibprozesses die Fremd- oder die Eigenperspektive. Entsteht ein Text beispielsweise
primär im Unterricht, ist es der lehrenden Person in einem großen Maße möglich, die
Schreibaktivitäten der Lernenden zu beobachten, Fragen zu beantworten, Feedback zu geben
oder den Schreibenden bei der Überwindung von Schreibblockaden zu unterstützen. Hingegen
ist die prozessorientierte Beurteilung von Texten, die in Alleinarbeit und ohne die
Beobachtung der Lehrkraft entstehen, fast ausschließlich auf die Angaben und Reflexionen, in
mündlicher oder schriftlicher Form, angewiesen.
157
Als eine Art Resumé der aktuellen Forschungsausrichtung im Hinblick auf schriftsprachliche
Kompetenzen im Übergang Oberstufe - Universität beschreiben Schindler und Siebert-Ott
eine aufgrund der geführten Kompetenzdebatte zunehmende Rückbesinnung auf das
Textprodukt. Dies impliziert zunächst eine Abkehr von der didaktischen Fokussierung auf den
Schreibprozess (Schindler/Siebert-Ott 2012, 157), der in den vergangenen 20 Jahren häufig
über den Fokus auf das Schreibprodukt dominierte. Diese Rückverschiebung des
Schreibprozessfokus′ auf den Textproduktfokus kann aber meines Erachtens höchstens Abbild
der Schreibforschung, keinesfalls aber Abbild der schreibdidaktischen Praxis an Schule und
Universität sein, wo prozessorientiertes Schreiben bis heute zu wenig gelehrt und umgesetzt
wird. Ausnahmen bilden die eingerichteten universitären Schreibzentren und Schreiblabore,
die Studierende in ihrem Schreibprozess, dessen Ergebnis letztendlich unweigerlich das
qualitative angemessene Textprodukt ist, unterstützen. Im didaktischen Kontext und somit
auch im Sinne einer Beurteilung und Bewertung ist daher eine Textprodukt- bzw. Outcome-
Orientierung ohne eine Fokussierung auf zugrundeliegende und notwendige Schreibprozesse
wenig zielführend. Diese Interdependenz sollte für die Bewertung stark normierter Textsorten
ebenso Gültigkeit beanspruchen wie für die Einschätzung kreativ-ästhetischer Texte.
Im Mittelpunkt des Interesses steht nicht das fertige Werk, sondern dessen Anfertigung. Deshalb erscheint der Text auch nicht als etwas Geschlossenes, sondern als Prozess, der in Teilprozesse, also in Abfolgen, Serien, Überschneidungen, Parallelhandlungen, Kooperationen und Koordinationen, Phasen der Planung, der Dynamisierung oder Verlangsamung, des Wartens und des Handelns, des Konstruierens, Rekonstruierens und Dekonstruierens aufgelöst werden kann (Porombka, 2006, 81).
Aussagen zur Kreativitätssteigerung lassen sich gerade anhand einer prozessfokussierenden
Analyse ableiten. Dazu sind Reflexionen der „Autoren“, Gespräche in Zusammenhang mit der
Textproduktion und besonders Informationen aus der teilnehmenden Beobachtung des
Dozenten/Lehrkraft bedeutsam. Je nach Entwicklungsstand können Vorgaben,
Rahmenbedingungen und Hilfestellungen, die den Freiraum des Schreibens und Denkens
fördern oder einschränken, durch die Lehrenden vorgeschlagen und angeleitet oder bewusst
weggelassen werden. Ist kein Dozent/Beobachter in räumlicher Nähe des Schreibenden, um
den Schreibprozess zu analysieren oder zu begleiten, müssen mündliche oder schriftliche
Angaben der schreibenden Person z.B. durch ein (Prozess-)Portfolio, nachvollziehbar sein150.
150 In dieser Arbeit wird die Möglichkeit des Monitorings und der Reflexion im Kapitel 3.6.1.1 Monitoring und schriftliche
Reflexion kreativer Schreib- und Gestaltungsprozesse dargestellt. Eine Untersuchung zur Dokumentation und Reflexion beim Schreiben mit Studierenden findet sich im selbigen und insbesondere im Kapitel 3.6.2.
158
2.4.3.1 Kriterien für eine prozessorientierte Bewertung kreativer Texte
Für die Entwicklung zur Analyse und Beurteilung des Schreibprozesses beim
fortgeschrittenen Kreativen Schreiben mit Studierenden ist von Bedeutung, wie die
(kreativen) Schreibprozesse der Studierenden nachvollzogen werden können. Da Begleitungs-
und Beobachtungsmöglichkeiten der Schreibprozesse durch die Dozenten begrenzt sind, stellt
die Selbstauskunft der Schreibenden eine zentrale Informationsquelle dar, wodurch natürlich
der Anspruch auf Vollständigkeit nur eingeschränkt gewahrt werden kann. Zudem hängen
Quantität und Qualität der Aussagen zum Schreibprozess von der Bereitschaft und der
Fähigkeit der Schreibenden ab, selbstreflexiv151 Handlungen und Teilprozesse beim
fortgeschrittenen Kreativen Schreiben wahrnehmen, identifizieren und explizieren zu können.
Diese Unvollständigkeit hinsichtlich der Informationen über tatsächlich ablaufende Prozesse
ist in der Schreibforschung aufgrund deren Menge an Bedingungsfaktoren und deren
Komplexität bekannt. Die Methode des Lauten Denkens (Hayes/Flower 19981,
Scardamalia/Bereiter 1984, Neumann 1995), der Explikation der inneren Sprache nach dem
Schreiben (Vygotskij 1979, Ludwig 1983), des inneren Sprachbegleiters (Kupfer-Schreiner
2004 und 2005), problemzentrierte Interviews (Witzel 2000, Peters 2011) oder Verfahren der
teilnehmenden Beobachtung (Lehnen 2000, Perrin 2001) trachten nach einer realistischen
Abbildung real ablaufender Prozesse beim Schreiben und haben die Vernachlässigung
einzelner Untersuchungsparameter mit dem hier angewandten Verfahren zur Dokumentation
und Einschätzung des Schreibprozesses (POA) gemein. Ziel ist jeweils das Erlangen von
Informationen über metakognitive Steuerungsaktivitäten im Schreibprozess beim Kreativen
Schreiben, bei dem durch Eigen- oder Fremdbeobachtung aus Intro- oder Retrospektive
Umstrukturierungen oder Neuordnungen von Schreibaktivitäten analysiert und benannt
werden. Aus schreibdidaktischer Sicht werden somit ebenfalls Kriterien zur Veränderung des
Schreibverhaltens erforscht, mit dem Ziel, die Entwicklung der Schreibkompetenz zu
unterstützen. Dabei liegt bei schreibdidaktischen Untersuchungen zum Schreibprozess der
Fokus häufig auf der Bewusstmachung und Aktivierung der inneren Sprache und auf der
Erfassung der Beziehungen zwischen kognitiv-sprachlichen und emotional-kreativen
Prozessen. So werden in diesem komplexen Bedingungsfeld Teilprozesse sichtbar und
Zusammenhänge im Schreibprozess erörtert, sowie förderliche und hemmende Faktoren
erkannt und zugeordnet.
151 siehe dazu Reflexive Praxis, speziell Monitoring und schriftliche Reflexion
159
Für die Fragestellungen dieser Arbeit zum fortgeschrittenen Kreativen Schreiben mit
Studierenden sind zudem Forschungen zum kreativen Prozess bedeutsam, der ebenfalls
anhand von Kriterien analysiert und beurteilt werden kann. Die Schwierigkeit liegt dabei in
der Kombination aus psycholinguistischen und ästhetisch-kreativen Teilprozessen, deren
Zusammenwirken für das fortgeschrittene Kreative Schreiben konstituierend ist.
In Anlehnung an Modelle von Graham Wallas (1926), Siegfried Preiser (1976) oder Cropley
und Urbans (2000) stellt Therese Chromik (2012) verschiedene Phasen im kreativen Prozess
vor, wobei das von Preiser und das von Cropley und Urban am ausdifferenziertesten sind und
sich jeweils am Creative Problem Solving orientieren. Sie versucht hiermit das Entstehen des
„Kreativen“ beim Kreativen Schreiben abzuleiten.
Phaseneinteilung nach Preiser (1976) Phaseneinteilung nach Cropley/Urban (2000)
Person/Umwelt-Interaktion
Problemwahrnehmung und -analyse Vorbereitung = Identifizierung des Problems
Vorbereitung: Informationssammlung Information = Wahrnehmen, Lernen, Zusammentragen von Fachwissen
Inkubation/Hypothesenbildung Einarbeitung = unterschwelliges Hineindenken in ein Problem bzw. Inkubation
Illumination (plötzlicher Einfall) Illumination = kreativer Einfall, Aha-Erlebnis, Erkennen einer neuen, vielversprechenden Struktur
Illumination/Synthese
Überprüfung und Ausarbeitung Verifikation = Relevanz, Erfolgsüberprüfung
Kommunikation Kommunikation = Erreichen des Abschlusses, Feedback
Realisierung
Bewertung = Beurteilung von Relevanz und Erfolg
Tabelle 3: Gegenüberstellung der Phaseneinteilung im kreativen Prozess nach Preiser (1976) und
Cropley/Urban (2000)
Wie im Schreibprozess verweisen die Autoren beider Modelle darauf, dass die Phasen
keinesfalls immer linear und chronologisch verlaufen müssen und, dass neben dem Springen
zwischen den Phasen auch ein mehrmaliges Durchlaufen einzelner Phasen prinzipiell möglich
ist (Preiser 2000, 48).
Auf der Grundlage der dargestellten Kreativitätsforschung kombiniert Chromik die Theorie
zur Entwicklung von Kreativität mit eigenen Praxiserfahrungen jahrzehntelanger
Workshoparbeit in Kursen zum Kreativen Schreiben mit Erwachsenen. Mit der Zuordnung
160
der jeweiligen Stufen im kreativen Prozess konkretisiert sie Kriterien im kreativen
Schreibprozess, an denen letztlich eine prozessorientierte Bewertung festzumachen ist
(Chromik 2012, 77f.):
1. Aufnehmen der Idee Aufnahmebereitschaft
2. Selektion Sensitivität
3. Verknüpfung mit Eigenem Synthese, Beweglichkeit
4. Bildregie Sensitivität-Originalität-Synthese
5. Wort-Regie: das Weiterentwickeln Sensitivität-Originalität-Abstraktion in Worten
6. Distanziertes Betrachten Analysefähigkeit
7. Spielerisches Umgehen Umgestaltungsfähigkeit, Experimentieren
8. Gestaltende Präsentation Synthese, Ästhetik, Organisation
Das Aufnehmen der Idee beim fortgeschrittenen Schreiben erfolgt durch einen Impuls des
Dozenten/Schreibdidaktikers. In der Phase der Selektion wird sich mindestens ein Aspekt aus
dem Impuls zu eigen gemacht, d.h. mit eigenem Wissen und Erlebtem verknüpft. Das
Phasenkriterium der Bildregie meint das emotionale, Ich-bezogene Hineindenken und das
Assoziieren von Bildern, während die Wort-Regie das Weiterentwickeln dieser in Worte
versteht, also den konkreten ersten Formulierungs- bzw. Übersetzungsprozess, welcher in
einem schreibdidaktischen Zusammenhang zumindest beurteilt werden kann. Anschließend
setzt sich der Schreiber nach Chromiks kreativem Schreibprozessmodell distanziert und
kritisch mit dem bereits Geschriebenen auseinander, wobei experimentelles und spielerisches
Umgestalten und Neuerfinden stattfinden oder sich anschließen können, bevor abschließend
das Text-(Bild-)Produkt einer ästhetischen Gestaltung für eine mögliche Präsentation
unterzogen wird, was einem weiteren Beurteilungs- bzw. Bewertungsabschnitt festgestellt
werden kann. Der Relevanz von Chromiks Ansatz für die Entwicklung von Kriterien zur
Bewertung des kreativen Schreibprozesses in Unterrichtssituationen wird umso deutlicher,
wenn sie zu jedem Phasenkriterium konkrete Impulse/Übungen vorschlägt, mit denen sich die
Zielsetzungen der Teilprozesse realisieren lassen (Chromik 2012, 78). Interessant sind die von
Chromik beschriebene Nähe und Kombination des Kreativen Schreibens und des
bildnerischen Gestaltens, obwohl in ihrer Arbeit kein Erkenntnisinteresse am bildnerischen
Gestalten oder an Synergien zwischen Kreativem Schreiben und bildnerischem Gestalten
zugrunde liegt.
Prozesskriterien zielgerichtete Impulse/Übungen
Sensitivität Blindspaziergang
Aufnahmebereitschaft Phantasiereise, spontanes Malen
Beweglichkeit Assoziationskette, Sprachspiele
161
Originalität Umschreiben eines Textes aus neuer Sicht
Umgestaltungsfähigkeit „Aufstand“ der Satzteile
Analyse und Abstraktion Übungen zur Verdichtung von Prosatexten zum Gedicht
Synthese Collage und Montageübungen
Ästhetische Organisation Formale Überarbeitung, Grafische Gestaltung
Tabelle 4: Empfehlung von zielgerichteten Impulsen/Übungen um einzelne Prozesskriterien zu
bedienen nach Chromik 2012
Die Impulse gelten dabei als Anreiz, eine von außen herbeigeführte Situation oder ein
gegebenes Thema als Schreiber für sich zu entdecken und um anschließend den Freiraum des
Kreativen Schreibens für die sprachliche Ausgestaltung zu nutzen. Bei einer
textproduktorientierten Bewertung werden Kombinationen von Text- und Bildelementen
häufig als bereichernd und je nach Ausführung als kreativ bewertet. Für eine
Prozessbewertung befördern die Begrenzung durch den Impuls bzw. das Einhalten von
bestimmten Bedingungen und die Freiheit in der Ausgestaltung dabei den kreativen Prozess
und den Fokus auf ein Ergebnis (Chromik 2012, 79). Diese Prozessbeschreibungen, die
Kreativitätsbildung und schriftliches Formulieren bei vorangegangenem schreibdidaktischen
Input kombinieren, bilden eine Grundlage für die Kriterienentwicklung der
Prozessorientierten Analyse (POA) beim Kreativen Schreiben mit Studierenden, was im
Untersuchungsschwerpunkt 2 des empirischen Teils näher vorgestellt wird.
2.4.4 Analyse und Selbstbewertung durch den Autor
In der deutschdidaktischen Diskussion um die Bewertung des (kreativen) Schreibens werden
häufig die unzureichenden Gütekriterien Reliabilität (Unverlässlichkeit des Ergebnis, z.B.
durch die Abhängigkeit von der Korrekturreihenfolge), unzureichende Objektivität
(verschiedene externe Bewerter kommen zu unterschiedlichen Ergebnissen) und mangelhafte
Validität (Halo152-Effekte führen zu Verzerrungen und Fehleinschätzungen) moniert
(Fritzsche 1994, 216; Fix 2005, 187f.). Es fehlt dabei häufig, insbesondere im Hinblick auf
Studierende als Schreiber auf weit fortgeschrittenem Kompetenzniveau, der Einbezug der
Autorenperspektive. Diese wäre insbesondere im Hinblick auf den „verborgenen“
Schreibprozess aufschlussreich und würde spekulativ-interpretierenden Fehleinschätzungen
152 Beim Halo-Effekt handelt es sich um einen Urteilsfehler, bei dem durch bekannte, zuerst oder besonders wahrgenommene
Merkmale oder Eigenschaften einer Person oder einer Sache, die Beurteilung von weiteren bzw. unbekannten Eigenschaften dieser Person oder Sache beeinflusst werden.
162
mitunter entgegenwirken. Prinzipiell geht es dabei um eine Einschätzung des Textprodukts
zum einen und des Schreibprozesses zum anderen, wobei der Schreibende selbst reflektieren
kann, wie genau die getätigten Teilprozesse zum Entstehen des finalen Textprodukts
beigetragen haben. Die Forderung an die Deutschdidaktik, die Lücke zwischen der Bewertung
normierter Leistungen, wie bei der ausschließlichen Bewertung des Textprodukts, und der
Individualisierung von Schreibprozessen, in die das Ziel der Schreibförderung einbegriffen
ist, zu verringern, ist nicht neu (vgl. Ivo 1979). Hinzu kommt, dass beim Kreativen Schreiben
durch den größeren „Freiheitscharakter“ weitere, dem externen Bewerter unbekannte
Variablen, wie z.B. Unklarheit über den assoziierten Adressaten oder die kommunikative
Absicht des Autors, durch das Heranziehen einer Analyse und Bewertung durch den Autor
selbst geklärt werden könnten. Dennoch sei an dieser Stelle angemerkt, dass trotz
Bewertungskriterien, die dem Schreiber bekannt sind, und trotz des Verfügens über Analysen
und Selbsteinschätzungen des Autors153 die externe bewertende Person das Problem der
Subjektivität der Interpretation nie ganz aufheben kann (Fix 2005, 189). Im Sinne einer
Selbstbewertung können natürlich für Studierende die gleichen Kriterien zur
Leistungsbeurteilung verwendet werden wie für externe Beurteiler.
Eine andere Perspektive auf die Analyse und die Selbstwertung durch den Autor geht mit dem
Verständnis des erweiterten Lernbegriffs und Kompetenzerwerbs einher, bei denen neben der
Text- und Sachkompetenz auch die Methoden-, Sozial- und Personalkompetenz gefördert
werden, nämlich sich mit anderen über eigene und fremde Texte auszutauschen, diese zu
diskutieren, Kritik und Frustration auszuhalten, Lösungen zu finden und nicht zuletzt sich
selbst zu vertrauen und sich selbst einzuschätzen (Klippert 1994, 31; Grunder/Bohl 2001,12).
Gerade Studierende stehen am Übergang vom formellen Lernen zum informellen Lernen, d.h.
an der Schwelle vom Lernen vorgegebener Inhalte zum autonomen lebenslangen Lernen. Die
angesprochene Art der Analyse und Selbsteinschätzung spielt für Studierende eine
ernstzunehmende Rolle und stellt gleichzeitig eine Herausforderung für Lehrende und
Lernende dar. Konkret findet dieser Lernprozess statt, wenn Studierende ihre Texte in der
Kleingruppe oder im Plenum analysieren oder kommentieren. Dabei setzen sie sich mit ihren
eigenen Schreibleistungen, auch im Verhältnis zu den Schreibprodukten der anderen, kritisch
auseinander und nähern sich so einer argumentativen begründeten Textkritik an (Uhle 2000,
153 Die Selbstbewertung von Studierenden hinsichtlich der Qualität ihrer Texte muss sich nicht zwangsläufig mit der
Einschätzung des Dozenten oder Lektors decken. Die Fähigkeiten Texte zu beurteilen hängt erfahrungsgemäß in vielen Fällen vom Niveau der bisher erreichten Textkompetenz der Studierenden ab und sind häufig in Bezug auf Aussagekraft und Umfang heterogen. Somit müssen Analysen und Selbsteinschätzungen von studentischen Autoren externen Bewertern von kreativen Texten nicht zwangsläufig eine Hilfe sein.
163
106). Ähnliches gilt für den Schreibprozess, der von den studentischen Schreibern anhand von
vorgegebenen Kriterien oder durch Fragen zum Schreibprozess analysiert und bewertet wird.
Das bereits erklärte Prinzip des Führens eines Logbuchs als Grundlage für eine
retrospektivische Reflexion führt so ebenfalls zu einer Selbsteinschätzung auf Prozessebene,
was beispielsweise in die Portfolioarbeit integriert werden kann154. Fragen des studentischen
Autors an sich selbst, die den Schreibprozess reflektieren helfen (bspw. Warum und wozu bin
ich wie vorgegangen? Welche Prozessbedingungen, Aufgabenstellungen, Intentionen,
Recherchemöglichkeiten, Zeit und welches Material haben meinen Schreibprozess
beeinflusst?), weil der Schreibende diese Erkenntnisse für das zukünftige Verfassen von
Texten nutzen kann. Dadurch kann der studentische Autor letztlich seine Schreibleistung
durch eine Kombination von Textprodukt- und Schreibprozessfokus insgesamt besser
einschätzen und seine Einschätzungen detaillierter erläutern und begründen155.
Dies soll keinesfalls ein Plädoyer für die intersubjektive Gültigkeit von Textbewertungen
sein. In der Diskussion um eine Analyse und Bewertung Kreativen Schreibens mit
fortgeschrittenen Schreibern jedoch sollte im Sinne einer stärkeren Prozessorientierung
einerseits und einer individuelleren Förderung andererseits diese selbsteinschätzende
Perspektive Berücksichtigung finden.
2.4.5 Vereinbarkeit von Text- und Prozessfokus
Wie die beiden Bereiche der Produkt- und Prozessanalyse unter kreativen Gesichtspunkten
bei einer Einschätzung des Kreativen Schreibens analytisch voneinander zu trennen sind und
wie beide Einschätzungen letztendlich wieder zusammengeführt werden können, wird im
Folgenden näher erläutert und im empirischen Teil dieser Arbeit getestet156. Betrachtet man
die Möglichkeiten der Bewertung bzw. der Einschätzungen schriftlicher Textproduktion
hinsichtlich von Kreativität genauer, ergibt sich ein viel differenzierteres Verständnis. Um
schließlich kreativitätsorientierte schriftliche Textproduktion bei Lernenden zu fördern,
benötigt es ein handlungstheoretisches Verständnis, damit Lerneffekte entstehen und somit
der Abbau von Ängsten vor dem Schreiben vorangetrieben werden kann
(Mummert/Pommerin-Götze 2000, 4f.). Wird eine Symbiose der genannten Voraussetzungen
angestrebt, erscheint eine Analyse und Bewertung Kreativen Schreibens gerade vor dem
Hintergrund des Lernprozesses beim Schreiben sogar als notwendig. Mittels einer
154 vgl. Bräuer 2014 155 vgl. dazu auch Bohl/Dieck/Papenfuss 2009, 30ff. 156 vgl. Empirischer Teil: Untersuchungsschwerpunkt 2: Bewertung von Kreativität beim fortgeschrittenen Kreativen Schreiben
164
facettenreichen aber gezielten Analyse von Schreibprodukt und Schreibprozess steigt aus
gehirnphysiologischer Sicht die Verarbeitungstiefe, die für den Lerneffekt ausschlaggebend
ist.
Von den Unterrichtenden ist beim Kreativen Schreiben eine besondere pädagogische Sensibilität gefordert, weil gerade Kreativität durch Beurteilung leicht abgeblockt wird. An die fachliche Kompetenz werden neue Anforderungen gestellt, vor denen Lehrerinnen und Lehrer selbstverständlicher Weise oft noch zurückschrecken. Grundsätzlich ist jedoch nicht einzusehen, warum es Deutschlehrkräften nicht ebenso möglich sein soll, kreative Texte zu beurteilen, wie es Kunstlehrkräfte mit Bildern von Schülerinnen und Schülern tun (Spinner 1993, 23).
Ebenso äußert sich Glindemann und macht deutlich, dass die Art der Bewertung zwar
individueller als in den Naturwissenschaften ist, aber in den etablierten künstlerischen
Disziplinen seit langem praktiziert wird (Glindemann 2000, 252). Sie behauptet, dass „[E]ine
derartige Bewertung weder komplizierter noch arbeitsaufwendiger als herkömmliche
Bewertungstechniken [ist] (Glindemann 2000, 252). Schon 1980 hat Kaspar H. Spinner
bemängelt, dass die Bewertung von Texten zunehmend einer aus immer mehr Einzelnoten
berechneten Endnote exakt errechnet werden soll, was einer für den Lernenden förderlichen
Schreiberziehung entgegenwirkt. Spinner geht sogar so weit, als dass er die objektive
Quantifizierbarkeit als Illusion und als eine Missachtung des Lernenden als Person betrachtet.
Die Lehrkraft soll und muss in seinen Augen die Schreibkompetenz eines Lernenden über
einen längeren Zeitraum einschätzen und den Mut haben, diese Lernprozesse jedes
Lernenden anhand der einzelnen Arbeiten im Sinne einer Gesamtbeurteilung zu bewerten
(Spinner 1980, 77-79).
Wir nehmen uns vor, Schülerinnen und Schüler zu unterstützen, ihren ‚Sprachsinn‘ und eigenen Stil zu entwickeln. Das heißt, wir fördern das Bewusstsein für Qualitätsunterschiede bei der Sprachverwendung und ermuntern die Schüler/innen, thema-, situations- und adressatenbezogen so zu formulieren, dass sie sich mit den eigenen Formulierungen identifizieren können (Liebnau 1995, 132).
Die in der Einleitung angesprochene Querschnittsperspektive einer Hochschuldidaktik
benötigt hinsichtlich der Zusammenführung des Text- und Prozessfokus Überlegungen zu
Aufgaben bzw. methodischem Vorgehen. Wie im Kapitel 2.4.3.1 angesprochen, kann dies
erreicht werden, indem gezielte Impulse und Kriterien im kreativen Schreibprozess das
Erreichen eines möglichst originellen Textprodukts unterstützen. Diese Impulse und Kriterien
sind in ihrer Vollständigkeit keinesfalls verpflichtend. Sind sie aber bekannt, ist bei einer
Beurteilung des Schreibprozesses durch den Schreibenden oder den externen Beurteiler
einzuschätzen, ob und welcher schreib- und kreativitätssteigernder Techniken er sich bedient
hat. Dabei sind die Angemessenheit, der Schreibtyp, die Textsorte und schreiberindividuelle
Präferenzen zu berücksichtigen bzw. zu erfragen. In einem Abgleich von prozessualem
165
Vorgehen und dem erreichten Textprodukt kann eine Beurteilung des Kreativen Schreibens
mit einem heuristischen und dennoch ganzheitlichen Anspruch gewährleistet werden
(Chromik 2012, 78).
2.4.6 Fazit Bewertung des fortgeschrittenen Kreativen Schreibens von
Studierenden
Die länderübergreifenden Bildungsstandards sehen für die allgemeine Hochschulreife den
Kompetenzbereich des ′Produzieren[s] ästhetischer, epistemischer und reflexiver Textformen
als ästhetisches Ausdrucksvermögen in literarischen und pragmatischen
Zusammenhängen[…]zur Interessensbildung und Wissensgenerierung′ vor
(Kultusministerkonferenz 2012, 18)157, obwohl es kaum Kriterien zur Analyse und Bewertung
in diesem Bereich der Schreibkompetenz gibt. Häufig leidet daher die Ernsthaftigkeit und der
Stellenwert des Kreativen Schreibens (in der Mittel- und Oberstufe) und ist als Ergebnis an
den Universitäten außerhalb von Studiengängen zur literarischen Schreibausbildung, wie
beispielsweise in Hildesheim, Leipzig, Hamburg oder Berlin, selten in der akademischen
Ausbildung zu finden. Der Grund hierfür liegt darin, dass Lehrenden und Lernenden weder an
Schule noch Hochschule selten konkrete und variable Bewertungskriterien zur Verfügung
stehen, wie sie z.B. in den KMK formulierten Kompetenzbereichen festgeschrieben sind.
Lernzielkontrollen, die für das bildungsinstitutionelle Lernen Standard sind, fehlt somit häufig
eine Bewertungsgrundlage für das Kreative Schreiben.
Für dieses Fehlen objektivierbarer Anhaltspunkte sind häufig Vorurteile von
„Bewertungsgegnern“ verantwortlich (Uhle/Deutelmoser 2000). Diese sind zwar leicht zu
entkräften, jedoch bleiben, ähnlich wie bei jeder Bewertung, schwieriger zu lösende Aspekte
bei der Analyse und Bewertung des Kreativen Schreibens teilweise bestehen. Gründe für
diese Schwierigkeiten ergeben sich aus dem vergrößerten Freiraum kommunikativer
Handlungen, Absichten und Adressierungen sowie aus dem freieren Umgang mit sprachlichen
und textuellen Konventionen, welche die Komplexität bei der Bewertung im Vergleich zur
Bewertung stark textsortengebundener Schreibaufträge oder funktionaler Texte erhöhen. Das
Kreative als altbackenes Künstlergenieprivileg muss entmystifiziert werden (Waitman 2009),
um eine textsortenimmanente und eine schreiberindividuelle auf den Schreibprozess
abzielende Analyse und Bewertung, inklusive von Einstellungen und Verhaltensweisen, zu
realisieren (Chromik in Merkelbach 2002). Prinzipiell können, wenn der
157 http://www.kmk.org/fileadmin/veroeffentlichungen_beschluesse/2012/2012_10_18-Bildungsstandards-Deutsch-Abi.pdf
166
Schreiberziehungsauftrag vor dem Bewertungswillen priorisiert wird (Spinner 1993), kreative
Faktoren hinsichtlich des Schreibprodukts und der Schreibentwicklung ähnlich wie im
Kunstunterricht bewertet werden (Homberger 1997, Abraham 1999). Für den
Hochschulkontext bietet sich der Vergleich mit Juroren von Literaturwettbewerben,
Redakteuren, Lektoren und Verlegern an, bei denen die Einschätzung von Kreativität durch
externe Leser/Bewerter in Texten völlig normal und alltäglich ist (Glindemann 2001).
Im Gegensatz zum Verständnis akademischer Praxis, in der das Explizieren von Fachwissen
im Zentrum steht, liegt der Schwerpunkt bei der Analyse und Bewertung fortgeschrittenen
Kreativen Schreibens auf der Beurteilung des produzierten fiktiven Texts selbst (Glindemann
2001). Die Bewertung erfolgt dabei sowohl produkt- als auch prozessorientiert, weshalb beide
Bewertungsbereiche zunächst getrennt voneinander zu betrachten sind.
Textimmanente Analyse und Bewertung von Texten mit einem Kreativitätsfokus
Der erste Eindruck beim Lesen und somit die erste Beurteilung über die Kreativität und
Qualität eines Texts erfolgt spontan und global. Bei einer detaillierteren Analyse zur
Textbewertung ästhetisch-schriftsprachlichen Ausdrucks kommen häufig Kriterien zum
Einsatz, die sich allerdings unzureichenderweise häufig auf Wortwahl, Satz- und Textbau,
Rhythmus und Registerwahl und Tonlage reduziert (Sieber/Nussbaumer 1995; Schieder
2011). Für den schulischen Bereich schlägt Mechthild Uhle Notenabstufungen vor, die eine
erste Orientierung zur Analyse und Bewertung Kreativen Schreibens anbieten. Konkrete
Kriterien für den Sekundarstufen II- bzw. Hochschulbereich bietet Glindemann an, die sie aus
Untersuchungen von Schreibstudiengängen englischer Universitäten ableitet (Glindemann
2001). Auch Liebnau erarbeitete Kriterien, die er gemeinsam mit Elftklässlern am
Gymnasium erarbeitete und die nach dem Wie zur Erfüllung inhaltlicher und formaler
Aufgaben, nach der Wirkung auf den Leser, der thematischen Originalität, der Authentizität
und nach der Machart fragen (Liebnau 2000).
Ziel eines Analysesystems bzw. eines Kriterienrasters zur Bewertung von kreativen Texten ist
es, generell und verbindlich zu sein und gleichzeitig eine Differenzierung für Textsorten,
Schreibarrangements, Niveaustufen und Altersgruppen zuzulassen. Je nach Textsorte und
Schreibarrangement können Einzelkriterien hervorgehoben oder vernachlässigt werden. Ein
Kriterienraster muss der Lernergruppe bzw. dem Leistungsstand des Lerners angepasst
werden können (Schieder 2011, 39ff.). Die Kriterien kreativer Leistungen in Texten, die
häufig eng mit Kriterien sprachlicher Angemessenheit einhergehen, zeichnen sich häufig
durch eine hohe sprachliche Komplexität mit Textmusternormen, Rezipientenführung und
167
elaborierten sprachlichen Mitteln aus. Als Fazit aus diesem Kapitel zu Möglichkeiten der
Beurteilung und Bewertung des Kreativen Schreibens mit Studierenden lassen sich
zusammenfassend folgende übergeordnete Kriterien für eine rein textimmanente Bewertung
ableiten:
a) Phantasie und Originalität
b) sprachliche Ästhetik und Stilmittelverwendung
c) Leseattraktivität und Wirkung
d) Gestaltung und Form
Damit ist die textimmanente Analyse und Bewertung kreativer Texte eine Herangehensweise,
die, ausgehend vom konkreten Textbeispiel, Kenntnisse aus der Theorie der literarischen
Wertung und der Kreativitätsforschung zielführend miteinander verknüpft (Müller-Michaels
1993).
Analyse und Bewertung des Schreibprozesses mit Kreativitätsfokus
Trotz der eingeschränkten Möglichkeiten einer Analyse tatsächlich ablaufender Prozesse beim
(Kreativen) Schreiben (Neumann 1995, Perrin 2001, Kupfer-Schreiner 2005) benötigt jede
Schreibdidaktik die Prozessperspektive (Porombka 2006). Somit tragen eine Analyse und eine
abschließende Bewertung des Schreibprozesses durch den Autor selbst und durch eine externe
Person, die größtenteils auf mündliche oder schriftliche Explikationen/Reflexionen des Autors
angewiesen sind, erheblich dazu bei, die innere Sprache des Schreibenden zu aktivieren und
die Beziehungen zwischen kognitiv-sprachlichen und emotional-kreativen Prozessen zu
erfassen. Konkret werden dadurch Teilprozesse beim Ideengenerieren, Planen, Formulieren,
Umstrukturieren und Neuordnen vom Schreibenden und Lehrenden/Dozenten identifiziert
(Kupfer-Schreiner 2005, Peters 2011). Die Analyse und Bewertung des Schreibprozesses
wird, nicht zuletzt in didaktisch gelenkten Schreibsituationen mit Impulsen und
Aufgabenstellungen, somit Grundlage für eine Veränderung bzw. Verbesserung des
Schreibverhaltens hinsichtlich einer Steigerung von Kreativität und Schreibkompetenz.
Kriterien, an denen sich eine Analyse und Bewertung des Kreativen Schreibprozesses
orientieren kann, leiten sich aus Konzepten zur Phaseneinteilung im kreativen Prozess des
Problemlösens (Wallas 1926, Preiser 1976, Cropley/Urban 2000), der
Schreibprozessforschung (Ludwig 1983, Scardamalia/Bereiter 1984, Beaugrande 1984,
Ortner 2000, Feilke 2012) und aus Praxiserfahrungen des Unterrichtens und Lehren Kreativen
Schreibens mit Schülern und studentischen Schreibern ab (Pommerin 1996, Glindemann
2001, Chromik 2012). In allen drei Bereichen sind Phaseneinteilungen jeweils nicht als
168
strenge Chronologie zu verstehen. Teilprozesse der Textproduktion wie Überspringen,
Auslassen, Rückspringen und Gleichzeitigkeiten sind sowohl für kreative Prozesse als auch
für Textproduktionsprozesse charakteristisch (Chromik 2012), wodurch die Ähnlichkeit bei
der kognitiven Verarbeitung offensichtlich wird.
Ein Plädoyer für mehr Prozessorientierung bei der Bewertung des Schreibens ist nur insofern
sinnvoll, als dass die Zergliederung des Schreibens und dessen Bewusstwerdens eine
qualitative Verbesserung des kreativen Textprodukts zum Ziel hat. Dabei werden durch die
Kommunikation und Erarbeitung von relevanten Prozesskriterien des Schreibers neben der
Text- und Sachkompetenz (epistemisches Schreiben) auch methodische, soziale und
persönliche Kompetenzen des Schreibenden entwickelt, die beim Lernen in Gruppen durch
gezieltes Einbeziehen von schreib- und kommunikationsdidaktischen Methoden angewendet
werden können.
Eine professionelle akademische (kreative) Schreibdidaktik vereint die zunächst für die
vorangestellte theoretische Erörterung getrennten Perspektiven von Schreibprodukt und
Schreibprozess letztendlich wieder, z.B. durch Monitoring und Reflexion des Schreibens158,
und steigert somit die kognitive Verarbeitungstiefe und somit den Effekt und die
Nachhaltigkeit des Lernens durch (Kreatives) Schreiben.
158 vgl. Kapitel 2.3.5 Reflexion und fortgeschrittenes Kreatives Schreiben als akademische Praxis
169
3 EmpirischeUntersuchung
Der empirische Teil dieser Arbeit zur Untersuchung fortgeschrittenen Kreativen Schreibens
und zu Teilen ästhetischen Gestaltens von Studierenden beinhaltet drei Untersuchungs-
schwerpunkte: 1. eine schriftliche standardisierte Befragung Studierender,
2. eine Untersuchung zur Beurteilung textprodukt- und prozessbezoge- ner kreativer Leistungen beim Kreativen Schreiben Studierender und
3. eine Untersuchung zur Reflexion kreativer Schreibaktivitäten von Studierenden.
Zu Beginn des empirischen Teils wird erläutert wer, wann, wo, wie und warum erforscht
wird. Im Hinblick auf das Forschungsinteresse und unter Berücksichtigung der Untersu-
chungskonstellationen wird im Folgenden die methodologische Ausrichtung und die Auswahl
der Forschungsinstrumentarien erläutert und dabei die Notwendigkeit der Anpassung und der
Kombination verschiedener Erhebungs- und Auswertungsmethoden begründet.
Im Rahmen des Forschungsprojekts Kreatives Schreiben und Ästhetisches Gestalten159, an dem die Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) mit dem Fach Di-
daktik des Deutschen als Zweitsprache (DiDaZ) und die Technische Hochschule Nürnberg
Georg Simon Ohm (THN GSO) mit der Fakultät Design beteiligt waren, wurden 2011 und
2012 jeweils ein Intensivseminar mit zwei Studierendengruppen der genannten Hochschulen
durchgeführt, bei denen jeweils 35 Studierende beider Hochschulen teilnahmen. Neben betei-
ligtem wissenschaftlichen Personal beider Hochschulen wurden zur Durchführung der Inten-
sivseminare externe Schreib- und Illustrationsexperten hinzugezogen, um Durchführung- und
Erforschung personell voneinander zu trennen. Die Seminaraktivitäten und deren Aufzeich-
nungen, Dokumente und Ergebnisse, die im Folgenden vorgestellt werden, liefern somit die
empirische Grundlage der Untersuchungen. Dabei wird auf das kreative Schreiben und das
ästhetische Gestalten (im Sinne eines bildlichen Abbildens auf einer Ebene/Fläche) in einem
interdisziplinären didaktischen Setting mit ausgewählten Schwerpunkten, die sich aus den
forschungsleitenden Fragestellungen ableiten, fokussiert. Die Interdisziplinarität, die sich
glücklicherweise durch die Kombination des Kreativen Schreibens und Ästhetischen Gestal-
tens im erwähnten Forschungsprojekt ergibt, beeinflusst das Forschungsinteresse maßgeblich, 159 Das Forschungsprojekt Kreatives Schreiben und ästhetisches Gestalten wiederum ist eines von fünf Teilprojekten in der von
der Staedtler-Stiftung geförderten Verbundforschung mit dem Titel Die Bedeutung des Schreibens und kreativen Gestaltens für die Entwicklung des Menschen. Das Konzept des Teilprojekts Kreatives Schreiben und ästhetisches Gestalten wurde von mehreren Professoren beider Hochschulen entwickelt und koordiniert.
166
wenn auch die Expertise des Autors im Bereich der illustrativen oder kunstpädagogischen
Forschung begrenzt ist. Dennoch werden stellenweise Bezüge und Vergleiche zwischen bei-
den hergestellt.
3.1 LeitendeForschungsfragen
In der vorliegenden Untersuchung geht es um Erkenntnisse über fortgeschrittenes Kreatives
Schreiben Studierender und in der Erweiterung auch über die Kombination zwischen den bei-
den ästhetischen und über die Hand realisierten Ausdrucksformen Kreatives Schreiben und
ästhetisches Gestalten. Mit Ausnahme der quantitativen schriftlichen Befragung, deren Er-
gebnisse aber durchaus in die Auswertungen und Interpretationen der Untersuchungen zum
fortgeschrittenen Kreativen Schreiben mit Studierenden einbezogen werden (mixed method),
sind die angelegten Fragestellungen des qualitativen Forschungsdesigns im Sinne der Groun-
ded Theory prinzipiell offen. Diese Offenheit gewährt das Hinzukommen, Ausdifferenzieren
und Verschieben von Fragestellungen aufgrund von Erkenntnissen und Modellierungen wäh-
rend des Untersuchungszeitraums, was in der Grounded Theory als grundlegende Chance
betrachtet wird (Strauss/Corbin 1996, 21ff.). Zu Beginn der Untersuchungen stehen folgende
Fragenkomplexe, die jeweils ein eigenes methodologischen Vorgehen verlangen:
I. a) Welches Selbstkonzept, welche Kompetenzen und Erfahrungen,
b) welche Erwartungen und Motivationen und
c) welche Schwierigkeiten und Wünsche
hinsichtlich des Schreibens bringen Studierende heute zu Beginn ihres Hochschulstu-diums mit?
d) Welche Bezüge lassen sich zwischen dem Kreativen Schreiben und dem ästhe-tisch-bildnerischem Gestalten Studierender herstellen?
II. Wie kann Kreativität beim fortgeschrittenen Kreativen Schreiben mit Studierenden analysiert, beurteilt und bewertet werden?
III. Was beinhaltet eine retrospektivische Reflexion des eigenen Kreativen Schreibens von Studierenden, wie wird diese geleistet und wie kann die Reflexionsfähigkeit Studie-render (aus didaktischer Perspektive) gefördert werden?
IV. Was sind die Synergieeffekte eines innovativen Konzepts für ein interdisziplinäres Schreiben an Hochschulen, das Kreativität und Reflexivität der Studierenden steigert?
167
3.2 Untersuchungskonstellationen
Der Rahmen der Untersuchungen, in dem die Studierenden beider beteiligter Hochschulen
kreativ geschrieben und ästhetisch gestaltet haben und deren Leistungen letztendlich erforscht
werden, wird aus Gründen der Nachvollziehbarkeit, insbesondere hinsichtlich des methodolo-
gischen Vorgehens, im Folgenden vorab skizziert.
AuswahlundCharakterisierungderProbanden3.2.1
Für die Untersuchung ist einerseits eine gewisse Homogenität der untersuchten Studierenden
notwendig, um prinzipiell Vergleiche innerhalb dieser untersuchten Gruppe vornehmen zu
können. Dennoch ist aufgrund des interdisziplinären Forschungsprojekts die Heterogenität der
Studierenden (eine Studierendengruppe der Friedrich-Alexander-Universität mit dem Studien-
fach Didaktik des Deutschen als Zweitsprache und die andere Studierendengruppe der Tech-
nischen Hochschule Nürnberg mit dem Studienfach Illustration/Design) eine bewusst gewähl-
te Datengrundlage für Datenerhebungen, Auswertungen, Interpretationen und letztendlich
Vergleiche. Die Homogenität kennzeichnet sich konkret dadurch, dass sich alle Probanden in
einem Hochschulstudium befinden, somit mindestens die Fachhochschulreife erlangt haben,
dass sie, mit wenigen Ausnahmen, zwischen 20 und 25 Jahren alt sind und dass sie sich in
ihrem Hochschulalltag häufig mit dem Schreiben von Texten und/oder dem Gestalten von
Bildern beschäftigen. Zentral ist hierbei, dass beide Probandengruppen diese beiden Medien,
analog in der Fläche (z.B. auf Papier, Leinwand, Holz, u.a.) oder digital (z.B. auf dem Laptop,
Tablet, PC, Smartphone, u.a.), produktiv realisieren bzw. abbilden. Weiterhin haben alle Pro-
banden an einem Forschungsseminar teilgenommen, in dem externe Schreibdidaktiker und
Illustratorinnen160 in grundlegende Techniken des Kreativen Schreibens und Ästhetischen
Gestaltens eingeführt haben und mit beiden Studierendengruppen mehrheitlich in gemeinsa-
men Veranstaltungen geschrieben und illustriert haben161.
Die Heterogenität der beteiligten Studierenden ist, ohne die Intention dieser Differenzierung
ad absurdum führen zu wollen, zwar durch die Individualität jeder einzelnen Person gegeben,
aber keinesfalls auf diese zu reduzieren. So konstituiert sich die Heterogenität der Studieren-
den(-gruppen) zum einen durch das Studium an zwei unterschiedlichen Hochschulen und
160 Durch die Differenzierung und nacheinander folgenden Nennung von Wissenschaftlern und Schreibdidaktikern ist keines falls
gemeint, dass Schreibdidaktiker keine Wissenschaftler sind. Vielmehr ist an dieser Stelle relevant, dass die seminardurch-führenden Schreibdidaktiker und Illustratoren nicht die untersuchenden Wissenschaftler sind.
161 wird im weiteren Text genauer ausgeführt
168
Hochschultypen und den damit einhergehenden unterschiedlichen Anforderungen, Zielset-
zungen und Bedingungen ihres gewählten Studiengangs. Die Heterogenität ausdifferenzierend
beeinflussen verschiedene Erfahrungen, Kompetenzstufen und Affinitäten hinsichtlich des
(Kreativen) Schreiben und insbesondere des Illustrierens/ästhetischen Gestaltens.
Die Interventionsmaßnahme mit den Studierenden ist in zwei voneinander getrennten Durch-
gängen organisiert und wird jeweils mit neuen Probanden durchgeführt. In mehrtägigen
Workshops begegnen alle Studierenden jeweils der facheigenen und der fachfremden Diszip-
lin und werden zum gemeinsamen kreativen Schreiben und ästhetischen Gestalten durch pro-
fessionelle Schreibdidaktiker und Illustratoren angeleitet. An dieser Stelle sei bemerkt, dass
die teilnehmenden Studierenden der Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg das Modul
Illustration wählen, in dem das Forschungsseminar verortet ist. Die Studierenden der Fried-
rich-Alexander-Universität hingegen studieren fast ausschließlich ein Lehramt für Grund-,
Haupt- und Realschule oder Gymnasium. Die Teilnahme am Seminar deckt den Bereich der
Lehramtsprüfungsordnung (LPO I) „Produktion von Texten“ des gewählten Faches Didaktik
des Deutschen als Zweitsprache ab. Während die Teilnehmer beider Hochschulen Techniken
und Verfahren des Kreativen Schreibens im gemeinsamen Intensivseminar erstmalig verwen-
den, ist das Illustrieren für die Gruppe der Design-Studierenden ein vertrautes Metier. Die
direkte Kombination beider Disziplinen bei einem Arbeitsauftrag jedoch bleibt für die meisten
eine neue Erfahrung.
Dennoch muss an dieser Stelle hervorgehoben werden, dass ein Ungleichgewicht bezüglich
der Kompetenz im jeweilig anderen Bereich durch die verschiedenen beteiligten Studiengän-
ge mit ihren Studierenden offensichtlich ist. D.h. die Design-Studierenden sind der schriftli-
chen Textproduktion im Allgemeinen weitaus mächtiger als diejenigen Studierenden des Fa-
ches Didaktik des Deutschen als Zweitsprache dem Zeichnen und Illustrieren. Aus den
Rückmeldungen der Studierenden geht hervor, dass es den Design-Studierenden häufig leich-
ter fällt, einen themenbezogenen Text zu produzieren als den Didaktik-des-Deutschen-als-
Zweitsprache-Studierenden eine entsprechende Zeichnung bzw. Illustration.
Die Ursache hierfür liegt in der für alle durchlaufenen schulischen Erziehung zum schrift-
sprachlichen Ausdruck von der Primarstufe bis zum Abitur bzw. Fachabitur. Die schulische
Kunsterziehung hingegen, speziell das Zeichnen und Illustrieren als persönliche Ausdrucks-
form, wird in der schulischen Bildung traditionell weit weniger fokussiert. Ausgeprägte Fä-
hig- und Fertigkeiten beim Zeichnen und Illustrieren sind in der Regel individuell bedingt und
werden aus Interesse ausgebaut und vertieft.
169
InterdisziplinäreIntensivseminarezumfortgeschrittenenKreati-3.2.2
venSchreibenundästhetischenGestaltenmitStudierenden
Charakter und Konzept der Intensivseminare
Das Konzept des Teilprojekts „Kreatives Schreiben und ästhetisches Gestalten“ sah je ein
Vorbereitungsseminar und zwei Interventionen mit Studierenden beider Hochschulen sowie
mit Schülern in multikulturellen Lerngruppen vor. Im Sommersemester 2011 und im darauf-
folgenden Sommersemester 2012 fanden zwei mehrtägige Intensivseminare statt, bei denen
jeweils 35 Studierende des Faches Didaktik des Deutschen als Zweitsprache der FAU und der
Fakultät Design der Ohm-Hochschule teilnahmen. Das Intensivseminar wurde neben den be-
teiligten Professoren von drei externen Expertinnen geleitet; einer Schreibdidaktikerin und
zwei Illustratorinnen. Beide Studierendengruppen wurden mit Aufgaben und Verfahren beider
Disziplinen betraut, d.h. jeder Teilnehmer musste sowohl schreiben als auch illustrieren. Die
Aufgabenstellungen waren stets konkret, ließen aber dennoch einen großen Freiraum für indi-
viduelle Realisierungen, sowohl bei der Themen- und Textsortenwahl, bei den verwendeten
Medien oder den bevorzugten Schreib- und Illustrationsverfahren. Diese Vorgehensweise ist
typisch für das Kreative Schreiben in Gruppen, sowohl im schulischen als auch im universitä-
ren Kontext. Trotz großer Freiheiten in der Ausgestaltung während der Textproduktion ist das
„freie“ und weniger Textsorten-adäquate Kreative Schreiben stets an eine konkrete Aufgaben-
stellung bzw. an einen konkreten Schreibauftrag gebunden. Fix und Melenk verweisen darauf,
dass gerade beim schulischen (Kreativen) Schreiben162 die völlige Freiheit von Vorgaben ein
′theoretisches Konstrukt′ bleibt und Sennlaubs Vorstellung des Freien Schreibens163 relativiert
werden muss (Fix/Melenk 2002, 34).
Diese konkreten aber dennoch in der Ausgestaltung großzügigen Schreibanlässe lassen sich
mit Dehns Ansatz des Schreibens nach Vorgaben zwar vergleichen, gehen aber weit darüber
hinaus164. Dehn betont, dass diese Schreibform bei den Lernenden besonders kognitive Impul-
se freisetzt und ganzheitliche, lebensweltliche und literarische Erfahrungen einbindet und so
die Kompetenz zur Entfaltung von Textkompetenz fördert ‒ ein Aspekt, der für das hiesige
Forschungsprojekt von erheblicher Bedeutung ist.
162 Obwohl es hier um das Schreiben mit Studierenden geht, wird auf schulisches Schreiben Bezug genommen, weil durch den
Rahmen beider Bildungsinstitutionen und insbesondere durch den Workshopcharakter der Interventionen die Gemeinsam-keiten von Schreibaufrag und Umsetzung dieser gegenüber den Unterschieden deutlich überwiegen
163 Sennlaub forderte einen Schreibunterricht für die Grundschule, in der die Schreibenden selbst entscheiden, ob sie schreiben, was sie schreiben und wann sie schreiben.
164 vgl. Dehns/Hüttis-Graf 2005
170
Die teilnehmenden Studierenden erstellten so ein individuelles Portfolio anhand aller im Se-
minar entstandenen Texte und Materialien. In einer anschließenden Projektarbeit in den Se-
mesterferien erarbeitete ein Teil derjenigen Studierenden, die an den Vorbereitungs- und In-
tensivseminaren teilgenommen hatten, ein sogenanntes „Besonderes Portrait“ einer selbst
gewählten Person zum Rahmenthema An|ge|kommen im Sommersemester 2011 und zum
Rahmenthema Sich Erinnern im Sommersemester 2012. Sowohl im Portfolio als auch im Por-
trait befinden sich Texte und Illustrationen, deren Qualität differenzierend eingeschätzt und
deren Entstehungsprozesse durch die Studierenden dokumentiert und reflektiert wurden.
Die nachfolgende Skizze für die Durchführung und Erforschung des Kreativen Schreibens
verdeutlicht gleichzeitig die Auswahl einzelner Schwerpunkte der Intensivseminare, auf deren
Anregung hin die Studierendentexte und damit ein Großteil des hier untersuchten Datenmate-
rials entstanden sind. Im Seminar werden ausgewählte kreative Schreibverfahren und
Schreibanlässe vorgestellt, erprobt, weiterentwickelt oder umgestaltet und dazu der kreative
Schreibprozess sowohl als Ganzes als auch in einzelnen Phasen reflektiert. Die Reflexionen
werden von den Forschenden in den Intensivseminaren eingefordert und von den Teilneh-
menden nach produktiven Schreibtätigkeiten in mündlicher Form geleistet. Schriftliche Re-
flexionen werden von den Studierenden in Abwesenheit der Forschenden zu einem Teil ihrer
Texte angefertigt und liegen in schriftlicher Form vor. Die vorliegenden Texte, die durch an-
geleitetes Kreatives Schreiben in Intensivseminaren entstehen, sind Datengrundlage und zei-
gen die Auseinandersetzung mit der eigenen oder einer imaginierten Identität und die Refle-
xion mit schreibereigenen Lebens- und Denkwelten. Für die Auswertung kreativer Aspekte in
Studierendentexten und für die Untersuchung von Schreibprozessreflexionen Studierender
werden für die Auswertung vier in den Intensivseminaren realisierte Schreib- und Gestal-
tungsarrangements exemplarisch herangezogen165. Diese stellen somit eine Auswahl für die
Untersuchungen zu den folgenden vier Schreibverfahren dar: Das (i) Schreiben und Zeichnen
zu Musik bzw. die Musikalische Phantasiereise, (ii) das situative Schreiben und Zeichnen,
(iii), das Écriture Automatique und (iv) das Schreiben und Zeichnen zu und mit Literatur.
Durch die Auswahl wird zum einen die Bandbreite und Wirksamkeit von multisensorischen
Impulsen beim Kreativen Schreiben veranschaulicht. Zum anderen wurde diese Auswahl ge-
165 Weitere in den Intensivseminaren eingeführte und durchgeführte Schreibverfahren bzw. von den Studierenden verfasste
Textgenre waren: Versetzung, Haiku, Wachsgedicht, Triolett, Kurzgeschichte, Gedicht, Elfchen, Innerer Monolog, fiktives In-terview, Erzählungen, Akchrostichon, Visuelle Poesie, Liedtexte und ABC-Darium
171
troffen, weil der Umfang und die Anzahl der angefertigten Reflexionen zu diesen vier
Schreibverfahren größer bzw. höher waren als bei anderen Schreibverfahren.
Leistungsnachweis Seminarportfolio
Die Texte aus den Seminarportfolios sind neben den Besonderen Portraits166 die Datengrund-
lage für die hiesigen Untersuchungen. Sowohl für die Studierenden als auch für die Untersu-
chenden und Dozierenden soll daher der Stellenwert der Portfolioarbeit als Konstituente der
wissenschaftlichen Untersuchung vorab dargestellt werden.
Im Rahmen der universitären Lehrerausbildung gilt das Portfolio als eine Dokumentations-
form, die zu Prüfungszwecken genutzt werden kann. Mit dem Portfolio können die teilneh-
menden Lehramtsstudierenden entweder eine Teilnote des Staatsexamens oder einen Teil der
Zulassungsvoraussetzungen für das Staatsexamen erhalten. Für teilnehmenden Studierenden,
die keine Lehramtsstudierenden sind, stellt das Portfolio eine Prüfungsform dar, die im Rah-
men von ihrem Designstudium das Modul Illustration abschließen. Trotz der einheitlichen
Prüfungsform Portfolio ist dabei eine individuell kreative Ausgestaltung erwünscht. Der pro-
zessorientierte und dokumentarische Charakter der Portfolioarbeit bietet sowohl den Studie-
renden als auch den Untersuchenden gute Möglichkeiten, Engagement, Expertise und Kompe-
tenzentwicklungen zu begleiten und einzuschätzen. Damit sich die Portfolioarbeit als effektiv
und nachhaltig erweist, werden mehrere Anforderungen an das Portfolio gestellt:
• Das Portfolio enthält alle im Seminar erstellten Texte und Bilder, erhaltenen Hand-
outs, sonstige seminarrelevante Materialien, ein entsprechendes Deckblatt und ein In-
halts- sowie Literaturverzeichnis.
• Mindestens drei167 der (handschriftlich) im Seminar entstandenen kreativen Texte oder
Bilder sind zu überarbeiten, zu digitalisieren und zu formatieren.
• Die Text- und Bildversionen der kreativen Arbeiten sind so im Portfolio anzuordnen,
dass der Prozess in seiner tatsächlichen zeitlichen Abfolge sichtbar wird, also vom
Ideen-Generieren, über den ersten Textentwurf bis hin zur finalen Reinschrift (hand-
schriftliche Texte werden gescannt eingefügt).
• Die überarbeiteten Texte und Bilder werden sowohl hinsichtlich ihrer Qualität als auch
hinsichtlich ihres Schreib- bzw. Gestaltungsprozesses von den Studierenden selbst re-
166 Erläuterung folgt im nachfolgenden Unterkapitel 167 d.h. für Lehramtsstudierende war die Anforderung mindestens 2 Texte + 1 Grafik, für Designstudierende mindestens 2 Grafi-
ken und 1 Text
172
flektiert. In dieser Reflexion wird die Schreib- bzw. Gestaltungsprogression rekonstru-
iert, was beinhaltet, wie Ideen gefunden werden, welche davon ausgewählt werden,
welche Schreib- und Gestaltungsverfahren eingesetzt werden, wie der erste Satz ge-
funden wird, welche Formulierungen gewählt werden und wie Text und Bild aufei-
nander bezogen werden. Schließlich wird der gesamte Entwurf und der finale Text
bzw. das finale Bild auf seinen Entstehungsprozess hin als Ganzes abschließend re-
flektiert168.
SelbstständigeProjektarbeitderStudierendenininterdisziplinä-3.2.3
renTandems–Das Besondere Portrait
Den zweiten wesentlichen Datenanteil dieser Untersuchung zum fortgeschrittenen Kreativen
Schreiben mit Studierenden bilden die sogenannten Besonderen Portraits. Dabei interessiert
nicht nur das fertige Endprodukt, in Form eines Printmediums, in dem Bild und Text künstle-
risch verbunden sind, sondern auch der Planungs- und Entstehungsprozess, die Zusammenar-
beit der Studierenden und die finale Präsentation des Besonderen Portraits. Dabei beginnt der
Prozess, der in der vorliegenden Untersuchung fokussiert wird, jeweils mit dem Intensivsemi-
nar, in dem Techniken zum kreativen Schreiben und ästhetischen Gestalten vorstellt und er-
probt werden. Anschließend setzt sich der Prozess in der selbstständig durchgeführten Projek-
tarbeit fort, in der die Studierenden ihre Ideen in Text und Bild realisieren und abschließend
mit dem Ziel der Abgabe eines ästhetischen Endprodukts in Printform überarbeiten. Aufgrund
des hohen Stellenwerts des Besonderen Portraits in der hier vorgelegten Arbeit und aufgrund
der intensiven Verzahnung von Phasen des Inputs und Feedbacks durch die Schreib- und Il-
lustrationsexpertinnen und Phasen des selbstständigen Arbeitens durch die Studierenden, wird
das Konzept des besonderen Portraits im Folgenden zum besseren Verständnis des Untersu-
chungskontextes rückblickend skizziert:
• Im Anschluss an das Intensivseminar wurde den Studierenden die Möglichkeit ange-boten, ein sogenanntes Besonderes Portrait als selbstständige Projektarbeit in den Se-mesterferien zu erstellen, was insgesamt 27 Studierende mit 13 Besonderen Portraits
168 Einen detaillierten Leitfaden (siehe Anhang), in dem erläutert wird, wie die Schreibprogression der eignen kreativen Textpro-
duktion zu analysieren ist, wurde allen teilnehmenden Studierenden ausgehändigt und im Intensivseminar vorgestellt. Ein Einüben dieser Schreibprozess reflektierenden Tätigkeit wurde allerdings mit den Studierenden nur mündlich aber nicht schriftlich eingeübt. Der Leitfaden zur Reflexion und das Modell zum Monitoring, das den Studierenden vorlag, werden im Kapitel zur Reflexion beim fortgeschrittenen Kreativen Schreiben mit Studierenden näher erläutert. Daher wird es an dieser Stelle nicht näher ausgeführt.
173
realisierten169. Dabei galt für die Studierenden ein Portrait zu kreieren, das in Text- und Bildelementen einen selbst gewählten Protagonisten zum Rahmenthema An|ge|kommen (2011) oder Sich erinnern (2012) im zweiten Jahr künstlerisch vor-stellt.
• Neben ihren künstlerischen Gestaltungen und kreativen Texten erfassten die Studie-renden in einer kurzen Übersicht bzw. Biografie die wichtigsten Daten und Lebens-stationen ihrer portraitierten Person(en).
• Ein Portrait musste mindestens von einem interdisziplinären Tandem erstellt werden, d.h. von mindestens einem Lehramtsstudierenden der Didaktik des Deutschen als Zweitsprache der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg und einem Stu-dierenden des Studiengangs Design und Illustration an der Technischen Hochschule Nürnberg Georg Simon Ohm.
• Bereits während der Vorlesungszeit stellten die teilnehmenden Studierenden ein per-sönliches Konzept bzw. ihre vorläufigen Ideen und Planungen vor, indem sie den ex-ternen Experten aus den Intensivworkshops, den Professoren und Mitarbeitern sowie allen teilnehmenden Studierenden Auskunft über ihr Projekt gaben. Die Studierenden erhielten ein Feedback zu ihren Planungen und Ideen, die sie anschließend in den Se-mesterferien konkret als Portraits umsetzten.
• Ähnlich wie bei den Seminararbeiten, die im Portfolio zusammengetragen wurden, dokumentierten und begleiteten die Studierenden den Prozess des Portraitierens durch Monitoring und Reflexion, u.a. durch Führen eines detaillierten „Logbuchs“. Diese Dokumentationen und gezielte Befragungen nach der abschließenden Präsentation der Portraits ermöglichten es, Schreib- und Gestaltungs-Prozesse für eine empirische Un-tersuchung heran- und nachzuvollziehen. Zur Reflexion dieser selbstständigen Projek-tarbeit der Studierenden gehörte auch eine Erläuterung darüber, wie weit sich DiDaZ- und Designstudierende gegenseitig unterstützen konnten. Fokussiert wurden bei-spielsweise Phasen des Austauschs, der Bereicherung, der Arbeitsteilung, des Schreib- und Gestaltungs-Flows, des Problemlösens oder des Nicht-Weiter-Wissens.
Bewusst wurde solch ein alternatives Projekt (Erstellen eines besonderen Portraits) für eigen-
ständiges, wissenschaftliches und künstlerisches Arbeiten im Rahmen eines sonst sehr regu-
lierten Studiums gewählt, um die Möglichkeiten der Förderung kreativen Potentials bei Stu-
dierenden auszuloten.
169 ein einziges Tandem bestand aus drei Studierenden, zwei Design-/Illustration-Studierenden und einem Lehramtsstudieren-
den
174
3.3 Methodisch-praxeologischeVorüberlegungenzurDatenerhebungundAuswertung
Die vielfältigen Erhebungsformen dieser Untersuchung und die dazu herangezogenen Daten
bedürfen einer ebenso vielfältigen multimethodischen Datenauswertung. In ihrer Gesamtheit
lässt sich die Untersuchung am ehesten mit der Methodologie der Grounded Theory beschrei-
ben, die nicht auf bestimmte Erhebungsformen beschränkt ist (Glaser in Przyborski/Wohlrab-
Sahr 2014, 195) und bei der der Schwerpunkt auf dem parallel organisierten Sampling und der
Theoriebildung liegen. Dabei bilden die aus den Daten gewonnenen Hypothesen einerseits
Grundlage für das weitere Vorgehen und es werden bereits entwickelte Theorien überprüft,
fortentwickelt (Przyborski/Wohlrab-Sahr 2014, 195) und gegebenenfalls auch falsifiziert.
Die Schreibforschung, die als eine Art Oberbegriff theoretische Grundlagen für viele Aspekte
dieser Arbeit beinhaltet, ist traditionell kein monodisziplinäres Forschungsfeld. Sowohl die
Schreibprozessforschung als auch die schreibdidaktische Forschung ist aus soziologischer,
psychologischer, ethnographischer, literaturwissenschaftlicher aber vor allem aus linguisti-
scher und didaktischer Perspektive häufig interdisziplinär beleuchtet worden (für einen Über-
blick vgl. auch Antos/Pogner 1995, Girgensohn 2012), da die Bezüge dieser unterschiedlichen
Perspektiven für die jeweils andere Disziplin bei der Erforschung eines höchst komplexen
Prozesses wie dem des Schreibens notwendig sind. Daher verwundert es auch nicht, dass ak-
tuelle Untersuchungen in der Schreibforschung häufig mixed-method-Design170 favorisieren
und verschiedene Methoden zur Untersuchung ein und derselben Fragestellung triangulierend
anwenden (Ballis 2010, 80f., Girgensohn 2012, 52). Insbesondere aufgrund des zentralen Be-
reichs einer schreibästhetischen Gestaltung, die häufig personale und ethnographische Bezüge
aufweist, ist eine multimethodische Herangehensweise unabdingbar. Überblicksartig sollen
im Folgenden die für die Untersuchung herangezogenen Methoden vorgestellt werden, bevor
sie anschließend praxeologisch zur Erhebung und zur Auswertung von Daten aus geschriebe-
nen Texten, Befragungen, Interventionen und Schreibreflexionen unterschiedlich vertieft An-
wendung finden.
Die methodologische Trennung in quantitative und qualitative Forschung ist mit Blick auf
geisteswissenschaftliche Forschungstraditionen relativ jung und hat sich erst ab den 1950er
Jahren, maßgeblich durch psychologische Forschungen, etabliert. Quantitative Forschun-
170 mixed-method-Forschungen zeichnen sich vor allem aufgrund der Kombination quantitativer und qualitativer Forschungsme-
thodiken unter dem Dach gemeinsamer erkenntisleitender Fragestellungen und Hypothesen aus. Einen Überblick über die-sen Ansatz, inklusive der Entstehung der sogenannten dritten methodologischen Revolution mixed-method-Forschung gibt Kuckartz in Anlehnung an John Creswell (Kuckartz 2014, 13-26)
175
gen, die sich rein deduktiv-nomologischer Methoden bedienen, werden zunehmend, und das
nicht nur in sprach- und fachdidaktischen Zusammenhängen, kritisch beurteilt (Schirmer
2009, 66). Dennoch erscheint es für eine Vielzahl von Fragestellungen im Bereich der Bil-
dungs- und/oder Unterrichtsforschung äußerst sinnvoll, quantitative Befragungen durchzufüh-
ren, insbesondere wenn Merkmale und Verhaltensweisen von Lernenden, oder hier Studie-
renden, von Erkenntnisinteresse sind (Riemer 2006, 454). Auf die Grenzen quantitativ empiri-
scher Forschung weisen unter anderem Gläser und Laudel hin, indem sie die Forschungsstra-
tegie, als auf ′die Identifizierung signifikanter Zusammenhänge zwischen sozialen Phänome-
nen′ und dem dazu vorgefundenen Bereich (Gläser/Laudel 2010, 26) beschränkt sehen, ohne
dass eine klare Unterscheidung der erhobenen Faktoren als Ursache oder als Wirkung geleis-
tet werden kann (Gläser/Laudel 2010, 26). Zur Erhebung quantifizierbarer Daten über Erfah-
rungen, Motivation, Schwierigkeiten und Fertigkeiten Studierender in den Disziplinen Kreati-
ves Schreiben und Bildnerisch-ästhetischem Gestalten ist die Methode der standardisierten
Befragung vielversprechend, weshalb sie in der vorliegenden Untersuchung Anwendung fin-
den.
In der empirischen Sozialforschung, auf deren methodologischen Fundus in dieser Untersu-
chung zurückgegriffen wird, ist die Befragung neben der Beobachtung und der Inhaltsanalyse
prozessproduzierter Daten die erkenntnisträchtigste Methode (Diekmann 2011, 434f.). Es
geht in der durchgeführten schriftlichen Befragung unter Studierenden somit um die Datener-
hebung mittels standardisierter Verfahren, die anschließend statistisch-numerisch ausgewertet
werden, um Inferenzschlüsse aus der genommenen Stichprobe auf die Gesamtgruppe über-
tragbar zu machen (Kuckartz 2014, 28).
Zur Bearbeitung der leitenden Forschungsfrage I wurden Studierende vor und während der
Schreib- und Illustrationsseminare mittels normierter questionnaires befragt. Ebenfalls quanti-
tativ wurden ausgewählte Daten anhand von in diesen Seminaren entstandenen Text- und
Bildmaterialien erhoben, wie beispielsweise die Verteilung gewählter Textsorten, bevorzugte
Schreib- und Illustrationsverfahren, verwendeter Medien, gewählte Vorgehensweisen und
auftretende Schwierigkeiten beim kreativen Prozess des Schreibens und Gestaltens. Neben der
Eigenständigkeit der quantitativ gewonnenen Erkenntnisse im untersuchten Feld stellen sie
natürlich einen nicht unwesentlichen Anknüpfungspunkt bei der Interpretation der in der Ar-
beit qualitativ erhobenen Daten und vice versa dar. Als eine Herausforderung und gleichzeitig
als eine Bereicherung gestaltet sich das Zusammenführen quantitativer und qualitativer Me-
thoden bzw. gewonnener Erkenntnisse hinsichtlich der angeführten fachdidaktischen Frage-
176
stellungen (leitende Forschungsfrage II, III und IV), die in einem mixed-method-Design171
zusammengeführt werden.
Die stärker qualitativ orientierte empirische Forschung scheint in den letzten etwa zehn Jahren, vor allem in der deutschen Fremdsprachenforschung, an Interesse gewonnen zu haben, in eini-gen Bereichen gar zu dominieren, insbesondere im Rahmen von Qualifikationsarbeiten des wis-senschaftlichen Nachwuchses[…]Mit dieser Tendenz verbunden ist die häufige Wahl von Mehr-Methoden-Ansätzen inklusive der Erhebung introspektiver Daten und Verfahren der Triangula-tion (Riemer 2006, 451f.).
Die qualitative Forschung muss sich seit der Inflation quantitativ-empirischer
Unterrichtsforschung nach dem sogenannten PISA-Schock 2000 häufig im Hinblick auf die
angestrebte Objektivität rechtfertigen. Gegenüber quantitativer Forschung zeichnen sich aber
oft qualitative Forschungsdesigns dadurch aus, dass sie Lernprozesse, hier Schreib- und
Gestaltungsprozesse, die unbestreitbar eine Vielzahl von individuellen Bedingungsfaktoren
aufweisen, mehrperspektivisch und ganzheitlich untersuchen. Besonders in Lernsituationen,
in denen vielschichtige Interaktionsmechanismen172 wirken, ist eine rein quantitative
Untersuchung spätestens bei der Aussage über die Ursachen bestimmter Verteilungen und
Ergebnisse kaum aussagekräftig.
Daß solche begrenzten Forschungsmethoden (gemeint sind hier rein quantitative Methoden) im beschränkten Rahmen wertvoll sein können, sei unbestritten. Sie erfassen jedoch nur das, was sie in ihrer Begrenztheit von allem Anfang an ins Auge fassen, nämlich Ausschnitte, Ausgeschnittenes aus einem Ganzen. Ausschnitte aus einem komplexen verwobenem Gefüge, das nicht aus einer Komposition von einzelnen Organen besteht, beinhalten nicht mehr Aspekte des Ganzen, und sie fördern neben Aussagen über Substanz, Struktur und Beschaffenheit des Ausschnitts weder etwas über Eigenschaften des Ganzen noch über Funktionen und Zusammenhänge der ausgeschnittenen Teile zutage (Knill 1990, 107).
Das hat zur Folge, dass in qualitativen Untersuchungen, so wie zu großen Teilen dieser
Arbeit, viel häufiger als in quantitativen Forschungen rekursiv173 und triangulatorisch174
gearbeitet werden muss, was die Komplexität erhöht und nicht selten der Eindeutigkeit der
Ergebnisdarstellungen entgegen zu wirken scheint. In Forschungen, die phänomenologisch
und dokumentarisch arbeiten, liegt eine Objektivierung somit im Herausarbeiten und
Aufzeigen von Strukturen, die vor dem Hintergrund der zu bearbeiteten Themen, Ziele und
Fragestellungen plausibel erscheinen. 171 Krings betont bereits 1992, dass der komplexe Vorgang des Schreibens nur mit mehreren Methoden zu erforschen ist und
prägt für die Untersuchung des Schreibens den Begriff des „koordinierten Methodenpluralismus“ (Krings 1992). 172 Unter Interaktionsmechanismen sind beispielsweise Gruppen- und Lernkonstellationen, Auswirkungen von hierarchischen
Konstellationen und damit zusammenhängende psychosoziale Bedingungsfaktoren zu verstehen. 173 bedeutet hier die zirkuläre und damit non-lineare Verfahrensweise von Datenerhebung, Datenanalyse und Theoriebildung 174 triangulatorisch heißt, dass die Forschungserkenntisse gerade aufgrund der mehrperspektivischen Übereinstimmung mehre-
rer Forschungsstränge letztendlich Validität aufweisen (Kuckarts 2014, 58)
177
Somit sind in den folgenden Untersuchungen zum kreativen Schreiben und ästhetischen
Gestalten mit Studierenden Objekte in Form von Texten und Bildern bzw. Illustrationen selbst
Gegenstand und Grundlage wissenschaftlicher Forschung. Auf diesen Objekten fußen
letztlich theoriebildende Schlussfolgerungen, ohne, dass diese einen Anspruch auf
Allgemeingültigkeit haben. Der Schreibende oder Gestaltende und der Betrachter sind dabei
in körperlichem Kontakt mit den Texten und Bildern, die in ihrer individuellen
Ausdrucksform durch den Erzeuger häufig sowohl biografisch als auch kulturspezifisch sind.
Ehmer betont im Zusammenhang ästhetischer Forschung, dass die Prämissen der
Theoriebildung in diesem Wissenschaftsbereich desto differenzierter sein müssen, je
vielfältiger und reicher die Objektnähe ist. Für qualitativ-exploratorische Forschungsansätze,
die ästhetische Phänomene untersuchen, würde dies ein unendliches Kontinuum an
Beschreibungen bedeuten, die in ihrer Menge und Kombination wenig Möglichkeit bieten,
aus ihnen eine verständliche und klare Theorie zu entwickeln. Daraufhin resümiert Ehmer,
dass diese Forderung 'angesichts der Elaboriertheit und Abstraktheit heutiger
Theorieproduktion' deshalb besteht, weil 'am Ende der Messlatte so etwas wie Unfehlbarkeit'
erwartet wird, 'die dann aber auch nicht mehr Wissenschaft wäre, sondern Religion, Dogma'
(Ehmer 2006, 25-28).
Aufgrund des didaktischen Kontextes, des Anspruches an Ästhetik in Text und Bild und auf-
grund des emanzipatorisch verstandenen Lernbegriffs, bei dem es letztendlich um selbster-
mächtigendes Lernen geht, muss die methodische Bearbeitung des Themas sowohl inhaltsana-
lytisch als auch interaktionsanalytisch sein. Konkret bedeutet dies ein interaktives Verhältnis
von Datenakquise, Analyse und Theoriebildung (vgl. Corbin/Strauss 2013) ebenso wie die
Verbindung von Forschung und Lehre, wie sie im skizzierten Forschungsprojekt Kreatives
Schreiben und Ästhetisches Gestalten praktiziert wird. Die im Folgenden dargestellten Unter-
suchungen zum fortgeschrittenen Kreativen Schreiben mit Studierenden primär und zum äs-
thetischen Gestalten sekundär sind in ihrem interdisziplinär didaktischen Setting als eine Ent-
wicklung und Beschreibung einer Handlungstheorie zu verstehen, die Handlungsfähigkeit und
Handlungsperspektiven beim kreativen Schreiben und Gestalten Studierender fokussiert, wo-
bei diese gleichzeitig im Sinne einer Grounded Theory175 die Datengrundlage darstellen, auf
der wiederum parallel und rekursiv eine sogenannte praxisgeleitete Theorie entwickelt wird.
Mit diesem qualitativen Forschungsansatz wird die „Repräsentation von Datenanalyse und
175 nähere Ausführungen zur Grounded Theory als Methodologie und als Ergebnis der konkreten Untersuchung im Kapitel 3.3.3
178
Theoriebildung als praktische, interaktiv zu bewältigende und zu organisierende Tätigkeiten“
(Strauß in Strübing 2014, 10) charakteristisch und für die methodologische Verortung dieser
Arbeit insgesamt maßgebend. Trotz des unvoreingenommenen Ansatzes der Grounded Theo-
ry für diese Arbeit bleiben Erkenntnisse, wie beispielsweise aus der Schreibprozessforschung,
als Präkonzepte von Untersuchungsgegenständen erheblich prägend. Neben der Methodentri-
angulation zur Steigerung der Validität der Untersuchungsergebnisse gilt daher keine bevor-
zugte einzelne Methode prinzipiell, sondern die Anwendung relevanter Methoden in adäqua-
ten Anwendungsbereichen und deren Kombination.
Konkret, um dem non-linearen und unvoreingenommenen Forschungsansatz qualitativer Er-
hebungen Rechnung zu tragen, werden daher in dieser Arbeit zur Datenerhebung folgende
Methoden verwendet:
• Schriftliche Befragung anhand von Fragebogenkategorien mit geschlossenen und of-fenen Antwortmöglichkeiten
• Arbeitsaufträge zur Text- und Bildproduktion im Rahmen zweier Intensivseminare mit Studierenden
• Narrative und diskursive Interviewformen • Aufträge zur schriftlichen Reflexionen der studentisch-eigenen Prozesse bei der Text-
und Bildproduktion
BefragungvonStudierendenundExperten3.3.1
Schriftliche Befragung von Studierenden vor den Intensivseminaren
Der Einsatz von Fragebogen176 im Rahmen einer standardisierten schriftlichen Befragung
stellt eine wesentliche Informationsquelle im Rahmen der [fachdidaktischen] Forschung dar
(Kallus 2010, 12). Aufgrund der Menge von Daten, der Möglichkeit der Vergleichbarkeit der
beiden Befragungsgruppen „Schreiber“ und „Gestalter“ und aufgrund einer angestrebten
Ökonomisierung von Erhebung und Auswertung stellt die hier vorgenommene schriftliche
Befragung und deren Auswertung ein den forschungsleitenden Fragestellungen zuträgliches
Datenerhebungs- und Auswertungsverfahren dar.
Der Gehalt der Aussagen der Befragten, abgesehen von der vorausgesetzten Ehrlichkeit der
Befragten, hängt dabei maßgeblich von der Qualität und der Zielgerichtetheit des Fragebo-
gens bzw. der Frage-Items ab. Unter Berücksichtigung kognitionspsychologischer und kom-
munikativer Grundlagen einer Befragung durch Fragebogen versteht Porst, dass die befragte
Person bei der Befragung fünf Aufgaben lösen können muss:
176 steht hier im Singular, da es ein Begriff einer Forschungsmethode ist
179
1. die gestellte Frage verstehen 2. relevante Informationen zum Beantworten der Frage aus dem Gedächtnis abrufen 3. auf der Basis dieser Informationen ein Urteil bilden 4. dieses Urteil gegebenenfalls in ein Antwortformat einpassen und 5. ihr „privates“ Urteil vor Weitergabe an den Interviewer bzw. den Fragebogen gegebe-
nenfalls „editieren“ (Porst 2014, 19)
Die Form der schriftlichen Befragung wurde für die vorliegende Untersuchung gewählt, weil
erstens davon ausgegangen werden kann, dass das Lesen und Verstehen der Frageitems auf-
grund der Vertrautheit der Themen vorausgesetzt werden kann, zweitens weil durch die Se-
minarteilnahme der meisten Befragten eine hohe Rücklaufquote zu erwarten war, drittens weil
aufgrund der starken Strukturierung durch einen einheitlichen Fragebogen eine hohe Ausprä-
gung von Reliabilität und Objektivität gewährleistet ist und weil viertens die Standardisierung
der Befragung die statistische Auswertung und Vergleichbarkeit der gewonnen Daten sichert.
Darüber hinaus ist es vorteilhaft, dass die Studierenden durch die Distanz zum „Fragensteller“
kaum intersubjektive Beziehungen eingehen und dadurch die Antworten und Auskünfte für
den Befragten folgenlos bleiben (anonyme Befragung). Das ist insofern relevant, als dass
durch eventuell antizipierte Folgen, wie z.B. positive oder negative Bewertungen oder Sankti-
onierungen im Rahmen der Teilnahme an den Intensivworkshops, authentische und wahr-
heitsgemäße Antworten hätten beeinflussen können. Diekmann sieht das als einen klaren Vor-
teil dieser neutralen Interviewtechnik (Diekmann 2011, 439).
Das Erfassen und das Auswerten von Studierendendaten hinsichtlich deren (schulischer)
Schreib- und Gestaltungssozialisation ist in diesem quantitativen Teil der Untersuchung Ziel-
setzung. Konkret betrifft das eine exemplarische Beschreibung von Schreib-
/Gestaltungserfahrungen, Schreib-/Gestaltungshabitus und (Selbst-)Einschätzungen von Text-
qualitäten heutiger Studierender, weniger dagegen eine empirische Erhebung derer Schreib-
/Gestaltungskompetenzen.
Experteninterviews und qualitative Inhaltsanalyse
Erhebung:
Das Experteninterview steht für nicht- oder höchstens teilstandardisierte Befragungsmetho-
den, bei dem häufig Befragungsleitfäden oder Fragenkataloge zur Anwendung kommen, was
das Experteninterview wiederum von einer freien dialogischen Kommunikation unterscheidet
(vgl. Bogner/Littig/Menz 2009, 14f.; vgl. auch Gläser/Laudel 2010). In der folgenden empiri-
schen Untersuchung werden direkt Personen als Experten befragt, die bei der Konzeption und
180
Umsetzung an dem zugrunde liegenden Forschungsprojekt177 beteiligt waren und sich entwe-
der als Experten aus dem Bereich Schreiben oder aus dem Feld des Illustrierens/ästhetischen
Gestaltens den Fragen des Verfassers stellten. Die an die Expertinnen gestellten Fragen grei-
fen nach einer kurzen einleitenden Einschätzung über ihre Rolle als Lehrende Fachdiskurse zu
Gemeinsamkeiten und Unterschieden des Schreibens und ästhetischen Gestaltens auf und
setzen sie hinsichtlich ihrer Kombinierbarkeit und deren Umsetzung im konkreten Experiment
mit den Studierenden in Beziehung. Durch diese Beteiligung können trotz der Spezifik des
Leitfadens Vorwissen und fachliche Hintergründe der Befragten berücksichtigt werden. Ihre
′Stellungnahmen, Entscheidungen, Optionen und Erläuterungen′ der Befragten sind Daten-
grundlage und gleichzeitig das Ergebnis des sinnhaften Verstehens und Reagierens auf die
Interviewfragen (Hopf 2010, 353f. in Bezug auf Merten 1956)178. Gemäß der sozialwissen-
schaftlichen Erhebungsmethode Leitfragengestütztes Experteninterview orientieren sich die
Themen der Befragung zielgerichtet an den leitenden Forschungsfragen der Untersuchung,
selbst wenn diese teilweise erst durch die Interaktion zwischen Lehrenden und Studierenden
im Aktionsfeld entstanden sind (Gläser/Laudel 2010, 111). Ebenfalls ist sowohl eine klare
Rollenverteilung zwischen Interviewer und Befragten als auch ein Verständnis über Kommu-
nikationsregeln und -konventionen bei den Interviews gegeben. Dabei ist den Befragten klar,
dass ihre Antworten und Stellungnahmen auf die konkreten Informationsziele des Fragestel-
lers sanktionsfrei bleiben und sie gegebenenfalls die Aussage verweigern können (Haller
2001: 129; Gläser/Laudel 2010, 111f.).
Auswertung:
Die qualitative Inhaltsanalyse ist ein Verfahren, das durch eine an Texten ausgerichtete in-
haltsanalytische Interpretation gekennzeichnet ist. Gegenüber einer quantitativen Inhaltsana-
lyse, bei der Textelemente häufig durch eine Komplexitätsreduktion vorab festgelegten un-
veränderbaren Kategorien zugeordnet werden (Witt 2001, 3), beansprucht der qualitative
Gegenentwurf eine der Komplexität von Texten angemessenere Analyse. Durch die Orientie-
rung an den Kommunikationswissenschaften, der Hermeneutik, den Literaturwissenschaften
und der psychologischen Forschung (Mayring 2015, 26-49) wurde maßgeblich durch Mayring
in Anlehnung an die quantitative Methode das Verfahrenskonzept qualitative Inhaltsanalyse
177 für eine Kurzbeschreibung des Forschungsprojekts siehe Einleitung Empirischer Teil 178 Hopf formulierte in Anlehnung an Merton/Fiske/Kendall (1956) Anforderungen und Kriterien für das Erstellen und für die
Durchführung qualitativer Interviews, die heute in der qualitativen Sozialforschung als generell gültig angesehen werden (vgl. Hopf 1978 oder 2010).
181
entwickelt, ′dass das theoretisch abgeleitete Kategoriensystem am Material überprüft′ und
abgleicht (Gläser/Laudel 2010, 198). Obwohl in dieser Arbeit nach der von Mayring und Glä-
ser/Laudel vorgeschlagenen Vorgehensweise von der Textgrundlage bis zur Interpretation
verfahren wird, bei der dem vorliegenden Textmaterial über ein Suchraster diejenigen Infor-
mationen extrahiert werden, die für die zu beantwortenden Fragestellungen zielführend sind,
kann aufgrund der geringen Anzahl der vorliegenden Interviewtexte das Verfahren vor allem
im Hinblick auf das umfangreiche Quantifizieren und Vergleichen von Kategorien (Mayring
2010, 474) nicht vollständig angewendet werden. Daher wird die Entwicklung von Suchras-
tern, das Extrahieren, das Aufbereiten der extrahierten Textstellen und die Auswertung fall-
exemplarisch erfolgen, wobei auftretende Häufungen dennoch hervorgehoben werden.
Die Fragen wurden den Interviewpartnern mündlich gestellt. Die gesamten Unterhaltungen
wurden digital aufgezeichnet und anschließend nach dem Verfahren TiQ179, so wie es Przy-
borski und Wohlrab-Sahr auf der Grundlage von Bohnsacks Transkriptionsschema für auditi-
ve Texte in der rekonstruktiven Sozialforschung vorschlagen, transkribiert (Przy-
borski/Wohlrab-Sahr, 2014, 167-170). Auf die Darstellung para- und außersprachlicher Mittel
konnte aufgrund des nicht-sprachspezifischen Erkenntnisinteresses verzichtet werden, wes-
halb komplexere Transkriptionsverfahren wie HIAT oder GAT180 in dieser Arbeit keine Ver-
wendung finden.
Gruppeninterviews181
Die Methode des Gruppeninterviews bietet sich als klassischer Vertreter der informellen Be-
fragungsverfahren (Przyborski/Wohlrab-Sahr 2014, 132) für die Untersuchung der in der Ein-
leitung dargestellten Fragestellungen und Hypothesen besonders an, da durch eine möglichst
natürliche Gesprächs- und Diskussionssituation den Teilnehmern viele authentische Informa-
tionen abzugewinnen sind. Die Begrenzungen und inhaltlichen Strukturierungen durch einen
Leitfragenkatalog grenzen diese Methode gleichzeitig von der noch offeneren Methode der
Gruppendiskussion deutlich ab182. Es ist hierbei zielführend, dass die Untersuchenden Fragen-
oder Stimulikataloge entwickeln, die entweder auf die Beantwortung theoretischer und inhalt-
179 bedeutet Talk in Qualitative Social Research 180 vgl. Kowal/O´Connell 2010, 442 181 Die Bezeichnung Gruppeninterview versteht sich ausdrücklich nicht synonymisch zu Gruppendiskussion, da der befragende
Charakter, auch wenn diskussionsartige Gespräche durchaus vorkommen können, auf die konkrete Beantwortung von vor-gegebenen Fragen abzielt und somit strukturierter und kontrollierbarer ist (vgl. auch Przyborski/Wohlrab-Sahr 2014, 88f.).
182 vgl. auch Loos/Schäffer (2011)
182
licher Fragestellungen abzielen oder die bewusst aufgrund von Beobachtungen und vorange-
gangener Schreib- und Gestaltungsaktivitäten der Studierenden pointiert oder konfrontativ
formuliert werden (Loos/Schäffer 2001, 54). Weiterhin ist es für die Durchführung von (fo-
kussierten) Gruppeninterviews ähnlich wie bei Gruppendiskussionen förderlich, trotz der vor-
ab durch die Befragenden gesetzten Stimuli, eine „Selbstläufigkeit“ herzustellen, d.h. dass
sich die Gespräche trotz wissenschaftlichen Erkenntnisinteresses einer „natürlichen“ Kom-
munikationssituation annähern (Bohnsack zitiert von Loos/Schäffer 2001, 51). Wie bei Best-
immungen zu Gruppendiskussionen aus der qualitativen Sozialforschung, wie sie bspw. bei
Przyborski und Wohlrab-Sahr oder bei Merton dargestellt sind, dient das Erhebungsverfah-
ren, das in der vorliegenden Untersuchung zugrunde gelegt wird, sowohl dem Generieren
oder Markieren von makrosozialen Einheiten (hier z.B. Ideen und Hypothesen zum kreativen
Schreiben und ästhetischen Gestalten von Studierenden des Faches Deutsch als Zweitsprache
und Design-Studierenden), die anschließend miteinander verglichen werden, als auch der
Überprüfung von Hypothesen und Fragestellung der Untersuchenden, deren Erkenntnisse in
der Auswertung triangulierend zur Theoriebildung und zur Interpretation weiterer Daten hin-
zugezogen werden.
Durch eine unmittelbar an die produktive Phase183 angeschlossene Befragung der Teilnehmer
werden implizites Wissen, Methoden und Techniken, Verhaltensweisen, Überlegungen und
Schwierigkeiten hinsichtlich der Produktion und den teilweise unbewusst ablaufenden Prozes-
sen von schriftsprachlichen- und gestalterischen Aktivitäten von den Studierenden selbst arti-
kuliert und somit expliziert. Dabei ergibt sich die Chance, sowohl für die Untersuchenden als
auch für die Studierenden, den Umgang mit Aufgabenstellungen zur Text- und Bildprodukti-
on, aber vor allem prozessuale Schreib- und Gestaltungshabitus zu analysieren und durch
Verbalisieren teilweise erstmals184 sichtbar zu machen. So ist anzunehmen, dass bei der ver-
balisierten Reflexion des Schreib- und Illustrationsprozesses durch die Studierenden einzelne
Gedanken erst während des Redens vom Sprecher gebildet werden. Kleists Annahmen, dass
sich viele Gedanken erst allmählich beim Reden herausbilden, unterstreichen in diesem Zu-
sammenhang die Vorteile verbal mündlicher Reflexion.
183 Die produktive Phase meint für diese Arbeit relevante schrift- und gestaltungsproduktive Aktivitäten. Konkret und im weiteren
Teil der Arbeit genauer ausgeführt, bedeutet dies, dass die Gruppeninterviews nach dem Fertigstellen des schriftlichen und gestalterischen Entwurfs bzw. nach dem Fertigstellen des „besonderen Portraits“ durchgeführt wurden.
184 Gemeint ist, dass Studierende erstmals über automatisierte Prozesse, sogenanntes prozedurales und implizites Wissen, bewusst Kenntnis erlangen
183
Interview- und diskussionsrelevante Rahmenbedingungen wie die Vertrautheit der Befragten
untereinander, die Vertrautheit mit den Räumlichkeiten, das Kennen der Fragesteller, die Mi-
nimierung von Störquellen und die Überprüfung des technischen Equipments zur Aufzeich-
nung der Gespräche sind qualitätssichernde Standards und müssen dementsprechend berück-
sichtigt werden (Loos/Schäffer 2001, 49). Dazu zählen ebenfalls das Vorhandensein eines
befragungs- und diskussionsfreundlichen „Klimas“, um authentische und hemmungslose Äu-
ßerungen der Studierenden gewährleisten zu können.
Denn solche Hemmungen bei bestimmten Teilnehmern setzen in der Regel Korrekturversuche des Interviewers in Gang, die potentiell den natürlichen Verlauf des Gesprächs außer Kraft set-zen, das Gruppeninterview in ein mühsames Frage-Antwort-Schema abgleiten lassen und damit den ursprünglichen Vorteil dieser Interviewform zunichtemachen. (Przyborski, Wohlrab-Sahr 2014, 135).
Neben den vom Verfasser vorbereiteten Leitfragen wurden von den am Forschungsprojekt
beteiligten Wissenschaftlern und Dozenten weitere gezielte Fragen vorgebracht, wobei für
den Gesprächseinstieg mehrheitlich vorliegende Schreib- und Illustrationsprodukte der be-
fragten Studierenden den Ausschlag gaben. Auch während der Diskussion vorgebrachte The-
menaspekte anwesender Studierender gestalteten den Verlauf der Gruppeninterviews mit.
Graphische Darstellung von verbalen Daten der Grupeninterviews
Die flüchtigen Antworten der teilnehmenden Studierenden im Gespräch mit Kommilitonen
und Lehrenden/Forschenden benötigen, um wissenschaftlich untersucht zu werden, eine Si-
cherung bzw. eine graphische Fixierung. In Gruppendiskussionen können Aufzeichnungen
über das Gesprächsverhalten der Teilnehmer aufschlussreich für die Forschungsfragen sein.
Daher werden häufig neben den geäußerten Wortfolgen auch parasprachliche und außer-
sprachliche Merkmale transkribiert. Für die Gruppendiskussionen dieser Arbeit und die re-
konstruktive Auswertung wurden neben den Wortfolgen hauptsächlich Pausen, Lachen und
spontane Sprecherwechsel (turns) explizit gekennzeichnet. Ebenso wie bei den Experteninter-
views wird also auf anspruchsvolle Transkribierverfahren wie HIAT oder GAT verzichtet (vgl.
Kowal(O´Connell 2010, 442; Przyborski/Wohlrab-Sahr 2014, 170f.). Anstelle dieser sind die
Transkriptionen wiederum nach dem Verfahren TiQ185 transkribiert.
185 bedeutet Talk in Qualitative Social Research, vgl. Przyborski und Wohlrab-Sahr
184
TextanalyseundFallstudienausgewählterTexteundTeilnehmer3.3.2
Die Auswertung von Studierendentexten mittels Textanalysemethoden beinhaltet neben der
Analyse der Texte selbst das Auswerten relevanter Beobachtungsnotizen186 und produzierter
Interviewtranskripte. Textanalysen können prinzipiell quantitativ oder qualitativ sein. Die
Kategorienbildung oder deren Überprüfung bilden dabei häufig den Kern des methodischen
Fokus. Bei der Kategorienbildung qualitativer Textanalysen werden häufig viele Systeme und
Tabellen entwickelt, die Text- oder Prozessmerkmale im Optimalfall zu abstrakten Kategorien
zusammenfassen (Nussbaumer/Sieber 1994; Fix/Melenk 2002), bspw. Orthographie, Gram-
matik, Textsortenadäquanz, thematische Entsprechung oder ästhetische Angemessenheit. Das
Überprüfen der entwickelten Kategorien und Kriterien wird häufig durch Text-Rating-
Verfahren geleistet, bei dem erfahrene oder speziell geschulte Personen Textmerkmale skalie-
ren und/oder bewerten. Um der Auswertungsobjektivität zu entsprechen, werden Text-Rating
zumeist durch mehrere Rater geleistet, die im Sinne der Vergleichbarkeit ihrer Einschätzun-
gen häufig auch mithilfe von Bewertungsrastern (vgl. auch Wirtz/Caspar 2002, 13-22) den
gleichen Text mit den gleichen Zusatzinformationen analysieren und bewerten. Für die vor-
liegende Arbeit wurden Kriterien zur Analyse, Beurteilung und Bewertung von Kreativität in
Texten entwickelt, die auf eine Ausdifferenzierung der von Sieber und Nussbaumer beschrie-
benen Textqualitäten B2 Ästhetische Angemessenheit und besondere formale Qualitäten und
B3 Inhaltliche Relevanz: Besondere inhaltliche Qualitäten abzielen187. Die entwickelten Kri-
terien wurden von fünf geschulten Ratern an jeweils 20 Texten auf ihre Einsetzbarkeit und
ihre Objektivität getestet.
Aufgrund der Fragestellungen, die in dieser Arbeit bearbeitet werden sollen, insbesondere wie
Kreativität beim kreativen Schreiben beurteilt werden kann, und welche Bedingungen beim
Schreiben kreative Leistungen fördern und welche sie behindern, ist eine kreativitätsfokussie-
rende Textanalyse, häufig gekoppelt an Arbeitsaufträge und von Studierenden angewandte
Schreibverfahren, sinnvoll. Die entstandenen Texte und Illustrationen, die in den Interventio-
nen eingesetzten Schreib- und Gestaltungsverfahren bzw. Schreib- und Gestaltungsszenarien
und die von den Studierenden realisierten Kleinprojekte werden in diesem Zusammenhang als
Fallstudien betrachtet. Die Nähe zu den Methoden der Feldstudie oder der teilnehmenden Be-
186 möglich vom Autor selbst oder von externen Beobachtern 187 eine Darstellung des übergeordneten Kriteriensystems von Sieber und Nussbaumer zur Analyse von Textqualitäten findet
sich im Theorieteil dieser Arbeit im Kapitel 2.4.2.1
185
obachtung188, die Ausdifferenzierung der Methode und die bereits in der Forschung ange-
wandten Formen lassen ein holistisches Verständnis durch das dichte Beschreiben des For-
schungsgegenstandes, bspw. bei der Analyse von Einzelbeispielen, ebenso zu wie das Gene-
rieren von Hypothesen durch repräsentative empirische Daten (Dörnyei 2007, 151ff.).
Eine pädagogische Fallstudie besteht aus drei Teilen und verbindet die Empirie mit einer
Theorieentwicklung, die in didaktischer Forschungsabsicht dann wiederum in eine praxisge-
leitete Theorie mündet. Fallstudien können Fragebögen, Interviews, Texte und Illustrationen
sowie Kommentare oder Reflexionen als Grundlage haben. Ziel von Fallstudien ist somit,
(unter der Lupe gewählter Kriterien) allgemeine Strukturen im Einzelfall zu entdecken und
sichtbar zu machen.
Abbildung 14: Dreischritt der Fallanalyse, auf die erst anschließend die praxisgeleitete
Theorieentwicklungen folgt
Fallstudien, sofern sie nicht rein quantitativ angelegt sind, begegnen den Forschungsfragen
und Hypothesen mit der notwendigen Offenheit für komplexe Zusammenhänge, um mensch-
liche und kulturelle Handlungen wie die des kreativen Schreibens und ästhetischen Gestaltens
zu beschreiben, zu verstehen und letztendlich zu erklären (vgl. Dörnyei 2007, 126). Gleichzei-
tig verlangt die gezielte Erhebung und nachfolgend auch die Auswertung von Fallstudien
zielgerichtete Parameter und Fokus, die auf die Probanden, die Untersuchungsbedingungen,
die Aktivitäten und deren Schreib- und Gestaltungsprozesse gerichtet sind. Das Konzept der
188 Fixierte Beobachtungen durch Videographie und Notizen der am Forschungsprojekt beteiligten Wissenschaftler und Dozen-
ten werden gekennzeichnet zur Beschreibung und zur Analyse mitverwendet, aber aufgrund der inkonsequent verfolgten Methodenorientierung auf die Methode nicht im Sinne der Teilnehmenden Beobachtung herangezogen.
•Wahrnehmung
•Betrachtung, was der Fall ist
•Datengrundlage
Fallbeobachtung
•Beschreiben von Abläufen und Situationen
•Fallspezifische Erörterung von Vorgängen und Begebenheiten
Falldarstellung•Analyse von Merkmalen
•Formulierung von Zusammenhängen, die sich aus dem Fall ergeben
Fallanalyse
186
Fallstudien, das Glaser, Strauss und Corbin im Rahmen ihrer Grounded Theory als theoretical
sampling bezeichnen (Glaser/Strauss 2009; Strauss/Corbin 2013), eignet sich für die komple-
xen und interdisziplinären Fragestellungen dieser Arbeit deshalb, weil sie, in Bezug auf einen
ausgewählten Fall, einerseits flexibel einsetzbar und mit anderen Methoden kombinierbar ist
und andererseits, weil sie die Möglichkeit bietet, durch die Analyse von exemplarischen Fäl-
len und deren Vergleich Erhebung, Auswertung, Überprüfung und theoretische Konzeptent-
wicklung unter Umständen auch rekursiv aufeinander zu beziehen (Strübing 2013, 116f.).
...highlighting the fact that sampling should be a flexible, ongoing, evolving process of selecting respondents or sites, directed by our earlier discoveries so that the emerging ideas and theoreti-cal concepts can be tested and further refined (Dörnyei 2007,126).
Ferner stehen die Aufdeckung von Tiefenstrukturen und/oder latenten Sinnstrukturen des
Handelns im Mittelpunkt. Gleichzeitig werden hermeneutische Prinzipien des Verstehens
über den Zusammenhang von Bedeutung der Erfahrung und des Erlebtem als konstitutive
Merkmale des Schreibenden oder Gestaltenden bei solch einer Analyse exemplarischer Fälle
(theoretical sampling) berücksichtigt.
Grounded-Theory-Methodik(GTM)3.3.3
In der sozialwissenschaftlichen Forschung werden Methoden zur Datenerhebung von denen
der Aufbereitung und denen der Auswertung häufig getrennt. Die in den jeweiligen Metho-
den zur Anwendung kommenden Strategien unterscheiden sich gerade bei einer Differenzie-
rung zwischen quantitativer und qualitativer Forschungsausrichtung erheblich, ′weil nur die
Umsetzung einer bestimmten Strategie auch zu solchen Daten führt, wie sie für die jeweiligen
Analysen benötigt werden′ (Witt 2001, 4).
In mixed-method-Design-Untersuchungen besteht die Herausforderung zum einen darin, die
erforderlichen Kriterien für eine Methode jeweils methodenspezifisch präzise anzuwenden.
Zum anderen werden, je nach Fragestellungen der Untersuchungen, die erhobenen Daten
und/oder Methoden aufeinander bezogen bzw. sich ergänzend interpretiert (Triangulation).
Der Ansatz der Grounded-Theory-Methode189 geht, um der Analyse komplexer Sachverhalte,
Prozesse und Bedingungsgeflechte gerecht zu werden, über eine Triangulation hinaus, weil
nicht nur fehlende Daten ergänzt, sondern diese auch aufeinander bezogen und kombiniert
werden können. Die Methode geht auf die amerikanischen Forscher Glaser und Strauss und in
ihrer Weiterentwicklung auf Corbin zurück (vgl. Glaser/Strauß 2009, Corbin/Strauß 2013).
189 ein kurzer Überblick über Geschichte und Entwicklung der Grounded-Theory-Methodik siehe Girgensohn 2007, S. 104f.
187
Der hermeneutische Ansatz der GTM ist ein Verfahren mit dem Ziel des ′Verstehen[s], Deu-
ten[s] und Auslegen[s] von Texten und anderen sozialwissenschaftlichen Artefakten′ (Breuer
2010, 39), die eine von der Praxis ausgehende Problemorientierung als Grundlage für die
Entwicklung von ′theoretische[n] Konzepte[n] und Modellierungen′ (Breuer 2010, 39) zulässt.
Durch das systematische Erheben und Analysieren von Daten, die aus den herangezogenen
Phänomenen generiert werden, entwickelt sich so eine praxistaugliche Theorie. Somit stehen
Datenakquise, Analyse und Theoriebildung in einem interaktiven Verhältnis zueinander
(2013; Strübing 2008, 14). Diese Vorgehensweise spiegelt die grundsätzliche Überzeugung
wider, dass es für das skizzierte Forschungsvorhaben keine einzelne bevorzugte Methode,
sondern nur geeignete Anwendungsbereiche für zur Verfügung stehende Methoden gibt.
Das Besondere an der GTM ist in diesem Zusammenhang die Flexibilität, bei der Untersu-
chungsdurchführung nicht linear chronologisch vorgehen zu müssen, obwohl es ein überge-
ordnetes Erkenntnisinteresse aufgrund der gewählten oder auch entstandenen Fragestellungen
gibt, das am Ende aller Forschungsaktivitäten steht. D.h. dass bei der GTM vor der abschlie-
ßenden Interpretation der Forschungsergebnisse prinzipiell die Möglichkeit besteht, während
der Forschungsdurchführung entwickelte Konzepte und Modellierungen an die Erfahrungs-
ebene der Praxis zurückzubinden (vgl. dazu auch Breuer 2010, 39). Somit sind Charakteristi-
ka der GTM-Vorgehensweise dem Untersuchungsgegenstand Kreatives Schreiben prinzipiell
sehr ähnlich, da die auftretenden parallelen, interaktiven, sukzessiven, rekursiven und iterati-
ven Schreibprozesse so angemessen mit der GTM untersucht werden können190. Diese Ge-
meinsamkeiten prädestinieren den methodischen Ansatz der GTM für die hier vorgestellte
Untersuchung.
Für die GTM ist das Praxisfeld, in dem Dokumente, Beobachtungen, Bedingungen und verba-
le Äußerungen erhoben und nachfolgend ausgewertet werden, traditionell das Milieu der Un-
tersuchungsparameter und nicht die Laborsituation. In den Interventionen mit Studierenden,
die Grundlage vorliegender Untersuchung sind, ist das Schreiben teils „Praxisfeld“ alias uni-
versitärer Alltag und Laborsituation zugleich und weicht somit von dem GTM Methodenkrite-
rium, dass der Forscher Daten im Milieu der Untersuchungspartner erhebt, ab. Durch die al-
lerdings relativ autonome Textproduktion der Studierenden, die im universitären Alltag und
durch seminarinterne Schreibaufträge regulär Texte entwerfen, formulieren und überarbeiten,
ist wenigstens zu Teilen die künstliche Laborsituation aufgehoben.
190 vgl. dazu Kapitel 2.2.4, insbesondere die Annahmen des Schreibprozessmodells von Ludwig
188
Zusammenfassungmethodisch-praxeologischerVorüberlegungen3.3.4
Der methodologische Rahmen der hier vorgestellten Untersuchung ist zunächst ein mixed-
method-Modell, das sich sowohl aus einer standardisierten schriftlichen Befragung (quantita-
tiv) als auch aus mehreren qualitativen Verfahren hinsichtlich Datenerhebung und -
auswertung zusammensetzt. Trotz häufigen methodologischen Vorgehens im Stil einer
Grounded Theory stellen konkrete theoriebasierte und fachdidaktische Vorannahmen Bezugs-
punkte (leitende Forschungsfragen) dar, die es letztendlich neben der Entwicklung von theo-
retischen Konzepten und Modellierungen zu untersuchen gilt.
Die standardisierte schriftliche Befragung von Studierenden, die am Anfang der Datenerhe-
bungsphase vor Beginn der Interventionen durchgeführt wurde, dient als Anamnese studenti-
scher Einschätzungen, Erfahrungen und Bewertungen gegenüber deren Schreiberfahrungen
und -bedürfnissen. Gleichzeitig ist sie Bezugsdatenbasis zu Erkenntnissen, die mit qualitati-
ven Methoden im Rahmen der Untersuchungen zum „fortgeschrittenen Kreativen Schreiben
mit Studierenden“ erörtert wurden.
Aufgrund des wesentlich höheren Zeitaufwandes bei der Datenerhebung, -aufbereitung und -
auswertung mit qualitativen Verfahren gegenüber quantitativer Verfahren wird die Größe der
Stichprobe für Textanalysen, Gruppendiskussionen und Experteninterviews gegenüber der
schriftlichen Befragung enorm reduziert (Kuckartz 2014, 85), wobei Phänomena durch zielge-
richtet ausgewählte Fallstudien exemplarisch dargestellt und ausgewertet werden.
Für das konkrete Untersuchen des fortgeschrittenen Kreativen Schreibens im Feld setzt sich
der Forschungsansatz im Sinne der Grounded-Theory-Methodik aus qualitativen und quantita-
tiven Erhebungs- und Auswertungsmethoden zusammen. Demnach gilt für das Forschungsde-
sign dieser Untersuchung, dass Hypothesen und Fragestellungen bereits vor der Erhebung
feststehen (quantitativ) und gleichzeitig durch die Interaktion von Forschenden und Unter-
suchten (qualitative Forschung) erst gebildet und entwickelt werden (Girgensohn 2007, 104).
Das Untersuchen des Schreibens erfordert einen Zusammenhang bzw. ein Zusammenwirken
zwischen Erklärungsstrategien und Methodeneinsatz, was trotz Kritik durch Vertreter der An-
nahme der Unvereinbarkeit dieser gegensätzlichen Paradigmen (Gläser/Laudel 2010, 27), bei
dem hier verwendeten multimethodischen Ansatz sichtbar wird.
Sowohl der gegenüber einer multimethodischen Vorgehensweise offene Ansatz der Grounded
Theory, mit der Möglichkeit der Non-Linearität von Erhebung, Auswertung und Theorie-
Modellierung, als auch die Triangulation von Theorien, Daten und Methoden, ist in der
sprachdidaktischen Forschung und insbesondere für das Untersuchen von Schreibprodukten
189
und -prozessen zunehmend Forschungspraxis geworden (Ballis 2010, 81). Gleichzeitig er-
schwert diese Methodenkomplexion die Verortung der Forschung und deren Ergebnisse in
einen integrativen, aber ′einheitlichen theoretischen Bezugsrahmen′ (Kelle 2004, 40). Das hier
angelegte mixed-method-Design versteht sich nicht ausschließlich als eine Kombination von
quantitativen und qualitativen Methoden, sondern explizit auch als ein koordiniertes Zusam-
menspiel verschiedener qualitativer Methoden, letztendlich geleistet durch eine systematische
Triangulation (Flick 2011, 315f.). Durch Verfahren der Triangulation wird versucht, mögliche
Schwächen einzelner Erhebungs-, Aufbereitungs- und Analyseverfahren im Hinblick auf die
Validität der Aussagen auszugleichen. Durch den interdisziplinären und innovativen Charak-
ter des Forschungsdesigns wird aufgrund der zu erwartenden Datenvielfalt angestrebt, durch
zirkuläre Strategien neue Hypothesen und Fragestellungen zu generieren. Ziel ist es somit
durch die Kombination der verschiedenen quantitativ und qualitativ erhobenen Daten die Per-
spektive auf das Kreative Schreiben, insbesondere für die Sekundarstufe II und die Hochschu-
le, zu erweitern. Im methodologischen Teil wird daher versucht, die ausgewählten wissen-
schaftlichen Verfahren so zu triangulieren, dass die Untersuchung insgesamt auf eine derarti-
ge methodologische Grundlage gestellt werden kann, um die verschiedenen Daten aus Frage-
bögen, Interviews, Textanalysen, Reflexionen und Rating aufeinander beziehen zu können.
Zuletzt sei hinzugefügt, dass neben den verschiedenen Probandengruppen auf Kontrollgrup-
pen verzichtet wird, da für die dargestellte Untersuchung die ′Vergleichbarkeit der Daten im
Sinne der quantitativen Sozialforschung nicht zielführend wäre, sondern im Gegenteil, sie
würde eine breitbandige Erfassung des Untersuchungsgegenstandes verhindern′ (Witt 2001:
7).
190
3.4 Untersuchungsschwerpunkt 1: Schriftliche Befragung Studie-rendermitdemFragebogen:Ich kann schreiben
Forschungsleitende Fragestellungen:
I a) Welches Selbstkonzept, welche Kompetenzen und Erfahrungen,
b) welche Erwartungen und Motivationen und
c) welche Schwierigkeiten und Wünsche
hinsichtlich des Schreibens bringen Studierende heute zu Beginn ihres Hochschulstu-diums mit?
d) Welche Bezüge lassen sich zwischen dem Kreativen Schreiben und ästhetischen Gestalten herstellen?
Für die Befragung Studierender zu ihren Erfahrungen, Verfahrensweisen, (Selbst-) Einschät-
zungen und Wünschen hinsichtlich des Schreibens und ästhetischen Gestaltens wurden zwei
Fragebögen auf den Grundlagen der empirischen Sozialforschung nach Dieckmann191 entwi-
ckelt.
Die dieser Arbeit zugrunde liegenden interdisziplinären Fragestellungen, die im Kapitel 3.2
aufgeführt sind, binden trotz des eindeutigen Schwerpunkts auf das fortgeschrittene Kreative
Schreiben mit Studierenden Ergebnisse aus der Befragung zum ästhetischen Gestalten mit
ein. So wurde neben dem Fragebogen „Ich kann schreiben“ ein ähnlich umfangreicher Frage-
bogen „Ich kann zeichnen“ entwickelt, getestet und eingesetzt. Aufgrund des Umfangs der
Daten aus dem Fragebogen Ich kann zeichnen, dessen vollständige Auswertung im Rahmen
dieser Dissertation nicht geleistet werden soll, werden nur für Vergleiche beider Disziplinen
Schreiben und ästhetisches Gestalten einzelne signifikante Auswertungserkenntnisse des Fra-
gebogens „Ich kann zeichnen“ am Ende dieses Kapitels 3.4 einbezogen.
Insgesamt liegen 90 Fragebögen „Ich kann schreiben“ von 116 ausgegebenen vor. Die Rück-
laufquote von 77,6 Prozent soll hier der Vollständigkeit dienend zwar erwähnt werden, spielt
aber in der Analyse und der Diskussion der Ergebnisse keine Rolle. Ähnlich verhält es sich
mit der Rücklaufquote für die Fragebögen „Ich kann zeichnen“, von denen 43 vorliegen.
Die schriftliche Befragung durch den eingesetzten Fragebogen „Ich kann schreiben“ enthält
72 Frage-Items und der Fragebogen „Ich kann zeichnen“ 80. Der Fragbogen „Ich kann schrei-
ben“ wurde an Studierende der Philosophischen Fakultät der Friedrich-Alexander-Universität
Erlangen-Nürnberg (FAU) ausgegeben. Den Fragebogen „Ich kann zeichnen“ erhielten Stu-
191 vgl. Diekmann (2011): Empirische Sozialforschung. Grundlagen, Methoden, Anwendung.
191
dierende der Fakultät Design der Technischen Hochschule Nürnberg Georg Simon Ohm sowie
der Kunstpädagogik der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg.
Den beiden in der Studie eingesetzten und ausgewerteten Fragebögen ging der Einsatz und die
Auswertung eines Pretests voraus, dessen Items in einer Vorstudie (jeweils 10 Fragebögen)
auf Eindeutigkeit und Verständlichkeit getestet wurden. Etwaige Verständigungsprobleme,
wie z.B. das uneinheitliche Deuten eines Frage-Items durch mehrere Befragte, konnten so
aufgedeckt und in der darauffolgenden Befragung vermieden werden. Die Durchführung des
Pretests hat auch zur weiteren Standardisierung der schriftlichen Befragung beigetragen, in-
dem noch offene Frage-Items oder Angaben unter „Sonstiges“ zusammengefasst und als stan-
dardisierte Antworten in den letztendlichen Fragebogen aufgenommen wurden. Dennoch gibt
es in beiden Fragebögen stets die Möglichkeit bei „Sonstiges“ eine offene Antwort statt einer
vorgegebenen Antwortmöglichkeit zu wählen.
Viele der befragten Studierenden haben sich durch den Fragebogen erstmalig bewusst mit der
Vielfalt der Einflussfaktoren auf das Schreiben und ästhetische Gestalten auseinander gesetzt.
Dieses Bewusstwerden individueller Verhaltensweisen, Motive und Gewohnheiten, Vorlieben
für Arbeitstechniken, Medien und Materialien, das Erinnern von Erfolgserlebnissen und
Misserfolgen oder das Benennen von Ängsten und Blockaden in beiden Disziplinen aus der
Distanz diente als Sensibilisierung für die Reflexionsaktivitäten im Intensivseminar Kreatives
Schreiben und ästhetisches Gestalten des unter 3.1 beschriebenen Forschungsprojekts.
Die im Folgenden dargestellte schriftliche Befragung, welche die genannten Einflussfaktoren
bei den 20 bis 25 jährigen Studierenden beider Fachbereiche untersucht, wurde vor Beginn
der Intensivseminare mit den Studierenden und somit vor der Kommunikation von Zielen und
Fragestellungen des Forschungsvorhabens an die Teilnehmer durchgeführt. Ziel der Befra-
gung war, Erkenntnisse darüber zu erlangen, mit welchen Fähigkeiten, Erfahrungen, Wün-
schen und Motivationen die Studierende in der Schule und an der Hochschule gegenüber dem
Schreiben und ästhetischen Gestalten entwickelt haben. Die Rückmeldungen der Studierenden
lassen wiederum „die Rückkopplung zur Schule und die Formulierung von Desideraten an
den Deutsch[- und Kunst]unterricht bzw. den Sprachunterricht im Allgemeinen“ zu (Dole-
schal/Struger 2007, 48).
Im Anhang können die durch das Statistik-Programm SPSS ausgewerteten Häufungen zu den
über 70 Fragestellungen auf der Daten-CD eingesehen werden.
Die Fragebögen und die Daten der Auswertungen in Form von Daten, Tabellen, Diagrammen
und Rechenergebnissen können ebenfalls im Anhang eingesehen werden. Auf eine gedruckte
192
Abbildung dieser in der Arbeit selbst wird im empirischen Teil aus ökologischen Gründen
größtenteils verzichtet. Sie wurden nur an Stellen, an denen eine Visualisierung zur Ergän-
zung oder Illustration einzelner Auswertungen vorteilhaft scheint, eingefügt.
SoziographischeDatenbefragterStudierender3.4.1
Unter den Befragten bzw. unter denjenigen, deren Fragebögen ausgefüllt vorliegen, sind 73
weibliche Studierende (81,1%), 12 männliche (13,3%), fünf Befragte (5,5%) machen keine
Angabe. Die Verteilung ist hauptsächlich auf den Umstand zurückzuführen, dass ein Großteil
der Teilnehmer der Intensivseminare zum Kreativen Schreiben und Ästhetischen Gestalten
weiblich sind. Eine geschlechterunterscheidende Analyse kann daher aufgrund der fehlenden
Repräsentanz der männlichen Probanden nicht getätigt werden. Bei der Interpretation der Fra-
gebogendaten ist die ungleichgewichtige Verteilung der Geschlechter daher stets mitzuden-
ken. Eventuell würden bei einer Untersuchung mit paritätischem Geschlechterverhältnis Un-
tersuchungsergebnisse der schriftlichen Befragung von den vorliegenden abweichen. Stich-
proben, bei denen Befragungsergebnisse der 12 männlichen Befragten mit denen der weibli-
chen Probanden kontrastiert werden, zeigen allerdings keine geschlechterspezifischen Aus-
prägungen.
Die Mehrzahl der befragten Studierenden ist zwischen 23 und 26 Jahren (n=48), knapp ein
Viertel ist zwischen 20 und 22 Jahren (n=23) und 6,6% sind 27 oder 28 Jahre alt. Jeweils eine
befragte Person ist 19, 29, 32, 33, 35 und 37 Jahre alt. 7 Personen wiederum machen keine
Angaben zu ihrem Alter.
193
15,5 Prozent der Befragten (n=14) geben an, mehrsprachig aufgewachsen zu sein und 92,2
Prozent erlangen in Deutschland einen Schulabschluss, 89 Prozent schließen die Schule mit
dem Abitur ab.
Welchen Schulabschluss haben Sie?
Häufigkeit Prozent Gültige Prozent
Kumulative Pro-
zente
Gültig Allg. Hochschulreife/Abitur 79 87,8 87,8 87,8
Fachhochschulreife 2 2,2 2,2 90,0
Qual. Hauptschulabschluss 1 1,1 1,1 91,1
Staatsexamen 1 1,1 1,1 92,2
keine Antwort 7 7,8 7,8 100,0
Gesamtsumme 90 100,0 100,0
Unter den Befragten verneinen fast die Hälfte (46,7%) Germanistik zu studieren, nur 12 Pro-
banden geben dies für sich an, die übrigen benennen andere Studiengänge ohne zu verneinen,
dass sie keine Germanistikstudierenden sind. Allerdings sind knapp ein Drittel (31,1%) der
Befragten Studierende des Faches Didaktik des Deutschen als Zweitsprache (DiDaZ). Fast die
Hälfte (n=43) der Befragten wiederum studiert ein Lehramt mit mindestens zwei Fächern.
Das liegt darin begründet, dass das Forschungsprojekt einerseits vom Fach Didaktik des Deut-
schen als Zweitsprache der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg in Koopera-
tion mit der Fakultät Design der Technischen Hochschule Nürnberg Georg-Simon-Ohm gelei-
tet wird und andererseits daran, dass Studierende jeglichen Studiengangs DiDaZ als Erweite-
rungs-(Lehramt) oder Zertifikatsstudium (Nicht-Lehramt) studieren können.
Was studieren Sie? Lehramt
Häufigkeit Prozent Gültige Prozent
Kumulative Pro-
zente
Gültig Grundschule 26 28,9 28,9 28,9
Hauptschule 9 10,0 10,0 38,9
Realschule 5 5,6 5,6 44,4
Gymnasium 3 3,3 3,3 47,8
kein Lehramt 3 3,3 3,3 51,1
keine Antwort 4 4,4 4,4 55,6
keine Angabe möglich 40 44,4 44,4 100,0
Gesamtsumme 90 100,0 100,0
194
Einzelne Studierende geben an Psychologie, Pädagogik oder Darstellendes Spiel zu studieren,
drei Personen geben explizit an, kein Lehramt zu studieren, wobei 44 Personen keine Angabe
aufgrund der vorgegebenen Antworten möglich ist bzw. sie keine Antwort zu dieser Frage
abgeben. Aufgrund des hohen Anteils von zukünftigen Lehrkräften hat die schriftliche Befra-
gung, besonders hinsichtlich der Fragen zur Schreiberfahrung, Schreibsozialisation, zur Me-
dienverwendung, Motivation und zu Wünschen einer sinnvollen Schreibdidaktik, eine schuli-
sche und schreibdidaktische Relevanz, weil die Befragung für das übergeordnete Thema
Schreiben individuell sensibilisiert und eine Rückkopplung zu absolvierten Unterrichtsprakti-
ka und zum zukünftigen Unterrichten der Studierenden zulässt und im besten Fall sogar ein-
fordert.
BedeutungdesSchreibensfürStudierende3.4.2
Forschungsleitende Fragestellung:
Ia) Welches Selbstkonzept, welche Kompetenzen und welche Erfahrungen hinsichtlich des Schreibens bringen Studierende zu Beginn ihres Hochschulstudiums mit?
Schreibkompetenz ist nicht nur während des Lernens in Bildungsinstitutionen sondern auch,
für die Teilnahme am kulturellen, ökonomischen und gesellschaftlichen Leben, mindestens in
allen Industriestaaten von wesentlicher Bedeutung. 87,6 Prozent der befragten Studierenden
geben an, dass Schreiben einen mittleren bis hohen Stellenwert in ihrem Leben hat, für fast
Anteil der Lehramtsstudierenden unter den Befragten
Grundschullehramt
Hauptschullehramt
Realschullehramt
Gymnasiallehramt
kein Lehramt
195
zwei Drittel (63,3%) ist Schreiben sogar erheblich wichtig. Der Stellenwert hat sich in ihrem
bisherigen Leben und bis zum heutigen Zeitpunkt des Studiums, wahrscheinlich aufgrund der
Schreibsozialisation in der Schule, mittelmäßig bis stark verändert. Für fast die Hälfte der
Studierenden allerdings (47,8%) hat die Bedeutung des Schreibens nach dem Schulabschluss
im Vergleich zum Studium aber nicht weiter zugenommen, sondern ist entweder gleich ge-
blieben oder gar zurückgegangen.
Fast alle Befragten geben an, dass Erlernen und Ausüben des Schreibens Einfluss auf ihre
Persönlichkeitsentwicklung nimmt. Nur vier Befragte (4,4%) verneinen diesen Zusammen-
hang, für fast zwei Drittel der Befragten wiederum hat das Schreiben einen erheblichen
(50,0%) bzw. einen sehr großen (15,6%) Einfluss.
Es verändert das Denken hinsichtlich der Fähigkeit zu höherer Abstraktion (23,3%) und zum
Problemlösen (20,0%), Gedanken können nach Einschätzung der befragten Studierenden dif-
ferenzierter und eindeutiger im Sinne eines wissenschaftlichen Ausdrucks formuliert (50,0%)
196
und besser strukturiert (65,6%) werden. Die Verarbeitung von Emotionen durch das Schrei-
ben empfinden über 40 Prozent als persönlichkeitsbeeinflussend (41,1%). Einzelnennungen
im Zusammenhang mit persönlichkeitsbeeinflussenden Veränderungen durch das Schreiben
sind Ausdruck der Kreativität und Phantasie, die Erörterung und Reflexion von Handlungen
und das Verwenden von sprachlichen Stilmitteln.
Ein Fünftel der Befragten bejaht die Frage „Haben sich engere soziale Kontakte zu Personen
aufgebaut, weil Sie in schriftlicher Form kommunizieren?“ mit „zutreffend“, weitere 22,2
Prozent stimmen diesem Phänomen mit „eher zutreffend“ und nochmal 24,4 Prozent mit
„manchmal zutreffend“ zu. Ein Viertel der Befragten (25,6%) hat über das Schreiben keine
neuen sozialen Kontakte geknüpft und 37,8 Prozent haben Freundschaften über das Hobby
Schreiben aufgebaut. Von denen, die Schreiben als Hobby angeben, entstehen Freundschaften
durch Briefwechsel innerhalb Deutschlands (36,8%) und außerhalb Deutschlands (31,6%).
Das Schreiben innerhalb dieser freundschaftlichen Kommunikation findet zu 78,9 Prozent
durch E-Mail-Verkehr statt. Gesehen auf alle Befragten entstehen Freundschaften durch das
Schreiben jedoch nur bei 15,6 Prozent der Studierenden mit Personen innerhalb Deutschlands
und 13,3 Prozent mit Personen außerhalb Deutschlands. Einzelne Studierende schliessen
Freundschaften über das Schreiben in Schreibforen, die Teilnahme an Kursen zum Kreativen
Schreiben, über einen Lyrikzirkel oder über den Poetry Slam.
Der Fragebogen, den die Teilnehmer vor der Intervention „Kreatives Schreiben und Ästheti-
sches Gestalten“ beantworten, enthält auch die eher funktionale Frage, inwiefern die Studie-
0%
10%
20%
30%
40%
50%
60%
70%
80%
Frage an die Studierenden: Inwiefern beinflusst das Schreiben
Ihre persönliche Entwicklung?
197
renden glauben, dass kreative Schreibverfahren für die Ausübung ihres zukünftigen Berufes
sinnvoll erscheinen. Die Studierenden attestieren dem Kreativen Schreiben eine sehr große
(53,2%) sowie eine erhebliche Sinnhaftigkeit (35,6%) hinsichtlich ihres angestrebten Berufes.
Nur insgesamt 4,4 Prozent halten das Kreative Schreiben mittelmäßig bis wenig bedeutsam,
6,6 Prozent geben keine Antwort ab192.
Inwieweit halten Sie den Einsatz kreativer Schreibverfahren für den von Ihnen ange-
strebten Beruf für sinnvoll?
Häufigkeit Prozent Gültige Prozent
Kumulative Pro-
zente
Gültig wenig 1 1,1 1,1 1,1
mittelmäßig 3 3,3 3,3 4,4
erheblich 32 35,6 35,6 40,0
sehr 48 53,3 53,3 93,3
keine Antwort 5 5,6 5,6 98,9
ungültig 1 1,1 1,1 100,0
Gesamtsumme 90 100,0 100,0
Schreiberfahrungen,SchreibgewohnheitenundMediengebrauch3.4.3
Studierender
Ein zentrales Interesse besteht im Hinblick auf deren Schreiberfahrungen und Schreibge-
wohnheiten. Diese werden ebenfalls per Selbstauskunft durch eine schriftliche Befragung
erhoben und anschließend systematisch ausgewertet. Selbstverständlich wird in diesem Zu-
sammenhang auch die damit einhergehende Verwendung von Medien untersucht. Die Analy-
se dieses Teilbereichs trägt zu einer Art Anamnese heutiger Schreiberfahrungen und -
gewohnheiten Studierender bei, um auf deren Grundlage weitere hochschuldidaktische und
lehrerqualifizierende Maßnahmen zu diskutieren.
Ein Viertel der Befragten (25,5%) gibt an, außerhalb der Universität und des damit fast ver-
pflichtenden „Schreibraums“ “nicht“ oder nur „sehr selten“ zu schreiben. Dagegen gab ein
Drittel der Studierenden an, „eher häufig“ außerhalb universitärer Verpflichtungen zu schrei-
ben. Dieser Kontrast macht die Heterogenität der Schreibgewohnheiten unter den Studieren-
den deutlich. Im universitären Bildungsraum wie bspw. in Vorlesungen, Seminaren oder bei
192 Insgesamt war knapp die Hälfte der Befragten durch den Fragebogen „Ich kann schreiben“ Lehramtsstudierende, was die
Ausprägung pro Bedeutung des Kreativen Schreibens für den späteren Beruf relativ hoch erscheinen lässt.
198
Referaten schreiben nur wenige Studierende nie (1,1%) oder eher selten (7,8%). Wie erwartet
schreibt die Mehrheit in universitären Veranstaltungen „eher häufig“ (41,1%) bzw. „immer“
(28,9%). Über 80 Prozent der Studierenden haben Erfahrungen mit dem Vorlegen selbstge-
schriebener Texte, 15,6 Prozent seltsamerweise dagegen gar nicht. Die Studierendengruppe,
die Erfahrungen mit dem Präsentieren eigener Texte macht, tut dies in Schreibkursen (11,7%),
in Zeitungen oder Zeitschriften (27,3%), bei Geburtstagen oder Hochzeiten (33,8%), im Stu-
dium als Hausarbeit (89,6%), für Freunde oder den Partner (51,9%) und für das Radio oder
Fernsehen (2,6%).
Erstaunliche 37,8 Prozent der Studierenden geben an, dass sie vor der Teilnahme an der Inter-
vention des Forschungsprojekts „Kreatives Schreiben und Ästhetisches Gestalten“ bereits an
einem Schreibkurs teilgenommen haben. Zwischen einem Kurs zum Kreativen und einem
zum wissenschaftlichen Schreiben ist in der Fragestellung nicht differenziert worden. Eine
Unterscheidung ist quantitativ daher an dieser Stelle nicht möglich. Durch die Teilnahme, so
die Studierenden, erhöhte sich die Motivation zum Schreiben bei 41,7 Prozent der Befragten,
bei 55,6 Prozent hat es das Interesse am Schreiben „geweckt“ und 19,4 Prozent empfanden
den Austausch mit den Kursteilnehmern als sehr gewinnbringend. Außerdem geben über zwei
Drittel (69,4%) der mit Schreibkursen Erfahrenen an, neue Methoden und Schreibverfahren
kennengelernt zu haben, was einem knappen Fünftel (19,4%) mehr Sicherheit- und Kompe-
tenzgefühl beim Schreiben einbringt, einige wenige (2,8%) geben an, dass der Schreibanfang
nun leichter fällt.
Mehr als die Hälfte (55,6%) der Studierenden schreibt nach eigenen Angaben im Zeitraum
des bisherigen Studiums Gedichte selbst, ein Drittel (34,4%) schreibt während des Studiums
Kurzgeschichten193, jeder achte (12,2%) eine oder mehrere Fabeln und 5,6 % der Studieren-
den gibt an, während des Studiums satirische Texte zu schreiben. Des Weiteren verfassen
zwei Drittel der Befragten während des Studiums Hausarbeiten (83,3%), Zusammenfassungen
(73,3%) Portfolios (66,7%), Protokolle (68,9%), Aufsätze (47,8%), Stellungnahmen (40%),
Berichte (33,3%) oder Sachbeschreibungen (24,4%). Ein Viertel (24,4%) der Studierenden
gibt an, Seminarkritiken zu schreiben.
Als Vertreter eher persönlicher Texte im Privaten werden von den Studierenden während des
Studiums Tagebucheinträge (41,1%), Liebesbriefe (24,4%), Leserbriefe (13,3%) und auch
193 Die folgenden Formulierungen der Befragungsergebnisse zu produzierten Textsorten im Studium sind aufgrund der Lesbar-
keit im nur Plural verfasst, beinhalten aber auch die Möglichkeit des Singulars, z.B. Gedichte (Pl.) ≙ verfassten im Studium ein oder mehrere Gedichte.
199
Hassbriefe (4,4%) geschrieben. Einzelnennungen sollen hier aufgrund fehlender Repräsenta-
tivität nicht aufgeführt werden194.
Hinsichtlich der Schreibhäufigkeit schätzen die Studierenden ein, dass sie wissenschaftliche
Hausarbeiten am häufigsten schreiben (83,3% Zustimmung), gefolgt von Zusammenfassun-
gen (44,4%), Tagebucheinträgen (16,7%), Gedichten (11,1%), Berichten (8,9%) und Kurzge-
schichten (8,9%)195.
Eine alternative Frage zur Analyse von Schreiberfahrungen und -gewohnheiten lässt bewusst
den Fokus Studium außen vor und richtet sich auf den Bereich „Schreiben als junger Erwach-
sener“. Interessant ist hier die Verteilung einzelner genannter Schreibbereiche bzw. Textsor-
ten insbesondere im Vergleich zu den im Studium verfassten Texten. So haben 3 von 4 Stu-
dierende (72,2%) schon einmal Bewerbungen geschrieben, fast die Hälfte (45,6%) hat Erfah-
rungen mit dem Schreiben von tagebuchähnlichen Texten, ein Drittel (33,3%) schreibt litera-
risch ästhetische Texte, jeder fünfte (22,2%) schreibt Reiseberichte, aber ebenso häufig
(23,3%) werden Liebesbriefe geschrieben.
Die Angabe zu verfassten Texten im Studium und die Angabe zu verfassten Texten als junger
Erwachsener überschneiden sich. So kommen sowohl im persönlich-privaten Raum verfasste
Texte bei der Beantwortung der Frage bezüglich des studentischen Schreibens als auch das
Anfertigen von Mitschriften im Studium bei der Beantwortung geschriebener Texte als junger
Erwachsener vor. Eine scharfe Trennung des Schreibens im privaten und des Schreibens im
universitären Raum gelang durch die gestellten Fragen an dieser Stelle nicht. Dennoch werden
in der Gegenüberstellung Tendenzen sichtbar.
194 Die Einzelantworten zu den Frageitems, die Tabellen und die Auswertung mit SPPS sind im digitalen Anhang einsehbar. 195 An dieser Stelle sei bemerkt, dass sich ein erheblicher Teil, aber weniger als die Hälfte der Befragten Teilnehmer aus den
Intensivseminaren zum Kreativen Schreiben und Ästhetischen Gestalten generierte. D.h. viele der Befragten hatten Interes-se am Kreativen Schreiben, wodurch sich die überraschend hohe Zahl an Erfahrungen mit literarisch-ästhetischer Textpro-duktion erklärt.
200
Abbildung 15: Frage an die Studierenden: Welche Texte haben Studierende während Ihres Studiums
universitär und privat geschrieben?
Hinsichtlich der Gestaltung des Schreibprozesses wird die Kenntnis typischer kreativer
Schreibtechniken und –verfahren abgefragt. Fast alle (91,1%) Studierende kennen demnach
Mind-Mapping, drei Viertel (76,6%) Clustern, 43,3 Prozent ist das Schreiben zu Musik be-
kannt. Das Verfassen von Elfchen (67,8%), Bildergeschichten (81,1%), Akchrostichen
(51,1%), Reizwortgeschichten (75,6%), das Fortsetzen eines Textanfangs (82,2%) oder das
freie Schreiben ohne Vorgaben (68,9%) sind ebenfalls bekannt. Da die Frage darauf abzielt,
ob die Befragten diese vorgegebenen Schreibverfahren kennen, kann nur bedingt eine Aussa-
ge darüber getroffen werden, ob ihnen diese vertraut im Hinblick auf die selbstständige An-
wendung sind. Nach meiner Erfahrung mit dem Schreiben Studierender, wenden die wenigs-
ten selbstständig diese ihnen bekannten Schreibverfahren beim Beginnen, Überarbeiten, Re-
flektieren oder beim Auftreten von Schreibblockaden an. Selbst die eigene Einschätzung der
Studierenden, welche Verfahren für welche Phase oder zu welchem Zweck sinnvoll sind, deu-
tet auf vorhandenes Wissen schreibbegünstigender Aktivitäten hin, die sie aber dennoch nicht
autonom anwenden.
Wie bereits einführend erwähnt, ist die Erhebung eines „Ist-Standes“ studentischer
Schreibgewohnheiten synchron möglich, eine Interpretation ist aber nur aus einer diachronen
und somit prozessualen Perspektive sinnvoll. Daher werden die Studierenden durch die
schriftliche Befragung aufgefordert, neben ihren derzeitigen Schreibgewohnheiten Erfahrun-
0%
10%
20%
30%
40%
50%
60%
70%
80%
90%
Verfasste Texte befragter
Studierender
201
gen und Bedingungen aus der Schulzeit vor dem Hintergrund der Schreibsozialisation zu re-
flektieren. Die Befragung ergibt eine fast einheitliche Erinnerung an das Schreiben von Auf-
sätzen (91,1% Zustimmung), gefolgt von der Erinnerung des Abschreibens von vorgegebenen
Texten (61,1%) und der Beschäftigung mit abstrakten Themen (25,6%). In der Schule haben
die befragten Studierenden Schreiben mehrfach als Zwang ohne Kreativität empfunden
(37,8%), nur 27,8 Prozent haben ihrer Meinung nach positive Erfahrungen beim Schreiben in
der Schule gemacht. Gleichzeitig bestätigen 45,6 Prozent der Befragten196, dass sie sich an die
stetige Verbesserung ihrer Schreibkompetenz erinnern.
Bei der Frage nach Erinnerungen an das Schreiben und an Texte aus ihrer Kindheit (erste bis
siebte Klasse), gibt die Mehrheit der Probanden an, sich an das Schreiben von Briefen/Karten
(83,3%), von Aufsätzen (58,9%), Kurzgeschichten (50%), Gedichten (41,1%), Fabeln
(16,7%), Geschichten über Lieblingstiere (15,6%), aber auch an das Tagebuchschreiben wäh-
rend ihrer Kindheit zu erinnern. Auffällig ist, dass sich neben dem Aufsatzschreiben, keiner
der Studierenden an das Schreiben eines Sach- oder Fachtexts im Lebensabschnitt Kindheit
erinnert.
196 Die Argumentation scheint, aufgrund der „Bestätigung“ von einer relativen Größe von fast 50 Prozent gegenüber den vorher
genannten Prozentsätzen, kontrastiver Art zu sein. Allerdings sind „nur“ knapp die Hälfte, die sich an eine zunehmende Schreibkompetenz während ihrer Schulzeit erinnern, sehr wenig. Dieser Widerspruch wird in der Zusammenfassung dieses Kapitels noch einmal aufgegriffen.
202
Abbildung 16: Frage an die Studierenden? An welche selbst geschriebenen Texte aus Ihrer Kindheit
können Sie sich erinnern?
Der bereits im Theorieteil erwähnte Zusammenhang zwischen Emotion und Schreiben bzw.
zwischen eigener Erfahrung, Schreiben und Erinnerung lässt sich in den Aussagen der Studie-
renden wiederfinden, in denen sie die Bedeutung des personal-kreativen Schreibens für sich
hervorheben. Eine weiterführende Interpretation wäre, dass ein Zusammenhang zwischen
Emotion und Gedächtnisleistung in Abhängigkeit von Schreibinhalten, Schreibtechniken und
Textroutinen besteht. Um hierzu genauere Aussagen treffen zu können, müsste eine Untersu-
chung dieses Abhängigkeitsverhältnis gesondert in den Blick nehmen.
Eine ähnliche Verteilung ist bei der Verbindung von Text- und Bildproduktion zu beobachten.
Knapp zwei Drittel (62,2%) der Probanden geben an, Texte schon gleichzeitig geschrieben
und gezeichnet zu haben. Bei der Produktion von Text-Bildcollagen ist die hohe Repräsenta-
tion personal-kreativer Schreibanlässe ebenfalls zu beobachten. Neben dem Einpflegen von
Schaubildern oder visuellen Darstellungen wie Skalen, Graphiken, o.ä. in wissenschaftlichen
Texten Studierender (44,6%) sind es vor allem Briefe an Freunde (66,1%), Post- und Gruß-
karten (45,5%), Tagebucheinträge (35,7%), Comics (8,9%) und selbstgeschriebene Liedtexte
(7,1%) bei denen die befragten Studierenden gleichzeitig schreiben und zeichnen bzw. illust-
rieren.
0%
10%
20%
30%
40%
50%
60%
70%
80%
90%
Erinnerungen an geschriebene Texte in der Kindheit
203
Sowohl aufgrund studentischer Erfahrungen und Gewohnheiten mit dem Schreiben als auch
aufgrund ihrer fortgeschrittenen kognitiven Fähigkeiten sollten Studierende in der Lage sein,
zumindest plakativ die Eigenschaften eines guten Textes subjektiv benennen zu können. Auf
diese evaluative Fähigkeit zielt die Frage nach den Merkmalen eines gelungenen Textes ab,
wobei vorgegebene Merkmale von den Befragten angekreuzt und eigene ergänzt werden kön-
nen. Die Studierenden geben, der Häufigkeit nach geordnet, folgende Rückmeldung:
Merkmale eines gelungenen Textes
1 zum Weiterlesen motivierend 83,3%
2 gut strukturiert 77,8%
3 gut verständlich 76,7%
4 kreativ 48,9%
5 inhaltlich ergiebig 36,7%
6 berührend 25,6%
7 überraschend 24,4%
8 innovativ 23,3%
8 sprachspielerisch 23,3%
10 enthält ein übersichtliches In-
haltsverzeichnis
22,2%
Tabelle 5: Frage an die Studierenden? Welche Merkmale kennzeichnen einen gelungenen Text
(textsortenunabhängig)?
Es wird deutlich, dass analytische und emotional-affektive Ebenen beim Lesen von Texten
nicht nur jeweils eine hohe Bedeutung haben, sondern dass für die Befragten auch deren
Kombination durchaus wichtig ist. Übertragen auf das Schreiben heißt dies vice versa, dass
planende, strukturierende und emotional-affektive Komponenten im Schreibprozess verzahnt
miteinander auftreten. Für fast die Hälfte der Studierenden ist es bedeutsam, und das unab-
hängig davon, ob es sich um einen sachlichen oder persönlichen Text handelt, dass ein Text
kreativ ist. Auch die Eigenschaften innovativ und sprachspielerisch werden als qualitative
Merkmale eines guten Textes angegeben. Die befragten Studierenden empfinden in der Schu-
le Schreiben mehrfach als Zwang ohne Kreativität, sie schreiben ab und schreiben in der
Schule traditionelle Aufsätze. Eine große Mehrheit hat schon eigene Texte, vor allem im Stu-
dium, vorgelegt.
204
Wie am Anfang dieses Kapitels erwähnt, ist die Verwendung von Medien beim und zum
Schreiben ebenfalls Gegenstand der Untersuchung. So werden zunächst ohne Differenzierung
von Ort oder Zweck des Schreibens, tatsächlich von den Studierenden verwendete Schreibge-
räte erfragt. Acht von zehn der Studierenden schreiben nach wie vor mit einem Stift auf ka-
riertem oder liniertem Papier, verwenden dazu gelegentlich farbiges (13,3%) oder weißes un-
liniertes (5,6%) Papier, Plakate und Folien (11%). Die Angaben, dass 78,9 Prozent ebenfalls
mit dem Laptop und 30 Prozent mit einem Standcomputer schreiben, machen deutlich, dass
die Studierenden gewöhnlich handschriftlich, mit Tastatur oder mit mehreren digitalen Medi-
en schriftlich Texte verfassen. Zur Differenzierung, aber gleichzeitig auch zur Heterogenisie-
rung der Schreibgewohnheiten tragen die Auskünfte zu verwendeten Schreibgeräten bei. So
gaben die Befragten an, mit Tinte und Füller (34,4%), mit Bleistift (58,9%), mit bunten Stif-
ten (32,2%) oder mit dem Handy bzw. Smartphone (22,2%) schriftlich Texte zu verfassen,
vor allem aber schreiben vier von fünf Studierende mit Kugelschreiber (78,9%) und Laptop
(78,9%).
Interessant erscheinen nicht nur die Angaben über die tatsächlich verwendeten Schreib-
medien, sondern auch ihr jeweiliges Verhältnis zu affektiven Neigungen und zu ihrer relatio-
nalen quantitativen Nutzung. So ist zu erkennen, dass das von den meisten Studierenden ge-
nutzte Medium Papier sowohl das tatsächlich meist verwandte als auch das beliebteste ist.
Jedoch ist der Kugelschreiber, der ebenso häufig und in Kombination mit dem Papier ver-
wendet wird, nur halb so populär. Kugelschreiber, Bleistift und Standcomputer sind im Ver-
hältnis zu ihrer tatsächlichen Nutzung größtenteils sehr unbeliebt bzw. werden kaum mehr
genannt (z.B. Bleistift). Am engsten korreliert dagegen die hohe tatsächliche Verwendung mit
der Beliebtheit des Schreibgeräts beim Laptop. Die Gründe hierfür müssten in einer weiter-
führenden Studie ebenso erörtert werden wie die nicht angezeigte Beliebtheit des Schreibens
auf dem Handy und dem Smartphone.
205
Abbildung 17: Gegenüberstellung verwendeter Medien beim Schreiben Studierender hinsichtlich der
tatsächlichen, der beliebtesten und der häufigsten Verwendung
Besonders auffällig ist, dass das beliebteste Medium „Papier“ noch vor der Beliebtheit des
Laptops rangiert. Papier als analogen Gegenstand und Untergrund zum Schreiben, die Mög-
lichkeit des Fühlens und Anfassens desselben, vielleicht auch das Spurenhinterlassen mit ei-
ner individuellen Handschrift und die Haltbarkeit dieses Mediums könnten Gründe für diese
Beliebtheit sein. Papier ist auch kein Schreibwerkzeug, trägt also auch nicht die Verbindung
zum mit Mühe und Misserfolgen verbundenen Schreibgerät, sondern ist lediglich ein fast äs-
thetischen Stoff, auf dem Gedanken, Ideen, Informationen, Warnungen, Liebesbotschaften
oder Kunst hinterlassen werden können.
Den Studierenden wird im Rahmen der Befragung über ihre Mediennutzung auch die Frage
gestellt, in welchen Lebensbereichen sie welche Schreibmedien verwenden. Die Fragestellung
greift also einen Teilbereich der gewohnten Mediennutzung Studierender heraus, lässt sich
aber gleichzeitig auf die vorangegangenen Verteilungen von tatsächlichen, beliebtesten und
häufigsten Verwendungen beziehen. Darüber hinaus ist ein repräsentatives Bild über an der
Universität verwandte Schreibmedien generell interessant. Die Verwendung unterschiedlicher
Schreibmedien in den Lern- und Lebensbereichen Studierender unterscheidet somit universi-
täre, freizeitliche und lohnerwerbliche Lebens- und Arbeitsbereiche der befragten Studieren-
den.
0%
10%
20%
30%
40%
50%
60%
70%
80%
90%
tatsächlich
am liebsten
am häufigsten
206
Die Verwendung des Laptops und anderer digitaler Medien in den Seminarräumen ist neben
der Verwendung von Stift und Papier für eine zunehmende Zahl von Studierenden gängige
Praxis. Nach Angaben der Befragten (n=90) verwendet über die Hälfte (59,3%) einen Laptop
für den universitären Bereich. Leider bleibt aufgrund der breit gefassten Fragestellung „In
welchem Lebensbereich…“ offen, ob die Verwendung des Laptops alle universitären Ver-
wendungsmöglichkeiten einschießt, also ortsunabhängig ist, oder ob nur das Arbeiten im Stu-
dium an einem universitärem Ort (Seminar, Vorlesung, Lerngruppe, etc.) angenommen wer-
den kann. Wahrscheinlich ist erstere Annahme, da in Vorlesungen und Seminaren selten die
Hälfte der Studierenden mit dem Laptop Notizen macht, schreibt bzw. ausarbeitet. Kritisch
muss an dieser Stelle angemerkt werden, dass ein nicht unerheblicher Teil der Studierenden
den Laptop gar nicht für seminar- bzw. vorlesungsnahe Aktivitäten nutzt, also auch nicht zum
Notieren, Skizzieren oder letztendlich zum Schreiben von seminar- bzw. vorlesungsrelevanten
Texten197. Hier müsste eine spezialisiertere Befragung angeschlossen werden, die genauer
zwischen lokaler und kausaler Verwendung einzelner angegebener Medien unterscheidet.
Stift und Papier sind nach wie vor die an der Universität am häufigsten gebrauchten Schreib-
medien. Ebenso häufig (59,3%) wie mit dem Laptop schreiben die Studierenden im universi-
tären Lebensbereich mit dem Kugelschreiber. Sie verwenden außerdem sonstige Stifte198
(21,0%), aber auch Füller (13,6%) und Bleistift (4,9%). Neun Studierende machen keine An-
gabe zum verwendeten Schreibgerät an der Hochschule. Auffällig ist die anteilsmäßig sehr
große Menge von 21 Prozent, die kein spezifiziertes Schreibgerät wählt, sondern nur den
Oberbegriff „Stift“ bei dem Platzhalter einer freien Antwort angibt. Es lässt darauf schließen,
dass immerhin jeder fünfte Befragte kein bestimmtes Schreibmedium, aber definitiv ein hand-
schriftliches Schreibgerät für das schriftsprachliche Arbeiten an der Universität favorisiert.
Summa summarum schreiben im Studium nach Angaben der Befragten nach wie vor fast alle
(88,9%) Studierenden mit der Hand199. Es ist anzunehmen, dass die Freiheit der Wahl des
Schreibmediums, im Gegensatz zur schulischen Praxis, und die von einigen Studierenden
erlernte hohe Geschwindigkeit beim Tastaturschreiben zu dem Anteil von über zehn Prozent
197 Vgl. Weinberger (2014). In seiner Studie untersucht der Bildungstechnologe die Ablenkung Studierender von Inhalten von
Vorlesungen durch deren Gebrauch von mobilen digitalen Geräten. 198 Die Bezeichnung „sonstige Stifte“ wurde hier gewählt um die quantitativ wesentliche Menge undifferenzierter Angaben der
Studierenden zu berücksichtigen. Die Befragten gaben „Stift“ bzw. „Stift und Papier“ in der im Fragebogen offenen Antwort-kategorie an, welche ein wesentlicher Vertreter eines analogen handschriftlichen Schreibmediums darstellt und was in Rela-tion zur Verwendung digitaler Medien aufschlussreich ist .
199 Hierbei wird darauf hingewiesen, dass die befragten Studierenden im Lebensbereich Hochschule sowohl mit der Hand als auch mit einem digitalen Gerät schreiben, weshalb Prozentwerte in der Summe auch über 100 betragen können.
207
der Befragten geführt hat, der im Lern- und Lebensbereich Universität nicht mehr handschrift-
lich schreibt. Durch die immer stärkere Nutzung digitaler Medien und Kommunikationssys-
teme, vor allem im privaten Bereich, wird diese Tendenz wahrscheinlich weiter zunehmen.
In der Freizeit zeigt sich hinsichtlich der verwendeten Schreibmedien ein ähnliches Bild. Die
Hälfte (50,7%) der Studierenden gab an, in der Freizeit mit dem Laptop zu schreiben, ein
Großteil schreibt nach wie vor mit verschiedenen Stiften auf Papier (Kugelschreiber 48,1%,
andere Stifte 27,2% Füller 17,3%, Bleistift 8,6%)
Von denjenigen Studierenden, die angaben, neben dem Studium lohnentgeltlich zu arbeiten
(n=62), schreiben 59,7 Prozent im Arbeitsbereich bzw. am Arbeitsplatz mit dem Laptop, und
ähnlich wie in anderen Lebensbereichen dominiert das handschriftliche Schreiben mit dem
Kugelschreiber (41,9%) und anderen Stiften (16,1%), wobei das Schreiben mit dem Füller
(6,5%) und dem Bleistift (3,2%) am Arbeitsplatz gegenüber der Verwendung an der Hoch-
schule und in der Freizeit stark abnehmen. Auffällig ist dafür, dass für das Schreiben am Ar-
beitsplatz differenziertere Nennungen wie beispielsweise Kreide, Fineliner oder Folienstifte
auftauchen. Die Verwendung von Kreide und Folienstiften, als für den Arbeitsbereich der
Studierenden relevante Schreibmedien, lässt sich auch dahingehend deuten, dass eine erhebli-
che Zahl der Befragten (n=38) Lehramtsstudierende sind, die neben ihrem Studium bereits
häufig Nachhilfe geben, Sprachförderung oder anderen Lehrtätigkeiten nachgehen und dabei
diese Medien verwenden. Grund der Streuung der Ergebnisse ist zudem sicherlich die Hetero-
genität studentischer Arbeitstätigkeiten und dass bei einigen dieser, wie z.B. bei Bar- oder
Gastronomietätigkeiten von den Studierenden nicht bzw. kaum geschrieben werden muss.
Trotz der sichtlich starken Abnahme schriftlicher textproduktiver Praxis am Arbeitsplatz ver-
ändert sich die hohe Nennung der Verwendung des Laptops gegenüber der Verwendung an
der Universität und in der Freizeit kaum.
Auch im Freundeskreis verhält es sich nach Angaben der Studierenden ähnlich, wobei der
Gebrauch von Stift und Papier nochmals abnimmt, dafür der Gebrauch von Mobiltelefon bzw.
Smartphone zunimmt. Die Verwendung des Laptops bleibt für das Schreiben im oder mit dem
Freundeskreis mit 56,2 Prozent ähnlich, das handschriftliche Schreiben (Kugelschreiber
31,5%, andere Stifte 17,8%, Füller 15,1%, Bleistift 0%), verändert sich hinsichtlich der Ver-
teilung der verwendeten Medien. Die Interpretationsfrage, warum angeblich nur 17,8 Prozent
angeben, im Freundeskreis mit dem Handy oder dem Smartphone zu schreiben, obwohl fast
jeder Studierende statistisch ein Handy besitzt und neben dem Telefonieren damit auch
schriftlich kommuniziert bzw. schreibt, ist ambivalent und wird in der Zusammenfassung die-
208
0%
10%
20%
30%
40%
50%
60%
70%
Universität
Freizeit
Arbeit
Freundeskreis
ses Kapitels aufgegriffen. Bemerkenswert ist der Anstieg der Verwendung des Schreibgeräts
„Füller“ im Zusammenhang mit den im Lebensbereich „Freundeskreis“ erstmals genannten
Schreibanlässen/Schreibrealisierungen „Postkarte“ und „Brief“. Die Verwendung des Füllers
für persönliche und freundschaftliche Texte ist hier ähnlich hoch wie die Angaben zum be-
liebtesten Schreibgerät. Der Füller scheint für einige Studierende auch eine emotional-
affektive Eigenschaft zu verkörpern. Dass Emotionen beim Schreiben eine große Rolle spie-
len, wird in den folgenden Kapiteln zur Auswertung der schriftlichen Befragung noch genauer
aufgezeigt.
Abbildung 18: Frage an die Studierenden: In welchen Lebensbereichen benutzen Studierende welche
Medien?
Aufgrund der vielfältigen in der Befragung beschriebenen Verwendungen von Schreibmedien
ist es aufschlussreich den Wechsel bzw. Transfer von Schreibmedien beim Schreiben eines
Textes näher zu betrachten.
Immerhin fast drei Viertel (72,2%) der Befragten überträgt Geschriebenes von einem Medium
auf ein anderes. Dabei handelt es sich bei 41,9 Prozent um den Transfer von handschriftlich
verfassten Texten auf einen Standcomputer/PC, bei 45,3 Prozent um das Übertragen auf den
Laptop, Wenige (4,7%) geben an, handschriftlich auf Papier Geschriebenes noch einmal
handschriftlich in ein Buch oder auf anderes Papier zu übertragen. Eine sogenannte Rein-
209
Transfer von Geschriebnem
handschriftlicher Text auf PC
handschriftlicher Text auf
Laptop
handschriftlicher Transfer auf
anderes Papier
k.A.
schrift, wie sie lange für das schulische Aufsatzschreiben üblich war, findet dagegen keine
Erwähnung.
Da fast drei Viertel der Studierenden mit einem Text mindestens ein zweites Mal umgehen, ist
die prinzipielle Möglichkeit des Überarbeitens gegeben, was schreibdidaktisch eine hervorra-
gende Grundlage ist. Ein Kopieren handschriftlicher Texte ohne Reflexion und Überarbeitung
wäre dagegen eine vergebene Chance hinsichtlich einer prozessorientierten Textproduktion.
Das aber bestätigen die Rückmeldungen der Studierenden.
Lediglich einer von 69 Befragten, die angaben, handschriftliche Texte auf PC oder Laptop zu
übertragen, tat dies aus Gründen der „Überarbeitung“. Für sechzehn Studierende (23,2%) war
dabei die bessere Übersichtlichkeit einer digitalen Version ausschlaggebend, für acht (11,6%)
der „Wille des Dozenten“, eine Hausarbeit digital abzugeben, für fünf (7,2%) war die Verfüg-
barkeit einer digitalen Version oder die Möglichkeit die Texte zu archivieren ausschlagge-
bend, für drei (4,3%) die Lesbarkeit und für zwei Studierende (2,9%) war der Grund, Texte
mit anderen teilen zu können. Konträr dazu ist die bessere und einfachere Ideenfindung auf
Papier, die für 5 Studierende (7,2%) ausschlaggebend war und, um so erst nach der hand-
schriftlichen Textproduktion eine digitale Version herzustellen.
Abbildung 19: Frage an die Studierenden? Wie übertragen Sie einen Text von einem Medium
auf ein anderes?
210
0%
5%
10%
15%
20%
25%
Gründe für das Übertragen eines Textes
Durch die Verwendung digitaler Medien und des Internets wird nicht nur der (Stand-) Com-
puter, der Laptop oder der Tablet-Computer immer häufiger Schreibmedium von Jugendli-
chen und Erwachsenen. Über ein Drittel der befragten Studierenden schreiben auf Online-
Plattformen, was aber nicht automatisch sozialen Netzwerken, wie bspw. Reddit, Facebook
oder Twitter, entspricht, sie aber beinhalten kann.200 Bei einer Frage nach dem Schreiben von
Studierenden in sozialen Netzwerken wäre der Anteil der online Schreibenden wahrscheinlich
wesentlich höher gewesen. Dies herauszuarbeiten war allerdings kein Ziel der Befragung und
soll daher hier nicht weiter differenziert werden. Von den online Schreibenden schreiben 71,8
Prozent im umgangssprachlichen Stil, 12,8 Prozent inhaltlich-sachlich und ein Einziger gab
an fachsprachlich zu schreiben. Dennoch schreiben 28,2 Prozent themenbezogen und immer-
200 Nur ein Drittel der Befragten gibt, an online Texte zu schreiben, davon aber 71,8 Prozent im umgangssprachlichen Stil. Es ist
anzunehmen, dass weit mehr als ein Drittel der Studierenden in sozialen Netzwerken wie Facebook oder Twitter schreibt, was aber ebenfalls unter online-Schreiben zu subsumieren wäre. Demzufolge ist für viele der Befragten online-Schreiben, im Sinne einer konzeptionell mündlichen und rein auf Kommunikation abzielende Textproduktion nicht als für diese Befra-gung relevante Kategorie des Schreibens gewertet worden. Andersherum bedeutet das, dass von den zwei Dritteln, die an-gaben, nicht online zu schreiben, ein erheblicher Anteil die schriftliche Kommunikation via Facebook und Twitter nicht als Schreiben kategorisiert. An dieser Stelle wäre im Kontext von Mündlichkeit und Schriftlichkeit eine speziell auf dieses Phä-nomen gerichtete Befragung erkenntnisreich.
Abbildung 20: Frage an die Studierenden:Warum übertragen Sie einen Text von einem
Medium auf ein anderes?
211
hin 20,5 Prozent literarisch-ästhetisch. Diese Aussage und deren erstaunlich hoher Anteil,
dass jeder fünfte Studierende, online, wenn auch vielleicht sehr selten, literarisch-ästhetisch
schreibt, wird von den Aussagen zur selbst produzierten Textsorte „Gedicht“ im Studium so-
gar noch übertroffen (s.o.).
SelbsteinschätzungenStudierenderhinsichtlichihrerSchreibkom-3.4.4
petenz
Um das Schreiben von Texten zu erlernen, zu praktizieren und vor allem um eigene Text- und
Schreibfähigkeiten weiter zu entwickeln, sind neben textuellen auch lernstrategische Kennt-
nisse notwendig. Hinsichtlich einer mit der Schreibkompetenz ansteigenden Lernerautonomie
spielt zudem die Fähigkeit der Selbsteinschätzung eine Rolle. Der Schreibende erkennt so
Stärken und Schwächen und kann diese gegebenenfalls nutzen bzw. mit ihnen angemessen
umgehen. In diesem Zusammenhang war es interessant, wie Studierende ihre eigenen Fähig-
keiten und Kompetenzen in Bezug auf das Schreiben einschätzen.
Die Einstiegsfrage in diesen Themenbereich der Selbsteinschätzung ist wiederum universal
formuliert und fragt die Studierenden generell, ob es ihnen leicht fällt, sich schriftsprachlich
auszudrücken. Obwohl anzunehmen ist, dass Studierende aufgrund ihrer Qualifikation der
Hochschulreife beim Schreiben sicher und erfahren sind, kann über ein Viertel der Befragten
diese Sicherheit nicht bejahen. Als ein Grund für diese fehlende Sicherheit könnte Zurückhal-
tung oder Bescheidenheit der Studiereden bei der Selbsteinschätzung angenommen werden.
212
Ein anderer Grund wäre, dass die Schreibkompetenzen für das Schreiben von propädeutischen
und akademischen Texten bei Hausarbeiten und in Prüfungen für einen Teil der Studierenden
nicht ausreichen. Zahlreiche Rückmeldungen zu schriftlichen Studierendentexten und die uni-
versitäre Debatte über schriftsprachliche Defizite bei Studierenden würden diese selbstkriti-
sche Aussage über die durchschnittliche bis niedrige Schreibkompetenz bei einem Teil der
Studierenden allerdings stützen.
Mit Ausnahme einiger weniger Studierender schätzen fast alle (94,5%) ihre Schreibkompe-
tenz beim Schreiben privater Texte durchschnittlich bis sehr gut ein. Ein Viertel (27,8%)
glaubt, nur durchschnittliche Schreibfähigkeiten bei privater Textproduktion entwickelt zu
haben, knapp über 50 Prozent (54,4%) stufen ihre Fähigkeiten als gut ein und jeder zehnte
(12,2%) geht von sehr guten Fähigkeiten in diesem Bereich aus.
Bei Schreiben „wissenschaftlicher“ Texte zeigt sich ein ähnliches Bild, auch wenn die Ein-
schätzungen im durchschnittlichen und niedrigen Bereich leicht zunehmen. So glauben sieben
Prozent der Befragten, dass ihre Kompetenzen für die Produktion von „wissenschaftlichen“
Texten niedrig seien, ein Drittel macht die Einstufung der eigenen Schreibkompetenz vom
Interesse und vom Thema des „wissenschaftlichen“ Textes abhängig, knapp die Hälfte sieht
ihre Schreibfähigkeiten im durchschnittlich bis guten Bereich und elf Prozent gehen von einer
sehr gut entwickelten Schreibkompetenz für das Schreiben „wissenschaftlicher“ Texte aus.
213
Lutz von Werder versteht das Kreative Schreiben als einen eigenen schreibdidaktischen An-
satz201 und erläutert, warum seiner Meinung nach auch die Produktion wissenschaftlicher Tex-
te Kreatives Schreiben sein muss. Gemeinsam mit Barbara Schulte-Steinicke führt er eine
Vielzahl „kreativer“ Schreibwerkzeuge“ und Methoden202 an, die dann helfen sollen, wenn im
Schreibprozess besonders herausfordernden Schreibsituationen und -phasen Probleme berei-
ten. Ziel im Umgang mit auftretenden Schreibschwierigkeiten ist stets das anspruchsvolle und
zielgerichtete, aber dennoch kreative Schreiben von Sach- und Fachtexte in wissenschaftli-
chem Stil. In diesem Sinne werden Studierenden für die vorliegende Unersuchung gefragt,
was ihnen beim Verfassen wissenschaftlicher Texte (z.B. Hausarbeit, Klausur, o.ä.) besondere
Schwierigkeiten bereitet.
Studentische Schwierigkeiten beim akademisch-wissen-schaftlichen Schreiben
1 der Anfang/Beginnen des Textes 49,4%
2 das Wesentliche vom Unwesentlichen trennen 42,7%
3 klare Formulierungen zu finden 40,4%
4 Umformulieren von Sekundärliteratur 31,5%
5 Strukturierung des Textes 25,8%
6 den roten Faden beibehalten 20,2%
201 Vgl. Werder 1995, 2002a 202 Vgl. Werder et. al. 2002b, 2007
214
Tabelle 6: Was bereitet den Studierenden bei der Produktion akademisch-wissenschaftlicher Texte
große Schwierigkeiten?
Das Ergebnis der Befragung zeigt, dass sowohl schreiborganisatorische, gedankliche als auch
sprachliche Schwierigkeiten genannt werden. Der Beginn des Schreibens „wissenschaftlicher
Texte“ ist nach Angaben der befragten Studierenden dabei die größte Herausforderung. Fast
die Hälfte gibt an, dabei Schwierigkeiten zu haben. Ähnlich häufig sind Schwierigkeiten beim
Finden angemessener und klarer Formulierungen im Bereich des wissenschaftlich-
akademischen Schreibens durch Studierende, höchstwahrscheinlich, weil sich dieser schrift-
sprachliche Ausdruck deutlich von ihrer mündlichen Alltagssprache und möglicherweise von
der bisherigen Art und Weise zu schreiben unterscheidet.
Diese Ausführungen zum „wissenschaftlichen“ Schreiben ergänzen den eigentlichen Fokus
auf das Kreativen Schreibens in dieser Arbeit wesentlich, da die Zusammenhänge, Gemein-
samkeiten und Unterschiede von wissenschaftlichem und kreativen Schreiben beim Weiter-
entwickeln der Schreibkompetenz im Studierendenalter anhand der Befragungsauswertung
dokumentiert werden können. Darüber hinaus sind diese Erkenntnisse schriftsprachlicher Pra-
xis unter den untersuchten studierenden im Hinblick auf eine akademisch angemessene
Schreibdidaktik bedeutsam und sind nicht zuletzt Grundlage zur Beantwortung der for-
schungsleitenden Fragestellung IV der vorliegenden Arbeit.
215
0%
10%
20%
30%
40%
50%
60%
70%
80%
Studentische Motivationen um zu
schreiben
MotivationundEmotionbeimSchreibenStudierender3.4.5
Forschungsleitende Fragestellung:
Ib) Welche Erwartungen und Motivationen hinsichtlich des Schreibens bringen Studie-rende zu Beginn ihres Hochschulstudiums mit?
Das häufig wenig beliebte Schreiben an Schulen und Universitäten rührt nach Kruse daher,
dass das Schreiben in diesen beiden Bildungsinstitutionen häufig wenig mit der eigenen Per-
son zu tun hat, es selten einen kom-
munikativen Zweck erfüllt, dass es
oft keine Antwort oder kein Feed-
back auf das mühsam Geschriebene
gibt und dass die Inhalte die Schrei-
benden häufig wenig interessieren
(Kruse 2010, 152).
Die Auswertung der Befragung hin-
sichtlich der Motivation und Emoti-
on beim Schreiben spiegelt Kruses
Aussagen an mehreren Punkten wider. Die Inhaltsangabe z.B., als eine typische stark nor-
mierte Aufsatzart im Deutschunterricht, profitiert nicht von der häufigen Einbinden von Schü-
lerinteressen und Bedürfnissen der schreibenden Person. Die Folge ist Unbeliebtheit und sin-
kende Schreibmotivation gegenüber dieser Textsorte (Fix/Melenk 2002, 9), was die Sinnhaf-
tigkeit und Notwendigkeit der Beherrschung der Wiedergabe und der Diskussion des Inhalts
eines Textes aber an dieser Stelle keinesfalls in Frage stellt. Ähnliches gilt auch für das expo-
sitorische Schreiben weiterer Textsorten. Insbesondere die hohe Häufigkeit in der Befragung
hinsichtlich Emotionen und eigener Erfahrungen und Erlebnisse als Motivationsfaktoren für
das Schreiben Studierender bestätigen die notwendige Identifikation des studentischen
Schreibers mit dem Geschriebenen. Die hohe Schreibmotivation entsteht etwa durch Gesprä-
che und Diskussionen(40%), durch einbezogene Literatur und Bilder, ist für 40 bzw. für 45
Prozent der Studierenden schreibmotivierend Studierenden ebenfalls relevant. Im Vergleich,
wenn auch mit deutlich weniger Zustimmung, aber dennoch mit bis zu 50% der Befragten,
Abbildung 21: Frage an die Studierenden,
was sie zum Schreiben motiviere
216
werden damit die starken Bezugsmöglichkeiten beim Schreiben auf die mündliche Kommuni-
kation deutlich. Ähnlich wie Schreibgewohnheiten und Textroutinen verändern sich auch mo-
tivationale Faktoren aufgrund der Entwicklung der Schreibkompetenz von Schülern oder Stu-
dierenden. Wie bereits im voran gegangenen Kapitel erläutert, sind Ist-Stand-Analysen dazu
nur bedingt aussagekräftig. Daher wird auch im Bereich der Motivationen beim und zum
Schreiben untersucht, inwiefern sich die befragten Studierenden an Gründe und Anlässe des
Schreibens aus ihrer Kindheit und Jugend erinnern. Beim Vergleichen der erinnerten Motiva-
tionen zum Schreiben und der Motivation zum studentischen Schreiben treten teilweise große
Unterschiede auf, in anderen Teilen wiederum gibt es deutliche Schnittmengen.
So gaben fast neun von zehn (87,8%) der Befragten an, aufgrund verpflichtender Hausaufga-
ben, aber auch zwei Drittel (62,2%) aufgrund von Freundschaften, geschrieben zu haben.
Über die Hälfte (56,7 %) gab undifferenziert an, aus Lust geschrieben zu haben, knapp ein
Drittel (31,1%) aufgrund eines festlichen Anlasses oder einfach, um sich mitzuteilen (28,9%).
Die vielen Einzelnennungen wie Urlaubsgrüße, Briefe, Zeitvertreib, Familie, Emotionen, Er-
lebnisse oder das Tagebuchschreiben sind genau genommen sicherlich in den bereits genann-
ten Kategorien unterzuordnen, zeugen aber dennoch von einer starken Präsenz von Schreiber-
innerungen an ein häufig personales Schreiben mit sozialisierender bzw. gefühlaufarbeitender
Funktion. Spezifische Erinnerungen an geschriebene Sachtexte tauchen dagegen nicht auf.
Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass sich Texte, die eine hohe Bedeutung für den
Schreibenden haben, sowohl durch höhere Schreibmotivation als auch durch längeres Memo-
rieren dieser Texte und Inhalte auszeichnen. Dennoch sind die Erinnerungen an die schulische
Schreibsozialisation bei den Studierenden fest mit der Erinnerung an die Verpflichtung zum
ungeliebten Schreiben verbunden. Ähnlich verhält es sich im Studium, in dem die Studieren-
den durch die Vorgabe von Anforderungen und durch das Streben nach guten Bewertungen,
nicht zuletzt Noten, motiviert sind, „gute Texte“ zu schreiben. Dieser positive Druck, der in
schriftlichen Prüfungssituationen (Klausur, Abiturprüfung, Staatsexamina) am deutlichsten
erkennbar ist, „motiviert“ Studierende zu Höchstleistungen im Sinne einer stringenten und
über mehrere Stunden dauernden Textproduktion. Dieser positive Druck ist konträr zur Moti-
vation im privaten Lebensbereich, wenn dort kreative und zum Teil auch literarische Texte
geschrieben werden. Die Aufforderung an die befragten Studierenden, einzelnen möglichen
217
motivationalen Kategorien bestimmte Textsorten203 zuzuordnen, scheint diese Annahme zu
bestätigen.
Aufgrund schulischer oder universitärer Verpflichtungen schrieben die Studierenden nach
ihren Angaben zumeist wissenschaftliche Texte, Aufsätze, Protokolle, Berichte, Zusammen-
fassungen, aber auch Stellungnahmen, literarische Prosatexte, Kommentare und Artikel. Von
einigen wurde in diesem Zusammenhang auch das Schreiben von Mails (9,1%) und Bewer-
bungen (19,5%) als Pflicht aufgefasst.
Die große Mehrheit (85,6%) der Befragten gab an, aus Pflicht zu schreiben. Von den unter-
suchten „Motivationsbereichen“ Pflicht, gesellschaftliches Engagement (66,7%), künstleri-
sches Engagement (60%), Langeweile (54,4%) und Liebe (77,8%) wies nur Freundschaft
(88,9%) eine höhere Schreibmotivation Studierender auf204.
Abbildung 22: Textsorten, die Studierende als junge Erwachsene schreiben und als verpflichtend
empfinden
Aus Gründen gesellschaftlichen Engagements nannten die Befragten vor allem das Schreiben
203 Da die Aufforderung in der schriftlichen Befragung explizit nach Textsorten fragte, wird dieser Begriff in der folgenden Dar-
stellung, um einer möglichst authentischen Spiegelung studentischer Rückmeldungen gerecht zu werden, beibehalten. Es ist klar, dass einige der Nennungen keine Textsorte per definitionem sind.
204 Die im Folgenden angegebenen Prozentwerte für einzelne Textsorten, sowohl im Fließtext als auch in den visuellen Darstel-lungen, beziehen sich nicht auf die Gesamtanzahl der Befragten, sondern immer auf die jeweiligen Zustimmungen zu den einzelnen Motivationsbereichen. Für Pflicht gilt daher n=77, für gesellschaftliches Engagement n=60, für künstlerisches En-gagement n=54, für Langeweile n=49, für Liebe n=70 und für Freundschaft n=80
0%
10%
20%
30%
40%
50%
60%
70%
Motivationsbereich Pflicht
218
von Stellungnahmen, Berichten, Protokollen und von Artikeln. Ebenfalls, aber deutlich weni-
ger, wurden Bewerbungen, literarische Prosatexte, Mails und Briefe als von den Studierenden
produzierte Textsorten aufgrund gesellschaftlichen Engagements angegeben.
Abbildung 23: Textsorten, die Studierende als junge Erwachsene aus Gründen gesellschaftlichen
Engagements schreiben
Für einen weiteren Motivationsbereich, den des künstlerischen Engagements, der hier als Ab-
grenzung zu vorhergegangener Kategorie gesellschaftliches Engagement benannt ist, zeichnet
sich ein anderes Bild ab205. Die Motivation im Rahmen künstlerischen Engagements, sich
literarisch oder speziell lyrisch auszudrücken, deckt sich mit den von den Studierenden ange-
gebenen Wünschen, in welchen Bereichen des Schreibens sie sich mehr Kompetenzen wün-
schen206. Gedichte, Kurzgeschichten, Science-Fiction, Märchen oder Fabeln zu schreiben, ist
während der Schulzeit nach Auswertung der Befragung zumindest für einen Teil der Befrag-
ten verpflichtend gewesen. Als junge Erwachsene und Studierende scheint es für über die
Hälfte der Befragten ein Bedürfnis zu sein, kreative Texte zu verfassen. Trotz des quantitativ
klaren Ergebnisses ist an dieser Stelle hinzuzufügen, dass es sich nicht immer um ein einseiti-
ges persönliches Bedürfnis literarisch-ästhetischer Artikulation durch schriftliche Textproduk-
tion handeln muss. Häufig sind soziale Beziehungen, wie Freund- oder Partnerschaften oder 205 siehe nachfolgende Abbildung 206 Vgl. nachfolgendes Kapitel 2.4.6
0%
10%
20%
30%
40%
50%
60%
Motivationsbereich gesellschaftliches Engagement
219
gesellschaftliche Anlässe wie Geburtstage oder Hochzeiten, primären Motivationen, um krea-
tiv zu schreiben. Alle Befragten geben an, sich an literarisch-ästhetischen Prosatexten ver-
sucht zu haben, knapp zwei Drittel schreiben Gedichte.
Abbildung 24: Textsorten, die Studierende als junge Erwachsene aufgrund künstlerischen
Engagements schreiben
Dass Langeweile eine Motivation für Kreatives Schreiben sein kann, klingt zunächst wider-
sprüchlich, auf den zweiten Blick und in Anbetracht der zeitlichen Dimension und der damit
einhergehenden Verarbeitung von Eindrücken und Gefühlen dagegen fast konsequent. Des-
halb ist es auch nicht verwunderlich, dass über 50 Prozent der befragten Studierenden ange-
ben, bei Langeweile zu schreiben207. Entgegen der Verarbeitung von vielen Reizen, bei-
spielsweise durch den Alltag in einer Großstadt oder durch den Konsum audio-visueller Me-
dien, trägt Langweile, eventuell in einer reizärmeren Umgebung, dazu bei, sich in Gedanken
zu vertiefen und zu reflektieren. Einige der Studierenden geben dabei an, anlässlich dieser
Stimmung zu schreiben. Dabei schreiben sie kaum sachliche Texte, sondern vornehmlich Ta-
gebuch, Gedichte, Geschichten und Märchen. Fühlen sich die befragten Studierenden gelang-
weilt, schreiben sie auch vermehrt Mails, Briefe und sogar Hassbriefe.
207 siehe nachfolgende Abbildung
0%
10%
20%
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40%
50%
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70%
Motivationsbereich künstlerisches Engagement
220
Abbildung 25: Textsorten, die Studierende als junge Erwachsene aufgrund von Langeweile schreiben
Ein sehr starker emotional-affektiver Motivationsbereich ist die Liebe208, die in der Literatur
eines der bedeutendsten Themen, wenn dieses nicht sogar das präsenteste Thema überhaupt
ist. Die Liebe zu einem Partner, zu einem oder mehreren Familienangehörigen oder gar inner-
halb einer Freundschaft sind für unzählige Autoren und Schriftsteller Motiv und Motivation
zugleich für die Produktion von Literatur und Kunst schlechthin. Seit der griechischen Antike
ist das kreative (Er-)Schaffen von Kunst durch eine oder mehrere Musen als Phänomen be-
kannt. Dieses Phänomen Liebe zu empfinden, diese zu verarbeiten und zu geben, kann Moti-
vation für künstlerisch-ästhetische Praxis jeden Individuums werden. Auf drei Viertel (77,8%)
der befragten Studierenden wirkt das Phänomen Liebe schreibmotivierend. Ähnlich wie bei
der Textproduktion aufgrund von Langeweile, bei der, wie erwähnt, häufig Verarbeitungspro-
zesse von Bedürfnissen, Gefühlen und Erfahrungen stattfinden, schreiben die befragten Stu-
dierenden vor allem personal-kreative Texte wie etwa Liebesbriefe, Gedichte, Briefe, aber
auch Tagebucheinträge und Mails. Durch die unterschiedlichen Angaben der Studierenden,
bewusst oder unbewusst, werden sowohl die Textsorte Brief als auch Liebesbrief angegeben,
die daher nicht verändert oder zusammengefasst werden. Besonders deutlich ist der relativ
hohe Anteil der Studierenden, die aufgrund von Liebe Gedichte schreiben (35,7%). Im
freundschaftlichen Motivationsbereich sind es vergleichsweise dagegen nur zehn Prozent der
Befragten.
208 siehe nachfolgende Abbildung
0%
5%
10%
15%
20%
25%
30%
35%
40%
45%
50%
Motivationsbereich Langeweile
221
Abbildung 26: Textsorten, die Studierende als junge Erwachsene aufgrund von Liebesgefühlen
schreiben
Den Motivationsbereich Freundschaf209t, der für fast 90 Prozent der Studierenden Schreiban-
lässe befördert, zeichnet sich vor allem durch ein Schreiben mit dem Ziel des miteinander-
Kommunizierens aus. So schrieben die befragten Studierenden aus Freundschaft hauptsäch-
lich Mails oder Briefe, häufig auch Postkarten. Ebenfalls, aber deutlich weniger, wurden Ge-
dichte, Geschichten oder Tagebucheinträge aus freundschaftlichen Gründen verfasst.
209 siehe nachfolgende Abbildung
0%
5%
10%
15%
20%
25%
30%
35%
40%
45%
50%
Liebesbriefe Mails Gedichte Briefe Tagebucheinträge
Motivationsbereich Liebe
222
0%
10%
20%
30%
40%
50%
60%
70%
Motivationsbereich Freundschaft
Unabhängig der Motivation zu schreiben eröffnet sich beim Blick auf mögliche Sozialformen
beim Schreiben Studierender eine weitere schreibdidaktische Perspektive auf die Schreiber-
fahrung, die durch die Befragung offenbar werden. Über 80 Prozent (83,3%) der Studierenden
gibt an, bevorzugt allein zu schreiben, was das Stereotyp „Schreiben als einsames Geschäft“
bestätigt. Ob sich durch mehr kooperative Schreibformen in der heutigen schulischen
Schreibsozialisation der Lernenden (beispielsweise in der Grundschule und der Sekundarstufe
I) diese Präferenzen im Erwachsenenalter verhältnismäßig zu den hier erhobenen Daten ver-
schieben, wäre in einer Anschlussstudie empirisch nachzuprüfen. Bei den hier befragten Stu-
dierenden, bei denen vier von fünf Befragten zum Zeitpunkt der Untersuchung zwischen 20
und 26 Jahre alt waren, werden kooperative Schreibformen, wie etwa das Schreiben in Grup-
penkonstellationen von einem Großteil als Schreibmotivation (73,3 %) ausgeschlossen.
Schreiben Sie bevorzugt, wenn sie allein sind?
Häufigkeit Prozent Gültige Prozent
Kumulative Pro-
zente
Gültig nicht zutreffend 4 4,4 4,4 4,4
ein wenig 2 2,2 2,2 6,7
manchmal zutreffend 9 10,0 10,0 16,7
eher zutreffend 22 24,4 24,4 41,1
Abbildung 27: Die Studierenden schreiben aufgrund freundschaftlicher Beziehungen, dem am
höchsten bewerteten Motivationsbereich, unterschiedliche Texte.
223
zutreffend 53 58,9 58,9 100,0
Gesamtsumme 90 100,0 100,0
Motiviert Sie das Schreiben in Gruppenkonstellationen?
Häufigkeit Prozent Gültige Prozent
Kumulative Pro-
zente
Gültig nein 66 73,3 73,3 73,3
ja 21 23,3 23,3 96,7
keine Antwort 1 1,1 1,1 97,8
ungültig 2 2,2 2,2 100,0
Gesamtsumme 90 100,0 100,0
Die leitende Forschungsfrage, ob Studierende beim Kombinieren von Text- und Bildelemen-
ten Erfahrungen haben und wenn ja, bei welchen Schreibanlässen, wurde mit einem weiteren
Fragenset untersucht. Generell haben - laut Auskunft der befragten Studierenden - knapp zwei
Drittel (62,2%) bereits gleichzeitig geschrieben und gestaltet/gezeichnet. 37, 8 Prozent gaben
an, dies noch nicht getan zu haben210.
Gab es Texte, in denen sie gleichzeitig geschrieben und gezeichnet bzw. gestaltet
haben?
Häufigkeit Prozent Gültige Prozent
Kumulative Pro-
zente
Gültig nein 34 37,8 37,8 37,8
ja 56 62,2 62,2 100,0
Gesamtsumme 90 100,0 100,0
So zeichneten/ gestalteten und schrieben die Befragten gleichzeitig in persönlichen Karten
(48,9%), in Tagebucheinträgen (22, 2%), in Briefen an Freunde (41,1%), in gestalteten
Schaubildern und Visualisierungen in wissenschaftlichen Texten (27,8%), in erstellten Co-
mics (5,6%), in gedichteten Liedern (4,4%) oder schrieben Text in eigene Illustrationen
2,2%)211.
210 Die Frage wird auch deshalb so gezielt vor der den Intensivseminaren gestellt, da sich die mitwirkenden Wissenschaftler ein
Überblick versprachen, wie viele Studierende bei der Kombination dieser beiden Ausdrucksmöglichkeiten bereits Erfahrun-gen gemacht haben. Alle Interventionsteilnehmer nehmen an der Befragung teil, die Datengrundlage dieser Auswertung um-fasst aber weitere Studierende, die nicht an der Intervention teilnehmen. Ziel der Interventionsmaßnahme ist es unter ande-rem, Verfahren und Techniken der Ausdrucksbereiche Schreiben und Illustrieren/Zeichnen miteinander zu kombinieren.
211 Für die Interpretation der Daten muss berücksichtigt werden, dass sich die Prozentangaben der Einzelnennungen von An-lässen zu Text-Bild-Kompositionen auf die Gesamtmenge von 90 Befragten und nicht auf die zwei Drittel der Befragten be-zieht, die angaben, bereits jemals Bild- und Textelemente beim Schreiben miteinander verknüpft zu haben. Bezieht man die Daten nur auf die Studierenden mit Kombinationserfahrungen bei der Textproduktion, verändern sich die Daten wie folgt: An-lass von Text-Bild-Kombinationen Studierender sind das Schreiben persönlicher Karten (78,6%), von Tagebucheinträgen
224
Abbildung 28: Frage an die Studierenden: Gab es Texte, in denen Sie gleichzeitig geschrieben und
gezeichnet bzw. gestaltet haben?
Ausgehend von der Schwierigkeit vieler Schreiber, erfolgreich in die Textproduktion einzu-
steigen, werden die Studierenden im Fragebogen aufgefordert, ihre Gefühle zu beschreiben,
wenn sie sich vor einem leeren Blatt oder Dokument befinden und mit dem Schreiben begin-
nen wollen212. Dabei gibt über die Hälfte (57,8%) der Studierenden an, Stress zu Beginn des
Schreibens zu empfinden, jeweils ein Fünftel ist frustriert (20%), empfindet Hilflosigkeit
(19,1%) oder Zerstreuung (20%) und jeweils über ein Drittel testiert sich Ideenlosigkeit
(37,8%) und Aufgeregtheit (34,4) beim Ordnen von Gedanken. Die Tendenz zur Resignation
lässt sich in folgender Rückmeldung erkennen: 43,3 Prozent der Studierenden geben an, sich
zu Beginn des Schreibens Gedanken über Alternativen zum Schreiben machen, um nicht
schreiben zu müssen. Lediglich 15,6 Prozent der Befragten geben an, sich trotz eines leeren
Dokuments mit Freude einer bevorstehenden Textproduktion zu widmen. Durch diese deut-
lich negativen Rückmeldungen hinsichtlich des Schreibbeginns bestätigt sich, dass der Ein-
stieg in einen Text, das Planen des Textes und das Finden erster Ideen auch bei fortgeschritte-
nen Schreibern nach wie vor ein zentrales Problemfeld darstellt, das die Studierenden aus
(35,7%), von Briefen an Freunde (66,1%), das Erstellen von Visualisierungen in wissenschaftlichen Texten (44,7%), das Er-stellen von Comics (8,9%), das Zeichnen zu gedichteten Liedern (7,1%) und das Integrieren von Text in Illustrationen (3,6%).
212 siehe nachfolgende Abbildung
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60%
Anlass von Text-Bild-Kompositionen Studierender
225
ihrer Sicht auch nicht nach erworbener Hochschulreife angemessen lösen können.
Abbildung 29: Angaben Studierender über ihre Befindlichkeiten, wenn sie vor einem leeren Blatt bzw.
einem leeren Dokument (Computer) sitzen und beginnen wollen zu schreiben.
Auf die Frage, ob Studierende überhaupt über eigene Gefühle schreiben können, bejahen dies
über 70 Prozent der Studierenden (35.6% „zutreffend“ und 36,7% „eher zutreffend“), 16, 7
Prozent gelingt dies manchmal (16,7%), doch nur knapp sieben Prozent meinten, sie können
dies kaum (5,6%) bis gar nicht (1,1%). Besonders in extremeren Emotionsbereichen gelingt
nach Angaben der Studierenden das Schreiben213, womit jeder der einzelnen Emotionsberei-
che auch als eine Art „Schreibauslöser“ bezeichnet werden kann. Es kann bei „guter Laune“
über Gefühle geschrieben werden (48,9%), bei Trauer (60%), bei „schlechter Laune“ (38,9%),
in deprimiertem Zustand (47,8%), in nachdenklicher Stimmung (60%), bei Langeweile
(11%), bei Aufregung (16,7%) und bei Verzweiflung (36,7%).
213 siehe nachfolgende Abbildung
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Emotionale Befindlichkeiten Studierender vor Beginn der
Textproduktion
226
Abbildung 30: Frage an die Studierenden: Bei welchem Gefühlszustand können Sie über ihre Gefühle
schreiben?
Die Studierenden der Studie wurden neben den Befindlichkeiten vor dem Schreiben auch zu
ihren Gefühlen und Stimmungen während des Schreibprozesses befragt ‒ welche Emotionen
sie durch das Schreiben empfinden214. Hierbei waren wiederholt Mehrfachnennungen mög-
lich. Dabei gab ein Fünftel der Studierenden an, dass sie sich während des Schreibens in
Hochstimmung befinden, 47, 2 Prozent empfinden während des Schreibens Ausgeglichenheit,
ein knappes Drittel (32,6%) ist aufgeregt, 15,7 Prozent sind wütend, 11,2 Prozent ängstlich,
29,2 Prozent gestresst und 18 Prozent frustriert. Dagegen empfinden 29,3 Prozent Sehnsucht
und 3,3 Prozent Spaß während des Schreibens von Texten.
214 siehe nachfolgende Abbildung
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Schreibmotivierende Gefühlszustände Studierender
227
Abbildung 31: Frage an die Studierenden: Welche Gefühle haben Sie während des Schreibens?
Die Befragung der Studierenden zum Ort des Schreibens sollte eine Reflexion über einen
möglichen individuellen Schreibtyp anregen215. Für die schulische und universitäre
Schreibdidaktik sind von den Studierenden favorisierte Orte dahingehend relevant, als dass
ein Verständnis über mögliche individuelle Zugänge und Bedingungen in der Schreibsoziali-
sation von Lernenden sichtbar werden, die wiederum Grundlage für schulische und außer-
schulische sowie universitäre und außeruniversitäre Schreibarrangements sein können. Die
befragten Studierenden schreiben nach eigenen Angaben am liebsten am Schreibtisch
(72,2%), gern im Bett (48,9%), im Grünen (28,9%), am Meer (16,7%), auf dem Fußboden
(16,7%), am Küchentisch (12,2%), im Café (10%), am Esszimmertisch (11,1%), am Bahnhof
(5,6%) oder auf dem Sofa (4,4%).
215 siehe nachfolgende Abbildung
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Gefühl- und Stimmungslagen Studierender während des Schreibens
228
Abbildung 32: Frage an die Studierenden: Gibt es Orte, an denen Sie besonders gern schreiben?
Als Pendant zur Lokalität wird den Studierenden auch die Frage gestellt, ob es für Sie eine
besonders geeignete Zeit zum Schreiben gibt. Demnach schreiben knapp die Hälfte (46,7%)
vorzugsweise abends oder sogar spät nachts (36,7%) aber auch früh morgens (31,1%), weni-
ger in der Mittagspause (4,4 %) und 14,4% der Probanden geben an, dass für sie keine kon-
krete Tageszeit ausschlaggebend für ihren Schreibprozess ist. Nicht nur wird zu unterschiedli-
chen Tageszeiten geschrieben, sondern je nach Schreibanlass oder Textsorte unterscheiden
sich, sicherlich auch durch Studiums- oder arbeitsbedingte Tagesabläufe, die angegebenen
Schreibzeiten der befragten Studierenden. So schreiben Studierende Tagebuch216 bevorzugt
abends oder nachts (35,5%). Ein Viertel (24,4%) der Befragten217 nutzt für Hausarbeiten und
wissenschaftliche Texte den Abend und die Nacht als bevorzugte Schreibzeit, die Morgen-
stunden des Tages werden für diese Art von Schreiben von 23,3 Prozent der Befragten bevor-
zugt.
216 In der Befragung wurde nicht erfasst, wie viele Studierende Tagebuch schreiben. Daher resultiert der prozentuale Wert auf
den Nennungen der Studierenden im Verhältnis zu allen Befragten der Studie. Gleichzeitig heißt das nicht, dass die übrigen, die Tagebuch führen, zu 64,5 % zu einer anderen Tageszeit schreiben, da lediglich eine Person angab, zu einer alternativen Zeit (früh) Tagebuch zu schreiben.
217 Bei der Interpretation dieses Prozentwertes sind ebenfalls die insgesamt abgegebenen Nennungen zu berücksichtigen, denn weniger als die Hälfte (47,7%) nannten überhaupt eine Tageszeit für das Anfertigen von wissenschaftlichen Texten oder Hausarbeiten. Damit spielt entweder die Uhrzeit für das Anfertigen dieser Texte keine Rolle, oder eine Vielzahl von Studie-renden schreiben keine Hausarbeiten mehr und können daher keine Aussagen treffen.
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Beliebte Schreiborte Studierender
229
EinschätzungenStudierenderhinsichtlichkreativerProzesse,3.4.6
SchwierigkeitenundWünschebeimSchreiben
Forschungsleitende Fragestellung:
Ic) Welche Schwierigkeiten und Wünsche hinsichtlich des Schreibens bringen Studieren-de zu Beginn ihres Hochschulstudiums mit?
Das epistemische Schreiben ist eines der sprachlichen Ziele der Sekundarstufe II und wird zu
Beginn des Studiums vorausgesetzt. Abnehmende Fähigkeiten von Schülern und Studieren-
den beim Schreiben argumentativer, beschreibender, auf jeden Fall komplexer Texte fallen
vielen Lehrenden in Schule und Universität auf218. Die Fähigkeit, durch Schreiben zu denken
und dadurch Gedanken präzisieren zu können, ist trotz sinkender Schreibfähigkeiten den be-
fragten Studierenden dennoch sehr bewusst. So bestätigen mehr als vier Fünftel (84,4%) der
Befragten, dass zwischen dem Schreiben und dem Fassen neuer Ideen generell ein Zusam-
menhang besteht. Besonders beim Entwickeln neuer Ideen (67,8%), beim Erörtern von Zu-
sammenhängen (37,8%) oder nur als Denkinspiration (43,3%) wird die Bedeutung des
Schreibens für Denkprozesse aus Sicht der Studierenden deutlich. Erstaunliche 61, 1 Prozent
von ihnen setzen Schreiben mit Denken gleich, was an Vygotskijs Ansatz des Schreibens als
Sprache des Denkens erinnert. Mögliche Herangehensweisen, um einen wissenschaftlichen
Text zu verfassen, dessen Anspruch nah an dem des epistemischen Schreibens liegt, sind den
Studierenden teilweise bewusst und werden von den Befragten folgendermaßen eingeschätzt:
63, 3 Prozent beurteilen Brainstorming hilfreich, um wissenschaftliche Texte zu schreiben;
ein Großteil hält eine vorab getätigte Gliederung (85,6%) oder Einleitung (46,7%) für sinn-
voll, 36,7 Prozent halten das Sammeln von Zitaten für sinnvoll und für 26,7 Prozent ist die
Verwendung von Leitfäden hilfreich. Das Zusammenfassen (52,2%), Kopieren (31,1%) und
Umformulieren (45,6%) von (Sekundär-)Literatur hilft den befragten Studierenden beim
Schreiben wissenschaftlicher Texte wesentlich.
218 siehe Ausführungen zum Sprachverfall in Kaptiel 2.2.5
230
Abbildung 33: Frage an die Studierenden: Welche Herangehensweisen sind für Sie hilfreich, um einen
wissenschaftlichen Text zu schreiben?
Hinsichtlich des Schreibprozesses und vor dem Hintergrund der Befragungsergebnisse zu den
emotionalen Befindlichkeiten zu Beginn des Schreibens - beim Vorliegen eines leeren Doku-
ments - sind die von den Befragten rückgemeldeten Schreibphasen bzw. Vorgehensweisen
interessant. Die Vorlieben und das Schreibprozedere, wie aus einer ersten Idee ein Text ent-
steht, sind vielfältig und erscheinen zunächst widersprüchlich. So geben die Studierenden an,
zunächst ihre Ideen zu sammeln und aufzuschreiben (74,4%), bevor sie mit dem Fließtext-
schreiben beginnen, wohin scheinbar gleichzeitig ca. 50 Prozent der Befragten beim Schrei-
ben ihre Ideen generieren, bei 18,9 Prozent entstehen die Schreibideen nach dem ersten Satz.
Ebenfalls die Hälfte der Studierenden macht vorab eine Grobgliederung und beginnt darauf-
hin loszuschreiben, bei 45,6 Prozent der Studierenden werden die geschriebenen Texte von
Anfang an ständig überarbeitet. Knapp ein Drittel gibt an, erste Schreibversuche auf Zetteln
anzufertigen und die darauf enthaltenen Gedanken dann zuzuordnen (28,8%) während ein
weiteres Viertel gleich am Computer anfängt zu schreiben (28,9%). Entgegen der angegebe-
nen Ideenlosigkeit, Frustration und Gefühle von Hilflosigkeit am Anfang eines Schreibpro-
zesses geben nur 6,7 Prozent der Studierenden an, erst lange zu überlegen und dann loszu-
schreiben, bis der Text fertig ist. Es ist - entgegen der einzeln abgefragten Schreibaktivitäten -
anzunehmen, dass sich die angegebenen Planungs- und Schreibaktivitäten bei vielen Studie-
renden im Schreibprozess überlagern und letztendlich aufeinander ein- und zusammenwirken.
0%10%20%30%40%50%60%70%80%90%
Herangehensweisen Studierender für das Verfassen
wissenschaftlicher Texte
231
Durch dieses Zusammenwirken lösen sich die zunächst widersprüchlich erscheinenden Anga-
ben mit hohen Prozentwerten wie „Ideen sammeln und aufschreiben“ und „Ideen kommen
beim Schreiben“ wieder auf, da wahrscheinlich von den Studierenden beide Verfahrensweisen
mal mehr, mal weniger und je nach Textsorte und Adressat angewendet werden. Durch die
Möglichkeit des Mehrfachantwortens entstehen so in der Summe Prozentwerte von über ein-
hundert.
Eine spezifischere Frage hinsichtlich des kreativen Anteils beim Schreiben war das Fragei-
tem, Steigerungsmöglichkeiten von Kreativität beim Schreiben einzuschätzen. Wie bedeutsam
die Methodik für den Einstieg in die Textproduktion ist (s.o.), wird hier erneut deutlich sicht-
bar. Nach Angaben der befragten Studierenden steigert über ein Drittel (36,7%) ihre Kreativi-
tät, indem sie ihre Gedanken „frei fließen lassen“ wobei ein anderes Drittel (32,2%) eine klare
Gliederung erstellt. Ein Brainstorming anzustellen, fördert die Kreativität demzufolge für 51,1
Prozent der Befragten, 15,6 Prozent sehen ihre Kreativität durch das Clustern gesteigert. Für
13,3 Prozent ist das laute Reden kreativitätssteigernd, 24,4 Prozent hören während des
Schreibens Musik und ein Viertel (26,7%) der Studierenden gab an, dass „Spazieren gehen
und einen Dialog mit sich selber führen“ ihre Kreativität steigert. Ebenfalls kreativitätsstei-
gernd wirkt sich das Vorstellen der eigenen Schreibideen gegenüber anderen Menschen aus
(32,2%) und für über 60 Prozent (61,1%) ist das Lesen von Literatur219 kreativitätssteigernd.
Das Schreiben mit unterschiedlichen Medien bzw. der Wechsel zwischen Schreibmedien
(10%) und der Wechsel des Schreibortes/Sitzplatzes (18,9%) während des Schreibprozesses
wirkt sich nach Aussagen der befragten Studierenden besonders förderlich aus, das Einbauen
von Zitaten in den eigenen Text sogar für ein Viertel (26,6%).
219 An dieser Stelle kann keine Aussage über eine Differenzierung von kreativitätssteigender Literatur, wie etwa wissenschaftli-
cher oder belletristischer Literatur, getroffen werden, da sie nicht explizit abgefragt wird.
232
Abbildung 34: Frage an die Studierenden: Was tun Sie um Ihre Kreativität beim Schreiben zu
steigern?
Da, wie im theoretischen Teil der Arbeit erläutert, für Kreativität beim Schreiben eine gewisse
Art von Flow als Dynamik notwendig ist, bei der ohne oder mit wenig Unterbrechungen der
Schreibende seine Gedanken in einem begrenzten Kontinuum formuliert, ist die Frage interes-
sant, wie Studierende auf eine Unterbrechung ihres Schreibprozesses reagieren und wie sie
dem Wiedereinstieg in den Schreibprozess begegnen. Dass eine Unterbrechung im Schreib-
prozess Auswirkungen auf das Schreiben hat, bestätigen indirekt 93,3 Prozent der Befragten,
da nur 3,3 Prozent angaben, dass sich durch eine Unterbrechung beim Schreiben für sie gar
nichts verändert. Ein Viertel gab an, dass ihnen eine Fortsetzung nach einer Unterbrechung
schwerfällt (25,6%). Dies bestätigt auch die einzige Nennung der 90 befragten Studierenden,
denen das problemlose Weiterschreiben nach einer Unterbrechung gelingt. Eine Anknüp-
fungsstrategie, die für über vier Fünftel (84,4%) der Studierenden funktioniert, ist der Wie-
dereinstieg ins Schreiben durch das wiederholte Lesen der letzten geschriebenen Sätze oder
des bereits geschriebenen Texts. Im Zusammenhang mit dem Lesen des bisher geschriebenen
Texts nutzen Studierende „das Einfühlen in den Text“ ( 26,7%) und das „bewusste Konzent-
rieren“ (62,2%) als Problemlösestrategie für das Überwinden der Schreibpausen.
Die Vertiefung dieses Fragebereichs durch das Frageitem „Was wird nach der Unterbrechung
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Tätigkeiten Studierender um Kreativität beim Schreiben zu steigern
233
schwieriger als zu Beginn“ wurde versucht, die Handlungsfähigkeit in dem Problemfeld „Un-
terbrechung im Schreibprozess“ näher zu bestimmen. Hierbei zeigte über die Hälfte (55,6%)
der Studierenden an, dass das Weiterführen einer Idee im Text bzw. der Anschluss an den
vorherigen Text (50%) für sie eine Schwierigkeit darstellt. Als Konsequenz der mangelnden
Anschlussfähigkeit empfinden 26,7 Prozent der Befragten das Ausdrücken der Gedanken
nach einer Unterbrechung schwieriger.
Im Gegensatz zur Unterbrechung als den Schreibprozess störendes Phänomen können Inter-
ruptionen oder Schreibpausen auch als wohltuend empfunden werden. Die an der Befragung
teilnehmenden Studierenden empfinden Unterbrechungen des Schreibprozess als angenehm,
wenn sie sich beim Schreiben quälen (73,3%), wenn nach der Unterbrechung „das Schreiben
in eine andere Richtung geht“ (31,1%), „wenn man schon viel geschafft hat“ (51,1%), „wenn
der Schreibprozess festgefahren ist“ (65,6%) oder beim Schreiben schwieriger Texte (38,9%).
Nach Aussage der Studierenden fördern bestimmte Bedingungen beim Schreiben ungewollte
Unterbrechungen und können sogar Schreibblockaden erzeugen220. Diese treten für immerhin
43,3 Prozent der befragten Studierenden bereits beim Formulieren des ersten Satzes auf, vor
allem bei wissenschaftlichen Texten (64,4%), bei anspruchsvollen privaten Texten (21,1%),
unter Zeitdruck oder wenn die zu schreibenden Texte bewertet oder begutachtet werden (je-
weils 43,3%). Interne Bedingungsfaktoren für das Auftreten von Schreibblockaden sind auch
hohe Ansprüche an den eigenen Text, Müdigkeit (jeweils 54,4%) oder Desinteresse am Inhalt
des zu schreibenden Texts (72,2%).
220 siehe nachfolgende Abbildung
234
Abbildung 35: Frage an die Studierenden: In welchen Situationen treten bei Ihnen Schreibblockaden
auf?
Treten während des Schreibprozesses Blockaden oder ungewünschte Unterbrechungen auf,
bedienen sich Studierende unterschiedlicher Strategien oder Aktivitäten, um diese zu über-
winden. Für eine Unterbrechung des Schreibens, bei der Schreibende bewusst pausieren, weil
das Schreiben stockt, entscheiden sich 73,3 Prozent der befragten Studierenden. 57,8 Prozent
gaben an, dass sie bei oder zur Überwindung von Schreibblockaden etwas essen, Musik hören
(32,2%), ein Video ansehen (12,2%), Aufräumen (44,4%) oder Spazierengehen (33,3%). An-
dere Nennungen hingegen zeigen, dass sich die Befragten bemühen, den Schreibprozess so
schnell wie möglich fortzusetzen. So versuchen Studierende beim Auftreten von Schreibblo-
ckaden immer wieder ihre Gedanken zu Papier zu bringen (17,8%), ihren „roten Faden wie-
derzufinden“ (24,4%) oder Zitate einzubauen (5,6%)221. Als besonders hilfreich für das
Überwinden von Schreibblockaden halten Studierende das Lesen (31,1%), das Gespräch mit
221 Bei den Einzelfragen zum Thema Schreibblockaden waren Mehrfachantworten möglich.
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Situationen in denen Schreibblockaden unter Studierenden auftreten
235
Experten (22,2%), das Hinzunehmen von Bildern (32,2%), das Hören von Musik (35,6%) und
die Aktivierung möglichst aller Sinne (33,3%).
Neben den Einschätzungen der Studierenden zu ihren eigenen Erfahrungen, Fähigkeiten und
Schwierigkeiten beim Schreiben werden die Studierenden zu ihrer Wahrnehmung der ihnen
bekannten Schreibdidaktik befragt. Aus der Retrospektive der eigenen bisherigen Schreibso-
zialisation der Studierenden betonen exakt zwei Drittel ihre Unzufriedenheit mit ihrer bisheri-
gen Schreibausbildung. Über die Hälfte der Studierenden würde gern mehr schreiben
(52,2%), anders schreiben können wollen fast zwei Drittel der befragten Studierenden
(64,4%). Die zwei Drittel der Studierenden, die gern anders schreiben wollen, würden gern
eindeutiger und klarer (65,6%), mit besserem Ausdruck (40%), verständlicher (15,6%),
kunstvoller (33,3%), literarischer (32,2), emotionaler (12,2%), unterhaltsamer (17,8%), krea-
tiver (34,4%), wissenschaftlicher (26,7%), kohärenter (6,7%) und strukturierter (18,9%)
schreiben können.
Abbildung 36: Frage an die Studierenden: Wie anders würden Sie gern schreiben können?
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Wünsche Studierender hinsichtlich Ihrer Schreibfähigkeiten
236
Weiterhin würden die Studierenden gern das Schreiben von Kurzgeschichten (32,2%), von
Versetzungen (20%), das Schreiben nach Musik (38,9%), das Ècriture Automatique und das
Schreiben zu visuellen Vorlagen (36,7%) erlernen und praktizieren.
Die von den befragten Studierenden geäußerte Unzufriedenheit konkretisiert sich durch die
Rückmeldungen zur „Ausbildung in Bezug auf das Schreiben“, in der zwei Drittel der Studie-
renden Änderungen vornehmen würden, so dass das Schreiben die eigene Kreativität steigert
(50%), indem vielfältige Schreibverfahren eingeführt und ausprobiert werden (71,1%) und
indem durch das Schreiben die eigenen Grammatikkenntnisse verbessert werden (14,4%).
Diese Änderungen der Schreibdidaktik müssen nach Ansicht der Studierenden die Angst vor
dem Schreiben nehmen (60%), eine Selbstreflexion beim Schreiben beinhalten (20%), Spaß
am Schreiben vermitteln (80%) und autobiographische Inhalte miteinbeziehen (38,9%). Ob-
wohl diese Forderungen in der wissenschaftlichen Schreibdidaktik und in deren Publikationen
der letzten 20 Jahre durchaus zu finden sind, vermissen die Befragten aus der Retrospektive
ihrer (schulischen und universitären) Schreibsozialisation genau diese Aspekte.
237
Abbildung 37: Frage an die Studierenden: Welche Tipps würden Sie geben, um Kinder zum Schreiben
zu motivieren?
Tipps Studierender an jüngere Schreiber sind beispielsweise das Anlegen von Portfolio
(18,9%), das Anwenden von Brainstorming (60%), MindMaps (44,4%) und Clustern (35,6%)
vor dem Schreiben, das Schreiben für sich selbst (50%) und das Schreiben, um sich mit ande-
ren zu sozialisieren (25,6%), „den Kopf frei [zu] machen“ (70%) oder am Schreiben
„dran[zu]bleiben“ (10%).
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Notwendige Änderungen in der Schreibdidaktik aus
Studierendensicht
238
Abbildung 38: Frage an die Studierenden: Welche Tipps würden Sie Schülern zur Verbesserung ihrer
Schreibfähigkeiten empfehlen?
RelationenzwischenSchreibenundbildlichemGestalten3.4.7
Forschungsleitende Fragestellung:
Ia) Welche Bezüge lassen sich zwischen dem Kreativen Schreiben und ästhetisch-bildnerischem Gestalten Studierender herstellen?
Stellt man die Antworten aus den beiden Fragebögen Ich kann schreiben (n=90) und Ich kann
zeichnen (n=43) gegenüber, ergeben sich teilweise große Ähnlichkeiten in den jeweiligen
Antworthäufigkeiten. Konkret in den kreativen Phasenunterteilungen Vorbereitung, Illumina-
tion und Realisierung wird die Motivation zum Schreiben und zum Zeichnen/Illustrieren
durch viele ähnliche Einflüsse geprägt. Die Ähnlichkeit hinsichtlich der Art und Weise kogni-
tiver Prozesse ist eine mögliche Begründung für diese auftretenden Übereinstimmungen ‒
insbesondere weil in beiden Disziplinen der Koordination der Hand, über die letztendlich die
Gedanken zu Papier gebracht werden, die zentrale Rolle spielt. Eine Untersuchung zur geziel-
ten Verknüpfung beider Disziplinen durch die Kombination von Text- und Bildproduktion,
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Tipps Studierender für Schüler zum Erlangen guter Schreibfähigkeiten
239
wie im Forschungsprojekt Kreatives Schreiben und ästhetisches Gestalten, erscheint somit
sowohl aus Lehrenden- als auch aus Lernendenperspektive attraktiv.
Abbildung 39: Frage an die Studierenden: Welche Hilfen halten Sie für besonders geeignet, um
Schreibblockaden zu überwinden?
Es fallen in diesem Zusammenhang insbesondere Ähnlichkeiten bei Vorgehensweisen der
Studierenden auf, um beispielsweise Schreib- oder Gestaltungsblockaden zu überwinden, die
während des kreativen Prozesses auftreten Auf die Frage, wie die Studierenden ihre Kreativi-
tät wieder steigern, nachdem sie ihren Schaffensprozess aufgrund von Schreib- oder Gestal-
tungsblockaden unterbrechen mussten, äußern sich die Studierenden hinsichtlich des Was-tun-
sie-dann trotz unterschiedlicher Fragebögen und trotz der unterschiedlichen Disziplinen
Schreiben und Illustrieren erstaunlich übereinstimmend222. Deutlich wird dabei erneut, wie
ähnlich sich kreative Prozesse beim Schreiben und Illustrieren im Hinblick auf die kognitive
und emotional-affektive Verarbeitung sind.
Am ähnlichsten jedoch sind die Aussagen der Studierenden in den zwei distinkten Fragebö-
gen zu Fragen der Motivation, um zu schreiben oder zu illustrieren.
222 siehe Abbildung 39
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Schreiben
ästh. Gestalten
240
Primärerfahrungen, (extreme) Gefühlslagen und rezipierte Literatur sind sowohl beim Schrei-
ben als auch beim Zeichnen starke Motivationsfaktoren. Lediglich beim Motivationsfaktor
Gespräche/Diskussionen ergibt sich ‒ wahrscheinlich aufgrund der diskursiv-argumentativen
Dominanz der sprachlichen Auseinandersetzung mit einem Thema ‒ eine größere Differenz.
Die Ähnlichkeit der quantitativen Ausprägungen der einzeln angegebenen Motivationsberei-
che wird noch deutlicher, wenn man berücksichtigt, dass die Befragten jeweils nur einen Fra-
gebogen ausfüllen, also entweder denjenigen zum Schreiben oder denjenigen zum ästheti-
schen Gestalten. So können persönliche Vorlieben oder individuelle routinisierte Verfahrens-
weisen beim Schreiben keine Auswirkungen auf die Beantwortung des Fragebogens zum äs-
thetischen Gestalten oder vice versa haben, indem sich der Befragte z.B. an die Entscheidun-
gen bei der Beantwortung des ersten Fragebogens erinnert und so beim Beantworten des
zweiten Fragebogens ähnliche Entscheidungen trifft. Aufgrund der hohen Übereinstimmun-
gen der Antworten in den unterschiedlichen Fragebögen soll dies noch einmal ausdrücklich
betont werden.
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Schreiben
ästh. Gestalten
Abbildung 40: Frage an die Studierenden: Was motiviert Sie zu schreiben bzw. zu zeichnen/zu
illustrieren?
241
3.5 Untersuchungsschwerpunkt 2: Bewertung von Kreativität beimfortgeschrittenen Kreativen Schreiben von Studierenden derFAU223undderTHN224
Die gelernten Schreibverfahren haben mir dabei geholfen, meine Gedanken formulieren
zu können. Früher hätte ich wahrscheinlich aufgehört zu schreiben, weil mir nichts
„anständiges, brauchbares“ eingefallen wäre. […] Ich bin eigentlich recht schnell in
den Schreibflow gekommen; wahrscheinlich, weil ich mich mit dem Thema identifizie-
ren konnte und mich sofort angesprochen gefühlt habe. Dadurch habe ich sofort ge-
danklich über das Thema reflektiert und diese Gedanken zu Papier gebracht[…]Am
besten gefallen mir meine Produkte, wenn ich mit der Form spielen kann; mit der Groß-
und Kleinschreibung, mit Satzzeichen, mit der Textstruktur. (studentische Teilnehmerin
DSDid 2012))
Das im Folgenden dargestellte Modell zur Bewertung von Textproduktion bezieht sich auf
das Kreative Schreiben. Texte kreativer Textproduktion ähneln häufig literarischen Texten
und kennzeichnen sich dadurch, dass sie ′weder bestimmte reale Gegenstände expliziere[n]
noch solche hervorbringe[n]′ und indem sie ′Einstellungen anbiete[n] und Perspektiven eröff-
ne[n], in denen eine durch Erfahrung gekannte Welt anders erscheint′ (Iser 1994, 233).
Dadurch unterscheiden sich Texte des Kreativen Schreibens deutlich von anderen Textsorten
und verlangen daher von einer Textanalyse, noch dazu einer, die Kreativität fokussiert, andere
Bewertungskriterien als solche, die sich für funktionale Texte eignen. Hinzukommt, dass sich
das im Folgenden entwickelte und untersuchte Modell Kreativitätsorientierte Textanalyse
keinen Anspruch auf eine vollständige Textanalyse erhebt. Aus den bereits angeführten Grün-
den des in der schreididaktischen Forschung wenig differenzierten Bereichs des inhaltlichen
und sprachlichen Wagnisses225, beschränkt sich das Modell dieser Untersuchung auf die Ana-
lyse und Beurteilung kreativer Merkmale in Texten, die von Studierenden verfasst sind.
223 FAU ist das Akronym für Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg 224 THN ist das Akronym für Technische Hochschule Nürnberg Georg Simon Ohm 225 siehe Grafik Züricher Textanalyseraster von Nussbaum und Sieber im Kapitel 2.4.2, auf welches die Begriffe zurückgehen
242
Forschungsleitende Fragestellung:
II. Wie kann Kreativität beim fortgeschrittenen Kreativen Schreiben mit Studierenden analysiert, beurteilt und bewertet werden?
DatengrundlagezurUntersuchung3.5.1
Das Textkorpus entstand im Rahmen eines interdisziplinären Verbundforschungsprojekts
zwischen 2011zum Rahmenthema An|ge|kommen und 2013 zum Rahmenthema
|sich|Erinnern, speziell im Teilforschungsprojekt Kreatives Schreiben und Ästhetisches Ge-
stalten226.
In den Vorbereitungs- und Intensivseminaren entstanden durch Kreatives Schreiben und äs-
thetisches Gestalten eine Vielzahl von unterschiedlichen Realisierungen in Form von Texten
und Illustrationen, die häufig Vermischungen von Textsortenmustern und Illustrationstechni-
ken beinhalten, was eine eindeutige Zuordnung oder Charakterisierung des Textproduktes
erschwert. Die Studierenden sammelten alle ihre Texte in einem Portfolio, wovon einige der
Texte überarbeitet und/oder digitalisiert wurden. Weitere Texte entstanden durch die selbst-
ständigen Projektarbeiten von Studierenden zur Erstellung eines „Besonderen Portraits“227,
die thematisch ebenfalls durch die beiden Rahmenthemen An|ge|kommen und |sich|Erinnern
geprägt sind.
Ergänzt wurden die Texte durch verschriftliche Reflexionen und transkribierte Interviews zu
Schreibprodukten und Schreibprozessen, wobei die Studierenden eine Auswahl eigener Texte
hinsichtlich der Qualität des Textprodukts und des Entstehungsprozesses reflektierten, wozu
sie einen Monitoring- und einen Reflexionsleitfaden erhielten228. Der Autor möchte die der
Untersuchung zu Grunde liegenden empirischen Daten transparent machen und durch die Of-
fenlegung des Materials es anderen Forschenden ermöglichen, weitere Untersuchungen an-
schließen zu können. Dafür sind die Texte auf der beigefügten CD-ROM hinterlegt und kön-
nen Datengrundlage für weitere Forschungen sein. Da im Forschungsprojekt Fokus auf krea-
tive und textgestaltende Phänomene bei nicht-wissenschaftlichen Texten gelegt wird, eignet
sich das Korpus besonders für linguistische Studien in den Bereichen der personalen, biogra-
phischen, fiktiven und lyrischen Textproduktion mit dabei verwendeten Textstrukturen und
Textgestaltungen, dafür aber weniger für grammatische oder orthographische Studien. Neben
226 eine ausführliche Beschreibung des Forschungsprojekts mit Informationen zu Probanden, Dauer, beteiligte Institutionen und
anderem sind am Beginn des empirischen Teils im Kapitel 3.2 nachzulesen. 227 eine ausführliche Beschreibung der Projektarbeit „Besonderes Portrait“ ist im Kapitel 3.2.3 nachzulesen 228 Monitoring und Reflexion wird im Kapitel 3.6.1 näher erläutert.
243
dem Textkorpus entstand aufgrund der interdisziplinären Ausrichtung des Forschungsprojekts
ein Korpus von Bildern in Form von Illustrationen, Zeichnungen, Collagen, Drucken und
Scherenschnitten, für die ebenfalls Prozessreflexionen der Studierenden vorliegen. So können
vereinzelt Text-Bild-Zusammenhänge229 aus gestalterisch-ästhetischer Perspektive zur Analy-
se und Interpretation kreativer Aspekte in Texten vergleichend herangezogen werden.
Überblick über entstandene Textsorten/Schreibverfahren und Reflexionen230
Datengrundlage:
Insgesamt umfasst das Korpus 468 Einzeltexte Kreativen Schreibens aus 58 Portfolios und 13
angefertigten besonderen Portraits231 Studierender. Zu 159 Einzeltexten liegen schriftliche
Reflexionen der studentischen „Autoren“ zu Schreibprodukt und Schreibprozess vor. In fol-
gender Tabelle ist ersichtlich, in welchem anteiligen Umfang angefertigte Texte, aufgeschlüs-
selt nach Textsorte bzw. Schreibverfahren, reflektiert wurden:
Textsorte/ Schreibverfahren
Portfolios KSG I232
Portraits KSG I233
Portfolios KSG II234
Portraits KSG II235
Lit Schreib236
insge-samt
Gedicht 11/ 38 1/ 7 7/ 16 2/ 3 18/ 22 38/ 86
(Kurz-,Phantasie-(Grusel-) Geschich-te
5 2 1 1 9/ 11 18/ 25
Erzählung 5/ 18 3/ 11 4/ 8 1/ 5 13/ 42
Prosa 2/ 3 0/1 11/ 16 13/ 20
229 für Text-Bild-Relationen und deren Funktionen siehe Venohr 2007, 82f. Für das Kreative Schreiben sind insbesondere die
organisierende und die interpretative Funktion bedeutsam. 230 Die Reflexionen zu den Studierendentexten, die schriftlich vorliegen, werden als eigene Texte berücksichtigt, zählen aber
nicht zur Summe der durch Kreatives Schreiben entstandenen Texte hinzu. In der nachfolgenden Tabelle werden die Refle-xionstexte, die retrospektiv zu ausgewählten eigenen Texten von den Studierenden verfasst wurden, mit der Mengenangabe jeweils vor dem Schrägstrich angezeigt, z.B. heißt „11/38“, dass 11 von 38 lyrischen Textproduktionen in den Portfolios der ersten Intervention KSG I schriftlich reflektiert wurden.
231 für eine Erläuterung der Projektarbeit „Besonderes Portrait“ vergleiche 3.2.3 232 Kategorie der Studierendenportfolios in der ersten Intervention (KSG I) 2011 233 Kategorie der Besonderen Portraits, einer selbstständigen Projektarbeit durch Studierende in der ersten Intervention (KSG I)
2011 234 Kategorie der Studierendenportfolios in der zweiten Intervention (KSG II) 2012 235 Kategorie der Besonderen Portraits, einer selbstständigen Projektarbeit durch Studierende in der zweiten Intervention (KSG
II) 2012 236 Entstandene Texte aus dem Seminar Literarisches und biographisches Schreiben im WS 2011/12 an der Friedrich-
Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg
244
Textsorte/ Schreibverfahren
Portfolios KSG I232
Portraits KSG I233
Portfolios KSG II234
Portraits KSG II235
Lit Schreib236
insge-samt
literarische Situa-tonsbeschreibung
1/ 2 2/ 2 0/ 2 7/ 11 10/ 17
Innerer Monolog 2/ 14 1/ 6 7/ 13 0/ 5 10/ 38
Stream of cons./ Gedankenfetzen
7/ 16 0/ 6 1/ 5 1/ 3 9/ 30
Versetzungsge-schichte
1/ 6 1/ 4 0/ 3 7/ 11 9/ 24
Triolett 3/15 0/ 1 4/ 10 7/ 26
Beschreibung/ Um-schreibung
1/ 10 0/ 16 5/ 7 0/ 3 1/ 1 7/ 37
Märchen 6/ 7 6/ 7
Elfchen 1/ 20 0/ 4 3/10 4/ 34
fiktives Interview 1/ 1 1/ 23 2/ 5 4/ 29
Erlebniserzählung 3/ 10 0/ 3 0/ 3 0/ 2 3/ 18
ABC-Darium 2/ 5 2/ 5
Wachsgedicht 2/ 3 2/ 3
Haiku 0/ 1 0/ 1 1/ 2 1/ 4
Akchrostichon 0/ 1 0/ 6 1/ 2 1/ 9
Visuelle Lyrik/ Poesie
1/ 9 1/ 9
Songtext/ Überset-zung
0/ 4 1/ 1 1/ 5
reflektierte Texte insgesamt von Texten des gesamten Korpus: 159/468
Tabelle 7: Übersicht über das Korpus studentischer Texte und vorliegende schriftliche Reflexionen,
differenziert in Textsorten bzw. Schreibverfahren
245
Es wurde für jeden der Studierenden erfasst, welche Einzeltexte sie oder er verfasste und wel-
che davon reflektiert wurden (siehe Anhang).
AufbauderUntersuchung3.5.2
Zur Untersuchung kreativer Leistungen in Studierendentexten wird ein mehrteiliges Bewer-
tungsmodell konstruiert und partiell getestet. Aufgrund der hohen Anzahl der angewandten
Schreib- und Illustrationsverfahren, an denen die im Modell enthaltenen Bewertungsverfahren
getestet werden, können für die Einschätzung und Auswertung studentischer Texte nicht alle
Schreibarrangements berücksichtigt werden. Die exemplarische Darstellung bzw. die Aus-
wahl der untereinander sehr unterschiedlichen Herangehensweisen an das Kreative Schreiben
reflektiert dennoch die Heterogenität der studentischen Realisierungen der bewusst offen ge-
haltenen Arbeitsaufträge. Ausgewählt wurden daher Realisierungen (Texte) von Schreibver-
fahren, die möglichst viele Studierende hinreichend angewendet haben und zu deren Schreib-
prozessen gleichzeitig schriftliche Reflexionen vorliegen. Dies ist auch insofern für die Unter-
suchung relevant, da diese Auswahl identisch mit der Auswahl der Texte für den dritten Un-
tersuchungsschwerpunkt der vorliegenden Arbeit Analyse von Reflexionen Studierender beim
fortgeschrittenen Kreativen Schreiben ist.
Die Untersuchung ist in die Entwicklung des Modells Kreativitätsfokussierende Textanalyse,
in die Anwendung der beiden Messinstrumente Erste Globale Lesebegegnung (EGL) und
Textproduktorientierte Analyse (TOA) sowie in die Testung und Gegenüberstellung der Mess-
instrumente EGL und TOA unterteilt. Die Reihenfolge Entwicklung, Anwendung und ab-
schließend Testung folgt einer einfachen Forschungslogik. Die EGL und die TOA wurden von
fünf speziell geschulten Ratern an 5x20 Texten angewendet.
Als Rater werden drei weibliche und zwei männliche Germanistikstudierende ausgewählt, von
denen sich drei im Hauptstudium befanden und zwei ein Semester vor deren erstem Staats-
examen für die Ratertätigkeit gewonnen werden konnten. Ein fundiertes Wissen über Text-
merkmale und ein Verständnis für die Schulung und die anschließende Anwendung der EGL
und des Kriterienrasters TOA konnten so vorausgesetzt werden. Zur Vergleichbarkeit und zur
Prüfung der Gütekriterien wurden pro Rater jeweils 20 die gleichen Texte mittels beider
Messinstrumente bewertet.
Das Messinstrument Prozessorientierte Analyse (POA) wurde entwickelt, nicht aber in einem
Ratingverfahren getestet, auch weil ein Rating wie im Fall der TOA ohne Rücksprache mit
246
den studentischen „Autoren“ und ohne eine detaillierte Teilnehmende Beobachtung237 keine
valide Aussage über das Instrument zuließe. Dennoch werden im Kapitel Reflexion beim fort-
geschrittenen kreativen Schreiben Schreibprozesse der teilnehmenden Studierenden analy-
tisch und differenziert dargestellt, worauf sich Schlüsse auf die Kreativitätsorientierte
Textanalyse insgesamt und eine Schlussfolgerung zum Zusammenhang zwischen den einzel-
nen Säulen anschließen.
EntwicklungderMessinstrumente3.5.3
Es wurde ein Textanalysemodell entwickelt, welches sich aus insgesamt vier Säulen zusam-
mensetzt. Drei Säulen beinhalten Außenperspektiven durch eine externe Person und eine
vierte Säule beinhaltet die Innenperspektive des Autors selbst, die bei der Beurteilung durch
eine Person aus der Außenperspektive berücksichtigt wird. Die Innenperspektive des Autors
ist nicht als banale subjektive Meinung, sondern als metakognitive und metasprachliche Re-
flexion, wie in Kapitel Reflexion beim fortgeschrittenen kreativen Schreiben näher ausgeführt,
zu verstehen. Die einzelnen Messinstrumente werden nun nachfolgend im Detail vorgestellt.
3.5.3.1 ErsteGlobaleLesebegegnungEGL
Die globale Erstbeurteilung im Rahmen der Kreativitätsfokussierenden Textanalyse beruht
auf einer subjektiven (sprach-)diagnostischen Kompetenz des Lesers, seiner eigenen Lese-
und Schreibkompetenz und auf dessen Fachwissen über schriftliche Texte. Mit der Steigerung
dieser Kompetenzen und dieses Wissens steigt gleichzeitig die Fähigkeit des Lesers, differen-
zierende Einschätzungsäußerung über den gelesenen Text.
Das Messinstrument EGL sieht vor, dass eine externe bewertende Person einem Einzeltext
eine Bewertungspunktzahl anhand einer ersten globalen Einschätzung gibt. Ziel ist, Über-
einstimmungen und Unterschiede zwischen der freien Einschätzung und der Bewertung mit
dem Kriterienraster, die anschließend folgt, herauszuarbeiten. Hintergrund ist der Diskurs der
kompetenten Einschätzung der schriftlichen Leistung als Ganzes gegenüber einer „errechne-
ten“ Note mittels eines Teilnotensystems bzw. eines Kriterienrasters238. Es ist anzunehmen,
dass bei einer globalen Erstbeurteilung eines Textes, größeres Gewicht auf Stil und Textsorte,
237 gemeint ist hier das Forschungsinstrument, durch das alle Tätigkeiten einer zu beobachtenden Person, in diesem Fall beim
Kreativen Schreiben oder Zeichen/Illustrieren, protokolliert, wahlweise mit dem Aktiven rückbesprochen und interpretiert werden. Im Forschungsprojekt wurden zwar mehrfach Studierende beim Arbeiten beobachtet, allerdings sind die Beobach-tungen weder systematisch dokumentiert noch systematisch aufbereitet worden.
238 vgl. Theoretischer Teil Kapitel 2.4.1
247
orthographische Richtigkeit, Verständlichkeit und textimmanente Logik gelegt wird als bei
einer Textbeurteilung mit einem Kriterienkatalog. Selbst bei dem Versuch des Beurteilers
kreative Aspekte bi der Textbewertung zu fokussieren, können stilistische, grammatische und
orthographische Parameter beim erstmaligen Lesen eines Textes kaum ausgeblendet werden,
weil diese einerseits einem textkompetenten Leser stets auffallen und andererseits Bestandteil
des ersten Zugangs des Lesers zum Text selbst sind. Es besteht eine große Schwierigkeit da-
rin, einzelne Kriterien kreativer Leistungen von Kriterien sprachlicher Angemessenheit zu
unterscheiden, da sich gute kreative Texte meist auch durch eine hohe sprachliche Komplexi-
tät bzw. Reduktion, wie z.B. durch Textmusternormen, Stilmittel, Rezipientenführung,
Sprachmittel und Verständlichkeit, auszeichnen. Eine Einschätzung sprachlicher Normen
(z.B. Orthographie und Grammatik) kann trotz Kreativitätsfokus natürlich beim (ersten) Le-
sen schwer ausgeblendet werden und soll daher in der EGL eine Rolle spielen.
Anwendung der ersten globalen Lesebegegnung EGL
a) Die Rater wählen einen der zwanzig studentischen Texte aus und lesen ihn einmal
ganz durch. Beim Lesen entstehen erste Eindrücke, erfolgen erste Beurteilungen oder
es entstehen Fragen. Die Rater notieren sich in einem Cluster, einer Stichpunktsamm-
lung oder in einer anderen, von ihnen frei gewählten Form, alles, was ihnen zum Text
auffällt
b) Die Rater lesen anschließend den gleichen Text ein zweites Mal und rekonstruieren ih-
re Eindrücke mit Hilfe der im Folgenden aufgeführten Möglichen Wahrnehmungsbe-
reiche. Diese sollen sie bei der Einordnung ihrer Fragen, Eindrücke und Beurteilungen
unterstützen. Die Rater machen sich zu den angeführten Möglichen Wahrnehmungsbe-
reichen der ersten globalen Lesebegegnung (EGL) Notizen. Wahrnehmungen oder
Fragen, die die Rater keinem der aufgelisteten Bereiche zuordnen können, ergänzen
sie schriftlich in den dafür vorgesehenen leeren Zeilen. Die Auslassung eventueller ir-
relevant erscheinender Wahrnehmungsbereiche, für die die Rater keine Aussagen tref-
fen können, wird begründet. Die Wahrnehmungsbereiche sind keinesfalls als obligato-
rische Kriterien zu verstehen, sondern lediglich als Hilfen für die Rationalisierung der
ersten Eindrücke. Es sollen hier ebenfalls alle Auffälligkeiten notiert werden. Ab-
schließend vergeben die Rater global eine geschätzte „EGL Kreativpunktzahl“ zwi-
schen 0 und 4 in halben Punkteschritten (z.B. 2,5), wobei 0,5 die niedrigste und 4 die
höchstmögliche Punktzahl ist.
248
Die Erste Globale Lesebegegnung EGL inklusive Kreativpunktzahl wird durch die Rater bei
allen zu beurteilenden Texten jeweils vor der Bewertung mit dem Kriterienkatalog TOA
durchgeführt.
Mögliche Wahrnehmungsbereiche
Wie ist der Textumfang, um welche Textsorte, welches Genre und welche(n) Stil(e) handelt es sich?
Welche Aussagen lassen sich zu Phantasie und Originalität treffen?
Welche Lesewirkung entfaltet sich beim ersten Lesen?
Was ist über die Auswahl, die Attraktivität und Tiefgründigkeit des Textthemas zu sagen?
Wie kann die Logik, die Verständlichkeit und die Nachvollziehbarkeit des Inhalts nach dem Lesen beschrieben werden?
Wodurch und an welchen Stellen erscheint der Text authentisch und glaubwürdig oder eben nicht?
Sonstiges….
EGL Kreativpunktzahl:
Abbildung 41: Mögliche Bereiche der ersten globalen Lesebegegnung EGL
3.5.3.2 TextproduktorientierteAnalyseTOA
In dem bereits skizzierten Forschungsprojekt Kreatives Schreiben und ästhetisches Gestalten
mussten alle Studierenden sowohl kreativ schreiben als auch sich illustrativ-künstlerisch aus-
drücken. Die Erfahrungen und Erkenntnisse, die die Studierenden mündlich ‒ in Plenen und
Interviews ‒ und schriftlich ‒ in Logbüchern und Reflexionstexten ‒ explizierten, beeinfluss-
ten die Entwicklung der im folgenden dargestellten Kriterien des Analysemodells. Das Krite-
rienraster stellt eine „Brücke“ zwischen der Kreativitätsforschung und einer Kreativität fo-
kussierenden Schreibdidaktik her. D.h., dass die Kriterien des Kriterienrasters mit Kriterien
und Definitionen von Kreativität239 generell kompatibel sein müssen.
Bei der Entwicklung des Kreativitätsorientierten Textbewertungs-Modells wurden induktive
Vorgehensweisen angewandt, indem eine Vielzahl von kreativen Studierendentexten aus uni-
versitären kreativen Schreibseminaren herangezogen wurde. Darüber hinaus wurde bei der
Entwicklung versucht, Kriterien der Kreativität bei ästhetischen Ausdrucksformen, wie bei-
spielsweise die der Illustration, auf kreative Texte zu übertragen. 239 siehe Theoretischer Teil Kapitel 2.1
249
Die Kriterien des entwickelten Rasters sind aus folgenden Erkenntnissen, Erfahrungen und
Bereichen generiert worden und für eine Relevanz zur Beurteilung schriftlicher Texte ge-
schärft worden:
Quellen für entwickeltes Kriterienraster dieser Untersuchung
• Merkmale aus der disziplinübergreifenden Kreativitätsforschung240
• Kriterien für die Beurteilung des Creative Writing241 an englischen Universitäten
• Beobachtungen des Schreibprozesses und Analysen von Studierendentexten durch
den Autor dieser Forschungsarbeit
• Mündliche und schriftliche Reflexionen und Aussagen Studierenden zu ihren Texten
und deren Entstehungshintergrund bzw. Schreibprozess
• Literarisches Schreiben bzw. produktiver Umgang mit Lyrik242
• Entscheidungsbaukasten Kreatives Schreiben243
• publizierte Textanalyseraster für normsprachlich-orientierte Texte244
• Textanalyseraster und deutschdidaktische Bewertungskriterien schriftlicher Texte245
• Erkenntnisse aus der Rezeptionsästhetik246
• Kreativitätsverständnis der Fakultät Design und Illustration der Technischen Hoch-schule Nürnberg Georg Simon Ohm247.
Das entwickelte Kriterienraster besteht aus den vier Hauptkategorien Phantasie/Originalität
(1), Sprachliche Ästhetik (2), Leseattraktivität/Wirkung (3) und Gestaltung/Form (4).Für die
Anwendung in dieser Untersuchung bzw. für die Validierung sind die Einzelkriterien des Kri-
terienrasters TOA248 als eine Art Liste zu verstehen, deren Einzelkriterien im Text durch die
bewertende Person erkannt oder als nicht relevant und damit nicht anwendbar erkannt werden
müssen. Für eine spätere Praxis sind die Kriterien als vorgeschlagene Fragen an den Text
bzw. Autor zu verstehen, um kreative Aspekte in Texten zu bewerten. In der Untersuchung
erfolgt die Einschätzung einzelner Kriterien anhand einer fünfstufigen Skalierung, womit die
240 vgl. Holm-Hadulla, de Bono, von Hentig, Cszikszentmihalyi 241 vgl. Glindemann 2000 242 vgl. Koelbl 1998, Waldmann 2010 243 vgl. Brenner/Erlach 2000 244 vgl. Sieber/Nussbaumer 1991, Glinz 1977, 1978 245 vgl. Melenk/Fix 2000 246 vgl. Iser 1994, Jauß 1975, 1994 247 Aspekte des Kreativitätsverständnisses der Fakultät Design und Illustration der TH Nürnberg wurden vor allem im Austausch
mit Prof. Burkard Vetter, mit Prof. Dr. Max Ackermann sowie mit den Studierenden der Fakultät, die der Autor zwei Jahre lang begleitet und mit deren künstlerischer Art zu gestalten er sich auseinandergesetzt hat.
248 Den Auswertungsbogen der TOA mit allen Hauptkategorien, Einzelkategorien, Hinweisen und Skalierungen zum Beurteilen von Textprodukten des Kreativen Schreibens ist als Einzeldokument dem Anhang beigefügt.
250
Einschätzung präzisiert wird. Trotz der Beschränkung auf Texte kreativer Schreibverfahren
muss die bewertende Person jeweils für jeden studentischen Text entscheiden, welche Einzel-
kriterien aus dem aufgeführten Kriterienkatalog zur Bewertung angewendet und welche auf-
grund von Irrelevanz für den einzelnen Text nicht angewendet werden können.
Die erste Hauptkategorie der Textproduktorientierten Analyse (TOA) Phantasie/Originalität
(1) fokussiert, inwiefern der zu bewertende Text durch ungewöhnliche inhaltliche Zusam-
menhänge oder Perspektiven(-wechsel) überrascht, ob er sich durch Ideenreichtum auszeich-
net und zu welchem Grad er eine realexistierende oder fiktive Wirklichkeit im Sinne einer
narrativen Kohärenz/Intelligenz249 darstellen kann. Ebenfalls geht es in dieser Hauptkategorie
um die Machart des phantasievollen Zusammenspiels von Sprachverwendung und Inhalt im
zu bewertenden Text.
• Der Text überrascht durch unkonventionelle inhaltliche Zusammenhänge oder Perspek-tiven.
• Der Text zeichnet sich durch Ideenreichtum aus.
• Der Text stellt eine (fiktive) Wirklichkeit eindrücklich dar.
• Der Text zeichnet sich durch ein nonkonformes Zusammenspiel zwischen Sprachver-wendung und Inhalt aus.
In der zweiten und umfangreichsten Hauptkategorie Sprachliche Ästhetik (2) steht die
sprachästhetische Ausgestaltung beim fortgeschrittenen Kreativen Schreiben im Blickfeld.
Gleichzeitig kommen hier viele Textsorten-spezifische Kriterien vor, die je nach Text relevant
oder irrelevant sein können. Sind sie relevant, soll eingeschätzt werden, inwiefern die konkre-
te Verwendung das Kreative im Text steigert. Angefangen von phonologischen und syntakti-
schen Strukturierungen, wie sie häufig bei lyrischen Texten anzutreffen sind, über semanti-
sche Stilmittel, die Verwendung von Symboliken und Analogien, die Registerwahl, Wort-
schöpfungen bis hin zu der Verwendung von Polyvalenzen und zum sprachexperimentellen
Umgang auf Wort-, Satz- und Textebene.
• Strukturierungen im phonologischen Bereich wie Metrum, Rhythmus, Alliterationen
249 Unter narrativer Intelligenz wird nach Fritz Breithaupt und später Lothar Bredella im rezeptiven Bereich die menschliche
Fähigkeit verstanden neben faktischem und logischem auch fiktive erdachte Zusammenhänge, wie bspw. in Romanen, Er-zählungen, Märchen oder Fabeln sinnverknüpfend zu verstehen.
251
oder Reim erhöhen die Qualität des Textes.
• Syntaktische Strukturierungen wie Enjambement, Inversion, Chiasmen oder Parallelis-mus verleihen dem Textinhalt mehr Nachdruck.
• Semantische Stilmittel wie gelungene Sprachbilder/Metaphern, bewusst eingesetzte Wortwiederholungen oder Leitmotive werten den Text auf.
• Die Wahl des Registers (vulgär, jargonhaft. salopp, umgangssprachlich, gehoben, amts-sprachlich etc.) unterstützt die Textaussage oder das Textverständnis.
• Verwendete Symboliken /Analogien machen den Text interessant.
• Facettenreiche Wortwahl oder von der Sprachnorm abweichende schöpferische Wort-bildungen zeichnen den Text aus. (Polysemie, Paronomasie, Buchstabendreher, Wort-spiele)
• Im Text wird spielerisch mit Satz- und Textbau umgegangen, was die Attraktivität des Textes erhöht.
• Polyvalenz im Text (z.B. Ironie, Reduktion, Übertreibung, u.a.) sind der Themabehand-lung förderlich.
Ein im theoretischen Teil bereits kontrovers diskutierter Bereich der Bewertung von kreativen
und/oder literarischen Texten ist jener der rezeptionsästhetischen Interpretation von Leseat-
traktivität und Wirkung (3) auf den Leser. Die Entwicklung von Einzelkriterien in diesem
Bereich ist auch vom Vorwissen und von der Lesekompetenz der bewertenden Person abhän-
gig und beeinflusst damit top-down-Verarbeitungsprozesse beim Dekodieren von Texten er-
heblich. Dennoch wurden die möglichen Bewertungskriterien für diesen Bereich auf sechs
Einzelkriterien reduziert, die das Auslösen von Emotionen, Glaubwürdigkeit und Logik, das
Wecken von Leseinteresse durch sogenannte inhaltliche Wagnisse und das Anregen und Pro-
vozieren zu Assoziationen oder zu kritischen Gedanken beinhalten.
• Das Lesen löst Gefühle aus (z.B. Freude, Scham, Wut, Lust, Trauer, Abneigung) Langeweile beim Lesen ist hier ausdrücklich nicht gemeint!
• Der Text mit seiner Themenbearbeitung und Logik wirkt authentisch bzw. glaubwürdig.
• Der Text spricht den Leser durch originelle Machart und Formulierungen an und wirkt der Langeweile beim Lesen entgegen.
• Die inhaltliche(n) Aussage(n) oder Wagnisse des Textes wecken schon während des Le-
252
sens das Bedürfnis des Weiterlesens.
• Der Leser wird durch den Text zum eigenen Nach- oder Weiterdenken angeregt.
• Beim Lesen entstehen Bilder vor dem sog. inneren Auge des Lesers/werden Vorstellun-gen oder Assoziationen entfaltet.
Die vierte Hauptkategorie Gestaltung und Form (4) ist zum einen eine visuell-ästhetische
und zum anderen eine methodisch-funktionale Komponente der schriftlichen Darstellung.
Durch das Hervorheben einzelner Buchstaben, Wörter oder Zeilen kann der Autor aktiv Ein-
fluss auf die Wahrnehmung des Lesers nehmen. Die Kategorie beurteilt, inwiefern gewählte
Zeilenabstände, Einschübe, Papiersorten oder -farben dem geschriebenen Text attraktiver ma-
chen. Besonders bei lyrischen Texten eignen sich das Colorieren, das bewusste Variieren der
Schriftstärke und der Schriftart ′als Mittel und Form der indirekten Interpretation′ (Haas 2007,
122f.) hervorragend.
• Durch die Bild-Text-Komposition wird die Textrezeption intensiver und bewusster.
• Durch eine konsequente Konstellation/Struktur im Text (Abschnitte, Strophen, Verse, konkrete oder visuelle Poesie) wird die inhaltliche Aussage des Textes unterstützt.
• Die gewählte Schreibart (z.B. Druck, Handschrift, Projektion, etc.) oder der Schriftstil erhöhen die Attraktivität des Textes.
• Illustrationen oder Graphiken unterstützen oder erweitern das Textverständnis bzw. die Ideenkommunikation.
3.5.3.3 ProzessorientierteAnalysePOA
Bei dem Messinstrument Prozessorientierte Analyse (POA) geht es um die Einschätzung des
Schreibprozesses mit einem Kreativitätsfokus. Im theoretischen Teil dieser Arbeit wurde die
Wichtigkeit der Betrachtung des Schreibprozesses neben dem Schreibprodukt bzw. Text un-
terstrichen. Es ist bei der Einschätzung von Kreativität in einem schreibdidaktischen Rahmen
von Bedeutung, wie der Schreiber mit der Aufgabenstellung umgeht, wie er diese löst, wie er
die Freiräume auslotet und ob die Bearbeitung eines Themas im Rahmen der Aufgabenstel-
lung bleibt. Hierin stecken große Kreativitätspotenziale, die weder mit dem Messinstrument
Erster Globaler Leseeindruck (EGL) noch mit der Textproduktorientierten Analyse (TOA)
eingeschätzt werden können, dennoch aber für eine Bewertung des Kreativen Schreibens un-
erlässlich sind. Beaugrandes sechs Teilprozesse des Schreibens (Ziele, Ideen, konzeptionelle
253
Entwicklung, Versprachlichung, Satzbildung, phonologische und graphemische Realisierung)
sind Grundlage für die Entwicklung des im Folgenden vorgestellten Bewertungsmodells Pro-
zessorientierte Analyse (POA) beim fortgeschrittenen Kreativen Scheiben250.
Das Nachvollziehen kreativer Schreibprozesse von Studierenden ist für die Entwicklung des
Modells POA eine unumgängliche Herausforderung. Prinzipiell wird sich für die vorliegende
Untersuchung auf die Selbstauskunft der Schreibenden verlassen, die teilweise zu einigen
Texten im Prozessportfolio der teilnehmenden Studierenden dokumentiert sind. Dabei kann
natürlich der Anspruch auf Vollständigkeit nur eingeschränkt gewahrt werden. Zudem hängen
Quantität und Qualität der Aussagen zum Schreibprozess von der Bereitschaft und der Fähig-
keit der Schreibenden ab, selbstreflexiv Handlungen und Teilprozesse beim fortgeschrittenen
Kreativen Schreiben wahrnehmen und explizieren zu können. Diese Unvollständigkeit hin-
sichtlich der Informationen über tatsächlich ablaufende Prozesse ist in der Schreibforschung
aufgrund deren Menge an Bedingungsfaktoren und deren Komplexität bekannt251. Die Me-
thode des Lauten Denkens, der Explikation der inneren Sprache nach dem Schreiben, des in-
neren Sprachbegleiters, bei dem Ausführungen bereits während des Schreibprozesses getätigt
werden, oder Verfahren der teilnehmenden Beobachtung trachten nach einer realistischen Ab-
bildung real ablaufender Prozesse beim Schreiben und haben die Vernachlässigung einzelner
Untersuchungsparameter mit dem hier angewandten Verfahren zur Dokumentation und Ein-
schätzung des Schreibprozesses (POA) gemein.
Die für den folgenden Kriterienkatalog entwickelten Phasen sind nicht als chronologisch
nacheinander ablaufende Prozesse zu betrachten, sondern als neben- und ineinander agieren-
de252. Obwohl sich das Einschätzungsmodell auf die besondere Form der Textproduktion des
fortgeschrittenen Kreativen Schreibens mit Studierenden beschränkt, gibt es natürlich vielzäh-
lige Übereinstimmungen bei der Prozessbetrachtung mit Verfahren übergreifender Textpro-
duktionen253 oder mit sogenannten Schreibstrategien (Ortner 2000), wie beispielsweise dem
Produktzerlegenden Schreiben, dem Schreiben von Textversionen oder dem Schreiben in ei-
nem Zuge.
Kriterien der prozessorientierten Analyse POA
250 vgl. Theorieteil Kapitel 2.2.4 251 vgl. Theorieteil, insbesondere Kapitel 2.2.3 Schreibkompetenz und Schreibkompetenzentwicklung und 2.2.4 Schreibprozess-
forschung 252 siehe Ausführungen Kapitel 2.2.4 Schreibprozessforschung und 2.3.5 Schreibreflexion Theoretischer Teil 253 vgl. auch Ortner 2000
254
Aus den im theoretischen Teil bereits erläuterten (psycho-)linguistischen und schreibdidakti-
schen Forschungen und Publikationen zum (kreativen) Schreibprozess (vgl. Vygotskij 1971,
Hayes/Flower 1980, Ludwig 1983, Bereiter/Scardamalia 1984, Beaugrande 1984, Grésillion
1984, Pommerin-Götze 1996, Ortner 2000, Porombka 2006, Abraham 2010, Feil-
ke/Bachmann 2014, u.a.) wurde ein kriteriengeleitetes Analyseverfahren254 entwickelt, deren
Einzelkriterien als Fragen an den Text bzw. Autor zu verstehen sind. Dabei sind diese Einzel-
kriterien insgesamt sieben Hauptkategorien zugeordnet, welche übergeordnet einen Anwen-
dungshinweis und einen Bedingungskatalog berücksichtigen.
Die Einschätzung einzelner Kriterien erfolgt - wie bei der Produktorientierten Analyse POA -
anhand einer fünfstufigen Skalierung, womit die Prozessanalyse präzisiert wird. Trotz der
Beschränkung auf Texte kreativer Schreibverfahren muss die bewertende Person (Rater), je-
weils auf der Grundlage der bekannten Vorgehensweisen, entscheiden, welche Einzelkriterien
aus dem aufgeführten Kriterienkatalog zur Prozessanalyse angewendet und welche aufgrund
von Irrelevanz für die einzelne Textproduktion von der Analyse ausgeschlossen werden.
Der Anwendungshinweis enthält eine Aufforderung zur Sensibilisierung der bewertenden
Person gegenüber folgenden Schreiber-individuellen Voraussetzungen:
• schriftsprachliche Fähigkeiten • Fähigkeiten zur Selbsteinschätzung des eigenen Lernstandes und Sprachstandes • das Anwenden von Lern- bzw. Schreibstrategien • die Fähigkeit zu Frustrationstoleranz beim Rückmelden von Fehlern oder Schwächen im
Text durch eine externe beurteilende Person
Der „Katalog“ beinhaltet grundlegende Fragen, die bei einer Einschätzung des Schreibprozes-
ses Grundlagen darstellen, ohne jedoch selbst Prozesse im Schreibprozess abzubilden. Daher
ist von der bewertenden Person vorab sicherzustellen, auch um mehrere Schreiberleistungen
miteinander vergleichen zu können, ob folgende Bedingungen erfüllt sind:
• Hat der Schreibende die konkrete Aufgabenstellung hinreichend wahrgenommen?
• Hat der Schreibende ein Verständnis für generell schriftsprachliche und individuelle Schwierigkeiten und Probleme, die im Schreibprozess zu bearbeiten sind?
• Ist der Schreibende davon ausgegangen, dass sein Text in irgendeiner Form präsentiert bzw. beurteilt wird?
254 Den Auswertungsbogen der POA mit allen Hauptkategorien, Einzelkategorien, Hinweisen und Skalierungen zur Analyse und
Beurteilung von Schreibprozessen ist als Einzeldokument dem Anhang beigefügt.
255
Nun folgen, ähnlich wie bei der Textproduktorientierten Analyse TOA, strukturierte und de-
taillierte in Hauptkategorien unterteilte Analysekriterien, die wiederum jeweils mehrere Ein-
zelaspekte enthalten.
Die erste Hauptkategorie Ideenfindung/Planung (1) widmet sich dem Bereich, in dem
Schreibinhalte, Schreibpläne und -zielsetzungen und Textstrukturen überlegt und generiert
werden. Die in den Einzelkriterien beschriebenen Handlungen können sowohl vor dem ersten
zusammenhängenden Text oder während aller anschließenden Schreibhandlungen realisiert
werden. Die Hauptkategorie enthält folgende Einzelkriterien:
• Der Autor bedient sich assoziativer Techniken zur Ideenfindung wie Clustern, Brainst-orming, Zeichnen, Écriture automatique, Lesen, Musik, Mind-Mapping o.ä.
• Der Schreibende nimmt sich der Aufgabenstellung an und assoziiert dazu Themen oder Stichwörter.
• Der Schreibende setzt sich bei der Auswahl von Themen mit sich selbst bzw. mit seiner Wirklichkeit auseinander.
• Der Schreibende wählt Themen aus, die nicht in seiner Wirklichkeit relevant sind, son-dern seiner Phantasie entspringen.
• Der Schreibende erstellt ein Skript oder Stichpunkte für einen inhaltlichen Handlungs-plan
• Der Schreibende hat mindestens ein grobes oder mehrere Schreibziele vor Augen.
Die zweite Hauptkategorie Erste Formulierung/Entwurf (2) fokussiert die Entstehung des
ersten Textentwurfs als Fließtext für Prosatexte oder zusammenhängende Wörter oder Formu-
lierungen bei lyrischen Texten. Eine Überschneidung mit der „Phase“ der Ideenfindung wird
aufgrund des fließenden Übergangs bzw. der Gleichzeitigkeit von Schreiben und Ideenent-
wicklung bereits durch die Formulierung der Einzelkriterien deutlich. Die Hauptkategorie
enthält folgende Einzelkriterien:
• Es entsteht eine sprachlich-inhaltliche und eventuell bildnerisch gestaltete Rohfassung des
Textes.
• Der Schreiber gestaltet oder formuliert spielerisch erste Gedanken und realisiert inner-
sprachliche Formulierungen.
• Die Formulierungen und Skizzen basieren auf Inhalten der Planungsphase oder gehen
256
darüber hinaus.
• Der Schreibende kehrt zu Methoden und Techniken der Ideengenerierung zurück.
• Der Schreibende überlegt sich ein vorläufiges Format .
In der dritten Hauptkategorie Überarbeitung/Revision (3) werden Text-überarbeitende Hand-
lungen in den Blick genommen. Hierbei geht es zentral um eine Arbeit am und im Text, ins-
besondere um Handlungswissen und Strategien bei der Textüberarbeitung und um Verände-
rungen auf lexikalischer, morphologischer, syntaktischer, semantischer, pragmatischer und
textstilistischer Mittel. Hierbei wird durch den Anspruch der Einzelkriterien bereits ansatz-
weise deutlich, ob der Schreibende in der Lage ist, eine vom Schreibenden quasi unabhängige
Leserperspektive einzunehmen, was ihm die Vorstellung eines bzw. Versetzung in einen po-
tentiellen Leser(s) abverlangt. Die zeitliche Ebene, z.B. die Distanz zwischen dem Zeitpunkt
des Textentwurfs und der Überarbeitung, spielt hier zunächst keine Rolle. Die Hauptkategorie
enthält folgende Einzelkriterien:
• Der Schreibende ist fähig bzw. bereit, eigene Texte zu überdenken und zu überarbeiten.
• Der Autor versucht beim Schreiben und Überarbeiten die Leserperspektive einzunehmen.
• Phonologische und rhythmische Strukturierungen, wie z.B. Reim, Alliteration, Metrum, werden verfeinert und angepasst.
• Syntaktische Strukturierungen, wie z.B. Enjambement, Inversion oder Parallelismus, werden überdacht und gegebenenfalls verbessert.
• Symboliken oder Analogien werden auf ihre Aussagekraft hin überprüft und gegebenen-falls geschärft.
• Die Wortwahl und –bildung wird im Hinblick auf Facettenreichtum, Attraktivität und Semantik, wie z.B. Polysemie, Buchstabendreher, Wortspiele, Paronomasie, überarbeitet.
• Semantische Stilmittel, wie beispielsweise Leitmotive, Wortwiederholungen, Metaphern, werden hinzugefügt oder bearbeitet.
• Sprachliche Strukturen wurden im Sinne einer Verdichtung von Informationen verändert.
• Zu einfache Satzmuster wurden in angemessenere komplexere Satzgefüge erweitert.
• Schwierige oder unklare Formulierungen im Text wurden in nachvollziehbare aufgelöst.
• Der Autor hat den Schluss seines Textes bewusst gestaltet, um eine bestimmte Wirkung zu erzielen, z.B. offenes Ende, Provokation, Fazit, Moral, Happy End oder sprachliche Stilmittel wie Ellipse, Metapher, Aphorismus, o.ä. eingesetzt
• Der Schreibende entscheidet sich für ein finales Textformat und für eine endgültige Text-Bild-Komposition.
257
Die vierte Hauptkategorie Entwicklungen/Schreibzielkontrolle (4) schätzt mittels der einzel-
nen Unterkategorien die Entwicklungen im Text von der Annahme der Aufgabenstellung bis
zum vorliegenden Endprodukt ein. Dabei werden die nicht unwesentlichen Befindlichkeiten
des Schreibenden während des Schreibprozesses und die Beziehung zwischen dem Schrei-
benden und der Aufgabenstellung, zwischen dem Schreibenden und seinem Text und zwi-
schen dem Schreibenden und seinem Schreibhandeln in den Fokus gerückt. Die vierte
Hauptkategorie enthält folgende Einzelkriterien:
• Die Aussage oder die Idee des Textes entspricht der Aufgabenstellung.
• Der Autor nutzt die Freiräume, die die Aufgabenstellung bietet, aus. (Assoziation und Imagination)
• Der Schreibende entwickelt bzw. verändert den Inhalt bis zur finalen Version stetig.
• Der Schreiber entwickelt einen wiedererkennbaren eigenen Ausdruck und Stil im Text.
• Der Schreiber kombiniert wirkungsvoll Inhalt und Form des Textes.
• Die endgültige Fassung des Textes erscheint dem Niveau des Schreibers angemessen.
• Eine „Reinschrift“ (handschriftlich oder digital) schließt den Schreibprozess an geeigneter Stelle ab.
• Der Autor baut eine Identifikation zum Thema seines Textes auf.
• Der Schreibende setzt sich zunehmend mit dem eigenen Schreibverhalten auseinander. (Gefühle, Erfahrungen, Selbsterkenntnis)
• Der Autor selbst mag seinen Text nach der Fertigstellung und findet ihn für sich oder für andere wichtig.
Die fünfte Hauptkategorie Organisation/Zeitmanagement/Zeitachse (5) thematisiert die
handlungsorganisatorische Herangehens- und Verfahrensweise der Studierenden. Diese rah-
men den Handlungsspielraum beim Schreiben in und außerhalb des Seminarraums, wobei der
Schreibprozess bereits auf einem autonomem Schreibkompetenzniveau stattfindet und damit
für Studierende angemessenen ist. Demnach ist es für diesen Fokus dieser Hauptkategorie
bedeutsam, dass die Einzelkategorien sowohl die Verwendung von Scheib- und Arbeitsme-
dien, zeitliche Phänomene und Strukturen als auch textorganisatorische beleuchten. Die Ein-
zelkriterien dieser Hauptkategorie sind folgende:
258
• Der Umfang und die Dauer sind für die Bearbeitung der Aufgabenstellung angemessen.
• Es wird rechtzeitig vor Fertigstellung mit der Textproduktion begonnen.
• Der Autor nimmt sich genügend Zeit für eine abschließende Redaktion des Textes.
• Der Autor schreibt an einer für ihn bewährten Tageszeit.
• Der Autor wechselt den Schreibort und nutzt z.B. unterschiedliche Schreibstimuli, Ruhe,
Dynamik, Atmosphäre o.ä.
• Für das Textprodukt werden zuträgliche Arbeitsmaterialien bzw. Medien verwendet.
• Der Autor wechselt zwischen verschiedenen Schreibmedien wie z.B. Kugelschreiber,
Laptop, Bleistift, großformatiges Papier, Tablet, PC o.ä.
• Der Schreibende gleicht seine aktuelle Textversion sowohl
a) inhaltlich,
b) sprachlich.
c) gestalterisch mit den gesteckten Schreibzielen ab.
• Der Autor trennt Schreiben und Textrevision.
• Zwischen den Überarbeitungsphasen und der Endversion besteht eine zeitliche Distanz.
Die sechste Hauptkategorie Umgang mit Feedback(6) korrespondiert mit Frustrationstole-
ranz, Konzentrationsfähigkeit und anderen Einstellungen und muss ebenso erworben werden
wie andere Strategien und Routinen im Schreibprozess. Insbesondere in institutionellen Aus-
bildungssituationen wie in der Schule oder der universitären Lehrerbildung ist das Geben und
Aufnehmen von Rückmeldungen anderer zum eigenen Text nicht unwichtig. Der Austausch
und das Umsetzen von konstruktiver Kritik werden von folgenden Einzelkriterien themati-
siert:
• Der Verfasser des Textes ist bereit, sich bzw. seinen Text kritisieren lassen.
• Der Texte wird von min. einer Person, die nicht der Autor ist, gegengelesen oder gehört.
• Der Schreibende holt sich (aktiv) Feedback bei anderen und frag nach detaillierten Be-
gründungen.
• Der Schreibende hält es aus, dass andere seinen vorläufigen Text lesen oder hören.
• Der Autor berücksichtigt Feedback bei einer weiteren Überarbeitung.
259
In der letzten und siebten Hauptkategorie Reflexion/Mehrspurigkeit/Erkenntnis (7) geht es -
soweit wie möglich - um die Einschätzung der Metakognition des Schreibenden während des
gesamten Schreibprozesses. Damit unterscheidet sich diese Hauptkategorie von den anderen
deutlich, da das Lernen im und durch das Schreiben anhand einer Schreiber-externen Person
beurteilt werden soll. Somit vertiefen die Einzelkriterien selbstreflexive Handlungen über das
Schreiben der Studierenden, um in einem schreibdidaktischen Zusammenhang autonome
Lernprozesse unterstützen zu können. Dabei enthält die Hauptkategorie folgende Einzelkrite-
rien:
• Der Schreibende nimmt differenziert wahr, was genau er beim Schreiben tut.
• Der Schreibende reflektiert über
a) Schreibaktivitäten,
b) Befindlichkeiten, Emotionen, Gemüt,
c) Rahmenbedingungen, z.B. bestimmter Ort, bestimmte (Un-) Ordnung, Ruhe,
d) Aufgabenstellungen und
e) eigene Denk- und Arbeitsstrategien, z.B. indiv. Anlaufphase, Pausen, Wiederbeginn
nach Unterbrechung.
• Der Schreibende reflektiert über
a) die verwendete Sprache,
b) den dargestellten Inhalt,
c) die Gestaltung des Textes.
• Der Schreibende artikuliert seine Reflexionen aussagekräftig mündlich oder schriftlich.
• Durch Reflexion zieht der Schreibende Schlussfolgerungen, die eine verbesserte Verhal-
tenssteuerung bei weiterer Textproduktion zur Folge haben.
Die Untersuchung von Schreibprozessen mit einer didaktischen Querschnittsperspektive mit-
tels Kriterien bedarf einer breit angelegten empirischen Methodologie, um Erkenntnisse über
das Verhältnis, das Zusammenwirken und letztendlich über die Aussagekraft und Trennschär-
fe der Einzelkriterien valide ableiten zu können. Wie bereits erwähnt, konnte im Rahmen der
Untersuchung und der zur Verfügung stehenden Ressourcen das Messinstrument Prozessori-
entierte Analyse POA entwickelt und in einem kleinen Rahmen getestet werden. Eine umfang-
reiche empirische Untersuchung der Prozessorientierten Analyse (POA) bleibt Gegenstand
zukünftiger Untersuchungen und Testungen. Dennoch können nach der Beurteilung von zehn
260
Texten mit der POA erste Schwerpunkte herausgearbeitet werden, die für weitere Forschun-
gen hilfreich sind. Im Sinne eines wissenschaftlichen Erkenntnisinteresses werden die ersten
Erfahrungen der Erforschung zur POA als Fragen bzw. Anmerkungen formuliert:
1. Welche Kriterien schätzen tatsächlich kreative und welche auch normsprachlich gene-
relle Prozesse ein?
2. Gibt es redundante Kriterien im Verfahren POA?
3. Welche Einzelkriterien gehören in eine andere Hauptkriteriengruppe?
4. Für welche Kriterien wäre eine Ja-Nein-Bestimmung sinnvoller als eine fünfstufige
Skalierung?
5. In der Prozessbetrachtung ähneln viele Fokuskriterien solchen aus der Schreibprozess-
forschung ohne einen Schwerpunkt auf das Kreative Schreiben oder auf einen schrei-
didaktischen Kontext. Einige sind jedoch spezifisch, vor allem wenn die Schreibziele
einen rezeptionsattraktiven und ästhetischen Umgang mit Sprache beinhalten.
6. Der Prozess kann nur mit denjenigen Informationen eingeschätzt werden, die der be-
wertenden Person zur Verfügung stehen. Hat die bewertende Person den Schreibpro-
zess selbst nicht beobachtet, ist sie völlig auf die Auskunft des Schreibenden oder auf
Dritte angewiesen, was häufig unbefriedigend bleibt. Daher kann es bei der POA vor-
kommen, dass mehrere Kriterien als „nicht anwendbar“ markiert werden müssen und
somit nicht eingeschätzt werden können.
Prozessorientierte AnalProzessorientierte AnalProzessorientierte AnalProzessorientierte Analyseyseyseyse POAPOAPOAPOA
Summe Summe Summe Summe PunktePunktePunktePunkte
Anzahl Anzahl Anzahl Anzahl KriterienKriterienKriterienKriterien
PrPrPrPro-o-o-o-zesszesszesszess---- punkpunkpunkpunkt-t-t-t-zahlzahlzahlzahl
#### HauptHauptHauptHauptkriteriumkriteriumkriteriumkriterium //// PhasenPhasenPhasenPhasen
EinzelkriteriumEinzelkriteriumEinzelkriteriumEinzelkriterium FFFFüüüünfstufige nfstufige nfstufige nfstufige Skalierung zur EinschSkalierung zur EinschSkalierung zur EinschSkalierung zur Einschäääätzungtzungtzungtzung
trifft trifft trifft trifft vollvollvollvoll zuzuzuzu
trifft trifft trifft trifft üüüüberberberber wiwiwiwie-e-e-e-gengengengend zud zud zud zu
trifft trifft trifft trifft teilteilteilteil wewewewei-i-i-i-sesesese zuzuzuzu
trifft trifft trifft trifft kaumkaumkaumkaum zuzuzuzu
trifft trifft trifft trifft nicht nicht nicht nicht zuzuzuzu
Nicht Nicht Nicht Nicht anananan wendwendwendwend barbarbarbar
HinweisHinweisHinweisHinweis: Bei der Einschätzung des Schreibprozesses müssen individuelle Voraussetzungen wie z.B. Sprachstand, schriftsprach-liche Fertigkeiten, Fähigkeiten zur Selbsteinschätzung des eige-nen Lernprozesses, das Anwenden von Lernstrategien oder die Frustrationstoleranz beim Rückmelden von Fehlern oder Schwä-chen im Text durch die bewertenden Personen stets berücksichtigt werden. Erreichte PunkteErreichte PunkteErreichte PunkteErreichte Punkte::::
4444
3333
2222
1111
0000
----
1111 Ideenfindung/PlanungIdeenfindung/PlanungIdeenfindung/PlanungIdeenfindung/Planung
261
1a Der Autor bedient sich assoziativer Techni-ken zur Ideenfindung wie Clustern, Brainst-orming, Zeichnen, Écriture automatique, Lesen, Musik, Mind-Mapping o.ä.
1b Der Schreibende nimmt sich der Aufgaben-stellung an und assoziiert dazu Themen oder Stichwörter.
1c …
Abbildung 42: Auszug aus dem Analyse- und Bewertungsinstrument Prozessorientierte Analyse
POA(leer) mit fünf-gradiger Skalierung und der Möglichkeit des Ausklammern nicht-relevanter
Prozesskriterien
3.5.3.4 KreativitätsorientierteTextanalyse
Beim Modell der Kreativitätsorientierten Textanalyse handelt es sich um ein Beurteilungs-
modell, das den bisher wenig konkret beschriebenen Bereich des ′sprachlichen und inhaltli-
chen Wagnisses′ (Nussbaumer/Sieber 1995) fokussiert, Kriterien vorschlägt und diese hin-
sichtlich einer objektivierbaren Beurteilung untersucht. Das für diese Untersuchungen entwi-
ckelte Modell ist somit kein auf Sprachnormen oder Sprachrichtigkeit angelegtes Modell wie
bei Nussbaumer/Sieber (1995) oder Fix/Melenk (2002). Vielmehr geht es um Das heißt, dass
das Modell Kreativitätsfokussierende Textanalyse die zusätzliche Möglichkeit bei der Beurtei-
lung geschriebener Texte bietet, kreative, leserattraktive und gestalterische Elemente in eine
ganzheitliche Texteinschätzung mit einzubeziehen255. Dabei handelt es sich nicht um einen
Defizit-orientierten Ansatz oder gar um eine Fehleranalyse, sondern um einen Ansatz des qua-
litativen Mehrwerts, bei dem Chancen und Möglichkeiten einer Leser-attraktiven (sprachli-
chen) Gestaltung und eines experimentellen Umgangs mit Inhalten und Sprache durch den
Schreiber klar dominieren. Als positivistischer Ansatz liegt daher ein schreibdidaktisches
Verständnis zu Grunde, das eher beschreibt, was in einem Text gut gelungen, als was in ei-
nem Text nicht gelungen ist. Gerade im Hinblick auf die Textgestaltungskompetenz muss
zunächst von den Stärken und Möglichkeiten ausgegangen werden, bevor sich eine Analyse
der Schwächen und Defizite anschließt256.
Der Komplexität dieses zweiten Untersuchungsschwerpunkts zur Analyse und Bewertung von
Kreativität beim fortgeschrittenen Kreativen Schreiben mit Studierenden wird mit dem Mo-
dell Kreativitätsorientierte Textanalyse begegnet. Dafür werden Kriterien aus der disziplin-
übergreifenden Kreativitätsforschung und aus acht weiteren wissenschaftlichen und erfah- 255 vgl. Kapitel 2.4 Analyse und Bewertung des Kreativen Schreibens im Theoretischen Teil 256 vgl. auch die Mäeutische Korrektur von Ivo (1982). In: Steinig / Huneke 2011, 144
262
rungsbasierten Bereichen einbezogen und miteinander kombiniert257. Das entwickelte Modell
Kreativitätsorientierte Textanalyse besteht aus vier Säulen:
1. Erste Globale Lesebegegnung (EGL) 2. Textproduktorientierte Analyse (TOA) 3. Prozessorientierte Analyse (POA) 4. Selbsteinschätzung des Autors
Jede Säule und deren zugehörige Kriterien werden mit unterschiedlichen methodologischen
Instrumenten an Studierendentexten getestet und überprüft258, jedoch in unterschiedlichem
Umfang.
Au
ße
np
ersp
ek
tive
be
we
rten
de
r Lese
r (z.B. Le
hrk
raft/D
oze
nt/K
om
milito
ne
)
257 vgl. Kapitel 3.5.3 Entwicklung der Messinstrumente 258 vgl. Kapitel 3.5.4 Rating der TOA und 3.5.5 Exemplarischer Einsatz der Messinstrumente im empirischen Teil der Arbeit
erste globale Lesebegegnung
textproduktorientiert
nach sprachÄsthetischen Gesichtspunkten anhand eines Kriterienrasters
prozessorientiert
berücksichigt Phasen, Bedingungen und Entwicklungen bei der Textproduktion anhand eines
Kriterienrasters
Selbsteinschätzung
des AutorsReflexion des Produkts und der eigenen
Prozesse
Aussagen und Einschätzungen des
Autors werden bei der Bewertung
durch Lehrkräfte berücksichtigt.
Kreativitätsfokussierende Textanalyse
263
Abbildung 43: Modell Kreativitätsfokussierende Textanalyse mit vier Säulen
Das Modell Kreativitätsorientierte Textanalyse ist ein Bewertungsinstrument, das sowohl
produkt- als auch prozessorientiert angelegt ist, was den Forderungen aus der Schreibfor-
schung, spätestens seit der Diskussion um die Portfolioarbeit, entspricht. Abraham spricht in
diesem Zusammenhang gar von einem „didaktischen Versäumnis, Prozess- und Produktorien-
tierung auf einem entsprechend fortgeschrittenen Niveau zusammenzudenken“ (Abraham,
2010, 9). Gleiches betonte Beaugrande bereits 1980 bei seiner Kritik einer einseitigen Fehler-
analyse von Texten:
To deal with misfunctions, we evidently need a language model which does not simply discover and analyze structures, but also relates structures to processes operating with greater or lesser satisfactoriness (Beaugrande 1980, 201).
Die Vielfalt der Textsorten und Schreibarrangements beim Kreativen Schreiben benötigt na-
türlich auch eine Differenzierung der Bewertung, wie es die Erste Globale Lesebegegnung,
die Kriterienmodelle Textproduktorientierte Analyse (TOA) und Prozessorientierte Analyse
(POA) vorsehen. Aufgrund verschiedener Bewertungsgründe kann die Gewichtung einzelner
Säulen und Faktoren im Modell variiert werden259.
Das Modell lässt nicht nur Freiheit für eine globale Einschätzung der Lehrkraft, sondern for-
dert von ihr regelrecht die Leistung einer Gesamtbeurteilung und die Verantwortung dafür
ein. Zudem werden zu den drei bereits erwähnten Bewertungsbereichen Globaleinschätzung,
Produktorientiertheit und Prozessorientiertheit durch eine externe Person (Dozent/Lehrkraft)
die Selbsteinschätzung durch den Schreibenden selbst mittels mündlicher oder schriftlich Re-
flexion des einzelnen Textes in die Bewertung mit einbezogen. Somit beinhaltet das Modell
Kreativitätsorientierte Textanalyse letztlich vier Bereiche, wobei sich diese Bereiche teilweise
überschneiden bzw. Elemente aus dem einen Bereich für die Bewertung des anderen von Be-
deutung sein können. Besonders deutlich wird diese Überschneidung bei der Bewertung des
Schreibprozesses durch eine externe Person, da oftmals verschiedene Phasen, Arbeitsschritte,
Gedankengänge und Schreibflows bzw. -hemmungen erst durch die Reflexion des Schreiben-
den (Selbstauskunft) offenkundig werden. Beobachtet die beurteilende Person alle Schreib-
prozesse, z.B. bei kürzeren Schreibaufgaben im Seminar in Kleingruppen, ist eine Reflexion
als Auskunft über den Verlauf des Schreibens weniger notwendig, wodurch sich die Bereiche
259 Die Kreativitätsfaktoren entstanden aus mehreren Gesprächen und kontroversen Diskussionen zwischen Prof. Dr. Gabriele
Pommerin-Götze, dem Design-Professor Burkard Vetter und dem Autor Jens Behning im Forschungsprojekt „Kreatives Schreiben und Ästhetisches Gestalten“ und im Rahmen der Dreharbeiten zum gleichnamigen Dokumentarfilm, produziert von tranfers-film.
264
Prozessorientiertheit und Selbsteinschätzung des Autors durch Reflexion leichter voneinander
abgrenzen lassen, wie das folgende Beispiel zeigt:
Wenn mir nicht gleich ein ganzer Satz einfällt, schreibe ich gern die Idee(n) auf. Je
mehr Ideen existieren, desto schneller versuche ich, Stichpunkte aufs Blatt zu bringen,
damit das wertvolle „Gut“ nicht wie Sand zwischen den Fingern zerrinnt. Ich wähle
recht automatisch aus, bzw. verwerfe mittelmäßige, unsinnige, schwache oder unpas-
sende Ideen, um an die interessantesten oder geeignetsten „heranzukommen“. Manch-
mal weiß ich auch sofort, dass ein Einfall genau der richtige ist, und blende kurzzeitig
alles andere aus.
(Teilnehmender Student CKDes 2012 über seinen Prozess der Ideenfindung)
Das Kriterienraster Textproduktorientierte Analyse (TOA) ermöglicht eine Textanalyse ohne
Kenntnisse über den Autor und den Entstehungsprozess. Außerhalb eines didaktischen Rah-
mens eines Schreibunterrichts können die Kriterien des vorliegenden Kriterienraster die Beur-
teilung von Texten mit dem Fokus auf Kreativität auch alleinig mit dem Instrument des ersten
globalen Leseeindrucks (EGL) und der textproduktorientierten Analyse (TOA) erfolgen. So
kann unabhängig vom Textproduzent eingeschätzt werden, in welchem Maß der vorliegende
Text kreative Schreibleistungen abbildet. Diese Vorgehensweise ist angelehnt an Isers soge-
nannten zweiten Schritt bei der Erörterung der Appellstruktur der Texte. Es gilt für den Rezi-
pient und im Kontext einer Einschätzung kreativer Leistungen ′elementare Wirkungsbedin-
gungen′ und Spannung oder Provokation erzeugende ′Unbestimmtheitsgrade′ mit Hilfe des
Kriterienrasters der TOA zu benennen und zu analysieren (Iser 1994, 230).
Besteht dagegen auch das Interesse, dem Schreibenden bei der Schriftproduktion kreativer
Texte zu unterstützen, sprich in einem schreibdidaktischen Zusammenhang - um etwa sein
Leistungspotential zu erweitern - so ist das Einbeziehen des individuellen Schreibprozesses
bzw. der Schreibprogression und die Einschätzung von Schreibprodukt und Schreibprozess
durch den Autor unabdingbar. Hierbei ist die Berücksichtigung der Kompetenzniveaus im
Hinblick auf schriftsprachliche Fertigkeiten, Fähigkeiten zur Selbsteinschätzung des eigenen
Lernprozesses sowie des Sprachstandes, das Anwenden von Lernstrategien oder die Frustrati-
onstoleranz durch das Rückmelden von Fehlern oder Schwächen im Text durch die bewerten-
den Personen stets maßgeblich. Durch die Prozessorientierung des Modells bleibt der Aspekt
der Korrektur und Überarbeitung keineswegs ausgeblendet, doch muss betont werden, dass
sich auch die Überarbeitung im Modell nicht einseitig auf eine grammatische Analyse bezieht.
Konsequent geht es um eine Überarbeitung des Stils, der Wirkung auf den Leser und der Le-
265
seattraktivität durch eine kreativ-experimentelle Themen- und Sprachverwendung, da eine
reine grammatische Analyse bei der Überarbeitung der genannten Aspekte im Rahmen eines
fortgeschrittenen Kreativen Schreibens nicht zielführend ist (Steinig/Huneke 2011, 142).
Somit werden die beiden Komponenten Individuelle Förderung der Schreibkompetenz und
notwendige Analyse und Beurteilung im vorgestellten Modell Kreativitätsfokussierende Text-
bewertung vereint, indem der Lernende durch Reflexion, Feedback und Überarbeiten beim
autonomen Schreiblernprozess unterstützt wird. Die Bewertung des Kreativen Schreibens
unter Berücksichtigung des Schreibprozesses erfolgt am Ende durch Bündelung der zwei bzw.
vier Säulen.
Eine Überbewertung des Schreibprozesses gegenüber dem Schreibprodukt wird mit dem Ein-
beziehen aller vier genannten Bewertungsbereiche ausdrücklich nicht angestrebt. Eine Ver-
besserung der Schreibkompetenz kann nur erlangt werden, wenn ein Anspruch an die Qualität
des Textes in seiner Endfassung maßgebend ist.
RatingderTextproduktorientiertenAnalyseTOAan100Texten3.5.4
Das entwickelte Messinstrument TOA zur Einschätzung kreativer Aspekte in Texten wurde
einem Rating unterzogen. Ziele waren, die Überprüfung der Objektivität und der diagnosti-
schen Kriteriumsvalidität, die Vergleichbarkeit der errechneten Kreativ-Punktzahlen pro Text
und Rater, die Anzahl und Auswahl der verwendeten Kriterien, die Trennschärfe der Einzel-
kriterien und die Diskrepanz zwischen der subjektiven globalen Einschätzung beim ersten
Lesen (EGL) und der kriteriengeleiteten Bewertung mittels der TOA.
Zur Anwendung der textproduktorientierten Analyse TOA und zur anschließenden wissen-
schaftlichen Auswertung der Rating wurden fünf Ratern das Bewertungsverfahren EGL und
TOA vorgestellt, dieses vorab gemeinsam besprochen und diskutiert und exemplarisch an
zwei Beispielen angewendet. Diejenigen Fragen, die den Ratern bei der Anwendung der 22
Kriterien entstanden waren, konnten so beantwortet bzw. geklärt werden. Für einen Einsatz in
der Seminar- und Unterrichtspraxis kann das Verfahren vereinfacht werden, für die hiesige
Testung ist die Ausdifferenziertheit aufgrund erwarteter detaillierterer Auskünfte über An-
wendbarkeit und Trennschärfe notwendig.
Die entwickelten Kriterien des Rasters sind, wie im Kapitel 3.5.3 zur Erklärung der Messin-
strumente beschrieben, ein Konglomerat aus Zuordnungen von Kreativitätsmerkmalen aus
verschiedenen Disziplinen. Die Kriterien sind durch Recherchen im Bereich der Linguistik,
der Literaturwissenschaft und deren Didaktik, der Kreativitätsforschung und damit der Psy-
266
chologie, der Kunst, ihrer Pädagogik und des Kreativitätsverständnisses des Faches Designs
und Illustration der Hochschule Nürnberg Georg Simon Ohm entwickelt worden. Weiterhin
haben unzählige Gespräche mit den Mitgliedern und Wissenschaftlern aus dem Verbundfor-
schungsprojekt „Schreiben und kreatives Gestalten für die Entwicklung des Menschen“ dazu
beigetragen, die verschiedenen Perspektiven wie bspw. aus der Schreib- und Fremdsprachen-
didaktik, aus dem Fachbereich Design und Illustration, der Soziologie, der Kunstpädagogik,
der Medizin und der Psychologie das Herausarbeiten und Präzisieren der Kriterien voranzu-
treiben. Trotz des langwierigen Prozesses der Ausarbeitung und Formulierung der Kriterien
kann nicht von einem nun allgemeingültigen Einschätzungsmodell ausgegangen werden. Mit
diesem Bewusstsein wurden die Kriterien der Textproduktorientierten Analyse einer Testung
unterzogen, welche im Folgenden erläutert und dessen Auswertung anschließend dargestellt
wird.
In einer stichprobenartigen Überprüfung wurden die aufgestellten Kriterien der Textprodukto-
rientierten Analyse TOA von sogenannten Ratern überprüft. Dabei schätzte jeder der fünf Ra-
ter jeweils 20 Texte mit der EGL und mit der TOA ein. Alle Rater erhielten zur Beurteilung
mit den beiden Instrumenten EGL und TOA die gleichen 20 Texte, so dass jeder Text zwei
Mal fünf Bewertungen erhielt und insgesamt 200 Rating durchgeführt wurden. Zur Vorberei-
tung auf die Rater-Tätigkeit erhielten die Rater eine Schulung zu Anwendung des Verfahrens
EGL und TOA260. Die Anwendung der Einschätzungen durch die Rater erfolgte isoliert und
unabhängig voneinander. Der Kriterienkatalog der TOA umfasst - wie bereits geschildert - die
vier Hauptkategorien Phantasie/Originalität, sprachliche Ästhetik/Stilmitteleinsatz, Leseat-
traktivität/Wirkung und Gestaltung/Form. Die insgesamt 22 Einzelkriterien können bei Rele-
vanz für den zu bewerteten Text angewandt werden, müssen es jedoch nicht. Je Einzelkriteri-
um gibt es eine fünfstufige Bewertungsmöglichkeit von trifft nicht zu bis trifft voll zu, wobei
jedes Einzelkriterium durch die weitere Möglichkeit nicht anwendbar der Bewertung entzo-
gen werden kann.
Auswertung der Rating
Durch das Ratingverfahren werden qualitative Daten aus einem zunächst interpretativen Be-
wertungsverfahren, bei dem ein Text durch mehrere Personen nach eigenem Ermessen einge-
schätzt wird, zu quantifizierbaren Daten und das in mehrfacher Hinsicht. Zum einen wird ein
Text von je fünf Personen in seiner Gesamtheit auf Kreativität hin beurteilt (EGL) und zum
260 vgl. Kap. 3.5.2 für ausführlichere Informationen zur Auswahl der Rater
267
anderen wird der gleiche Text wiederum von den gleichen fünf Personen zusätzlich anhand
von 22 Einzelkriterien erneut bewertet (TOA); die Kombination dieser Verfahren führt zu
qualitativen Daten. Erst das Verrechnen der skalierten Einzelkriterienbewertungen zur Krea-
tivpunktzahl der TOA (n=100) und der Kreativpunktzahl der EGL (n=100) ermöglichen es
schließlich, weitere statistische Berechnungen und Vergleiche mit den insgesamt 200 Bewer-
tungen anzustellen. Dies wird im Folgenden dargestellt.
In 63 von 100 Rating mit der TOA, also zu knapp zwei Drittel, fiel die Einschätzung der Krea-
tivpunktzahl mittels der TOA niedriger aus als mittels der EGL, was die Vermutung einer eher
überschwänglich positiven Einschätzung durch den ersten subjektiven Eindruck bestätigt und
die Notwendigkeit einer kritischeren Bewertung mittels eines kriterialen Bewertungsverfah-
rens erkennen lässt. Gleichzeitig werden stark negative Beurteilungen der EGL durch die kri-
teriengestützte Bewertung der TOA relativiert bzw. abgemildert. Dabei ist die Streuung der
fünf Einschätzungen je Text, das heißt die Abweichung der vergebenen Bewertungspunktzah-
len unter den Ratern, beim kriterialen Bewertungsverfahren TOA deutlich geringer als bei der
spontanen Bewertung nach dem ersten Mal Lesen (EGL). Bei fünfzehn von zwanzig Texten
fällt der Mittelwert der TOA (Mittelwert von 5 Ratingergebnissen) niedriger aus als bei der
EGL (Mittelwert von 5 EGL-Einschätzungen), und dass unabhängig von der Höhe der Krea-
tivpunkzahl. Sowohl bei Texten mit hoher als auch mit niedriger Kreativpunktzahl tritt dieses
Phänomen der höheren Bewertung durch eine globale erste Einschätzung gegenüber einer
niedrigeren kriterienorientierten Einschätzung auf.
Durchschnittlich wurden bei den gesamten Rating 18,25 von 22 Einzelkriterien angewendet,
was deutlich macht, dass die entwickelten Kriterien über einen hohen Anwendungsgrad ver-
fügen. Die Tatsache, dass zur Durchschnittsberechnung (arithmetisches Mittel) keine Werte
über 22 niedrigere Werte ausgleichen können, da ja nur maximal alle 22 Kriterien angewendet
werden können, unterstreicht die hohe Anwendbarkeit der Kriterien (18,25 von 22) nochmals.
Zudem sind spezielle textsortenspezifische Kriterien, wie z.B. das Verwenden von Reimen,
Strophen oder Metaphern, bei der Bewertung von Kreativität in Prosatexten ohnehin irrele-
vant, wodurch die TOA gar keine einhundertprozentige Anwendungsmöglichkeit bei Prosa-
texten vorsieht.
Allerdings unterscheidet sich die Anzahl der für einen Text angewendeten Kriterien durch die
fünf verschiedenen Rater. Die Abweichung bzw. Streuung der Anzahl gewählter Kriterien für
einen Text liegt nach jeweils 20 Textrating, die von fünf geschulten Ratern durchgeführt wur-
268
den, durchschnittlich bei 2,85 Kriterien (Mittelwert). Dabei tritt maximal eine Streuung von
fünf Kriterien in einem einzelnen Text aufgrund der unterschiedlichen Rater auf.
Es kann demnach geschlussfolgert werden, dass aufgrund der hohen Übereinstimmungen
verschiedener Rater die Einschätzungen nach den erarbeiteten Kriterien der TOA objektivier-
bar sind.
Der höchste Mittelwert bei der ersten globalen Lesebegegnung (EGL) wurde für den Text 16
mit 3,7 Punkten erreicht. Der niedrigste hingegen in dieser Kategorie für die Texte 4 und 12
mit jeweils 1,55 Punkten im arithmetischen Mittel, bei der kriteriengestützten Bewertung
wurde ebenfalls wie bei der EGL Text Nr. 16 als der mit dem höchsten Kreativitätspotential
eingeschätzt: 3,37 Kreativpunkte. Text 4 und Text 12 erhielten die wenigsten Kreativpunkte
im Mittel, Text 4 mit 1,39 und Text 12 mit 1,67 Kreativpunkten.
Pro Rater-Übersicht: Anzahl der Textbewertungen, bei denen die Punktzahl der kriteriengestützten TOA geringer ausfällt als diejenige der globalen Bewertung (EGL)
TOA < EGL, nach jeweils 20 bewerteten Texten mit EGL und TOA: Rater Il: 14/ 20 Raer Je: 10/20 Raer Na: 13/20 Rater Ma: 12/20 Rater Sa: 14/20
269
Anzahl verwendeter Kriterien von Text 1(T 1) bis Text 20 (T 20) mit und ohne Rater Ma261:
Tabelle 8 und 9: Übersicht über die angewendeten Kriterien (Mittelwerte) und deren Streuung mit und
ohne den Rater Ma. Größere Differenzen sind grün gekennzeichnet (T1, T4, T5, T10, T13, T16, T18).
T und eine Ziffer (T12) stehen dabei für Text und dessen Kennzahl
In der Auswertung der Rating fällt auf, dass der Rater Ma häufig von den restlichen Ratern
abweicht. Die Abweichungen beziehen sich sowohl auf die Anzahl der verwendeten Kriterien
als auch auf die die Höhe der Kreativpunktzahl nach Anwendung der TOA. In einem
Nachgespräch zur Durchführung der Rating konnten einzelne Gründe für diese
Abweichungen des Rater Ma vom Autor dieser Studie nachvollzogen werden, was Anlass
gibt, die Rating auch ohne den Rater Ma auszuwerten262. Durch die Exklusion von Rater Ma
261 eine Erläuterung und Begründung, warum einige Rechnungen mit und ohne den Rater Ma angeführt werden, wird am Ende
dieses Kapitels unter der Teilüberschrift Erfahrungen und Rückmeldungen der Rater dargestellt und begründet 262 genauere Erklärungen zum Ausschluss von Rater Ma - basierend auf dessen Auskünften - folgen wenige Seiten später unter
der Teilüberschrift „Erfahrungswerte und Rückmeldungen der Rater“
T 1 T 2 T 3 T 4 T 5 T 6 T 7 T 8 T 9 T 10
Mittelwert mit Ma
16,8 19,2 20,2 15,8 19,8 16,8 19,6 15,6 19,6 17
Mittelwert ohne Ma
17,5 20 20,25 16,75 20,75 17,5 19,5 16,5 19,5 17,5
Streuung mit Ma
4 6 3 7 6 6 4 5 3 3
Streuung ohne Ma
1 5 3 4 2 5 3 5 3 1
DifferenzK 3 1 0 3 4 1 1 0 0 2
T 11 T 12 T 13 T 14 T 15 T 16 T 17 T 18 T 19 T 20
Mittelwert mit Ma
17,8 17,2 18,2 16,8 17,4 17,2 16,4 16,8 16,8 18,6
Mittelwert ohne Ma
18 17 19,25 17,5 17,75 18,25 17 17,5 17,25 19
Streuung mit Ma
2 4 6 4 2 6 5 4 3 5
Streuung ohne Ma
2 4 3 3 1 1 3 1 3 5
DifferenzK 0 0 3 1 1 5 2 3 0 0
270
geht hervor, dass in 13 von 20 gerateten Texten die Streuung der unterschiedlichen
Bewertungen ohne Rater sinkt. In sieben Fällen263 vermindert sich die Streuung erheblich. Die
nachfolgende Tabellenübersicht zeigt zudem, dass Rater Ma bei der Anzahl der verwendeten
Kriterien insgesamt am wenigsten, bei der Höhe des Mittelwerts TOA den höchsten Wert und
beim Niegrigstwert der EGL den niedrigsten erhält. Insbesondere beim Mittelwert der
Differenz zwischen der TOA zur EGL, der am niedrigsten von allen ausfällt, bestätigt sich
diese Tendenz.
Detailanalyse der Anwendung von TOA und EGL durch die fünf Rater nach 20 Texten:
Mittel-wert K
Mittel- wert EGL
Höchst-wert EGL
Niedrigst-wert EGL
Mittel-wert TOA
Höchst-wert TOA
Niedrigst-wert TOA
Rater Il
18,95 2,68 4 T 3 1 T 11, 1 T12
2,3 3,67 T16
1,06 T12
Rater Je
17,9 2,48 4 T16 1 T12 2,44 3,44 T 9 1,22 T18
Rater Ma
15,6 2,78 4 T1, 4 T 9
0,5 T8 2,94 3,50 T9 1,23 T8
Rater Na
17,15 2,63 4 T16 1 T17 2,39 3,47 T19
1,13 T4
Rater Sa
18,7 3,05 4 T2, 4 T6, 4 T16, 4 T20
1,5 T3 2,63 3,55 T15
1,29 T3
Mittelwert Diff. EGL-TOA
Höchstwert Diff. EGL-TOA
Niedrigstwert Diff. EGL-TOA
Anzahl Texte EGL>TOA
Rater Il
0,39 1,23 T2 0 T13 14/20
Rater Je
0,04 -1,18 T2 0 T6 10/20
Rater Ma
0,16 0,9 T1 0,06 T12 12/20
Rater Na
0,24 1,2 T5 -0,03 T19 13/20
Rater Sa
0,42 1,3 T2 0,05 T15 14/20
Legende zu Tabellen 10 und 11:
Mittelwert K durchschnittliche Anzahl verwendeter Kriterien pro Text
Mittelwert TOA durchschnittlich vergebene Kreativpunktzahl mittels Kriterienraster nach 20 gerateten
263 in der Tabelle sind entsprechende Texte und Differenzen grün gekennzeichnet
Tabelle 10:
Detailübersicht über die
durchschnittliche
Verwendungsanzahl
von 22 Kriterien pro
Text und Extrema über
die Punktevergaben
nach jeweils 20
gerateten Texten
Tabelle 11:
Detailübersicht über die
Bewertungsdifferenzen
pro Rater und Extrema
der Differenz von EGL
und TOA nach jeweils
20 gerateten Texten
271
Texten je Rater
Höchstwert TOA höchste vergebene Kreativpunktzahl mit Angabe des jeweiligen Textes und dessen Kennzahl (z.B. 3,67 T16)
Niedrigstwert TOA
niedrigste vergebene Kreativpunktzahl mit Angabe des jeweiligen Textes und dessen Kennzahl (z.B. 1.06 T12)
Mittelwert EGL
durchschnittlich vergebene Punktzahl nach dem ersten Lesen ohne Kriterienraster
(Erste Globale Lesebegegnung EGL, mögliche Punktespanne vom 0 bis 4 in 0,5er Schritten)
Höchstwert EGL
höchste vergebene Punktzahl nach dem ersten Lesen ohne Kriterienraster mit Angabe des jeweiligen Textes und dessen Kennzahl (Erste Globale Lesebegegnung EGL)
Mittelwert Diff.
EGL - TOA
durchschnittliche Differenz zwischen der vergebenen Punktzahl nach dem ersten Lesen ohne Kriterienraster (EGL) und mit Kriterienraster (TOA) nach 20 gerateten Texten je Rater
Höchstwert Differenz
EGL - TOA
höchste Differenz zwischen der vergebenen Punktzahl nach dem ersten Lesen ohne Kriterienraster (EGL) und mit Kriterienraster (TOA) mit Angabe des jeweiligen Textes und dessen Kennzahl (z.B. 0,05 T15, d.h. bei Text 15 lag die Einschätzung durch die TOA um 0,05 Punkte niedriger als durch die EGL)
Niedrigstwert Diff.
EGL - TOA
niedrigste Differenz zwischen der vergebenen Punktzahl nach dem ersten Lesen ohne Kriterienraster (EGL) und mit Kriterienraster (TOA) mit Angabe des jeweiligen Textes und dessen Kennzahl (z.B. +1,23 T2, d.h. bei Text 2 lag die Einschätzung durch die TOA um 1,23 Punkte niedriger als durch die EGL)
Anzahl Texte
EGL > TOA
Anzahl der Texte von insgesamt 20 je Rater, bei denen die vergebene Punktzahl durch die kriteriengestützte Bewertung (TOA) niedriger ausfiel als durch die Spontanbewertung nach dem ersten Lesen (EGL)
Differenz EGL-TOA Rater Il Rater Je Rater Ma Rater Na Rater Sa > 1 - +
I II I I
0,99 – 0,8 - +
I I II II I I IIII
0,79 – 0,6 - +
I I III I II II
0,59 – 0,4 - +
I I II III II II IIIII IIII
0,39 – 0,2 - +
I IIII III I IIII IIIIII IIII III
0,19 – 0 - +
III II III II III II IIII IIII IIII
Tabelle 12: Übersicht über den Grad der Punkteabweichungen zwischen der Spontanbewertung
nach dem ersten Lesen (EGL) und der kriteriengestützten Bewertung (TOA) je Rater inklusive der
Information, ob die EGL gleich und höher (rot) oder niedriger (grün) als die TOA ausfällt
Durch die Auswertungen der 100 Einschätzungen nach der ersten globalen Lesebegegnung
(EGL), der 100 Rating mittels des Kriteriensystems (TOA) sowie der Gegenüberstellungen
und Korrelation der Ergebnisse beider Verfahren lässt sich folgendes feststellen:
• Es besteht keine Korrelation zwischen der Anzahl der Kriterien #K und der Höhe der TOA-Punktzahl
• Bei 18 von 20 Texten fällt die Punktestreuung bei der TOA geringer aus als die Streuung der EGL
272
• In 18 von 20 Texten fällt die Punkteeinschätzung mit der TOA geringer oder gleich als mit der EGL
• Es gibt keinen direkten Zusammenhang zwischen der Höhe der Streuung der Kreativpunktzahl und der Streuung der Anzahl verwendeter Kriterien
Erfahrungswerte und Rückmeldungen der Rater
Bei der Nachbesprechung mit den Ratern, die jeweils im Vier-Augengespräch mit dem Autor
dieser Untersuchung stattfand, sprachen diese über Erkenntnisse, Erfahrungswerte und Be-
denken, die sie während oder seit dem Anwenden der kreativitätsorientierten Textanalyse
sammeln konnten. Die Aussagen wurden aufgezeichnet, transkribiert und auf die je 20 Rating
pro Rater bezogen. In einem Leitfragen-gestützten Interview, das aber dennoch Diskussions-
charakter hatte, wurden ihnen in einem ersten Schritt Tendenzen und Ergebnisse der Auswer-
tung des Rating vorgestellt und erläutert. In einem zweiten Schritt wurden generelle Fragen
zum Arbeiten mit dem Verfahren gestellt, bevor in einem dritten Schritt die vorab von den
Ratern schriftlich beantworteten Fragen zu einzelnen Aspekten des Verfahrens und zur An-
wendung und Differenzierung von einzelnen Kriterien zur Diskussion gestellt wurden. Ziel
war es, durch die vorab schriftlich formulierten Antworten und das erneute Lesen der eigenen
Antworten durch die Rater in der Interviewsituation thematisch gezielte Redeanlässe zu schaf-
fen, um Verständnis, Anwendbarkeit und Trennschärfe der 22 einzelnen Kriterien der text-
produktorientierten Analyse, kurz TOA, auf Reliabilität und Objektivität hin zu prüfen.
Die Rater Il, Je, Na und Sa unterscheiden sich von Rater Ma durch eine höhere Diskrepanz
zwischen EGL und TOA, eine höhere Anzahl verwendeter Kriterien und eine weniger extreme
Vergabe von Punkten zwischen 0 und 4. Die Rater meldeten rück, dass sie bei der Einschät-
zungen der Einzelkriterien der TOA versucht waren, die fünf-stufige Skalierung je nach Höhe
der EGL zu wählen. Vier Rater, außer Rater Ma, gaben an, sich trotz der „drohenden“ Diskre-
panz zwischen EGL und TOA nicht hatten verleiten lassen, die fünf-stufige Skalierung der
TOA-Einzelkriterien zu Gunsten der EGL verändert zu haben. Lediglich Rater Ma gab an,
dass er bei Texten, die ihm überdurchschnittlich gut gefielen sowie bei solchen, die ihm gar
nicht gefielen, die Einschätzung durch die TOA mittels der fünf-stufigen Skalierungen be-
wusst höher oder niedriger gewählt hat. Dieser Rater Ma hat insgesamt sowohl bei der EGL
als auch bei der TOA extreme Werte im hohen sowie im niedrigen Bereich. Bei der Nachbe-
fragung des Raters Ma ließ sich feststellen, dass die extreme Bewertung der TOA vor allem
dadurch entstand, dass dieser einzelne Kriterien von der Bewertung ausnahm, wenn sie seine
EGL in ihrer extremen Höhe oder Tiefe, die die Rater jeweils vorab trafen, „gefährdeten“.
Diese Annahme wird bei einer genauen Betrachtung der vergebenen Punkte bestätigt. So
273
vergab der besagte Rater in 11 von 20 Fällen eine extreme Punktzahl im hohen Bereich von
EGL ≥ 3 und TOA ≥ 2,8 und im niedrigen Bereich von EGL ≤ 1 und TOA ≤ 1,6. Die extremen
Punktevergaben sind in diesen 11 Fällen allerdings mit einer extrem niedrigen Anzahl ver-
wendeter Kriterien #K ≥ 16 gepaart, womit sich dessen Einschätzungen um bis zu 7 Einzelkri-
terien von der Anzahl verwendeter Kriterien der übrigen vier Rater unterschied. Lediglich in
zwei Texten verwendete der Rater trotz extrem hoher Einschätzung durch EGL und TOA eine
ähnliche oder gleiche Anzahl von Kriterien wie die übrigen vier Rater.
Die Versuchung bestand nach Aussage des Raters Ma, die Punkte für die Einzelkriterien der
TOA bewusst höher oder niedriger einzustufen, um der eigenen überhöhten EGL gerecht zu
werden. Die Rater waren insgesamt enttäuscht, dass mit einer objektiven Einzelkriterienein-
schätzung kreative Phänomene im Text weniger stark überzeugten als vorher bei der globalen
Erstbeurteilung.
274
ExemplarischerEinsatzderMessinstrumenteEGLundTOA zurBe-3.5.5
wertungvonKreativitätinvierverschiedenenStudierendentexten
Abbildung 44: Modell der Kreativitätsfokussierenden Textanalyse, reduziert auf die zwei Säulen EGL
und TOA, die durch Rating getestet werden und mit denen das Maß an Kreativität in Studierenden
texten bewertet wird
Im Folgenden wird an vier unterschiedlichen Texten zu vier unterschiedlichen Schreibverfah-
ren eine -Kreativität-fokussierende-Textbewertung expliziert. Dazu hinführend wird jedes
ausgewählte Schreibverfahren einleitend didaktisch vorgestellt und diskutiert, der Verlauf der
Seminareinheit mit den Studierenden, in dessen Rahmen der zu bewertende Text erstellt wur-
de, beschrieben und der Text mittels der vorgestellten Kriterien ausgewertet. Die durch fünf
Rater geleistete Auswertung beinhaltet einerseits eine subjektive Bewertung durch die Erste
Globale Lesebegegnung (EGL) ohne Einzelkriterienbewertung und andererseits durch die
Textproduktorientierte Analyse (TOA) mittels 22 Einzelkriterien eines skalierten Kriterienka-
talogs264. Wird vom Bewerter ein Einzelkriterium für die Beurteilung eines Textes als relevant
264 das verwendete Kriterienraster TOA mit den 22 Einzelkriterien und den Skalierungen befindet sich im Anhang dieser Arbeit.
275
befunden, kann jedes Einzelkriterium die Qualität der im Einzelkriterium beinhaltenden As-
pekte mit der Punktzahl 0, 1, 2, 3 oder vier bewerten.
Textproduktorientiertes KriterienraTextproduktorientiertes KriterienraTextproduktorientiertes KriterienraTextproduktorientiertes Kriterienras-s-s-s-ter ter ter ter TOATOATOATOA
Summe PunkteSumme PunkteSumme PunkteSumme Punkte Anzahl KriterienAnzahl KriterienAnzahl KriterienAnzahl Kriterien KreativpunktzahlKreativpunktzahlKreativpunktzahlKreativpunktzahl
HauptHauptHauptHaupt---- kriteriumkriteriumkriteriumkriterium
EinzelkriteriumEinzelkriteriumEinzelkriteriumEinzelkriterium FFFFüüüünfstufige Skalierung zur Einschnfstufige Skalierung zur Einschnfstufige Skalierung zur Einschnfstufige Skalierung zur Einschäääätzungtzungtzungtzung
trifft voll zu
trifft überwie-gend zu
trifft teil-weise zu
trifft kaum zu
trifft nicht zu
Nicht an-wendbar
ErreichteErreichteErreichteErreichte PunktePunktePunktePunkte 4444 3333 2222 1111 0000 ----
1111 PhantasiePhantasiePhantasiePhantasie / Originalit/ Originalit/ Originalit/ Originalitäääätttt
1a Der Text überrascht durch unkonventio-nelle inhaltliche Zusammenhänge oder Perspektiven.
Abbildung 45: Auszug aus dem TOA Bewertungsbogen (leer) mit fünf-gradiger Skalierung und der
Möglichkeit des Ausklammerns eines nicht-relevanten Kriteriums
Am Ende der TOA wird die Summe der Punktvergaben der Einzelkriterien gebildet und diese
durch die Anzahl der verwendeten Kriterien geteilt. Das Ergebnis stellt die für den Text er-
reichte Kreativpunktzahl dar. Jedes Einzelkriterium kann bei Nicht-Relevanz für den zu be-
wertenden Test ausgenommen werden, wodurch sich die Anzahl der Teiler bei der Division
der Gesamtpunktzahl durch die Anzahl angewendeter Kriterien reduziert.
3.5.5.1 TextausSeminareinheitSchreiben und Zeichnen zu Musik – Musikalische
Phantasiereise
3.5.5.1.1 Didaktische Diskussion des Schreibverfahrens
Musik ist ähnlich wie die gesprochene Sprache eine Ausdrucksform, die durch das Hören
wahrgenommen, durch das Gehirn verarbeitet und bis zu einem gewissen Grad „verstanden“
und auch durch eine Schrift - Noten bzw. eine Tabulatur - abgebildet werden kann. Der
Sprachcharakter von Musik ist in musikwissenschaftlichen und philosophischen Kreisen viel-
fach kontrovers diskutiert worden (Holoubek 2005, 163). Die Aktivierung der Imaginations-
kraft steht beim Kreativen Schreiben im Mittelpunkt, die über verschiedene Impulse auf die
Schreibenden ausgelöst werden kann. Musik ist ein Medium, das die Aufmerksamkeit und die
Sinne des Menschen stark vereinnahmt bzw. anspricht. Durch ihre Varietät in Melodie,
Rhythmus, Klang und Stimmung wirkt sie ganzheitlich und stimuliert Gefühle und Bewegun-
gen (vgl. auch Pommerin 1996, 95). Gleichzeitig ist Musik für Jugendliche und (junge) Er-
276
wachsene ein vertrautes Medium und aufgrund der portablen digitalen Abspielgeräte, welche
noch dazu im Smart- oder Mobiltelefon integriert sind, quasi omnipräsent. Dadurch gestaltet
sich das Verfahren als didaktisch wertvoll, weil die gehörte Musik starke Bilder und Gefühle
hervorrufen kann bzw. Musik verschiedene Stimmungen transportieren oder erzeugen kann
(Wolfrum 2010, 51). Durch das imaginative Potenzial von Musik, bei dem selbstverständlich
das Genre (Klassik, Blues, Jazz, Rock, Klavier, etc.), mögliche Textinhalte (z. B. bei Rap oder
Pop) und die Art und Weise auf die Schreibaufgabe abgestimmt sein müssen, eignet es sich
besonders zum Kreativen Schreiben. Damit ist es eindeutig den assoziativen Verfahren zuzu-
ordnen, vereint kognitive und kreative Prozesse und erhöht Schreibmotivation und Lerneffekt
(Böttcher 1999, 55). Dabei hat das Schreiben zu Musik zum Teil musik- und gestalttherapeu-
tische Aspekte, da bei der Musikalischen Phantasiereise meditative Aspekte hinzukommen.
Die Verbindungen zwischen Musik und Schreiben sind somit mannigfaltig und können durch
die lehrenden Personen „durch verbale Impulse, Alternativfragen und andere Lenkungsme-
chanismen“ gesteuert werden (Pommerin 1996, 98). Da häufig die Erfahrungen mit Musik in
qualitativer und in quantitativer Hinsicht mit dem Alter zunehmen, können bei Studierenden
vielfältige Top-down-Prozesse 265 beim Hören von Musik vorausgesetzt werden.
Die Anleitung bedarf einer professionellen und gleichzeitig sensiblen Vorgehensweise hin-
sichtlich der Auswahl und der Dauer des Musikstücks. Ein überzeugender Umgang der Lehr-
person mit der Musikalischen Phantasiereise ist erforderlich, um Studierende zum kreativen
Schreiben und künstlerischen Gestalten mit Musik zu inspirieren, da sonst die Gefahr besteht,
dass die teils meditative und esoterische Stimmung bei den jungen Erwachsenen unangemes-
sen oder lächerlich wirkt. Der spielerische Ernst und die Bereitschaft zur Bewusstseinsverän-
derung und Versenkung durch die Musik ist für den Erfolg des Verfahrens eine grundlegende
Bedingung. Unter der Berücksichtigung dieser Flexibilität und Sensibilität bietet das Schrei-
ben und Zeichnen zu Musik, speziell die musikalische Phantasiereise, einen geeigneten An-
satz, der in beiden Intensivseminaren als ein Schreib- und Gestaltungsarrangement im Semi-
narraum eingesetzt wird.
3.5.5.1.2 Verlauf Schreiben und Zeichnen zu Musik
Für die Untersuchung mit Studierenden fand die Musikalische Phantasiereise, die ursprüng-
lich aus der Gestalttherapie heraus entwickelt wurde, mit der Filmmusik „Mystery Train“ von
265 unter top-down-Prozessen wird die Zuschreibung von Musik- und Weltwissen auf die akustisch wahrgenommenen Zeichen
der Musik verstanden, z.B. die Geräusche einer anfahrenden Dampflok oder die melancholisch traurige Stimmung in einem Lied.
277
Jim Jarmusch Anwendung. Trotz des Anspruchs möglichst größter Offenheit der Textproduk-
tion in Bezug auf Textsorte und Inhalt wurde das Schreiben zu Musik strukturiert bzw. ange-
leitet. Vorab wurde den Studierenden erklärt, dass es sich um eine völlig andere Technik und
Herangehensweise an das Schreiben handelt als beim vorangegangenen Verfahren des Clus-
terns. Die Studierenden wurden dazu aufgefordert eine bequeme Sitz- oder Liegeposition ein-
zunehmen, in der sie für eine Zeitspanne von etwa 5 Minuten entspannen können. Anschlie-
ßend schlossen die Studierenden ihre Augen, um die visuellen Reize der Umwelt ausblenden
zu können. Nach der Aufforderung, ruhig aber tief ein- und auszuatmen, wurde mit dem Ab-
spielen der Musik begonnen. Inhalt der Phantasiereise war eine Abreise mit einem unbekann-
ten oder ersehnten Ziel. Die Musik Mystery Train beginnt mit dem Geräusch einer anfahren-
den Dampflok, was die Abreise signalisiert und insgesamt die Atmosphäre einer Reise vermit-
telte. Zusätzlich wurde die Musik mit einem Moderationstext unterlegt, der die Teilnehmen-
den sowohl zunächst leitete, zur Abreise einlud und sie zur Reflexion über die Reise nach
dem ersten Hören der Musik und während des Schreibens führte.
Anleitung266:
Sie machen heute eine sehr große Reise. Stellen Sie sich vor, Sie sind am Bahnhof, am Bahn-
steig und warten auf Ihren Zug. Der Zug rollt ein, Sie steigen ein, sind begleitet von verschie-
denen Eindrücken, Gefühlen, Neugier, vielleicht auch von einer großen Erwartung, Anspan-
nung, Angst… vielleicht werden Sie auch nie wieder zurückkehren.
Die Reise wird begleitet von Musik, die Sie jetzt gleich hören werden.
Nach der Musikalischen Phantasiereise sollen Sie ihre Gedanken, Gefühle, ihr Erlebtes fest-
halten und zwar sowohl zeichnend als auch schreibend. Ob Sie mehr schreiben oder mehr
zeichnen, ist Ihnen überlassen. Es sollte jedoch ein nachvollziehbarer Text entstehen, der il-
lustriert ist, bzw. in dem bestimmte Situationen, Orte, Gefühle etc. zeichnerisch dargestellt
sind.
Hören Sie jetzt nur auf die Musik. Schließen Sie Ihre Augen.
Mit der Musik beginnt die Reise [Musik wird eingeschaltet].
Der Zug ist abfahrbereit, sind Sie bereit?
Hören Sie auf die Musik,
konzentrieren Sie sich ganz auf Ihre Reise und die Musik.
Wie fühlen Sie sich nach Ihrer Abreise?
266 Die Anleitung zu diesem Schreibverfahren wurde von der Schreibdidaktikerin Jutta Wolfrum konzipiert und von ihr so an die
Studierenden kommuniziert.
278
Wohin zieht es Sie?
Wie ist die Reise?
Wie fühlen Sie sich?
Wem begegnen Sie auf Ihrer Reise?
Wie begegnen Sie ihnen?
Wo würden Sie am liebsten sein?
Sie kommen an.
wie ist es da?
Wo Sind Sie?
Wer ist noch da?
Möchten Sie bleiben?
Was spricht dagegen?
Was spricht dafür?
Behalten Sie nun Ihr Bild von der Reise,
öffnen Ihre Augen und beginnen über Ihre Reise zu schreiben und zu zeichnen.“
(Die Musik läuft weiter)
Die Studierenden hatten für die Aufgabe nach dem Hören der Musik und der Kommentare 45
Minuten Zeit, die Aufgabe schriftlich und zeichnerisch zu bearbeiten.
3.5.5.1.3 Auswertung Schreiben und Zeichnen zu Musik
Für die Auswertung des Kreativen Schreibverfahrens Schreiben zu Musik wird exemplarisch
an einem Studierendentext die Kreativitätsfokussierende Textanalyse (TOA) durchgeführt.
Der Text Nr. 1 „Musikalische Reise“ einer Studierenden wird dabei zur Einschätzung kreati-
ver Leistungen herangezogen und von 5 Ratern mittels des Messinstruments EGL und TOA
bewertet. Folgende Text-Bild-Kombination lag den Ratern vor (im Portfolio wurde der Text
zusätzlich digitalisiert):
Musikalische Reise GWDes267
Endlich Ferien! Ich kann sie mehr als gebrauchen, nach den vielen Überstunden und 267 Pseudonymvergabe durch den Untersuchenden/Autor dieser Arbeit
279
durchgearbeiteten Nächten in der Agentur. Es ist früh am Morgen, ich sitze in einem leeren Zugabteil und kann es kaum
noch erwarten, dass die Fahrt losgeht. Zur Steigerung meiner Urlaubsstimmung trage ich meinen Glückshut und mein Ferien-Einstimmungs- Hawaiihemd.
Ein Urlaub kann einfach nicht schöner beginnen als mit einer schönen, ruhigen Zugfahrt. Nein, jetzt kann wirklich nichts mehr schief gehen. Nur noch ein paar Stunden und ich liege am Pool meines 4-Sterne Luxushotels. Voller Vorfreude stoße ich ein begeistertes Kichern aus, das glücklicherweise nie-mand hören kann.
Das rhythmische Rattern des Zuges lässt mich in einen sanf-ten Schlummer gleiten und in das Land der Träume schwe-ben. Herrlich7
Bis mich eine keifende Frau-enstimme aus dem Schlaf reißt. Frechheit! Ärgerlich knei-fe ich meine Augen fester zu-sammen und versuche wieder einzuschlafen.
Eine zähneknirschende Män-nerstimme antwortet ihr jedoch unüberhörbar mit einem Knur-ren von der Sitzbank hinter mir. Ich rutsche unruhig auf mei-nen Sitz herum, ziehe den Hut tiefer ins Gesicht und weigere mich die Augen zu öffnen. Viel-leicht verschwinden die zwei Zankhähne dann. Als aber auch noch lauthalses Kindergeschrei dazu kommt, ist es mit meiner Ruhe endgültig vorbei.
Ich sitze nun schweißgebadet
auf meinem Platz und bete mit zuckenden Adern darum, end-lich anzukommen. Um Timo und Doris, denn so heißen die beiden Nervtöter, und ihre streitenden Erzeuger hinter mir
zu lassen, und einen wohlverdienten Caiphi zu schlürfen. Puh, der Zug hält endlich an. Schnell raus hier und ab ins Taxi zum Hotel!
Ich checke vollkommen erschöpft in mein Hotelzimmer ein. Vielleicht muntern mich ein paar Runden im Pool wieder auf.
Ich habe wieder Mut gefasst und schlüpfe in meine Badehose. Fast schon fröhlich schließe ich die Tür und will im chicen Hotel-Bademantel zum Pool stolzieren.
Doch dann höre ich ein Gekicher hinter mir und mein Auge beginnt zu zucken. Ich drehe mich langsam um und Blicke meinen Erzfeinden direkt ins Auge. Sie schlie-ßen gerade die Tür neben mir auf.
Ich stürze zurück in mein Zimmer, reiße mir den Bademantel vom Leib und rase
280
ohne auszuchecken mit dem Taxi zurück zum Bahnhof.
Es wird die schlimmste Zugfahrt meines Lebens. Ständig drehe ich mich ängstlich zu den Abteiltüren um und wage es nicht, sie aus den Augen zu lassen.
Diese Fahrt werde ich wohl niemals vergessen, sie hat mich bleibend verändert. Ich vermeide seitdem jegliche Zugfahrt und mache Urlaub weit oben in den Bergen auf einer einsamen Hütte.
Der Prosatext der Studierenden greift das Thema Zugfahrt auf, das durch die Musik und die
Anleitung im Seminar angestoßen wurde. Der Text bildet assoziativ eine fiktive Erfahrung
eines einzelnen Protagonisten ab, der aus der Ich-Perspektive erzählt wird und der eine Trau-
mata produzierende Begegnung mit einer mitreisenden Familie mit zwei Kindern darstellt.
Der Sachverhalt ist sehr einfach und teilweise stereotyp geschildert, wobei die Rater zwar alle
Einzelkategorien der ersten Hauptkategorie Phantasie/Originalität anwendeten, diese aber
aufgrund der gekünstelt wirkenden Übertriebenheit und Stereotypheit nur mit niedrigen
Punktzahlen bewerteten. Die eher niedrigen Mittelwerte von 1,8 der EGL und nur 1,25 für die
TOA ohne Rater Ma268 und die dabei niedrige Streuung unter den Ratern bestätigen das. Auf-
fällig ist, dass die spontane Einschätzung nach dem ersten Lesen (EGL), im Gegensatz zu
anderen gerateten Texten, bei denen die Differenz zwischen EGL und TOA eher hoch ist,
ebenfalls sehr gering ausfällt und insgesamt zweieinhalb Kreativpunkte (EGL des Raters Ma)
nicht übersteigt. Die höchste Punktzahl bei der freien und der kriteriengestützten Bewertung
erzielt mit Abstand der Rater Ma (vergibt als einziger bei der EGL über zwei Punkte), der
gleichzeitig auch als einziger 21 Kriterien in seine Bewertung mit einbezieht. Auch wenn sich
die Autorin um eine bildliche und adjektivreiche Sprache bemüht, in der auch Wortzusam-
mensetzungen wie bspw. „Ferien-Einstimmungshawaii-Hemd“ oder Metaphern „mit zucken-
den Adern“, wodurch dem Text Bewertungen im Bereich sprachliche Ästhettik und Stilmitte-
leinsatz durch eine Vielzahl von Einzelkategorien fast einvernehmlich zugesprochen werden,
bleiben die sprachlichen Darstellungen oft phrasenhaft („zum Pool stolzieren“, eine zähne-
knirschende Männerstimme“), was den Grad der kreativen Leistung in diesem Bereich schmä-
lert. Warum genau die Aktivitäten der Familie den Protagonisten der Geschichte zum Ver-
zweifeln bringen, wird nicht näher beschrieben, wodurch die extreme Panik und die fast schon
lebensbedrohlichen körperlichen Reaktionen („schweißgebadet“, „mit zuckenden Adern“)
aufgesetzt und unpassend erscheinen. Ungereimtheiten und Widersprüche, z.B. die Kinder als
„Erzfeinde“ oder die bleibende Veränderung durch ein paranoiaartiges Umdrehen nach den
268 Die Sonderstellung des Rater Ma und eine Begründung, warum die errechneten Beurteilungen dieses Ratern häufig exklusi-
ve Rater Ma ausgewiesen werden, wird am Ende des Kapitels 3.5.5 genauer erklärt und gerechtfertigt.
281
Kindern auf der Rückfahrt, die für den Protagonisten „die schlimmste Zugfahrt meines Le-
bens“ darstellen, überzeugen kaum im Hinblick auf Kreativität und Originalität, obwohl eine
Attraktivität zum Weiterlesen gegeben ist. Ein spielerischer Umgang mit Sprache ist für die
bewertenden Rater nur zum Teil erkennbar und bereichern den Text daher eher verhalten. Bei
der Gestaltung und der Form des Textes kann der Text durch gelungene Illustrationen aller-
dings die Kreativität steigern, da die Bilder die Aussage des Textes durchaus unterstreichen
und durch weitere bildlich dargestellte Ideen bereichern. Alle vier Einzelkategorien der
Hauptkategorie Gestaltung/Form wurden daher in die Bewertung des Textes hinsichtlich kre-
ativer Leistungen einvernehmlich von allen Ratern einbezogen.
EGL TOA Anzahl Kriterien
Kriterien Ohne Ma
Abweichung EGL – TOA
Texte mit EGL > TOA
iEGL iTOA iTOA ohne Ma
# iK #KohneM iEGL ≠ iTOA
Der Wind
ist Zeuge
Text 1 Musikalische Reise Rater Il 1,5 1,25 1,25 20 + 0,25
4/5
Rater Je 1 1,05 1,05 20 - 0,05 Rater Ma 2,5 1,71 21 + 0,79 Rater Na 2 1,53 1,53 19 + 0,74 Rater Sa 2 1,47 1,47 19 + 0,53 Mittelwert Streuung
1,8 1,5
1,4 0,66
1,25 0,48
19,8 2
19,5 1
Tabelle 13: Auswertungsergebnisse der textproduktorientierten Analyse des Studierendentextes Nr. 1
durch fünf Rater mittels EGL und Kriterienraster TOA
282
Tabelle 14: Übersicht über verwendete Kriterien bei der Einschätzung des studentischen Textes Nr. 1
"Musikalische Phantasiereise“
3.5.5.2 SeminareinheitSituativesSchreibenundIllustrieren
3.5.5.2.1 Didaktische Diskussion des Schreibverfahrens
Die Stimuli zum Situativen Schreiben ergeben sich hauptsächlich aus der direkten Umgebung,
in die die Studierenden gebracht werden bzw. in die sie sich begeben. Ausgerüstet mit
Schreib- und Zeichengeräten sowie verschieden formatigem Papier beginnt nach der Wahl
eines Betrachtungsorts269 die kreative Arbeit in Text und Bild. Vor Ort sind eine Vielzahl von
Reizen gegeben, die über mehrere Sinne wahrgenommen und die durch eventuelle Erinnerun-
gen beeinflusst werden, falls den Schreibenden der Ort bekannt ist bzw. sie Vorwissen über
diesen Ort haben. In Kombination mit einer konkreten Aufgabenstellung regen die Stimuli der
Situation die Studierenden zum Assoziieren und Phantasieren an, die für die Text- und Bild-
produktion genutzt werden. Die entstehenden Texte und Bilder sollen dabei keinesfalls eine
nüchterne Beschreibung der Situation darstellen, sondern eine (Um-)Erfindung der zu Beginn
des Schreibprozesses präsenten Wirklichkeit sein. Beispielsweise schrieb J.K. Rowling ihren
ersten Harry Potter Band in einem Café in Edinburgh (vgl. Anderson 2006, 21), Peter Bichsel
schreibt bevorzugt im Zug und auch Thomas Bernhard entfloh der Einsamkeit des Autorsin
einschlägige Cafés, um sich dem Schreiben widmen zu können.
269 Mit einem Betrachtungsort ist die Wahl eines Observationspunktes auf der Straße, in der Natur oder einer gewählten Situati-
on gemeint, von dem aus Beobachtungen als Impuls für das Schreiben oder Illustrieren gemacht werden. Häufig ist dieser Betrachtungsort gleichzeitig der Ort, an dem der Textentwurf oder Notizen geschrieben werden.
283
Das situative Schreiben oder auch Schreiben in einer besonderen Situation, an einem be-
stimmten Ort soll der Routine des Schreibens im Seminarraum entgegenwirken und zur
Schreibmotivation und Inspiration beitragen. Diese durch besondere Situationen initiierten
Schreibimpulse können dabei positive Assoziationen beim Schreibenden hervorrufen. Aber
ebenso motivieren bedrückende Assoziationen und negative Gefühle das Schreiben und be-
dingen Schreibflows, die durch die Auswahl bestimmter Schreibsituationen und Schreiborte,
Irritationen und Konfrontationen bei den Schreibenden auslösen, was von Lehrenden des Kre-
ativen Scheibens bewusst herbeiführt wird. Für die Intensivseminare werden im Sinne des
Situativen Schreibens und künstlerischen Gestaltens das Kreative Schreiben und Zeichnen
über das Leben in einem bestimmten Stadtteil, das Schreiben und Zeichnen über Passagiere,
mit denen die Studierenden im öffentlichen Nahverkehr fahren, oder das Verschriftlichen von
Gedanken an öffentlichen Plätzen, Museen, Mahnmälern und Gedenkstätten angeleitet und
durchgeführt. Beim zweiten Durchgang der Intensivseminare wird für das situative Schreiben
und ästhetische Gestalten mit Studierenden eine Begehung der Tribüne eines Nürnberger
Mahnmals zur Erinnerung an die Naziverbrechen von den beteiligten Forschern ausgewählt.
3.5.5.2.2 Verlauf Situatives Schreiben und Illustrieren
Für den vorliegenden Text bestand die Schreib- und Illustrationsaufgabe darin, auf der Tribü-
ne des Zeppelinfeldes auf dem Reichsparteitagsgelände in Nürnberg sich selbst mit dem Ort
und seiner Historie in Beziehung zu setzen und diese Wahrnehmung künstlerisch in Text und
Bild darzustellen. Dabei spielen jegliches subjektives Vorwissen über Ort, Zeit, Geschichte
und über das Thema Nationalsozialismus eine zentrale Rolle. Es kann davon ausgegangen
werden, dass das Vorwissen der Studierenden neben den situativen Eindrücken Grundlage für
Themenentwicklung und Themenrealisierung in Text und Bild ist. In einer Zeit von 90 Minu-
ten konnten die Seminarteilnehmer auf dem Gelände um die Tribüne als zentralen Ort Stand-
orte, Rückzugsorte oder gewählte Schreib- und Illustrationstechniken selbst wählen. Mit
Schreib- und Illustrationstechniken ist hier gemeint, dass sowohl bereits kennengelernte
Schreibverfahren, Textsorten und Illustrationstechniken (soweit das logistisch möglich war),
vor allem die der Schraffur, ausprobiert und angewendet wurden. Nach der Rückkehr in den
Seminarraum konnten die Texte und Illustrationen vorgestellt und erläutert und weiterbearbei-
tet werden (z.B. Texte weiterschreiben und überarbeiten, farbliche Drucke auf der Grundlage
der mit Graphit schraffierten Reliefs/Strukturen erstellen).
284
3.5.5.2.3 Auswertung Situatives Schreiben und Illustrieren
Exemplarisch wird der Text Nr. 3 „Der Wind ist Zeuge“ eines Studierenden zur Einschätzung
kreativer Leistungen herangezogen und von 5 Ratern mittels des Messintruments EGL und
TOA bewertet. Folgende Text-Bild-Kombination lag den Ratern vor (im Portfolio wurde der
Text zusätzlich digitalisiert):
Der Wind ist Zeuge RPDes
kaum jemand sonst lebt noch
der es gesehen hat
Mir soll er nicht
mehr erzählen
als ich schon
weiß
Mir soll er nicht
mehr erzählen
Warum hörst du nicht auf
zu erzählen
Sing deine Strophen
Wind
sing deine Strophen
Wind
Sing
Wind
Sing
Wind
Sing
Wind
Sing
Wind
285
Es ist so lange her
Es ist nicht so lange her
Es ist so lange her
Es ist nicht lange her
Der Text erscheint durch sein Enjambement auf den ersten Blick als lyrische Form. Er ist eng
mit einer Druckgrafik verbunden, die sich durch ein dichtes Muster verschiedener Abroll-
strukturen auszeichnet. Die teils fünffachen Wiederholungen und sinnlichen Verkürzungen im
Text machen bestimmte Aussagen sehr stark und verdeutlichen die in der Textsorte Lyrik
bewusst zur Verstärkung eingesetzten Stilmittel. Inhaltlich drückt der Text das Spannungs-
verhältnis zwischen dem Autor und einem historisch belasteten Platz aus der Zeit des Natio-
nalsozialismus aus, an dem sich der studentische Schreiber während seines Textentwurfes
befindet. Das Relief der Grafik wurde ebenfalls vor Ort an Gebäudeteilen ehemaliger Nazi-
Architektur mittels Schraffur-Technik erstellt und erst später farblich durch Drucktechniken
umgesetzt.
Die Einschätzung der kreativen Leistung im Text Nr. 3 wurde durch die fünf beteiligten Rater
im Sinne der Kreativitätsfokussierenden Textanalyse mit sehr unterschiedlichem Ergebnis
geleistet. Sowohl bei der ersten globalen Lesebegegnung (EGL) als auch bei der anschließend
durchgeführten kriteriengeleiteten Textanalyse weichen die Rater bei der Bewertung der krea-
tiven Leistungen im Text größtenteils stark voneinander ab. Während der Rater Ma (EGL
3,5/4 und TOA 3,3/4) fast maximale Leistungseinschätzungen abgibt, bewertet Rater Sa diese
sehr niedrig (EGL 1,5/4 und TOA 1,29/4). Insgesamt wird die kreative Text-Bild-
Komposition sowohl bei der EGL mit dem Mittelwert 2,7 und bei der TOA mit 2,31 über
durchschnittlich hoch eingeschätzt. Die Streuung zwischen den einzelnen Ratern liegt bei
diesem Text bei 2,01 und verringert sich durch das Streichen des Raters Ma270 auf 1,66. Trotz
dieser verhältnismäßigen hohen Streuung ist die einheitliche Anzahl einbezogener Kriterien
auffällig. Die fünf Rater schließen jeweils maximal drei von 22 Kriterien als nicht anwendbar
aus dem Kriterienkatalog aus und wenden schlussendlich für ihre Einschätzung 101 von 110
Kriterien an, was 92% entspricht. Insbesondere in den Hauptkategorien Leseattraktivi-
tät/Wirkung und Form/Gestaltung wurden von allen Ratern alle Kriterien angewendet (jeweils
100%) und größtenteils positiv skaliert. In der Hauptkategorie für die Bewertung sprachlicher
Ästhetik und Phantasie dagegen wird die Einigkeit über die Anwendbarkeit und die skalierte
270 Erläuterung und Begründung der Sonderrolle de Raters Ma findet sich am Ende des Kapitels 3.5.5
286
Einschätzung der Einzelkriterien 2d und 2h schwächer und senkt die in der EGL hoch einge-
schätzte kreative Leistung des Textes in diesen ersten beiden Hauptkategorien der TOA ab.
EGL TOA Anzahl Kriterien
Kriterien Ohne Max
Abweichung EGL – TOA
Texte mit EGL > TOA
iEGL iTOA iTOA ohne Ma
# iK #KohneMa iEGL ≠ iTOA iEGL > iTOA
Text 3 Der Wind ist Zeuge Rater Il 4 2,95 2,95 22 + 1,05
4/5
Rater Je 3 2,63 2,63 19 + 0,37 Rater Ma 3,5 3,3 20 + 0,2 Rater Na 1,5 1,68 1,68 19 - 0,18 Rater Sa 1,5 1,29 1,29 21 + 0,21 Mittelwert Streuung
2,7 2,5
2,37 2,01
2,14 1,66
20,2 3
20,25 3
Tabelle 15: Auswertungsergebnisse der textproduktorientierten Analyse des Studierendentextes Nr. 3
durch fünf Rater mittels EGL und Kriterienraster TOA
Tabelle 16: Übersicht über verwendete Kriterien bei der Einschätzung des studentischen Textes Nr. 3
"Der Wind ist Zeuge“, dessen Entwurf beim Situativen Schreiben an der Gedenkstätte
"Reichsparteitagsgelände Nürnberg" entstanden ist
Die bewusst mit Enjambement verfasste und in zwei Strophen gegliederte Notiz des studenti-
schen Autors und Illustrators am situativen Schreibort auf dem Zeppelinfeld des Reichspartei-
tagsgeländes Nürnberg gibt über Befindlichkeiten und damit Teile des Schreib- und Illustrati-
onsprozesses Auskunft, was die Intensität und gleichzeitig das Potential situativer Schreiborte
Kriterien
1 2 3 4 ange-wandte
Kriterien
a b c d a b c d e f g h a b c d e f a b c d
Text 3
Rater Il
x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x 22/ 22
Rater Je
x x x x x x x x x x x x x x x x x x x 19/ 22
Rater Ma
x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x 20/ 22
Rater Na
x x x x x x x x x x x x x x x x x x x 19/ 22
Rater Sa
x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x 21/ 22
5/5 5/5 4/5 5/5 3/5 5/5 5/5 2/5 5/5 4/5 5/5 3/5 5/5 5/5 5/5 5/5 5/5 5/5 5/5 5/5 5/5 5/5 101/ 110
287
zum Ausdruck bringt. Aufgrund dass der Text keinem Rating unterzogen wurde und daher
auch nicht als Reflexionstext herangezogen wird, ist er an dieser Stelle als ergänzende Infor-
mation zum Schreibverfahren Situatives Schreiben und Gestalten zu verstehen.
„Ich habe ein eigenartiges Gefühl, RPDes
wenn ich mich diesen alten
Bauwerken nähere.
Der Stein, die Größe, die
kalte, stille Macht, die davon
ausgestrahlt wird, ist erschreckend.
Ich weiß kaum, was genau hier
stattgefunden hat; war selten hier;
und wenn ich genauer darüber
nachdenke, kann das ruhig im
Dunkeln bleiben, genau wie
die Farbwahl meines Bildes. Ich
fühle mich unwohl,
die damaligen Ansprachen
Hitlers oder das Aussehen
der Menschenmasse
im Kopf zu illustrieren, besonders
wenn ich jetzt genau vor Ort stehe Gefühle und Gedanken vor Ort, keine sprachlichen Beson-
derheiten.“
3.5.5.3 SeminareinheitÉcritureAutomatique
3.5.5.3.1 Didaktische Diskussion der Schreibaufgabe
Historisch betrachtet reicht des Automatische Schreiben oder auch Écriture automatique bis
ins Jahr 1889 zurück, als der französische Psychologe Pierre Janet begann, es für psychothe-
rapeutische Zwecke einzusetzen. Das Verfahren wurde 1920 von André Breton wieder aufge-
griffen und für den literarischen Surrealismus adaptiert. Charakteristisch für das Écriture au-
tomatique ist, dass Gedanken, Bilder und Vorstellungen niedergeschrieben werden, wobei
Zensur, Formalia und Orthografie außer Acht gelassen werden. Ähnlich wie bei einem Ge-
288
dankendiktat, dessen Text von einer schreibenden Hand festgehalten wird, regt das Automati-
sche Schreiben im Unterschied zu anderen assoziativen Verfahren (Clustern, Mind-Map) also
nicht zum Niederschreiben einzelner Begriffe an, sondern zu der schnellen Produktion von
meist unbewussten Gedanken(fetzen)271: Es soll dabei so schnell geschrieben werden, dass
sich die Schreibenden überhaupt nicht versucht fühlen, vom schon Geschriebenen etwas be-
halten zu wollen. Durch die Schnelligkeit des Schreibens - für die Breton in seinem „1. Mani-
fest des Surrealismus“ plädiert - werden Unsicherheiten, die auf einem kritischen und selek-
tierenden Verstand basieren, von vornherein ausgeschaltet. Zielsetzung dieses Schreibspieles
ist es, ohne Überlegen zu schreiben und schnelles Schreiben zu trainieren. Neben diesen för-
dert das kollektive Schreiben eines Klatschtextes die Bereitschaft in einer Gruppe, zusammen
zu schreiben, flexibel auf Geschriebenes zu reagieren und letztlich auch Konkurrenz unter den
Schreibenden abzubauen, da es letztendlich nur gemeinsame Schreibprodukte entstehen. Bei
kollektiven surrealistischen Schreibverfahren sind neben Schnelligkeit auch Flexibilität und
Zusammenarbeit gefordert. Dennoch gilt auch hier, dass die eigene (auch unbewusste) Ge-
dankenwelt den Schreibprozess jedes einzelnen Teilnehmers leitet.
Vorteile des Automatischen Schreibens sind das Überwinden von Schreibblockaden und
Schwierigkeiten, eine Schreibidee zu finden, und die quasi zwanghafte Schreibaktivität, die
beim Formulieren und bei der sprachlichen Gestaltung eigener Gedanken wesentlich unter-
stützend wirkt.
3.5.5.3.2 Verlauf Écriture Automatique
Dieses schnelle, unkontrollierte Schreibverfahren ist als experimentelle Aktivität Teil der bei-
den Forschungsseminare 2011 und 2012 zum Kreativen Schreiben und Ästhetischen Gestal-
ten, wobei auf die kollektive Variante verzichtet wurde. Das Schreibverfahren wurde jeweils
am Ende des Seminars eingesetzt, nachdem die Studierenden bereits zu vielfältigen Anlässen
geschrieben hatten und gewissermaßen sensibilisiert und selbstbewusster sich einer Schrei-
baufgabe annähern konnten. Als Schreibanregung bzw. als Einstieg wird die Originalanre-
gung von Breton aus dem 1. Manifest des Surrealismus vorgelesen:
Beschaffen Sie sich Schreibzeug, setzen Sie sich an einen Platz, wo Sie sich möglichst unge-
stört in sich selbst versenken können, entspannen Sie sich völlig, seien Sie ganz passiv und so
hinnehmend und aufnahmebereit wie möglich! Lassen Sie sich nicht durch den Gedanken an
Ihre etwaige Genialität beirren! Sehen Sie von Ihren eigenen und den Talenten aller anderen 271 siehe auch Merz-Grötzsch 2005, Wolfrum 2010
289
Menschen ab! Sagen Sie sich eindringlich, daß die Schriftstellerei der trübseligste Weg ist,
der zu allem führt! Schreiben Sie rasch nieder, was Ihnen einfällt, und besinnen Sie sich gar
nicht auf ein Thema! Schreiben Sie so schnell, daß Sie sich überhaupt nicht versucht fühlen,
vom schon Geschriebenen etwas behalten zu wollen, oder es noch einmal durchzulesen! Der
erste Satz kommt Ihnen ganz von selbst. Wie es mit dem zweiten geht, läßt sich zwar schon
schwerer sagen (...) Doch machen Sie sich darüber keine Sorgen! Schreiben Sie einfach un-
entwegt weiter! Verlassen Sie sich ganz auf die Unerschöpflichkeit des Wisperns, Raunens
und Murmelns in Ihnen! Und wenn dies doch einmal zu verstummen droht, etwa weil Sie über
einen Schreibfehler stolpern (...) oder ein Wort, das Sie schrieben, Ihnen äußerst befremdlich
vorkommt, dann schreiben Sie einfach irgendeinen Anfangsbuchstaben, z.B. ein L, gerade
immer nur ein L, und stellen die anfängliche Willkürlichkeit dadurch wieder her, daß Sie die-
ses L dem beliebigen Wort, was Ihnen sogleich in die Feder fließen wird, als Anfangsbuchsta-
ben aufnötigen...(Breton 1986, 28f.)
Die Schreibzeit von fünf Minuten wird den Studierenden angekündigt, was zunächst sehr
knapp erscheint, aber durch das intensive, ununterbrechende und schnelle Schreiben bereits
auch für geübte Handschreiber eine beträchtlich lange Schreibzeit darstellt. Nachdem alle mit
einem großen Blatt Papier versorgt waren, gab die leitende Schreibdidaktikerin das Startsig-
nal, in dem sie in die Hände klatschte.
3.5.5.3.3 Auswertung
Exemplarisch wird der Text Nr. 9 „Die Automatische Hand“ einer Studierenden zur Einschät-
zung kreativer Leistungen herangezogen und von 5 Ratern mittels des Messintruments EGL
und TOA bewertet. Das Automatische Schreiben findet in dem Text als witziges Gedanken-
spiel um die linke und rechte Hand Anwendung. Folgende Text-Bild-Kombination lag den
Ratern vor (im Portfolio wurde der Text zusätzlich digitalisiert und zum Text eine Zeichnung
angefertigt):
290
Die Automaische Hand KRDes
„AHAHAHHHHH Hilfe Hilfe die Zeit rennt wassss soll ich nur tun schreiben schreiben wie
die Gedanken fliegen Schreibschrift geht schnell kaum absetzen schreiben schreiben schneller
schneller meine Hand ermüdet weiter weiter kann keine Gedanken fassen unglaublich ist es
der Flow? ohne Strich und Komma ohne groß und klein ohne Regeln ohne Regeln einfach
schreiben 5 Minuten oh lange 5 Minuten wann darf sich die Hand wieder entspannen? Hand
mag malen Hand mag zeichnen kann nicht so schnell schreiben wie die Gedanken sagen.
zu langsame Hand lahme Hand. wirre Gedanken viele Gedanken ständige Gedanken Gehirn
müsste schreiben gleich direkt so schnell kann die Hand nämlich nicht 5 Minuten Ohh lange 5
Minuten müde Hand matte Hand Hand will Wochenende glaube an dich du rechte Hand bist
mein Werkzeug bist meine rechte Hand ja die linke schaut nur zu die linke darf jetzt auch mal.
Hallo ich bin die linke Hand ich bemühe mich KLATSCH“
Der in mehrerer Hinsicht besondere Text besticht zum einen durch die Gesamtidee des inne-
ren Monologs über die eigene schreibende Hand. Zum anderen thematisiert der Text eine
Vielzahl von Detailinformationen des Schreibprozesses, welche das schnelle Schreiben unter
Zeitdruck, speziell kognitive und physische Herausforderungen in teilweise witziger Manier
schildern. Dafür werden charakterisierende Ausrufe (AHAHAHHHHH; Ohh; Hallo), das Sto-
cken von Gedanken durch Laut- (wassss) und Wortwiederholungen (Hand Hand; ohne Re-
291
geln ohne Regeln; weiter weiter; schreiben schreiben schneller schneller) oder stilistisch at-
traktive Variationen (müde Hand matte Hand; wirre Gedanken viele Gedanken ständige Ge-
danken; 5 Minuten oh lange fünf Minuten; Hand mag malen Hand mag zeichnen) im Text
verwendet.
Die Idee des Textes besticht und wird dementsprechend von den fünf bewertenden Ratern mit
einer sehr hohen Punktzahl nach dem ersten Leseeindruck eingestuft. Der Mittelwert von 3,1
von 4 möglichen Punkten ist einer der höchsten der ganzen Untersuchung. Die Leseattraktivi-
tät und -wirkung und die Eindrücke der Grafik zum Text wirkten sich sehr positiv auf die drit-
te und vierte Hauptkategorie des Kriterienrasters aus. Insgesamt wird die kreative Leistung im
Text nach dem Hinzuziehen der kriterialen Bewertung mit 3,02 Mittelwert beachtlich hoch
eingeschätzt. Besonders auffällig sind die voneinander abweichen Punkteverteilungen bei der
jeweiligen Rater-individuellen Bewertung EGL und TOA, die überdurchschnittlich hoch und
in Kontrast zu den anderen Rating stehen. Die Streuung beträgt 1,2 Punkte mit Rater Ma und
1,14 ohne. Die Tatsache, dass es sich bei Text 9 nicht um einen lyrischen Text handelt,
schließt mehrere Kriterien, z.B. 2a und 2b aus, worüber sich außer Rater Ma alle Rater einig
sind. Daher sind im Gesamtergebnis „nur“ 94 von 110 möglichen Kriterien angewendet wor-
den. Die Darstellung der automatischen Hand als fiktive Wirklichkeit überzeugt dagegen nur
drei von fünf Ratern, ebenso der bewusste Einsatz bestimmter sprachlicher Register (Kriteri-
um 2d) oder von Polyvalenzen (2h).
EGL TOA Anzahl Kriterien
Kriterien Ohne Max
Abweichung EGL – TOA
Texte mit EGL > TOA
iEGL iTOA iTOA ohne Ma
# iK #KohneM iEGL ≠ iTOA
Text 9 Automatisches Schreiben Rater Il 2,5 2,3 2,3 20 + 0,2
4/5
Rater Je 3,5 3,44 3,44 21 + 0,06 Rater Ma 4 3,5 20 + 0,5 Rater Na 3,5 3,44 3,44 18 + 0,06 Rater Sa 2 2,42 2,42 19 - 0,42 Mittelwert Streuung
3,1 2
3,02 1,2
2,9 1,14
19,6 3
19,5 3
Tabelle 17: Auswertungsergebnisse der textproduktorientierten Analyse des Studierendentextes Nr. 9
durch fünf Rater mittels EGL und Kriterienraster TOA
292
Tabelle18: Übersicht über verwendete Kriterien bei der Einschätzung des studentischen Textes Nr. 9
"Automatische Hand“, dessen Entwurf beim Écriture Automatique während eines Forschungsseminars
entstanden ist
Kriterien
1 2 3 4 ange-wandte
Kriterien
a b c d a b c d e f g h a b c d e f a b c d
Text 9
Rater Il
x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x 20/ 22
Rater Je
x x x x x x x x x x x x x x x x x x 18/ 22
Rater Ma
x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x 20/ 22
Rater Na
x x x x x x x x x x x x x x x x x x 18/ 22
Rater Sa
x x x x x x x x x x x x x x x x x x x 19/ 22
5/5 5/5 3/5 5/5 1/5 1/5 5/5 3/5 5/5 5/5 5/5 3/5 5/5 5/5 5/5 5/5 5/5 5/5 5/5 4/5 5/5 5/5 94/ 110
293
3.5.5.4 SeminareinheitSchreibenundZeichnenzueinemliterarischenImpuls
3.5.5.4.1 Didaktische Diskussion des Schreibverfahrens
Beim kreativen Schreiben mit Literatur wird ein produktiver, aber eher experimenteller Um-
gang mit Literatur durch die Studierenden angestrebt, bei dem imitiert, adaptiert oder impro-
visiert werden kann. Über die Rezeption literarischer oder lyrischer Texte gelangen die Stu-
dierenden zu einer eigenen Textproduktion, „in der sie das rezeptiv Erfahrene wieder in re-
flektierte Prozesse der Versprachlichung ihrer eigenen Wirklichkeit einbringen (Ingendahl et
al. 1974, 175). Dazu gehört das vielseitige Spektrum des produktionsorientierten Umgangs
mit Literatur, wobei der Eingriff in den Text auf inhaltlicher oder/und formaler Ebene durch
die Studierenden erfolgen kann, wie z.B.:
I) Umformungen
• Transformation: a) Veränderung von Texten oder Textstellen, Verfremden und Um-schreiben eines Textes oder Kontextes (inhaltlich: z.B. aus einer anderen Perspektive, in einer anderen Zeit etc./ formal: in einer anderen Textsorte etc./ inhaltlich und for-mal: Szenische Inszenierung eines Textes etc.) und b) Tagebucheinträge oder Briefe aus der Perspektive der im Text befindlichen Protagonisten schreiben
• Textfiguren einen anderen Charakter geben, in die Rolle von Textfiguren schlüpfen und aus deren Perspektive agieren
• Rekonstruktion/Restauration: Wiederherstellen von Texten, die nur auszugsweise vor-gegeben werden, Finden eines Anfangs, Schlusses, Mittelteils für einen vorgegebenen Textausschnitt
• (Texte kritisieren, rezensieren, illustrieren)
II) Schreiben von Lyrik mit formalen Vorgaben
Die Textproduktion lyrischer Formen mit deren viele Stile und Ausprägungen hinsichtlich
Metrum, Reim, Enjambement, Satzform, Semantik oder das Gedicht als Sprachexperiment ist
ein weiterer Schwerpunkt der schriftsprachlichen Aktivitäten, die sowohl in den Intensivse-
minaren ausprobiert als auch in den Phasen der selbstständigen Text- und Bildproduktion an-
gewendet werden. Dabei besteht das Dilemma zwischen der scheinbar unkreativen mühsamen
Aneignung lyrischer Mittel (Klangformen, Wortformen, Bildformen, Satzformen, Strophen-
formen, Versformen) und deren begrenzter und Anwendung und der „freien scheinbar kreati-
ven Lyrikproduktion“ darin, dass es bei der freien Lyrikproduktion häufig kaum lyrische
Kunstmittel verwendet werden und es somit auch selten zu tiefgreifenden Erfahrungen bei
den Schreibenden kommt. Aus methodisch-didaktischer Perspektive bedeutet das für die In-
tensivseminare, die für die Untersuchungen zu kreativen Schreibprozessen Studierender
294
Grundlage waren, dass Strukturvorgaben oder Textmuster zum einen kreativitätshemmend
und zum anderen zu einer elaborierteren produktiven Auseinandersetzung mit Lyrik führen
können272. Parallelgedichte, Gegengedichte, Strukturvorgaben durch literarische (Kleinst-
)Formen wie Elfchen, Sonett, Triolett oder Stanze und Vorgaben zur bewussten Reduktion als
Interpretations-und Produktionsverfahren stehen hierfür beispielhaft.
III) Schreiben nach motivierenden Satzanfängen
Das kreative Schreiben erfordert und schult, insbesondere in der Ideen-generierenden Phase,
die Wahrnehmungsfähigkeit der Schreibenden, indem durch Themen und Schreibziele um-
welt- und wirklichkeitsrelevante Bezüge zwischen dem Schreibenden und seinem (entstehen-
den) Text gebildet werden. Motivierende Satzanfänge geben in diesem Fall den an der Unter-
suchung teilnehmenden Studierenden einen Aufmerksamkeit fordernden Impuls, der die
Schreibenden irritiert, provoziert, zum Nachdenken anreget oder ermutigt. Der Vorteil an die-
ser Methode ist, dass der häufig schwierige Einstieg in den Schreibprozess mit dem Schreiben
nach motivierenden Satzanfängen erfahrungsgemäß selten auftritt. Dies kann z.B. in Form der
ersten Zeile eines Gedichts, einer Hypothese, der Formulierung einer Bedingung oder einer
für die Zielgruppe interessanten Metapher sein. Das Finden ungewöhnlicher Vergleiche kann
durch Ausschnitte authentischer Texte angeregt werden. Die Versetzung in ein bekanntes Le-
bewesen oder in eine andere Person oder das Bilden von Allegorien zählen ebenfalls darunter.
(Als Tiger würde ich…; Wären die Menschen aus Papier…; Du musst das Leben nicht ver-
stehn´…; Was ich dir immer sagen wollte…)
3.5.5.4.2 Verlauf Schreiben und Zeichnen zu einem literarischem Impuls
Das Schreiben zu einem literarischen Impuls war keine Einzelmaßnahme, sondern wurde mit
den teilnehmenden Studierenden in einer Art Set durchgeführt, bei dem visuelle, auditive,
literarische oder schlicht thematische Impulse in Form von Postkartenmotiven, Fotos, Geräu-
schen, Vertonungen von Lyrik, Hörbuchauszügen durch die Begegnung mit dem Beginn eines
lyrischen Texts Assoziationen, Erinnerungen oder Gefühle bei den Studierenden initiiert wur-
den. Das Schreiben zu einem literarischen Impuls wurde dabei bewusst nicht an den Beginn
dieses Sets positioniert, sondern an das Ende, womit ein vorheriges „Warmschreiben“ voraus-
gegangen war. Der nun zu einer stärkeren Abstraktion zum Philosophieren auffordernde Ly-
rikversatz „Du mußt das Leben nicht verstehn…“ von Rainer Maria Rilke wurde nach mehr-
272 vgl. dazu auch Chromik 2012, 104f.
295
maligem Lesen mit der Bemerkung an die Studierenden ausgegeben, die Gedanken zu notie-
ren und sich zu der Aussage zu positionieren. Dabei bestand die Möglichkeit, dass von den
Studierenden aufgrund der ersten Zeile sowohl auf den Autor als auch auf den Inhalt des Ori-
ginals geschlossen werden konnte.
3.5.5.4.3 Auswertung Schreiben und Zeichnen zu einem literarischem Impuls
Exemplarisch wird der Text Nr. 20 „Du mußt das Leben nicht verstehn…“ von einer Studie-
renden zur Einschätzung kreativer Leistungen herangezogen und von fünf Ratern mittels des
Messintruments EGL und TOA bewertet. Folgender Text lag den Ratern vor (im Portfolio
wurde der Text zusätzlich digitalisiert):
Du musst das Leben nicht verstehen… (Rainer Maria Rilke)
„Du musst das Leben nicht verstehen.
Dafür würde zu viel Zeit vergehen.
Das Leben ist zu kurz um ständig über den Sinn nachzudenken.
Du solltest lieber den Geschehnissen dein Augenmerk schenken!
Es gibt zu viel zu sehen und zu erfahren,
nutz die Zeit um die schönen Augenblicke zu wahren!
Nichts ist schöner als ein Lachen zu sehen
oder mit der großen Liebe Hand in Hand spazieren zu gehen!
Die schönen Momente im Leben sind kostbar,
die Zeit hingegen sehr rar!
Darum denk immer daran:
Du musst das Leben nicht verstehen!
Es reicht auf seinen Pfaden zu gehen
und jeden schönen Moment zu genießen,
zu sehen, wie die Pfade sprießen.
Niemand kann das Leben verstehen!“
Der Text ist, obwohl die Autorin keine Unterteilung in mehrere Strophen gewählt hat, klar der
Textsorte Gedicht zuzuordnen. Er zeichnet sich durch bewusst gewähltes Enjambement und
teilweise durch die phonologische Strukturierung Paarreim aus. Der Impuls „Du mußt das
Leben nicht verstehn…“ wird mehrfach als eine Art Leitthema, wenn auch in abgewandelter
296
Form, im Text wiederholt. Der Autorin ist eine Botschaft an die potentiellen Leser sehr wich-
tig, die sie insbesondere durch die gesetzten Imperative inklusive Ausrufezeichen explizit
äußert. Eben diese direkten Aufforderungen geben dem implizit-zwischen-den Zeilen-Subtext
kaum einen Raum und nehmen das für Gedichte häufig so stark wirkende Bildliche und letzt-
endlich dem Lyrisch-Ästhetischen einen Großteil seines Potentials.
Die Rater bewerten die kreative Leistung des Textes sowohl in einer Einschätzung nach erst-
maligem Lesen EGL wie auch durch die kriteriengestützte Analyse TOA mit Ausnahme des
Raters Ma außergewöhnlich hoch (3,04 mit Rater Ma, 3,13 ohne Rater Ma). Die Einigkeit
unter den Ratern über die hohe Kreativität im Text zeigt auch die geringe Streuung (0.56
Punkte, mit Rater Ma 0,85 Punkte) bei 94 angewendeten von 110 möglichen Kriterien insge-
samt. Der Text enthält keine Illustration, was die Hauptkategorie Form/Gestaltung auf die
Einzelkriterien konsequente Konstellation und Struktur im Text zum einen und auf die ge-
wählte Schreibart limitiert. Uneinigkeit tritt bei der Bewertung kreativer Leistungen im Text
20 bei der Wahl des Registers und verwendeter Polyvalenzen auf.
EGL TOA Anzahl Kriterien
Kriterien Ohne Max
Abweichung EGL – TOA
Texte mit EGL > TOA
iEGL iTOA iTOA ohne Ma
# iK #KohneM iEGL ≠ iTOA
Der Wind
ist Zeuge
Text 20 Du musst das Leben nicht verstehn′ Rater Il 3 2,91 2,91 22 + 0,09
4/5
Rater Je 3,5 3,18 3,18 17 + 0,32 Rater Ma 2,5 2,65 17 - 0,15 Rater Na 3,5 2,94 2.94 18 + 0,56 Rater Sa 4 3,5 3,5 20 + 0,5 Mittelwert Streuung
3,3 1,5
3,04 0,85
3,13 0.56
18,8 5
19 5
Tabelle 19: Auswertungsergebnisse der textproduktorientierten Analyse des Studierendentextes Nr. 20
durch fünf Rater mittels EGL und Kriterienraster TOA
297
Tabelle 20: Übersicht über verwendete Kriterien bei der Einschätzung des studentischen Textes Nr. 20
"Du mußt das Leben nicht verstehn…“, dessen Entwurf beim Schreiben zu einem literarischen Impuls
während eines Forschungsseminars entstanden ist
Kriterien
1 2 3 4 ange-wandte
Kriterien
a b c d a b c d e f g h a b c d e f a b c d
Text 20
Rater
Il x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x 22/ 22
Rater Je
x x x x x x x x x x x x x x x x x 17/ 22
Rater Ma
x x x x x x x x x x x x x x x x x 17/ 22
Rater Na
x x x x x x x x x x x x x x x x x x 18/ 22
Rater Sa
x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x 20/ 22
5/5 5/5 3/5 5/5 5/5 5/5 5/5 3/5 5/5 4/5 5/5 2/5 5/5 5/5 5/5 5/5 5/5 5/5 1/5 5/5 5/5 1/5 94/ 110
298
3.5.5.5 Schreib-undGestaltungsprojektDas Besondere Portrait
Die Beurteilung kreativer Leistungen eines Ergebnisses, das aufgrund der Realisierung einer
komplexen Projektaufgabe entstanden ist, lässt sich weniger auf der Grundlage eines Kriteri-
ensystem auf Textebene vornehmen als vielmehr hermeneutisch. Das selbstständige Erstellen
eines sogenannten Besonderen Portraits durch Studierende gleicht einem kreativen Prob-
lemlöseprozess mit ästhetischem Anspruch, der sich im innovativen Konzept sowohl auf der
Text- und Bildebene als auch in der Kombination beider Ebenen widerspiegelt. Neben dem
bereits vorgestellten Verfahren zur Beurteilung und Bewertung einzelner Texte mittels der
EGL, der TOA und der POA sollen nun mögliche Beurteilungsperspektiven einer ganzen Pro-
jektaufgabe zum Kreativen Schreiben und ästhetischen Gestalten vorgestellt werden. Reflexi-
onen der studentischen „Autoren“ und „Gestalter“ über den Entstehungsprozess begleiten die
studentischen Aktivitäten von der Ideenfindung bis zur Abschlusspräsentation und Druckle-
gung und geben den Beurteilern Aufschluss über Verfahrensweisen, Kooperationen und Ar-
beitsteilungen, Selbsteinschätzungen, Schwierigkeiten und gefühlte Erfolgserlebnisse.
Jeweils im Anschluss an das mehrtägige Intensivseminar gab es für alle teilnehmenden Stu-
dierenden die Möglichkeit, ein eigenständiges Projekt zu planen, durchzuführen und in Text
und Bild künstlerisch darzustellen. Im Kern ging es dabei um eine von den Studierenden
selbst gewählte Person, über die ein sogenanntes Besonderes Portrait273 angefertigt wurde.
Die Besonderen Portraits umfassen mindestens 24 Seiten zuzüglich der Umschlagseiten, die
aus Fotos, Zeichnungen, Collagen und Texten über den/die Portraitierte(n) bestehen, aber
teilweise auch aus Schreib- und Gestaltungsversuchen, die die portraitierte Person selbst an-
fertigte. Dazu wurde den an der Untersuchung teilnehmenden Studierenden das Rahmenthema
„An|ge|kommen“ für den ersten Untersuchungszeitraum und das Rahmenthema „Sich erin-
nern“ für den zweiten Untersuchungszeitraum im darauf folgenden Jahr vorgegeben. Für die
Fertigstellung des Besonderen Portraits standen den Studierenden jeweils insgesamt drei Mo-
nate zur Verfügung. Bedingung war, dass das Besondere Portrait in einem Tandem, beste-
hend aus einem Lehramtsstudierenden und einem Designstudierenden, angefertigt wird.
Exemplarisch wird im Folgenden an zwei Studierendenarbeiten gezeigt, wie kreative Leistun-
gen eingeschätzt werden und welche Synergie-Effekte die interdisziplinäre Zusammenarbeit
auf Entstehungsprozess und das Produkt Besonderes Portrait nimmt.
Didaktische Diskussion der Projektaufgabe
273 Eine nähere Beschreibung befindet sich bereits im ersten Kapitel des empirischen Teils unter Selbstständige Projektarbeit
der Studierenden in interdisziplinären Tandems - Das Besondere Portrait
299
Eine projektorientierte Aufgabenstellung ist häufig eng verbunden mit dem selbstständigen
Lösen von „Problemen“ und dient in Lehr-Lernkontexten der Ausprägung, der Förderung und
Weiterentwicklung von Fähigkeiten und Fertigkeiten. Das gilt für den schulischen Bereich
ebenso wie für den universitären, insbesondere, wenn die Projektaufgabe wie das Erstellen
des Besonderen Portraits in Text und Bild eine Anschlussaktivität nach stärker vorgegebenen
und gesteuerten Seminaraktivitäten darstellt, die in eine Erprobung bzw. Anwendung kurz
vorher erworbener Kenntnisse und Fertigkeiten im Bereich des Kreativen Schreibens und äs-
thetischen Gestaltens mündet. In dieser Projektaufgabe wird so das für handlungs- und pro-
jektorientierte Lernen förderliche Einbeziehen von Vor- und Weltwissen, das Erkennen von
interdisziplinären Zusammenhängen, das Beschreiben von Beobachtungen, das Diskutieren
von Lösungswegen, das Hinterfragen von Ideen und Konzepten und das gezielte Hinarbeiten
auf eine Ergebnispräsentation unweigerlich mit dem Anspruch an Kunst und Ästhetik durch
das Kreative Schreiben und Illustrieren verknüpft. Nach Hans-Christian Reichel (2001) zeich-
net sich eine Projektorientierung durch ein hohes Maß an Situationsbezug, durch die Orientie-
rung an Lernerinteressen, durch Selbstorganisation und Selbstverantwortung, durch eine ge-
zielte Projektplanung mit einer klaren Produktorientierung und durch Multisensorik, soziales
Lernen und durch Interdisziplinarität aus. Demnach entspricht die Projektaufgabe neben der
künstlerischen Gestaltung und den kreativen Texten der Studierenden diesen Kriterien, indem
sich die Studierenden erdachten, warum und mit welchen Methoden sie Biografieausschnitte
selbst gewählter Personen sammeln und kreativ ver- oder bearbeiten. Verknüpft mit der Be-
gleitaufgabe, den Prozess des Portraitierens durch Logbuch und Monitoring zu dokumentie-
ren, werden Erkenntnisgewinne über sich selbst und andere, Methodenkompetenz, Fachwis-
sen über das Schreiben und Illustrieren im Austausch mit dem Tandempartner und die Refle-
xion der eigenen Handlungskompetenz gestärkt, was wiederum Analyse-, Anwendungs- und
Verstehensleistungen ausprägt.
Die Verabredung auf die Rahmenthemen An|ge|kommen und |sich| Erinnern ermöglicht durch
einen Grad an Freiheit und Individualität, schöpferischen Eigensinn und Selbstverwaltung
auch den Vergleich zwischen individuellen thematischen Aspekten und Bearbeitungsweisen.
3.5.5.5.1 zum Rahmenthema An|ge|kommen
Zur potentiellen Freiheit der Ausführung eines Projektauftrages durch Studierende, wie dem
hiesigen Projekt mit dem Auftrag, eine Person in Schrift und Bild zu portraitieren, kommen
die Facettenvielfalt und der erhebliche Spielraum des Rahmenthemas An|ge|kommen hinzu.
300
Wie bereits erwähnt, sind ca. die Hälfte der Teilnehmenden Studierende des Faches Didaktik
des Deutschen als Zweitsprache, in deren Studium das Thema Migration einen inhaltlichen
Schwerpunkt darstellt und somit nicht unwesentlich zur Erweiterung bzw. zur Interpretation
des Rahmenthemas beiträgt. Die Facettenvielfalt des Rahmenthemas, wie sie von der Projekt-
leitung vorab assoziiert worden ist, soll durch folgende Grafik verdeutlicht werden:
Einschätzungen kreativer Schreib- und Gestaltungsleistungen am Beispiel des Besonde-
ren Portraits „Das rote Gewand“
Das Portrait, das im Rahmen Projektauftrags entstand, besteht aus einem sehr ausführlichen
Interview, welches nicht auf oberflächliche Fragen beschränkt bleibt, sondern in dem „nach-
gehakt“ wird und auch sehr persönliche und mutige Fragen (wie z.B: „Was war schlimmer für
Sie? Die Nachricht, dass Ihr (Ex-)Ehemann eine andere Frau geheiratet hat, oder die Nach-
richt, dass Sie krebskrank sind.) gestellt wurden. Die zusätzlichen Interviews mit fünf iraki-
schen Frauen in Deutschland sind informativ, die Fragestellungen sind gut ausgewählt und
stehen dafür, dass die Geschichte Tanias – einer Frau, die aus dem Irak geflohen und in
Deutschland (Nürnberg) angekommen ist - kein Einzelphänomen ist, auch wenn Tanias per-
sönliche Geschichte eine ganz besondere und leider auch eine ganz besonders schwierige ist.
Das Portrait wurde gemeinsam von einer DiDaZ-Studierenden und einer Design-Studierenden
erstellt, in dem Tania die Hauptprotagonistin des Portraits „Das rote Gewand“ darstellt.
Grundlage des Portraits sind sowohl Daten aus geführten Interviews mit und bei der Protago-
nistin in einer Nürnberger Wohnung als auch Collagen aus persönlichen Gegenständen. Dazu
zählen Ausschnitte aus dem Lieblingsbuch mit Weisheiten auf Arabisch, Dokumente und Ma-
301
terialien aus Beobachtungen während des Interviews und kreative Texte der beiden Studie-
renden und der portraitierten Person Tania. Das Interview selbst wurde größtenteils mit einem
Dolmetscher geführt, der den arabischen Lokaldialekt zunächst ins Hocharabische übersetzte,
welche eine der studentischen Tandempartnerin aufgrund ihrer arabischen Herkunftssprache
anschließend ins Deutsche übersetzte. Das Autorentandem entschied sich letztendlich für das
Erscheinen des Printmediums in einer zweisprachigen Version, um der Portraitierten Tania M.
K. das Lesen in ihrer Erstsprache zu ermöglichen. Die biographischen Darstellungen mit Zeit-
angaben und Ereignissen, die hart und scheinbar ohne Beschönigungen dargestellt sind, be-
ginnen mit dem Zitat „Ankommen = Vergangenheit vergessen“.
Das zweisprachige Portrait274 über die irakische Kurdin Tania M. K. überzeugt sowohl inhalt-
lich, sprachlich als auch illustrativ und überrascht durch eine originelle Verknüpfung von In-
halt und Form. Die Erzählweise motiviert zum Weiterlesen, und die in Text und Bild aufgear-
beitete Handlung besticht durch große Sorgfalt und Sensibilität in der Anfertigung.
Zum Gelingen dieses Portraits trugen die Offenheit und das Mitteilungsbedürfnis der Prota-
gonistin ebenso bei wie das große Engagement der beiden Autorinnen sowie deren Spektrum
an „Erhebungsinstrumenten“.
Die dargestellten Erinnerungen von Tania, die abgesetzt vom Haupttext (Interview) präsen-
tiert werden, z.B. „Held sein“ (S. 10), „Zusammen sind wir 12“ (S. 11), „Erster Schultag“ (S.
13), „Eines Tages ging meiner Mutter das Geld aus“ (S. 18), „Faule Bank“ (S.19) werden
ausdrucksstark in Text-Bild-Symbiosen umgesetzt. Beobachtungen der Autorinnen, die sie
während der Begleitung von Tania im privaten wie im öffentlichen Leben gemacht haben,
z.B. „Busfahrt“ (S. 53), „Angekommen“ (S. 59), finden sich im Besonderen Portrait Meta-
phern und Redewendungen, die teilweise aus der arabischen Muttersprache der Protagonistin
Tania übersetzt wurden. Übersetzte Zitate (die auch sprachlich interessant sind), wie z.B. „Als
ich angeschossen wurde, habe ich all meine Träume in einen Beutel gesteckt und in den Müll
geschmissen.“ (S. 30), „Ankommen bedeutet für mich, meine Vergangenheit zu vergessen.“
(als Motto auf der 1. Seite), veranschaulichen diese kreativ sprachliche Verarbeitung der In-
terviewdaten in die Studierendenarbeit.
274 Das Portrait ist von vorn (Linksaufschlag) auf Deutsch und von hinten (Rechtsaufschlag) auf Arabisch zu lesen
302
Analogien zu Gedichten, z.B. ein Ausschnitt aus
Goethes „West-Östlicher Divan“ (S. 32), Texte und
Zeichnungen, zu welchen Tania kreativ angeregt
wurde, wie z.B. das Cluster zum Thema „Orte des
Ankommens“ (S. 15), die musikalische Traumreise,
zu der gezeichnet wurde, und deren Inhalte im Ge-
spräch verbalisiert wurden (S. 54/55), das Nonverba-
le Interview (S. 48/49) machen deutlich, welche
Transferleistungen die Autorinnen durch die Anre-
gungen im vorangehenden Intensivseminar für eine
kreative Umsetzung und Weiterentwicklung für die
Projektaufgabe genutzt wurden.
Abbildung 28: Titelblatt und illustrierte Seite mit Interviewinhalten in arabisch
303
Eigene Überlegungen, wie der Gipsabdruck von Tanias Gesicht, welcher von ihr farblich ge-
staltet wurde275, dokumentieren das Ausnutzen des gegebenen Raums durch die Aufgabenstel-
lung. Konkret, aber mit wenigen Vorgaben durch die Dozenten lässt die Projektarbeit den
Studierenden Freiraum, das vorgegebene Rahmenthema auszugestalten, die interdisziplinäre
Zusammensetzung des Tandems synergetisch zu nutzen und die Produktvorgabe eines Print-
mediums in Text und Bild mit einem eigenen prozessorientierten Konzept zu realisieren.
Beim Portrait Tania weisen sowohl die Konzeption als auch die konkrete Erhebung der Inhal-
te, deren Verbalisierung und deren medial-gestalterische Umsetzung einen hohen Grad an
Kreativität auf.
Die Gestaltung ist konsequent durchdacht, sehr ansprechend und wird dem Thema gerecht.
Ebenfalls positiv fällt auf, dass alle, direkt von Tanja kommenden Zeichnungen, Handschrif-
ten und Zeugnisse ihres Lebens, als solche erkennbar sind. Sie wirken wie hingelegtes Papier,
da sie immer eine Fläche auf der Fläche bilden und dabei eine leichte Schattenwirkung haben. 275 die Bedeutung der von ihr gewählten Farben wurde anschließend von der Protagonistin hinlänglich erklärt, vgl. S. 42/43 im
Portrait
304
Alles, was vom Tandem hinzugefügt wird, ist deutlich erkennbar, wie etwa die Illustrationen
auf Seite 30/31, die auf einer Drucksache aus Tanjas Besitz angelegt sind. Die ironisch und
entlarvenden Illustrationen sind ästhetisch und inhaltlich sehr gelungen. Insbesondere der als
Jahrmarktclown dargestellte Saddam Hussein wirkt lustig und verlockend und zugleich gierig,
böse und unheilbringend (S.26/27). Hier wird ein komplexes politisches Geschehen auf eine
ironische, originelle Art transformiert.
Dennoch ist anzumerken, dass die Vielzahl der verwendeten Textanlässe und -darstellungen
und Gestaltungselemente aufgrund der immer neuen Variationen auf fast jeder Doppelseite
die Wirkung der Arbeit insgesamt schmälern. Zum Beispiel im Interview ohne Worte wären
Fotos pur auf die Seite gesetzt viel wirkungsvoller, als in Kombination mit typisch orienta-
lisch verziertem Rahmen und Hintergrundmustern. Dadurch wirkt die Gestaltung manchmal
zu „bemüht“ und ins Kitschige, Betuliche abgleitend.
305
3.5.5.5.2 Zum Rahmenthema |sich| Erinnern
Das zweite Rahmenthema, welches den Studierenden für die Entwicklung der Besonderen
Portraits als Leitfaden diente, hatte ebenfalls wie das erste Rahmenthema An|ge|kommen den
Anspruch, universell zu sein und auf möglichst alle Individuen und alle privaten, gesellschaft-
lichen und öffentlichen Bereiche adaptierbar zu sein. Das Rahmenthema |sich| Erinnern er-
möglicht vielfältige Variationen der Umsetzung durch Studierende und lässt Raum für indivi-
duell thematische Schwerpunksetzungen und Bearbeitungsweisen.
Während beim Rahmenthema An|ge|kommen die Seminarinhalte durch situative Schreiban-
lässe in dem multikulturellen Nürnberger Stadtviertel Gostenhof und durch das Kreative
Schreiben und Zeichnen im öffentlichen Nahverkehr auf die sich anschließende Projektaufga-
be vorbereitete, wurde für das Rahmenthema |sich| Erinnern der Ort der Tribüne des Zep-
pelinfeldes gewählt, ein Ort auf dem ehemaligen Reichsparteitagsgelände der Nationalsozia-
listen, der heute sowohl als Gedenkstätte als auch als Veranstaltungsort genutzt wird. Dadurch
wurde von den Leitern der Forschungsgruppe bewusst auf historisch-gesellschaftliche Zu-
sammenhänge vor Ort sensibilisiert bzw. eine Auseinandersetzung mit diesem Fokus des Er-
innerns an ein dunkles Kapitel deutscher Geschichte von den Studierenden eingefordert, wel-
che teilweise von den Studierenden in den Besonderen Portraits fortgesetzt wurden. Die fol-
gende Darstellung reflektiert die in den Studierenden-Clustern häufig genannten Assoziatio-
nen zum Rahmenthema:
306
Einschätzungen kreativer Schreib- und Gestaltungsleistungen am Beispiel des Besonde-
ren Portraits „a′namnisi“
Das studentische Portrait, das von zwei Studierenden des Faches Design und einem Lehramts-
studierenden des Faches Didaktik des Deutschen als Zweitsprache geplant und umgesetzt
wurde, portraitiert einen griechisch-deutschen Mann, der heute bei Nürnberg lebt. Es handelt
sich dabei um ein ideenreiches, aufwändiges und ausführliches Portrait, welches sowohl auf
der sprachlichen als auch auf der gestalterisch-illustrativen Ebene durch unkonventionelle
inhaltliche Zusammenhänge und deren Darstellung überrascht. Dazu trugen das Interesse und
Engagement der Autoren und Illustratoren bei, aber auch die Bereitschaft, die Offenheit und
der Enthusiasmus des portraitierten Lambros Z. Der studentische Autor dieses Portraits, der
als einziger nicht Design studiert, steht in einem engeren persönlichen Verhältnis zu Lambros,
was in der Einleitung durch eine Art kreatives Selbstgespräch offenbar wird (S. 9). Dieser
Einstieg in das Portrait macht neugierig auf das Leben und die Geschichte von Lambros und
weckt großes Interesse am Weiterlesen. Das Portrait ist geprägt von bewusst genutzten Poly-
semie tiefgehender Wortbedeutungen („Erinnerung“ S.12), die teils philosophisch (S.18-22
„dada - blabla - gaga“, „Gedanken konstruieren die Welt. Ideen werden Wirklichkeit.“), teils
spielerisch (S.10 „hobby-eskapistisch, alltags-neurotisch“, „Ich soll noch was machen in mei-
nem Leben - anscheinend“) und teils begrifflich (S.1 „a´namnisi“, S.40 „Synästhesie“) die
Vielfalt des Rahmenthemas für den dargestellten Protagonisten verdeutlichen. Die Aspekte
Erinnerungen, Kindheit, Orte, Gefühle oder Momente als Aspekte des Rahmenthemas werden
dabei eindrücklich und kreativ aufgenommen und in Text-Bild-Symbiosen dargestellt. Im
Folgenden wird auf einzelne Kapitel, Arbeitsweisen und Darstellungsformen dieses Besonde-
ren Portraits genauer eingegangen.
307
Der Text „Mein Name ist Lambros“ gibt in Form eines Lebenslaufs erste Eckdaten bekannt
und geht mit der Kategorie „Wichtiges im Leben“ über biographische Grundinformationen
hinaus (S. 11). Neben dem „Biographischen Interview“ (S. 26) und dem „Erinnnerungsinter-
view“ (S.28) wird Lambros durch Erinnerungen an seine Kindheit in Text und Bild vorgestellt
(S. 10-29, S. 33-35).
Das Kreative an den Interviews sind einige Fragestellungen, die von gewöhnlichen und zu
erwartenden abweichen, den Erwartungshorizont des Lesers sprengen und die z.T. auch seine
Bikulturalität, seine Mehrsprachigkeit und seine Migrationserfahrung mit berücksichtigen.
Zum Beispiel die Fragen, die durch ein sogenanntes Nonverbales Interview276 vom Protago-
nisten durch Mimik und Gestik beantwortet werden: „Wie war das mit dem Erwachsenwer-
276 Ein Nonverbales Interview ist eine Befragung, auf dessen verbal gestellte Fragen der Befragte nur mit Gestik und Mimik,
nicht aber mit verbaler Sprache antwortet. Die nonverbale Antwort wird fotografiert und das Bild in einem Dokument der ur-sprünglichen Frage zugeordnet.
308
den, erinnerst du dich? Sind Gedanken materialisierbar? Erinnerungen – an welche Gegen-
stände erinnerst du dich gerne? Sirtaki oder Walzer? Griechische oder deutsche National-
elf?...“ Leider ging Lambros auf die Fragen zu Griechenland und Deutschland nur sehr wenig
ein, da hätte man nachhaken müssen.
Kreativ sind auch die Fragen in der Kategorie „Sinneswahrnehmungen der Erinnerungen“:
„Was schmeckst/fühlst/siehst du in Verbindung mit Erinnerung?...“
Außerdem wurden drei kreative Schreibtechniken eingesetzt (Cluster (S.14/15), Elfchen
(S.38), Phantasiereise S.44-48)), die auch theoretisch im Portrait erklärt werden. Die Phanta-
siereise regte Lambros zum Zeichnen an, die Verbalisierung fand anschließend durch ein Ge-
spräch über die Zeichnung statt.
Eine Dramaturgie erhält das Portrait durch die Schilderungen eines traumatischen Erlebnisses
aus der Kindheit, das aus der Perspektive von Lambros und seiner Schwester Veronika
eindrucksvoll geschildert wird. Mit dem Verfahren Écriture Automatique werden die Erinne-
rungen an die Unfallfahrt nach Athen von beiden erhoben und im Portrait eindrucksvoll ge-
genübergestellt (S.42/43). In einer Spalte neben Lambros` narrativem Text wird von den stu-
dentischen Autoren der Kontext des Ereignisses vorgestellt und dargelegt, wie die Texte ent-
standen sind.
309
Die Schlüsselszene mit dem Autounfall hätte dennoch bildnerisch mehr aufgegriffen werden
können. Ein (Spielzeug-)Auto kombiniert mit einer (Kritzel-)Zeichnung hätte z.B. mehr
Spannung erzeugt. Aber hier fehlte vermutlich angesichts des dramatischen Ereignisses der
emotionale Abstand.
Das Layout ist klar und großzügig angelegt. Der Illustrationsstil passt gut zu den Familienfo-
tos und unterstützt deren witzigen, lebensbejahenden und teilweise träumerischen Charme des
Protagonisten Lambros. Die gewählten Farben passen gut zum Thema und das Portrait wirkt
sympathisch und ausgewogen. Dabei ist die harmonische Zusammenarbeit zwischen Text,
Illustration und Layout sichtbar. Ein feiner Humor zieht sich durch die gesamte Gestaltung
und macht den Portraitierten sehr lebendig und sympathisch.
Trotz der Tatsache, dass das Besondere Portrait ein Gemeinschaftsprodukt ist, welches so-
wohl von Mitgliedern der studentischen Arbeitsgruppe als auch von dem portraitierten
Lambros selbst erstellt wurde, sind die Texte und Abbildungen Lambros` durch Betitelung
oder Kursivschrift klar von denen der studentischen Mitwirkenden zu unterscheiden. Ein so-
genannter QR-Code auf der ersten Seite der „Fantasiereise“ bspw., der mit einem Fotohandy
von S.44 eingelesen werden kann, gibt durch eine Mini-Fotoschau Einblicke in den Entste-
hungsprozess dieser Reise. Zu sehen ist Lambros am Schreibtisch mit Papier und Kreiden, mit
denen er je Farbe ohne Abzusetzen zeichnen muss.
310
Zurück. Jetzt. Vor.
v.l.n.r.: Lambros mit 7, mittig mit 27 und mit 47 Jahren
Das Portrait mit seinen Texten und Illustrationen wirkt trotz seiner verspielten Art der Bear-
beitung authentisch, glaubwürdig und teilweise thematisch ernst. Positiv hervorzuheben sind
die originelle Machart mit der prominenten Inszenierung von Gedanken durch philosophisch
anmutende Formulierungen, die den Leser und Betrachter immer wieder zum kritischen
Nach- und Weiterdenken auffordern, genauso wie die Vielzahl verwendeter Schreibverfahren
und Textsorten, die für das Portrait in einem konsequenten Stil und Layout gebunden werden.
Ein sogenanntes inhaltliches wie sprachliches Wagnis, so wie es beim Züricher Textanalyse-
raster ausgewiesen ist, aber dessen Eigenschaften nicht näher beschrieben sind, kann dem
Besonderen Portrait a′namnisi insbesondere aufgrund der Intensivierung der Textrezeption
durch attraktive Text-Bild-Konzeptionen an einer Vielzahl von Detailstellen im Besonderen
Portrait attestiert werden.
311
3.6 Untersuchungsschwerpunkt 3: Schreibprozesse und derenReflexion beim fortgeschrittenen Kreativen Schreiben undästhetischen GestaltenvonStudierenden
Dadurch, dass ich auch in meiner Freizeit manchmal schreibe, weiß ich, wie mein Vorgehen, zu einem Textergebnis zu kommen, funktioniert. Es geschieht immer nach dem gleichen Prinzip. Vorerst schreibe ich meine Idee auf. Anschließend streiche ich oder stelle um. Als letztes mache ich mir Gedanken über die Aufteilung der Strophen und Verse bzw. der Zeilen. Dann schreibe ich meine Endfassung auf ein eigenes Blatt. Das sehe ich mir dann einen Tag später an. Manchmal fallen mir dann noch einige formale Verbesserungen ein. Dann nehme ich diese vor. Ansons-ten übertrage ich das Werk dann in ein Büchlein, in dem ich ausschließlich meine Endprodukte festhalte. So war es auch mit dem Gedicht „ankommen“, dessen Idee im Seminar entstanden ist. (teilnehmender Student AMDes)
Die schriftliche Befragung im Untersuchungsschwerpunkt 1 hat gezeigt, dass die Stu-
dierenden davon überzeugt sind, dass sich durch das Schreiben ihre Denkfähigkeit ver-
bessert. Dass neue Gedanken und Erkenntnisse durch das fortgeschrittene Schreiben im
Sinne des epistemischen Schreibens produziert werden, ist mit Verweis auf Vygotskij
und Ortner im theoretischen Teil der vorliegenden Arbeit diskutiert worden.
Im Untersuchungsschwerpunkt 1 werden zudem Parallelen zwischen den beiden Diszip-
linen des Kreativen Schreibens und Ästhetischen Gestaltens hinsichtlich der Vorge-
hensweise im kreativen Schreib- bzw. Gestaltungsprozess dargestellt. Wie Kreativität
beim ästhetischen Gestalten entsteht, reflektiert eine Studentin im folgenden Beispiel
schriftlich. Mit Verwendung zahlreicher kreativer Sprachbilder formuliert sie dabei
Aussagen über einen komplexen Gegenstand bzw. Vorgang und veranschaulicht damit
den epistemischen und gleichzeitig sprachästhetischen Charakter des Schreibens bzw.
hier des schriftlichen Reflektierens.
Zunächst Weiß. Ein weißes Blatt Papier. Was tun? Man sieht nichts und doch alles. Die Gedanken und das Gehirn funktionieren wie ein Overhead-Projektor. Die Ideen punktieren Gedankenwasserfälle; verschleiert ankommende Gehirnsequenzen setzen sich langsam zusammen. Man fängt an. Aus den Bruchstücken, die zunächst wirr erscheinen, bilden sich klare Linien und Formen auf dem einsamen Trägerma-terial. Ein Charakter, etwas Lebendiges, fast Sprechendes entsteht. Wie bei einer OP wird das Skalpell angesetzt und es entwickeln sich zwei Welten. Einerseits die ausgeschnittene Form, die den Freiraum um sich unbegrenzt macht, und auf der anderen Seite der Rest, der in sich die Kreativität jedes Einzelnen einschließt. Streichen, Kratzen, Schmieren, Tupfen, Walzen, Vergießen. Die Farbe nimmt die Rolle einer Geburt ein. Etwas Frisches und noch nicht Dagewesenes entsteht. Kei-nes ist dem Anderen identisch. Es funkelt, strahlt, macht betrübt oder verschafft ei-nem Freude und Lachen. Alle sind am Werkeln und geben sich voll und ganz ihrer Kreativität hin. In einem großen dunklen tristen Saal wurde ein Teppich aus Fanta-sie ausgerollt. Er LEBT!
312
(teilnehmende Studierende SGDid 2012)
Forschungsleitende Fragestellung:
III. Was beinhaltet eine retrospektivische Reflexion des eigenen Kreativen Schreibens von Studierenden, wie wird diese geleistet und wie kann die Reflexionsfähigkeit Studie-render aus didaktischer Perspektive gefördert werden?
AuswahlundEntwicklungeinesdiagnostisch-didaktischenInstru-3.6.1
mentariums
Nachdem im theoretischen Teil dieser Arbeit die Tragfähigkeit von Reflexion beim fortge-
schrittenen Kreativen Schreiben erläutert wurde, wird im Folgenden dargestellt, wie das Re-
flektieren des Schreibprodukts und des eigenen Schreibprozesses beim fortgeschrittenen
Kreativen Schreiben mit Studierenden im Rahmen des bereits eingeführten Forschungspro-
jekts durchgeführt und untersucht wurde. Als Vorbild diente Gerd Bräuers Drei-Ebenen-
Modell der reflexiven Praxis (vgl. Bräuer 2012, 2008) und Dewey’s Idee eines ′reflective
Practitioners′, auf dessen Konzept Posner die Idee eines Logbuchs in der Praxis der Lehrer-
ausbildung formuliert (vgl. Posner 2010). Prinzipiell kann über das Kreative Schreiben
mündlich oder schriftlich reflektiert werden, deren jeweilige Vorzüge und Nachteile für das
Reflektieren beim Kreativen Schreiben und Ästhetischen Gestalten in diesem Kapitel 3.6 nä-
her erläutert werden.
Die an den Intensivseminaren beteiligten Studierenden wurden dazu angehalten, ihre Ideen,
ihre Vorgehensweise und ihr Textprodukt im Hinblick auf kreative Leistungen aus der Retro-
spektive zu reflektieren, allerdings mit unterschiedlichen Abständen zwischen dem Zeitpunkt
der Reflexion und dem Zeitpunkt des tatsächlichen Schreibprozesses. Aus methodologischer
Perspektive zählen die eingesetzten und von den Studierenden verschriftlichten Monitoring
und Reflexionen zur Datenerhebung. Das Anfertigen dieser schriftlichen Texte durch die Stu-
dierenden wurde stets von den Seminarleitenden und den beteiligten Wissenschaftlern von
eingefordert. Nur in seltenen Fällen entstanden schriftliche Reflexionstexte durch Eigeninitia-
tive der Studierenden.
Ebenfalls zur Datenerhebung wurden diskursive Interviews aufgezeichnet und transkribiert,
bei denen einzelne Fragestellungen, teils mündlich, teils schriftlich während der Intensivse-
minare und Präsentationsphasen beantwortet und diskutiert wurden. Die Auswertung der Da-
ten erfolgt multimodal, indem mit einer qualitativen Inhaltsanalyse begonnen wird, mit einer
Systematisierung genannter Aussagen angeschlossen und final - unter der Berücksichtigung
313
von gezählten Häufungen - mit der Interpretation der verschriftlichten Reflexionen abge-
schlossen wird.
Erwähnt sei, dass selbstverständlich bei jeder Art des Schreibens introspektivische Reflexio-
nen des „Autors“ auftreten (können), an die sich eventuell später beim Dokumentieren in der
Retrospektive lediglich erinnert wird. Dieser mögliche Zusammenhang wird in den folgenden
Untersuchungen zwar nicht bestritten, introspektivische Reflexionen werden aber nicht unter-
sucht. Die folgenden Untersuchungen beziehen sich somit mit Ausnahme der ergänzenden
diskursiven Gruppeninterviews ausschließlich auf verschriftlichte Reflexionen von Studieren-
den aus der Retrospektive.
3.6.1.1 Datenerhebung:MonitoringundReflexionkreativerSchreib-undGestal-
tungsprozesse
Das im Folgenden vorgestellte Reflexionsmodell schlägt vor, sämtliche Aktivitäten zunächst
deskriptiv zu dokumentieren, um so später zu entscheiden, welche ausführlich analysiert wer-
den sollen. Die Analysen und die sich daraus abzuleitenden Konsequenzen und Schlussfolge-
rungen sollen sich letztendlich auf diejenigen Aktivitäten beschränken, die im Hinblick auf
wichtige Schreib- und Gestaltungsprozesse, Zielvorstellungen und konkrete Realisierungs-
formen besonders wichtig sind.
Zur Unterstützung der deskriptiven Dokumentation wird ein sogenanntes Logbuch verwendet.
Dabei handelt es sich um ein handschriftliches oder digital geführtes Notizbuch, in das der
Schreiber nach bestimmten Arbeitsphasen das eigene Schreiben und Gestalten reflektiert und
dokumentiert. Die Einträge in dieses Notizbuch werden als Logs bezeichnet. Das Festhalten
durch Verschriftlichen von Erfahrungen, Problemen, Glücksmomenten, Arbeitsflow-
Momenten, Blockaden, Emotionen und Erkenntnissen durch Logs ist essentiell für eine späte-
re Reflexion der eigenen kreativen Arbeitsprozesse. Eine Selektion hinsichtlich des Gehalts
einer Analyse und im Hinblick auf das Potential des angefangenen oder vollendeten Textes
findet bewusst später statt, da vor der Phase des Ausformulierens und Überarbeitens noch
nicht klar ist, welche einzelnen Gegebenheiten im Schreib- und Gestaltungsprozess für das
finale (Text-)Produkt in welchem Maß ausschlaggebend waren. Für den Lernenden und die
Lehrenden können Logs besonders dann erkenntnisreich sein, wenn analysiert werden soll,
warum z. B. der Lernende mit dem Produkt oder dem Entstehungsprozess besonders zufrie-
den oder unzufrieden ist und wenn möglichst viele Überlegungen, Befindlichkeiten und Vor-
gehensweisen von Beginn an dokumentiert werden. Spezielle Situationen, Wahrnehmungen
314
und Gefühlszustände werden größtenteils vom Gehirn nur kurzzeitig gespeichert und sind
später in ihrer Komplexität nur schwer nachvollziehbar. Ein Log jeder Aktivität muss somit
am selbigen Tag geschrieben werden. Je schneller die Gedanken nach der Aktivität aufzeich-
net werden, umso zuverlässiger und aussagekräftiger sind sie.
Für eine analytische Vorgehensweise wurde ein Monitoring-Leitfaden und ein reflexionsun-
terstützender Fragenkatalog entwickelt, die helfen sollen, die eigenen Arbeitsprozesse, ange-
fangen vom Finden einer Idee bis zum fertigen finalen Text, wahrzunehmen, zu beschreiben
und zu steuern. Dieses Monitoring und die anschließende Reflexion sollen die Lernenden zu-
dem unterstützen, den eigenen Schreib- oder Gestaltungstyp für sie greifbar und verständlich
zu machen.
Das entwickelte Monitoring mit abschließender Reflexion ist in fünf Ebenen untergliedert:
1) Benennung der Aktivität
Auf einer ersten Ebene werden die konkrete Aktivität, die Entstehungsdauer, die Tageszeit, der Ort, die beteiligten Personen und gegebene Gruppenkonstellationen benannt. Darüber hinaus wird die ge-naue Aufgabenstellung inklusive der von der Lehrkraft gegebenen Informationen und Hinweise wie-dergegeben. Diese Ebene bedarf keiner Ausformulierung und fungiert als Notizzettel. 2) Aufzählung der Handlungsabfolgen einer Aktivität
Auf einer zweiten Ebene werden alle Handlungen und verwendeten Materialien aufgezählt, auch diese die zunächst als unbedeutend angesehen werden. Diese Listung aller Handlungen ist essentiell für eine weitere Ausführung schriftlicher und gestalterischer Arbeitsprozesse. 3) Ausarbeitung einzelner Logs
Auf einer dritten Ebene wird beschrieben, wie sich Schreib- und Illustrationsprozesse im Detail voll-zogen haben. Hierbei wird auf Planungs- und Überarbeitungsphasen, das Revidieren, Löschen und Neuanfangen, das Einschieben von Pausen und Kommunikationsphasen, das Wechseln des Arbeits-mediums und des Arbeitsplatzes näher eingegangen. 4) Analyse der eigenen Prozesse
Auf einer vierten Ebene werden – ausgehend von den Ausarbeitungen unter der Ebene 3 - die eigenen Erfahrungen im Hinblick auf das Erreichen der vorgegeben oder selbst gesetzten Ziele beurteilt. Eben-falls werden Gefühle, Gedanken und auftretende Fragen hinsichtlich der Text- und Bildproduktion sowie der Umgebungsbedingungen vom Lernenden interpretiert. 5) Schlussfolgernde Reflexion
Auf einer fünften und abschließenden Ebene werden motivierende und hemmende Faktoren sowie eine Erörterung möglicher Konsequenzen für das eigene kreative Schreiben bzw. Gestalten erörtert. Eigene tradierte Herangehensweisen und Verfahren, Arbeitstechniken und Arbeitsbedingungen wer-den den aus der Prozessanalyse gewonnenen Erkenntnissen gegenübergestellt. Das selbst gezogene Fazit führt zum Bewusstsein über den eigenen Schreib- oder Gestaltungstyp und ermöglicht das For-mulieren konkreter Schlussfolgerungen und Zielsetzungen für zukünftige Aktivitäten. Diese Erkennt-nisse können, wenn sie denn expliziert werden, bei weiterer Text- und Bildproduktion introspektivisch direkt auf den folgenden Schreib- und Gestaltungsprozess angewendet werden, womit der Reflexions-zyklus geschlossen wird.
315
Experten weisen immer wieder darauf hin, dass Reflexionen bzw. Explikationen über den
Schreibprozess durch Studierende an der deskriptiven Oberfläche bleiben (Miscovic 2006, 3;
Wintersteiner 2002, 41). Der im Folgenden aufgezeigte reflexionsunterstützende Fragenkata-
log bot den Schreibenden dahingehend eine Hilfe an, dass sie gezielte und detailspezifische
Fragen an sich und an ihren Text stellen konnten. Diese Fragen in ihrer Detailgenauigkeit
konnten von Studierenden aber zunächst nicht als „Reflexionsinventar“ vorausgesetzt werden,
weshalb sie ihnen im Sinne Reflexions-unterstützender Impulse in Form von Leitfragen zur
Verfügung gestellt wurden. Die Leitragen können individuell und je nach bereits reflektierten
Phänomenen für die fünf Ebenen des dargestellten Monitoring mit Reflexion von Relevanz
sein. Einige der Leitfragen zielen mehr auf einzelne Phasen des Schreibprozesses ab und ei-
genen sich so eher für die Ebenen 1 bis 4 des Monitorings. Andere Leitragen aus dem folgen-
den Katalog zielen eher auf eine Reflexion hinsichtlich möglicher Veränderungen bei zukünf-
tigen Schreibaktivitäten ab und sind für die Ebene 5 des Monitorings von besonderer Bedeu-
tung.
Leitfragen277 zum Reflektieren des eigenen Schreibprozesses:
• Was ist passiert? Die Erfahrungen und Handlungen beim Schreiben und Illustrieren gedank-lich noch einmal erleben.
• Was habe ich gemacht, wenn sich keine gute Idee zum Schreiben oder Illustrieren einstellen wollte?
• Wie habe ich meine Ideen gewonnen? Warum habe ich eine Idee verwendet und weiterver-arbeitet?
• Inwieweit hat mir ein Cluster / Mind-Mapping o. ä. bei der Ideenfindung geholfen?
• Wie habe ich den nächsten Sprung – vom Cluster zu einem Textentwurf - geschafft?
• Welche Vorstellungen / Annahmen / Einstellungen haben mein Handeln beeinflusst?
• An welchem Punkt des Schreibens habe ich angefangen zu strukturieren?
• Inwieweit sind mir dann beim Schreiben oder Illustrieren neue Ideen gekommen?
• Gab es einen Flow oder musste ich den kreativen Prozess häufig unterbrechen?
• Was habe ich während dieser Unterbrechungen gemacht?
• Wie habe ich den Schreib- oder Gestaltungsprozess im Ganzen und in einzelnen Phasen während des Arbeitens empfunden?
• Wie viel (An-)Spannung278 konnte ich ertragen? Was war für mich eine produktive Span-nung? Wann wurde diese Spannung zum Stress?
• Wie war der Wechsel zwischen Schreibfluss und Nachdenken und zwischen Zeichnen und Nachdenken?
277 Diese Leitfragen sind im Forschungsprojekt zur Vorbereitung der Reflexionen mit den Studierenden gemeinsam von Gabriele
Pommerin-Götze und dem Autor dieser Forschungsarbeit entwickelt worden. 278 mit Spannung ist hier die Art von psychischer Belastung gemeint, die sich aufgrund von Erwartungs- oder Leistungsdruck
ergibt, wie z.B. vor oder während einer Prüfung, vor einem Vortrag oder einer Präsentation, vor und bei einer Aufführung o-der einem Konzertvorspiel.
316
• Wie schätze ich meinen Text bzw. meine Zeichnung insgesamt ein?
• Spiegeln die Ergebnisse in Bild und Schrift meine Erwartungen wider? Wenn nicht, warum nicht?
• Mit welchen Textstellen oder einzelnen Formulierungen bzw. Kompositionen und Perspekti-ven bin ich – ehrlich gesagt – nicht ganz zufrieden?
• Sollte ich in Zukunft vor und während des kreativen Prozesses meine Arbeitsweise erweitern oder ändern? Wenn ja, wie könnte das aussehen?
3.6.1.2 DatenaufbereitungundDatenauswertung:Grounded Theoryundqualitati-
ve InhaltsanalyseschriftlicherReflexionenStudierender
Anknüpfend an die praxeologischen Vorüberlegungen aus Kapitel 3.3 wird nun konkretisiert,
wie die Schreiber-individuellen Reflexionen ausgewertet werden. Die schriftlichen und aus
der Retrospektive verfassten Reflexionen, auf die sich folgende Auswertung stützt, wurden
den Seminarportfolios entnommen, die die Studierenden im Rahmen der Interventionsstudie
anfertigten. Die Analyse erfolgt sprachsensibel und berücksichtigt durch eine kritische Prü-
fung auf Wort-, Phrasen- und Satzebene die Aussagen der Studierenden, um mögliche Fehlin-
terpretationen aufgrund von Vorannahmen, Denk- oder Sichtweisen des Untersuchenden ent-
gegenzuwirken (Strauss/Corbin 1996, 61ff.). Klar ist, dass dieser Komplexität entsprechend
erneut keine einzelne Methode oder kein Set an Forschungsmethoden zur Verfügung steht,
sondern eine der leitenden Forschungsfrage dienende Methodologie gefunden werden muss.
Für die Analyse der studentischen Reflexionen, in denen sich die Studierenden jeweils auf
ihre eigenen Texte beziehen, die durch kreative Schreibverfahren oder Schreibarrangements
entstanden sind, wird grounded vorgegangen; das heißt, aus den studentischen Reflexionstex-
ten werden Äußerungen zum Schreibprozess als Phänomene herausgelöst, gesammelt und
kategorisiert werden. Ausgehend von einem schriftlichen Reflexionstext (= ein Fall) zu einer
Realisierung eines kreativen Schreibarrangements werden systematisch Daten aus weiteren
′homogenen Fällen′ analysiert und mit diesem ersten Reflexionstext/Fall verglichen (vgl.
Strübing 2013, 116f.), bis alle Reflexionstexte/Fälle zu diesem einen Schreibarrangement ei-
ner Analyse unterzogen sind. Diese Datenanalyse wird auf der Grundlage von Strauss´ entwi-
ckelten Kodierens geleistet (Strauss/Corbin 1996, 39-42). Hierbei werden die vorliegenden
Daten in Form verschriftlichter Reflexionen aus den beiden Interventionen und einem weite-
ren Schreibseminar zunächst mit dem Verfahren des offenen Kodierens grob analysiert, ge-
ordnet und kategorisiert und durch das axiale und selektive Kodieren weiter verdichtet und zu
abstrakteren Kategorien zusammengefasst (Przyborski/Wohlrab-Sahr 2014, 210-218). Zusätz-
lich zum rein qualitativen Kodieren nach Strauss und Corbin werden die gefundenen Katego-
rien - wie in der qualitativen Inhaltsanalyse (Mayring 2015) - letztendlich quantifiziert. Dies
317
dient dem Erkenntnissinteresse, ob es Häufigkeiten bzw. Ähnlichkeiten beim Vorgehen zur
Realisierung eines bestimmten Schreibarrangements trotz studentischer Schreiberindividuali-
tät gibt. Nachdem alle vorliegenden Reflexionstexte eines Schreibverfahrens analysiert wor-
den sind, werden die Texte erneut auf mögliche Inhalte nun aller deduzierter Kategorien ab-
geglichen und mögliche Häufungen notiert. Diese Rückbindung an das Material in einer re-
kursiven Schleife (doppelt zirkuläres Vorgehen) kommt der Forschungsmethodologie der
Grounded Theory nach Anselm Strauß, Barney Glaser und später Juliet Corbin sehr nah und
unterscheidet sich damit deutlich von der qualitativen Inhaltsanalyse, bei der selbst bei einem
induktiven Vorgehen bestimmte Kategorien von vornherein feststehen, auf die die Daten bzw.
die Texte geprüft werden. In einem dritten Schritt werden die herausgearbeiteten Phänomene
in Kategorien gebündelt und abschließend sowohl die herausgearbeiteten Phänomene als auch
deren Häufung hermeneutisch in Bezug auf das Schreibarrangement interpretiert.
Im folgenden Kapitel wird ein Einblick in reflexive Aktivitäten Studierender beim fortge-
schrittenen Kreativen Schreiben gegeben. Aufgrund der Fülle der von den Studierenden in
den Intensivseminaren angewandten Schreib- und Illustrationsverfahren, die in unterschiedli-
chem Ausmaß für eine Reflexion durch die Studierenden herangezogen werden, wird in dieser
Arbeit zur exemplarischen Darstellung eine Auswahl bzw. Stichprobe getroffen, die dennoch
die Heterogenität der studentischen Realisierungen der bewusst offen gehaltenen Arbeitsauf-
träge widerspiegelt. Dabei werden aus Gründen einer Forschungskohärenz und somit zum
besseren Verständnis eben diese Schreibarrangements gewählt, die bereits zur Untersuchung
mittels der Kreativitätsfokussierenden Textanalyse dargestellt worden sind.
318
3.6.1.3 DiskursiveGruppeninterviewsmitStudierendenzuSchreibprozessenim
Intensivseminar
Die in den Intensivseminaren eingesetzten Verfahren der Gruppeninterviews verfolgen das
Ziel der Initiierung einer Auseinandersetzung mit den Aktivitäten und ablaufenden Prozessen
der teilnehmenden Studierenden beim Kreativen Schreiben279. Durch implizite oder explizite
Aufforderungen zur begründeten Stellungnahme von Verhaltensmustern beim Schreiben wird
durch sogenannte diskursive Interviews die Wahrscheinlichkeit gegenüber allgemeinen Grup-
peninterviews gesteigert, wodurch die Befragten in der Lage sind, sich zu den gestellten Fra-
gen angemessen zu äußern (Ullrich, 1999, 10).
Die Technik des diskursiven Interviews ermöglicht es daher, Befragte direkt oder indirekt zur Begründung ihrer Handlungen, Handlungsorientierungen und Situationsdefinitionen zu veran-lassen und sie darüber hinaus systematisch mit Widersprüchen und Inkonsistenzen in ihren Selbstdarstellungen zu konfrontieren. (Ullrich 1999, 9)
Den Teilnehmenden wurden einzelne Fragen gereicht, die zunächst jeweils in einer Klein-
gruppe vorbesprochen und anschließend mit der gesamten Seminargruppe diskutiert wurden.
Damit hat das eingesetzte Verfahren klar den Anspruch eines qualitativen heuristischen In-
struments, das nicht als valides oder reliables Verfahren Hypothesen überprüft, sondern viel-
mehr Ideen und Hypothesen generiert (Pryzborski/Wohlrab-Sahr 2014, 89). Gruppenreaktio-
nen auf einzelne Aussagen bzw. Interviews entzerren dennoch rein persönliche Interpretatio-
nen und fördern die Auseinandersetzung und die Authentizität von Untersuchungsgegenstän-
den. Damit wird für eine selbstreflexive Haltung sensibilisiert, was jeweils im weiteren Ver-
lauf der Intensivseminare und insbesondere außerhalb der Seminarräume zu Hause, wo fast
alle Überarbeitungstätigkeiten und schriftlichen Reflexionen der eigenen Schreibprozesse aus
der Retrospektive stattgefunden haben. Für die Auswertung der dargestellten Gruppeninter-
views und zur Triangulation bei der Auswertungen der schriftliche Reflexionen bleiben so-
wohl die Zusammensetzung der Kleingruppen als auch die der gesamten Seminargruppe unter
methodologischer Perspektive gegenstandslos. Die Datenaufbereitung der aufgezeichneten
Gruppeninterviews erfolgte nach dem Transkribierverfahren TiQ280 (Przyborski/Wohlrab-
Sahr, 2014, 167-170).
279 für nähere Beschreibungen zum methodologischen Vorgehen vgl. Kapitel 3.3.1 280 nähere Ausführungen zur Wahl des Datenaufbereitungsverfahren TiQ finden sich im Kap. 3.3.1
319
AnalysevonReflexionenStudierenderbeimKreativenSchreiben3.6.2
(undGestalten)
Die schriftlichen Reflexionen der Studierenden unterscheiden sich sowohl hinsichtlich des
Umfangs als auch hinsichtlich der Tiefe der Ausführungen zum Schreibprozess. Dabei mi-
schen sich häufig narrative und analytische Darstellungen in den Reflexionen, was die Nach-
vollziehbarkeit häufig vereinfacht, was das folgende Beispiel des Studierenden OKDes veran-
schaulicht:
Zunächst habe ich mir vorgenommen den Text so zu machen, wie ich manchmal skizziere. Im Zug mit Zettel und Stift bin ich zu nichts gekommen. Ich merke dass ich beim Schreiben Probleme mit dem loslegen habe. Musik ohne Gesang im Hintergrund zu hören funktioniert für mich gut um in einen Arbeitsfluss zu kommen. Trotzdem fällt es mir schwer mich beim Schreiben richtig fallen zu lassen. Ein Grund dafür ist die Angst, keine richtige Form finden zu können. Doch das größere Problem ist, dass ich keinen Text vor dem geistigen Auge habe, sondern Bilderfolgen. Eigentlich bin ich mit liebevoll gestal-teten Texten zu beeindrucken. Ich habe wenige Kenntnisse im Schreiben von Texten. Ich habe auch kein Repertoire an Textformen, die für mich gut funktionieren. So fallen mir nur wenige Formen aus der Schulzeit ein. Die einzige Schreibform bei der es einigermaßen klappt mich fal-len zu lassen, ist es meine Gedanken einfach aufzuschreiben wie beim ‚Automatischen Schrei-ben‘. Diesen Text dann in Form zu pressen, fühlt sich nicht richtig an, weil ich kein Ziel vor Au-gen habe in welche Richtung sich der Text entwickeln könnte. Beim Überarbeiten sehe ich lange Zeit nur Buchstaben und Wörter die richtig oder falsch ge-schrieben sind an ganzen Satzstrukturen zu verändern traue ich mich erst nach und nach. Mein Ansatz ist es, den Text zu überarbeiten und ihn effizienter zu gestalten. Ich versuche durch ‚unvollständig‘ lassen mancher Sätze in erster Linie ein Gefühl zu vermit-teln. Nicht zu konkret werden. Mir macht es Spaß die richtigen Wörter zu suchen. Ich glaube es gibt für das, was ich ausdrücken will eine ideale Form und die versuche ich zu finden. Ich ver-suche Strukturen in meinen Text zu bringen, die mehr oder weniger Sinn machen. Die Grund-form ist ein Selbstgespräch. Wichtig ist die Entwicklung, die der Sprecher während dessen durchläuft. Ich komme gut voran doch währenddessen werde ich mir bewusst, dass ich nicht genau weiß wohin ich mit dieser Überarbeitungsform will. Doch das ist mir bald egal. Ich versuche den Text so zu formulieren, dass er sich gut anfühlt. Ich beende den Text ohne zu wissen was es für ein Text ist. Bei einem Gedicht wäre das klarer. Im Endeffekt ist mein Text eine Beschreibung. Ich werde den Text so abschließen wie er ist, in dem Vertrauen, dass zumindest ein Teil der da-von Leser angesprochen werden und verstehen, was ich damit meine. Manchmal hängen auch Skizzen in Ausstellungen. Obwohl, so schlecht ist es gar nicht.
(teilnehmende Studierende BKDid 2012)
Eine Analyse mehrerer solcher Reflexionen von unterschiedlichen Studierenden, aber jeweils
zu ein und demselben Schreibverfahren, wird im Folgenden an den vier Schreibverfahren
Schreiben zu Musik, Situatives Schreiben, Écriture Automatique und Schreiben zu literari-
schen Vorlagen durchgeführt.
Um Erkenntnisse aus dem Untersuchungsschwerpunkt 2 zur Bewertung kreativer Leistung in
Texten in Beziehung setzen zu können mit Erkenntnissen aus dem Untersuchungsschwer-
320
punkt 3 zur Reflexion von Schreibprozessen, werden der Datenauswertung jeweils diese vier
Schreibverfahren zugrunde gelegt. Nur so ist es für die Beantwortung der abschließenden for-
schungsleitenden Fragestellung IV möglich, Konsequenzen für eine hochschuldidaktische
Schreibausbildung abzuleiten, die sich konkret auf den Ergebnissen und Erfahrungen der
durchgeführten interdisziplinären Seminare begründen lässt, in deren Rahmen die hier unter-
suchten Texte und Illustrationen entstanden sind
3.6.2.1 SeminareinheitSchreiben und Zeichnen zu Musik - Musikalische Phantasie-
reise
Die didaktische Diskussion dieses Schreibarrangements und den konkreten Verlauf in den
beiden Intensivseminaren sind dem Untersuchungsschwerpunkt 2 „Bewertung von Kreativität
beim fortgeschrittenen Kreativen Schreiben mit Studierenden im Kapitel 3.5.5.1 zu entneh-
men und werden hier nicht wiederholt.
Auswertung
Um die reflexive Praxis bei diesem Schreibverfahren zu untersuchen, werden 16 schriftlich
verfasste Reflexionen von Studierenden zu diesem Schreibverfahren durch verschiedene Ar-
ten des Kodierens im Sinne des Fallstudien-Ansatzes (Theoretical Sampling) herangezogen.
Durch die Auswertung der Reflexionstexte zur Seminareinheit Musikalische Phantasiereise
konnten nach dem doppelt zirkulären Kodieren vier Kategorien final gebildet werden281:
SchreibBild (1), MusikPrägungStimmung (2), ProzessFokus (3) und ErwartungsAnspruch (4)
Zunächst ist festzuhalten, dass sich die Reflexionen der Studierenden einerseits auf Phänome-
ne beziehen, die speziell den Einfluss der Musik auf die thematische Gestaltung dokumentie-
ren und dies sowohl für die Text- als auch für die Bildproduktionen. Die kreativen Texte (und
Bilder) zum Schreibverfahren sind nach Aussagen der Studierenden meist stark von der Mu-
sik beeinflusst, ferner auch durch die mit der Musik verbundenen individuellen Erinnerungen
an Reisen, Urlaube oder Erlebnisse.
Der Anfang meines Gedichts kam dann über die Assoziation zur Musik im Allgemeinen, unter Einbeziehung des konkreten Hörbeispiels. Das Lied, das zur Anregung dienen sollte, enthielt eine sehr starke Dynamik und vermittelte mir sofort ein „Gefühl des Unterwegsseins“, also eine Assoziation mit dem Freiheitsgefühl der Ungebundenheit, wie man es etwa bei einer
281 Eine Erläuterung des doppelt zirkulären Vorgehen im Sinne der Grounded Theory Methodik für eine Analyse und eine Inter-
pretation der Studierendenreflexionen wird im Kapitel der praxeologischen Vorüberlegungen skizziert und im Unterkapitel 3.6.1.2 detailliert erläutert.
321
Reise oder insbesondere einem Roadtrip empfindet. Jedoch sah ich beim Anhören des Liedes auch ganz klar die Schienen vor meinem inneren Auge, auf dem der im Liedtext thematisierte Zug dahinrollt. (teilnehmende Studentin ANDid 2012)282
Andererseits werden Musik-unabhängige Einflüsse auf den studentischen Schreib- und Zei-
chenprozess beim Kreativen Schreiben und ästhetischen Gestalten vorgebracht. Nicht alle
Studierenden konnten das Schreiben bzw. Zeichnen zu Musik gleich produktiv und gleich
förderlich für ihren eigenen Schreib- bzw. Gestaltungsprozess nutzen. Dennoch reflektieren
die Studierenden den Einfluss der Musik und empfinden ihn produktiv beim Gewinnen von
Ideen, Bild-Assoziationen, beim Einfinden in eine Schreibstimmung und beim initialen Los-
schreiben / Loszeichnen, das für die Studierenden im entspannenden, beruhigenden, im fast
schon therapeutischen Schreiben und Gestalten, häufig auch schon in einem ersten Schreib-
flow mündet.
Plötzlich habe ich bemerkt, dass ich durch Musik aber auch durch das Clustern extrem schnell meine Gedanken ästhetisch zu Papier bringen kann, teilweise als hätte es längst in mir ge-schlummert - nur der Reiz fehlte bisher. (teilnehmende Studentin GWDes 2012)
An dieser Stelle sei betont, dass die Studierenden trotz ähnlicher Aussagen über das Auftreten
und Wirken von Schreibflows unterschiedliche Strategien zu Beginn der Textproduktion an-
wenden. Rückblickend auf die von Wyllie und Chandler differenzierten Schreibtypen283, un-
terscheiden sich die Vorgehensweisen vor Beginn der Fließtextproduktion teilweise erheblich.
Während einige intuitiv sofort losschreiben, verwenden andere Studierende zunächst die Zeit,
um bewusst Assoziationen zu bilden, Gedanken zu sortieren oder diese gar aufzuschreiben
und mittels Cluster- oder Mind-Mapping-Verfahren zu strukturieren. Erste Vorlieben und
bestimmte Schreibtypen sind hier bereits deutlich sichtbar.
Ich habe auch etwas über meinen Arbeitsrhythmus gelernt, da wir auch darüber nachdenken sollten. Mit ist nun klarer wie und auf welche Weise ich arbeite. ------ Reflexionen seiner Arbei-ten - Persönliches - intimes (teilnehmender Student OKDes 2012)
Die Textproduktion zu Musik löst dabei nicht selten zum Teil starke Gefühle aus. Häufig
werden auch aufeinander folgende Schreibflows nach nur kleinen Unterbrechungen beschrie-
ben, in denen das Ordnen von Gedanken, das Nachdenken aufgrund der sich verändernden
Musik oder das Betrachten des bereits Geschriebenen oder Gezeichneten stattfindet. Ein Wei-
terschreiben kann jedoch stets problemlos stattfinden. Dabei werden formale Kriterien hin-
sichtlich prägnanter Formulierungen, orthografischer oder stilistischer Normen zunächst aus-
282 Das Gedicht der Studierenden befindet sich im digitalen Anhang dieser Arbeit und kann im Portfolio ANDid12 auf Seite 13
nachgelesen werden. 283 vgl. Überlegungen zu individuellen Schreibtypen am Ende des Kapitels 2.2.4 im Theoretischen Teil dieser Arbeit Kreatives
Schreiben und ästhetisches Gestalten
322
geblendet. Aus dem entstehenden Erfolgserlebnis, inklusive der wachsenden empfundenen
Sicherheit im Schreibprozess, welches sich in einer kontinuierlichen Fließtextproduktion
(Schreibflow) äußert, geht anscheinend auch der selbst eingeschätzte Zuwachs an Kreativität
beim Schreiben einher. Durch das Ausblenden von grammatischen, orthographischen und
stilistischen Anforderungen profitiert zunächst der Schreibprozess, was als eine Art Freiheit
empfunden wird, welche von den Studierenden sowohl für den gestalterischen Spielraum als
auch für den Schreibflow in der ersten Formulierungsphase als grundlegend eingeschätzt wird.
Angestrebte Reflexionen über den eigenen Schreibprozess während dieser ersten „Schreib-
flow-artigen“ Phase werden jedoch als behindernd wahrgenommen.
In dem speziellen Fall des Intensivseminars, in dem der musikalische Impuls durch den Titel
Mystery Train (bzw. die Filmmusik zum gleichnamigen Film von Jim Jarmusch) erfolgt, ruft
die Musik bei den Studierenden Wild West und Country-Assoziationen hervor, was auf das
Vorwissen der teilnehmenden Studierenden über US-amerikanische Kultur und Geschichte
zurückzuführen ist. Gleichzeitig heißt dies jedoch, dass die aufgetretenen Assoziationen zum
wilden Westen Amerikas von den persönlichen Vorerfahrungen und Einstellungen zu dieser
Art von Musik abhängig sind, was sich bei Gefallen oder Missfallen positiv oder negativ auf
den Schreibbeginn und Schreibprozess der Studierenden auswirkt.
Die Verwendung des Englischen für einen leichteren Einstieg könnte auch auf meine persönli-chen Erfahrungen zurückzuführen sein, da ich das oben beschriebene Freiheitsgefühl vor allem mit Reisen durch die USA verbinde, analog zum Stereotyp der großen Freiheit und der ewigen Weiten des nordamerikanischen Kontinents. Auch der anschließende Wechsel zum Deutschen als Schreibsprache war eine intuitiv-spontane Entscheidung, welche meiner Meinung nach zur angestrebten Dynamik meines Gedichts beiträgt. (teilnehmende Studentin TKDid 2012)284
Weniger individuell erscheinen jedoch die Wahrnehmung und der Einfluss von Musik beim
Überarbeiten der Formulierungen oder bei der Fehlerkorrektur. Hier wird der Wunsch nach
„neutraler“ Musik geäußert, da der Fokus dann nicht mehr auf der Ideengenerierung, sondern
auf Kontrolle und Reflexion auf der Textebene liegt. Die Überarbeitungen finden fast aus-
schließlich mit zeitlichen Verzögerungen und in Einzelarbeit, meist zu Hause, statt.
Im Nachhinein veränderte ich einige wenige Aspekte innerhalb des Gedichtes. Vor allem aber ließ ich so manches Wort weg, da ich dazu neige, im ersten Flow Gedanken zu Sätzen auszu-formulieren, die ich später wieder kürze, da sie mir besser zusagen. Beim dritten Durchlesen zuhause bekam ich also das Verlangen, wie so oft, die Sätze auf das Nötigste, Prägnanteste und trotzdem Aussagekräftigste herunterzukürzen, was die Rastlosigkeit, die das Gedicht ausdrü-cken soll, verstärkt wiederspiegelt. (studentische Teilnehmerin ANDid 2012)
284 Das Gedicht der Studierenden befindet sich im digitalen Anhang dieser Arbeit und kann im Portfolio TKDid2012 auf Seite 10
nachgelesen werden.
323
Nur wenige reflektieren ihren Schreibprozess mit einer Art „Monitor“ auch schon bereits
während des Formulierens in der ersten Schreibphase, was wiederum die unterschiedlichen
Schreibroutinen oder auch Schreibtypen sichtbar macht. Aufgrund der interdisziplinären Auf-
gabenstellung im Intensivseminar, in der eine Text-Bild-Komposition das intendierte Ziel
war, nehmen eine Vielzahl Studierender eine Hemmung, meist gegenüber dem Zeichnen,
wahr, da sie selbst ihre eigenen Fähigkeit als zu gering einschätzen, als dass sie sich mit
Selbstvertrauen der illustrativen Aufgabe haben zuwenden können. Unter der Berücksichti-
gung des Umstandes, dass die Mehrheit der Studierenden der Friedrich-Alexander-Universität
Erlangen-Nürnberg wenig Erfahrung mit dem Zeichnen und Illustrieren hat, erscheinen diese
selbstkritischen Rückmeldungen als logische Konsequenz. Sind Studierende zumindest grund-
legend in der Lage zu zeichnen und zu illustrieren, beeinflusst der zuvor geschriebene Text
nach deren Rückmeldungen die Bildproduktion zum Teil erheblich. Insbesondere die Inhalte
würden von einem Kreativen Schreiben, das vor der Bildproduktion stattfindet, profitieren.
3.6.2.2 SeminareinheitSituatives Schreiben
Die didaktische Diskussion dieses Schreibarrangements und den konkreten Verlauf in den
beiden Intensivseminaren sind dem Untersuchungsschwerpunkt 2 „Bewertung von Kreativität
beim fortgeschrittenen Kreativen Schreiben mit Studierenden im Kapitel 3.5.4.2 zu entneh-
men und werden hier nicht wiederholt.
Auswertung
Durch die Auswertung der Reflexionstexte zur Seminareinheit Situatives Schreiben konnten
nach dem doppelt zirkulären Kodieren vier Kategorien final gebildet werden:
KontrastThema (1), SituationsText (2), ProzessFokus (3) und ZeitEmoSoziales (4)
Nur einzelne Studierende geben an, bisher Erfahrungen mit dem Schreiben in konkreten Situ-
ationen, sprich mit dem Situativen Schreiben, gemacht zu haben. Für die Auswertung und
Interpretation der Reflexionen, die mittels des doppelt-zirkulären Kodierverfahrens aus den
studentischen Reflexionstexten herausgearbeitet wurden, sei hinzugefügt, dass es sich bei den
Schreibaktivitäten im Gegensatz zur Musikalischen Phantasiereise nicht um ein einzelnes
Kreatives Schreibverfahren, sondern um ein ganzes Schreibarrangement handelt. Dadurch
gestaltet sich der zeitliche Beginn des Situativen Kreativen Schreibens, der eigene Zugang
zum Schreiben, die Auswahl der sensorischen Impulse und die zu verwendenden Schreib-
techniken und Materialien um ein Vielfaches offener und individueller. Den Studierenden
324
gelingt es hierbei, ihren eigenen Schreibprozess deutlich ausdifferenzierter zu fokussieren
bzw. zu reflektieren als vergleichshalber bei der Musikalischen Phantasiereise. Bereits bei der
Themenwahl fällt auf, dass die Studierenden konkrete ortsabhängige Perspektiven bevorzu-
gen, bei denen Kontraste offensichtlich sind, abgebildet oder zumindest für den Leser vor-
stellbar konstruiert werden. Diese Kontraste spiegeln die Reflexionstexte der untersuchten
Studierenden auf zeitlicher (z.B. damals vor dem zweiten Weltkrieg in Deutschland - heute),
kultureller (z.B. Nazi-Aufmarsch auf dem Reichsparteitagsgelände in Nürnberg - Musikfesti-
val Rock im Park) und sozialer Ebene, wie bspw. dem Interesse an sozialen Um- bzw. Miss-
ständen für Mitmenschen im Nürnberger Stadtteil Gostenhof wider.
Mir ist der krasse Gegensatz aufgefallen, den ich versucht habe aufzuschreiben. Prozessanalyse: Mir war von Anfang an klar, dass ich mein zweigeteiltes Bild von diesem Ort als Thematik meines Textes verwenden wollte. Ich habe nur überlegt wie ich die beiden Bilder verknüpfe, ohne jetzt direkt das Festival oder den Nationalsozialismus zu erwähnen. Ich habe versucht meine Gefühle, die ich mit beiden Situationen verbinde in den Text mit einfließen zu lassen und meine Verwunderung über den Kontrast. (Teilnehmender Student CKDes 2012)285
Häufig spielt das (ortsbedingte) Vorwissen eine gewichtige Rolle bei der Bildung und Thema-
tisierung von Gegensätzen, denen sich sowohl vor Beginn der Verschriftlichung der Schrei-
bideen als auch während des Schreibprozesses starke Emotionen beimischen. So werden beim
Einlassen auf die präsente (Schreib-)Situation eigene Befindlichkeiten und Gefühle der Stu-
dierenden während des Schreibprozesses reflektiert und teilweise im Text verarbeitet. Irritati-
onen und Ungerechtigkeitsempfindungen werden - so die Reflexionen der Studierenden zum
situativen Scheiben - ausgelöst durch die Faszination (positive wie negative) der visuellen
Eindrücke vor Ort und haben einen starken Einfluss auf die Schreibenden. Die Eindrücke ru-
fen bei einigen Aphorismen, Zitate oder Sprüche hervor, die für das weitere Schreiben von
Bedeutung sind, bei anderen ist das Gesehene Gegenstand der Planungsphase, wobei es sogar
von einigen Studierenden in die Textgestalt (Risse, Treppen, Mauern) integriert wird.
Beim Umherblicken war ich besonders fasziniert von den Rissen in den Mauern und dem Un-kraut, das sich seinen Weg bahnt. Plötzlich schoss mir die Redewendung „Unkraut vergeht nicht“ in den Kopf. Ich wollte mit dem Wort Unkraut spielen und formulierte den Satz um, so-dass auch die Naziherrschaft als Unkraut zu interpretieren ist: Und Unkraut vergeht doch! Al-lerdings war meine Produktionsphase gezeichnet von vielen Unterbrechungen. Ich formulierte einige Halbsätze, Passagen, die ich aber nicht zusammenfügen konnte. Sie passten nicht in die Struktur, die ich mir vorstellte. Das Problem war, dass ich mir selbst nicht im Klaren war, wie die Struktur aussehen sollte. Aus diesem Grund überlegte ich viel, versuchte die Atmosphäre zu fühlen, schrieb einen Satz und verwarf ihn wieder usw. Ich präzisierte die einzelnen Passagen in dem ich einige Sätze persönlicher, andere sehr allgemein oder als Pars-pro-toto formulierte. Ge-gen Ende, als wir fast zur Uni zurückgehen mussten und ich somit unter Zeitdruck kam, kristal-lisierte sich dann langsam die Chronologie heraus. Ich wollte von der Euphorie der Herrschafts-
285 Der Text des Studierenden befindet sich im digitalen Anhang dieser Arbeit und kann im Portfolio CKDes2012 auf Seite 15
nachgelesen werden.
325
zeit über die Ironie und persönliche Ansprache Hitlers als Versager zur heutigen Nutzung. Wichtig ist mir bei dem Text gewesen, ihn wie auch die Risse in den Mauern der Nazibauten mit sich ähnelnden Sätzen und Ausdrücken zu durchziehen (NADid 2011)286
Im Sinne von Spinners Irritation - Expression - Imagination bildet sich die Irritation der Stu-
dierenden, eingeleitet durch die Vorauswahl der Schreiborte durch die Leiterinnen der Inten-
sivseminare, in der bewussten Thematisierung von Kontrasten in den Studierendentexten ab.
Gleichzeitig stellen diese Gegensätze die Studierenden vor thematische Herausforderungen
bei der Abstraktion des zu schreibenden Texts (Expression), bei Finden von Formulierungen
zum In-Beziehung-Setzen der Gegensätze im Text, beim Wunsch der Schreibenden nach ei-
ner authentischen Wirkung beim Leser und bei der Kombination von Textinhalt und
Textstruktur. Im Schreibprozess äußern sich diese Herausforderungen für einen Teil der stu-
dentischen Schreibenden vor allem in häufigen Unterbrechungen zu Beginn des Schreibvor-
habens, welche beim situativen Schreiben zusätzlich auch durch ungewohnte Ablenkungen
und „Störfaktoren“, wie passierende Fußgänger und Autos oder Begegnen und Fragen anderer
Seminarteilnehmer, hervorgerufen werden.
Insgesamt verlief der Schreibprozess trotz hilfreichen Eindrücken der Natur eher schleppend. Wenn ich meinen Schreibprozess wegen fehlenden Ideen unterbrechen musste, lies ich mich außerdem durch die Umwelt leicht ablenken und meine Gedanken drehten sich nicht nur um das Erstellen des Gedichts. Die situative Situation kann auch leicht zur Ablenkung werden und so den Schreibprozess hemmen. Da ich aber das Gedicht trotzdem pünktlich beenden wollte, fühlte ich nach einiger Zeit ein wenig Spannung und Stress, der sich nicht sehr produktiv auf meinen Schreibprozess auswirkte. (teilnehmende Studentin AFDid 2012)
Andere Reflexionen beschreiben, dass solche Unterbrechungen aber auch durch das vielfälti-
ge Angebot situativer Reize von der Mehrheit der Studierenden schnell überwunden werden
kann. Studierende geben an, dass sie teilweise Angst vor schlechten Ideen haben, dass bereits
gewählte Formulierungen nicht in die Struktur des Textes passen, dass es unter Stress und
Unzufriedenheit zu mehrfachen Verwerfungen von Formulierungen in der ersten Schreibpha-
se kommt und dass sie trotz vieler (visueller) Eindrücke ihre Gedanken zunächst nicht in einer
fließenden Textproduktion zu Papier bringen können. Dem Umfang der beschriebenen Prob-
leme zu Beginn des studentischen kreativen Schreibprozesses wird in ähnlichem Maß begeg-
net. Die Studierenden wenden Strategien und Techniken selbsttätig an, um in den erwünsch-
ten Schreibflow (Imagination) zu gelangen. Insbesondere bei der Ideenfindung, die aufgrund
des offenen Schreibarrangement und der vielfältigen Eindrücke vor Ort Herausforderung und
Chance zugleich ist, werden Interviews mit Anwesenden, Abzeichnen und Abfotografieren
286 Der Text der Studentin befindet sich im digitalen Anhang dieser Arbeit und kann im Portfolio NADid2011 auf Seite 8 nachge-
lesen werden.
326
des Ortes, Überlegungen zu Textstruktur und Format (Kurzgeschichte, Lyrik, Triolett) vor der
Auswahl der Inhalte als Grundlage des kreativen Schreibprozesses verwendet. Bei lyrischen
Formen werden von den Studierenden quantitativ mehr Formulierungsprobleme reflektiert als
bei Prosatexten. Darüber hinaus ist den Studierenden für das Situative Schreiben, das Ab-
schreiben von Namen (von Klingelschildern) und Wörtern, das Zurückziehen zur genauen
Beobachtung, das Abrufen und Einbinden von themenrelevanten Erfahrungen und Erlebnis-
sen außerhalb der Schreibsituation ebenso wichtig wie die Verwendung von bekannten Tech-
niken wie Clustern, Mind-Mapping und das Führen von Gesprächen mit Seminarteilnehmern
über Wahrnehmungen, Empfindungen und Themen. An dieser Stelle wird die individuelle
Vorgehensweise bzw. Auswahl der Techniken im Sinne eines autonom handelnden Schrei-
benden besonders sichtbar.
Diese persönliche Erfahrung stellte sich als sehr hilfreich heraus, da ich nicht nur erste Eindrü-cke der Fassade, sondern auch meine Erinnerungen an das Treppenhaus, die besichtigte Woh-nung, den Innenhof, sowie die Anekdoten des Vormieters in meinem Text verarbeiten konnte. Den Namen meines Protagonisten wählte ich willkürlich aus den auf den Klingelschildern des Mietshauses angegebenen Nachnamen. (teilnehmende Studentin TKDid 2011)287
Für beispielsweise die Hälfte der das Situative Schreiben reflektierenden Studierenden steht
bereits von Anfang an fest, welche Struktur bzw. Textgestalt ihr noch zu produzierender Text
haben soll. Der Schreibflow nimmt in den studentischen Reflexionen neben der Funktion der
Verschriftlichung vorab gesammelter Textinhalte und Formulierungen auch die zentrale
Funktion für die Kreation der narrativen Textkohärenz ein, indem er als intuitives und impul-
sives Schreibhandeln beschrieben wird. Ebenfalls wird der Schreibflow als Sicherung wichti-
ger Gedanken im Text beim Situativen Schreiben vermehrt von den Studierenden reflektiert.
Schwierigkeiten am Anfang des Schreibprozesses, teilweise sogar Blockaden, und spätere
Schreibflows bei ein und derselben schreibenden Person, stellen dabei keinen Widerspruch
dar und werden von den Studierenden häufig als chronologische Abfolge ihres Schreibhan-
delns dargestellt.
Die Reflexionen zeigen, dass die Studierenden unterschiedlich professionell mit individuellen
Stärken und Schwächen im eigenen Schreibprozess umgehen können. Ebenso gilt das für die
Fähigkeit, über den eigenen Schreibprozess im Detail zu reflektieren bzw. Teilprozesse des
Schreibens zu analysieren und für sich selbst und für andere nachvollziehbar schriftlich zu
explizieren.
287 Der handgeschriebene Entwurfstext der Studentin befindet sich im digitalen Anhang dieser Arbeit und kann im Portfolio
ANDid2011 auf den Seiten 34 bis 36 nachgelesen werden.
327
Auch fiel bei der Auswertung der Schreibreflexionen der Studierenden zu diesem Schreibver-
fahren besonders auf, dass der Faktor Zeit für fast alle Studierenden eine wesentliche Rolle
spielt, der aber unterschiedlich wahrgenommen und mit dem unterschiedlich umgegangen
wird. Einerseits werden Konstituenten und Bedingungen wie der Zeitdruck zur Fertigstellung
des ersten Entwurfs von einigen Studierenden als positiver, aber zur Produktivität und Fokus-
sierung führender Druck wahrgenommen, während er für andere kreativitäts- und produkti-
onshemmend wirkt.
Im Nachhinein jedoch, konnte ich die Geschichte oder das Gedicht mit gebührendem Abstand und der, mir innewohnenden kritischen Instanz betrachten, sodass unpassende Ausdrücke etc. abgeändert werden konnten. Und wieder einmal machte ich die Erfahrung, dass man sich auf die Situation einlassen, sich Zeit lassen muss und sich kein Zeitlimit setzen darf, damit man Ideen bekommt und diese auch umsetzen kann. Das Setzen eines Zeitlimits wirkt auf mich kontrapro-duktiv und versetzt mich stets in eine Art Stresszustand, welcher sich hemmend auf meinen Ide-enreichtum auswirkt. Was in einer solchen Situation dann aus mir herausbröckelt, kann als stümperhaft und abgehackt bezeichnet werden. (teilnehmende Studentin ANDid 2011)288
Textüberarbeitungen, noch dazu, sofern sie nicht in der Gegenwart von Lehrenden oder Do-
zierenden getätigt werden, werden bei den Studierenden ebenfalls sehr unterschiedlich vorge-
nommen. Für die Überarbeitung ist nach Angaben der Studierenden in ihren Reflexionstexten
eine zeitliche Distanz zwischen dem ersten Formulieren im Fließtext und der Überarbeitung
notwendig. Auch bei Unzufriedenheit mit dem eigenen Text, helfen Pausen, diese zu mindern,
um in konstruktiver Weise mit dem Schreiben fortfahren zu können. Detaillierte Aufzeich-
nungen über den Besuch an außerschulischen/außeruniversitären Lern- oder Schreiborten
würden die Überarbeitung erleichtern. Beiläufige Gespräche von Passanten oder von anderen
Seminarteilnehmern werden bei der Überarbeitung von Formulierungen als störend empfun-
den. Einige Studierende fragen sich mit Hilfe der Reflexion des eigenen situativen Schrei-
bens, ob der wiederholte Besuch des situativen Schreibortes den Überarbeitungs- und
Schreibprozess bereichern oder stören würde und ob sich die Assoziationen und Gedanken
vom ersten und zweiten Besuch gar unterscheiden würden.
Während einige Studierende angeben, ihre Texte, die im Rahmen des Situativen Schreibens
angefertigt wurden, gar nicht zu überarbeiten, zeigen andere Studierende konkrete Konzepte
und Textstellen der Überarbeitung an. Beispielsweise intensivieren die Studierenden Überar-
beitungen hinsichtlich der Leserperspektive, um durch verbesserte Formulierungen und Text-
kompositionen die intendierte Wirkung beim potentiellen Leser zu erzeugen. Einige Studie-
rende geben an, dafür den Text- und Schreibstil bzw. die Erzählperspektive an die Situation
288 Der überarbeitete Text der Studentin befindet sich im digitalen Anhang dieser Arbeit und kann im Portfolio ANDid2011 auf
den Seiten 9 und 10 nachgelesen werden.
328
und die Befindlichkeiten der Protagonisten im Text anzupassen, indem zwischen alltagsge-
bräuchlicher Sprachverwendung und objektiv-faktisch und hochsprachlicher hin- und her ge-
wechselt wird. Diese Wechsel zu optimieren, wird beim situativen Kreativen Schreiben mehr-
fach als Ziel der Überarbeitung in den studentischen Reflexionen angegeben.
In der direkt vor ebendiesem Mietshaus entstandenen Kurzgeschichte habe ich mich bewusst für eine Mischung aus Elementen, die in nüchtern-faktischem Stil die eben erwähnte Außenper-spektive repräsentieren, und aus Passagen, die einen Einblick in die persönliche, ja intime Ge-fühlswelt des Protagonisten zulassen, entschieden. Der Einstieg in die Geschichte ist so gestal-tet, dass der Charakter der beschriebenen Person in einer Weise eingeführt wird, die im Kontrast zum später ausführlich dargestellten Bild der Person steht: Es wird eine Hoffnung vermittelt, die jedoch spätestens nach dem dritten Satz der Geschichte eine Desillusion erfährt, was einen Überraschungs-, unter Umständen sogar Enttäuschungseffekt beim Leser hervorrufen soll. (teil-nehmende Studierende CEDes 2011)289
Das Reflektieren über das eigene Handeln beim Schreiben und Zeichnen, was sie in dieser
Form und Intensität nie zuvor getätigt hatten, wird von einigen Studierenden in ihren Reflexi-
onen als Erkenntnis bringend hervorgehoben und geschätzt. Zu selten allerdings beinhalten
die Studierendenreflexionen in der Retrospektive auch eine pragmatische Einsicht der Schrei-
benden, was im Text besser hätte gelöst werden können.
3.6.2.3 SeminareinheitÉcriture Automatique
Die didaktische Diskussion dieses Schreibarrangements und den konkreten Verlauf in den
beiden Intensivseminaren sind dem Untersuchungsschwerpunkt 2 „Bewertung von Kreativität
beim fortgeschrittenen Kreativen Schreiben mit Studierenden im Kapitel 3.5.4.3 zu entneh-
men und werden hier nicht wiederholt.
Auswertung
Durch die Auswertung der Reflexionstexte zur Seminareinheit Écriture Automatique konnten
nach dem doppelt zirkulären Kodieren vier Kategorien final gebildet werden:
GedankenFlut (1), ThemenFokus (2), ProzessFokus (3) und ErwartungsAnspruch (4)
Das für fast alle Studierende gänzlich neue Schreibverfahren ist sicherlich sowohl hinsichtlich
der Herangehensweise an das Schreiben als auch hinsichtlich der Nutzbarkeit ein „Exot“ unter
den kreativen Schreibverfahren. Das Verfahren kommt der Mehrheit der Studierenden, die
dieses Verfahren reflektieren, interessant vor und bietet ihnen eine völlig neue Schreiberfah-
rung an, womit sie allerdings nach deren Angaben völlig unterschiedlich zurechtkommen.
289 Der Text der Studentin befindet sich im digitalen Anhang dieser Arbeit und kann im Portfolio CEDes2011 auf Seite 7 nachge-
lesen werden.
329
Ebenso heterogen wird die zukünftige Verwendung und die potentielle Hilfe für den Schreib-
prozess bewertet.
Durch das Schreiben ohne Unterbrechung findet beim Écriture Automatique weder eine The-
menvorauswahl noch eine Reflexion über den Inhalt während des Schreibens statt. Hinsicht-
lich der Inhalte, die sich durch den Gedankenstrom beim Schreiben erst entwickeln, berichte-
ten die Studierenden von der Abbildung persönlicher Themen, Stimmungen und persönlichen
Probleme bzw. über „Dinge“ in den Texten, die den studentischen Autor beschäftigen, aber
für die er zum Zeitpunkt des Schreibens keine Lösung hat. Ebenso ist der Schreibprozess
selbst Thema beim Écriture Automatiqiue.
Aus diesem Grund mutete mir diese Technik auch merkwürdig an und ich fühlte mich während des Schreibens unsicher, begann traurig zu werden und zu realisieren, was ich eigentlich tat-sächlich für sorgenvolle Gedanken hegte. Wenn man das Geschriebene im Nachhinein liest, merkt man, welche verschiedenen Aspekte mir zu dieser Zeit besonders im Kopf herumschwirr-ten und, welche Rangfolge sie einnahmen. Dies fiel mir- laut Text- anscheinend auch schon während des Schreibens auf. (teilnehmende Studentin ANDid 2012)290
Die Studierenden reflektieren, dass die Gedanken direkt aufs Papier gebracht werden. Dabei
entstehen Gedankensprünge ohne Zusammenhang und schnelle Wechsel zwischen den ver-
schiedenen auftretenden Gedanken. In diesem nach Studierendeneinschätzungen angespann-
ten Flowzustand treten auch sorgenvolle und traurige Gedanken durch das Verschriftlichen
auf. Trotz der fortgeschrittenen Schreibfähigkeiten der Studierenden wird bemerkt, dass die
Hand als Transferinstrument zwischen Gehirn und Schriftabbild mittels ausführender Hand
und Schreibwerkzeug deutlich langsamer ist als die Gedankenflut. Das Schreiben mit dem
Gedankenstrom wird in einigen Reflexionen wiederum als Freiheit empfunden. Dabei fällt es
leicht, Gedanken ohne Pausen aufzuschreiben; einige Studierende empfinden dennoch Unsi-
cherheitsgefühle während des Schreibprozesses. Widersprüchliche Angaben bzw. unter-
schiedliche Vorgehensweisen der Studierenden zeigen, dass einige Studierende das Verfahren
als produktorientierte Textproduktion verstehen und der entstandene Text aus Authentizitäts-
gründen nicht überarbeitet wird, während er für andere Studierende als Gedankenpool im Sin-
ne einer Ideensammlung zur anschließenden Weiterverarbeitung reflektiert und betrachtet
wird. Die Flüchtigkeit beim Schreiben und die Konzentration auf einen zeitlich eng gerahm-
ten Moment lassen orthographische und grammatische Normen für (anspruchsvolle) Texte
wie alternierende Konjunktionen oder Satzanfänge in den Hintergrund treten, so die Studie-
renden.
290 Der Text der Studentin befindet sich im digitalen Anhang dieser Arbeit und kann im Portfolio ANDid2011 auf den Seiten 16
und 17 nachgelesen werden.
330
Anfangs dachte ich, dass das „Automatische Schreiben“ mir sehr liegen würde. Ich hatte gewis-se Parallelen in den Schreibcharakteristika dieser Art und meiner eigenen Vorgehensweise er-kannt. Gemeinsam ist beiden Schreibstilen, dass man erst einmal nicht auf die korrekte Recht-schreibung und Interpunktion achtet oder dass man so schnell schreibt, dass man den Inhalt nicht mehr genau weiß. Deshalb hatte ich mich auf diese Übung gefreut. (teilnehmende Studen-tin SKDid 2011)
Ebenfalls aufgrund der Flüchtigkeit und des angespannten Schreibflows reflektieren die Stu-
dierenden keinen künstlerisch-ästhetischen Anspruch ihrerseits und haben außer der Erwar-
tung, dass das Écriture Automatique Freude macht, keinerlei Erwartungen an das Ergebnis
mit dieser Schreibtechnik, was auch durch die erstmalige Verwendung dieser zu begründen
ist.
Meinen Text finde ich nicht besonders literarisch wertvoll, da er mir eher wie ein Tagebuchein-trag, oder noch weniger als das vorkommt. Aus diesem Grund, und weil ich keinerlei Erwartun-gen hatte, kann ich weder sagen, dass ich zufrieden, noch, dass ich unzufrieden mit ihm bin. Ei-gentlich ist er mir eher egal, er spiegelt eben meine damaligen wichtigen, oder in diesem Mo-ment als wichtig empfundenen Gedankengänge und Gefühle wieder. Ich halte diese Technik für interessant, vor allem, wenn man sich seine Worte später erneut durchliest, jedoch für mich nicht besonders relevant, da es mir doch eher auf das Produkt, als auf den Prozess ankommt.
Die hohen Erwartungen eines Schreibers an das Schreibverfahren kommen daher zustande, da
der Schreibende vor dem ersten Ausprobieren der Technik Parallelen zwischen dem Charakter
des Écriture Automatique und dem eigenen Vorgehen beim Schreiben erahnt.
3.6.2.4 SeminareinheitSchreiben und Zeichnen zu einem literarischen Impuls
Die didaktische Diskussion dieses Schreibarrangements und den konkreten Verlauf in den
beiden Intensivseminaren sind dem Untersuchungsschwerpunkt 2 „Bewertung von Kreativität
beim fortgeschrittenen Kreativen Schreiben mit Studierenden im Kapitel 3.5.4.4 zu entneh-
men und werden hier nicht wiederholt.
Auswertung
Durch die Auswertung der Reflexionstexte zur Seminareinheit Schreiben zu einem literari-
schen Impuls konnten nach dem doppelt zirkulären Kodieren vier Kategorien final gebildet
werden:
StartSchreibIdee (1), SprachÄsthetikKommunikation (2), EmoLitSchreib (3) und Schreibpro-
zessÜberarbeitung (4)
Bereits beim ersten Herauslösen von Schreibprozessphänomenen aus den studentischen Re-
flexionstexten fällt auf, dass die Studierenden im Vergleich zu anderen explizierten Phäno-
menen beim Schreiben zu literarischen Impulsen, aber auch im Vergleich zu den Reflexionen
331
anderer Schreibverfahren, überproportional häufig Strukturphänomene thematisieren. Ein
deutlicher Zusammenhang besteht hier offensichtlich aufgrund des prinzipiellen Fokus´ auf
Struktur bei der Produktion lyrischer Texte. Dennoch beziehen sich viele der reflektierten
Schreibprozessphänomene beim Kreativen Schreiben zu einem literarischen Impuls auch auf
Strukturierungen in Prosatexten. In den Seminareinheiten Schreiben zu einem literarischen
Impuls konnten die Studierenden die zu produzierende Textform frei wählen. Dennoch gibt es
Impulse, bspw. den motivierenden Satzanfang eines Rilke-Gedichts Du musst das Leben nicht
verstehn…, den die teilnehmenden Studierenden als Beginn eines lyrischen Textes hätten
identifizieren können. Allein diese erste vorgegebene Struktur beeinflusst alle weiteren
Schreibhandlungen stark und wird von den Studierenden beim Schreiben als so eindringlich
beschrieben, dass einige Studierende diese Vorgabe in ihren kreativen Texten sogar als stilis-
tisches Mittel des Hervorhebens wiederholen.
Ich habe herausgefunden, dass ich die Strukturierung meist dann auf dem Papier mache, wenn ich keine Ideen habe und benutze es demnach eher als Hilfe, um in den Schreibflow zu kom-men. Ich habe auch schon ein bisschen meinen Stil gefunden. Am besten gefallen mir meine Produkte selbst, wenn ich mit der Form spielen kann; mit der Groß- und Kleinschreibung, mit Satzzeichen, mit der Textstruktur. […] Dann hatte ich meinen „Gedankenflow“ abgeschlossen und alles strukturiert zu Papier gebracht. Was ich auch bereits mehrmals intuitiv gemacht habe, ist, dass ich einen bestimmten Satz, in diesem Fall die Überschrift, nochmal niedergeschrieben habe, um den gesamten Text noch einmal zu strukturieren. Am Ende habe ich mich dann nur auf diesen Satz konzentriert und mit der, wieder für jeden selbst interpretierbaren Antwort „Es ver-steht dich“ spielen lassen. (teilnehmende Studentin NADid 2012)291
Die Studierenden geben an, dass sie der jeweils gegebene literarische Impuls persönlich und
thematisch anspricht, teilweise bekannt ist und dass sie sofort und ohne Schwierigkeiten an
die Vorlage anknüpfen können, was sich allerdings sehr unterschiedlich gestaltet. Zum einen
entstehen beim Lesen und anschließenden Nachdenken über den literarischen Impuls zuerst
bildhafte Vorstellungen, zum Teil als Gedankenflows beschrieben, denen erst anschließend
Überlegungen zum Transfer in den Text durch das Aufschreiben folgen. Ähnlich vollzieht es
sich mit der Wörter- und Texteigenschaftssuche direkt im Anschluss an das Lesen dieses lite-
rarischen Impulses vor der eigentlichen schriftlichen Textproduktion. Unsicherheiten und
Unentschlossenheit sind in dieser Phase der Ideenfindung nach Aussage der Studierenden
eher selten, obwohl die Dauer dieser individuell von kurz bis länger differiert. Zum anderen
entlastet das Fokussieren konkreter Strukturierungen wie Reim oder Metrum den komplexen
Schreibprozess zu Beginn und stellt so eine Anknüpfung an die literarische Vorgabe her. Die
291 Der handgeschriebene Entwurfstext der Studentin befindet sich im digitalen Anhang dieser Arbeit und kann im Portfolio
NADid2012 auf Seite 13 nachgelesen werden. Der Text ist nicht überarbeitet worden.
332
Form des Gedichts wird an mehreren Stellen in den Reflexionen als schreibmotivierend be-
schrieben, es sei denn, der literarische Text ist bekannt und hemmt so eigene und vom Origi-
nal losgelöste Denk- und Formulierungsversuche.
Ein Gedicht oder einen Text mit Schreibanfang schreiben. Spontan entschied ich mich gleich für das Gedicht, da mir das Schreiben in Gedichtform meist leichter fällt. Denn hier konzentriere ich mich anfangs auf formale Aspekte (wie Reim und Metrum) und mache mir nicht so viele Gedanken über die Worte, was mir das Kreative Schreiben erheblich erleichtert. (teilnehmender Student LBDes 2012)292
Das Innehalten und Überlegen nach dem Lesen des literarischen Impulses, das gedankliche
Trennen und Sortieren von Gedanken, die laut einiger Studierender gleichzeitig entstehen,
sind ebenfalls Merkmale in der ersten Schreib- bzw. Planungsphase. Intuitive und spontane
Vorgehensweisen treten bei den untersuchten Studierenden im Rahmen dieses Schreibverfah-
rens dagegen sehr selten auf. Neben den Studierenden, deren Schreibprozesse ausgedehnte
Strukturfokussierungen beinhalten, geben auch einige wenige Studierende an, die Entwurfs-
fassung in einem Ganzen zu schreiben. Ähnlich wie beim situativen Schreiben folgen bei ei-
ner Vielzahl von Studierenden flüssige Schreibprozesse und Schreibflows häufig längeren
Planungs- und Strukturierungsphasen, was keinesfalls einen Widerspruch darstellt. So geben
die untersuchten Studierenden an, weitere Ideen während des Schreibprozesses, unabhängig
von den Ideen aus der Planungsphase, zu entwickeln und dabei der Schreibintention „vom
Einfachen zum Komplexen“ zu folgen. Wahrgenommene Befindlichkeiten bei den untersuch-
ten Studierenden selbst und deren Anforderungen sind immer wieder Inhalte der Reflexionen
hinsichtlich des Umgangs mit der Schreibaufgabe, wenn auch individuell unterschiedlich. Der
Anspruch an sich selbst und an das zu schreibende Textprodukt wird von einem Teil der Stu-
dierenden als positive Spannung und von anderen als Schreibhemmung betrachtet. Einigen
reicht die vorgegebene Zeit im Intensivseminar für die Planungs- oder Entwurfsphase aus,
während andere mit der Zeit nicht zurechtkommen.
Mein entstandener Text wäre länger geworden, wenn wir im Seminar mehr Zeit zur Verfügung gestellt bekommen hätten. Ich war zwar nicht in einem Schreibflow, – soweit ich das beurteilen kann – aber ich kam zu Hause auch nicht mehr so gut in den Text hinein. Vor dem letzten Satz hätte ich ansonsten noch etwas eingebaut. (teilnehmende Studentin AWDid 2012)
Selbst die Farbe des Papiers, auf dem geschrieben wird, wird in den Reflexionen als Bedin-
gungsfaktor beschrieben. So lädt grünes Papier zum Schreiben ein und wirke schreibmotivie-
rend, wobei rotes Papier problematisch wäre, um in eine positive und flüssige Textproduktion
zu gelangen.
292 Das Gedicht der Studentin befindet sich im digitalen Anhang dieser Arbeit und kann im Portfolio LBDes2011 auf Seite 19
nachgelesen werden.
333
Weiterhin ist bemerkenswert, wie die Studierenden teilweise stark strategiegeleitet beim
Schreiben zu literarischen Vorlagen vorgehen. In den Reflexionstexten geben die Studieren-
den an, Ideen für den zu schreibenden Text aufzuheben und später im Text zu verwenden, das
Spiel mit Formen im Text zum Hervorheben zu nutzen und sich dabei um literaturästhetische
Verbindungen von sprachlichen und textstrukturierenden Mitteln zu bemühen. Mit Form sind
hier sowohl Buchstabenfolgen, Wiederholungen, graphische Darstellungen, Interpunktionen,
Alliterationen und Layout-Strukturen gemeint.
Abbildung 46 Auskunft einer Studentin über ihren Schreibprozess mit starker Orientierung an Struktur
und Rhythmus beim Kreativen Schreiben
Ebenso zählen das Erdenken von Mehrdeutigkeiten und deren Verwendung im Text zu stu-
dentischen Bestrebungen beim Kreativen Schreiben zu literarischen Impulsen. Kreative Tech-
niken beim Formulieren wie das Hangeln von Reim zu Reim, das Austauschen von Silben,
334
Wörtern und Textteilen und das Lückenlassen und das spätere Ausfüllen dieser werden be-
wusst eingesetzt.
Mit meinen ersten Ideen und Worten im Kopf begann ich loszuschreiben, hier noch skizzenhaft und unbestimmt bis ich die erste Zeile und ein Metrum für das Gedicht fand. Der Schreibanfang wurde mir durch den gegebenen Textanfang erheblich erleichtert und die anfängliche Blockade in der Ideenfindungsphase gelöst.
Gleichfalls strategisch werden das schriftliche Strukturieren von Form und Inhalt beim Aus-
bleiben des Schreibflows eingesetzt, das bewusste aber in dem Fall spielerische Rückbeziehen
des Textendes auf den am Anfang vorgegebenen literarischen Impuls und die finale Rein-
schrift als Mittel der Überarbeitung wird von den Studierenden in ihren Reflexionstexten vor-
gebracht. Dabei steht für die Studierenden oft ein konkretes Kommunikationsziel durch ihren
Text im Vordergrund, insbesondere soziale Aspekte, die einem potentiellen Leser durch den
kreativen Text nahegebracht werden sollen.
Laut der Reflexionen der Studierenden sind Motivation und Ausmaß der Textüberarbeitungen
beim Schreiben zu literarischen Vorlagen höher als bei allen anderen untersuchten Schreib-
verfahren bzw. Schreibarrangements. Bei der Analyse der Studierendenreflexionen fällt auf,
dass das Erlebnis und Gefühl eines oder mehrerer Schreibflows einen erheblichen Anteil der
Studierenden so glücklich und stolz macht, dass daraufhin keine bzw. kaum Überarbeitungen
angestellt werden. Begründet wird dies durch eine hohe Zufriedenheit mit der Entwurfsfas-
sung. Die unterschiedlichen Vorgehensweisen in der Planungs-, Formulierungs- und Revisi-
onsphase unterstreichen die Unterscheidung in unterschiedliche Schreibtypen wie den Aqua-
rellmaler, den Öl-Maler, den Zeichner u.a. (vgl. Wyllie/Chandler 1993, 1995).
Kritisch ist dabei, dass sich bei einigen Studierenden die Überarbeitungen nur auf die Berei-
che Grammatik, Orthographie und Interpunktion beschränken oder gar rein narrativ über die
Auswahl von Textinhalten berichten.
3.6.2.5 ReflexionzumEntstehungsprozessesdesBesonderen Portraits„Dasrote
Gewand“
Verlauf und Datengrundlage
Um die Detailaussagen der Studierenden zu Prozessen bei der Erstellung des Besonderen Por-
traits besser einordnen und somit nachvollziehen zu können, wird in diesem Unterkapitel zu-
nächst kurz auf den organisatorischen Verlauf der Projektaufgabe eingegangen. Bewusst wird
das Portrait Das rote Gewand zur Exemplifizierung der Prozessreflexionen gewählt, da der
Inhalt dieses bereits im vorangegangenem Kapitel 3.5.6.1 im Rahmen einer kreativitätsfokus-
335
sierenden Analyse vorgestellt wurde und so - analog zum Kapitel 3.5 - zuerst das entstandene
Produkt und anschließend der Entstehungsprozess fokussiert werden.
Die Zielgerichtetheit der Projektaufgabe ein Besonderes Portrait zu erstellen, wird durch die
Vorgabe zeitlicher und organisatorischer Strukturen durch die Seminar-leitenden Personen
unterstützt. So werden das Bilden von interdisziplinären Studierendentandems für die Umset-
zung der Projektaufgabe (1), das Vorstellen eines ersten Konzepts jedes Tandems vor der ge-
samten Projektgruppe (2) und ein abschließender Präsentationstermin (3) als zeitliche Meilen-
steine festgelegt.
Die Tandems binden die zu portraitierenden Personen bereits in der Konzeptionsphase ein.
Bis zur Fertigstellung des geforderten Printmediums des Portraits handeln die Studierenden-
tandems in Eigenregie. Über Vorgehensweisen und einzelne Prozessschritte, wie etwa die
verfolgten Ideen, das Interview, die Aktivitäten mit und ohne den Protagonisten und insbe-
sondere über die Realisierungen der kreativen Kombination von Text-und Bildformen, geben
die Studierendentandems am Präsentationstermin am Semesterende detailliert Auskunft. Da-
bei werden von den Kommilitonen als auch von Mitwirkenden des Forschungsprojekts aus
den Fachbereichen Sprachdidaktik und Illustration gezielte Rückfragen zum Portrait und des-
sen Entstehungsprozessen gestellt. Insbesondere die Auskünfte zum Entstehungsprozess er-
folgen aufgrund folgender Schwerpunkte in der Befragung:
• Finden der Portrait-Idee
• Verlauf der Interviews bzw. einzelner Prozessschritte
• Besondere Höhepunkte
• Schwierigkeiten der Bearbeitung
• Probleme bei der Realisierung (operational)
Um die Forschungsdaten in Form von Rückmeldungen zu Arbeitsweisen, Herausforderungen,
Problemen und Synergien während und durch ihre Tandemarbeit zu sichern, werden sie digi-
tal aufgezeichnet und anschließend transkribiert. Exemplarisch für die Umsetzung des Projek-
tauftrags zum Rahmenthema An|ge|kommen werden die Rückmeldungen der Designstudie-
renden KRDes und der Deutsch-als-Zweitsprache-Studierenden DSDid im Folgenden ausge-
wertet und als Artefakte im Hinblick auf den Gesamtprozess interpretiert.
Auswertung
336
Eine umfassende Analyse des Entstehungsprozesses der studentischen Arbeiten aus einer
schreiberexternen Perspektive ist aufgrund der hohen eigenaktiven und selbstverantwortlichen
Arbeitsweisen der Studierenden außerhalb des Intensivseminars durch die gestellte Projekt-
aufgabe nur sehr begrenzt möglich. Vielmehr sind daher Auskünfte der Studierenden selbst
zum Vorgehen und zur Realisierung der Texte und Graphiken in Form von mündlichen und
schriftlichen Reflexionen notwendig, weshalb jene Auskünfte folgend in transkribierter Form
erläutert werden. Zudem interessieren insbesondere interdisziplinäre Verbindungen kreativer
(Lern-)Prozesse für diese Untersuchung, weniger jedoch formalsprachliche Kriterien und de-
ren Kompetenzentwicklung.
Die Auswertung zum Entstehungsprozess des Besonderen Portraits Das rote Gewand beinhal-
tet mehrere Interviewsituationen mit insgesamt fünf irakischen Frauen, von denen Tania, als
die älteste, mit Abstand am ausführlichsten dargestellt wird. Das Autorentandem bedient sich
dabei vieler Techniken und Verfahren, die sie zum großen Teil in dem vorangegangenen In-
tensivseminar selbst kennengelernt haben. Das heißt, dass sowohl Verfahren zur kreativen
Textproduktion als auch Verfahren zum Erstellen von ästhetisch-bildlichem Material Ver-
wendung finden. Der Vorteil dabei ist, dass beide Tandempartner - trotz unterschiedlicher
Expertisen - die Verfahren bereits im Intensivseminar kennengelernt und ausprobiert haben,
was sie im Hinblick auf die gemeinsame Planung und Durchführung als klaren Vorteil bewer-
ten.
Portraitvorstellung der Studierenden KRDes und DSDid 293 Aufgenommen am: 16. Januar 2011 Timecode: 10.50min bis 19.55min Dauer: 9.min 5 Sek. Transkription: Magdalena Baßler Korrektur: Jens Behning
40 KRDes: ja hier am Ende hab ich dann situatives Schreiben gemacht (.) des was wir 41 auch hier kennengelernt haben mit der Straßenbahn (.) ähm ich hab mich halt in den Bus 42 gesetzt und bin zur Tanja gefahren (2) u:nd ähm sie hat damals gesagt dass=es für sie (2) 43 ganz anders ist weil sie umgezogen ist in ner andern Wohnung (.) sie wohnt jetzt alleine 44 des heißt nochmal ein ankommen für sie den eigenen vier Wänden (.) und ähm (.) ja (2) 45 sie hat gesagt 46 ich komm jetzt nicht mehr ich fahr jetzt nicht mehr mit der U-Bahn nach Hause im 47 Dunkeln und seh dabei nichts sondern Bus (.) und seh dabei die Welt um mich herum (.) 48 und dann hab ich mich in den @Bus reingesetzt@ und (2) ein bisschen was geschrieben 49 () und des kam dann dabei heraus
Die eigene Erfahrung des Schreibens und Zeichnens in der Straßenbahn haben beide Studie-
rende im Seminar kennengelernt („des was wir auch hier kennenglernt haben“). Aufgrund der
293 KRDes ist der Kodiername für die hier zitierte Studierende des Faches Design, DSDid der Kodiername für die Studierende
des Faches Didaktik des Deutschen als Zweitsprache
337
Tatsache, dass die Präsentation des Besonderen Portraits in den gleichen Räumlichkeiten
sattgefunden hat wie das Intensivseminar, bezieht sich das „hier“ auf das vorangegangene
Seminar. Durch Situatives Schreiben ist der Text „Busfahrt“ für das Besondere Portrait „Das
rote Gewand“ entstanden.294
Portraitvorstellung der Studierenden KRDes und DSDid
Aufgenommen am: 16. Januar 2011
Timecode: 52.30min bis 58.55min
Dauer: 6 min 25 sek
Transkription: Magdalena Baßler
Korrektur: Jens Behning 12 DSDid: Auch dieses (.) kreative Interview also mit der ( ) zusammen (.) 13 da konnt halt ich wieder was vorbereiten weil ich konnt des nonverbale Interview selber 14 durchführen dadurch dass die Tina nur ne kurze Frage übersetzen musste ich aber mit der 15 Tania fotografieren konnte (.) und so und auch des mit dem (2) äh die- diese Maske 16 bemalen (.) oder diese (2) musikalische Traumreise sag ich mal des warn jetzt Übungen die 17 ich mir auch überlegen konnte dann also da ( ) uns ein Konzept gemacht ( ) des Interview 18 begleitet hat und die Dina hat dann natürlich die Arbeit mit den Texten gehabt weil 19 °übersetzten konnt ich sie auch nicht (2) ja
294 Der Text „Busfahrt“ befindet sich im Besonderen Portrait „Das rote Gewand“ auf Seite 53 im digitalen Anhang dieser Arbeit.
338
Bereits während des Intensivseminars vor Beginn des Projektauftrags Das Besonders Portrait
fällt auf, dass die Kompetenzen zwischen dem (Kreativen) Schreiben und dem bildlichen Ge-
stalten zwischen den beiden Studierendengruppen mit den unterschiedlichen Studienfächern
Didaktik des Deutschen als Zweitsprache und Design teilweise sehr stark unterschiedlich aus-
geprägt sind. Dabei sind weniger die Unterschiede in der Schreibkompetenz, sondern viel-
mehr diejenigen des ästhetischen Gestaltens auffällig. Das führt dazu, dass die wechselseiti-
gen Vertextungs- und Gestaltungsaufgaben bei der Anfertigung des Portraits nicht problemlos
beliebig verteilt werden können. Dennoch meldet das hier untersuchte Tandem rück, dass sie
sich Ideen und erste Entwürfe immer wieder gegenseitig geschickt haben, um gemeinsam
daran weiterzuarbeiten.
Portraitvorstellung der Studierenden KRDes und DSDid Aufgenommen am: 16. Januar 2011 Timecode: 10.50min bis 19.55min Dauer: 9.min 5 Sek. Transkription: Magdalena Baßler Korrektur: Jens Behning
108 DSDid: ja was uns sonst noch so geholfen hat (.) das Internet @(.)@ also dieses einfach nur 109 abmachen wann wir beide am PC sitzen (.) und immer wieder Sachen hin und her 110 schicken und gefällts mir so nein so mach=mers nicht (.) des war sehr sehr befreiend (.)
339
Während es bei den Textüberarbeitungen möglich ist, dass auch die Designstudierenden die-
jenigen Texte der Deutschstudierenden aktiv bearbeiten, beschränkt sich die Überarbeitung
der Illustrationen der Designstudierenden auf Feedback und Kritik der Deutschstudierenden
an die Designstudierenden.
Portraitvorstellung der Studierenden KRDes und DSDid Aufgenommen am: 16. Januar 2011 Timecode: 10.50min bis 19.55min Dauer: 9.min 5 Sek. Transkription: Magdalena Baßler Korrektur: Jens Behning
1 DSDid: Genau (.) ich also KRDes hat mir zum Beispiel auch beim Gedicht geholfen @( (und 2 nicht zu gering))@ weil dann war=s bei mir ein Punkt wo ich dann einfach nicht mehr 3 wollte und nicht mehr konnte und dann hab ich=s einfach (.) ihr rüber geschickt 4 und hab gesagt so KRDes jetzt mach du auch mal was hier 5 KRDes: @(.)@ 6 DSDid: Und dann hat sie=s sich durchgelesen oke: na 7 (.) und dann warte ich schick=s dir nochmal zurück und dann hat sie daran auch 8 mitgearbeitet (2) und die Kaligraphien zum Beispiel hat sie mir beigebracht (.) wie ich das 9 am besten machen kann (.) und des hab ich dann auch selbst gemacht also 10 KRDes: (Des war ein (.) 11 vielseitiges) Herangehen
60 KRDes: (.) auch ähm dann haben wir das Motiv zusammen entworfen und uns dann nochmal 61 hingesetzt und (.) äh ja auch uns (.) über (.) das Internet abgesprochen uns Sachen 62 zugeschickt also des war ähnlich wie bei Jf und bei Lf, ja (.) und wir haben uns (.) wie
340
63 schon erläutert in den verschiedenen Verfahren auch unterstützt (2).
Thematisch stehen für die beiden Autorinnen eine interkulturelle und gleichzeitig eine sehr
emphatische Perspektive im Vordergrund bzw. hat sich diese im Verlauf des Entstehens des
Besonderen Portraits zunehmend entwickelt. Das Rahmenthema An|ge|kommen quert nahezu
ausnahmslos wie ein Leit/d/thema durch alle im Portrait dargestellten Inhalte. Themen wie
Scheidung, Flucht, Kriegsverletzung, Ungerechtigkeit, Krankheit und Umzug sind prägend
sowohl für Tanias sprachliche Äußerungen als auch für ihre graphischen Darstellungen, wel-
che das Tandem aufnimmt und kreativ nutzt.
Portraitvorstellung der Studierenden KRDes und DSDid Aufgenommen am: 16. Januar 2011 Timecode: 10.50min bis 19.55min Dauer: 9.min 5 Sek. Transkription: Magdalena Baßler Korrektur: Jens Behning
31 DSDid: (.) ähm Tania war unheimlich stolz dass sich überhaupt irgendjemand für ihre 32 Geschichte interessiert (.) und als wir sie gefragt haben wie fühlst du 33 dich gerade und so und sie dabei ganz stolz nach oben geschaut hat (.) des war (.) ja 34 KRDes: ( ) 35 DSDid: wirklich 36 sehr schön (.) sie hat auch alles mitgemacht (.) also es ist auch ganz ganz wichtig wen 37 man sich da aussucht (3) genau dann hat Tania auch noch Krebs bekommen als dann 38 hier war vor kurzem (2) Brustkrebs am Anfang und jetzt ja auch noch Knochenkrebs und 39 des is nochmal so=n so=n so=n chapter (.) ja (.) Ankommen des Krebses sozusagen (.)
Die gewählten Methoden, die das Autorentandem für das Portraitieren der irakischen Frauen
und insbesondere von Tania M. K. aussuchen, schaffen gemeinsam mit der Offenheit der Pro-
tagonisten gegenüber dem Tandem eine produktive Atmosphäre - und das in vielerlei Hin-
sicht. Zum einen schafft es das Tandem durch eine professionelle und gleichzeitig sensible
Art und Weise des Interviewens sprachliche, graphische und teilweise philosophische produk-
tive Phasen mit der Protagonistin zu initiieren. Zeitgleich entstehen zum anderen in diesen
interaktiven und produktiven Phasen auf einer weiteren Ebene authentische Materialien vor
Ort aufgrund der Beobachtungen (Feldnotizen) und Dokumentation (Fotos, und Skizzen) des
studentischen Tandems.
Portraitvorstellung der Studierenden KRDes und DSDid Aufgenommen am: 16. Januar 2011 Timecode: 52.30min bis 58.55min Dauer: 6 min 25 sek Transkription: Magdalena Baßler Korrektur: Jens Behning 48 KRDes: Also eine der Frauen ist jetzt zum Beispiel 49 Tania (3) und wie sie des alles empfand (.) was war für sie denn das
341
50 Angekommensein was sie sich gewünscht hat wie sie diese ganze Kriegssituation 51 wahrnahm (.) also 52 DSDid: Es spricht eigentlich (.) es=is alles sehr krass find ich (.) es spricht 53 alles für sich finde ich ich brauch da nicht jemanden der das alles nochmal kommentiert 54 also des des war dann unsre Meinung
Portraitvorstellung der Studierenden KRDes und DSDid Aufgenommen am: 16. Januar 2011 Timecode: 10.50min bis 19.55min Dauer: 9.min 5 Sek. Transkription: Magdalena Baßler Korrektur: Jens Behning
8 KRDes: Genau also wir haben während des Interviews eben auch Skizzen gemacht Sachen 9 notiert was dann teilweise einfach zu schnell war um ständig dazwischen zu übersetzen 10 und so weiter und da haben wir uns dann hinterher zusammengesetzt und das Motiv 11 ähm neu (.) aufgebaut entworfen (.) genau sind so Gedanken und Wörter die Tania 12 wichtig sind und (.) ja (3)
In Hinblick auf einen Prozess, der beim Lösen einer Projektaufgabe auch eine Selbstreflexion
und ein kritisches Hinterfragen von Einstellungen, Meinungen und Hypothesen beinhaltet,
lohnt sich der Blick auf die Äußerungen der Tandempartner über ihren eigenen Lernprozess.
So werden in den Phasen des Generierens von Ideen, des Entwerfens von Texten, des Überar-
beitens und Layoutens und gegenseitigen Vorstellens von Text und Bild Erkenntnisse geäu-
ßert, die für eine Weiterentwicklung der eigenen Schreib- und Gestaltungskompetenzen spre-
chen. Gleichzeitig werden Verfahren zur Text- und Bildproduktion im Hinblick auf eigene
Präferenzen eingeschätzt und beurteilt, wofür das von den Leitern der Untersuchung stets ein-
geforderte Monitoring häufig ausschlaggebend ist.
Portraitvorstellung der Studierenden KRDes und DSDid Aufgenommen am: 16. Januar 2011 Timecode: 10.50min bis 19.55min Dauer: 9.min 5 Sek. Transkription: Magdalena Baßler Korrektur: Jens Behning
116 DSDid: Das situative Schreiben war für mich sehr förderlich Namensschild, Straßenbahn (.) 117 schreiben unterwegs (.) Monitoring ganz wichtig ähm ich kann somit meinen Schreib 118 oder Kreativitätstyp besser einschätzen (.) man weiß seine Schwächen a:ber wenn ich 119 weiß wann ich besser bin was mir hilft richte ich mich danach (.)
Die Kopftuchdarstellung mit Tania auf Seite 37 des Portraits reflektiert die Sicht der Studie-
renden auf eine „typisch“ muslimische Frau, die der Protagonistin Tania aber nur zu Teilen
gerecht wird. Sie ist zwar nach ihrer eigenen Auskunft gläubig und schöpft Lebenskraft aus
ihrem Glauben, trägt aber selbst nie Kopftuch. Durch das intensive Beschäftigen mit dem
Thema Fremde, Heimat und Ankommen von Ausländern in dem für sie neuen Land Deutsch-
342
land, hinterfragen die studentischen Autorinnen ihr eigenes Bild über Migranten und Religi-
onsausübung.
Portraitvorstellung der Studierenden KRDes und DSDid (Rückfragen durch Studierende Em und Df) Aufgenommen am: 16. Januar 2011 Timecode: 52.30min bis 58.55min Dauer: 6 min 25 sek Transkription: Magdalena Baßler Korrektur: Jens Behning
83 KRDes: [Fall bei dem Motiv immer dieser Hintergrund kann ich des benutzen?] is des meine 84 Bildsprache was bedeutet es für die Tania? und ja (.) dieses Bild des so kopftuchähnlich 85 anmutet des is eigentlich (.) auch nicht ganz korrekt weil die Tania trägt kein Kopftuch 86 (.) des war jetzt nur=n Tuch des sie zu ihrer Hochzeit geschenkt bekommen hat (.) und 87 deswegen ihre Gedanken widerspiegeln soll aber eigentlich kann man des Kopftuch ( ) 88 Em: Also sie 89 trägt das nie? 90 DSDid: Neenee sie trägt kein Kopftuch 91 KRDes: Des is ihr Scha:l ihr Schal (.) den sie in den Flitterwochen 92 geschenkt bekommen hat
343
93 Df: Des is eine Kooperation zwischen ihnen beiden ne? 94 KRDes: Genau ich hab 95 sie gefragt kann man das so verstehen? da hat sie gesagt ja kann man machen (.) is 96 jetzt keine Beleidigung oder so aber eigentlich trägt sie=s nie
Insgesamt ist in der Herangehensweise und der Umsetzung sehr viel Engagement, aber auch
sehr viel Haltung erkennbar. Ein hoher Anspruch an sich selbst als auch an die Verwirkli-
chung der Projektaufgabe zeichnet die Arbeit dieses Tandems aus. Der Zeitdruck hätte nach
eigenen Angaben sowohl die Arbeitsmoral erhöht als auch einen häufigeren Wechsel zwi-
schen der Disziplin des Schreibens und Gestaltens reduziert. Insbesondere bei Blockaden oder
beim Perspektivenwechsel vom Autor und Gestalter in die Leser- bzw. Betrachterperspektive
seien Pausen und Distanz zu den Texten und Bildern fast zwingend, so das Tandem. Erfolg-
reich angewendete Verfahren und Techniken zum Erstellen von kreativen Text-
Bildkompositionen möchten beide auch in Zukunft in ihren weiteren Tätigkeiten verwenden
und weiterentwickeln.
Portraitvorstellung der Studierenden KRDes und DSDid Aufgenommen am: 16. Januar 2011 Timecode: 52.30min bis 58.55min Dauer: 6 min 25 sek Transkription: Magdalena Baßler Korrektur: Jens Behning
99 DSDid: so (.) das is=si (.) sie s einfach nur (.) also daran hält sie sich (.) an den Glauben und des is 100 ne ganz ganz neue Sache (.) ich hab sowas noch nicht miterlebt (.) ja und des war für 101 mich neu und darüber zu schreiben und des zu entdecken (2) des war einfach (.) sehr gut
Kritisiert wird allerdings die fehlende Zeit im dreitägigen Intensivseminar, um mehr Kennt-
nisse und Fähigkeiten im Zeichnen, Illustrieren und Gestalten zu erlangen, was aus Zeitgrün-
den schwierig war. Eine Annäherung des Kompetenzniveaus im ästhetischen Gestalten an
jenes des Schreibens ist für ein noch stärkeres und produktiveres interdisziplinäres Zusam-
menarbeiten förderlich. Ein anderes Tandem äußerte sich in diesem Zusammenhang folgen-
dermaßen:
Portraitvorstellung der Studierenden RPDes und PBDid
Aufgenommen am: 16. Januar 2011
Timecode: 12.10min bis 17.15min
Dauer: 5 min 05 sek
Transkription: Jens Behning
47 RPDes: Ich hätte PBDids poetische, tiefgehende Interpretation nicht kreieren 48 können (.) sondern nur zitiern oder beschreibm (.)sie hätte dies zeichnerisch, bzw. 49 illustrativ nich gekonnt (2) Mit vereinten Kräften habm wir einen Mehrwert auf
344
50 emotionaler Ebene geschaffen(.) der beim Durchblättern des Büchleins entsteht(.) 51 sozusagen ein sich gegenseitig förderndes(.) kohärentes System.
345
3.6.2.6 ProzessanalysedesBesonderen Portraits„a′namnisi“
Verlauf und Datengrundlage
Die Aufgabenstellung, die Umsetzung der Projektaufgabe und das Bilden der Tandems voll-
ziehen sich strukturell analog zum Projektauftrag des ersten Untersuchungsdurchgangs (Be-
sonderes Portrait zum Rahmenthema An|ge|kommen). Lediglich durch einen anderen thema-
tischen Fokus des neuen Rahmenthemas |sich| Erinnern, der bereits in das vorangehende In-
tensivseminar integriert ist, ergeben sich Änderungen. Daher wird auf die Erläuterung des
Verlaufs mit Initiierungsphase, Konzeptpräsentation, Realisierungsphase und abschließende
Präsentation mit Befragung und Diskussion hier nicht eingegangen, sondern auf den Verlauf
des Entstehungsprozesses des Portraits zum Rahmenthema An|ge|kommen verwiesen. An dem
Besonderen Portrait „a′namnisi“ wirken insgesamt drei Studierende mit, zwei davon studie-
ren Design und Illustration (JFDes und AMDes) und ein Student Deutsch im Rahmen seines
Lehramtsstudiums (MEDid).
Die Informationen bzw. Daten zum Entstehungsprozess ergeben sich aufgrund der abschlie-
ßenden Präsentation vor den Leitern der Untersuchung und vor den weiteren teilnehmenden
Studierenden, ähnlich wie im voran dargestellten Portrait. Die Antworten und Auskünfte der
Studierenden des Portraits (MEDid und JFDes) wurden dabei digital mit einem Aufnahmege-
rät aufgezeichnet und anschließend transkribiert. Exemplarisch für die Umsetzung des Projek-
tauftrags zum Rahmenthema |sich| Erinnern werden die Rückmeldungen von MEDid und
JFDes im Folgenden ausgewertet und als Artefakte im Hinblick auf den Gesamtprozess im
Folgenden dargestellt und interpretiert.
Bei der Analyse des gewählten Portraits „a′namnisi“ kommt im Vergleich zur Analyse des
Besonderen Portraits „Das rote Gewand“ zum Rahmenthema An|ge|kommen hinzu, dass von
zwei von frei studentischen Autoren (MEDid und JFDes) schriftliche Reflexionen zu ihrem
Arbeitsprozess am Portrait „a′namnisi“ vorliegen, die zur Auswertung des Schreib- und Ge-
staltungsprozesses zu den trnaskribierten Reflexionstexten hinzugezogen werden.
Auch für die Auswertung des zweiten ausgewählten Portraits sei betont, dass eine umfassende
Analyse des Entstehungsprozess der studentischen Arbeiten aus einer schreiberexternen Per-
spektive nur begrenzt möglich ist, da die eigenaktive und selbstverantwortliche Realisierung
der Projektaufgabe durch die Studierenden fast ausschließlich außerhalb des Intensivseminars
stattfindet.
346
Zudem werden bei der Auswertung dieser studentischen Reflexionen interdisziplinäre Ver-
bindungen kreativer (Lern-)Prozesse beim Kreativen Schreiben und ästhetischen Gestalten
fokussiert, weniger dafür formalsprachliche Kriterien und deren Kompetenzentwicklung.
Auswertung
Die studentische Arbeitsgruppe wählt größtenteils experimentelle Techniken und Verfahren
zum Kreativen Schreiben und ästhetischen Gestalten für die Bearbeitung des Rahmenthemas
|sich| Erinnern aus, die im Intensivseminar vorab erprobt wurden und assoziiert zur Aufga-
benstellung des Portraitierens zunächst Themen und Stichwörter. Durch das vertraute Ver-
hältnis zwischen dem studentischen Gruppenmitglied MEDid und der zu portraitierenden Per-
son Lambros wird die Themenfindung erleichtert bzw. interaktiv gestaltet, indem ein Tand-
empartner aufkommende Themen oder Schwerpunkte während der Interviews aufgreift und in
das Gesamtkonzept integriert. Der inhaltliche Handlungsplan und die groben Schreibziele,
sowohl für die studentischen Autoren wie auch für den Portraitierten, werden durch die zu-
sätzlichen Themenschwerpunkte optimal ergänzt. Das enge Verhältnis eines studentischen
Autors zum Portraitierten stellt kein Problem dar, da die Anderen in der Lage sind, eine dis-
tanzierte Haltung einzunehmen.
Die Vorgehensweise der Gruppenmitglieder lässt erkennen, dass erste Formulierungen oder
Gestaltungsversuche von ihnen selbst oder durch Lambros auf der Grundlage der Planungs-
phase getätigt werden bzw. dass gezielt durch die Anwendung von kreativen Schreib- und
Gestaltungsverfahren Rohfassungen, spielerische Formulierungen und Skizzen/Collagen an-
gefertigt werden.
Meine Hauptaufgabe in diesem Projekt bestand darin, die Verknüpfung unseres Dreier-gespanns mit Lambros (und seiner Schwester) herzustellen, handschriftliches abzutip-pen, aufgenommenes niederzuschreiben oder einfach Ideen für Schreibanlässe zu ge-ben. Letzteres fiel mir aufgrund des Seminares im SS12 sehr leicht, ich hatte bereits viele Ideen zuvor gesammelt und zusätzlich hatten wir uns darauf geeinigt, die erlernten Schreibtechniken auch anzuwenden. Beim Interview, Écriture Automatique oder Traumreise hingegen habe ich mich sehr schwer getan, das Erzählte oder Aufgeschriebene wiederzugeben, da zum einen Lambros Schrift sehr schwierig zu lesen, aber auch das Aufgenommene zu transkribie-ren eine völlige neue Erfahrung für mich war. (schriftliche Reflexion von MEDiD über seine Mitarbeit am Besonderen Portrait)
Anschließend werden die entstandenen Texte und Illustrationen teilweise mehrfach und inten-
siv überarbeitet, wobei stets versucht wird, Leser- bzw. Betrachterperspektiven einzubezie-
347
hen. Dabei passen die Studierenden Strukturen, Anordnungen, Umfang und konkrete Formu-
lierungen oder illustrative Darstellungen an Schreib-, Kommunikations- und Gestaltungsziele
an, indem sie etwa. Analogien oder Symboliken, Wortwahl und Wortbildung oder semanti-
sche Stilmittel bzw. Gestaltungsmittel, Auswahl der Materialien, gewählte Farben, Hell-
Dunkel-Kontraste und Strichstärken auf ihre Aussagekraft und Wirkung überprüfen.
Dieser Text fiel mir wahnsinnig schwer. Das Thema hatte ich zwar schnell gefunden, doch wollte ich nicht recht in einen Schreibfluss kommen. So nahm ich mir Informatio-nen aus dem Internet (Wikipedia => Synästhesie) zur Ideenfindung. So kam es auch, dass einfach „Synästhesie“ als Überschrift gewählt wurde. Ich merkte beim Schreiben aber schnell, dass es nichts bringt, die Leser mit Fachwissen zu nerven, sodass ich den Text wieder überarbeitete, einiges rauswarf und mehr auf die emotionale Schiene zu gehen, […] wobei ich im Nachhinein noch mehr über diese wundervolle Begabung hätte schreiben wollen. (schriftliche Reflexion von MEDid zum Text „Synästhesie“295)
Aufgrund der Rückmeldungen und des intensiven Austausches der studentischen Autoren
kann festgestellt werden, dass sie gemeinsam das Besondere Portrait „a′namnisi“ unter fol-
genden Gesichtspunkten stetig weiterentwickeln: 295 Die Textstelle, auf die sich dir Reflexion bezieht, befindet sich im Besonderen Portrait „a′namnisi“ auf Seite 40.
348
• Nutzen der Freiräume durch Imagination und Assoziation, die die Aufgabenstellung anbietet
• Entwicklung eines wiedererkennbaren Stils oder Ausdrucks • stetige Kombination von Inhalt und Form im Austausch mit weiteren Mitwirkenden • Reinschriften (meist durch Digitalisierungen von handschriftlichen Textentwürfen)
oder Endversionen von Illustrationen und Collagen schließen den Überarbeitungspro-zess an geeigneter Stelle ab
• permanenter Austausch und Hineindenken in die Arbeitsbereiche des anderen, um die Kombinationen aus Inhalt, Text und Bild optimal aufeinander abzustimmen
Weiterhin kann eingeschätzt werden, dass die aufgewendete Zeit (aufgrund der Angaben der
Studierenden) sowohl der Aufgabenstellung als auch dem Endprodukt als angemessen er-
scheint.
So habe ich mir beim Schreiben dieses Textes die Bilder zum nonverbalen Interview an-gesehen, bin durch meine Erinnerungen an Lambros gegangen und habe meine Emp-findungen aufgeschrieben. Insgesamt habe ich ca. 3 Tage an dem Text geschrieben. Er ist zwar sehr kurz, aber ich wollte, dass er passt, und so bin ich ihn immer wieder durchgegangen und habe ihn mir laut vorgelesen, habe mir dabei zum einen Lambros vorgestellt, aber zum anderen auch eine Situation, in der ich diesen Text vortragen soll. (schriftliche Reflexion von MEDid zum Text im Portrait „Ich soll wohl noch was ma-chen in meinem Leben - anscheinend“296)
Für die Anfertigung des Besonderen Portraits wechseln die Studierenden zwischen verschie-
denen Schreib- und Gestaltungsmedien und setzen bewusst Bearbeitungspausen ein, um eine
Distanz zum bisherigen Text bzw. zur bisherigen Gestaltung herzustellen, die zur objektiveren
Einschätzung aus einer Leser- bzw. Betrachterperspektive führen soll.
Diese Illustration ging mir relativ leicht von der Hand Die Arbeit geriet nur ein wenig ins stocken, als ich nicht wusste was mich an dem Bild stört, bis ich darauf gekommen bin, dass es die zu dunkle Ameise ist. Dafür musste ich es ein paar Stunden „ruhen las-
296 Der Text, über den die Schreibreflexion angefertigt wurde, befindet sich auf S. 9 des Besonderen Portraits „anamnisi“ im
digitalen Anhang dieser Arbeit.
349
sen“ (schriftliche Reflexion der Studierenden JFDes zur Illustration im Portrait “Top 3 Erinnerungen Mama! Ein Hund“)
Durch dieses den gesamten Arbeitsprozess zergliedernde Vorgehen wird eine zumindest se-
miprofessionelle und bereits sehr reflektierte Arbeitsweise sichtbar, wobei die durch Selbs-
treflexion gewonnenen Erkenntnisse, etwa über präferierte Techniken, eigene Schwächen,
Schlussfolgerungen über eine verbesserte Text- und Bildproduktion von den Studierenden
auch explizit gemacht werden.
Hierfür habe ich, wie immer wenn es mir nicht auf Anhieb klar ist, wie ich das Motiv umsetzen soll, in verschiedenen Illustrations-Büchern gestöbert, sowie in meinen alten Arbeiten. Ich dachte dann auch, die richtige Technik gefunden zu haben, was sich jedoch als Irr-tum herausstellte. Die wahre Auswahl der Technik ist also durch ausprobieren und scheitern erfolgt. […] Ich habe verschiedenste Techniken ausprobiert, darunter Kreu-zungen aus Collage/Aquarell, aus Collage/Ölkreiden, Collage/Bleistift/Buntstifte, und auch diese wieder untereinander vermischt.. Das Ergebnis hat mir nie gefallen und al-les ist im Müll gelandet. Es war entweder zu überladen oder zu „ungekonnt“. Die Lö-sung wäre gewesen ein riesengroßes Gemälde daraus zu machen, aber dazu fehlte na-türlich die Zeit. Wie das bei Illustratoren oft der Fall ist, bin ich zu dem Schluss gekommen, dass ich im Rahmen meiner Möglichkeit den Bildinhalt reduzieren muss. (schriftliche Reflexion der Studierenden JFDes über die Collage/Aquarell im Portrait „Fünf Sinneswahrnehmun-gen zu Erinnern“297)
297 Die Zeichnung, über dessen Entstehungsprozess hier reflektiert wird, ist im Besonderen Portrait „a′namnisi“ auf Seite 30 im
digitalen Anhang dieser Arbeit zu finden
350
Hinsichtlich des Entstehungsprozesses sind insbesondere die Organisation und die Art und
Weise der interdisziplinären Zusammenarbeit hervorzuheben. Die drei Mitwirkenden stimmen
sich bereits im Vorfeld über die verschiedenen Aufgabenbereiche ab. Dabei übernimmt nicht
jeder Anteile aller Aufgaben, sondern die Studierenden legen für sich klare Arbeitsteilungen,
auch je nach Expertisen, fest. Die Herausforderung der interdisziplinären Realisierung besteht
dennoch darin, sich in das Gesamtkonzept einzubringen und die Notwendigkeiten und Be-
dürfnisse des anderen (Metiers) zu assoziieren und zu berücksichtigen, was allen drei Studie-
renden von Anfang an bewusst ist.
Portraitvorstellung der Studierenden MEDid und JFDes Aufgenommen am: 18.12.2012 Timecode: 18.45min bis 27.47min Dauer: 9 min 2 sek Transkription: Magdalena Baßler Korrektur: Jens Behning
122 MEDid: (2) auch dass ich meine 123 Zeichnungen unbewusst (.) immer mit Text beschriftet hab (.) was jetzt auch mehr präsent
351
124 wird (.) dass der Wunsch da war das zu verknüpfen nur (.) die Möglichkeit also die Fähigkeit 125 nich da is (.) des fachmännisch zu tun (.) und des is wohl der Job von nem Graphiker (.) des 126 versteh ich auch jetzt erst @so richtig@ ja @(.)@
Im Austausch wird kleinschrittig von Anfang bis Ende zusammengearbeitet, wenn auch die
Anteile je nach Entwicklungsphase unterschiedlich gewichtet sind, da das Layouten bspw.
erst am Ende des Entstehungsprozesses relevant wird. Bei der Präsentation erläuterten zwei
der Beteiligten die gewonnen Erkenntnisse aus der kooperativen Zusammenarbeit - interdis-
ziplinär und Metier-übergreifend.
Portraitvorstellung der Studierenden MEDid und JFDes Aufgenommen am: 18.12.2012 Timecode: 18.45min bis 27.47min Dauer: 9 min 2 sek Transkription: Magdalena Baßler Korrektur: Jens Behning
36MEDid am Schluss noch äh (.) quasi alles zusammen (.) kam (2) hat AMDes irgendwann (2) deutlich 37 signalisiert dass er (.) ohne unsre Arbeit nicht weitermachen kann (2) ähm (.) des hat mir 38 diese (.) ja diese Kooperation (.) sehr deutlich gemacht (.) also mir hat des ähm (.) des war 39 wirklich ein praktisches Beispiel dafür wenn der AMDes etz nicht das bekommt was wir 8.) beide 40 erledigt ham dann wird dieses Ding (.) nicht fertig also er braucht uns (.) und er alleine kann 41 des auch nicht machen 42 JFDes: └ () AMDes hat des für die andern des Layout gemacht (.) er hat mit den 43 Sachen die JFDes und MEDid gemacht haben des Buch so wie wir ( ) 44 MEDid: └ Genau (.) u:nd des hat mir 45 eben vor Augen gehalten wie (.) ähm wie des zusammenläuft wie des zusammenpasst (.) 46 denn AMDes hat auch immer wieder gesagt (.) wir solln uns des doch bitte nochmal anschaun 47 und nochmal anschaun und ob des passt und was da fehlt und wo da noch (.) Sachen dazu (.) 48 kommen müssen (.) und (.) ähm (2) ich für meinen Teil wär völlig aufgeschmissen gewesen 49 hätt ich die Texte (.) die ich geschrieben hab (.) da so schön reinpacken müssen (.)
62 JFDes: └ Also was mir (.) sehr aufgfalln is bei der Zusammenarbeit (.) also für mich war=s gut gewesen 63 weil ich wirklich textlich was gelernt hab und ich hab auch gmerkt gabt ich hab auch kein 64 Problem irgendwie mal nen Text zu schreiben oder irgendwas umzuändern (.)
Die hier aufgezeigten Einblicke in den Entstehungsprozess des Besonderen Portraits
a′namnisi , wie etwa die interaktive Themenfindung und (Text-)Gestaltung mit dem Inter-
viewpartner Lambros, die das Gesamtkonzept des Portraits ergänzen, der permanente Aus-
tausch und die intensiven und zum Teil interdisziplinären Überarbeitungen verdeutlichen u.a.
die Zergliederungen bzw. die Kleinschrittigkeit der Arbeitsprozesse beim Kreativen Schrei-
ben und beim ästhetischen Gestalten für die Projektaufgabe. Durch die Vorgabe, das Beson-
dere Portrait abschließend vor einem Expertengremium zu präsentieren und ein gelayoutetes
Printexemplar vor der Präsentation einzureichen, war den drei Studierenden bewusst, dass ihr
Arbeitsergebnis hauptsächlich anhand des „Endprodukts“ in Text und Bild beurteilt wird.
352
Dieser „positive Druck“ wirkte sich laut mehrerer teilnehmender Studierenden stark motivie-
rend auf den Umfang und die Gründlichkeit der Schreib- und Gestaltungsprozesse aus. Konk-
ret erhöhte sich der Umfang und die Dauer der Planungs-, Überarbeitungs- und Fertigstel-
lungsphasen und damit die Häufigkeit kontinuierlicher Absprachen und interdisziplinäre Aus-
tausche, bei dem sich über Schreibziele, Gestaltungsziele, über Kommunikations- und Wir-
kungsabsichten in Kenntnis gesetzt wurde. Dadurch entwickelten sich immer wieder neue
kleinere Arbeitsaufträge für die einzelnen beteiligten Studierenden.
Am gewählten Portraitbeispiel ist die bewusst strukturierte Prozessorientierung einer universi-
tären Schreibdidaktik im Rahmen des erläuterten Forschungsprojekts zu erkennen, bei der
durch Experten bestimmte Verfahren anfangs vorgestellt, dann unter deren Begleitung von
den Studierenden erprobt und anschließend von den Studierenden eigenverantwortlich ange-
wendet, weiterentwickelt und reflektiert werden. Eine angemessene Reflexion der Arbeitspro-
zesse muss dabei aber dennoch besondere Berücksichtigung finden, da diese bei studentischen
Schreibenden und Gestaltenden nicht automatisch vorauszusetzen ist, sondern erst durch Ein-
und Ausüben entwickelt und verstetigt wird. Neben den geschilderten Reflexionen zu den
beiden ausgewählten Besonderen Portraits Das rote Gewand und a´namnisi werden im an-
schließenden Kapitel Reflexionsbeiträge von Studierenden ausgewertet, die während der In-
tensivseminare entstanden sind und ebenfalls kreative Arbeitsprozesse beim Schreiben und
bildnerischen Gestalten thematisieren.
3.6.2.7 ErgänzendeAuswertungendiskursiverGruppeninterviews
Triangulierend zu den exemplarisch ausgewerteten Reflexionen zum Entstehungsprozess
beim fortgeschrittenen Kreativen Schreiben mit Studierenden, die zum einen auf der Daten-
grundlage der schriftlichen Reflexionen aus vier Schreibarrangements im Rahmen der Inten-
sivseminare vorgestellt wurden und zum anderen aus den schriftlichen und mündlichen Refle-
xionstexten aus dem Besonderen Portrait resultieren, werden nun weitere mündlich verbali-
sierte Reflexionen Studierender vorgestellt und erläutert.
Dazu wurden während der Intensivseminare sogenannte diskursive Gruppeninterviews mit
den Studierenden durchgeführt, bei denen Leitfragen zu verschiedenen Schreibphasen oder
möglichen Phänomenen im Schreibprozess Anlass zur Diskussion boten.
Unabhängig vom Arbeitsauftrag oder vom Schreibarrangement geben die Studierenden rück-
blickend auf ihre Erfahrungen zum fortgeschrittenen Kreativen Schreiben an, dass die inhalt-
lichen Schreibideen stark von emotional-affektiv geprägten Gefühlszuständen, Erinnerungen
353
oder situativen Sinnesreizen geprägt sind. Des Weiteren entstehen neue oder anknüpfende
Ideen während des Schreibflows, wobei gleichzeitig von den Studierenden geäußert wird,
dass das nicht-erfolgreiche Verarbeiten einer vor dem Schreibbeginn gefundenen Idee oder
Vorstellung auch zu Unterbrechungen bis hin zum Abbruch und zur Resignation führen kann.
Für die Produktion von lyrischen Texten wird prinzipiell ein strukturierteres Vorgehen, auch
bereits in der Planungsphase, angenommen. Damit wird einerseits deutlich, dass eine Ideen-
und Schreibzielfindungsphase bzw. Planungsphase vor Beginn der Fließtextproduktion nur
bedingt ausschlaggebend für die Textideen beim fortgeschrittenen Kreativen Schreiben ist.
Zum anderen wird deutlich, dass eine Schreibphasenchronologie beim fortgeschrittenen Krea-
tiven Schreiben ebenso wenig haltbar ist wie beim Schreiben funktionaler Texte. Das „Los-
schreiben“ braucht, so die Studierenden, dennoch eine Wissens- oder Assoziationsgrundlage.
Diskursive Interviews: Fragestellung A_: Wie habe ich meine Schreibideen (bei verschiedenen Texten) gefunden? und Habe ich meine Ideen beim Schreiben verändert? Aufgenommen am: 07. Juni 2011 Timecode: 00.00 min bis 02.13 min Dauer: 2 min 13 sek Transkription: Magdalena Baßler Korrektur: Jens Behning
1 Y1: ä:hm (2) wie habe ich meine Schreibideen bei verschiedenen Texten gefunden? 2 Af: Ja da ham wir jetzt 3 mehrere Begriffe (.) aufgeschrieben zum Beispiel (.) verarbeiten von Gefühln (.) ähm (.) oder 4 auch Sinnesreize die einen umgeben (.) und wo man dann das Gefühl hat man muss jetzt was 5 darüber schreiben (.) dann auch eh Formulierungen von Wünschen (.) das man eben (.) de- den 6 Wunsch als Grundlage benutzt und dann daran weiterarbeitet (.) ähm oder auch sowas wie 7 Reisetagebücher (.)Sachen die man dokumentiert (.) Alltag (.) das man das als Grundlage 8 benutzt und daran weiterarbeitet (.) oder halt auch die persönlichen Erfahrungen die man 9 gemacht hat und das Wissen das man halt (.) auch hat (2) genau 10 Y1: Und ä:hm hab ich meine Ideen 11 beim Schreiben verändert? 12 Bf: Da ham wir grundsätzlich gesagt dass man hä:ufig (.) die Ideen die man zuerst intuitiv hat (.) 13 während dem scheibn: also gar nicht unbedingt vor dem Schreibprozess sondern 14 währenddessen (.) stark verändert (.) so dass man so assoziative Sprünge macht (.) eine Idee 15 weiterspinnt von einer Idee zur nächsten kommt und so weiter (2) äh:m (.) dann das man 16 natürlich manchmal bei der Umsetzu:ng (.) in Schwierigkeiten gerät weil=s halt doch nicht so 17 klappt wie man sich das vorgestellt hat also das man halt dann irgendwie (.) ja nicht dran 18 scheitert aber irgendwie nen Kompromiss eigehn muss und die Idee modifizieren muss (.) um 19 sie (.) richtig umsetzen zu können (3) und dann ham wir noch gesagt dass es äh schon stark 20 abhängig von (.) der Art zu schreiben oder der Textform is also (2) wenn ich sponta:n einen 21 Text verfasse (.) oder irgendwie diese ähm ( ) dass man (.)halt (.) da keine bewussten 22 Modifizierungen vornimmt sondern der Schreibprozess hat ehr so ne spontane intuitive Sache 23 ist (.) im Gegensatz zu: zum Beispiel nem Gedicht wo man vorhe:r halt (.) nen genauen Plan 24 hat (.) welche Ideen des beinhalten soll (.) und vielleicht schon so ne Sammlu:ng (.) äh von 25 Ideen angelegt hat oder so ja
An vielen studentischen Reflexionstexten, die zu den Textproduktionen der Intensivseminare
produziert wurden, ist ersichtlich, dass eine tiefgründige Analyse ausbleibt und die bereits bei
354
einer geschärften Wahrnehmung des eigenen Schreibverhaltens beginnt. Dieses häufig auftre-
tende Phänomen bei den vorliegenden studentischen Reflexionen ist an folgenden Äußerun-
gen gut zu erkennen. Dabei gelingt es den Studierenden kaum nachzuvollziehen, welche Ent-
scheidungen sie im Schreibprozess getroffen haben. Hinzu kommt häufig, dass sie, - so auch
in einigen Reflexionstexten zu den Textproduktionen der Intensivseminare zu lesen - Texte
kaum bis gar nicht überarbeiten, was wiederum die fast schon banalen Erklärungsversuche
zum (Re-)Strukturieren im Schreibprozess erklärt.
Diskursive Interviews zur Fragestellung: An welchem Punkt des Schreibprozesses habe ich angefangen meine Schreibideen zu strukturieren? und Ist es mit schwer/leicht gefallen, meine Schreibideen zu struk-turieren? Aufgenommen am: 07. Juni 2011 Timecode: 00.09 min bis 05.13 min Dauer: 5 min 4 sek Transkription: Magdalena Baßler Korrektur: Jens Behning
2 Af: da ham wir (.) unter uns festgestellt dass wir bei freien 3 persönlichen Texten überhaupt keine Strukturierung brauchen sondern einfach spontan (.) des 4 schreiben was uns grad auf der Seele brennt (2) u:nd äh bei festen Zielsetzung: (.) da tut man 5 aber durchaus zuvor einen (2) Konstruierungsplan also (.) wie die Struktur sein muss (.) ähm 6 sich (.) vorher (.) aufschreiben (.) und danach arbeiten ( ) 7 Cf: @( )@ 8 Af: Gut dann mach ich die auch noch (.) ist es mir 9 schwer leicht gefallen meine Schreibideen zu strukturieren? (.) und (.) da ham wir auch 10 festgestellt dass sobald (.) ich eine Idee eben gefunden hab von der ich persönlich begeistert 11 bin (.) da fällt es einem natürlich total leicht (.) die auch zu strukturieren weil man ja ein 12 persönliches Ziel hat was man erreichen möchte und das man von sich selbst erwartet (2) ja 13 Cf: mhm
Auf die konkretere Frage der Ideenstrukturierung unter zur Hilfenahme von assoziativen Ver-
fahren wird von den Studierenden präziser geantwortet, auch, weil diese im Intensivseminar
vorgestellt, ihr schreibdidaktisches Potential erläutert und einige Verfahren angewendet wor-
den sind. Deutlich wird dabei, dass verschiedene Schreiber unterschiedlich von dem einen
oder anderen Schreibverfahren profitieren und dass die befragten Studierenden dies auch er-
kennen. Die Gründe dafür sind sicherlich vielfältig und sind anhand der Äußerungen in den
diskursiven Interviews nicht ersichtlich. Die Wahrnehmung des eigenen Schreibtyps und der
Nutzen bestimmter Schreibverfahren (Écriture automatique, Schreiben nach Musik, nach lite-
rarischen Vorgaben oder Mustern, Clustern oder Mind-Mapping) für das individuelle
Schreibziel und den eigenen Schreibprozess wird dennoch in den dokumentierten Reflexionen
deutlich.
355
20 Df: Ä:hm also: (2) inwieweit haben: assoziative Schreibverfahren geholfen Ideen zu strukturiern? 21 also da ham wir eben zum Beispiel als sehr hilfreich empfunden (.) das Clustering (.) dann (.) 22 auch das Mindmapping (.) also des (.) für mich jetzt so: bei (.) vielen Dingen nicht so viel Sinn 23 macht aber bei diesem (.) Ideensammlung dann (.) tatsächlich dann für Gedichte oder so schon 24 (2) geholfen hat dann für mich war die Musi:k auch (.) ä:hm (2) hilfreich (.) für die Ef 25 allerdings nicht so (.) jedoch fand ich=s auch schade eben ( ) 26 Ef: Genau also ich glaub Musik kann voll 27 hilfreich sein aber (.)ich hab=s ignoriert ( ) 28 Df: ( ) und des Parallelgedicht hat mir 29 wiederum auch geholfen (.) der Ef nicht so weil=s halt (.) ähm (.) schon sehr vieles vorgibt 30 und und halt nicht mehr so (.) Freiräume lässt (.) dann ähm:: äh also ein Satzanfang fortführen 31 hat auch (.) ä:hm geholfen Ideen zu finden (.) und dann so ( ) und so (.) helfen auch aber 32 schränken auch sehr ein deswegen also (.) des is ( )
Interessant ist die geäußerte Perspektive auf verschiedene Schreibkompetenzniveaus, wobei
den Schreibenden eine Differenzierung bezüglich der Hilfestellung von bestimmten Schreib-
verfahren oder Strukturierungshilfen gelingt.
33 Ef: Wobei wir uns da überlegt ham dass des ja 34 grad für Fremdsprachler ä:hm (.) ein guter Einstieg sein kann weils halt einfach formal 35 festgegebener is und dann vielleicht halt wenige::r man scho drauf gucken muss dass es 36 formal passt sondern sich auf die Sprache konzentrieren kann (.) und dann vielleicht versucht 37 davon langsam wegzugehen 38 Df: Ja oder ( ) 39 Ef: Und deswegen ham wir=s aufgeschrieben als Hilfe für uns 40 aber vielleicht eher (.) einschränkend 41 Df: ( ) also für die Grundschule is=ses vielleicht auch ganz gut 42 weil da eben noch keine Erfahrungen Vorerfahrungen da sin (.) dann
Ein weiterer Diskussionspunkt beschäftigt sich mit der Frage, ob das fortgeschrittene Kreative
Schreiben trotz seines stark kommunikativen Charakters „ein einsames Geschäft“ ist, oder, ob
ein miteinander-Kommunizieren nicht sogar die Kreativität beim Schreiben fördert. Wenn
auch die hier vorgebrachten Reflexionen keine allgemeine Gültigkeit beanspruchen, wird
dennoch klar, dass eine Mehrheit der befragten Studierenden äußert, dass sie zunächst alleine
in den Schreibprozess einsteigen wollen und dass sie auch während der Fließtextproduktion
ungestört bleiben wollen.
47 Ef: da war jetzt für uns beide 48 des Gefühl (.) den Prozess des Schreibens (.) und auch teilweise so die Ideenfindung (.) is für 49 uns leichter alleine zu machen (.) einfach weil man dann auch weniger eingeschränkt is durch 50 andre (.) also nich dass andere Ideen einschränken aber in seinem Stil schreiben zu können 51 und vielleicht seine eigenen Gedanken (.) ähm und dass wir da auch beide ehr (.) jetzt welche 52 sin die ehr Ruhe dafür brauchen (.) also (.) ich weiß noch wir saßen öfter nebeneinander und 53 die Pf hat gmeint Ef etz sei leise weil ich schon fertig war und ja (.) kennt ja jeder 54 irgendwie ging wahrscheinlich den meisten so dass man irgendwie ehr (.) einfach dann Ruhe 55 will mhm:: und sich vielleicht sonst auch zu sehr an den anderen Ideen so orientiert und sich 56 denkt ach das klingt gut und dann das so übernimmt obwohl man eigentlich ( ) nicht mehr 57 so kreativ wird (.)
356
Was trotz der mehrheitlich fehlenden Textüberarbeitungen der kreativ geschriebenen Texte
auffällt, ist, dass die Studierenden die von den Seminarleitern eingeforderten kritischen Stel-
lungnahmen befürworten, die im Plenum nach der Realisierung eines jeden Schreibarrange-
ments zu den präsentierten Texten in Form von Feedback abgegeben wurden. Dieses Feed-
back, das positive wie auch kritische Rückmeldungen oder Rückfragen enthalten kann, wurde
sowohl von den studentischen Teilnehmenden als auch von den Seminarleitenden ausgespro-
chen. Eine externe Einschätzung zu ihren Texten in einer Art kritischem Gespräch im An-
schluss an die Entwurfsphase ist den Studierenden diesen Erkenntnissen nach zu urteilen
enorm wichtig. Sie wird als Wertschätzung des Schreibbemühens verstanden und ist aus
schreibdidaktischer Hinsicht eine sehr geeignete Voraussetzung für anschließende Textrevisi-
onen.
57 Cf: […]wir ham aber auch gesagt dass die Besprechung so wie wir=s auch hier 58 gemacht ham (.) danach (.) mit dem Austausch total cool is (.) weil man dann halt quasi so: 59 eigentlich sein Horizont erweitern kann sicher Ideen für=s nächste Mal (.) aufschnappen kann 60 (.) und halt=s auch einfach (.) also jetzt auch grad im Bezug wenn man=s mit Schülern sieht 61 oder so (.) so ne Honorierung des Ganzen is und des find ich schon auch wichtig dass man hat 62 so n Feedback kriegt (.) also: (.) weil man kann ja eigentlich das haben wir ja jetzt auch 63 gesehn aus allem was positives sehn und jeder weiß ja wo er - welches Text vielleicht jetzt 64 schwächer oder welcher stärker da- von einem selber (3) aber irgendwie warn ja echt viele 65 Sachen da du so ein Erfolgserlebnis is ja auch wichtig (.) grad bei Schülern (.) ja auch wichtig 66 (.) deswegen ne Besprechu:ng auf jeden Fall machen oder=n Feedback
In den Reflexionen der teilnehmenden Studierenden ist immer wieder vom erlangten Schreib-
flow zu lesen. Dieser auch in der Fachliteratur bekannte Zustand im Schreibprozess hat für die
Studierenden große Bedeutung und löst Glücksgefühle aus. Dem gegenüber stehen unter-
schiedlich lange Unterbrechungen, aber auch Schreibabbrüche oder sogenannte Schreibblo-
ckaden. Dem Umgang mit Blockaden wird häufig mit ablenkenden Beschäftigungen wie Spa-
zierengehen, Essen, Musikhören, den Schreibort wechseln u.a. begegnet, was aber im bil-
dungsinstitutionellen Rahmen (Unterricht, Seminar) selten möglich ist. Beim selbstbestimm-
ten Arbeiten allerdings, so auch in der schriftlichen Befragung von vielen Studierenden ange-
geben, sind diese Maßnahmen bzw. Ablenkungen gängige Praxis. Daher bliebe häufig nur der
wiederholte Schreibbeginn oder das erneute alternative-Ideen-Suchen, wenn man an ein und
demselben Arbeitsplatz verweilt.
Diskursive Interviews zur Fragestellung: Was könnte Sie bei der nächsten Schreibaufgabe zu einem Schreibflow stimulieren? und Was haben Sie getan, wenn eine Schreibbarriere aufgetreten ist? Aufgenommen am: 27. April 2012 Timecode: 00.0min bis 05.55 min Dauer: 5.min 55 Sek. Transkription: Magdalena Baßler
357
Korrektur: Jens Behning
2 Kf: (.) ä:hm (2) wir fanden eigentlich beide dass es äh beste ist (.)wenn man 3 einfach (.)äh gedanklich (.) erst mal loslässt und (.) ähm sich nicht auf eine bestimmte Idee 4 (.) verkrampft (.) ä::hm (2) es is äh (.) ja oder man man sollte vielleicht nen anderen 5 Ansatzpunkt finden (.) ähm auch die individuelle Umgebung is wichtig also dass man sich in 6 seiner Umgebung grade wohlfühlt also für mich war das Schreiben jetzt in der Straßenbahn 7 (.) ähm ja: also mir war halt (.) n bisschen schwindlig ich musst dann immer aufhö:ren (.) 8 u:nd ä::hm (.) ja (.) äh auch vielleicht etwas ganz anderes tun u:m den (.) die Gedanken 9 und den Kopf frei zu machen (.) also (.) wie jetzt zum Beispiel spazieren gehen oder so aber 10 des war ja heute nicht möglich weil des alles so (.) in nem Rahmen war 11 Mf: genau des war 12 bei mir auch so 14 Kf: wir ham dann eben (2) ähm 15 gesagt doch dass wir nen neuen Ansatzpunkt versuchen zu finden wenn wir eben in ner 16 Blockade drin sind wenn wir (.) verbissen an einer Idee festhalten hatten wir eigentlich beide 17 eben des Gefühl (.) dass wir da nicht weiterkommen weil (.) ( ) nicht weiterkommt dass wir 18 einfach ganz normal ne ganz andere Idee nochmal ansetzen so loslassen (.) und eben 19 nochmal neu ansetzen und eben nicht immer um des selbe Thema kreist (.) auch mit 20 irgendwelchen unterschiedlichen Ideen (2) genau die individuelle Umgebung schaffen
Einen besonderen Stellenwert für das fortgeschrittene Kreative Schreiben und ästhetische
Gestalten mit Studierenden hat Musik. Aus mehrfacher Perspektive kommt Musik in den
Schreib- und Gestaltungsprozessen vor. Zum einen als kreatives Schreibverfahren, welches in
beiden Intensivseminaren Anwendung findet298 und den Studierenden Impulse gibt sowie
Assoziationen für beide Ausdrucksformen Schreiben und Gestalten auslöst. Zum anderen
wird Musik, fast ausnahmslos bei allen teilnehmenden studentischen Illustratoren, als Beglei-
ter während des Schaffensprozesses gehört. Beim Schreiben allerdings stellen sich die geäu-
ßerten Wahrnehmungen, ob Musik das fortgeschrittene kreative Schreiben fördert oder behin-
dert, deutlich differenzierter dar. Während einige Studierende nur schwer Zugänge zum krea-
tiven Schreibverfahren „Musikalische Phantasiereise“ finden, wenn auch unterschiedlich für
verschiedene „Phasen“ im Schreibprozess, nehmen andere Studierende Impulse durch Musik
als sehr bereichernd wahr. Anders ist es, wenn Musik als Begleiter, also nicht als Impuls oder
Assoziationshilfe, gehört wird, wo sie mehrheitlich als konzentrationsstörend empfunden
wird. Gleichzeitig werden die Frage der unterrichtlichen Praxis (Lehramtsstudierende) aufge-
worfen und synergetische Effekte von Musik kontrovers diskutiert.
21 Kf: wir ham beide 22 festgestellt dass wir gestern besser schreiben konnten (.) aber dass sie sich mehr Musik 23 gewünscht hätte (.) und ich total glücklich war dass eben keine Musik da war weil (.) ich mit 24 Musik überhaupt nicht arbeiten kann außer eben davor oder danach (weil für mich is ) Musik
298 vgl. didaktische Diskussion der Schreibaufgabe und Verlauf der Seminararbeit Schreiben und Zeichnen zu Musik im Kap.
3.5.5.1
358
25 ne Pause und sie is eigentlich (.) hat sie selber so ein bisschen gesummt hast du gemeint 26 Lf: Jaja @(.)@ 27 Kf: Weil 28 du Musik irgendwie gerne hättest beim Schreiben (2) genau 29 Mf: Darf ich mal kurz ne Frage (.) äh 30 vielleicht jetzt ehr die aus der Praxis kommend mit Schülern (.) wie iss=n des weil ich mein 31 (.)Musik wirkt ja verschieden was iss=n jetzt wenn ich (1) also ham sie299 jetzt also prinzipiell 32 ihren Schülern (.) erlaubm (.) Kopfhörer zu hören ihre Musik zu hören? weil auf der einen 33 Seite nimmt einen des ja so=n bisschen die des Lehrerdasein (.) äh indem man halt immer 34 sag ich mal ( ) Aufmerksamkeit hat auf der anderen Seite kann so auch jeder die Musik 35 hören die ihm vielleicht für den kreativen Prozess für die Kreativität hilft (2) 36 Yf300: Also ich hab=s 37 folgendermaßen gemacht (.) ich hab festgestellt dass=es schreiben nach Musik eine der 38 schwierigsten Techniken is die man überhaupt kennt (.) weil die Musik ja weitergeht und 39 man ja gar nicht mit den Gedanken so schnell folgen kann (.) wie die Musik geht wir ham 40 gestern eine Musik gehört (.) die im Rhythmus geblieben is des Zugs (.) wenn es aber stark 41 ändert (.) iss=es schwierig (.) bei Kleinkindern ganz=besonders wenn ihre motorischen 42 Fähigkeiten nicht ausgebildet sind (.) und dann is die Musik (.) das sinnlichste Medium (.) 43 das kann sie also total in eine Stimmung hineinbringen die euphorisch oder (.) absolut 44 traurig is (.) es kommt da also viel stärker als bei Bildern (.) oder Literatur auf die Auswahl 45 der Musik an (.) und dann als ich das festgestellt habe hab ich gesacht ihr müsst euch selber 46 die Musik auswählen (.) die euch guttut (.)die euch vielleicht (.) nicht in eine bestimmte Idee 47 die abstrakter is 8.) die noch=nich jeder kennt (2) und dann hab ich das selbstverständlich 48 erlaubt dass sich auch jeder seine (.) Musik (.) anhört (.) aber is warn=langer Prozess um da 49 hinzukommen ja 50 Kf: ( ) und da is mir schon aufgefallen dass ( ) und so etwas auch 51 (gewechselt) hat und da war ich dann schon irritiert in meinem (.) in meinem Schreiben und 52 Zeichnen weil irgendwie die Stimmung ne andre (wurde) 53 Yf: Ja (.) genau des hab ich eben 54 versucht zu beschreiben das die Stimmung bei der Musik wechseln kann (.) wenn sie auf ein 55 Bild schaun ein Text lesen (.) dann is das viel statischer (.) das heißt das ist eine interessante 56 Technik (.) aber die schwierigste überhaupt 57 Lf: Aber du hast jetzt glaub ich gemeint so 58 Begleitmusik oder? nicht zum Schreiben () Musik sondern eher so a:ls 59 Kf: So zum hörn (.) 60 nebenbei ne? (2) mhm? (.) ja (.) is (.) also würd ich sagen des muss jeder wirklich 61 ausprobieren (.) ich könnt es nicht (.) ich würde mich ablenken lassen (.) es sei denn ich 62 schreibe über diese Musik (2) aber das muss man wirklich ausprobieren
299 Frage an die schreibdidaktische Seminarleiterin 300 Antwort der schreibdidaktischen Seminarleiterin
359
4 Forschungsergebnisse,AusblickundDesiderat
Aufgrund der Offenheit des Forschungsansatzes, durch den während der Untersuchungsdurchführung und
Auswertung bewusst neu auftretende Fragestellungen zugelassen und aufgenommen wurden299, treten
mehr Erkenntnisse zu Tage als die vier forschungsleitenden Fragestellungen im engeren Sinne vorgeben.
Die Komplexität des Forschungsdesigns und der Untersuchungen, die in der vorliegenden Arbeit vorge-
stellt werden, vergrößern häufig die Schwierigkeit, einfache Antworten und Aussagen zu treffen und Hy-
pothesen zu verifizieren bzw. zu falsifizieren. Trotzdem wird diese Offenheit des Forschungsansatzes
dieser Arbeit bis zum Schluss beibehalten, was in der Darstellung der Forschungsergebnisse und des Fa-
zits in diesem Kapitel deutlich wird.
Im Folgenden werden die Erkenntnisse, die in der vorliegenden Forschungsarbeit herausgearbeitet wer-
den und hauptsächlich die drei Untersuchungsschwerpunkte schriftliche Befragung Studierender, Bewer-
tung von Kreativität beim Schreiben Studierender und Reflexion eigener Schreibprozesse Studierender
beinhalten, zusammengefasst. Durch den didaktischen Schwerpunkt dieser Arbeit wird anschließend an
die zusammenfassenden Darstellungen zu den drei Forschungsschwerpunkten die Erweiterung einer aka-
demischen Schreibdidaktik vorgeschlagen, die insbesondere die Förderung von Kreativität durch Schrei-
ben fokussiert. Abschließend werden ein Fazit aus den Erkenntnissen gezogen und ein Ausblick sowie
aus den Untersuchungen resultierende Desiderata formuliert.
299 Neu aufgetretene Fragesellungen während der Auswertung der Pretest-Fragebögen oder während der Durchführung der Intensivseminare
mit den Studierenden der beiden Studiengänge DiDaZ und Design/Illustration waren beispielsweise: a) Wo gibt es große Ähnlichkeiten zwi-schen dem (Kreativen) Schreiben und dem ästhetischen Gestalten in der Fläche hinsichtlich Motivation, Prozess und Arbeitsverhalten?, b) Welche Faktoren beeinflussen Studierende während ihres kreativen Schaffensprozesses, in welcher Phase und in welchem Ausmaß? c) An welchen Stellen im kreativen Schaffensprozess empfinden Studierende konstruktive Kritik als hilfreich und wie gehen sie damit um? oder d) Wie können quantitative und qualitative Erhebungs-, Aufbereitungs- und Auswertungsmethoden so miteinander kombiniert und trianguliert werden, um den Gütekriterien Objektivität, Validität und Reliabilität bestmöglichst zu entsprechen? Diese wesentlichen „neuen“ Teilfragestel-lungen wiederum benötigten somit ebenfalls eine theoretische Grundlegung, die aus der zitierten Forschungsliteratur im theoretischen Teil für diese Arbeit zusätzlich aufgenommen worden ist.
360
4.1 ZurforschungsleitendenFragestellungI:Schreibverhalten,Schreibprozess
undSchreibmotivationStudierender
Resultierend aus der Fragebogenauswertung hat Schreiben für fast alle der befragten Studierenden einen
hohen bis sehr hohen Stellenwert in deren Leben. Über die Hälfte gibt an, zu glauben, dass die Fähigkeit
und die Tätigkeit des Schreibens Einfluss auf ihre Persönlichkeitsentwicklung hat. Dabei ist für eine
Mehrheit der Befragten klar, dass mit einer hohen Schreibkompetenz nicht nur ein verbesserter Ausdruck
verbunden ist, sondern auch die Steigerung zu komplexerem und abstrakterem Denken (Epistemik). Da-
gegen scheint die Aussage eines Großteils der Studierenden, die bei Schreibaktivitäten in ihrer Freizeit
kaum bis keine persönlichkeitsfördernde Wirkung sehen, kontrovers gegenüber der hohen Zuweisung des
Stellenwerts des Schreibens für ihren gesamten Lebensbereich zu sein (siehe Grafik). Dazu wiederum
verhält sich der Wunsch der Studierenden, mehr und anders schreiben zu können, fast widersprüchlich,
zeigt aber, dass Schreiben zu einem hohen Anteil fast ausschließlich im bildungsinstitutionellen Kontext
erlernt und praktiziert wird. Den Studierenden ist es laut der Untersuchung wichtig, sich klarer und besser
ausdrücken zu können. Sie wollen außerdem kunstvoller, kreativer und literarischer schreiben können. Zu
einer ähnlichen Aussage kommt Gundel Mattenklott in ihrem Aufsatz Kultur des Schreibens. Sie be-
schreibt, dass, obwohl es seit den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts eine „Energie“ einer gesellschaftlichen
Neuorientierung hin zu einer engeren „Bindung an literarische, künstlerische und philosophische Gegen-
wartsströmungen“ gegeben habe, diese Öffnung aber aufgrund der schulischen Abkapselung in ihre eige-
ne Formen- und Inhaltswelt behindert werde (Mattenklott 2007: 15).
Die Tatsache, dass Schreiben durch die schulischen Aktivitäten und Anforderungen obligatorisch ist, ver-
ringert trotz des Missfallens schreiben zu müssen bei vielen Befragten nicht die Wertschätzung gegenüber
dem Schreiben und gegenüber den damit verbundenen Vorteilen für die eigene Person. „Schreiben muss
Spaß machen“ ist nach Auswertung der Fragebögen für eine sinnvolle Schreibdidaktik ebenso maßgeb-
lich wie das Vermögen, sich über ein Sachthema, über gesellschaftliche Verhältnisse oder über die eigene
361
Person schriftlich differenziert äußern zu können. Den Anspruch auf Spaß/Gefallen und Kompetenz am
und durch Schreiben im Rahmen eines langjährigen und mühsamen Erwerbs von fortgeschrittener
Schreibkompetenz didaktisch zu ermöglichen, bleibt sicherlich für Schule und Hochschule eine perma-
nente Herausforderung.
Beachtlich ist die Rückmeldung der Studierenden im Bereich des Schreibens als soziales Handlungsfeld.
Insgesamt knapp drei Viertel300 der Befragten gibt an, dass sie durch das Schreiben Kontakte zu anderen
Personen hergestellt und gepflegt haben. Die sozialisierende Komponente des Schreibens ist stark reprä-
sentiert. Hier sei ebenfalls, wie bei der Korrelation
Hobby, Stellenwert und Persönlichkeitsentwicklung,
die Wertschätzung der Fähigkeit, sich schriftlich arti-
kulieren zu können, außerordentlich betont.
Besorgniserregend ist das Ergebnis, dass 16 Prozent
der befragten Studierenden angeben, noch nie einen
eigenen Text privat oder öffentlich anderen Personen
vorgelegt zu haben (mit der Ausnahme von Hausarbei-
ten im Studium). Dass so ein erheblicher Anteil der
Studierenden die Frage beim Ausfüllen des Fragebogens nicht verstanden hat, ist unwahrscheinlich.
Vielmehr ist dieses Ergebnis ein Verweis darauf, dass geschriebene Texte zu häufig keinen Leser finden
und somit zu wenig Wertschätzung erfahren. Aus motivationaler und somit auch aus schreibdidaktischer
Sicht ist es ein alarmierendes Ergebnis, dass fast jeder Sechste der Studierenden noch nie eigene Texte
„veröffentlicht“ hat. Im Hinblick auf die Normalität des Öffentlichmachens von eigenen gestalteten Bil-
dern seit der Kindheit, ist das aufgrund der prinzipiellen Ähnlichkeiten der Disziplinen Kreatives Schrei-
ben und (bildnerisches) Ästhetisches Gestalten eine enorme Differenz, weil bei beiden Disziplinen Ge-
danken über die Hand und ein Schreib- bzw. Zeichengerät auf einem Untergrund abgebildet werden.
Die spielerische Ernsthaftigkeit beim Kreativen Schreiben, wie sie etwa in der Lyrik sowohl dem Rezipi-
enten als auch dem Schreiber begegnet301, wird von den Studierenden als ernster Sprachspiel-Anlass
wahrgenommen und dient daher auch der Motivation, eigene Texte zu schreiben und zu präsentieren. Die
Anlässe zum Schreiben, z.B. für den Partner, zu Geburtstagen und oder Hochzeiten, nehmen mehr als ein
Drittel der Studierenden wahr, um eigene Texte, meist Gedichte, in der „privat-persönlichen Öffentlich-
keit“ preiszugeben. Das Ergebnis korreliert damit unter Umständen mit den Wünschen der Studieren-
300 Eine differenzierte Darstellung der Einschätzungen zum Herstellen von Kontakten zu anderen Personen durch das Schreiben findet sich am
Ende des Kapitels 3.4.2 Bedeutung des Schreibens für Studierende 301 Vgl. Theorieteil, Kapitel 2.3.4
362
den302, kreativer, künstlerischer und literarischer schreiben zu können, um in bedeutenden Lebenssituati-
onen Partner, Vertraute, Freunde oder Familienangehörige mit kreativen Texten erfreuen zu können.
Der Befragung zufolge wünschen sich die Studierenden neben höheren Kompetenzen in den Bereichen
des literarischen, kreativen und kunstvollen Schreibens auch verbesserte funktionale Schreibkompeten-
zen. Häufig werden hierfür ein niveauvollerer schriftsprachlicher Ausdruck und verbesserte Fähigkeiten
zur Textstrukturierung und Textkohärenz genannt. Demzufolge (er-)kennen Studierende oftmals ihre
Schreibschwierigkeiten und -vorlieben und gleichen diese simultan mit den ihnen bekannten bzw. ange-
strebten Anforderungen, Normen und Konventionen bezüglich der Textangemessenheit und letztlich der
(kreativen) Textqualität ab.
Schreiberfahrungen, Gewohnheiten und Mediengebrauch303
Für die Gruppe Studierende, auf die in dieser Untersuchung der Fokus gelegt wird, ist die schulische So-
zialisation der befragten Studierenden hinsichtlich des Schreibens und Ästhetischen Gestaltens von
grundlegender Bedeutung, da dort in einem über zehnjährigen Lernprozess die für Studium, Beruf und
den privaten Bereich erforderlichen Kompetenzen aufgebaut werden. Daher zielt die Befragung auf eine
subjektive Einschätzung dieses Lernprozesses ab. Bei der Auswertung wird klar, dass eine Mehrheit der
Studierenden mit der Vermittlung des Schreibens und Gestaltens in der Schulzeit unzufrieden ist. In die-
sem Zusammenhang geben insbesondere die Studierenden des Studiengangs Designs/Illustration an, dass
ihnen in der Schule die Förderung kreativer Fähigkeiten fehlte, dass es aber gleichzeitig einzelne Lehr-
kräfte oder Bezugspersonen waren, die sie zum Zeichnen und Illustrieren motivierten. Hierbei wird die
zentrale Rolle einer fachkompetenten Lehrkraft deutlich, die fachdidaktisch kompetent und emotional
förderlich für die Lernenden eine wesentliche Rolle bei deren Interessens- und Identitätsbildung ein-
nimmt. Dies gilt für das fortgeschrittene Kreative Schreiben genauso wie für das Ästhetische Gestalten.
Hinsichtlich der schulischen Schreibsozialisation äußern sich zwei Drittel der befragten Studierenden
negativ und bemängeln ihre Schreibausbildung aus der Retrospektive. Überraschend scheint hier zu sein,
dass über die Hälfte der befragten Studierenden prinzipiell gern mehr schreiben würde, was wiederum im
Kontrast zu den wenig existenten Schreibaktivitäten der Studierenden außerhalb von Schule oder Univer-
sität steht. Eine Interpretation wäre ebenfalls, dass Schreiben eben aufgrund der hohen kognitiven An-
strengungen mühsam ist und Zeit benötigt, die sich die Studierenden nehmen müssten.
Fast die Hälfte der befragten Studierenden hat bereits mindestens an einem Schreibkurs teilgenommen.
Dadurch habe sich das Interesse am Schreiben bzw. die Schreibmotivation und die Methodenkompetenz
302 Vgl. detaillierte Auswertung der schriftlichen Befragung hinsichtlich der Wünsche Studierender am Ende des Kapitels 3.4.6 303 vgl. detaillierte Auswertung der schriftlichen Befragung in Kapitel 3.4.3
363
hinsichtlich der Kenntnis über unterschiedliche Schreibverfahren erhöht. Diesen Rückmeldungen stehen
die Erfahrungen Dozierender aus universitären Seminaren und aus Prüfungskorrekturen konträr gegen-
über, die zeigen, dass Studierende selten verschiedene Schreibverfahren anwenden oder nutzen. In der
Befragung jedoch geben über drei Viertel der Studierenden an, Mind-Mapping, Clustern, Elfchen,
Schreiben zu Bildern, Akchrostichen oder Reizworttexte zu kennen. Schreibstrategien und Schreibmetho-
den kennen, bedeutet also für Studierende noch nicht, diese selbstständig anzuwenden, obwohl dennoch
davon ausgegangen werden kann, dass sie dies bei erkennbarem Nutzen für den eigenen Schreibprozess
und letztendlich den Schreiberfolg zunehmend tun werden.
In der Auswertung der Befragung irritiert, dass maximal ein Drittel der befragten Studierenden angibt,
außerhalb der akademischen Ausbildungssituationen zu schreiben und gleichzeitig nahezu alle Studieren-
den angeben, dass sie mit dem Smartphone oder anderen digitalen Medien in der Freizeit schreiben. Der
Widerspruch, dass Studierende tatsächlich sehr häufig mit dem Handy/Smartphone schreiben, jedoch dies
von ihnen nicht bzw. nur einmal als häufigstes oder beliebtestes Medium angegeben wird, könnte damit
zusammenhängen, dass die schriftliche Kommunikation via SMS, WhatsApp, Twitter, SnapChat, Insta-
gram oder Facebook von den befragten Studierenden unbewusst gar nicht als Schreiben im engeren Sinne
angesehen, sondern als (mündliche) mediale Kommunikation verstanden wird. Die im Theorieteil aus-
führlich erläuterte Unterscheidung zwischen konzeptioneller Mündlichkeit und konzeptioneller Schrift-
lichkeit würde diese Art von Schreiben somit der konzeptionell mündlichen Kommunikation zuordnen,
weil diese Texte wenig gemeinsame Merkmale mit funktionalen oder kreativen Texten aufweisen304. Eine
weitere Erklärung wäre, dass das Schreiben auf dem Handy, Tablet und oder Smartphone in Wirklichkeit
wenig beliebt ist, wodurch die häufige Nutzung als eine Art nerviger Zwang zum ständigen Kommunizie-
ren interpretiert werden kann. Dafür sprechen würde auch die zunehmende Nutzung von Sprachnachrich-
ten mittels Voice Messenger wie TalkBox, bei denen gar nicht mehr getippt und somit geschrieben werden
muss. Valide Aussagen über diesen Sachverhalt kann nur eine die hiesige Studie ergänzende Befragung
treffen.
Am häufigsten jedoch werden von den Studierenden Hausarbeiten geschrieben, gefolgt von Zusammen-
fassungen, Tagebucheinträgen und Gedichten. Ebenfalls interessant ist, dass nur drei von vier Studieren-
den Erfahrungen beim Verfassen von Bewerbungen haben. Fast die Hälfte hat Erfahrungen mit dem
Schreiben von Tagebuch oder Reiseberichten und ein Drittel mit dem Schreiben ästhetischer Texte, und
dies außerhalb universitärer Schreibverpflichtungen. Mit dem Blick auf den ästhetischen Ausdruck stu-
dentischen Schreibens in der Freizeit fällt auf, dass knapp zwei Drittel derjenigen Studierenden, die in
304 vgl. Kapitel 2.2.2 Mündlichkeit und Schriftlichkeit
364
ihrer Freizeit schreiben, Kreatives Schreiben und Ästhetisches Gestalten (Zeichnen/Illustrieren) beim
Herstellen von Karten, Briefen, Comics oder Liedern miteinander kombinieren. Das ästhetisierende Zu-
sammenwirken von Text und Bild beim Schreiben ist für die Mehrheit dieser in der Freizeit Schreiben-
den, bewusst oder unbewusst, gängige kreative Praxis. Eine detailliertere Interpretation der studentischen
Nennungen war aufgrund der Fragbogenkonstruktion an dieser Stelle nicht möglich.
Mit welchen Schreibgeräten aber realisieren heutige Studierende ihre Schreib- und Gestaltungsaktivitä-
ten? Papier und Stift sind nach wie vor für 80 Prozent der Studierenden reale Praxis. Vorwiegend wird
auf weißem linierten oder karierten Papier geschrieben, wobei sich die Verwendungen verschiedener
Schreibmedien in den verschiedenen Lebensbereichen der Studierenden unterscheiden. Während an der
Universität nahezu 90 Prozent der Studierenden mit der Hand schreiben, sind es im privaten Bereich nur
50 Prozent. Gleichzeitig geben über 80 Prozent an, prinzipiell ebenfalls mit dem PC oder Laptop zu
schreiben, allerdings abhängig von Ort und Zeit (Uni, Freizeit, Job). Die Präferenzen bei der Wahl des
Schreibgeräts sind vielfältig. Überraschend geben 30 Prozent an, dass sie mit einem Füller schreiben, vor
allem bei besonderen Briefen oder Karten. Sonst ist der Kugelschreiber das gängigste Schreibutensil.
Wichtig ist bei der Interpretation der Verteilungen: Neben den Faktoren Kontext, Ort und Zeit fällt der
Wechsel zwischen den verschiedenen Schreibgeräten ins Gewicht, durch welchen Texte häufig übertra-
gen und somit erstmals überarbeitet werden. Gründe für den Transfer sind dabei Textrevision, Lesbarkeit,
Strukturierung und Notwendigkeit einer digitalen Textversion. Das Potential einer Überarbeitung durch
(Schreib-)Medientransfer, z.B. von handschriftlichen Texten auf den PC oder Laptop, wird von den Stu-
dierenden allerdings in zu wenigen Fällen erkannt und angemessen ausgeschöpft.
Selbsteinschätzungen zur Schreibkompetenz305
Da es in der gesamten Untersuchung306 hauptsächlich um kreativ-sprachliches Leistungsvermögen geht,
sind studentische Selbsteinschätzungen zu sprachlichen Normen und deren Entsprechungen in ihren
selbstgeschriebenen Texten in diesem schreibakademischen Kontext wenig interessant. Daher wird sich
auf wenige Aspekte beschränkt, die in Kombination mit Antworten aus weiteren Bereichen des Fragebo-
gens Ich kann schreiben im Hinblick auf die forschungsleitenden Fragestellungen dieser Untersuchung
dennoch sinnvoll erscheinen.
Mit gutem Selbstvertrauen schätzen die Studierenden ihre Schreibkompetenzen für den privat-
gesellschaftlichen Bereich ein. Bei der Einschätzung akademisch-wissenschaftlicher Schreibkompeten-
zen, die im weiteren Verlauf des Fragebogens abgefragt werden, sind die Studierenden mit ihren Selbst-
305 vgl. detaillierte Auswertung der schriftlichen Befragung in Kapitel 3.4.4 306 gemeint sind die vier zugrunde liegenden forschungsleitenden Fragestellungen (vgl. Kapitel 3.1) und die drei Untersuchungsschwerpunkte
(vgl. Kap. 3.4, 3.5 und 3.6 dieser Arbeit
365
einschätzungen zwar zurückhaltender und machen eher einen Widerspruch zwischen den Selbsteinschät-
zungen und den aktuellen Debatten um sinkende schriftsprachliche Kompetenzen bei deutschen Studie-
renden deutlich.
Immerhin jeder zehnte Studierende ist der Meinung, dass er sehr gute Schreibkompetenzen vorweisen
kann. Insgesamt haben rund 95% laut Selbstauskunft gut durchschnittliche bis sehr gute Schreibkompe-
tenzen. Nur sieben Prozent der befragten Studierenden glauben, ihre akademisch-wissenschaftlichen
Schreibkompetenzen seien niedrig. Ebenfalls interessant ist die hoch eingeschätzte Abhängigkeit der stu-
dentischen Schreibfähigkeiten vom individuellen Interesse am Schreibthema, was hieße: Ist das Thema
weniger attraktiv für den jeweiligen Studierenden, ist die Textqualität schlechter, oder, ist das Thema at-
traktiver, steigt die Schreibkompetenz - so die Selbsteinschätzungen eines Drittels der Befragten.
Trotz der selbstbewussten Einschätzungen der „guten“ Schreibkompetenz geben die Antworten hinsicht-
lich der Problemunterscheidungen bei der Textproduktion akademisch-wissenschaftlicher Texte detail-
lierter Auskunft über die einzelnen Herausforderungen für die Studierenden beim Schreiben im Studium.
Für die Hälfte stellt nach wie vor die Angst vorm weißen Blatt die größte Herausforderung dar. Nach dem
als schwierig eingeschätzten Schreibbeginn rangiert die Unterscheidung zwischen Wesentlichem und Un-
wesentlichem beim Schreiben mit knapp 43 Prozent der befragten Studierenden auf Rang zwei, was so-
wohl fachliche Gründe als auch sprachliche Gründe haben kann, wogegen das Finden klarer Formulie-
rungen immerhin für 40 Prozent der Studierenden schwierig ist. Für ein Drittel der Studierenden ist das
Umformulieren von Textstellen aus wissenschaftlicher und Sekundärliteratur eine große Herausforde-
rung. Immerhin ein Viertel der Studierenden sieht für sich Schwierigkeiten bei der Textstrukturierung und
bei der Modellierung eines roten Fadens, was ein Fünftel der Befragten angibt.
In Abhängigkeit vom Schreibtyp, das heißt wann, ob und wieviel ein studentischer Schreiber seinen Text
überarbeitet, ist bei der Betrachtung der angegebenen Schwierigkeiten zu betonen, dass diesen Schwie-
rigkeiten größtenteils mit Textrevisionen zu begegnen ist. Gemeint ist nicht, dass Textrevisionen automa-
tisch alle Schwierigkeiten lösen. Aber mit Rückblick auf die Erkenntnisse aus dem Untersuchungs-
schwerpunkt 3 dieser Arbeit, bei dem Reflexionen zum Schreibprozess beim Kreativen Schreiben Studie-
render untersucht wurden, fällt auf, dass die Studierenden bekannte Schreibverfahren in der Planungspha-
se in seltenen Fällen verwenden und zu wenig und zu oberflächlich eigene Texte redigieren. Für das Ver-
fassen akademisch-wissenschaftlicher Texte hingegen geben die Studierenden vielfältige Planungsaktivi-
täten an. Beim Kreativen Schreiben erwarten sie dagegen vielmehr, dass sich beim spontanen Erstschrei-
ben bereits eine alternierende attraktive Wortwahl einstellt, ein Fokus auf besondere Schwerpunkte her-
ausbildet, eine kohärente inhaltliche und sprachliche Struktur entwickelt und Redundanzen von Anfang
366
an ausbleiben. Weitere volitionale und emotionale Voraussetzungen und Bedingungen bei studentischen
Schreibverhalten und -gewohnheiten beim Kreativen Schreiben bleiben als Forschungsdesiderata interes-
sant, insofern sie nicht in folgender Zusammenfassung behandelt werden.
Motivation und Emotion
An die Angaben der Studierenden, dass deren Schreibkompetenz vom Interesse am Schreibthema abhän-
ge, kann mit der Motivation Studierender zum Schreiben direkt angeschlossen werden. Mit unvergleich-
bar hohem Ergebnis (knapp 75 Prozent) testieren die Befragten den eigenen Erfahrungen und Erlebnissen
die größte Bedeutung für ihre Schreibmotivation. Emotionen, die sowohl durch Erlebnisse oder Erfahrun-
gen als auch durch den rezeptiven wie produktiven Umgang mit den Künsten (Theater, Literatur, Film,
Malerei) entstanden sind, kennzeichnen die zweithäufigst genannte Motivation zu schreiben. Visuelle
Reize (Bilder, Fotos, Videos, Beobachtungen) sind für 40 Prozent der Befragten und auditive Reize für 20
Prozent der Befragten schreibmotivierend. Verwunderlich ist, dass bei der Beantwortung der global ge-
haltenen Frage Was motiviert Sie zum Schreiben? keine themenbezogenen oder wissenserkenntlichen
Schreibmotivationen auftauchen, um sich beispielsweise mit einem fachwissenschaftlichen oder gesell-
schaftlich-relevanten Thema schreibend auseinanderzusetzen oder durch Schreiben zu neuem Wissen zu
gelangen (z.B. schriftliche Hausarbeit). Die Entwicklung und Veränderung der Schreibkompetenz und
Schreibmotivationen während der gesamten schulischen und der für die Studierenden aktuellen universi-
tären Lernphase würde dies nahe legen, wird aber von den Studierenden nicht genannt. Fast neun von
zehn Studierenden schreiben nach deren Aussagen aufgrund universitärer Verpflichtungen. Das zeigt,
dass verpflichtende Schreibanlässe in Schule und Studium von den Studierenden nicht als Motivation
zum Schreiben interpretiert werden, obwohl wenigstens über eine Vermischung zwischen Pflicht und
Motivation im Sinne eines positiven Drucks diskutiert werden könnte. Es zeigt sich erneut eine wesentli-
che Unterscheidung zwischen privat-gesellschaftlichen Bereichen und akademisch-wissenschaftlichen
Bereichen hinsichtlich des Schreibens. Die Auswertung der Befragung kann die in den studentischen Le-
bensbereichen realisierten Textsorten mit angegebenen Motivationsbereichen korrelieren. Texte aus der
bisherigen akademischen Praxis, wie Hausarbeiten, Protokolle, Berichte und Zusammenfassungen sind
aufgrund der wahrgenommenen Verpflichtung „motiviert“, diese Texte im Studium zu erstellen. Ästheti-
sche Prosatexte, Lyrik, (Leser-)Briefe oder Artikel, die Studierende im privat-gesellschaftlichen Bereich
verfassen, entstehen mehrheitlich durch andere Motivationen. Demgegenüber stehen die Motivationsbe-
reiche Freundschaft, Liebe, Langeweile, künstlerisches und gesellschaftliches Engagement. Differenziert
man im privat-gesellschaftlichen Schreibbereich der Studierenden zwischen denen, die sich gesellschaft-
lich durch Schreiben engagieren und denen, die sich ästhetisch-künstlerisch durch Schreiben engagieren,
geben diejenigen des gesellschaftlichen Schreibbereichs an, vor allem Stellungnahmen und Kommentare
367
(50%), Berichte und Protokolle (38%), Artikel (25%), Bewertungen, Leserbriefe und literarische Prosa-
texte (jeweils 12%) zu schreiben. Studierende, die aus ästhetisch-künstlerischen Gründen schreiben, ver-
fassen hauptsächlich Gedichte (60%), Kurzgeschichten (51%), sonstige Prosatexte (36%), Science-
Fiction-, Lied- und szenische Texte. Zudem trägt Langeweile häufig dazu bei, dass geschrieben wird, so
die befragten Studierenden. So entstehen aufgrund von Langeweile vor allem Tagebucheinträge (45%),
Gedichte (27%), ästhetische Prosatexte (25%) und andere, in denen eigene Gedanken niedergeschrieben
werden. Wenig überraschend, aber dennoch sehr motivierend für das fortgeschrittene Kreative Schreiben,
ist das Phänomen verliebt-Sein. Aus Liebe schreiben 43 Prozent der Studierenden Liebensbriefe307 analog
auf Papier, mit dem schreibend eine Kommunikation zu einem (möglichen) Partner gesucht, aufgebaut
und oder gepflegt wird. 38 Prozent schreiben aus Liebe Mails, aber auch ein Drittel Gedichte und ein
Viertel Tagebuch. Ebenfalls exemplarisch, aber in elektronischer Form, ist die Mail/der Chat das mit Ab-
stand bevorzugte Medium für das Schreiben im Freundeskreis.308
Abbildung 47: Motivationsbereiche in Korrelation mit Schreibkontexten der befragten Studierenden
Nicht differenziert nach Motivationsbereichen geben die Studierenden an, dass sie, mit ganz wenigen
Ausnahmen (ca. 7%), schreiben, wenn sie allein sind. Schreiben in Gruppen lehnen drei von vier Studie-
rende ab, weil es sie nicht motiviere und sie störe.
307 Die in der schriftlichen Befragung aufgetretene Differenzierung von Brief und Liebesbrief wurde hier aufgrund der Vergleichbarkeit mit den
anderen Motivationsbereichen unter Briefe zusammengefasst. Vgl. Kapitel 3.4.5 308 Das Schreiben von Kurznachrichten über Apps, Mobilfunk und soziale Netzwerke ist hiervon ausgenommen, da die Befragten diese Art von
medial schriftlicher Kommunikation nicht mit dem „Schreiben“ konzeptionell schriftlicher Texte in Verbindung bringen.
0%
20%
40%
60%
80%
100%
120%
Gedichte
literarische Prosatexte
Mails/Chats
Tagebucheinträge
Briefe
Stellungnahmen/Kommentare
Protokolle/Berichte
Bewerbungen
wissenschaftliche Texte
368
In der Untersuchung zu den Repräsentationen verschiedener Textsorten in den sechs gewählten Motivati-
onsbereichen lässt sich noch eine andere Information ablesen. Nur das Schreiben von Gedichten und lite-
rarischen Prosatexten ist in allen der sechs angegebenen Motivationsbereichen, wenn auch zum Teil pro-
zentual sehr stark unterschiedlich, vertreten. Die Textsorten Bericht oder der wissenschaftliche Text hin-
gegen, spielt nur in ganz wenigen Bereichen des Schreibens eine Rolle. Im Themenzusammenhang des
fortgeschrittenen Kreativen Schreibens zeigt sich an dieser Stelle die disziplinübergreifende Bedeutung
des ästhetischen Ausdrucks durch Schreiben, und zwar nicht als ein fakultativer Teilbereich der
Schreibdidaktik, sondern als ein zentraler Schwerpunkt der schulischen und universitären Schreibsoziali-
sation und der lebensweltlichen individuellen Praxis. Wie bereits im Unterpunkt Schreiberfahrungen,
Gewohnheiten und Mediengebrauch hervorgehoben, motivieren persönliche Karten, Tagebucheinträge,
persönliche Briefe, aber auch wissenschaftliche Texte teilweise bis zu 50 Prozent der befragten Studie-
renden, Text und Bild miteinander zu kombinieren.
Ernüchternd hingegen sind die studentischen Angaben zu den emotionalen Befindlichkeiten vor Beginn
der Textproduktion, wobei Freude nach Angabe der Studierenden nur einer von fünf empfindet. Es domi-
nieren Stress (58%), Ideenlosigkeit (37%), Aufgeregtheit, Hilflosigkeit und das Suchen nach Alternativen
zum Schreiben (42%), was auf mangelnde bzw. fehlende Routinen und Unsicherheit beim Schreiben zu-
rückzuführen ist und erneut im Widerspruch zu den bereits dargelegten Selbsteinschätzungen der Studie-
renden hinsichtlich ihrer Schreibkompetenz bei privat-gesellschaftlichen und wissenschaftlich-
akademischen Texten steht. Nach Aussagen der befragten Studierenden sind es insbesondere emotionale
Extreme, positive wie negative, die zum Schreiben motivieren. Die häufig genannten Gefühlszustände
Trauer, Nachdenklichkeit, Depression, schlechte Laune oder gar Verzweiflung stehen dabei dem einzig
genannten positiven Gefühlzustand gute Laune als Schreibmotivation gegenüber. so ist nachvollziehbar,
dass Kreatives Schreiben, z.B. in den USA, zu therapeutischen Zwecken eingesetzt wird und Wirkung
zeigt. Während des Schreibens käme bei 20 Prozent der Studierenden Hochstimmung, bei 46 Prozent
Ausgeglichenheit, aber auch Aufregung (32%), Sehnsucht, Stress, Wut und Frust auf, die bzw. der teil-
weise auch thematisch im Text verarbeitet wird. Vorlieben der Studierenden, abends (47%) oder spät
nachts (37%) zu schreiben, sind eindeutig, auch wenn ein Drittel der Befragten ebenso morgens schreibt.
Dabei schreiben Studierende vorwiegend am Schreibtisch (72%), im Bett (49%) oder im Freien (29%).
Kreative Prozesse beim Schreiben
Vorausgeschickt sei, dass die Befragung der Studierenden jeweils vor den Intensivseminaren stattfand.
Dies ist insofern wichtig, als dass Erfahrungen und eine stärkere Prozessorientierung aus den universitä-
ren Seminaren zum Kreativen Schreiben, sowie die Reflexion einzelner Phänomene und Prozessphasen
beim Schreiben, nicht in die Beantwortung der Items des Fragebogens eingeflossen sind. Somit bewegen
369
sich die Erkenntnisse aus der Befragung auf der Grundlage einer Anamnese von Selbstauskünften und -
einschätzungen zum eigenen Schreiben der Studierenden, bevor sie Erfahrungen mit einem universitären
Schreibseminar machten, bei dem der Fokus auf Kreativem Schreiben lag. Die große Mehrheit universitä-
rer Schreibkurse in Deutschland hingegen richtet sich aktuell auf akademisch-wissenschaftliches Schrei-
ben.
In der Befragung geben viele Studierende an, ausgiebige und vielfältige Methoden zur Planung der Text-
produktion anzuwenden. Verglichen mit den hohen Belastungen zu Beginn des Schreibprozesses, die von
den Studierenden angegeben werden, sollten die genannten Verfahren (Brainstorming, Mind-Mapping,
Stichwortzettel-schreiben, Gliederungen erstellen, u.a.) der angegebenen Ideenlosigkeit, den Frust- und
Hilflosigkeitsgefühlen entgegenwirken, so die Einschätzung anhand der Auswertung der Befragungser-
gebnisse. Eine Vielzahl an Studierenden variiert zwischen spontan und ausgiebiger planend die Textpro-
duktion oder kombiniert ad-hoc-Losschreiben und das vorab Gliedern bzw. Strukturieren der Textproduk-
tion, was in dieser Stelle zunächst keinen Abhängigkeitsfaktoren zugeordnet werden kann309. Nimmt man
die Entwicklung und Förderung von Kreativität beim Schreiben in den Blick, halten sich die Angaben zu
„Gedanken beim Schreiben frei fließen lassen“ (37%) und vorab Gliedern (32%) die Waage. Besonders
das Brainstorming (51%), aber auch innere Monologe bei leichtem Bewegen im Alltag, wie etwa das
Spazierengehen (25%), fördere die Kreativität, was an das Philosophieren in sogenannten Wandelhallen
im antiken Griechenland erinnert. Diese Techniken wurden dort bereits zur Steigerung rhetorischer Ex-
pertisen und gedanklichen Experimentierens erfolgreich genutzt. Auffällig aber nicht verwunderlich ist,
dass einzelne Antworten der Studierenden zu Steigerungen der Kreativität ähnliche Faktoren beinhalten
wie für die Steigerung der Motivation zum Schreiben generell. Beide Aspekte wurden in der Befragung
sowohl mit als auch ohne den Fokus auf Kreatives Schreiben abgefragt. So werden ebenfalls das Hören
von Musik (24%) und das Lesen von Literatur (61%) als generell kreativitätssteigernd genannt.
Neu ist, dass explizit das Wechseln des Schreibortes (19%) und des Schreibmediums (10%) (Stift, Papier,
Laptop, etc.), besonders zwischen analog und digital, das laute vor-sich-hin-Reden, aber insbesondere das
Vorstellen der eigenen Schreibideen und der ersten Textentwürfe die Kreativität beim Schreiben steigere.
Auf die enorme Bedeutung des Schreibflows, auch im Hinblick auf kreative Leistungen, ist im theoreti-
schen Teil der Arbeit hingewiesen worden. Anschließend ist im empirischen Teil der Arbeit dieser Be-
deutungszusammenhang anhand der Befragung und später anhand der Auswertung der studentischen Re-
flexionen detaillierter herausgearbeitet worden. Auf die Frage, wie Studierende damit umgehen, wenn
309 Entscheidungen von Studierenden, wann und warum sie verschiedene Methoden zu Beginn ihrer Textproduktion wählen, wird in der Zu-
sammenfassung des dritten Forschungsschwerpunkts Reflexion unter 4.3 näher erläutert.
370
diese Schreibflows unterbrochen werden bzw. wie die Studierenden erneut in diesen Zustand zurückkeh-
ren können, geben folgende Antworten der Aufschluss: Eindeutig ist, dass Unterbrechungen des Schreib-
flusses Auswirkungen auf den erfolgreichen Schreibprozess haben, was 93 Prozent der Studierenden
angeben. Einem Viertel fällt der Wiedereinstieg in das Schreiben nach einer Unterbrechung schwer. Dau-
ert die Unterbrechung länger als einen Tag an, erhöht sich wahrscheinlich der Anteil dieses Viertels
nochmals deutlich310. Eindeutig ist auch, dass das Einlesen in das bisher Geschriebene für mehr als vier
Fünftel der Studierenden die wichtigste Strategie ist, um das erfolgreiche Schreiben fortzusetzen. Als be-
sonders zielführend nennen die Studierenden hierfür das Einfühlen in den Text und das gelenkte Konzent-
rieren auf Sprache, Inhalt und Schreibziel. In diesem Zusammenhang des Wiedereinstiegs in eine bereits
begonnene Textproduktion geben die Studierenden an, dass sich dieses Weiterschreiben im Vergleich
zum Beginnen eines neuen Texts sogar als schwieriger gestaltet. Hinzugefügt sei, dass Unterbrechungen
beim Schreiben von den Studierenden keinesfalls prinzipiell als störend empfunden werden. Drei Viertel
der Befragten empfinden vor allem bei unbefriedigender Schreibprogression Gefühle der Erleichterung,
wenn der Schreibprozess zuweilen unterbrochen wird oder der Schreibende die Chance bekommt, sich
von festgefahrenen Formulierungen oder Ideen zu lösen (66%), um neue Ideen zu schöpfen (31%). Ent-
wickeln sich Unterbrechungen (im negativen Sinn) zu Schreibblockaden weiter, kann das für die Studie-
renden abhängig sein von der Textsorte (21%) bzw. vom Schreibkontext (akademisch-wissenschaftliches
Schreiben, z.B. Hausarbeit) (64%) oder der Tatsache, dass der Text begutachtet bzw. bewertet wird
(43%). Insbesondere aber auftretende Müdigkeit (54%), der hohe Anspruch an den eigenen Text (54%)
oder Desinteresse am Inhalt sind Hauptgründe für Schreibblockaden, was Kruses Annahmen311 erneut
bestätigt.
Beim Blick auf die studentischen Angaben zum Schreibprozess und den damit verbundenen motivationa-
len und volitionalen Bedingungen werden nochmals die bereits vorgestellten Erkenntnisse über Schreib-
lernerfahrungen, Kompetenzeinschätzungen und -wünsche herangezogen. Die Diskrepanz zwischen den
studentischen Wünschen nach einem verbesserten wissenschaftlichen wie kreativen Ausdrucksvermögen
und der empfundenen Belastung durch zu häufiges Schreiben in der Schulzeit, ist bereits dargelegt wor-
den. Auch der Widerspruch, dass die Hälfte der Studierenden - trotz der empfundenen Belastungen durch
permanentes Schreiben in der Schulzeit - gern mehr schreiben würden, spiegelt diese Diskrepanz wider.
Sicherlich sind einige negative Erfahrungen auf eine eher wenig attraktive schulische Schreibdidaktik
zurückzuführen. Auf der anderen Seite ist das Credo Schreiben muss immer Spaß machen ein Wider-
310 diese Annahme ist kein Ergebnis der Untersuchung, sondern eine Schätzung 311 In „Keine Angst vorm weißen Blatt“ (2007) geht Kruse auf verschiedene Motivationsbereiche und auf das Problem des Entstehens von
Schreibblockaden beim Schreiben von Studierenden ein. Viele von Kruses Aussagen zu Schwierigkeiten beim universitären Schreiben de-cken sich mit den Ergebnissen der schriftlichen Befragung, die hier zusammenfassend angeführt werden.
371
spruch in sich. Wenn ein Zwang zum Spaß bestehen soll, bei gleichzeitigem hohen Anspruch an eine sich
sukzessive und langsam entwickelnde Schreibkompetenz, muss auch in einer modernen Schreibdidaktik
über den sogenannten langen Atem des Lehrenden und des Lernenden gesprochen werden. Die Angaben
der Studierenden zu emotionalen Befindlichkeiten vor Beginn der Textproduktion sind, wie bereits er-
wähnt, ernüchternd. Nicht gemeint ist, dass eine förderliche Schreibdidaktik diese Emotionen in den Vor-
dergrund thematisieren sollte, vielmehr aber benötigen studentische Schreiber trotz Hochschulreife immer
noch (Schreib-)Strategien und deren Übung, die sie je nach Schreibarrangement bewusst auswählen und
anwenden können.
Neben geeigneten Methoden und individuell zugänglichen strategischen wie sprachlichen Hilfestellungen
durch eine Lehrperson oder -material gehören eben auch freiwilliges Engagement, Selbstdisziplin und
Frustrationstoleranz als Selbstverständlichkeit im Schreiblernprozess der Schreibenden dazu. Diese Kom-
ponenten sind auch für erfahrene Schreiber, etwa für Autoren, Journalisten oder auch für Wissenschaftler
unabdingbare Voraussetzungen für ihr kreatives Schaffen. Überarbeiten, Korrekturlesen, Umstrukturie-
ren, aber auch Löschen als Textprozeduren sind während des Prozesses für nahezu jeden avancierten
Schreibenden ebenso omnipräsent wie Erfolg, Zweifel und Misserfolg mit eigenen geschriebenen Texttei-
len. Die Untersuchungen zum Schreibprozess Studierender dagegen zeigen, ähnlich wie im schulischen
Kontext, dass spontan geschriebene Texte, vor allem beim Kreativen Schreiben, häufig unüberarbeitet
stehen bleiben, weil die erneute Auseinandersetzung den Studierenden anstrengende Überarbeitungsrou-
tinen abverlangt, die noch nicht oder nur bedingt ausgebildet sind und die für die Schreibenden eine un-
angenehme Belastung darstellen. Im Grunde geht es bei der durch die Befragung ermittelten Diskrepanz
zwischen den erwünschten Schreibfähigkeiten und der Bereitschaft, sich kritisch mit dem eigenen Schrei-
ben auseinanderzusetzen, auch darum, wie stark sich der einzelne Studierende für das Erreichen dieser
Ziele engagiert und inwiefern er von sich selbst Überwindung und Anstrengung abverlangt. Das so bild-
haft beschriebene Feilen oder Reiben an einem Text sind altbekannte Weisheiten, die das Prozesshafte
und Handwerkliche, aber auch das Beschwerliche und Verlustreiche beim Schreiben metaphorisch unter-
streichen. In diesem Zusammenhang stimmt es m.E. schon nachdenklich, dass nicht einmal die Hälfte der
Befragten das schrittweise Erlernen ihrer Schreibkompetenz explizit als Schulerfahrung benennt und als
eine schulische Erfahrung bezeichnet. Gründe hierfür können eine nach wie vor defizitäre Prozessorien-
tierung und Feedbackkultur im Unterricht oder die unbewusste Selbstverständlichkeit des „schulischen
Schreibens“ sein. Das Unvermögen kann aber auch auf fehlendes metakognitives Wissen beim Schreiben
generell zurückzuführen sein. Die zu großen Teilen nur rudimentär entwickelten Fähigkeiten der Studie-
372
renden, eigene Schreibprozesse zu analysieren und im Hinblick auf eine Veränderung für anschließende
Schreibaktivitäten zu reflektieren, bestätigen diese Annahme312.
4.2 ZurforschungsleitendenFragestellungII:BeurteilungvonKreativitätbeim
KreativenSchreibenStudierender
Die große Mehrzahl der entwickelten Bewertungskriterien sind für das Kreative Schreiben anwendbar
und sinnvoll und können unter Berücksichtigung der jeweiligen Textsorte(n), zielgerichtet angewendet
werden. Die Quantifizierungen der angewendeten Kriterien im Ratingverfahren haben dies deutlich ge-
zeigt313. Da Schreibende mit Texten des Kreativen Schreibens zum Teil völlig verschiedene kommunika-
tive Absichten verfolgen, müssen Beurteilungskriterien, wie im entwickelten Einschätzungsverfahren
EGL und TOA illustriert, variabel angelegt sein.
Die Beurteilung des komplexen Phänomens Kreativität bei schreibenden Studierenden ist der zweite Un-
tersuchungsschwerpunkt der vorliegenden Arbeit und insgesamt ein sehr ambitioniertes Vorhaben. Kont-
roverse Diskussionen in der wissenschaftlichen Forschung, was Kreativität ist, wurden in dieser Arbeit
breit thematisiert und in einer Arbeitsdefinition zum Begriff der Kreativität in Anlehnung an Reckwitz
zusammengeführt314 Die Fragen, die der forschungsleitenden Fragestellung des zweiten Forschungs-
schwerpunktes inhärent sind und im Kreativitätsdiskurs häufig auftauchen, sind: Gibt es dieses Phänomen
Kreativität überhaupt? (1), Kann Kreativität überhaupt bewertet werden? (2) und Behindert eine Bewer-
tung nicht geradezu Kreativität? (3). Nach den Auswertungen des zweiten Forschungsschwerpunkts müs-
sen die ersten beiden Fragen eindeutig bejaht und letztere eindeutig verneint werden. Dies bestätigt die
Testung der 22 entwickelten Kriterien in den Hauptkategorien Phantasie/Originalität, sprachliche Ästhe-
tik/Stilmitteleinsatz, Leseattraktivität/Wirkung und Gestaltung/Form, die zu 83% von den 5 Ratern an
jeweils 20 Texten validiert werden. Nach 100 Rating durch fünf Rater an 20 gleichen Texten anhand des
Bewertungsinstruments TOA wurden als Ergebnis dieses Validierungsprozesses diese 83 Prozent der ma-
ximal möglichen Kriterien zur Textbewertung herangezogen. Dies bedeutet die Anwendung von durch-
schnittlich 18,25 von 22 maximal möglichen Einzelkriterien pro Text. Je nach Ermessen der Rater wur-
den einzelne Kriterien als textirrelevant von der Bewertung ausgeschlossen, meistens textsortenspezifi-
sche Kriterien für lyrische Texte wie beispielsweise Metrum, Rhythmus und Reim. Die Höhe der An-
wendbarkeit von 83 Prozent wird umso deutlicher, weil zur Durchschnittsberechnung keine Anzahl der
312 vgl. Untersuchungsschwerpunkt 3 im empirischen Teil, Kap. 3.6 313 vgl. Kapitel 3.5.5 314 vgl. Kapitel 2.1.6
373
Kriterienverwendung jenseits der maximalen Anzahl von 22 möglich ist. Somit können bei der Validi-
tätsberechnung keine Texte, in denen deutlich weniger Kriterien angewendet würden, durch Texte mit
mehr als 22 Kriterien ausgeglichen werden. Die durchschnittliche Streuung der Anzahl nicht-
angewendeter Kriterien liegt dabei bei 2,85 Kriterien pro Text, wobei die größte Differenz hinsichtlich
der Anzahl nicht-verwendeter Kriterien in einem einzelnen Text bei fünf liegt. Die Kriteriumsvalidität
steigert sich zudem noch, weil in der zweiten Hauptkategorie Ästhetik/Stilmitteleinsatz einzelne Kriterien
nur bei lyrischen Texten zur Anwendung kommen können und somit bei Prosatexten nicht angewendet
werden, was bei der Durchschnittsberechnung mit allen Kriterien scheinbar die Kriteriumsvalidität insge-
samt senkt. Dagegen liegen die Kriterienanwendungen der Rater für die erste und dritte Hauptkategorie
Phantasie/Originalität und Leseattraktivität/Wirkung bei fast 100 Prozent315.
In der Auswertung der jeweils 100 Rating studentischer Texte durch die EGL316 und die TOA wird deut-
lich, dass die Gesamtbeurteilung eines Textes überproportional stark vom Ge- oder Missfallen einzelner
Phänomene im Text abhängt, die der einzelne Rater entweder vermisst oder überbewertet. Das zeigt sich
daran, dass bei knapp zwei Drittel (63%) aller Rating die errechnete Kreativpunktzahl der TOA unter der
vorab eingeschätzten globalen Kreativpunktzahl mittels der EGL liegt, wobei die jeweils mögliche
Höchstpunktzahl beider Bewertungsverfahren identisch ist. Ähnlich, wenn auch nicht annähernd so häu-
fig, verhält es sich mit niedrigeren globalen Einschätzungen nach dem ersten Lesen der Rater, bei denen
die errechnete Kreativpunktzahl höher ausfällt. Die Aussagekraft dieser Gegenüberstellung ergibt sich
aber erst aus der Betrachtung der Streuung bzw. der Interraterreliabilität von fünf Raterbeurteilungen bei
jeweils einem Text. Durch eine erste globale Bewertung ohne Kriterien dominieren demnach Einzelphä-
nomene, die Beurteiler-individuell spontan als extrem positiv oder negativ beurteilt werden, während das
kriteriengestützte Analyseverfahren TOA sich mehr einer Gleichgewichtung durch den Einbezug aller
relevanten Bewertungskriterien annähert und somit diese dominant positiven bzw. negativen Einzelphä-
nomene abschwächt317.
Ein weiteres Ergebnis der Auswertungen des zweiten Forschungsschwerpunktes Beurteilung von Kreati-
vität beim Kreativen Schreiben mit Studierenden ist, dass die Höhe der Bewertung von der Anzahl einbe-
zogener Kriterien unabhängig ist, was die notwendige Konstruktvalidität des Bewertungsinstruments TOA
bestätigt. Zum einen ergibt sich die Konstruktvalidität dadurch, dass nach den Auswertungen der Rating
keine Korrelation zwischen der Anzahl angewandter Kriterien und der Höhe der Kreativpunktzahl durch
die TOA festgestellt werden können. Dies gilt für jeweils 20 geratete Texte eines Raters als auch für einen
315 vgl. Kapitel 3.5.4 316 Erste globale Lesebegnung (EGL) 317 vgl. hierzu insbesondere die Studierendentexte der Rating #4, #12, und #16
374
gerateten Text durch fünf Rater. Ebenfalls korreliert die Höhe der Kreativpunkzahl nicht mit der Streuung
der Anzahl verwendeter Kriterien. Zum anderen wird die Validität des kriteriengestützten Bewertungsin-
struments TOA dadurch bestätigt, dass die Streuung zwischen den unterschiedlichen Kreativpunktzahlen
je Text deutlich geringer ist, als diejenige der Globalbewertung EGL nach dem ersten Lesen. Vergleicht
man jeweils die (arithmetischen) Mittelwerte der TOA je Text und der EGL miteinander, ist die Streuung
bei 75 von 100 Texten geringer als bei den EGL-Einschätzungen.
Neben dem Gütekriterium Validität bestätigen die Auswertungen die Objektivität der Bewertung durch
die Textproduktorientierte Analyse TOA, indem in 18 von 20 Texten die Streuung der Kreativitätspunkt-
zahl zwischen den fünf Ratern niedriger ist als bei der EGL. Insgesamt ähneln sich die Bewertungsurteile
von fünf verschiedenen Personen anhand der gerateten Texte in 90 Prozent der Fälle mehr als durch die
Beurteilung der Kreativität in den studentischen Texten nach dem ersten globalen Leseeindruck durch die
gleichen Personen. Ebenfalls bei 90 Prozent der Texte fällt die Höhe der Kreativpunktzahl318 durch die
Anwendung der TOA gleich oder niedriger gegenüber der vorangegangenen globalen Bewertung nach
dem ersten Lesen (EGL) aus, was wiederum auf die bereits angesprochene Dominanz einzelner stark po-
sitiv eingeschätzter Einzelphänomene bei der EGL zurückgeführt werden kann.
Beim Vergleich der einzelnen Raterbewertungen fällt auf, dass sich das Bewerterverhalten eines einzel-
nen Raters (Rater Ma) häufig deutlich von den restlichen vier Ratern hinsichtlich der Anzahl angewende-
ter Kriterien und hinsichtlich des Verhältnisses der Kreativpunktzahlen von EGL und TOA unterscheidet.
Zum einen verwendet Rater Ma in mehreren Textrating auffallend weniger Kriterien der TOA als die rest-
lichen Rater. Im Vergleich zu den anderen vier Ratern fallen die häufig geringen Unterschiede zwischen
der Kreativpunktzahl durch EGL und derjenigen durch die berechneten TOA-Bewertungen auf. In Leit-
fragen-gestützten Interviews nach den Rating, die einzeln zwischen den 5 Ratern und dem Autor dieser
Arbeit stattfinden, wird unter anderem eine Erklärung für diese Abweichungen gesucht. Die Angaben von
Rater Ma, die Bewertungen der TOA an die zuvor getätigte globale Einschätzung (EGL) anzupassen, bzw.
strategisch mehrere Kriterien in der TOA strategisch auszuschließen, dokumentieren sich in den Abwei-
chungen zu den restlichen Ratern sowohl bei der damit geringen Diskrepanz zwischen EGL- und TOA-
Ergebnissen als auch bei der teilweise deutlich unterschiedlichen Anzahl verwendeter Kriterien. In 13 von
20 gerateten Texten sinkt die Streuung bzw. erhöht sich die Interraterreliabilität durch die Exklusion des
Raters Ma, was sich teilweise stark auf die Aussagen zur Objektivierbarkeit des kriteriengestützten Ana-
lysesystems TOA auswirkt. Aus diesem Grund werden Berechnungen zur Untersuchung der Kriterien-
verwendung durch Rater mit und ohne Rater Ma angestellt und im empirischen Kapitel 3.5.5 ausgewie-
318 Es wird hier vom arithmetischen Mittel der fünf Raterbewertungen pro Text ausgegangen
375
sen. Gleichzeitig seien an dieser Stelle auf die Individualität und die Subjektivität jeglicher Bewertungs-
praxis bei der Einschätzung qualitativer Textmerkmale ausdrücklich hingewiesen und kann somit als Kri-
tik an der Tragfähigkeit des entwickelten Kriterien basierten Bewertungssystems kaum gelten.
Während der Leitfragen-gestützten Interviews nach Abschluss der Rating gaben die fünf Rater einheitlich
an, mit dem Verfahren der Kreativitätsfokussierenden Textanalyse gut zurechtgekommen zu sein. Beson-
ders die Schulung und die exemplarische Erprobung vor dem selbständigen Einschätzen der jeweils 20
verschiedenen Texte mit dem Verfahren hätten Missverständnissen vorgebeugt und wären notwendig
gewesen. Den Ratern ist ausnahmslos aufgefallen, dass die Einschätzung der Texte mittels der analyti-
schen und auf Einzelkriterien beruhenden Bewertung TOA häufig niedriger ausfällt, als der subjektive
erste Leseeindruck (EGL). Nach Angaben der Rater ärgerte sie dies häufig, da es die erste eigene Mei-
nung über den eingeschätzten Text durch die TOA nicht bestätigt. Die Rater erkannten nach eigenen An-
gaben, dass schriftsprachliche Leistungen des Schreibenden durch einzelne inhaltlich und oder sprachlich
stark wirkende Aspekte die Einschätzung verzerren können. Nur ein gezielter Blick und ein Anlegen ver-
schiedener kriteriengeleiteter Maßstäbe kann eine Beurteilung gegenüber dem Text oder dem Schreiber
gerecht machen. Die Streuung der Einschätzungen pro Text bestätigte diese Aussage. Während bei der
EGL im Durchschnitt die Streuung sehr groß war, reduzierte sich die Streuung bei der TOA in der großen
Mehrheit der Fälle. Insofern waren sich die fünf Rater einig, mit der TOA eine deutlich objektivere Ein-
schätzung als mit der EGL leisten zu können.
Schlussfolgernd kann festgestellt werden, dass sich für die Einschätzung von Kreativität in Texten ein
Kriterien gestütztes Bewertungsverfahren eignet. Die Auswertungen haben gezeigt, dass bei Hinzunahme
der Prozessorientierung, also im Rahmen einer schreibdidaktischen Situation, die beurteilende Person in
der Lage sein muss, relevante Kriterien auszuwählen und zu gewichten. Das Einschätzungsverfahren EGL
und TOA eignen sich dazu nur in dem Falle, wenn die bewertende Person sowohl aus fachlicher als auch
aus didaktischer Sicht fundierte Kenntnisse aufweist.
Es wird deutlich, dass die vermehrte Anwendung eines Kriterienkatalogs zur Einschätzung von Kreativi-
tät in Texten durch eine externe Person, wie etwa durch eine Lehrkraft oder einen Dozent, dazu führen
wird, dass die gelisteten Kriterien der beurteilenden Person zunehmend bereits beim ersten bewertenden
Lesen bewusster werden. Es bildet sich somit ein ähnliches - wenn auch methodisch anderes - Bewusst-
sein für die Analyse und Bewertung kreativer Text- und Gestaltungsphänomene heraus, analog wie es
sich bei einer Analyse und Bewertung für die normsprachlichen Kriterien entwickelt, bei denen die Krite-
rien Wortschatz, Syntax, Orthographie oder Textsortenangemessenheit beurteilt werden. Konkret heißt
das, dass sich mit zunehmender Anwendung von Kriterienkatalogen auf Texte, mittel- und langfristig die
kriteriengeleitete Textbeurteilung in die erste globale Texteinschätzung hineinverlagert und sich somit
376
letztendlich der erste Leseeindruck der Kriterien gestützten Analyse immer weiter annähert. Zudem sei
betont, dass die verwendeten Kriterienraster TOA319 und POA320 mit deren vielzähligen Einzelkriterien
und deren Bewertungsskalierungen für die hier vorgelegten wissenschaftlichen Untersuchungen sehr de-
tailliert und sehr umfangreich gewählt worden sind. Dozenten oder Lehrkräfte sollten bei einer kreativi-
tätsfokussierenden Textanalyse eine der Zielgruppe angemessene Auswahl von Einzelkriterien eigenver-
antwortlich treffen.
Letztendlich verantwortet die Lehrkraft mit ihrer pädagogischen Expertise die Gratwanderung um Kreati-
vität, bei der experimentelle und kreative Leistungen nicht durch eine Entsprechung von Bewertungskrite-
rien reduziert oder gar unterbunden werden dürfen. Mit dem Vier-Säulen-Modell der Kreativitätsfokus-
sierenden Textanalyse werden sowohl Kriterien an das Textprodukt und den Schreibprozess angelegt,
aber gleichzeitig eine globale Einschätzung der Lehrkraft und eine Selbsteinschätzung des Autors zuge-
lassen bzw. eingefordert. So gelingt es, eine Bewertung kreativer Texte so objektiv und nachvollziehbar
wie möglich, aber nur so explizit wie nötig zu realisieren.
4.3 Zur forschungsleitenden Fragestellung III: Retrospektivische Reflexion
beimKreativenSchreibenStudierender
Die Auswertung der schriftlichen Reflexionen der Studierenden anhand der verschiedenen Kodierformen
(offen, axial und selektiv), die das mehrfache abgleichende, wiederholende, suchende und interpretieren-
de Lesen beinhaltet321, macht für die untersuchten Schreibverfahren Folgendes deutlich: Es ist anzuneh-
men, dass sich die meisten der insgesamt reflektierten Erfahrungen und Einschätzungen bei allen unter-
suchten Studierenden ähneln, gleichwohl nicht alle diese Erfahrungen und Einschätzungen in ihrer Ge-
samtheit von allen explizit in deren Reflexionen genannt werden. Nur wenige Prozessphänomene sind
individuell hinsichtlich Intensität, Häufigkeit, Ausmaß, Einfluss oder Dauer und hängen nicht selten vom
verwendeten Schreibverfahren bzw. von der vorgegebenen Aufgabenstellung ab.
Die Auswertungen zeigen, dass sich zwischen Prozessen des Schreibens dispositorischer Texte, die im
theoretischen Teil der Arbeit ausführlich beschrieben werden, und denjenigen Schreibprozessen des Krea-
tiven Schreibens mit Studierenden große Gemeinsamkeiten ergeben. Dies gilt insbesondere im Hinblick
auf die drei prinzipiellen Schreibphasen (1. Ideenfindung, 2. Formulieren und Schreibflow, 3. Textrevisi-
319 Textproduktorientierte Analyse (TOA) 320 Prozessorientierte Analyse (POA) 321 Das methodologische Vorgehen für die Auswertungen der schriftlichen Reflexionen, insbesondere die Kodierformen der Grounded Theory
und der Qualitativen Inhaltsanalyse, werden im Kapitel 3.6.1 des empirischen Teils ausführlich erläutert.
377
on und Überarbeitung) , bei denen ein Vergleich innerhalb der untersuchten Studierendengruppe zeigt,
dass sich im Schreibprozess lediglich individuelle Ausprägungen aufgrund von Schreiberfahrungen und -
kompetenzen abbilden.
Aufgrund quantitativer und qualitativer Unterschiede der studentischen Reflexionen ist die statistische
Grundlage für diesen Untersuchungsschwerpunkt der retrospektivischen Reflexion teilweise lückenhaft.
Dass ein Student ein bestimmtes Phänomen in seinem Schreibprozess nicht explizit benennt, bedeutet
nicht automatisch, dass es nicht aufgetreten ist, was die Vergleichbarkeit der Daten durchaus einschränkt.
Wird beispielsweise die Vernachlässigung der Orthographie beim Écriture Automatique von einigen Stu-
dierenden explizit in den schriftlichen Reflexionen zum Schreibverfahren genannt und von anderen nicht,
ist die Vernachlässigung der Orthographie derjenigen Studierenden, die es in ihren Reflexionen nicht ex-
plizit genannt haben, nicht ausgeschlossen. Dieses Dilemma wäre nur durch eine nachträgliche Befragung
der Studierenden zu denjenigen konkreten Phänomenen aufzulösen, die andere Studierende in ihren Re-
flexionen benannt haben.
Im Folgenden soll zusammenfassend noch einmal auf die ermittelten Schreibphasen aufgrund der münd-
lichen und schriftlichen Reflexionstexte eingegangen werden.
Ideenfindung:
Der Umgang mit entstehenden Bildern und Assoziationen in der Phase vor dem tatsächlichen Kreativen
Schreiben wird von den Studierenden häufig reflektiert und ist größtenteils der Ausgangspunkt jeder wei-
teren Fließtextproduktion. Dieser Transfer vom Erdenken und Assoziieren zum Verschriftlichen gestaltet
sich selbst für die schreiberprobten jungen Erwachsenen schwierig. Das Aufschreiben von Wortnetzen,
Eigenschaften von Themen und Personen, Redewendungen und erste Formulierungsphrasen gehen nach
Aussage vieler Studierender einer Fließtextproduktion oder gar einem Schreibflow voraus.
Sinnesreizungen und der Zugang über persönliche Emotionen und Erfahrungen werden von den Studie-
renden als primäre Ideenquelle für kreative Leistungen beim fortgeschrittenen Kreativen Schreiben re-
flektiert. Diejenigen Studierenden, die eigene Teilprozesse ihres Schreibens detaillierter beschreiben kön-
nen, reflektieren vor der Textproduktion stärker über Schreibziele, Textstrukturen und Aufgabenstellun-
gen als vergleichsweise intuitive „Drauflosschreiber“. Während des Schreibens sind assoziative Sprünge,
neue Ideen und Modifizierungen im Schreibziel trotz etwaiger Vorausplanungen möglich. Wie intensiv
Vorüberlegungen über Kommunikationsziel und Textstruktur angestellt werden, ist nach Studierendenan-
gaben zentral davon abhängig, ob der Text für eine Öffentlichkeit, sprich für andere (potentielle) Leser
bestimmt ist oder nur für den Schreibenden selbst. Werden vorab Ideen strukturiert, werden assoziative
Verfahren, wie das Clustern, Brainstorming, Mind-Mapping und Strukturvorgaben wie Parallelgedichte,
Haiku, Elfchen, Satzanfänge oder Triolett vorab als sehr zielführend für den eigenen kreativen Text ein-
378
geschätzt. Schreibblockaden vor Beginn der ersten Fließtextpoduktion entstünden vorrangig aufgrund von
Defiziten der Grundidee des Schreibthemas und der fehlenden Perspektive des Schreibenden für bzw. auf
dieses Thema.
In der Phase der Ideengenerierung wird von den Studierenden bevorzugt allein gearbeitet, auch bei der
Wahrnehmung von Sinneseindrücken in situativen Schreibarrangements stören Gespräche anderer. Als
bereichernd dagegen werden Besprechungen, Präsentationen und das Austauschen nach der Strukturie-
rung der eigenen Ideen erachtet, gleiches gilt insbesondere nach dem ersten Textentwurf.
Formulierungsphase und Schreibflow
Die sich anschließende Formulierungsphase ist in den studentischen Reflexionen deutlich weniger detail-
liert beschrieben als diejenige der Ideenfindung. Gedankenflow und Schreibflow sind sicherlich nicht das
gleiche, aber es war an mehreren Stellen in den Studierendenreflexionen zum Schreibprozess nicht nach-
vollziehbar, ob die eine Bezeichnung der anderen synonym ist oder nicht. Da aber Gedankenströme je-
derzeit ohne einen gleichzeitigen Schreibprozess stattfinden können, jedoch beim Schreiben eine Verhin-
derung von inhaltlichen wie sprachlichen Überlegungen nicht möglich ist, muss davon ausgegangen wer-
den, dass sich Schreib- und Gedankenflow zumindest in einer Art Parallelprozess zueinander verhalten.
Schwierig ist das Wahrnehmen und Dokumentieren des sogenannten Schreibflows, welcher die Schrei-
benden in eine Art transzendenten Zustand bei der „Fließtextproduktion“ versetzt und der sie fast gänz-
lich vereinnahmt, da ihn ein bewusstes Wahrnehmen und Kontrollieren stoppen würde. Studierende ge-
ben an, dass Schreibflows sowohl mit als auch ohne Planungsphase möglich sind. Gründe dafür werden
unterschiedliche vorgebracht. Sowohl zeitlicher Druck als auch positive wie negative Gefühlsextreme
können laut Studierendenreflexionen für Schreibflows verantwortlich sein. Studierende berichten dann
von „kreativen Geistesblitzen“ im Schreibprozess, deren Ausformulieren ein Schreiben ohne Pause mög-
lich macht. Folgen innerhalb einer flüssigen Textproduktion Eindrücke oder Ideen nach, verlängert sich
der Schreibflow. Beim Kreativen Schreiben von Studierenden zu Musik können durch die Verarbeitung
auditiver Signale, die über Hörsinn aufgenommen werden, Assoziationen ohne Unterbrechung gebildet
werden, da durch das Schreiben hauptsächlich der Sehsinn und die motorische Ausführung kognitiv her-
ausfordern, weniger aber das Hören, für das freie Verarbeitungskapazitäten genutzt werden können. Die
untersuchten Studierendenden geben in ihren Reflexionen zur Musikalischen Phantasiereise daher beson-
ders häufig auftretende Schreibflows an. Darüber hinaus wird der Schreibflow von den Studierenden als
einer der grundlegenden Kreativitätsfaktoren beim Kreativen Schreiben beschrieben, der maßgeblich an
der Konstruktion einer sogenannten narrativen Kohärenz beteiligt ist, die Fritz Breithaupt und später
Lothar Bredella im sprachrezeptiven Bereich die narrative Intelligenz nennen. Diese befähigt die Men-
schen dazu, neben faktischem und logischem auch fiktive Zusammenhänge sinnverknüpfend zu verste-
379
hen. Die Sicherung und Verknüpfung von Gedanken durch den Schreibflow wird ebenfalls von den Stu-
dierenden als Merkmal beim Kreativen Schreiben reflektiert.
Positiver Stress, der bei vielen Studierendenreflexionen, unabhängig vom Schreibverfahren, immer wie-
der auftaucht, ist im Schreibprozess im bildungsinstitutionellen Rahmen, bei denen es eine verpflichtende
Abgabe des Textes/der Texte gibt, bedeutend. Dabei entsteht dieser positive Stress nach Angaben der
Studierenden maßgeblich aufgrund des Zeitfaktors und der Existenz einer externen prüfenden Person.
Trotz weniger Nennungen möglicher Schreibblockaden aufgrund von Bewertungsängsten, ist der positive
Stress insgesamt häufig Auslöser von Schreibflows, den die Studierenden für das Schreiben als produktiv
und als förderlich erachten.
Textrevision und Überarbeitung
Die schriftlichen Reflexionen der Studierenden dienen für die Untersuchung als Grundlage, Aussagen zu
Schreibprozessen treffen zu können, in denen Kreatives Schreiben nach literarischen Vorgaben, zu Mu-
sik, zum Écriture automatique, und zum situativen Schreiben reflektiert wird. Insgesamt ist der Umfang
der Reflexionen über die Auseinandersetzung mit dem Text nach der Entwurfsfassung - im Vergleich zu
den reflektierten Phänomenen im Schreibhandeln der Studierenden in der Planungs- und ersten Formulie-
rungsphase - um ein Vielfaches geringer. Es fällt auf, dass Studierende, entgegen der Schreibroutinen und
Schreibpraktiken professioneller Autoren, häufig mit der Entwurfsfassung zufrieden sind. Hemingways
Fazit aus seiner eigenen Schreiberfahrung Writing is rewriting scheint die untersuchten Studierenden
nicht zu überzeugen. Vielmehr ist den Reflexionen zum Schreibprozess im Rahmen des Kreativen
Schreibens zu entnehmen, dass die Befriedigung durch das Erreichen eines oder mehrerer Schreibflows
ein Nicht-Überarbeiten rechtfertigt. Lediglich beim Schreiben zu literarischen Impulsen findet bereits
während des Schreibens als auch während der Revisionsphase eine intensivere und sprachlich fokussierte-
re Überarbeitung statt, indem auf Wort-, Satz- und Textebene zum Teil normsprachlich, zum Teil spiele-
risch der kreative Text verändert oder weiterentwickelt wird.
Die Frage, die zu klären bleibt, ist, aus welchen Gründen Studierende Überarbeitungsaktivitäten so spär-
lich und oberflächlich nutzen bzw. anwenden. Sind es fehlende Konzepte oder Techniken, sind es fehlen-
de Schreibroutinen, die während der Schreibsozialisation in Schule und Universität eben nicht im Sinne
eines prozessorientierten Schreibens entwickelt wurden, oder sind es Vermeidungsstrategien, um etwai-
gen Schwächen im Text und damit verbundenen Misserfolgen nicht begegnen zu müssen? Das finale Set-
zen des Textes als Reinschrift und die damit einhergehende letzte Überarbeitung und Kontrolle wird von
den Studierenden zu selten als Chance für prozessorientiertes Schreiben wahrgenommen.
380
Die Auswertungen der Studierendenreflexionen dokumentieren, wie ähnlich Schreib- und Gestaltungs-
prozesse auch in den Phasen der Ideengenerierung, des Schreib- und Gestaltungsflows und der Überarbei-
tung ablaufen und dass selbst die Reflexion ein kreativer Prozess ist, der der reflektierenden Person die
Fähigkeit der Assoziation, der Abstraktion und des zielgerichteten Memorierens abverlangt. Insbesondere
Studierende der Fakultät Design und Illustration konnten, nach eigenen Angaben in den mündlichen und
schriftlichen Reflexionen, für das Illustrieren oder das Ästhetische Gestalten insgesamt von den
Schreibaktivitäten profitieren. Einige von ihnen wollten daher bei zukünftigen Arbeiten am Schreiben
festhalten, da das Kreative Schreiben sie zu neuen und ausdifferenzierten Ideen für ihre künstlerische Ar-
beit inspiriere.
Es bestätigt sich die Annahme, dass kreatives Handeln (hier Kreatives Schreiben und Ästhetisches Gestal-
ten) und eine analytische Reflexion über dieses Handeln nicht per se Gegensätze darstellen. Eine geschul-
te Wahrnehmung, Konzentration und Ausdauer und insbesondere die Steuerung der Aufmerksamkeit sind
für die untersuchte retrospektivische Reflexion essentiell. Für die Anleitung und Vermittlung reflexiver
Aktivitäten aus der Retrospektive eignen sich die Leitfragen322, die für das mündliche und schriftliche
Reflektieren über Erfahrungen und Erkenntnisse der Studierenden beim Kreativen Schreiben entwickelt
und nach Auswertung der vorliegenden Reflexionstexte und der aufgezeichneten Reflexionsgespräche
leicht verändert und gebündelt wurden.
Methodologische Reflexion der Auswertung studentischer Reflexionstexte
Bei der methodologischen Vorgehensweise zur Auswertung studentischer Reflexionen zu deren Schreib-
prozessen muss betont werden, dass die erste Phase, das offene Kodieren nach Strauß und Corbin, nicht
bereits das Bilden von sogenannten Codes sein kann, da die metakognitiven und metasprachlichen Äuße-
rungen der Reflexionstexte sehr komplex sind. In der ersten Analysephase wären demnach viele Details
des Datenmaterials durch die Verkürzung und Abstraktion der Codes trotz des Hinzufügens durch Aus-
wertungs-Memos verloren gegangen. Im Sinne eines datenbasierenden und datensensiblen Vorgehens
(grounded) werden die Kategorien erst während der Datenanalyse gebildet, wohingegen eine qualitative
Inhaltsanalyse das Datenmaterial auf bereits vorab feststehende Kategorien untersucht. Aus methodologi-
scher Sicht ist für die Auswertung von Reflexionen zum Schreibprozess eine Phase der Datenaufbereitung
notwendig. Dies wird in dieser Arbeit bewerkstelligt, indem ganze deskriptive Phrasen Platzhalter für
spätere Codes bilden, um mögliche Eigenschaften der sogenannten Codes differenziert aus dem Datenma-
terial herauslösen und dokumentieren zu können. Aus diesem Grund wurden zunächst alle Einzelaussagen
der Studierenden zu deren Schreibprozessen aus den Reflexionstexten extrahiert und bei Übereinstim-
322 Die Auflistung der Leitragen befindet sich im Kapitel 3.6.1.1 dieser Arbeit zur Datenerhebung durch „Monitoring und Reflexion kreativer
Schreib und Gestaltungsprozesse“
381
mung mit bereits Genanntem erstmals gruppiert. Die Einzelaussagen aus vorangegangenen Textanalysen
wiederum werden dabei stets Suchfilter für die aktuelle Textanalyse einer Studierendenreflexion. Bisher
nicht genannte, von den Studierenden explizierte Phänomene im Schreibprozess bilden somit einen neuen
Platzhalter und werden Suchfilter für den folgenden Reflexionstext. Sind alle Reflexionstexte analysiert
und ist eine Art Kriterienraster daraus entstanden, werden alle Reflexionstexte erneut, beginnend mit dem
ersten Text, auf die nun insgesamt herausgearbeiteten Phänomene abgeprüft. Das ist deshalb notwendig,
da herausgelöste Phänomene späterer Texte den Suchfilter erweitern und so beim erneuten Analysieren
früherer Textanalysen weitere Informationen zu Schreibprozessen Studierender zum Vorschein bringen
können. Dies entspricht einer doppelt-zirkulären Vorgehensweise, die der Reliabilität der Untersuchungs-
ergebnisse beim Auswerten von Reflexionen dienlich ist. Methodologisch gesehen ist das zunächst ein
Vorgehen, das grounded einzuordnen ist, während der Abgleich mit einem erarbeiteten Kriterienraster
Züge der qualitativen Inhaltsanalyse induktiven Vorgehens nach Mayring darstellt.
Resumé forschungsleitende Fragestellung III
Es ist festzustellen, dass unterschiedliche Erfahrungen und Schreibkompetenzstufen sowie Schreibtypen
letztendlich den Unterschied ausmachen, ob die in Schreibseminaren vorgeschlagenen bzw. anzuwenden-
den Schreibverfahren, -techniken oder -strategien als zielführend vom schreibenden Studenten angesehen
werden oder nicht.
Im didaktischen Kontext ist daher ein Bewusstmachen der eigenen Erfahrungen und der Zugänge mit und
zum Schreiben notwendig, um im Sinne eines autonomen Lernprozesses individuell förderliche
Schreibroutinen zu entwickeln. Reflexive Tätigkeiten müssen während und nach dem Kreativen Schrei-
ben kleinschrittig vermittelt und angeleitet werden. Selbst ein Leitfaden zur Selbstbefragung aus der Ret-
rospektive zum Schreibtyp und zum Schreibprozess wird von Studierenden eher selten angemessen ver-
wendet. Daher liegt die Vermutung nahe, dass diese metakognitive und metasprachliche Heran- und Vor-
gehensweise des Reflektierens aus einer Retrospektive die untersuchten Studierenden häufig überfordert,
weil diese Tätigkeiten für sie zu ungewohnt, zu abstrakt und zu neuartig waren. Für das Kreative Schrei-
ben Studierender lässt sich nach der Auswertung der Reflexionen zu verschiedenen Schreibverfahren und
Textsorten zumindest feststellen, dass häufig nur diejenigen Studierenden, die einzelne Vorgehensweisen,
Teilprozesse und Befindlichkeiten in ihrem eigenen Schreibhandeln wahrnehmen und thematisieren kön-
nen, auch Schlussfolgerungen für zukünftiges Schreiben anstellen. Dies verdeutlicht, dass prozessorien-
tierte und kleinschrittige Lernprozesse für das Erwerben von fortgeschrittenen Schreibkompetenzen eben-
so bedeutsam sind wie für das Entwickeln metakognitiver Fähigkeiten, wie hier die Reflexion eigener
Schreibprozesse. Narrative und weniger fundierte Reflexionen können unter der Berücksichtigung, dass
382
die Mehrheit der Studierenden erstmals ihr eigenes Schreiben schriftlich reflektiert, dennoch als erste
Erfolge im Sinne eines Erkenntniszuwachses interpretiert werden. Gleichzeitig unterstreicht die narrative
Erzählhaltung vieler Studierender beim Reflektieren, dass eine Entwicklung zur analytischen Reflexion
sukzessive ab der Sekundarstufe didaktisch angebahnt werden muss.
Nach der Analyse und Interpretation der studentischen Reflexionen wird klar, dass die Phase der Ideen-
findung und damit der Einstieg ins Schreiben für die untersuchten Studierenden am wenigsten einheitlich
ist. Es deutet sich zudem an, dass es den Studierenden leichter fällt, den Beginn ihres Schreibens zu do-
kumentieren und zu reflektieren als die Überarbeitungsprozesse, weshalb der größte Anteil der Studieren-
denreflexionen die schreibbeginnende Phase und darin auftretende Phänomene thematisiert. Diese Phase
des Schreibbeginns bzw. der Planungsphase bestätigt sich nach wie vor als die Schlüsselstelle im
Schreibprozess beim Kreativen Schreiben. In diesem Zusammenhang muss darüber hinaus erwähnt wer-
den, dass für diese Untersuchung deutlich weniger Reflexionen über die Phase der Textrevision und
Überarbeitung analysiert und interpretiert werden können als dies im Vergleich zu den Reflexionen der
Schreibbeginnphase möglich ist, da der häufig mangelnde Umfang und die häufig geringe Intensität der
vorliegenden studentischen Reflexionen zu wenig Aufschluss über Prozesse der Textrevisionen und der
Textüberarbeitung zulässt. Gründe für die größtenteils nur oberflächliche und auf Orthografie und
Sprachrichtigkeit beschränkte Textrevision müssten in einer weiterführenden Forschung erörtert werden.
4.4 Zur forschungsleitenden Fragestellung IV: Eine Kreativität fördernde
SchreibdidaktikanderHochschule
Im theoretischen Teil dieser Arbeit unter Kapitel 2.1 wurde dargestellt, wie sich die unterschiedlichen
Ansätze von Kreativität sowohl in historischen als auch in aktuellen Betrachtungsweisen unterscheiden.
Hinsichtlich einer angemessenen Schreibdidaktik für die Sekundarstufe II und einer universitären Schrei-
berziehung bzw. Bildung muss der Spagat zwischen zwei extremen Auffassungen geleistet werden. Das
eine Extrem vertritt eine Art Geniekult wie bspw. Csikszentmihalyi, bei dem eine besonders fähige Per-
son ein hohes disziplinäres Niveau an Fertigkeiten, Analytik und Reflexion ausgeprägt hat, dadurch krea-
tiv sein kann und dessen kreative Leistungen durch Experten anerkannt werden. Das andere Extrem dage-
gen vertritt das Verständnis, dass jedes Individuum prinzipiell kreativ ist. Pommerin-Götze oder von
Werder etwa sind überzeugt, dass in jedem Lernenden kreatives Potential angelegt ist, welches steigerbar
und somit förderbar ist. Dennoch gibt es genetisch bedingte Unterschiede an genialen Begabungen.
Aufgrund der Erkenntnisse aus den beschriebenen Interventionen und aufgrund der Auswertungen von
Portfolios und Portraits aus dem dargelegten Forschungsprojekt ist bei jungen erwachsenen Schreibern
eine hohe Schreib- und Sprachkompetenz anzustreben, zu der die Fähigkeit gehört, experimentell, origi-
383
nell, unkonventionell aber auch sachorientiert mit Sprache umzugehen. Dabei schließt sich eine analyti-
sche Reflexionsfähigkeit an, die das Explizieren von Wissen über Ordnungen, Systeme und kontextbe-
dingte Sprachverwendung beinhaltet. Diese Tätigkeiten des Monitoring und des Reflektierens, die im
Kapitel 2.3.4 im theoretischen Teil und im Kapitel 3.6.1 im empirischen Teil beschriebenen werden, stei-
gern letztendlich die erwähnte kreativitätsorientierte Schreibkompetenz, die sich so viele Studierende, wie
die Auswertung der Fragebögen und der Reflexionen ergeben haben, wünschen. Der Charakter der soge-
nannten visuellen oder konkreten Poesie spiegelt diese Schlussfolgerung wieder beispielsweise durch die
Vertreter Max Bense oder Eugen Gomringer, die mit ihren Arbeiten eine enorme sprachanalytische
Schärfe bewiesen. Trotz häufig minimaler Entsprechungen zu üblichen Textkonventionen beherrschen die
Autoren konkreter oder visueller Poesie das kreative Spiel mit Sprache bzw. Wörtern nur aufgrund ihrer
hohen Sprach- und Schreibkompetenz. Das heißt also, dass sich kreativitätsorientierte Textproduktion und
Analyse nicht gegenseitig ausschließen, sondern sich vor allem bei höheren Kompetenzstufen, in diesem
Fall bei Studierenden, sogar gegenseitig fördern.
Vor dem Hintergrund abnehmender schriftsprachlicher Kenntnisse Studierender, gepaart mit einer spezi-
ellen Sprachverwendung von Text und Bild über soziale Netzwerke und digitale Medien, ist eine experi-
mentelle, multidisziplinäre und dennoch semantisch tiefgründige Verwendung von Text und Bild an der
Hochschule, besonders im Hinblick auf Ästhetik, Authentizität und Motivation, ratsam. Einer einseitigen
Fokussierung auf die Vermittlung von Schreibkompetenzen im akademisch-wissenschaftlichen Bereich,
wie vielerorts in universitären Schreibzentren, ist kritisch zu begegnen. Vielmehr müssten, und das insbe-
sondere in der Lehrerbildung, obligatorische Veranstaltungen zum Kreativen Schreiben und Ästhetischen
Gestalten als Begleitkurse im Studienangebot zur Förderung des konvergenten Denkens und kreativen
Problemlösens eingerichtet werden.
Was aber charakterisiert ein innovatives Konzept für ein universitäres, interdisziplinäres Schreiben, das
die Fähigkeit zu Kreativität und Reflexivität der Studierenden steigert?
Zur Steigerung von Kreativität von Studierenden und somit zur Entwicklung einer ganzheitlichen und
breit angelegten Schreibkompetenz haben u. a. kooperative und interdisziplinäre Schreibaktivitäten beige-
tragen. Kruse kommt für das kollaborative Schreiben ebenfalls zu dem Schluss, dass durch den zwingen-
den Austausch und das Gegenlesen fremder Texte die Reflexionsfähigkeit und die Perspektive auf den
eigenen Text geschärft werden. Erweitert auf den interdisziplinären Kontext fortgeschrittenes Kreatives
Schreiben und Ästhetisches Gestalten bestätigen dies auch die beteiligten Schreib- und Illustrationsexper-
tinnen/Workshopleiterinnen, die von „geschärften Sinnen durch das Hin- und Her-Springen zwischen den
beiden Disziplinen Kreatives Schreiben und Ästhetisches Gestalten/Graphikdesign/Illustration“ nach den
Seminartagen mit den Studierenden sprechen. An dieser Stelle sei betont, dass die Kooperation nicht für
384
alle Phasen des Schreibens gleich geeignet ist, wodurch auch Reibungsverluste entstehen. Durch gezielte
Planung und durch Absprache mit den Lehrenden sind diese aber auf ein Minimum begrenzbar zu gestal-
ten (Kruse 2010, 176f.). Konkrete (interdisziplinäre) Aufgabenstellungen für ein Tandem/Team, inklusive
des Vorschlagens möglicher Phasen bis hin zur obligatorischen Abschlusspräsentation, reduzieren solche
Reibungsverluste und erhöhen gleichzeitig die Prozessorientierung und Reflexionsaktivität. Es ist nahezu
unerheblich, ob der Schreibprozess in drei, vier oder fünf Phasen untergliedert wird, da es viel mehr um
die Verschränkung und die Interdependenzen der einzelnen Teilprozesse geht323. Auch wenn sich das
Schreiben von Texten bei Fortgeschrittenen und Profis ähnelt, unterscheiden sich die ablaufenden Prozes-
se und angewandten Strategien hinsichtlich ihres Umfangs und ihrer Komplexität. Wissen über die Pha-
sen und Teilprozesse ist aber absolut notwendig, um als Lehrender zielgerichtet und handlungsorientiert
schreibdidaktisch zu handeln. Interkulturelle Themen oder Perspektiven können in der Aufgabenstellung
oder im Schreibarrangement ungezwungen angelegt sein. Beim Rahmenthema an|ge|kommen und
|sich|Erinnern wählte eine große Mehrheit Personen für deren besondere Portraits aus, die zu ihren Mig-
rationserfahrungen befragt wurden und deren Erzählungen und Perspektiven zentral für die Texte und
Gestaltung von den Studierenden herangezogen wurden. Zahlreiche Themenbezüge zu dem Eigenen und
dem Fremden bzw. zu Flucht, Vertreibung und Leid sind von den Studierenden selbst gewählte Schwer-
punkte in ihren Text-Bild-Arbeiten, was zeigt, welche aktuellen Themen, Konflikte und Schicksale die
Studierenden stark umtreiben. Gestützt durch die Untersuchungsauswertungen müssen Ideen zum Schrei-
ben, Themen für das Schreiben und Impulse zum Schreiben auch außerhalb der (Hoch-)Schule von den
Lernenden generiert werden dürfen. Eine Integration von außerschulischen Bezügen und Situationen in
bildungsinstitutionellen Schreib- und Gestaltungszielen muss pädagogisch bzw. schreibdidaktisch geleis-
tet werden.
Chance und Herausforderung Interdisziplinarität
Das Kreative Schreiben ebenso wie das Illustrieren oder Ästhetische Gestalten mit Studierenden setzt
kreative Fähigkeiten in großem Umfang voraus, die beiden gemeinsam sind. Beides sind kulturspezifi-
sche und individuelle Ausdrucksformen. Studierende benötigen neben motorischen und kognitiven Fä-
higkeiten auch Fähigkeiten zur Assoziation und Phantasie, zum Perspektivwechsel und nicht zuletzt die
Fähigkeit zur Empathie. Die Intensivseminare zum Kreativen Schreiben und Ästhetischen Gestalten boten
den aus unterschiedlichen Studiengängen und den zur Hälfte nicht künstlerisch ausgebildeten Studieren-
den einen Zugang zu Techniken und Herangehensweisen der jeweils anderen Disziplin an. Die Studieren-
den erprobten und reflektierten aus der Retrospektive, ob sich durch das Praktizieren, Mischen und An-
323 Gilt auch für fortgeschrittenes Kreatives Schreiben, obwohl sich Kruse bei dieser Aussage auch seine Erfahrungen und Untersuchungen zum
akademisch-wissenschaftlichen Schreiben von Studierenden bezieht.
385
ordnen von Kreativem Schreiben und Ästhetischem Gestalten in deren Kreativprozess etwas verändert
hat. Das kreative Potential benötigt, und dass unabhängig von der untersuchten Disziplin, jeweils Vorpha-
sen, in denen der Schreiber oder Illustrator zu Ideen stimuliert wird und oder diese bereits ansatzweise
entwickelt.
Durch die Auswertung der mündlichen und schriftlichen Reflexionen kristallisiert sich zunächst eine Un-
gleichheit zwischen den Studierenden des Deutschen als Zweitsprache und den Designstudierenden her-
aus. Das liegt in der schulischen Ausbildung begründet, da die Sprache in der Schule das bildliche Aus-
drücken in Form von Malen und Zeichnen, welche bis ins Vorschulalter alleinig den Transfer von Gedan-
ken auf einen flächigen Untergrund kennzeichnet, stark zurückdrängt. Mit dem Erlernen von Schrift in
der Schule und dem wachsenden Stellenwert des Umgangs mit schriftlichen Texten, werden zeichneri-
sche und gestaltende Kompetenzen im herkömmlichen Schulsystem nicht adäquat gefördert und weiter-
entwickelt. Durch diesen Umstand wird in der Untersuchung klar, dass den Design-Studierenden der Zu-
gang zum Kreativen Schreiben (durch die Kenntnisse in der Schriftsprache nach mindestens zwölf Jahren
Schulbesuch) häufig leichter fällt als den Sprache-Studierenden der Zugang zum Zeichnen und Illustrie-
ren. Dennoch ist festzustellen, dass alle Studierenden - mit wenigen Ausnahmen - von der aktiven und
praktischen Verbindung der beiden Disziplinen Kreatives Schreiben und Ästhetisches Gestalten profitie-
ren. Insbesondere die kooperative Zusammenarbeit für das Besondere Portrait, das jeweils durch einen
Studierenden des Studiengangs Didaktik des Deutschen als Zweitsprache und einen Studierenden des
Faches Design realisiert wurde, hat kreative Zugänge zu Themen, Ausdrucksformen und Lernprozessen
initiiert, die sie nach Aussagen der teilnehmenden Studierenden vorher nicht kannten. Die Deutsch-als-
Zweitsprache-Studierenden schätzen vor allem eine gestaltete und illustrierte Endfassung der geschriebe-
nen Kreativtexte. Die Design-Studierenden wiederum zeigen sich begeistert hinsichtlich des experimen-
tellen Umgangs mit Sprache.
386
Reform der Lehrerbildung
Die Modularisierung der Studiengänge im Rahmen von Bachelor- und Master-Strukturen (Bologna-
Reformen) hat vielerorts leider auch zu einer Verschulung und zu einer Einengung der akademischen
Bildung geführt. Gerade im Hinblick auf eine Kreativität fördernde Bildung sind die Folgen gravierend.
Durch den häufigen Wegfall von Freiräumen für eine interessengeleitete Studiengangs- und Seminarwahl,
durch die permanente Vergabe von Credit Points, durch die Reduktion von Möglichkeiten, interdiszipli-
när zu studieren und die Klausurflut am Ende eines jeden Semesters wird es für Studierende immer
schwieriger, über den eigenen Tellerrand zu schauen und mit Neuem, Unerwartetem konfrontiert zu wer-
den (Pöppel 2012, 1).
Die (Fach-)Didaktiken, in denen die Lehrer während ihrer akademischen Phase ausgebildet werden, sind
gefordert, auf die Veränderungen in Gesellschaft und hinsichtlich der Lernbedingungen zu reagieren,
selbst wenn der Anteil fachdidaktischer Inhalte im Lehramtsstudium häufig zu gering gegenüber demje-
nigen der fachlichen Inhalte ist. Welche Veränderungen aber gibt es? Wie haben sich die Kompetenzen
verändert, die zu einem Hochschulstudium mitgebracht werden und die heute solch ein handlungsorien-
tiertes Konzept mehr denn je fordern? Sieber hat im Editorial der Schweizerischen Zeitschrift für Bil-
dungswissenschaften darauf hingewiesen, dass Aufgaben und Strukturen der fachdidaktischen Ausbil-
dung aus mehreren Gründen zu überdenken seien, nicht ausschließlich um geltende Grundsätze umzusto-
ßen, sondern vielmehr, um mit den Erfahrungen und Erkenntnissen der letzten 20 Jahre im schulischen
und akademischen Bereich sinnvoll umzugehen. (Sieber; Thèvenaz 2007: 327). Eine akademische
Schreibsozialisation von (angehenden) Lehrern und deren Auswirkungen auf den Unterricht darf laut der
Erkenntnisse aus den Untersuchungsschwerpunkten 1-3 neben akademisch-wissenschaftlichen Schreib-
kompetenzen nicht auf kreativ-ästhetische Schreibkompetenzen verzichten.
Es kann somit in Zukunft nur um ein emanzipatorisches Lernverständnis gehen, in dem die Lehrenden ein
sich immer weiter ausdifferenzierendes autonomes Lernen fördern, indem ein zeitnahes (interdisziplinä-
res) Fragen und Zeigen kombiniert wird. Die durch Transparenz und Verständnis getragenen pädagogi-
schen Handlungsspielräume werden um Reflexionen, konkret durch innersprachliche, mündliche und
schriftliche Explikation, erweitert324, was sich nachhaltig auf die Handlungskompetenz im Bereich des
(Kreativen) Schreibens und Ästhetischen Gestaltens auswirkt. Für die Lehramtsausbildung heißt das kon-
kret, dass die Studierenden über die eigenen Erfahrungen im Studium Expertisen entwickeln, indem sie
eine Sensibilisierung für Schreiblernprozesse, -bedingungen und -situationen erfahren, diese beschreiben
und reflektieren, um sie bei eigenen Unterrichtsätigkeiten im zukünftigen Lehrerberuf besser vermitteln
zu können. Die Ergebnisse der schriftlichen Befragung haben gezeigt, welche Schreibbedingungen und
324 vgl. dazu Kapitel 3.6 und 9.3
387
Schreibanlässe besonders motivierend wirken, deren Berücksichtigung zur weiteren Professionalisierung
pädagogischen Handelns beitragen kann.
Zudem kann Kreativität beim Ästhetischen Gestalten und beim Kreativen Schreiben gesteigert werden,
wenn die Feedback-Kultur verändert wird. Entgegen dem Verständnis von Feedback zum Text und zum
Schreibprozess bis weit in die 1990er Jahre hinein, das sich auf das Benennen von Defiziten beschränkte,
ist das „positive“ Feedbackverständnis heute, vor allem beim Kreativen Schreiben, häufig immer noch zu
wenig mit dem Angebot von Techniken in den verschiedenen Schreibphasen an die Schreibenden ver-
bunden. Kontraproduktiv ist, wenn das Kreative Schreiben rein als niederschwellige Schreibdisziplin
kommuniziert und durchgeführt wird, bei der die Schreibenden über eine spontane Entwurfsfassung, ohne
Korrektur, Überarbeitung und Beurteilung nicht hinauskommen. Hat bis zur kognitiven Wende eine reine
Schwerpunktsetzung auf das Produkt vorgeherrscht, so ist diese häufig einer der „Weg-ist-das-Ziel-
Pädagogik“ gewichen325, bei der das Feilen und Überarbeiten am Text im Sinne einer ausgeprägten
Schreib- und Textkompetenz mit all den bereits erläuterten bedingenden Kompetenzen nahezu in den
Hintergrund tritt. Die Darstellungen der Symbiose von Produkt- und Prozessbewertung im empirischen
Teil der Arbeit haben gezeigt, dass eine an dem Lernenden ausgerichtete Schreib- und Gestaltungsdidak-
tik großen Erfolg zeigt, wenn Hilfestellungen und Teilziele angeboten und gestellte Teilanforderungen im
Hinblick auf das Erreichen eines angemessenen Text- oder Bildprodukts vom Schreibenden bearbeitet
werden. Hierzu zählt aber auch die intro- und retrospektivische Reflexion des eigenen Schaffensprozesses
und damit ein Durchdringen der Zielsetzungen und Anforderungen des Schreibarrangements und der Be-
wusstheit über eigene Fähig- und Fertigkeiten sowie Probleme und Defizite326.
Für die (Hoch-)Schule und somit auch für die Lehrerbildung ist das Ziel, Liebe zum Schreiben der Schü-
ler und Studierenden auszubilden, sicherlich überambitioniert, da die Auswertung der Befragungen ge-
zeigt hat, dass Schreiben an Schule und Hochschule maßgeblich aufgrund von Verpflichtungen bzw. auf-
grund von Notwendigkeiten getätigt wird. Für eine individuelle Ausprägung und Ausdifferenzierung ver-
schiedener Textkompetenzen kann das Kreative Schreiben aber zur Repräsentanz von selbst Geschriebe-
nem und zur Interessensbildung durch Schreiben in verschiedenen Lebens- und Arbeitsbereichen einen
großen Beitrag leisten. Zudem gehören neben dem In-Beziehung-setzen zwischen dem Ich und der Welt
des Schreibers auch die Begegnung mit Lyrik und Literatur und dem damit häufig verbundenen erweiter-
ten Verstehen, dem Nachvollziehen oder dem kritischen Hinterfragen von Einzelperspektiven oder gesell-
325 Hierbei wird sich nicht auf alle Schulformen gleichermaßen bezogen. Angemerkt sei, dass vor allem in der Primarstufe und in der Sek. I die
Vernachlässigung eines am Ende angemessenen Schreibprodukts beim Kreativen Schreiben negativ auffällt, was deshalb in der Lehrerbil-dung an der Universität Aufmerksamkeit bedarf.
326 Zur Lehrerbildung nachzulesen auch in Abraham/Bremerisch/Frederking/Wieler (2013): Deutschdidaktik und Deutschunterricht nach PISA. Fillibach.
388
schaftlich-kulturellen Belangen. Nicht zuletzt fördern diese Prozesse je nach Schreibverfahren eine stär-
kere und in der Literaturdidaktik stets geforderte Verzahnung von Rezeption und Produktion.
Hochschulpolitische Konsequenzen
Sowohl für die Ausbildung der Studierenden in sprachlichen Fächern als auch in künstlerischen Fächern
ergeben sich aufgrund der Erkenntnisse aus den Untersuchungen zukunftsweisende Konsequenzen. Im
Hinblick auf das Erlernen und Lehren von Kreativität ist durch die Interventionsmaßnahmen mit den Stu-
dierenden deutlich geworden, dass offene Lernformen, freie Räume und experimentelles Vorgehen in-
und außerhalb von Hörsälen und Seminarräumen das Entwickeln und Entfalten von Kreativität maßgeb-
lich beeinflussen, wenn gleichzeitig eine Ernsthaftigkeit in der Umsetzung gewährleistet ist. Hinzu kom-
men die hierzu gezielt und detailliert strukturierten und gezielt kommunizierten Arbeitsaufträge, die zum
einen kleinschrittig und mit konkreten Vorgaben zu Beginn von Schreib- und Gestaltungsarrangements
anleiten, aber in der Ausführung bewusst einen großen Freiraum zulassen und dessen Ausgestaltung ein-
fordern. Das Reflektieren und Präsentieren nach einzelnen Planungs- und Arbeitsphasen ist den Studie-
renden häufig fremd, wird von ihnen aber nach dem Fertigstellen eines Textes, eines Bildes oder nach
einem realisierten Projekt als kreativitätssteigernd und produktiv bewertet. Hochschulpolitisch bedeutet
das, die akademische Ausbildung nicht nur stärker interdisziplinär auszurichten, sondern den Zugang zu
situativen, freien und autonomen Formen des selbsttätigen Lernens und Schreibens der Studierenden bis
hinein in einzelne Lehrveranstaltungen besser zu ermöglichen und den angefertigten Arbeiten der Studie-
renden eine größere Wertschätzung entgegenzubringen. So lernen Studierende fachliche und gesellschaft-
liche Realitäten zu suchen, wahrzunehmen, zu analysieren und durch (Kreatives) Schreiben und Gestalten
zu bearbeiten. Dabei steigt das kreative Potential der Studierenden durch die Notwendigkeit, eine Aufga-
be oder ein Problem selbst zu lösen und gleichzeitig durch einen höheren persönlichen und emotionalen
Bezug zum Thema und zur zu bearbeitenden Aufgabenstellung deutlich an. Nicht unwesentlich ist dabei
die Tatsache, dass die Studierenden auf diese Weise eine stärkere persönliche Haltung in ihren Arbeiten
einnehmen, was in der akademischen Schreibsozialisation häufig aufgrund eines objektiven wissenschaft-
lichen Schreibstils unerwünscht ist, aber die Schreibmotivation und letztlich auch die Schreibkompetenz
positiv beeinflusst.
Dabei sollten verstärkt Seminarinhalte durch Kooperationen zwischen den Fachdidaktiken Deutsch und
Kunst gemeinsam angeboten und miteinander kombiniert werden. Dozenten aus dem jeweiligen Fachbe-
reich würden in Kooperation fachdidaktische Inhalte abwechselnd oder durch sogenanntes Teamteaching
beim Kreativen Schreiben und Ästhetischen Gestalten anleiten, begleiten und beurteilen. Die Sichtbarkeit
und Wertschätzung dieser Kooperationen mit ästhetischen und multidisziplinären Studierendenergebnis-
sen in Form von Text-Bild-Kompositionen könnten durch Ausstellungen und Präsentationen in den
389
Räumlichkeiten der Hochschulen erhöht werden und dazu beitragen, Kreatives Schreiben aus einem Ni-
schendasein für Experten herauszuführen und Studierende der Kunstdisziplin für rhetorisch-gestalterische
Aktivitäten zu motivieren.
Es soll nicht verschwiegen werden, dass sowohl fach- als auch hochschulübergreifend der Beginn einer
Kooperation mit deutlichem Mehraufwand verbunden ist, der sich aber mit der Zunahme von Erfahrun-
gen in der Hochschuldidaktik fortlaufend ökonomisieren ließe. Gerade die Heterogenität von Verfah-
rensweisen unterschiedlicher Disziplinen, auf der Ebene der Lehre ebenso wie durch ein Zusammenbrin-
gen unterschiedlicher Studierendengruppen, offenbart nicht nur Herausforderungen, sondern auch eine
Vielzahl von Chancen für interdisziplinäres Arbeiten. Dabei wird das Bewusstsein für individuelle
Sprachlernprozesse durch das Herausbilden eines multidisziplinären Ausdrucks-Repertoires geschärft,
indem sich eine kreative und produktive Handlungskompetenz unter der Berücksichtigung individueller
Stärken und Schwächen ausdifferenziert. Für das Kreative Schreiben und Ästhetische Gestalten an der
Hochschule hat sich gezeigt, dass die Erweiterung dieses Repertoires an Handlungsmöglichkeiten durch
die Kombination mit einer weiteren Disziplin nicht nur neue Perspektiven auf Wahrnehmungen, Zusam-
menhänge oder Darstellungsformen eröffnet, sondern auch Techniken und Verfahrensweisen der Studie-
renden beim Schreiben und Gestalten intra- und interdisziplinär begünstigt.
Die Modularisierung von Studiengängen fordert in ihrer Idee der besseren Vernetzung und Kompatibilität
von Lehr- und Lernangeboten mehr Interdisziplinarität und Kooperation, die es gilt, didaktisch zu model-
lieren und letztendlich mittel- und langfristig zu etablieren. Dabei spielen die Art und Weise der Arbeits-
formen der Studierenden und der Aufgabenstellungen an die Studierenden eine wesentliche Rolle. Es hat
sich gezeigt, dass sich insbesondere offene, aber konkrete Aufgabenstellungen zur Förderung individuel-
ler Wirklichkeitsverarbeitungen durch schriftliche Texte und ästhetische Gestaltungen gut eignen. Kleine-
re Feldstudien, die die Studierenden, wie beim Erstellen der Besonderen Portraits in Text und Bild, in
fächerübergreifenden Studierendentandems realisieren, haben sich bewährt. Verschiedene Arbeiten zu
einem Rahmenthema ermöglichen dabei Vielfalt und Vergleich zwischen individuellen thematischen As-
pekten und Bearbeitungsweisen, fördern die selbstständige Bearbeitung, schöpferischen Eigensinn und
Selbstverwaltung durch die Studierenden auf einem gleichzeitigem Höchstmaß an Freiheit und Individua-
lität im Rahmen eines sonst sehr regulierten Studiums.
Für das akademisch wissenschaftliche Schreiben und für das fortgeschrittene Kreative Schreiben, wie es
in der vorliegenden Untersuchung erforscht wurde, sind intellektuell geordnete Prozesse aktiven und ge-
schickten Konzipierens, Anwendens, Analysierens, Synthetisierens und Evaluierens von Informationen
aufgrund von Observationen, Erfahrungen, Reflexionen, logischem Denken oder Kommunizieren als ein
Leitfaden für Überzeugungen und Handeln gleichermaßen notwendig. Aus diesen intellektuellen Tätig-
390
keiten heraus, von denen einige in den vorangegangenen Kapiteln für ein Konzept des Kreativen Schrei-
bens und Ästhetischen Gestaltens mit Studierenden beschrieben wurden, lassen sich weitgreifende hoch-
schuldidaktische Bestrebungen bis hin zur Vermittlung von critical thinking als eine Möglichkeit der
Demokratieerziehung ableiten (Padget 2013, 7). Des Weiteren ist vor allem das kreativ-biographische
Schreiben mit großen Chancen für die schreiberindividuelle kulturelle Bewusstwerdung und die Ausbil-
dung von Toleranz sehr geeignet, was wiederum in der von Padget oder Finke angesprochenen Demokra-
tieerziehung und der damit einhergehenden Toleranz gegenüber Minderheiten und Andersdenkenden eine
wichtige Rolle einnimmt und für den Fachbereich Didaktik des Deutschen als Zweitsprache einen zentra-
len Stellenwert beansprucht.
In den Texten um Kindheit, Familie, Freunde, Lebensorte und Lebenswege wird deutlich, dass sich die eige-ne Person in der Auseinandersetzung mit ihrer kulturellen Herkunft, in der Spannung von Identifikation und Abgrenzung entwickelt. Das Wahrnehmen der Spannung zwischen Zugehörigkeit zu einer Kultur und Indi-viduation - Selbstwerdung durch Unabhängigkeit, Abgrenzung, individuelle transzendierende Entwicklung - kann eine Distanz zur Herkunftskultur schaffen, die eine größere Offenheit ermöglicht, die über Grenzen der kulturellen Einbindung hinauswachsen lässt (Finke und Thums-Senft 2008, 13).
Nach den dargelegten Erkenntnissen aus der Schreibforschung und nach der Auswertung der schriftlichen
Befragung327 sind es insbesondere kommunikative Aspekte und die Relevanz des Textes für die eigene
Person, die zum Schreiben motivieren und die maßgeblich an der Ausbildung einer ganzheitlichen
Schreibkompetenz und eines fachdidaktisches Verständnisses, mit dem Schreibprozesse Lernender unter-
stützt werden können, beteiligt sind. Es gilt daher, ein akademisches fächerübergreifendes Schreibcurricu-
lum zu entwickeln. Selbstverständlich ist das fachliche Interesse im gewählten Studiengang für Studie-
rende ebenfalls gewichtig für die Schreibmotivation, weshalb fachliche, emotionale und wie im Kapitel
3.6 Schreibprozesse und deren Reflexion beschriebene kognitiv-analytische Komponenten, vor allem
beim akademischen Schreiben, idealerweise miteinander verknüpft werden sollten.
327 vgl. Empirischer Teil, Kapitel 3.4
391
4.5 FazitundAusblick
Die Annahme, dass sich Kreativität und reflexive Analytik beim Schreiben von Studierenden keineswegs
gegenseitig ausschließen, sondern sich unterstützen, kann durch die vorliegenden Untersuchungen zum
Kreativen Schreiben und Ästhetischen Gestalten klar bestätigt werden. Zudem wird deutlich, dass das
kreative Potenzial von Studierenden durch das Praktizieren des Kreativen Schreibens, des Ästhetischen
Gestaltens und Illustrierens und deren Kombination erheblich gesteigert werden konnte.
Zu Selbsteinschätzungen und Selbstauskünften Studierender hinsichtlich des Kreativen Schreibens und ästhetischen Gestaltens (Forschungsfrage I)
• Die Auswertung der eingesetzten Fragebögen ergibt, dass sich Studierende wünschen, sie hätten in
Ihrer Schulzeit sowohl mehr Raum und Zeit für ästhetische schriftsprachliche als auch für ästhetisch
bildnerische Erfahrungen gehabt. Daraus lässt sich das Desiderat an die (Hoch-)Schule ableiten, bild-
sprachlichen ästhetischen Ausdruck neben der sprachdominanten Ausbildung zuzulassen, zu unter-
richten und die Kombination von Text- und Bildproduktion zu fördern. Dies gilt für das akademische
Schreiben mit Schaubildern, Graphiken und Skizzen ebenso wie für das Kreative Schreiben mit bild-
nerisch-ästhetischem Gestalten.
• Durch die in den Intensivseminaren gesetzten Impulse und die anschließenden Reflexionen der Stu-
dierenden wird unterstrichen, dass eine Kurzgeschichte, eine Anekdote als innerer Monolog oder ein
Gedicht, eine Illustration oder eine Zeichnung nicht im „luftleeren Raum“ entstehen. Dass es ver-
schiedene Phasen gibt, während derer sich erste und neue Ideen entwickeln, ausgestalten lassen und
reflektiert bzw. überarbeitet werden, wurde in den Untersuchungen sehr deutlich. Wie sich diese kre-
ativen Schaffensprozesse von der Idee bis hin zum fertigen Text und Bild erklären lassen , was sie
motiviert, sie fördert und was sie behindert, wird sowohl in den Auswertungen der schriftlichen Be-
fragung als auch in den Auswertungen der mündlichen und schriftlichen Reflexionen der Studieren-
den deutlich. Individuelle Präferenzen sowie Schreib- und Gestaltungstypen spielen demnach zwar
beim Herangehen eine bedeutsame Rolle, werden aber dennoch maßgeblich durch mit Emotionen
aufgeladene Erlebnisse und Gedanken motiviert, wobei deren Assoziationen durch Literatur, Bilder,
Musik, Filme oder situative Reize angeregt werden. Reflexionen beim und durch Schreiben sind
beim fortgeschrittenen Schreiben mit Studierenden prägend, wenn auch häufig unbewusst.
Zur Analyse, Beurteilung und Bewertung von Kreativität (Forschungsfrage II)
• Wenn Kreatives Schreiben mit seinen am Individuum orientierten Aspekten in der Praxis einen grö-
ßeren Stellenwert einnehmen soll, wird man eine Beurteilung kreativer Leistungen nicht umgehen
können, wobei allerdings eine behutsame Vorgehensweise anzuraten ist. Nach einer Gegenüberstel-
392
lung der Erkenntnisse der vorliegenden Untersuchung und den Erkenntnissen aus der zitierten For-
schungsliteratur ist aus schreibdidaktischer Sicht die Beurteilung der Bewertung vorzuziehen, da eine
Beurteilung durch ihre stärker diagnostische Funktion vorrangig der individuellen Förderung der
Schreibkompetenz dient. Eine Reduktion der Bewertung auf die Notengebung bzw. Punktevergabe
könnte die Bereitschaft der Studierenden, sich auf einen kreativen Umgang mit Texten einzulassen
bzw. eigene Gestaltungsversuche vorzunehmen, erheblich mindern.
• Für die vorliegenden Untersuchungen wurde aus Gründen der Analyse versucht, ein Verfahren zur
textimmanenten und eines zur prozessorientierten Bewertung von Texten Kreativen Schreibens zu
entwickeln, die als Forschungsinstrumente getrennt angewendet und getestet wurden. Letztendlich
müssen beide Verfahren aufeinander bezogen und zusammengeführt werden, um dem Text und dem
Schreiber durch eine Bewertung gerecht zu werden, so dass die alleinige Beurteilung eines Verfah-
rens nicht einseitig dominiert. Dazu konnte festgestellt werden, dass eine spontane textproduktorien-
tierte Beurteilung nach dem ersten Lesen extrem ausfällt, wenn die bewertende Person Rahmen und
Ziel der Schreibaufgabe nicht kennt und so die Bewertung stark von deren Ge- oder Missfallen ein-
zelner Texteigenschaften abhängig ist.
Zur retrospektiven Reflexion Studierender beim Kreativen Schreiben - insbesondere zum Schreib-prozess (Forschungsfrage III)
• In der vorliegenden Untersuchung wird deutlich, dass eine Schreibflexion Studierender, die das Be-
wusstmachen des eigenen Schreibtyps und des konkreten Schreibprozesses beinhalten, sinnvoll ist.
Dabei profitiert der Schreibende auf einem fortgeschrittenen Schreibniveau durch einen bewussten
Perspektivwechsel zwischen dem Schreibprodukt, dem Entstehungsprozess und einer angemessenen
Selbstreflexion (aus der Intro- und oder Retrospektive) während aller Phasen der Textproduktion.
Diese Synergieeffekte ergeben sich allerdings nicht zwangsläufig, sondern müssen von Lehrenden
mit den Studierenden in einem didaktisch modellierten Seminarkonzept angebahnt und eingeübt wer-
den. Kleinschrittig konzipiert umfasst diese akademische Schreibdidaktik die Spanne von der Kom-
munikation der Aufgabenstellungen über die Ideenfindung und die ersten Entwürfe bis zur Präsenta-
tion und Diskussion der studentischen Ergebnisse.
• Eines der wesentlichen Forschungserkenntnisse ist, dass insbesondere in den Überarbeitungs- und
Fertigstellungsphasen, in denen die Lernenden allein und außerhalb des Seminars arbeiten, die Leh-
renden bei der Interpretation der Prozesse alleinig auf die Reflexionen der studentischen Autoren und
auf die vorliegenden (vorläufigen und endgültigen) Schreibprodukte angewiesen sind. Die Explikati-
on von Impulsen, Handlungen, Befindlichkeiten, Flowphasen oder Schwierigkeiten im Schreibpro-
393
zess sind durch die Selbstreflexion der Studierenden beim Schreiben sowohl für diese selbst als auch
für diejenigen Personen elementar wichtig, die sie in ihrem Schreibprozess beraten sollen.
• Eine angemessene auf den Erkenntnissen der Schreibforschung basierende Schreibdidaktik muss ne-
ben normsprachlichen ebenso kreativitätsorientierte Kriterien textimmanent und prozessorientiert
ernsthaft in die Beurteilung und Bewertung schriftlicher Texte einbeziehen, wie sie in der vorliegen-
den Arbeit vorgestellt wurden. Die Untersuchungen dieser Arbeit verdeutlichen, dass die Einschät-
zung kreativer Leistungen dadurch erschwert wird, dass das Textprodukt und der Schreibprozess häu-
fig nur schwer voneinander zu trennen sind oder dass der bewertenden Person zum Schreibprozess
nur wenig bis keine Informationen vorliegen. So ist bei einer Bewertung von sprachästhetischen As-
pekten im Text eine Auskunft des „Autors“ dann notwendig, wenn diese Informationen fehlen bzw.
eine schlüssige Reflexion des Autors nicht vorliegt.
• Bei der Ideenfindung oder der sogenannten Initialzündung ist es von großem Vorteil, multisenso-
risch, mit vielen verschiedenen Reizen, im Austausch mit anderen Studierenden und an reizvollen Ort
zu schreiben, um Schreibassoziationen zu fördern. Überarbeitungen hingegen finden laut der Unter-
suchungsergebnisse in intimerer Atmosphäre statt. Es hat sich herausgestellt, dass insbesondere die
Faktoren Ruhe mit weniger Stimuli, der vertraute häusliche Ort oder Arbeitsplatz und der Faktor,
dass vermehrt abends oder in der Nacht geschrieben wird, für Überarbeitungsprozesse elementar
wichtig sind.
• Bei der Durchführung der Intensivseminare und der Auswertung der Text-, Bild- und Tondaten wur-
de gleichzeitig sehr deutlich, dass so die Entwicklung einer Feedbackkultur unterstützt wird, die
Frustrationstoleranz der Studierenden durch das Aushalten von Kritik erhöht und eine language awa-
reness durch die Möglichkeit des Feedbackgebens bzw. Kritikäußerns ausbildet, welche Sprachsen-
sibilität und Konstruktivismus zugleich abverlangt. In diesem Zusammenhang sei erwähnt, dass beim
Äußern von Kritik oder beim Geben von Feedback durch eine Lehrperson ein konstruktives Maß an-
gelegt werden muss, so dass die Schreibleistung des Schreibenden nicht diskreditiert wird. Durch die
Untersuchungen zeigte sich, dass Schreibende direkt nach dem Schreiben häufig sehr sensibel sind,
weil sie nicht wissen, ob der von ihnen geschriebene Text den Erwartungen der Hörer oder Leser o-
der den Anforderungen der Schreibaufgabe gerecht wird. Generell empfiehlt es sich für das Geben
von Rückmeldung, mit dem Positiven und mit den Stärken des Textes zu beginnen.328
• Die Studierenden geben in den durchgeführten Befragungen während und nach den Intensivsemina-
ren mehrheitlich zu, dass es ihr Selbstbewusstsein gestärkt hat, mit ihren vorläufigen Schreib- und
Gestaltungsprodukten, die in den Intensivseminaren entstanden sind, an eine kleine Öffentlichkeit zu
328 Vgl. auch Steinig / Werner-Huneke 2011
394
treten (Plenumspräsentationen, zu denen Texte und Bilder kurz ausgestellt wurden), über ihre Text-
und Bildentwürfe zu sprechen und Feedback zu bekommen. Erst nach zeitlicher Distanz wird der
Wechsel zwischen dem Präsentieren und dem Erhalten einer bewertenden Rückmeldung als förder-
lich für die Schreib- und Gestaltungskompetenz eingeschätzt. Im Moment des Präsentierens ist es da-
gegen einigen Studierenden unwohl, besonders dann, wenn sie selbst mit ihren vorläufigen Ergebnis-
sen nicht zufrieden sind. Daraus ist zu schlussfolgern, dass die Rückmeldungen zum Text bzw. zum
Bild dann sinnvoll sind, wenn Lehrkräfte oder der Dozenten das richtige Maß von Anerkennung und
Kritik artikulieren. Auf Kritik zu verzichten, ist dagegen keine geeignete Methode, mindestens sollte
der Dozent konkrete Verbesserungsvorschläge unterbreiten. Somit entsteht bei den Studierenden ein
Bewusstsein für die Konstruktivität einer Reflexion des eigenen Text- oder Bildprodukts.
• Die Untersuchungen der vorliegenden Arbeit zeigen auch, dass eine Beurteilung entstandener Text-
und Bildqualitäten sowie Explikationen über den Entstehungsprozess unbedingt notwendig sind, um
Reflexionen über den kreativen Schreibprozess und deren Produkte bei den Studierenden ernsthaft
anzuregen. Diese Form der begleitenden bzw. retrospektiven Selbstevaluation durch die Studierenden
bestätigt die Annahme, dass sich kreatives Handeln und die (kritische) Reflexion über dieses Handeln
nicht ausschließen, sondern sich gegenseitig bedingen, wobei allerdings das Pendel zwischen kreati-
ven Aktivitäten und reflexiven Prozessen unterschiedlich ausschlagen kann. Sowohl in Einzelarbeit
als auch in interdisziplinären Tandems, wie beim Erstellen der Projektaufgabe Das Besonderes Por-
trait, stimulieren und motivieren geschriebene Texte oder Literatur bzw. Bilder (Gemäl-
de/Illustrationen/Fotos) den Schreibenden und den Illustrierenden fast gleichermaßen.
• Wie in zahlreicher Forschungsliteratur erläutert, regen Austausch und Interaktion das ästhetische
Schreib- und Gestaltungspotenzial an. Allerdings muss nach Auswertung der Untersuchung hier stär-
ker differenziert werden, weil Austausch und Interaktion unterschiedlich stark in unterschiedlichen
Phasen und Stadien des Schreibprozesses wirken. Wesentliche Erkenntnis der Untersuchungen ist,
dass für die ersten Schreib- und Gestaltungsversuche die Studierenden fast ausnahmslos bevorzugen,
allein zu arbeiten. Dagegen kooperieren Studierende je nach Schreib- und Gestaltungstyp bei der
Ideenfindung entweder mit Kommilitonen oder arbeiten allein. Die sich daran anschließende Präsen-
tation und der Austausch über ausgestaltete Ideen in Form von ersten Texten mit oder ohne Illustrati-
onen waren herausfordernd und durch den unausweichlichen Vergleich mit den Texten und Bildern
der anderen Gruppenteilnehmer teilweise unangenehm für die Studierenden. Nach Aussage der Stu-
dierenden und zur Überraschung der Forschenden wirkten sich diese erste Präsentation und die Be-
sprechung für viele Studierende konstruktiv (kritisch) und motivierend aus. Zum Überarbeiten des
395
Texts bzw. Bildes, insofern es bei den jeweiligen Texten dazu kam, wird in der letzten Gestaltungs-
und Schreibphase bis zum „fertigen Produkt“ bevorzugt nachts und allein gearbeitet.
• Die Zergliederung des kreativen Prozesses in Vorbereitung, Inkubation, Illumination, Realisierung
und Verifikation329 wurde prinzipiell in der Arbeitsweise der beteiligten Studierenden sichtbar, ge-
staltete sich jedoch nach Erkenntnissen aus den vorgestellten Untersuchungen je nach verwendetem
Schreibverfahren mehr oder weniger chronologisch oder fließend ineinander übergehend. Stark be-
einflusst waren die kreativen Aktivitäten durch Charakteristika des Schreibprozesses selbst, wobei
sich Phasen des kreativen Prozesses mit iterativen und rekursiven Schreibprozessaktivitäten multile-
vel verbinden330, womit die Forschungserkenntnisse zum Schreibprozess von expositorischen Texten
durch Ludwig auf das Kreative Schreiben größtenteils übertragen werden können.
• Nach Erkenntnissen zum Kreativen Schreiben Studierender in Kombination mit verschiedenen For-
men des Ästhetischen Gestaltens in der Fläche lässt sich nach Auswertung der drei Forschungs-
schwerpunkte Schriftliche Befragung, Bewertung von Kreativität beim Schreiben und Reflexion eige-
ner Schreib- und Gestaltungsprozesse mit Hinblick auf den Schöpfungsprozess folgendes feststellen:
1. Vor allem am Ende der Phase der Ideengewinnung und Planung eines Textes oder Bildes wer-den Kooperationen mit Studierenden, die über andere Kompetenzen verfügen, als bereichernd empfunden (Vorbereitung/Inkubation).
2. Genauso wichtig wie Kooperation und Interaktion erweist sich allerdings auch der „Rückzug in das einsame Geschäft des Schreibens und Gestaltens“ für die anschließende Phase der Ideenumsetzung in Text und Bild als notwendig (Illumination/Realisierung), wobei häufig der sogenannte Schreib- oder Gestaltungsflow als besonders produktiv und zufriedenstellend von den Studierenden wahrgenommen wird.
3. Während oder nach dem Erstellen erster zusammenhängender Formulierungen und Skizzenbil-der erfolgt die Präsentation vorläufiger Arbeitsergebnisse in der Seminargruppe, z.B. erste Tex-te oder Bilder bzw. Kombinationen aus beiden, was von den Studierenden zunächst als risiko-reich empfunden, aus der Retrospektive jedoch als kritisch konstruktiv und letztendlich als stark förderlich eingeschätzt wird. Kritik an Textentwürfen der Studierenden muss konkret und konstruktiv sein, zudem müssen immer auch positive Ansätze und Ideen wertgeschätzt sowie konkrete Alternativvorschläge vorgebracht werden (Realisierung/Verifikation).
4. Das zeitnahe Einarbeiten des Feedbacks und die Rückbesinnung auf die Aufgabenstellung und das selbstgesetzte Schreib- und Gestaltungsziel sind nach Studierendenangaben für einen opti-malen Schreibprozess ebenso maßgebend wie eine abschließende Korrektur mit zeitlichem Ab-stand zur letzten Fließtextproduktion (Verifikation).
Zum innovativen Konzept und zu Synergien eines interdisziplinären (Kreativen) Schreibens an Hochschulen (Forschungsfrage IV)
329 vgl. dazu auch Holm-Hadulla 2011 bzw. Kapitel 2.1.2 330 vgl. Ludwig 1983 bzw. Kapitel 2.2.4
396
• Anhand der im Theorieteil vorgestellten Erkenntnisse zum Kreativen Schreiben kann festgestellt
werden, dass je nach Stand der kognitiven und sprachlichen Entwicklung des Schreibenden verschie-
dene didaktische Vorgehensweisen zum Kreativen Schreiben eingesetzt und von Lernenden ange-
wandt werden können. Als Schlussfolgerung aus der vorliegenden Untersuchung kann festgehalten
werden: Je höher die kognitiven und schriftsprachlichen Fähigkeiten ausgeprägt sind, desto offener
können Aufgabenstellungen angelegt sein und desto weniger Hilfestellungen sind während des
Schreibprozesses nötig, damit sich Kreativität frei entfalten kann. Sind die Anforderungen wiederum
zu hoch, schränkt dies die kreative Leistungsfähigkeit des Schreibers enorm ein. Sind Vorgaben,
kommunizierte Bewertungskriterien und angebotene sprachliche Hilfestellungen stärker vorgegeben
als notwendig, so schränkt dies die freie Textentfaltung ebenfalls ein. Berücksichtigt eine Schreibdi-
daktik die Balance zwischen Vorgabe und Freiheit, lassen sich im Anschluss auch kreative
Schreibleistungen produkt- und prozessorientiert anhand von ausgewählten Kriterien objektiv ein-
schätzen. Für die Fähigkeit des ästhetisch-bildnerischen Gestaltens von Studierenden und einer ent-
sprechenden Didaktik gelten diese Annahmen nach Erkenntnissen aus der vorliegenden Untersu-
chung gleichermaßen.
• Ein Ergebnis der Untersuchung ist, dass Studierende durch das Kombinieren von Kreativem Schrei-
ben und Ästhetischem Gestalten hinsichtlich des entstandenen Ergebnisses als auch im Hinblick auf
die vorangegangenen Prozesse profitieren. Die Reflexion der Arbeitsweise, der Prozesse und des ei-
genen Schreib- oder Gestaltungstyps hat ihnen darüber hinaus geholfen, ihre Ideenvielfalt zu verbrei-
tern und deren Umsetzung zu verfeinern.
• Die Auswertung der Fragebögen, der schriftlichen Reflexionen und der Auskünfte während der Por-
traitpräsentationen bestätigen Synergieeffekte durch den Disziplin- und Medienwechsel, für die
Mehrzahl der beteiligten Studierenden unabhängig, ob in Kooperation mit einem Studierenden des
Studiengangs Design oder in Einzelarbeit. Je stärker jedoch die Fähigkeiten zum Zeichnen und Illust-
rieren und insgesamt zum Ästhetischen Gestalten ausgeprägt sind, desto höher sind die zu beobachte-
ten Synergien, da bei allen Studierenden fortgeschrittene Schreibkompetenzen vorliegen. Dabei hat
sich in den Untersuchungen gezeigt, dass das Kombinieren zweier Disziplinen zur Steigerung kreati-
ver Denk- und Handlungsweisen in Lehr- und Lernsituationen an Universität und Schule als Potenzi-
al genutzt werden kann. Für das fortgeschrittene Kreative Schreiben, bei dem die Lernenden bereits
grundlegende Schreibkompetenzen entwickelt haben, ist es demzufolge notwendig, das nötige Rüst-
zeug für das Ästhetische Gestalten bei Studierenden aufzufrischen oder zu entwickeln. Für den Er-
werb und die Verbesserung des kreativen Handelns und Denkens sind insbesondere freie Aufgaben-
stellungen wichtig und ein hohes Maß an Selbstbestimmung der Studierenden. Zudem wird die
397
Ideenfindung durch das Aufsuchen von Orten erleichtert, die im direkten Kontext zum gestalteri-
schen Thema stehen.
• Eines der wesentlichsten Forschungserkenntnisse aus der vorliegenden Untersuchung ist, dass sich
vor allem durch das Einbeziehen unterschiedlicher ästhetischer Ausdrucksformen und kreativer
Schreibverfahren, sowie deren Interdisziplinarität, neue Zugänge zum kreativen Denken bei den Stu-
dierenden eröffnen. So konnte der Zugang, die Anwendung und die Ausgestaltung ästhetischer
Bildsprache durch die Ausübung kreativer Schreibtechniken verbessert werden und umgekehrt. Je
ähnlicher Schreib- und Gestaltungskompetenzen bei den Studierenden entwickelt sind, desto höher
sind die Synergieeffekte bei der Kombination von Text und Bild durch die Studierenden.
• Aufgrund der Ausführungen zitierter Literatur im theoretischen Teil und aufgrund der Auswertungs-
ergebnisse der Untersuchungen, die im empirischen Teil dieser Arbeit vorgestellt wurden, lässt sich
schlussfolgern, dass u.a. die Vernetzung von Rhythmus- und Stilgefühl, Textsortenwissen, Kenntnis-
sen über Grammatik und genaue Vorstellungen über thematische Inhalte und Perspektiven einen gu-
ten „kreativen“ Schreiber charakterisieren. Je höher die Komplexität der Vernetzung dieser Kompo-
nenten ist, desto höher ist die schriftsprachliche Kompetenz, inklusive bewusster Simplifizierungen
und Reduktionen wie etwa in der konkreten Poesie. Da bei einem niedrigeren Schreibkompetenzni-
veau der Anspruch an eine hohe Komplexität im Text zunächst eine enorme Herausforderung für den
Schreibenden darstellt, die sich beispielsweise in Schreibblockaden äußert, ist die Zergliederung des
Schreibprozesses in Teilprozesse für eine universitäre Schreibdidaktik quasi alternativlos. Dies gilt
nach Auswertungen der Untersuchungen zunächst für studentische Schreiber und wahrscheinlich
ebenso für das Schreiben von Schülern.
• Das hochschulübergreifende Konzept, in dessen Rahmen die Untersuchungen durchgeführt wurden
und das selbst Gegenstand der Untersuchungen ist, macht auch die Zusammenhänge von Bildung,
Wissenschaft und Kompetenzentwicklung deutlich331. Die Ergebnisse in Form von studentischen
Texten und Illustrationen und deren Reflexionen widersprechen der naiven Annahme, dass die Fä-
higkeit zum künstlerischen Gestalten ein Talent sei, mit dem manche geboren werden und andere
nicht. Diese Vorstellung vom „angeborenen Genie“ führte unter anderem zu curricularen Bildungs-
vorgaben und der Annahme, dass der Ausbau von kreativen Schreib- und Gestaltungskompetenzen
im Grunde nur sehr begrenzt lern- und lehrbar sei. Zudem nehmen heute fortgeschrittenes Kreatives
Schreiben und Ästhetisches Gestalten (z.B. Zeichnen, Illustrieren, Collagieren) aufgrund von bil-
dungspolitischen curricularen Entscheidungen in den letzten Jahren, zum Nachteil ästhetischer Bil-
dung von Lernenden in Schule und Universität, keinen angemessenen Stellenwert ein. Durch die vor-
331 vgl. auch Brenner 2012, 114ff. und 125ff.
398
liegende Untersuchung wurde deutlich, dass gestalterische und schriftsprachliche Fähigkeiten sowie
kreative Denkprozesse tatsächlich durch gezielte Förderung verbessert und systematisch vermittelt
werden können, wenngleich ein selbstbestimmter Anwendungsbereich zur Realisierung eigener krea-
tiver Ideen im gesamten didaktischen Konzept gegeben sein muss.
Zur Forschungsmethodologie
• Für die Erhebung quantifizierbarer Daten hat sich die Methode der schriftlichen Befragung für den
ersten Untersuchungsschwerpunkt der vorliegenden Arbeit bewährt. So konnten die Aussagen von
über einhundert Studierenden systematisch erhoben, mit Softwareunterstützung geordnet und mitei-
nander verglichen werden. Insbesondere für die Gegenüberstellungen von Arbeitsprozessen, Verfah-
rensweisen, Motivationen und Schwierigkeiten beim Kreativen Schreiben und Ästhetischen Gestalten
Studierender erbrachte die verwendete quantitative Methode der schriftlichen Befragung durch zwei
Fragebögen und durch die anschließende statistisch numerische Auswertung vielerlei Erkenntnisse.
• Die eingesetzten Rating zum Testen des in der vorliegenden Untersuchung entwickelten Verfahrens
zur textproduktorientierten Analyse (TOA) kreativer Texte erwiesen sich durch die Ausbildung, Be-
treuung und Auswertung der Einzelrating als aufwändig, aber zielführend. Fünf Rater bewerteten je-
den der zwanzig vorgegebenen Texte, wodurch insgesamt eine hohe Kriterien- und Verfahrensvalidi-
tät nachgewiesen werden konnte.
• Die antizipierten Herausforderungen bei der Auswahl und bei der zielführenden Kombination quanti-
tativer und qualitativer Forschungsmethoden im Sinne eines mixed-method-Forschungsdesigns bestä-
tigten sich als richtig. Insbesondere bei der Untersuchung der zweiten und dritten forschungsleiten-
den Fragestellung mussten inhaltsanalytische (grounded) und statistisch numerische Methoden zur
Datenerhebung angewendet werden. Beim Kodieren bzw. bei der Datenaufbereitung hingegen muss-
ten quantitative und qualitative Daten im Hinblick auf die Fragestellung geordnet und anschließend
ausgewertet werden. Aufgrund der Komplexität der Fragestellungen, des Forschungsfelds Schreiben
und der Interdisziplinarität mit dem Ästhetischen Gestalten war die Kombination von Grounded The-
ory und Fallstudien bzw. Qualitativer Inhaltsanalyse im Rückblick eine angemessene Wahl.
Desiderat
• Langfristig wäre jedoch ein Bewusstsein für die personale und soziale Bildungsfunktion kreativer
Leistungen zu entwickeln, das dem curricularen Stellenwert analytischer Leistungen, einschließlich
ihrer Beurteilbarkeit und Bewertbarkeit, entspricht. Es ist nicht einzusehen, warum analytische Fä-
higkeiten des Schreibenden bei der Leistungsbeurteilung einseitig dominieren, wenn unbestritten ist,
399
dass kreativ-produktive Leistungen zentrale Bildungsziele in besonderer Weise unterstützen. Diese
Ziele beinhalten zum Beispiel die Förderung des Selbst- und Fremdverstehens, das Durchbrechen
von Denk- und Wahrnehmungsstereotypen oder die Entfaltung ästhetischer Kompetenzen, was in ei-
ner akademischen Schreibpraxis mehr Berücksichtigung erfahren muss.
400
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Abbildungsverzeichnis
Seite
Abbildung 1: Eigene Darstellung in Anlehnung an Csikszentmihalyis Unterscheidung
der drei Entstehungs- und Bedingungsbereiche von Kreativität Kultur, Individuum und Expertenfeld
23
Abbildung 2: Sphärenmodell des Kontexts nach Meyer (1996) 44
Abbildung 3 Das Schreibkompetenzmodell nach Anne Beaufort, das sie nach ihren Un-
tersuchungen mit universitären und beruflichen Schreibenden entwickelte (Beaufort
2007, 19)
52
Abbildung 4: Das überarbeitete Schreibprozessmodell nach Hayes (übersetzt und publi-
ziert in: Becker-Mrotzek/Böttcher 2011, 40)
60
Abbildung 5: Schreibprozessmodell „Die Struktur des Schreibprozesses“ nach Ludwig
(Ludwig 1983, 46)
62
Abbildung 6: Schreibprozessmodell nach Beaugrande (Beaugrande 1983, 129) 65
Abbildung 7: Schreibprozessmodell nach Becker-Mrotzek und Böttcher (Becker-
Mrotzeck/Böttcher 2015, 21)
67
Abbildung 8: Die großen Domänen des Schreibens (nach Kruse 2010, 153) 72
Abbildung 9: Anzahl der Bundesländer mit explizitem curricularem Hinweis auf ausge-
wählte Textsorten getrennt nach Schulform (SF) und Klassenstufe (Kl) (Harsch et. al
2007, 52).
89
Abbildung 10: Entscheidungsbaukasten zum fortgeschrittenen Kreativen Schreiben,
dessen Inhalte je nach Intention, Schreibsituation und -verfahren variabel verwendet
werden können und dem Schreiber eine gute Orientierung bei Schreiben bzw. Überar-
beiten bieten (Benner/Erlach 2000, 55)
97
Abbildung 11: Prozessorientierte Analyse beim Kreativen anhand eines Zwei-Varianten-
Modells nach Pommerin, bei dem im Prozessmodell A der Schreibprozess ohne und im
Prozessmodell B mit reflexiven Unterbrechungen die Textproduktion beschreibt (Pom-
merin 1996, 77)
101
Abbildung 12: Frontcover der deutschdidaktischen Zeitschrift Praxis Deutsch mit dem Titelthema "Kreatives Schreiben" und phantasievoller Illustration
105
Abbildung 13: Bewertungsbereiche des Züricher Textanalyserasters mit Hervorhebun-gen der wenig konkreten Bereiche B2 und B3, insbesondere inhaltliches und sprachli-
ches Wagnis (Sieber/Nussbaumer 1995, 51)
Abbildung 14: Dreischritt der Fallanalyse, auf die erst anschließend die praxisgeleitete
Theorieentwicklungen folgt
151
185
Abbildung 15: Frage an die Studierenden: Welche Texte haben Studierende während
Ihres Studiums bzw. als junge Erwachsene geschrieben?
200
Abbildung 16: Frage an die Studierenden: An welche selbst geschriebenen Texte aus
Ihrer Kindheit können Sie sich erinnern?
202
424
Abbildung 17: Gegenüberstellung verwendeter Medien beim Schreiben Studierender
hinsichtlich der tatsächlichen, der beliebtesten und der häufigsten Verwendung
205
Abbildung 18:Frage an die Studierenden: In welchen Lebensbereichen benutzen Studie-
rende welche Medien?
208
Abbildung 19: Frage an die Studierenden: Wie übertragen Sie einen Text von einem
Medium auf ein anderes?
209
Abbildung 20: Frage an die Studierenden: Warum übertragen Sie einen Text von einem
Medium auf ein anderes?
210
Abbildung 21: Frage an die Studierenden, was sie zum Schreiben motiviere 215
Abbildung 22: Textsorten, die Studierende als junge Erwachsene schrieben und als ver-
pflichtend empfunden haben
217
Abbildung 23: Textsorten, die Studierende als junge Erwachsene aus Gründen gesell-
schaftlichen Engagements schrieben
218
Abbildung 24: Textsorten, die Studierende als junge Erwachsene aufgrund künstleri-schen Engagements schrieben
219
Abbildung 25: Textsorten, die Studierende als junge Erwachsene aufgrund von Lange-
weile schreiben
220
Abbildung 26: Textsorten, die Studierende als junge Erwachsene aufgrund von Liebes-gefühlen schreiben
221
Abbildung 27: Die Studierenden schreiben aufgrund freundschaftlicher Beziehungen,
dem am höchsten bewerteten Motivationsbereich, unterschiedliche Texte.
222
Abbildung 28: Frage an die Studierenden: Gab es Texte in denen Sie gleichzeitig ge-
schrieben und gezeichnet bzw. gestaltet haben?
224
Abbildung 29: Angaben Studierender über ihre Befindlichkeiten, wenn sie vor einem
leeren Blatt bzw. einem leeren Dokument (Computer) sitzen und beginnen wollen zu
schreiben.
225
Abbildung 30: Frage an die Studierenden: Bei welchem Gefühlszustand können Sie über
ihre Gefühle schreiben?
226
Abbildung 31: Frage an die Studierenden: Welche Gefühle haben Sie während des
Schreibens?
227
Abbildung 32: Frage an die Studierenden: Gibt es Orte, an denen Sie besonders gern
schreiben?
228
Abbildung 33: Frage an die Studierenden: Welche Herangehensweisen sind für Sie hilf-
reich, um einen wissenschaftlichen Text zu schreiben?
230
Abbildung 34: Frage an die Studierenden: Was tun Sie um Ihre Kreativität beim Schrei-
ben zu steigern?
232
Abbildung 35: Frage an die Studierenden: In welchen Situationen treten bei Ihnen
Schreibblockaden auf?
234
425
Abbildung 36: Frage an die Studierenden: Wie anders würden Sie gern schreiben kön-
nen? 235
Abbildung 37: Frage an die Studierenden: Welche Tipps würden Sie geben, um Kinder
zum Schreiben zu motivieren?
237
Abbildung 38: Frage an die Studierenden: Welche Tipps würden Sie Schülern zur Ver-
besserung ihrer Schreibfähigkeiten empfehlen?
238
Abbildung 39: Frage an die Studierenden: Welche Hilfen halten Sie für besonders ge-
eignet, um Schreibblockaden zu überwinden?
239
Abbildung 40: Frage an die Studierenden: Was motiviert Sie zu schreiben bzw. zu
zeichnen/zu illustrieren?
240
Abbildung 41: Mögliche Bereiche der ersten globalen Lesebegegnung EGL 248
Abbildung 42: Auszug aus dem Analyse- und Bewertungsinstrument Prozessorientierte
Analyse POA(leer) mit fünf-gradiger Skalierung und der Möglichkeit des Ausklammern
nicht-relevanter Prozesskriterien
260
Abbildung 43: Modell der Kreativitätsfokussierenden Textanalyse, reduziert auf die
zwei Säulen EGL und TOA, die durch Rating getestet werden
262
Abbildung 44: Auszug aus dem TOA Bewertungsbogen (leer) mit fünf-gradiger Skalie
rung und der Möglichkeit des Ausklammerns eines nicht-relevanten Kriteriums
274
Abbildung 45: Motivationsbereiche in Korrelation mit Schreibkontexten der befragten
Studierenden
275
Abbildung 46: Modell Kreativitätsfokussierende Textanalyse mit vier Säulen 333
Abbildung 47: Motivationsbereiche von Studierenden in Korrelation mit Schreibkontex-
ten
368
426
Tabellenverzeichnis
Seite
Tabelle 1 Gegenüberstellung von Unterkategorien eines von Cohors-Fresenborg
vorgeschlagenen Konzepts zur metakognitiven Auseinandersetzung (Cohors-
Fresenborg 2012, 148f.).
123
Tabelle 2: Unsystematische Zusammenstellung von Bewertungskriterien an engli-
schen Universitäten, die in den Curricula der Creative-Writing-Studiengänge er-
wähnt werden (Glindemann 2001, 204)
153
Tabelle 3: Gegenüberstellung der Phaseneinteilung im kreativen Prozess nach Prei-
ser (1976) und Cropley/Urban (2000)
159
Tabelle 4: Empfehlung von zielgerichteten Impulsen/Übungen um einzelne Pro-
zesskriterien zu bedienen nach Chromik 2012
160
Tabelle 5: Studierendenbefragung: Welche Merkmale kennzeichnen einen gelunge-
nen Text (textsortenunabhängig)?
203
Tabelle 6: Studierendenbefragung: Was bereitet den Studierenden bei der Produkti-
on akademisch-wissenschaftlicher Texte große Schwierigkeiten?
213
Tabelle 7: Übersicht über das Korpus studentischer Texte und vorliegende schriftli-
che Reflexionen, differenziert in Textsorten bzw. Schreibverfahren
244
Tabelle 8 und 9: Übersicht über verwendete Kriterien bei der Einschätzung des
studentischen Textes Nr. 1 "Musikalische Phantasiereise“
269
Tabelle 10: Detailübersicht über die durchschnittliche Verwendungsanzahl von 22
Kriterien pro Text und Extrema über die Punktevergaben nach jeweils 20 gerateten
Texten
269
Tabelle 11: Detailübersicht über die Bewertungsdifferenzen pro Rater und Extrema
der Differenz von EGL und TOA nach jeweils 20 gerateten Texten 270
Tabelle 12: Übersicht über den Grad der Punkteabweichungen zwischen der Spon-
tanbewertung nach dem ersten Lesen (EGL) und der kriteriengestützten Bewertung (TOA) je Rater
271
Tabelle 13: Auswertungsergebnisse der textproduktorientierten Analyse des Studie-
rendentextes Nr. 1 durch fünf Rater mittels EGL und Kriterienraster TOA 281
Tabelle 14: Übersicht über verwendete Kriterien bei der Einschätzung des studenti-
schen Textes Nr. 1 "Musikalische Phantasiereise“
282
Tabelle 15: Auswertungsergebnisse der textproduktorientierten Analyse des Studie-
rendentextes Nr. 3 durch fünf Rater mittels EGL und Kriterienraster TOA 286
427
Tabelle 16: Übersicht über verwendete Kriterien bei der Einschätzung des studenti-
schen Textes Nr. 3 "Der Wind ist Zeuge“, dessen Entwurf beim Situativen Schrei-
ben an der Gedenkstätte "Reichsparteitagsgelände Nürnberg" entstanden ist
286
Tabelle 17: Auswertungsergebnisse der textproduktorientierten Analyse des Studie-
rendentextes Nr. 9 durch fünf Rater mittels EGL und Kriterienraster TOA 291
Tabelle18: Übersicht über verwendete Kriterien bei der Einschätzung des studenti-
schen Textes Nr. 9 "Automatische Hand“, dessen Entwurf beim Écriture Automa-tique während eines Forschungsseminars entstanden ist
292
Tabelle 19: Auswertungsergebnisse der textproduktorientierten Analyse des Studie-
rendentextes Nr. 20 durch fünf Rater mittels EGL und Kriterienraster TOA 296
Tabelle 20: Übersicht über verwendete Kriterien bei der Einschätzung des studenti-
schen Textes Nr. 20 "Du mußt das Leben nicht verstehn…“, dessen Entwurf beim
Schreiben zu einem literarischen Impuls während eines Forschungsseminars ent-
standen ist
297