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Kritik der Tatherrschaftslehre * Von Privatdozent Dr. Volker Haas, Tübingen I. Einleitung Die Theorie der Tatherrschaft, die ganz maßgeblich von Roxin ausgearbeitet und kasuistisch ausgeformt worden ist 1 , stellt in Deutschland gegenwärtig noch die ganz herrschende Doktrin im Bereich der strafrechtlichen Betei- ligungslehre dar 2 . Partiell wird sie nunmehr auch von der Rechtsprechung anerkannt, wie sich am deutlichsten in der Übernahme der Rechtsfigur der mittelbaren Täterschaft kraft organisierter Machtapparate in den Mauer- schützenfällen zeigt 3 . Ihr unaufhaltsam scheinender Siegeszug ist jedoch in jüngster Zeit etwas ins Stocken geraten. Zu beobachten ist zunehmende Kri- tik, die allerdings weniger das Lehrgebäude in seinen Grundfesten insge- samt, sondern vielmehr einzelne seiner Facetten betrifft 4 . Es besteht daher Anlass, die Voraussetzungen und Annahmen zu hinterfragen, auf denen die Tatherrschaftslehre als Ganzes fußt. Im Folgenden soll zunächst in einem ersten Schritt kurz skizziert werden, auf welche Weise die Tatherrschaftslehre ein Gegenmodell zum subjektiven Täterbegriff einerseits und zum formal- objektiven Täterbegriff andererseits entworfen hat, um dann in einem zwei- ten Schritt Unstimmigkeiten der Tatherrschaftslehre aufzuzeigen. Abschlie- ßend werden einige Konsequenzen skizziert, die sich aus den geäußerten Bedenken ergeben. Insbesondere wird versucht zu begründen, dass wir des ZStW 119 (2007) Heft 3 * Bei dem Aufsatz handelt es sich um die leicht geänderte Fassung des Habilitationsvor- trags, den der Verfasser am 14. Februar 2006 in Tübingen gehalten hat. 1 Grundlegend Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, 8. Aufl. 2006, S. 51 ff. 2 Jescheck/Weigend, Lehrbuch des Strafrechts Allgemeiner Teil, 5. Aufl. 1996, § 61, S. 651 ff.; Wessels/Beulke, Strafrecht Allgemeiner Teil, 36. Aufl., 2006, § 13 Rdn. 518 ff.; Kühl, Strafrecht Allgemeiner Teil, 5. Aufl. 2005, § 20 Rdn. 26 ff.; Gropp, Strafrecht All- gemeiner Teil, 2. Aufl. 2001, § 10 Rdn. 34 ff.; Bloy, Die Beteiligungsform als Zu- rechnungstypus im Strafrecht, 1985, S. 313 ff.; Bottke, Täterschaft und Gestaltungsherr- schaft, 1992, S. 35 ff.; Renzikowski, Restriktiver Täterbegriff und fahrlässige Beteili- gung, 1997, S. 50 ff.; Cramer/Heine, in: Schönke/Schröder, 27. Aufl. 2006, Vorbem. §§ 25 ff. Rdn. 61 ff.; Joecks, in: Münchener Kommentar, 2003, § 25 Rdn. 27 ff.; Rudol- phi, Festschrift für Bockelmann, 1979, S. 369 ff. 3 BGHSt. 40, 218; 44, 204 ff.; 45, 270, 296 ff. 4 Siehe pars pro toto Heinrich, Rechtsgutszugriff und Entscheidungsträgerschaft, 2002, S. 9 ff., dessen Konzeption allerdings nur unwesentlich von der Tatherrschaftslehre ab- weicht; so zu Recht die Einschätzung von Wessels/Beulke, Allg. Teil, § 13 Rdn. 514. Bereitgestellt von | provisional account Unangemeldet | 150.135.239.97 Heruntergeladen am | 03.06.14 04:47

Kritik der Tatherrschaftslehre

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Kritik der Tatherrschaftslehre*

Von Privatdozent Dr. Volker Haas, Tübingen

I. Einleitung

Die Theorie der Tatherrschaft, die ganz maßgeblich von Roxin ausgearbeitetund kasuistisch ausgeformt worden ist1, stellt in Deutschland gegenwärtignoch die ganz herrschende Doktrin im Bereich der strafrechtlichen Betei-ligungslehre dar2. Partiell wird sie nunmehr auch von der Rechtsprechunganerkannt, wie sich am deutlichsten in der Übernahme der Rechtsfigur dermittelbaren Täterschaft kraft organisierter Machtapparate in den Mauer-schützenfällen zeigt3. Ihr unaufhaltsam scheinender Siegeszug ist jedoch injüngster Zeit etwas ins Stocken geraten. Zu beobachten ist zunehmende Kri-tik, die allerdings weniger das Lehrgebäude in seinen Grundfesten insge-samt, sondern vielmehr einzelne seiner Facetten betrifft4. Es besteht daherAnlass, die Voraussetzungen und Annahmen zu hinterfragen, auf denen dieTatherrschaftslehre als Ganzes fußt. Im Folgenden soll zunächst in einemersten Schritt kurz skizziert werden, auf welche Weise die Tatherrschaftslehreein Gegenmodell zum subjektiven Täterbegriff einerseits und zum formal-objektiven Täterbegriff andererseits entworfen hat, um dann in einem zwei-ten Schritt Unstimmigkeiten der Tatherrschaftslehre aufzuzeigen. Abschlie-ßend werden einige Konsequenzen skizziert, die sich aus den geäußertenBedenken ergeben. Insbesondere wird versucht zu begründen, dass wir des

ZStW 119 (2007) Heft 3

* Bei dem Aufsatz handelt es sich um die leicht geänderte Fassung des Habilitationsvor-trags, den der Verfasser am 14. Februar 2006 in Tübingen gehalten hat.

1 Grundlegend Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, 8. Aufl. 2006, S. 51 ff.2 Jescheck/Weigend, Lehrbuch des Strafrechts Allgemeiner Teil, 5. Aufl. 1996, § 61,

S. 651 ff.; Wessels/Beulke, Strafrecht Allgemeiner Teil, 36. Aufl., 2006, § 13 Rdn. 518 ff.;Kühl, Strafrecht Allgemeiner Teil, 5. Aufl. 2005, § 20 Rdn. 26 ff.; Gropp, Strafrecht All-gemeiner Teil, 2. Aufl. 2001, § 10 Rdn. 34 ff.; Bloy, Die Beteiligungsform als Zu-rechnungstypus im Strafrecht, 1985, S. 313 ff.; Bottke, Täterschaft und Gestaltungsherr-schaft, 1992, S. 35 ff.; Renzikowski, Restriktiver Täterbegriff und fahrlässige Beteili-gung, 1997, S. 50 ff.; Cramer/Heine, in: Schönke/Schröder, 27. Aufl. 2006, Vorbem. §§ 25 ff. Rdn. 61 ff.; Joecks, in: Münchener Kommentar, 2003, § 25 Rdn. 27 ff.; Rudol-phi, Festschrift für Bockelmann, 1979, S. 369 ff.

3 BGHSt. 40, 218; 44, 204 ff.; 45, 270, 296 ff.4 Siehe pars pro toto Heinrich, Rechtsgutszugriff und Entscheidungsträgerschaft, 2002,

S. 9 ff., dessen Konzeption allerdings nur unwesentlich von der Tatherrschaftslehre ab-weicht; so zu Recht die Einschätzung von Wessels/Beulke, Allg. Teil, § 13 Rdn. 514.

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Rückgriffs auf den berechtigten Nukleus der subjektiven Lehre (wenn auchin modifizierter Gestalt) durchaus bedürfen.

II. Der Ausgangspunkt der Tatherrschaftslehre

Grundlage der subjektiven Theorie, so wie sie durch von Buri vertretenwurde, ist bekanntlich die Äquivalenztheorie, der zufolge jede Bedingungeines tatbestandlichen Erfolges Ursache im Rechtssinne ist. Ihre Zugrunde-legung hat die Konsequenz, dass selbst jemand, der die Tat eines anderengefördert oder bei einem anderen den Tatentschluss hervorgerufen hat, dieRechtsgutsschädigung bei hinreichend konkreter Analyse des Geschehens-verlaufs mitverursacht hat. Will man nicht einen extensiven Einheitstäter-begriff etablieren, muss die Differenzierung zwischen Täterschaft und Teil-nahme in den subjektiven Tatbestand verlagert werden: Täter ist demnachderjenige, der die Tat als eigene wollend mit animus auctoris, Teilnehmerderjenige, der die Tat als fremde wollend mit animus socii handelt. Maßgeb-liches Kriterium für den animus socii stellt dabei nach der so genanntendolus-Theorie die Unterordnung des Teilnehmers unter den Willen desHaupttäters, nach der Interessentheorie das eigene oder fremde Tatinteressedar5.

Von den Anhängern der Tatherrschaftslehre wird die subjektive Theorieabgelehnt, weil sie sich ausschließlich auf die wertfreie Kategorie der Kausa-lität stützt. Zudem wird moniert, dass sich die Willensunterordnung auf ob-jektive Unterschiede gründen müsse, falls sie sich nicht im Sinne eines Ge-sinnungsstrafrechts in einer innerlich bleibenden Einstellung erschöpfensolle. Der Täter- beziehungsweise der Teilnehmerwille könne jedoch nurüber seinen Inhalt identifiziert, der Inhalt des Willens wiederum nur überdie objektiven Eigenschaften des Verhaltens definiert werden, auf das er sichrichte. Die subjektive Theorie dränge also über sich selbst hinaus. Sie trageden Keim der Zerstörung bereits in sich6. Ebenso erfährt die formal-objek-tive Theorie Ablehnung, der zufolge derjenige Täter ist, der die tatbestands-mäßige Handlung ganz oder teilweise in persona ausführt. Mittäter solldementsprechend nur derjenige sein, der eine wenn auch noch so gering-fügige tatbestandsmäßige Ausführungshandlung selber vollzieht. Gegen die

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5 Roxin (Anm. 1), S. 51 ff.; ders., in: LK, 11. Aufl. 2003, § 25 Rdn. 3 f.; siehe auch schonHergt, Die Lehre von der Teilnahme am Verbrechen, 1909, S. 17 ff.

6 So die Analyse von Jakobs, Strafrecht Allgemeiner Teil, 2. Aufl. 1993, 21/3 ff.

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formal-objektive Theorie wird vor allem eingewandt, dass bei den Erfolgs-delikten eine zur Differenzierung von Täterschaft und Teilnahme not-wendige Handlungsbeschreibung fehle. Zudem wird ihr vorgeworfen, diemittelbare Täterschaft nicht erklären zu können, sowie keine Erklärung derVerantwortlichkeit des Mittäters für das nicht eigenhändig verwirklichteTeilstück zu bieten, so dass letztlich ein nicht formal-objektives zurech-nungsbegründendes Moment stillschweigend vorausgesetzt werde7.

Die Tatherrschaftslehre beansprucht, die diagnostizierten gegenläufigenDefizite der beiden Gegenmodelle zu vermeiden. Täter ist nach der Tat-herrschaftslehre der Beteiligte – so wie es schon der Name der Lehre signali-siert –, der die Tatherrschaft innehat. Eingebürgert hat sich insoweit dieMetapher vom vorsätzlichen In-den-Händen-Halten-des-Kausalverlaufs8.Grundlage des Begriffs der Tatherrschaft ist die finale Handlungslehre Wel-zels. „Herr über die Tat ist, wer sie aufgrund seines Willensentschlusseszweckhaft durchführt. Die Gestaltung der Tat durch den planvoll steuerndenVerwirklichungswillen macht den Täter zum Herrn über die Tat. Darum istder finale Verwirklichungswille (der Tatbestandsvorsatz) das generelle Mo-ment der Tatherrschaft“. Finale Tatherrschaft soll dem unmittelbaren Täterund dem mittelbaren Täter zukommen. Der Mittäter soll eine Mitherrschaftüber die gesamte Tat ausüben. Anders jedoch die Sachlage bei den Teilneh-mern: „Anstifter und Gehilfe haben zwar auch eine gewisse ‚Tat‘herrschaft,aber nur solche über ihre Beteiligung. Die Tat selbst untersteht allein der fi-nalen Herrschaft des Täters“9. Roxin hat an dieses Konzept angeschlossen,jedoch im Anschluss an Gallas10 die objektiven Voraussetzungen der Tat-herrschaft stärker betont. Die Tatherrschaftslehre messe subjektiven wie ob-jektiven Faktoren, die eine dialektische Einheit bilden würden, eine für dieBestimmung der Täterschaft gleichrangige Bedeutung zu11. Die objektivenVoraussetzungen der Tatherrschaft bestehen nach Ansicht von Roxin aller-dings nicht in der Kausalität. Das dem Täterbegriff Eigene könne nicht indem Merkmal liegen, das alle Beteiligten – Täter, Anstifter und Gehilfen –gleichermaßen auszeichne: die Ursächlichkeit für den tatbestandsmäßigen

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7 Jakobs, Allg. Teil, 21/3 ff.8 So schon Maurach, Deutsches Strafrecht Allgemeiner Teil, 2. Aufl. 1958; aus der heuti-

gen Literatur pars pro toto Kühl, Allg. Teil, § 20 Rdn. 26.9 Welzel, ZStW 58 (1939), S. 491, 539, 543.

10 Gallas, Beiträge zur Verbrechenslehre, 1968, S. 48.11 Roxin (Anm. 1), S. 316, 330.

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Erfolg12. Folgerichtig wird daher in der Literatur die Auffassung vertreten,dass die Tatherrschaft das spezifische Handlungsunrecht des Täters begrün-det13.

Die Tatherrschaft als Oberbegriff – Roxin spricht auch vom Täter alsZentralgestalt des deliktischen Geschehens – gliedert sich bekanntlich in dieUnterkategorien der Handlungsherrschaft bei der unmittelbaren Täterschaftgemäß § 25 Abs. 1 1. Var. StGB, der Willensherrschaft bei der mittelbarenTäterschaft gemäß § 25 Abs. 1 2. Var. StGB und der funktionellen Tatherr-schaft bei der Mittäterschaft, die in § 25 Abs. 2 StGB normiert ist. Bei derHandlungsherrschaft wird Roxin zufolge dem Delinquenten die Herrschaftüber die Tat durch die Vornahme der tatbestandlichen Handlung vermittelt.Anders die Willensherrschaft, die dadurch gekennzeichnet sei, dass der mit-telbare Täter den so genannten Tatmittler als Werkzeug instrumentalisiere.Roxin unterscheidet diesbezüglich zwischen der Willensherrschaft kraftNötigung, kraft Irrtums und kraft organisierter Machtapparate. Letztere,auch unter den Anhängern der Tatherrschaftslehre umstrittene Untergruppesoll dann eingreifen, wenn ein Machtapparat den Vollzug eines Befehls ge-währleistet, also auch und gerade dann, wenn der unmittelbar Handelndeohne jegliches Zurechnungsdefizit agiert. Grundsätzlich aber gilt: Die Tat-herrschaft des Vordermanns – seine freie und voll verantwortliche Entschei-dung – schließt die Tatherrschaft des Hintermanns aus14. Aus diesem Grundesind der Anstifter, der gemäß § 26 StGB den Haupttäter zu dessen vorsätzlichbegangener rechtswidriger Tat bestimmt, und der Gehilfe, der gemäß § 27StGB zu einer vorsätzlich begangenen rechtswidrigen Tat Hilfe leistet, Teil-nehmer und nicht Täter15.

Nach Ansicht von Roxin sind alle drei Täterschaftsformen Modi der Er-füllung des Tatbestandes. Die formal-objektive Theorie habe den Fehlerbegangen, die Verwirklichung des Tatbestandes mit der eigenhändigenBegehung des Verbrechens gleichzusetzen. § 25 StGB stelle aber nunmehrausdrücklich klar, dass der Tatbestand auch mit Hilfe vorsatzloser odergenötigter Werkzeuge oder in arbeitsteiligem Zusammenwirken erfüllt wer-den könne. „Diese einseitige Fixierung auf die ‚Eigenhändigkeit‘ überwindet

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12 Roxin (Anm. 1), S. 28, 30, 327; ders., Strafrecht Allgemeiner Teil, Bd. II, 1. Aufl. 2003, § 25 Rdn. 4 ff.; ebenso Bloy (Anm. 2), S. 202.

13 Jescheck/Weigend (Anm. 2), § 61, S. 638; Bloy (Anm. 2), S. 118, 123, 160, 204, 206, 252;Bottke (Anm. 2), S. 19; Renzikowski (Anm. 2), S. 13, 75 f., 121.

14 Roxin (Anm. 1), S. 276, 294; Rudolphi (Anm. 2), S. 369, 373 f., 383.15 Roxin (Anm. 1), S. 311; ders., in: LK, 11. Aufl. 2003, § 25 Rdn. 154.

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die Tatherrschaftslehre, indem sie es gestattet, denjenigen als Subjekt des De-liktstatbestandes und damit als Täter anzusehen, der den tatbestandlichenErfolg unter eigener Herrschaft oder Mitherrschaft herbeiführt. Insofernstellt die Tatherrschaftstheorie also tatsächlich […] eine ‚auflockernde‘ Fort-entwicklung der formal-objektiven Theorie dar und wird mit Recht als ‚ma-teriell-objektive‘ Lehre bezeichnet, weil ihr ein nicht an formalen Kriterienhaftender materieller Begriff der Tatbestandserfüllung zugrunde liegt“16.Das heißt: Die gesetzlichen Tatbestände sind für Roxin zugleich Umschrei-bungen der „Zentralgestalt des deliktischen Geschehens“. Die Voraus-setzungen der Täterschaft sollen schon impliziter Bestandteil der Tatbe-schreibung und nicht erst etwas nachträglich Hinzukommendes sein. Nachder Grundkonzeption der Tatherrschaftslehre können somit die Tatbeständeder Erfolgsdelikte wie zum Beispiel die §§ 212, 223, 303 StGB wie folgt ge-lesen werden: „Wer als Tatherr den tatbestandlichen Erfolg vorsätzlich her-beiführt, wird bestraft“. Durch den gemäßigt restriktiven Täterbegriff derTatherrschaftslehre wird somit der Inhalt des § 25 StGB den Delikten desBesonderen Teils implementiert, so dass die Täterformen des § 25 StGB –wie Hoyer treffend formuliert hat – nur deklaratorische Ausformungen des-sen sind, was qua Auslegung bereits den Deliktsbeschreibungen des Beson-deren Teils substantiell zu entnehmen ist17. Strafausdehnungsgründe sinddaher eigentlich nur die §§ 26 f. StGB18.

III. Einwände gegen die Tatherrschaftslehre

1. Die fehlende normative Begründung des Tatherrschaftsbegriffs

Bietet die hier zugegebenermaßen sehr kursorisch wiedergegebene Tatherr-schaftslehre ein in sich stimmiges Modell der Täterschaft – ganz unabhängigvon der ganz konkreten Ausgestaltung einzelner Täterschaftsmodi wie ins-besondere der mittelbaren Täterschaft? Ein erster Kritikpunkt: Man könnteschon den Vorwurf erheben, dass Roxin selbst es offen lässt, auf welchemaxiologischen Prinzip sich die Tatherrschaft als maßgebliches Unterschei-

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16 Roxin, in: LK, 11. Aufl. 2003, § 25 Rdn. 34.17 Hoyer, in: SK, 7. Aufl. 2000, Vor § 25 Rdn. 10.18 Roxin, Allg. Teil, Bd. II, § 25 Rdn. 5; Joecks, in: Münchener Kommentar, 2003, § 25

Rdn. 9; Schild, in: Nomos Kommentar, 2. Aufl. 2005, § 25 Rdn. 12, 63, 90; Bloy (Anm. 2),S. 252, 263.

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dungskriterium zwischen Teilnahme und Täterschaft stützt. Das Verant-wortungsprinzip lehnt Roxin grundsätzlich mit der zutreffenden Erwägungab, dass die Eigenverantwortlichkeit des Haupttäters die Verantwortlichkeitdes Teilnehmers nicht hindere, so dass das Kriterium hier von vornhereinkeine zurechnungsbegrenzende Wirkung habe und seine Bedeutung für dieAbgrenzung erst noch dargetan werden müsse19.

Infolgedessen fehlt eine genau ausgearbeitete Integration des Tatherr-schaftsbegriffs in die Unrechtslehre bei Roxin. Seinen Ausführungen kannnur entnommen werden, dass es sich bei den Beteiligungsformen überhauptum Unrechtsmerkmale handelt. Aber selbst die Einordnung der Tatherr-schaft als ein das Handlungsunrecht konstituierendes Merkmal lässt offen,ob die Differenz zum Handlungsunrecht des Teilnehmers qualitativ oderquantitativ begründet ist. In der Literatur wird denn auch die eher natu-ralistisch-phänomenologische Begriffsbildung der von Roxin ausgearbeite-ten Tatherrschaftslehre gerügt20. Der Grund dafür könnte darin liegen, dassdie finale Handlungslehre – sieht man einmal von ihrer gesinnungsethischenDeutungsmöglichkeit ab – so verstanden werden könnte, als habe sie dieMöglichkeit strafrechtlicher Haftung überhaupt erklären wollen. Die Steue-rung des tatsächlichen Geschehens durch die Finalität ist der Grund dafür,dass die Rechtsgutsschädigung aus der Sicht des Täters kein Zufall ist. Nor-mative Basis dieser Lehre wäre also das Schuldprinzip. Jedoch muss natürlichauch die strafrechtliche Haftung des Teilnehmers mit dem Schuldprinzip inEinklang stehen. Es fragt sich daher schon, wie die aus der finalen Hand-lungslehre abgeleitete Tatherrschaftslehre ihrer Herkunft nach etwas zur nor-mativen Abschichtung von Täterschaft und Teilnahme beitragen kann.

Diese Schwierigkeit spiegelt sich in der Lehre von Jakobs wider, der denAnsatz verfolgt, Herrschaft nicht naturalistisch als Faktum, sondern norma-tiv als Grund einer umfassenden Zuständigkeit aufgrund von Organisationzu deuten. Jakobs zufolge gibt es keine qualitative Differenz zwischenTäterschaft und Teilnahme21. Auch der Teilnehmer hafte aufgrund einesOrganisationsaktes: Die Haupttat sei auch sein Werk, wenn auch nicht indem Maße des Täters. Der Anteil des Teilnehmers an der Haupttat sei imVerhältnis zum Täter lediglich quantitativ reduziert. Dies hat zur Folge, dass

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19 Roxin (Anm. 1), S. 680; ders., Allg. Teil, Bd. II, § 25 Rdn. 48, 182, wobei Roxin bei derNötigung wenig konsequent dennoch auf das Verantwortungsprinzip zurückgreifenmöchte.

20 Jakobs, Allg. Teil, 21/23; Freund, Strafrecht Allgemeiner Teil, 1998, § 10 Rdn. 66.21 Jakobs, Allg. Teil, 21/3.

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es sich bei Täterschaft und Teilnahme nur um zu unterschiedlichen Be-teiligungsformen vertypte Strafzumessungserwägungen handelt22. Ob dieUnterscheidung von Täterschaft und Teilnahme und damit das unterschied-liche Handlungsunrecht tatsächlich nur auf quantitativen Graduierungenbasiert, wird unten noch zu diskutieren sein.

Zu erwähnen ist daher in diesem Zusammenhang der Versuch von Renzi-kowski, den Tatherrschaftsbegriff durch das Autonomieprinzip zu erklärenund daraus eine qualitative Differenz zwischen Täterschaft und Teilnahmeabzuleiten. Aus der Anerkennung von einander abgegrenzter Rechtssphärenseitens der Rechtsordnung soll folgen, dass jeder nur für sein eigenes perso-nales Unrecht verantwortlich gemacht werden kann. Das Fehlen von Zu-rechnungsdefekten bei dem unmittelbaren Täter führt daher seines Erachtenszu einem Zurechnungsausschluss gegenüber dem Teilnehmer. Renzikowskisetzt also den restriktiven Täterbegriff der Tatherrschaftslehre mit einem Ver-antwortlichkeit ausschließenden Regressverbot gleich. Strafrechtliche Teil-nahmehaftung ist daher für ihn Haftung ohne Verantwortlichkeit für dieRechtsgutsschädigung selbst. Problematisch ist jedoch, wie man dann nochüberhaupt die Strafbarkeit der Teilnahme erklären kann. Renzikowski ver-steht die Teilnahmenormen als Gefährdungsverbote. Der Unwert von An-stiftung und Beihilfe liege darin, dass der Teilnehmer das Rechtsgut gefährde,indem er die Voraussetzungen für die Haupttat schaffe. Die zumindest ver-suchte Haupttat qualifiziert er konsequent als bloße Sanktionsbedingung23.Doch ist dieser Ansatz überzeugend? Zweifelhaft ist schon, ob es überhauptAufgabe des Allgemeinen Teils des Strafrechts ist, Gefährdungstatbeständeaufzustellen. Sodann wäre erläuterungsbedürftig, warum der Teilnehmer fürdie durch sein Verhalten ausgelöste Gefährdung verantwortlich sein soll,wenn er es nicht für die aus ihr resultierende Verletzung ist. Bedeutet dochdie Einführung von Gefährdungs- gegenüber Verletzungstatbeständen durchden Gesetzgeber stets eine Vorverlagerung der Strafbarkeit. Renzikowskierklärt den Gefährdungstatbestand der Teilnahme mit der Sozialbindung desEinzelnen. Dagegen spricht allerdings § 138 StGB: Die Strafbarkeit derNichtanzeige geplanter Straftaten, die ähnlich wie die der unterlassenenHilfeleistung gemäß § 323c StGB aus einer Solidarpflicht gerechtfertigtwird, ist gerade nicht als Teilnahme ausgestaltet.

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22 Jakobs, Allg. Teil, 22/4, 6; siehe ders., Festschrift für Lampe, 2003, S. 561, 571.23 Renzikowski (Anm. 2), S. 127 ff.; für eine materielle Erklärung der Teilnahmestrafbar-

keit ohne Haftung für die Haupttat auch schon Schumann, Strafrechtliches Handlungs-unrecht und das Prinzip der Selbstverantwortung, 1986, S. 74 ff.

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Im Übrigen ist mit Kindhäuser darauf aufmerksam zu machen, dass dasAutonomieprinzip eigentlich auch einem Regressverbot im Bereich derMittäterschaft entgegenstehen müsste. Es beweist also zu viel. In Wahrheitbesagt das Autonomieprinzip und das aus ihm abzuleitende Regressver-bot, dass „einen grundsätzlich Vorgänge und Zustände innerhalb fremderRechtskreise nichts angehen“, dass es also erlaubt ist, „sich um diese Dingenicht zu kümmern“. In juristischer Diktion: Grundsätzlich ist niemand Hü-ter seines Nächsten. Dieser Grundsatz folgt aus der Anerkennung individu-eller Dispositionsbefugnisse, also von Rechtskreisen, die ihren jeweiligen In-habern zur Verwaltung unter Ausschluss anderer zugewiesen sind und damitSelbstbestimmung ermöglichen. Ist dies richtig, dann kann aber das Autono-mieprinzip keine Aussage darüber treffen, ob und wie gehaftet wird, wennsich die Inhaber der jeweiligen Rechtskreise miteinander autonom verbin-den und dadurch gegen ein Verbot verstoßen24.

2. Der fehlende objektive Tatbezug des Tatherrschaftsbegriffs

Ein zweiter Kritikpunkt: Freund hat geltend gemacht, dass trotz aller Be-teuerung der Tatbestandsbezogenheit des Tatherrschaftsbegriffs eine über-zeugende Einordnung in den jeweiligen Deliktstatbestand bisher nicht ge-glückt und wohl auch nicht möglich sei. Dem objektiven Tatbestand könnedie Tatherrschaft aufgrund der Zugehörigkeit subjektiver Momente nichtangehören. Überdies könne die Frage nach der Herrschaft nur dann gestelltwerden, wenn der zu beherrschende Gegenstand: die Tat genau definiert sei.Solange dies nicht geschehen sei, sei der Herrschaftsbegriff ein Zauberhut,dem praktisch jedes beliebige Ergebnis entnommen werden könne. Sei hin-gegen die Beschaffenheit der Tat geklärt, entbehre ein zusätzliches Herr-schaftserfordernis der Berechtigung25.

Genau lokalisiert besteht das von Freund völlig zu Recht aufgeworfeneProblem darin, dass die Tatherrschaft als separater Bestandteil innerhalb desTatbestandes aufgefasst wird. Anders formuliert: Die Tatherrschaftslehrepostuliert eine Kombination aus einem extensiven Tatbegriff, wie er wohlnoch für das Fahrlässigkeitsdelikt herrschend ist26, und einem restriktivenTäterbegriff! Die Anerkennung eines extensiven Tatbegriffs ist auch an derunter anderem von Bloy vertretenen These erkennbar, dass Täter und Teil-

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24 Siehe schon zutreffend Kindhäuser, Festschrift für Hollerbach, 2001, S. 627, 644 f.25 Freund, Strafrecht Allg. Teil, § 10 Rdn. 46 f., 66.26 Siehe pars pro tato Wessels/Beulke, Allg. Teil, § 15 Rdn. 659.

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nehmer gegen dasselbe Verbot verstoßen und dass nur ihr Handlungs-unrecht divergiert27. Aus diesem Umstand resultieren die Bedenken, dassnämlich der Bezugspunkt der Tatherrschaft: die Tat selbst verloren gehe.Tatherrschaft ist Herrschaft über die Tat, die somit schon aus rein logischenGründen vorab, nämlich unabhängig von den Voraussetzungen der Tatherr-schaft definiert sein muss. Da es keine Herrschaft des Täters über seineneigenen Vorsatz geben kann, ist die Tatherrschaft mithin nur als Herrschaftüber die Tat in ihrer objektiven Dimension vorstellbar. Die Tat in ihrer ob-jektiven Dimension ist aber bei den Erfolgsdelikten bloße Verursachung derRechtsgutsverletzung im Sinne der Äquivalenztheorie.

Da nach Auffassung der Vertreter der Tatherrschaftslehre sich die objek-tive Tatseite mit dem bloßen Ursachenzusammenhang der Äquivalenztheo-rie begnügt, die Beiträge von Tätern und Teilnehmern in ihrer Ursachen-eigenschaft gerade als gleichwertig – eben als äquivalent – eingestuft werden,so dass beispielsweise auch die Einwirkung auf den Willen eines anderendurch einen Anstiftungsakt Teil der Ursachenkette ist, verliert das spezifischtäterschaftliche Handlungsunrecht zwangsläufig seinen objektiven Tatbe-zug. So soll nur der unmittelbare Täter die Handlungsherrschaft über die Tatbesitzen, nicht aber der Teilnehmer. Doch auch der Teilnehmer handelt: Erruft beispielsweise den Tatentschluss des unmittelbaren Täters hervor. Dochwarum wird nur dem unmittelbaren Täter Handlungsherrschaft zugespro-chen, nicht aber dem Teilnehmer? Die Antwort ist einfach: Der unmittelbareTäter beherrscht die in die Rechtsgutsschädigung mündenden Folgen seinesTuns, weil diese in einem naturgesetzlich determinierten Geschehen beste-hen28. Anders die Sachlage beim Anstifter: Hier bestehen die Folgen unteranderem in einem (gegebenenfalls sogar voll zurechenbaren) willentlichenVerhalten einer anderen Person. Freilich: Setzt man wie die Tatherrschafts-lehre die Äquivalenztheorie voraus, dann dürfte dies eigentlich keinenUnterschied machen, gilt doch der Satz, dass jede Bedingung gleichwertigist. Hierin liegt eine der Inkonsistenzen der Tatherrschaftslehre: Das derTäterschaft zugeschriebene spezifische Handlungsunrecht revidiert die pos-tulierte Gleichwertigkeit von Täterschaft und Teilnahme auf der objektivenTatebene.

Somit leidet die Tatherrschaftslehre in ähnlicher Weise wie die subjektiveTheorie an einer Verlagerung von Unterschieden, die sich in der objektivenTatdefinition niederschlagen müssten, in den subjektiven Bereich: Die

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27 Bloy (Anm. 2), S. 252, 263; Plate, ZStW 84 (1972), S. 294, 300 f.28 Siehe schon Hoyer, in: SK, 7. Aufl. 2000, Vor § 25 Rdn. 12.

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Tatherrschaft wird gewissermaßen zu einer von der Tat losgelösten Eigen-schaft des Täters. Daraus resultiert die Gefahr, dass der Verlust des objek-tiven Bezugspunktes des Handlungsunrechts das nämliche Gesinnungs-unrecht begründet, das die Tatherrschaftslehre immer der subjektiven Lehrevorgeworfen hat. Denn warum sollte auch die Tatherrschaftslehre den Kon-sequenzen entgehen können, die sie der subjektiven Theorie stets als unver-meidliche Folge eben jener Äquivalenztheorie vorhält, die sie selbst als Basisihrer eigenen Theoriebildung heranzieht? Setzt man voraus, dass der Teil-nehmer bezüglich der Rechtsgutsschädigung dieselbe Vermeidemacht hatwie der Täter, könnte das spezifische Handlungsunrecht des Täters nur nochdarin liegen, dass dieser seiner Handlung aufgrund der objektiven Merkmaleder Beteiligungsform die positive Gewähr zuschreibt, den Eintritt des tatbe-standsmäßigen Erfolgs realisieren zu können. Der Täter wäre infolgedessenim Verhältnis zum Teilnehmer der gefährlichere Delinquent29. Ob diesesKonzept tragfähig ist, muss jedoch bezweifelt werden. Man könnte schon zubedenken geben, dass rein faktisch die positive Gewähr des Eintritts einerRechtsgutsschädigung in manchen Fällen der Teilnahme größer ist als beider mittelbaren Täterschaft. Überdies gibt die materielle Erklärung durchden Topos der Gefährlichkeit keine Antwort auf die Frage, warum nur beider Teilnahme das Verhalten des Vordermanns rechtswidrig sein muss, nichtaber bei der mittelbaren Täterschaft. An dieser Stelle müsste eine Beteili-gungslehre ansetzen.

Eine Lösung der aufgezeigten Problematik bietet jedoch eventuell dieobjektive Zurechnungslehre. Schon Gallas hat die Tatherrschaft als Ausflussdes Adäquanzprinzips aufgefasst30. Der Tatherr setzt also ein ganz bestimm-tes unerlaubtes Risiko für das betroffene Rechtsgut, das sich von dem desTeilnehmers unterscheidet. Es wurde aber schon an anderer Stelle ausführ-lich dargelegt, dass die objektive Zurechnungslehre keine in sich stimmigeTheorie darstellt. Entweder erreicht sie ihr Ziel einer Haftungsbegrenzungnicht oder der Begriff des unerlaubten Risikos wird selbstbezüglich defi-niert. Wenn man diese Konsequenzen vermeiden will, muss man zwischenden verschiedenen Bedingungen selbst unterscheiden. Dann aber gerät manin Widerspruch zur Prämisse der objektiven Zurechnungslehre, dass näm-lich alle Bedingungen entweder schon ontologisch in ihrer Kausaleigenschaft

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29 Vgl. dazu Schroeder, Der Täter hinter dem Täter, 1965, S. 202 ff.30 Gallas (Anm. 10), S. 90. Auf das Prinzip objektiver Zurechnung greifen unter anderem

Jakobs, GA 1997, 553, 558 ff., Derksen, GA 1993, 163, 176 und Lesch, ZStW 105 (1993),S. 271, 280 ff. zurück.

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ununterscheidbar oder aber zumindest normativ gleichwertig sind31. ImÜbrigen können angesichts der Geltung der Äquivalenztheorie die Risikennur durch die Höhe der Erfolgswahrscheinlichkeit individualisiert werden.Dass dieser Gesichtspunkt für die Abgrenzung von Täterschaft und Teil-nahme aber unerheblich ist, wurde soeben schon bemerkt. Die Aporien derobjektiven Zurechnungslehre sind Folge ihres Versuchs, den Zurechnungs-gegenstand durch Parameter des Zurechnungsgrundes zu begrenzen. DerTatherrschaftslehre, die mit dem Begriff der Herrschaft auf einer personalenZurechnungskategorie aufbaut, liegt letztlich derselbe Fehler zugrunde. Einrestriktiver Täterbegriff ist keine adäquate Antwort auf einen extensivenTatbegriff, wie er noch implizit in der Anerkennung der Äquivalenztheorieweiterlebt.

3. Zur Kohärenz des Begriffs materieller Tatbestandserfüllung

Klärungsbedarf besteht ferner hinsichtlich dessen, was Roxin unter dem Be-griff der materiellen Erfüllung des Tatbestandes versteht, der neben seineeigenhändige Erfüllung treten soll32. Entweder man verwirklicht einen Tat-bestand oder man verwirklicht ihn nicht. Entweder lässt sich das Verhaltendes Delinquenten den Tatbestandsmerkmalen subsumieren oder nicht. Es ist begrifflich schwer nachzuvollziehen, wie die Eigenhändigkeit eine Art undWeise der Tatbestandserfüllung bezeichnen kann. Möglicherweise meintRoxin, dass auch das Verhalten desjenigen, der die Tat nicht eigenhändig aus-führt, den Tatbestand erfüllt, sofern die Voraussetzungen der Tatherrschaftvorliegen. Die Behauptung, dass die Tatbestände des Besonderen Teils zu-gleich Umschreibungen der Zentralgestalt des deliktischen Geschehens dar-stellen, wäre dann so zu verstehen, dass gerade das tatherrschaftliche Han-deln Kriterium tatbestandlichen Handelns wäre. Schilling hat diese Schluss-folgerung gezogen: „Mit ihrem eigenen Tatherrschaft begründenden Beitragvollziehen der unmittelbare Alleintäter, der mittelbare Täter und der Mit-täter dieselbe Tatbestandshandlung“33. Die Handlungen der anderen Be-teiligten würden nur noch als bloße Kausalfaktoren in Erscheinung treten.

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31 Siehe schon ausführlich dazu V. Haas, Kausalität und Rechtsverletzung, 2002, S. 284 ff.;ders., in: Kaufmann/Renzikowski (Hrsg.), Zurechnung als Operationalisierung vonVerantwortung, 2004, S. 193 ff.

32 Roxin, in: LK, 11. Aufl. 2003, Vor § 25 Rdn. 12.33 Schilling, Der Verbrechensversuch des Mittäters und des mittelbaren Täters, 1975,

S. 111.

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Sie wären ein Stück des Kausalstrangs, welches das eigene Verhalten mit demfür alle Beteiligten übereinstimmenden Erfolg verbindet. Damit jedochwürden die mittelbare Täterschaft und die Mittäterschaft in eine Form derEinzeltäterschaft aufgelöst34. Setzt man voraus, dass der Tatbeitrag des ein-zelnen Mittäters nicht kausal sein muss für die Erfüllung der einzelnen Tat-bestandsmerkmale, läge die tatbestandliche Handlung in der Tatverabredungals solcher, genauer: in der Zusage eines eigenen Tatbeitrags. Diese Annahmeist allerdings logisch und gesetzessystematisch unhaltbar. Sie ist logisch un-haltbar, weil Gegenstand der Tatverabredung gerade die Tatausführung ist.Dann aber kann die Tatverabredung nicht schon Teil der Tatausführung sein.Die Annahme ist ferner gesetzessystematisch unhaltbar, weil das Gesetzrichtigerweise zwischen der versuchten Mittäterschaft gemäß § 30 Abs. 2StGB und dem Versuch in Mittäterschaft gemäß den §§ 22, 25 Abs. 2 StGBstrikt unterscheidet. Die Konsequenz wäre also ein extensiver Tatbegriff, derauch bloße Vorbereitungshandlungen umfassen würde35, und damit bei denverhaltensgebundenen Delikten schon rein sprachlich zum Scheitern verur-teilt wäre36.

Möglicherweise meint jedoch Roxin, dass nur im Modus der Eigenhän-digkeit – also bei der unmittelbaren Täterschaft – der Delinquent die Merk-male des Tatbestandes tatsächlich verwirklicht und dass er bei den anderenTäterschaftsformen aufgrund einer außerordentlichen Verhaltenszurechnunglediglich so behandelt wird, als habe er durch sein Verhalten den Tatbestandverwirklicht. Bei der Mittäterschaft lehnt Roxin jedoch ganz überwiegend –anders als andere Anhänger der Tatherrschaftslehre – eine wechselseitige Zu-rechnung der Tatbeiträge ab37. Diese Position ist in Anbetracht der Prämis-sen der Tatherrschaftslehre völlig konsequent: Denn Roxin lehnt die Zu-rechnungskonstruktion unter anderem mit dem Argument ab, dass es mitdem Tatherrschaftsprinzip nicht in Einklang zu bringen sei, den Mittäternicht für sein eigenes Tun, sondern als Täter für das, was ein anderer frei-willig aus (voller) eigener Verantwortung getan habe, zu bestrafen38. Die

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34 So ausdrücklich Schilling (Anm. 32), S. 109 ff.; zu Recht ablehnend daher Derksen, GA1993, 163, 166; Valdágua, ZStW 98 (1986), S. 839, 853.

35 Küper, Versuchsbeginn und Mittäterschaft, 1978, S. 61, im Hinblick auf die aus der Kon-zeption folgende Vordatierung der Versuchsstrafbarkeit; Derksen, GA 1993, 163, 166.

36 Küper (Anm. 34), S. 58 f.37 Roxin, Allg. Teil, Bd. II, § 25 Rdn. 257; Valdágua, ZStW 98 (1986), S. 839, 854; anderer

Auffassung Küper, JZ 1979, 775, 779; Bloy (Anm. 2), S. 266; Kühl, Allg. Teil, § 35 Rdn. 98 ff.

38 Roxin (Anm. 1), S. 276 f., 287, 290; ebenso Rudolphi (Anm. 2), S. 369, 373; Valdágua,ZStW 98 (1986), S. 839, 860; Derksen, GA 1993, 163, 165, 167.

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Zurechnungslösung wird also aus jenen Gründen abgelehnt, aus denen sichdie Qualifizierung der Anstiftung als bloße Teilnahmeform ergeben soll.

4. Die Aporien einer mittäterschaftlichen Haftung ohne Verhaltenszurechnung

Aufgrund dieser Sachlage ergibt sich die weitere Frage, ob es überhauptdenkbar ist, eine mittäterschaftliche Haftung ohne Zurechnung der Tatbei-träge der anderen Mittäter zu konstruieren. Roxin erklärt die Mittäterschaftdurch die positive und vor allem durch die negative funktionelle Tatherr-schaft39. Die positive funktionelle Tatherrschaft, der sich insbesondere Ru-dolphi gewidmet hat, bezeichnet dabei die Fähigkeit des Mittäters, durch dasLeisten seines Tatbeitrags die maßgebliche Entscheidung über das Ob derTatbestandsverwirklichung zu treffen. Klärungsbedürftig ist jedoch, wie diesmöglich sein soll, wenn jeder der Mittäter doch nur seinen eigenen Tatbei-trag beherrscht, so dass auch die positive funktionelle Tatherrschaft auf deneigenen Tatbeitrag begrenzt ist. Die umgekehrte These stünde vor dem Pro-blem, warum nicht auch der Anstifter die positive Tatherrschaft über dasVerhalten des Haupttäters innehaben soll.

Rudolphi will das Problem lösen, indem er fordert, dass Mittäter nur der-jenige sein könne, der in persona einen Teil des Tatbestandes erfülle. DieseForderung eröffnet ihm die Option, die positive funktionelle Tatherrschaftdarauf zu stützen, dass der Tatbeteiligte, der selbst ein Tatbestandsmerkmalverwirklicht, aufgrund der durch den Gesetzgeber normierten Unrechtsein-heit zwischen den verschiedenen Unrechtsmomenten mit der Entscheidungüber die eigene Handlung zugleich darüber mitentscheidet, ob die Tat in ihrerGanzheit realisiert wird oder nicht. Zur Veranschaulichung ein ganz ein-facher Beispielsfall: Aufgrund eines gemeinsamen Tatplans erschießt A ver-einbarungsgemäß den Kassierer einer Bank, während B anschließend dieKasse ausräumt. Rudolphi zufolge haben A und B mittäterschaftlich einenRaub begangen. Bezüglich des von A begangenen Mordes lehnt Rudolphihingegen eine Mittäterschaft ab: Das den Tatbestand des § 211 StGB verwirk-lichende Geschehen habe ausschließlich der Beteiligte A beherrscht, die tat-bestandliche Klammer des Raubtatbestandes, die die Geschehensabschnitteder Gewaltausübung und der Wegnahme zu einer Einheit zusammenfasse

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39 Roxin (Anm. 1), S. 276 ff., 287, 294, 311; ders., in: LK, 11. Aufl., 2003, § 25 Rdn. 154;Gropp, Allg. Teil, § 10 Rdn. 81; Kühl, Allg. Teil, § 20 Rdn. 99; Rudolphi (Anm. 2), S. 369, 373 f., 383; Zieschang, ZStW 107 (1995), S. 361, 373.

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und die damit die Herrschaft über einen Geschehensabschnitt als Mitherr-schaft über das tatbestandliche Gesamtgeschehen erscheinen lasse, sei für denStraftatbestand des § 211 StGB ohne Relevanz40.

Die Falllösung von Rudolphi widerspricht zunächst dem Judiz. Warum Bfür den Schuss des A bezogen auf den Raubtatbestand verantwortlich seinsoll, nicht jedoch bezogen auf den Mordtatbestand, ist nicht einzusehen. DieArgumentation läuft auf eine petitio principii hinaus: Zwar erfüllen dieBeiträge der mitwirkenden Personen A und B zusammen sämtliche Tat-bestandsmerkmale, gleichwohl bedarf es einer Erklärung, warum der Tat-bestand überhaupt verwirklicht worden ist. Tatbestandsverwirklichungmeint zunächst immer: Erfüllung sämtlicher Tatbestandsmerkmale durcheine einzige Person. Folglich hätte B in dem dargestellten Fall durch die Be-gründung des Gewahrsams an dem Geld nur dann zugleich die maßgeblicheEntscheidung über das Ob der Erfüllung des Tatbestandes „Raub“ ausgeübt,wenn er auch für die Tötung durch A verantwortlich gemacht werdenkönnte. Nur dann läge tatsächlich ein vollständig verwirklichter Tatbestandvor und hätte der Einzelne durch die Herrschaft über seine eigene Handlungzugleich eine Mitherrschaft über die Verwirklichung des Tatbestandes alsGanzes. Die Erklärung von Rudolphi setzt also das Zu-Erklärende – die Tat-bestandserfüllung aufgrund der Verantwortlichkeit des einen Tatbeteiligtenfür die Mitwirkungsakte der anderen Tatbeteiligten – schon voraus41.

Zu Recht wird daher, da die positive funktionelle Tatherrschaft bei richti-ger Analyse immer auf den eigenen Tatbeitrag begrenzt ist, diese von einemTeil der Anhänger der Tatherrschaftslehre abgelehnt und die Mittäterschaftausschließlich auf die negative funktionelle Tatherrschaft gestützt42. Diesesoll darin liegen, dass der Mittäter durch das Verweigern seines Arbeitsan-teils den Deliktsplan zum Scheitern lassen bringen kann43. Doch ist dies einplausibler Erklärungsgrund? Betrachten wir noch einmal den geschildertenBeispielsfall. Gewiss kann A durch das Nichterschießen des Kassierers Bdaran hindern, das Geld einzustecken. Umgekehrt kann B jedoch durchseine Weigerung, das Geld einzustecken, nicht mehr das Erschießen des Kas-sierers seitens A unterbinden. Würde man nun auf die Notwendigkeit desTatbeitrags für die Erfüllung des Tatbestandes insgesamt abstellen, würde

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40 Rudolphi (Anm. 2), S. 369, 383.41 Vgl. schon Hoyer, in: SK, 7. Aufl. 2000, § 25 Rdn. 116.42 Küper, JZ 1979, 775, 786; Valdágua, ZStW 98 (1986), S. 839, 862; Ingelfinger, JZ 1995,

704, 709 f.43 Roxin, Allg. Teil, Bd. II, § 25 Rdn. 188.

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dem Kriterium jene petitio principii zur Last fallen, die soeben der positivenfunktionellen Tatherrschaft vorgehalten wurde44. Entgehen könnte dasTheorem dieser Aporie allerdings dann, wenn man nicht ex-post auf dieNotwendigkeit des Tatbeitrags für die Vollendung des gesamten Tat-bestandes abstellen würde, sondern die kausale Relevanz ex-ante aus derTatplanperspektive der Beteiligten bestimmen würde45. Eine negative funk-tionelle Tatherrschaft würde dem einzelnen Tatgenossen also dadurchzukommen, dass die anderen Tatgenossen die Erbringung ihrer Tatbeiträgevon seiner Bereitschaft abhängig machen, seinen aus ihrer Sicht unverzicht-baren Tatbeitrag zu leisten. Ob dies der Fall ist, soll nach Ansicht von Roxinnicht durch eine rückschauend-psychologische Betrachtung festgestellt wer-den. Es bedürfe vielmehr der Erfassung der objektiven Bedeutung dieserFunktion durch einen Akt sinnhaften Verstehens. Mittäter sei demnachderjenige, dessen Tatbeitrag von wesentlicher Bedeutung sei46. Wann derTatbeitrag in diesem Sinne als wesentlich anzuerkennen ist, bleibt einer ein-zelfallbezogenen dezisionistischen Wertung überlassen.

Ob das so definierte Kriterium für die Begründung der mittäterschaft-lichen Haftung tragfähig ist, ist allerdings fraglich. Inkonsequent scheintschon, dass Roxin die negative funktionelle Tatherrschaft auf Tatbeiträge imAusführungsstadium der Tat begrenzt, auch wenn diese nicht notwendig einTatbestandsmerkmal erfüllen müssen47. Die Zusage eines Beteiligten, imVorbereitungsstadium der Tat eine unverzichtbare Unterstützung zu leisten– wie beispielsweise das Besorgen von Tatwerkzeugen vor Versuchsbeginnder Tat – kann jedoch im Hinblick auf die Tatbereitschaft der anderen die-selbe Wirkung zeitigen wie die Zusage einer Mitwirkung im Ausführungssta-dium der Tat48. Die Replik von Roxin, dass die Wirkung des Tatbeitrags, aufdie seine Kritiker abstellen würden, für jede Art von Teilnahme kennzeich-nend sei49, ist zwar durchaus schlüssig, beweist jedoch die grundsätzlicheFragwürdigkeit der negativen funktionellen Tatherrschaft insgesamt: Sie ver-mag nicht, Beihilfe von Mittäterschaft qualitativ zu unterscheiden. Denn die Bedeutung von Tatbeiträgen, die nicht selbst ein Tatbestandsmerkmal er-füllen, erschöpft sich grundsätzlich in einer bloßen Beihilfe- oder Anstif-

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44 Vgl. Hoyer, in: SK, 7. Aufl. 2000, § 25 Rdn. 115.45 So beispielsweise Küper, JZ 1979, 775, 786.46 Roxin (Anm. 1), S. 284.47 Roxin, in: LK, 11. Aufl. 2003, § 25 Rdn. 179 ff.48 So auch Seelmann, JuS 1980, 571, 573.49 Roxin, in: LK, 11. Aufl. 2003, § 25 Rdn. 181, 184.

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tungsfunktion50. Es bliebe daher nur noch der Ausweg, eine quantitativeDifferenz zwischen Mittäterschaft und Teilnahme anzunehmen. So hat Küperdie These vertreten, dass es sich bei der Mittäterschaft um eine Sonderformakzessorischer Teilnahme an „fremder“ Tat handele. Allein das Gewicht deseigenen Tatbeitrags innerhalb des Ganzen legitimiere den Gesetzgeber, denTatgenossen nicht nur als Teilnehmer in Anspruch zu nehmen51. Doch auchdieser Ausweg scheint verschlossen: Denn bedenkt man, dass es ausschließ-lich um die täterschaftliche Verantwortlichkeit für jenen Tatbeitrag geht, dender betreffende Beteiligte gerade nicht erfüllt hat, ist nicht ersichtlich, wieallein das Ausmaß der sonstigen Beteiligung Teilnahme- in Täterhaftung zutransformieren vermag. Es ist somit festzustellen, dass die volle Verantwort-lichkeit des Vordermanns keinen prinzipiellen Grund darstellen kann, derdie Täterschaft des Hintermanns zwingend ausschließt, sofern man wie dasGesetz in § 25 Abs. 2 StGB voraussetzt, dass Mittäterschaft täterschaftlicheHaftung und nicht bloße Teilnehmerhaftung begründet.

III. Konsequenzen der vorgetragenen Einwände

1. Die Mittäterschaft als wechselseitige mittelbare Täterschaft

Welche Konsequenzen sind aus der soeben dargelegten Analyse zu ziehen?Es muss zunächst anerkannt werden, dass Mittäterschaft sich nur als wech-selseitige Repräsentation erklären lässt52. Die Repräsentation erklärt sich da-raus, dass jeder der Mittäter ein eigenes und zugleich ein fremdes Geschäftbesorgt. Jeder der Mittäter handelt nicht nur für sich selbst, sondern ebensofür seine Tatgenossen, indem er sich wie ein Stellvertreter ihrem Willen unter-ordnet und sich ihnen dienstbar macht53. Für die Willensunterordnung desTatgenossen müssen die anderen Beteiligten aufgrund eigenen Verhaltens ver-antwortlich gemacht werden können. Die Zurechenbarkeit der stellver-tretenden Geschäftsbesorgung wird durch den gemeinschaftlichen Tatent-schluss gewährleistet, durch den sich die Mittäter wechselseitig das Mandat

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50 Kindhäuser (Anm. 24), S. 627, 632; ebenso Valdágua, ZStW 98 (1986), S. 839, 862 ff.,871 f., die deshalb auf die negative Tatherrschaft bezüglich der Tatvollendung als sol-cher abstellt und sich damit des im Text nachgewiesenen Zirkels schuldig macht.

51 Küper (Anm. 34), S. 60 f.; siehe auch Vogel, ZStW 14 (2002), S. 403, 414.52 Siehe Kindhäuser (Anm. 24), S. 627, 645 ff.53 Ähnlich auch im Ansatz Puppe, Festschrift für Spinellis, Bd. 1 2001, S. 915 ff., die Mit-

täterschaft als wechselseitige Anstiftung deutet, aber keinen Grund benennt, woraussich die Metamorphose von wechselseitiger Teilnahme zu Täterschaft erklärt.

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geben, ihren Tatbeitrag jeweils auch im fremden Namen zu leisten. Der Um-stand, dass der einzelne Mittäter für sich und für seine Komplizen handelt,stellt deswegen kein Problem dar, weil es lediglich unmöglich ist, gleichzeitigzwei voneinander unabhängigen Herren zu dienen. Die ausdrückliche oderkonkludente Tatverabredung aber stiftet hinreichende Gemeinsamkeit.

Diese an sich ganz einfache Erklärung der Mittäterschaft ist bekanntlichalles andere als neu54. Dass sie gegenwärtig nicht akzeptiert wird, scheint anzwei Einwänden zu liegen. Der erste Einwand: Bei dieser Erklärung derMittäterschaft verliert der eigene Tatanteil seine konstitutive Funktion. Derzweite Einwand: Bei einer einseitigen Mandatserteilung wird der Mandantoffenbar nach geltendem Recht als Anstifter eingestuft – nicht als mittelbarerTäter. Wie aber kann aus Teilnahme im Falle einer wechselseitigen Mandats-erteilung Täterschaft werden? Was den ersten Einwand anbetrifft, so habendie Bedenken wahrscheinlich historische Ursachen. Die Mittäterschaftslehrehat sich aus der Lehre vom Komplott entwickelt. Ihre Grundlage bildete § 148 Satz 1 der Peinlichen Gerichtsordnung: „Item so etlich personen mitfürgesetztem und vereynigtem Willen und Mut jemandt bößlich zu ermor-den eynander hilff und beistandt thun, die selben Thätter alle haben das Le-ben verwirkt“. Carpzov kommentierte, dass die Anwesenden schon durchihre Anwesenheit eine Ursache für den Tod des Opfers setzen, weil nämlichalle dadurch den Totschläger mutiger und das Opfer schwächer machen undso Beistand und Hilfe leisten55. Die Erklärung des Komplotts durch StübelAnfang des 19. Jahrhunderts griff möglicherweise darauf zurück. Die Voraus-setzung einer Vereinigung sei, „dass einer ohne das gemeinschaftliche Inter-esse und die Mitwirkung des anderen zur Unternehmung eines Verbrechensnicht hinlänglich Muth gehabt, und ohne dessen Concurrenz die wirklicheVollbringung desselben bloß nicht gewagt haben würde“. Die Bestimmungder Mitverschworenen geschehe dabei hauptsächlich durch die Erwartungeines jeden möglichen Beistandes56. Die Täterschaft beziehungsweise Ur-heberschaft der Mitwirkenden wurde also vor allem auf das Merkmal des

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54 RGSt. 58, 279; 66, 236, 240; H. Schröder, JR 1958, 427 f.; Baumann, JuS 1963, 85, 87;Buser, Zurechnungsfragen beim mittäterschaftlichen Versuch, 1998, S. 30 ff.; Kindhäu-ser (Anm. 24), S. 627, 645 ff.; V. Haas (Anm. 30), S. 134.

55 Carpzov, Practica nova imperialis Saxonica rerum criminalium in partes III, 1635,Questio XXV, 12.

56 Stübel, Ueber den Thatbestand der Verbrechen, die Urheber derselben und die zueinem verdammenden Endurtheile erforderliche Gewissheit des erstern, besonders inRücksicht der Tödtung, und nach gemeinen in Deutschland geltenden und Chursäch-sischen Rechten, 1805, § 61, S. 74 f.; § 62, S. 75 f.; § 64, S. 78.

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vereinigten Mutes gestützt. Dies war Anfang des 19. Jahrhunderts wohl dieherrschende Meinung57.

Die geforderte Mitwirkung des Komplottanten mindestens in Form derAnwesenheit am Tatort war zugleich Grund dafür, dass die societas delin-quendi als besonders gefährliche und strafwürdige Verbrechensform einge-stuft wurde. So beruht Schirach zufolge die besondere Gefährlichkeit undStrafwürdigkeit des Komplotts darauf, dass die Zusage der versprochenenMitwirkung eine besondere Kühnheit erzeugt und dass das Verbrechendurch die Gemeinschaftlichkeit einen besonderen Grad von Heftigkeit, Ge-walt und oft auch Grausamkeit erhält, indem es die Genossen weiter reißt,als jeder Einzelne für sich gehandelt haben würde. Bei Anton Bauer kommtdabei die Verknüpfung dieses besonderen Zurechnungsgegenstandes – näm-lich einer besonders gefährlichen Begehungsweise – mit dem Zurechnungs-grund durch die herrschende Lehre deutlich zum Ausdruck. Er stützte diebesondere Gefährlichkeit des Komplotts auf den Umstand, „daß man sichgegen die vereinigte Kraft Mehrerer nicht so leicht zu schützen vermag, inRücksicht der einzelnen Teilnehmer aber darin, dass jeder derselben wegendes Vertrauens der übrigen auf seine Mitwirkung, deren Entschluß zur Thatbestimmt, mithin als intellektueller Urheber anzusehen ist“58.

Später erkannte man jedoch, dass das Versprechen gegenseitiger Unter-stützung am Tatort nicht stets der Grund für den gemeinsamen Tatent-schluss war. So argumentierte Stübel unter anderem, es könne sein, dassmehr Teilnehmer „an einem Verbrechen“ kämen, als nötig seien. Man könnedann nicht sagen, dass alle Verbündeten auf den Beistand der Mitverbünde-ten rechnen würden. Im Übrigen liege in der Einflößung von Mut nur eineHilfeleistung. Abegg gab zu bedenken, dass die Rechnung auf gegenseitigeUnterstützung lediglich den Mut des Teilnehmers bestärken könne. AuchAnton Bauer gab seine ursprüngliche Position auf: Das Vertrauen in die Mit-

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57 Siehe Stübel, Ueber die Theilnahme mehrerer Personen an einem Verbrechen, 1828, §§ 3 ff., S. 3 ff.; § 25, S. 35; siehe zum Beispiel Feuerbach, Lehrbuch des gemeinen inDeutschland gültigen peinlichen Rechts, 4. Aufl. 1808, § 46a, S. 47; § 46b, S. 48 f.: „Dahier der Entschluss jeden einzelnen bestimmt wird durch die vertragsgemäße Erwar-tung des Beistandes und der Mitwirkung aller übrigen, so ist jeder Mitverbündete, inAnsehung dessen die Erwartung der übrigen bis zu vollendeten Tat fortdauerte, als in-tellektueller Urheber des vollendeten Verbrechens zu betrachten, […]“. Jedes Mitgliedder Gesellschaft sei somit aus diesem Grunde Bestimmender und Bestimmter zugleich.

58 Schirach, Neues Archiv des Criminalrechts, 1817, 516, 521 ff.; Anton Bauer, Anmer-kungen zu dem Entwurfe eines Strafgesetzbuchs für das Königreich Hannover, 1. Teil,1828, S. 481.

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wirkung der übrigen Teilnehmer bestärke zwar den Entschluss, erzeuge ihnaber nicht59. Es setzte sich daher zunächst zunehmend die Auffassungdurch, dass es sich bei der Mittäterschaft um ein wechselseitiges Mandathandelt60. Dabei erkannten insbesondere Berner und später auch Binding,dass die eigene Mitwirkung für die Zurechnung der Handlungen des Ver-bündeten ohne Belang ist61. So wurde im Preußischen Gesetzbuch von 1851das Komplott in den Besonderen Teil verlagert – so zum Beispiel in den Tat-beständen der Zusammenrottung (§§ 91, 214, 284) und im Tatbestand derGefangenenmeuterei (§ 96). Bei bandenmäßiger Begehung wurde das Zu-sammenwirken bei einem Diebstahl (§ 218 Nr. 8) und bei einem Raub (§ 232Nr. 2) strafschärfend berücksichtigt. Das Reichsstrafgesetzbuch hat in dieserNeuordnung trotz der Vorschrift des § 47 RStGB nichts geändert.

2. Das Mandat als mittelbare Täterschaft

Kommen wir nun zum zweiten Einwand: Wie ist es möglich, dass daswechselseitige Mandat bei der Mittäterschaft Täterschaft begründet – daseinseitige Mandat jedoch nur Anstiftung und damit bloße Teilnahme? DieAntwortet lautet, dass das mandatum als Form mittelbarer Täterschaft wie-der anerkannt werden muss. Schon Carpzov formulierte in Übernahme derDoktrin der italienischen Praktiker des Spätmittelalters im Hinblick auf dasmandatum: „Es ist gleich, ob jemand mit eigenen Händen jemanden tötetoder dieses durch eine Person mit deren Hilfe und Tun bewirkt. Auf beideArten tötet der Täter und wird zum Totschläger“62. Und weiter heißt es:„Nämlich wer etwas durch einen anderen tut, wird so behandelt, als hätte eres selbst getan“63. Der Mandant soll deshalb nach Ansicht von Carpzov

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59 Stübel (Anm. 55), § 24, S. 33 ff.; § 25, S. 35 ff.; Abegg, Lehrbuch der Strafrechtswissen-schaft, 1836, § 72, S. 115; Anton Bauer, Lehrbuch des Strafrechts, 1833, § 77, S. 119, Fn. c.

60 So zum Beispiel Berner, Die Lehre von der Theilnahme am Verbrechen und die neuerenControversen über Dolus und Culpa, 1847, S. 440 ff.; mit Modifikationen Hälschner,Das preußische Strafrecht, Teil 2, 1858, Neudruck 1875, § 94, S. 384 ff.; Langenbeck,Die Lehre von der Theilnahme am Verbrechen, § 90, S. 250; siehe im 18. Jahrhundertschon Christian Friedrich Meister, Rechtliche Erkenntnisse und Gutachten in peinli-chen Fällen, 1771, 3. Teil, Decisio 71, Nr. 33 f.

61 Berner (Anm. 59), S. 467; Binding, GS 71 (1908), S. 1, 3; ders., in: Strafrechtliche undstrafprozessuale Abhandlungen, 1. Bd. 1915, S. 297 ff.

62 Carpzov (Anm. 54), Questio 4, 1: „Parum refert, an quis prorpiis manibus aliquem oc-cidat, an vero per intermediam personam eiusque auxilio § ope hoc efficiat, quum un-terque occidat, Reusque fiat homicidii.“

63 Carpzov (Anm. 54), Questio IX, 4. „Nam quis per alium facit, per se ipsum facere cen-setur.“

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hauptsächlich aus dem Delikt selbst (ex ipso delicto) wegen seiner Mandats-erteilung, nicht aber aus der Mandatserteilung haften64. Carpzov unterschieddabei genau das mandatum vom consilium, dem bloßen Anraten der Delikts-begehung, „weil bei diesem alles auf den Nutzen des Consultierenden, nichtdes Consultierten ausgerichtet ist, wogegen ein Mandat auf den Nutzen desMandanten hinzielt. […]. Also ist Beauftragen mehr als Raten“65. Eine ähn-liche Formulierung findet sich später bei Pufendorf: „Was jemand durcheinen anderen tut, als dessen Urheber wird er selbst betrachtet“. Im Folgesatzgab Pufendorf auch den Grund der Haftung an und schloss dabei den Befehlausdrücklich ein: die Autorisierung des anderen, im eigenen Namen zu han-deln, begründet die außerordentliche Verhaltenszurechnung66.

Ein etwas anderes Bild bietet sich dann – wir machen jetzt einen großenSprung – ab Beginn des 19. Jahrhunderts: Unterschieden wurde allgemeingemäß der Terminologie von Feuerbach der physische beziehungsweiseunmittelbare vom intellektuellen oder mittelbaren Urheber. Als mittelbarer,intellektueller Urheber wurde derjenige definiert, der einen anderen zur Be-gehung eines Verbrechens unter anderem durch Auftrag, Befehl, Drohung,Irrtumserregung sowie durch Rat bestimmt. Der intellektuelle, mittelbareUrheber wurde auch Anstifter genannt. Der unmittelbare Urheber soll einephysische Ursache, der mittelbare Urheber eine moralische Ursache set-zen67. Die Frage ist, wieso das mandatum und das consilium nunmehrgleichgestellt wurden. In der damaligen Literatur findet sich die Begrün-dung, dass der Rat Ursache des Tatentschlusses ist68. Man begriff also denintellektuellen Urheber als echten Verursacher der Rechtsgutsschädigung69

und ebnete damit dem extensiven Täterbegriff den Weg. Die Anstiftung

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64 Carpzov (Anm. 54), Questio IX, 13.65 Carpzov (Anm. 54), Questio IV, 3: „In quo differet a consilio, quod totum tendit in uti-

litatem consultantis, non consulentis, cum contra mandatum tendat totum in utilitatemmandantis […] plus est mandare quam consulere.“

66 Pufendorf, De iure naturae et gentium, 2. Edition, 1684, Liber I, Cap V, § 14: „Quodquis per alium, facit, ejus autor ipse censetur.“

67 Kleinschrod, Systematische Entwicklung der Grundbegriffe und Grundwahrheiten despeinlichen Rechts nach der Natur der Sache und der positiven Gesetzgebung, ErsterTheil, 1805, § 177, S. 324; ebenso schon Böhmer, Meditationes in constitutionem crimi-nalem Carolinam, 1774, Art. 148, § 1; Art. 177, § 2.

68 Vgl. nur Tittmann, Handbuch der Strafrechtswissenschaft und der deutschen Straf-gesetzkunde, Bd. 1, § 108, S. 217: Ratgeber als Urheber, sofern Rat Ursache des Ent-schlusses.

69 Siehe Roßhirt, Lehrbuch des Criminalrechts nach den Quellen des gemeinen deutschenRechts und mit besonderer Darstellung des römischen Criminalrechts, 1821, § 30, S. 62,der den intellektuellen Urheber auch Ursacher nannte.

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wurde offenbar von einem Teil der Literatur nicht als Rechtsfigur aufgefasst.Es verwundert daher nicht, dass teilweise schon ein Verbrechensversuch mitEinwirken des intellektuellen Urhebers auf den Anzustiftenden befürwortetwurde70. Wo die Grenze zwischen dem physischen Urheber und dem intel-lektuellen Urheber liegt, war umstritten. Die wohl herrschende Lehre stellteauf die Zurechnung der Tat gegenüber dem Vordermann ab71 während bei-spielsweise Oersted erst bei mechanischem Zwang das Umschlagen derintellektuellen Urheberschaft in physische Urheberschaft befürwortete72.

Köstlin und mit ihm die anderen Hegelianer lehnten indes die Vorstel-lung, dass der intellektuelle Urheber den Tatentschluss des Angestiftetenverursacht, ab. Von einem Kausalverhältnis könne in der Sphäre der Freiheitnicht die Rede sein. Köstlin fasste daher die Anstiftung wiederum als Rechts-figur auf: Der Anstifter sei so zu behandeln, als ob die Handlungen des phy-sischen Urhebers von ihm selbst ausgegangen seien. Seine Auffassung, dassder Handelnde den Anstifter repräsentiert, stand jedoch in Widerspruchdazu, dass er auch den Rat als Anstiftungsmittel anerkannte, sofern diesermit dem animus der Erzeugung, nicht der bloßen Unterstützung des Ver-brechens geäußert wird73. Konsequenter war insoweit Berner, der eine in-tellektuelle Urheberschaft durch Rat nicht für möglich hielt74. Die Formu-lierung von Kleinschrod, der nicht zu den Hegelianern gehörte, dass voneiner geringeren Zurechnung des Ratgebers auszugehen sei, weil bei einemRat der andere im eigenen Namen handele75, benannte den entscheidendenGesichtspunkt am deutlichsten. Bei einer Unzurechnungsfähigkeit desVordermanns soll nach Meinung von Köstlin nur eine scheinbare Anstiftungvorliegen, mithin physische Urheberschaft76. Berner nahm hingegen beiDrohung oder vis compulsiva intellektuelle Urheberschaft, bei Zwang odervis absoluta unmittelbare Urheberschaft an. Bei der Erregung zurechnungs-ausschließender Irrtümer soll eine unmittelbare Urheberschaft gegeben sein,

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70 Heffer, Lehrbuch des gemeinen deutschen Strafrechts mit Rücksicht auf ältere undneuere Landesrechte, 5. Aufl. 1854, S. 72 ff.; Schröter, Handbuch des peinlichen Rechts,1. Bd. 1818, § 128, S. 165 ff.

71 Geib, Lehrbuch des Deutschen Strafrechts, 2. Bd. 1862, § 106, S. 342 ff.72 Oersted, Abhandlungen aus dem Gebiete der Moral und Gesetzgebungs-Philosophie

1. Bd. 1818, S. 182 ff.73 Köstlin, Neue Revision der Grundbegriffe des Criminalrechts, 1845, Neudruck 1970,

S. 513 ff.; ders., System des deutschen Strafrechts. Erste Abteilung. Allgemeiner Teil,1855, S. 311 f.

74 Berner (Anm. 59), S. 285 f., 320.75 Kleinschrod (Anm 66), § 192, S. 349.76 Köstlin (Anm. 72), S. 510.

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die Berner aber nicht als physische Urheberschaft bezeichnen wollte77. Ob-wohl die Hegelianer wie Köstlin und Berner die Anstiftung als Teilnahmekategorisierten, stuften sie ausdrücklich nur die Beihilfe als akzessorischeBeteiligungsform ein78.

Das Preußische Strafgesetzbuch von 1851, das sich an den französischeCode pénal von 1810 anlehnte, der in den Art. 50 ff. den Begriff des „au-teurs“ im formal-objektiven Sinne auf den die tatbestandliche Ausführungs-handlung vollziehenden Beteiligten eingrenzte, wird als Hinwendung zurAnstiftung als akzessorischer Beteiligungsform gedeutet79, wenngleich inder Kommentarliteratur der Anstifter weiterhin als intellektueller Urheberbezeichnet wurde80. Im Reichsstrafgesetzbuch wurde dann 1871 gemäß § 48derjenige als Anstifter bestraft, der einen anderen zu der von demselben be-gangenen strafbaren Handlung durch Geschenke oder Versprechen, durchDrohung, durch Missbrauch des Ansehens oder Gewalt, durch absichtlicheHerbeiführung oder Beförderung eines Irrtums oder durch andere Mittelvorsätzlich bestimmt hat. Die Strafe richtete sich nach derjenigen desHaupttäters. Angesichts des Erfordernisses einer strafbaren Haupttat wurdevon der Rechtsprechung des Reichsgerichts nunmehr eine Figur der mittel-baren Täterschaft entwickelt und auf Fälle angewendet – wie zum Beispielbeim Einsatz unzurechnungsfähiger Werkzeuge –, die zuvor von einem Teilder Lehre vor Inkrafttreten des Reichsstrafgesetzbuches als unmittelbarephysische Urheberschaft eingestuft worden waren81. Die Anstiftung hinge-gen wurde einige Zeit nach Inkrafttreten des Reichsstrafgesetzbuchs von derganz herrschenden Meinung nunmehr als akzessorisch verstanden82 – dies,obwohl in den Motiven zum gleichlautenden Strafgesetzbuch für den Nord-deutschen Bund noch behauptet worden war, dass die Tat des Angestiftetendie Tat des Anstifters selbst sei83. Und obwohl nach Auffassung eines Teilsder damaligen Literatur der Gesetzgeber in § 48 RStG der Äquivalenz-

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77 Berner (Anm. 59), S. 283 ff.78 Köstlin (Anm. 72), S. 282; Berner (Anm. 59), S. 219.79 Siehe jüngst wieder Maiwald, Festschrift für Schroeder, 2006, S. 283, 294.80 Beseler, Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten und das Ein-

führungsgesetz vom 14. April 1851, 1851, S. 154 ff.81 Nachweise bei Olshausen, Kommentar zum Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich,

10. Aufl. 1916, Vor §§ 47 ff. Rdn. 5.82 Pars prot toto Liszt, Lehrbuch des Deutschen Strafrechts, 17. Aufl. 1908, § 49, S. 213 ff.83 Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Reichstages des Norddeutschen

Bundes, Bd. 12, I. Legislaturperiode – Sektion 1870, 3. Bd.; Anlagen zu den Verhand-lungen des Reichstages Nr. 1–72; Motive zum Strafgesetzbuch für den NorddeutschenBund, 1870, S. 26, 54.

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theorie eine Absage erteilt hatte84, wurde dieser Vorschrift das Hervorrufendes Tatentschlusses durch Rat (consilium) und Auftrag (mandatum) glei-chermaßen subsumiert, obwohl sich diese Gleichstellung gerade diesem wei-ten Kausalitätsbegriff verdankt hatte. Ein neuer Rechtsgrund, der die posi-tiv-rechtliche Akzessorietät der Anstiftung im Sinne des Mandats genetischhätte begründen können, wurde niemals formuliert.

Wie oben schon ausgeführt, wird hier die Auffassung vertreten, dass manden Auftrag (mandatum), aber auch den Befehl (iussum) – also Fälle, in de-nen der „Angestiftete“ den „Anstifter“ repräsentiert – wieder als mittelbareTäterschaft kategorisieren sollte. Der Wortlaut des § 25 Abs. 1 2. Var. StGBließe für diese Neujustierung Raum. In der Begründung des Entwurfs von1962, auf den sich der Sonderausschuss für die Strafrechtsreform ohne Kom-mentar bezog, heißt es dazu, dass die Beurteilung des vollverantwortlichenTatmittlers noch der Klärung durch die Wissenschaft bedürfe und derRechtsentwicklung insoweit nicht vorgegriffen werden solle85. Dies bedeu-tet keineswegs eine Wiederkehr der subjektiven Theorie in der Gestalt, diesie durch von Buri erhalten hat. Wir müssen vielmehr wieder zwischen Ur-sache und Bedingung unterscheiden, ähnlich wie es ein Teil der Lehre im19. Jahrhundert getan hat86. Bei den Erfolgsdelikten wirkt nur der unmittel-bare Täter durch ein naturgesetzlich determiniertes Geschehen auf die be-troffene Rechtssphäre ein und verursacht dadurch den tatbestandsmäßigenErfolg – nicht der mittelbare Täter oder der Teilnehmer. Ebenso wie nur derunmittelbare Täter bei § 185 StGB die Beleidigung äußert oder bei § 242StGB die Sache wegnimmt. Die Differenzierung zwischen Ursache und Be-dingung findet nach hier vertretener Auffassung ihre Rechtfertigung darin,dass die Rechtsmacht der verletzten strafrechtlich geschützten Rechtsposi-tion nicht ausreichend ist, dem Delinquenten das Setzen jedweder Bedin-gung zu verbieten, sondern nur von Ursachen im gerade definierten Sinne.Nur ein Beteiligter, dessen Verhalten diese Eigenschaft aufweist, ist Störer,indem er das tatbestandliche Recht als Recht verletzt (vgl. § 903 BGB)87.

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84 von Buri, Ueber Causalität und deren Verantwortung, 1873, S. 66 ff., 130 ff.; Wachen-feld, Lehrbuch des deutschen Strafrechts, 1914, S. 87.

85 BT-Drucks. V/4095 S. 12; IV/650.86 Siehe schon Hruschka, ZStW 110 (1998), S. 581, 588 ff., der ebenfalls zwischen einem

starken und schwachen Ursachenbegriff unterscheidet, ohne diese Unterscheidungallerdings auf das hier vertretene normative Modell zu stützen.

87 Zum Begriff der Rechtsverletzung und der daraus resultierenden Notwendigkeitzwischen Ursachen und Bedingungen zu unterscheiden ausführlich V. Haas (Anm. 30),S. 98 ff., 185 ff.

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Selbst der Hintermann, der das Verhalten des in einem Zurechnungsdefekthandelnden Vordermanns auslöst, usurpiert dadurch faktisch noch nicht diefremde betroffene Rechtssphäre. Zwischen den Voraussetzungen der Rechts-anmaßung und den Voraussetzungen hinreichender Entscheidungsfreiheitfür die personale Zurechnung im Rahmen strafrechtlicher Haftung mussstrikt differenziert werden.

Gerade weil nun der mittelbare Täter nicht selbst den Erfolg verursachtbeziehungsweise den Tatbestand durch sein Verhalten erfüllt, bedarf es derZurechnung des Verhaltens des Vordermanns: Der Hintermann wird kraftRechtsfiktion so behandelt, als ob er den Tatbestand selbst verwirklicht hat.Daraus folgt seine Täterschaft. Sieht man die Dinge so, wird der Begriff derHandlungsherrschaft als apokryphes Tatbestandsmerkmal überflüssig, weilnicht mehr auf der Ebene personaler Zurechnung implizit zwischen Ursacheund Bedingung unterschieden werden muss. Überflüssig werden ferner diezu Recht umstrittenen Rechtsfiguren der mittelbaren Täterschaft kraftorganisatorischer Machtapparate sowie des absichtslos beziehungsweise desqualifikationslos dolosen Werkzeugs. Mittelbare Täterschaft liegt fernerauch dann immer vor, wenn der Hintermann den Vordermann genötigt hat(coactus). Die Schwelle des § 35 StGB muss nicht erreicht werden88. Für dieRepräsentation macht es keinen Unterschied, ob sie auf Auftrag, Befehl oderauf bloßer Nötigung beruht. Zusammengefasst: Der ausschließliche berech-tigte Kern der subjektiven Theorie besteht also in dem Konstrukt der außer-ordentlichen Verhaltenszurechnung. Diese beruht unter anderem auf derUnterordnung des Tatmittlers unter den in Form eines Auftrags, eines Be-fehls oder einer Nötigung verobjektivierten Willen des mittelbaren Täters,der dadurch in zurechenbarer Weise das Verhalten des Vordermanns au-torisiert hat. Durch beide Faktoren wird das de facto zunächst fremde Ver-halten des Vordermanns de iure zu einem eigenen des Hintermanns. Erstdurch die außerordentliche Verhaltenszurechnung wird der mittelbare Täterzum Störer der tatbestandlich geschützten Rechtsposition.

3. Die Abgrenzung von mittelbarer Täterschaft und Teilnahme

Eine wichtige Frage bleibt abschließend zur Vervollständigung der Argu-mentation noch zu beantworten. Wenn es sich bei dem Beauftragen, demBefehlen oder dem Nötigen des mittelbaren Täters um tatexternes Verhalten

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88 Anders Roxin (Anm. 1), S. 143 ff.; ders., in: LK, 11. Auf. 2003, § 25 Rdn. 61; ders., Allg.Teil, Bd. 2, § 25 Rdn. 48.

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handelt, das lediglich zur außerordentlichen Zurechnung des Verhaltens desVordermanns berechtigt – worin unterscheidet sich dann noch eigentlichmittelbare Täterschaft und Mittäterschaft von Teilnahme? Die entschei-dende Pointe liegt nach hier vertretener Auffassung darin, dass nur bei dermittelbaren Täterschaft und bei der Mittäterschaft eine außerordentliche Ver-haltenszurechnung eingreift, die – und das ist ein bisher übersehener undnoch nicht in seiner Bedeutung erkannter Gesichtspunkt – ihrer Begründungnach unabhängig davon ist, ob der Vordermann rechtswidrig handelt bezie-hungsweise tatbestandliches Unrecht verwirklicht oder nicht. Die Rechts-widrigkeit des Handelns des Hintermanns ergibt sich erst durch die originäreAnwendung der Kriterien der Rechtsanmaßung auf das ihm zugerechneteVerhalten. Verhaltenszurechnung ist keine Unrechtszurechnung, so dassauch keine gegen das Schuldprinzip verstoßende Einstandshaftung für frem-des Unrecht droht89. In Anbetracht dieser Zusammenhänge bestätigt sichdie Einordnung des Mandats, Befehls oder der Nötigung als Formen mittel-barer Täterschaft, denn ihr Zurechnungsgrund ist unabhängig von einer et-waigen Rechtswidrigkeit der Handlung des Vordermanns in Bezug auf die-sen selbst.

Von wesentlicher Bedeutung sind diese Einsichten für die Sonderpflicht-delikte, wenn der Intraneus den Extraneus anweist, für ihn eine der tatbe-standmäßigen Handlungen zu vollziehen. Eine unmittelbare Täterschaftscheidet hier schon deswegen aus, weil die Anweisung durch den Intraneuskein Tatbestandsmerkmal verwirklicht90. Eine mittelbare Täterschaft kannaber auch nicht direkt auf die Sonderpflicht gestützt werden91, weil diesekeine unmittelbare Verantwortlichkeit für den Entschluss des Extraneus be-gründet, sondern lediglich eine unmittelbare Verantwortlichkeit für die ge-schützte Rechtsposition ungeachtet der Herkunft der zu erwartenden Schä-digung92.

Anders ist die Sachlage bei der Teilnahme: Die Voraussetzungen für eineVerhaltenszurechnung, die es erlauben würde, den Beteiligten wie den wirk-lichen Täter zu behandeln, sind nicht erfüllt. Denn das fremde Verhalten desHaupttäters, der zum Beispiel von der Existenz des Gehilfen nicht notwen-

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89 Eine Verletzung des Schuldprinzips wird jedoch von Puppe, Festschrift für Dahs, 2005,S. 173, 187, moniert.

90 Übersehen von Sánchez-Vera, Pflichtdelikt und Beteiligung, 1999, S. 163.91 So aber Roxin, Allg. Teil, Bd. II, § 25 Rdn. 167 ff.92 Vgl. schon die Einsicht von Sánchez-Vera (Anm. 89), S. 162, dass sich die Pflicht des

Intraneus ausschließlich auf den Schutz des anvertrauten Rechtsguts ohne Rücksichtdarauf beziehe, woher auf welche Weise diesem Gefahren drohen.

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digerweise Kenntnis haben muss, kann nicht – wie soeben schon ausgeführt –durch den bloßen Willen des Teilnehmers zu seinem eigenen Verhalten wer-den. Dazu bedarf es einer entsprechenden Willensdisposition des Vor-dermanns gleichsam als Inhaber des Fremden (nämlich den Willen, für denanderen zu handeln) aufgrund einer Autorisierung des Hintermanns, dieaber für die Teilnahmehaftung nicht erforderlich ist93. Erst dadurch – durchden Willen beider Beteiligter – wird Fremdes zu Eigenem.

Infolgedessen setzt die Verantwortlichkeit des Teilnehmers für das tat-bestandliche rechtsgutsschädigende Geschehen voraus, dass der Haupttäterselbst Unrecht verwirklicht. So überschreitet der Teilnehmer, gerade weil ersich mit dem Unrecht des Haupttäters verbindet und solidarisiert, die imma-nenten Grenzen seiner Handlungsfreiheit94. Ein Verhalten, das einen hin-reichenden deliktischen Sinnbezug aufweist, weil schon dem äußeren Kon-text nach das Verhalten des Teilnehmers nur so verstanden werden kann, alswolle er das rechtswidrige und rechtsgutsschädigende Verhalten des Haupt-täters hervorrufen, ermöglichen oder fördern, muss der Berechtigte desdurch den Straftatbestand geschützten Rechtsguts nicht dulden. Der Gehilfeverletzt gewissermaßen in Parallele zu § 226 BGB eine vorgelagerte Rechts-position des Opfers, die seine Haftung für den Schädigungserfolg erklärt.Aus der Rechtswidrigkeit des fremden Handelns des Vordermanns leitetsich also das eigene Unrecht des Teilnehmers ab. Es besteht daher eine nor-mative Akzessorietät der Teilnahme bezüglich der Haupttat, während beider mittelbaren Täterschaft lediglich eine faktische Akzessorietät in demSinne gegeben ist, dass die Tatbestandserfüllung durch das Verhalten desVordermanns bedingt ist. Die Abgrenzung der verschiedenen Beteiligungs-formen erfolgt somit nicht nach quantitativen Gesichtspunkten. Vielmehrhandelt es sich um qualitativ unterschiedliche Wege der Unrechtsbegrün-dung, zu denen die Tatherrschaftslehre, weil sie dogmatisch auf der persona-len Zurechnungsebene ansetzt, nichts beizutragen vermag!

Als Teilnahmeformen wären in Anknüpfung an die gemeinrechtliche Tra-dition wiederum das consilium vom auxilium zu unterscheiden. Während dasauxilium unstreitig in § 27 StGB seinen Sitz hat, ist die Sachlage beim consi-

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93 Diese Binnendifferenzierung zwischen mittelbarer Täterschaft und Mittäterschaft ei-nerseits und eigentlicher Teilnahme andererseits wird von Jakobs, GA 1996, 253, 257 ff.;ders., Festschrift für Lampe, 2003, S. 561, 569 f., verkannt.

94 Vgl. schon Frisch, Festschrift für Lüderssen, 2002, S. 544 ff., dem zufolge die Teilnahmeaber auch die Verletzung von Sonderpflichten und von Solidarpflichten umfasst. Letz-teres ist jedoch zweifelhaft, da auch im Rahmen von § 138 StGB nicht für die Haupttatgehaftet wird.

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lium, dem Anraten des Delikts, weniger eindeutig. § 26 StGB knüpft nämlichaufgrund der tätergleichen Bestrafung rudimentär noch an die überkommeneRechtsfigur der intellektuellen Urheberschaft an, so dass ein Teil der Litera-tur – insoweit durchaus nachvollziehbar – die Anstiftungsvorschrift auf dieFälle beschränkt, in denen der Angestiftete die Tat als eine gegenüber demAnstifter zu erbringende Leistung vollzieht95. Angesichts des inkonsistentenGesetzes bieten sich drei Vorgehensweisen an: Man könnte erstens die herr-schende weite Auslegung der Rechtsprechung96 de lege lata für noch akzep-tabel halten, weil sie dem gesetzgeberischen Willen entspricht, und nur delege ferenda eine Strafrahmenangleichung an die Beihilfevorschrift fordern.Man könnte zweitens schon de lege lata eine Strafrahmenangleichung mitdem Argument vornehmen, dass die Gesetzesfassung Wertungswidersprücheaufweise. Und man könnte drittens daran denken, § 26 StGB faktisch leer-laufen zu lassen, und die Fälle des Anratens als psychische Beihilfe nach § 27StGB zu bestrafen. Hier wird angesichts der sei jeher herrschenden weitenFassung des Begriffs intellektueller Urheberschaft dem ersten Vorschlag ge-folgt.

IV. Schlussbemerkung

Es kann abschließend folgendes Fazit gezogen werden: Der Tatherr-schaftslehre ist es weder gelungen, sich an die Stelle der formal-objektivennoch der subjektiven Theorie zu setzen: Die formal-objektive Theorie lebtin der unmittelbaren Täterschaft, die subjektive Theorie in der Rechtsfigurdes Mandats, des Befehls aber auch der Nötigung weiter97. Die ursprüng-liche Grundidee der Tatherrschaftslehre, dass das vollverantwortliche Ver-halten des Vordermanns die Täterschaft des Hintermanns sperrt, ist zumScheitern verurteilt. Wie schon in der gemeinrechtlichen Tradition mussvielmehr zwischen dem mandatum (Täterschaft), dem consilium und demauxilium (Teilnahme) unterschieden werden. Eine derartige materielle Diffe-renzierung ist immer dann erforderlich, wenn die Rechtsordnung die Welt inindividuelle Rechtssphären einteilt, wie es für alle liberal-rechtsstaatlichen

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95 Siehe Puppe, GA 1984, 100 ff.; Jakobs, Allg. Teil, 22/22; Hoyer, in. SK, 7. Aufl., 2000, § 26 Rdn. 13.

96 Pars pro toto BGHSt. 2, 279; 45, 373 f.97 Die Voraussetzungen der mittelbaren Täterschaft, die sich auf einen Zurechnungsdefekt

des Vordermanns stützt, sind in diesem Aufsatz bewusst ausgespart worden; weiter-führend Jakobs, GA 1997, 553 ff.

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Rechtsordnungen der Fall ist. Nur durch die (begrenzt mögliche) Statu-ierung von Sonderverantwortlichkeiten (Beispiel: Vorgesetztenverantwort-lichkeit) kann das differenzierende Beteiligungsmodell überspielt und einmaterielles Einheitstätersystem etabliert werden98. Der Abgrenzung der ver-schiedenen Beteiligungsformen käme dann allenfalls noch eine formale, ausArt. 103 Abs. 2 GG resultierende Bedeutung zu.

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98 Siehe die dem Völkerstrafrecht geltenden Ausführungen von Vogel, ZStW 114 (2002),S. 403, 423 ff., der insoweit von einem Supervisionsmodell spricht.

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