Krise, Quote, Leidkultur - Nationalismus und Popmusik LOTTA #19

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  • 8/8/2019 Krise, Quote, Leidkultur - Nationalismus und Popmusik LOTTA #19

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    Gesellschaft Nationalismus und Popmusik

    Lotta Nr.19 | Winter 2004/2005

    Deutsch ist in Mode titelte unlngst die extrem rechte JungeFreiheit1 anlsslich der Diskussion um die Einfhrung einer Radio-quote fr deutsche Popmusik. Die Deutsche Stimme, Parteizei-tung der NPD, attestierte der Berliner Popband Mia aufgrund ihresSongs Was es ist, dass sich hier also eine weitere prominenteStimme der deutschen Popkultur fr ein entspannteres Verhltnis zureigenen Nation2 stark mache.

    Auf der Popkomm, der grten Fachmesse der Musikindustrie,

    wurde Ende 2004 die Forderung nach einer Radio-Quote fr deut-sche Musik lautstark inszeniert. Die Initiative Musiker in eigenerSache hatte einen Aufruf mit rund 600 Musikerinnen und Musikern,darunter Wolfgang Niedecken, Anne Haigis, Konstantin Wecker,Xavier Naidoo, Max (Freundeskreis) und Jan Eifeld (Absolu-te Beginner) prsentiert. Die Initiative bejammert , dass die deut-sche Musikszene in den Medien kaum noch vorkommt3, undbehauptet, immer weniger weltumspannende Firmen setzen aufeinen immer kleineren Nenner von Musik aus ihrem dominanten an-glo-amerikanischen Repertoire4. Mit solchen nationalistischen For-derungen fand die Initiative auch Untersttzung von Politikern, diegerade in Zeiten der Globalisierung [] die kulturelle Vielfalt vorOrt [] schtzen5 wollen. Dieses Zitat stammt nicht von einem Po-

    litiker der so genannten Neuen Rechten, sondern von Antje Voll-mer, kulturpolitische Sprecherin der Grnen-Bundestagsfraktion.

    Ende September 2004 gab es dann im Bundestag eine Anhrung.Als Ergebnis legte man den ffentlich-rechtlichen und privatenRundfunksendern eine Selbstverpflichtung ans Herz, etwa 35 %deutschsprachige beziehungsweise in Deutschland produzierteMusik zu spielen.

    Deutschland sucht den Quotenstar

    Schon in den neunziger Jahren gab es hnliche Versuche, eineRadioquote einzufhren. Vornehmlich abgewirtschaftete Musiker

    wie Udo Lindenberg, Peter Maffay oder Heinz Rudolph Kunzeversuchten, in nationalistischen Gefilden zu fischen. Von Kunzekonnte man Statements vernehmen, wie beispielsweise, dass geradein Deutschland und Japan, in den Verlierernationen des Zweiten

    Weltkriegs, die Flut von auslndischer Musik und von aus-lndischem Schund besonders widerstandslosgeschluckt6 werde. Da solche rechten Phrasen in der Pop-welt nicht unbedingt massenkompatibel waren, schien dasThema im neuen Jahrtausend eigentlich erledigt zu sein.Nur einige wertkonservative Vereinigungen, wie etwa derVerein deutsche Sprache e.V. (VDS), wehrten sichgegen eine angeblich zunehmende Beeinflussung mit

    angloamerikanischem Sprach- und Kulturgut. Die CSUscheiterte mit einer Quoten-Initiative 2003 im bayrischenLandtag.

    Krise der Musikindustrie

    Eingebettet wurden die Forderungen nach einer Quotie-rung immer in eine konomische Argumentation. Von derKrise der Musikindustrie und Umsatzeinbuen durch pri-vate Raubkopien und MP3-Downloads war die Rede.Doch diese Krise ist lediglich der Entwicklung neuerProduktionsverhltnisse und Absatzwege geschuldet. Sierelativiert sich, wenn man den Betrachtungszeitraum ein

    wenig vergrert: Zwar ging in den letzten fnf Jahren derTontrger-Umsatz um vierzig Prozent zurck (2002: 2,2Milliarden Euro, 2003: 1,64 Milliarden Euro). Durch-schnittlich wurden in Deutschland pro Kopf zwei CDsverkauft und vier fr den privaten Gebrauch kopiert. Dochallein mit der Einfhrung der CD in den achtziger Jahrenkonnte die Musikindustrie ihre Umstze verfnffachen.Und eine hnliche Entwicklung spielt sich aktuell ab: Seiteinem halben Jahr werden mehr Handyklingeltne alsSingles verkauft und der Umsatz von Live-Konzerten ver-doppelte sich auf 2,8 Milliarden Euro.

    Standortnationalismus

    Ist also die Forderung nach der Quote nur ein Versuchdes nationalen Kapitals, ber ein wenig Deutschtmelei

    Von Thomas Bose

    Krise, Quote, LeidkulturNationalismus und Popmusik

    Pop-Band Mia: Eine weitere prominente Stimme [...]fr ein entspannteres Verhltnis zur eigenen Nation F

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    GesellschaftNationalismus und Popmusik

    Lotta Nr.19 | Winter 2004/ 2005

    den Absatzmarkt fr nationale Produkte zu sichern?Schaut man sich die Aufteilung des Gesamtumsatzes inDeutschland an, scheint sich dies nicht zu besttigen: 2003betrug der Anteil nationaler Produktionen in den deut-schen Albumcharts 54,7 Prozent, 2002 noch 42,72 Pro-zent7. Nur um reine Umsatzsicherung ber die Radioquo-

    te scheint es den Musikerinnen und Musikern nicht zugehen.

    Wenn Knstlerinnen und Knstler fr die Quote argu-mentieren, offenbart sich hufig ein verquerer Nationalis-mus. Inga Humpe, Sngerin der Band 2raumwohnung,hlt die Forderung, sich in der eigenen Sprache auszu-drcken auch kulturell gesehen fr etwas sehr Heilsa-mes8. Sie halluziniert einen drohenden Verlust der kul-turellen deutschen Identitt angesichts einer angeblicheinprozentigen Abspielquote deutscher Musik. Dagegenliegt die Quote nach ARD-Angaben zwischen 10 und20%. Das strt die typisch deutsche Leid-Kultur wenig.

    Ex-Nena-Manager und Musiker in eigener Sache-Initiator Jim Rakete bringt das Anliegen der 600 Knstle-rinnen und Knstler auf den Punkt: Hunderte Musik-schaffende in diesem Land aber sehen in einem festge-schriebenen Anteil hiesiger Musik die einzig mglicheSicherung ihrer kulturellen Identitt.9

    Popmusik, bisher als seichtes, beliebiges, urbanes Un-terhaltungsprodukt verstanden, soll nationalistisch aufge-laden und zum Bollwerk gegen die amerikanische Kultur-industrie aufgebaut werden.

    Rot-Grn goes Nation

    Bereits Anfang 2004 machte die Pop-Band Mia mitIhrem Song Was es ist von sich reden. In diesem geht esum Liebe nicht zu einer Person, sondern zu Deutschland.Die Identifikation mit der Nation sei vorbelastet, dies wol-le die Band ndern. Das ging zum teil soweit, dass, wennman mich im ausland fragte woher ich komme, ich immerschnell berlin gesagt hab, weil ich mich schmte zu sagen,ich bin aus deutschland. das hatte einen zu negativentouch10, so Mieze, Sngerin der Band. Deutschland steheseit dem Irak-Krieg fr Frieden, deshalb gelte es auch,deutsche Identitt neu zu fllen, oder, wie es in ihrem Son-gtext heit, neues deutsches Land zu betreten. Passend

    dazu initiierten sie das Kunstprojekt Angefangen, dasgenau dieser Intention folgte. Mia trug auf Konzertendie schwarz-rot-goldene Kollektion einer Modedesignerinaus dem Projekt. Auf Kritik reagierten sie emprt underschrocken, schlielich sei man links und trete frRespekt, Toleranz, Mut und Liebe ein. Dass sie mit ihrerschwarz-rot-goldenen Schwammigkeit dabei einer ent-ideologisierten Sozialdemokratie, dem Magazin blondund Snke Wortmann die Hand [] zum rebuilding Ger-many11 reichen, wie das Musikmagazin Intro richtigkommentiert, strt sie dabei nicht. Das links-alternativePublikum soll Deutschland sexy & chic finden, und die

    Deutschpopper liefern dazu die passende Musik.

    sthetischer Revisionismus

    Doch es geht auch direkter: Der DJ Paul Van Dyk produzierte2004 zusammen mit Peter Heppner12, dem Snger der BandWolfsheim, den Song Wir sind Wir. Textlich geht es um Nach-kriegsdeutschland: Aufgeteilt, besiegt und doch, / Schlielich leben

    wir ja noch (...) Doch bleiben viele Fenster leer, / Fr viele gab eskeine Wiederkehr. Betrauert werden die fehlenden Deutschen, berden Nationalsozialismus und die Shoa spricht man im Text explizitnicht. Stattdessen singt Heppner: Wir sind wir! Wir stehen hier! Das ist doch nur ein schlechter Lauf. / So schnell geben wir dochjetzt nicht auf.

    Das Video dazu unterstreicht diesen Nationalismus im seichtenPop-Gewand: Zuerst der Reichstag, ein Bild von 1945, dann einhumpelnder Wehrmachtssoldat, Trmmerfrauen, WM 1954, AufbauOst, Mauerbau, Luxus West, Deutsche waschen ihren Volkswagen.Die Inspiration zum Song lieferte laut Eigenbekunden der Film DasWunder von Bern Die wahre Geschichte des ZDF-Haushistorikers

    Guido Knopp, der bekannt ist fr seine unkritischen Dokumentar-filme zum NS und seinen sthetischen Revisionismus13. DasVideo wurde von der gleichen TV-Produktionsfirma hergestellt, dieauch fr Knopp diverse Filme abdrehte.

    Too sexy for the Fhrerbunker?

    Erregten die Teutonenrocker Ramm-stein mit ihrer unkritischen bernahmevon Filmszenen Leni Riefenstahls imVideo zu Stripped noch die Gemter,scheint der Damm gebrochen. Wir sind

    Wir und Was es ist waren Hits und dieVideos liefen auf allen Kanlen. Deut-scher Pop wird zu dem, als was ergedacht ist: nationalistische Mobil-machung. Die Demarkationslinie ver-luft nicht mehr zwischen Undergroundund Mainstream, sondern zwischenDeutschland und Amerika. Eine ganzeReihe von Schwarz-Rot-Gold-farbenenDeutsch-Pop-Samplern mit Titeln wieHeimatkult-New German Liedgutberschwemmen zur Zeit den Markt.

    Whos left?

    Nur die blichen Verdchtigen, wie dieBand Blumfeld, distanzieren sich vondieser Entwicklung: [Wir]haben wires stets abgelehnt, uns in die heimatduse-lige Front all derer einzureihen, die es frangebracht halten, sich in ihrem Denken,Fhlen, Singen und Handeln positiv aufDeutschland [] zu beziehen.14

    Der Autor hlt es da noch eher mit derBand Superpunk: Wir verabscheuen

    Deutschland und wnschen der Nationdie Pest an den Hals.15

    [1] Junge Freiheit, 42/04,8.10.2004

    [2] Deutsche Stimme, Januar2004

    [3] FR EINE QUOTE FRMUSIK AUS DEUTSCH-LAND. www.the-berliner.com/musiker_in_eigener_sache/aufruf.pdf

    [4] ebd.[5] Presseerklrung von Antje

    Vollmer, Berlin 17.12.2004[6] Kunze im Interview mit dem

    Spiegel 1996, www.live-magazin.de/rubriken/whoswho/who0307.htm

    [7] Vgl. Nationalmusik, in:Junge Welt vom29.9.2004

    [8] Vgl. Vens, Hartwig: NoieWerte, in: Konkret 11/2004

    [9] ebd.[10] Vgl.

    www.angefangen.de/artists/mia/mia_wasesist.html

    [11] Vgl. Freudenschuss, Max,in: Intro #116, 26.2.2004

    [12] Peter Heppner hatte bereitsin Joachim Witts sozialdar-winistischem Video zumSong Die Flut mitgewirkt.

    [13] Siehe hierzu den Artikelvon Gnter Born in dieserAusgabe, S. 14

    [14] vgl. Blumfeld zum ThemaDeutschland. Nation. Hei-mat und Popmusik.skyeyeliner.endorphin.ch/hallo.html

    [15] siehe: Interview mit Super-

    punk, in: Plastic Bomb#40, www.plasticbomb.de/interview014.htm