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132 FOCUS 50/2013 Fotos: Malcolm Brown, Louis Quail/In Pictures/Corbis KULTUR D ie „Fette Sau“ platzt fast aus allen Näh- ten. Bärtige Männer mit engen Jeans und dezent geschminkte Frauen in Retro-Kleidern drängen sich an den rustikalen Holztischen des Restaurants. Sie essen St. Louis Style Pork Ribs statt bayerischen Schweinebraten, Berkshire Sau- sage statt Bratwurst. Die „Fette Sau“ steht nicht in Erding, son- dern in Williamsburg, dem tren- digsten Stadtteil von Brooklyn, New York. Hier, wo der Soziologe Mark Greif die Anfänge der post- modernen Hipster-Bewegung sieht, heißen Smoothie-Läden „Essbar“ und edle Imbissbu- den „Landhaus“. Wer weiß, was angesagt ist, geht dort essen, sagt „über“ anstatt „cool“ – oder belegt einen Deutschkurs. Die Sprache von Goethe und Schiller ist hip, Deutschunterricht wird seit 2010 immer beliebter, bestätigt Martin Rauchbauer vom Deutschen Haus, der renommier- ten Deutschschule New Yorks. Ein Grund dafür ist die gestie- gene Attraktivität Deutschlands als Wirtschaftsstandort, aber auch das Image von Berlin als trendige Kunst- und Kulturmetropole. Berlin steht bei vielen jungen Amerikanern für niedrige Mieten In New York ist die deutsche Sprache beliebt wie nie zuvor. Hipster speisen in Restaurants mit deutschen Namen und schwärmen von Berlin Yes, we speak Deutsch und große Freiräume. Nach Wil- liamsburg zu ziehen wirke fast so, als wolle man diese Art von Berlin nachahmen, beobachtet der briti- sche Bestsellerautor Ben Schott: „Berliner Clubs, die 24 Stunden am Tag geöffnet haben, sind der Brooklyn Dream.“ Der angesagte Club „Output“ in Williamsburg wirbt sogar damit, seinen Gästen das gleiche Ambiente zu bieten wie das „Berghain“ in Berlin. Schott hat gerade das Buch „Schottenfreude: Meisterwerke der deutschen Sprache“ veröf- fentlicht. Darin erfindet er neue deutsche Wörter für Alltägliches aber bislang Namenloses wie „Sonntagsleere“, eine Depressi- on am Sonntagnachmittag oder „Gastdruck“, die Strapaze, ein guter Gast sein zu müssen. Die „New York Times“ berichtete auf einer ganzen Seite über die Sprachschöpfungen. Englische Muttersprachler ler- nen, statistisch gesehen, selten Fremdsprachen. „Deshalb macht es uns Spaß, Wörter aus anderen Sprachen zu übernehmen, ohne gleich die Grammatik zu lernen“, so der 39-jährige Schott. Außer- dem klängen englische Neolo- gismen oft albern. Deutsch, die Sprache der Psychoanalyse, habe dagegen Tiefe. Viele Amerikaner empfinden den Gebrauch deutscher Wörter als witzig. Launig twittert zum Bei- spiel der US-amerikanische Ger- manistikprofessor Eric Jarosinski unter „@NeinQuarterly“ übers Deutsche. Wenn sein misanthro- pisches Alter Ego namens „Nein“ dort am Freitag einen „Schönen Wochenuntergang“ wünscht, le- sen das mehr als 44 000 Follower. Deutsch cool zu finden ist in Deutschland immer noch ein Tabu. „Deshalb freut man sich, wenn ich es tue“, sagt der 42-Jährige. Nach den New Yorker Hipstern grei- fen nun auch US-Werbestrategen zu dem positiv belegten Wort „über“: Es gibt einen „Über“-Müslirie- gel, und vegane „Über“-Snacks. Zahlreiche Unternehmen tra- gen „uber“ im Namen – ohne Umlaut, um die Kundschaft pho- netisch nicht zu überfordern. „Der Begriff weckt die Assozia- tionen von Intelligenz und einem ironischen Abstand zur Kultur“, erklärt Jarosinski. Das passt zum avantgardistischen Selbstbild amerikanischer Hipster, deren Deutschland-Bild heute mehr vom pulsierenden Berlin geprägt ist als von Lederhosen und Schweine- braten wie früher. n TIM GEYER Grillwurst mit Sauerkraut „Rosamunde“ serviert deutsch- amerikanische Küche Hot-Spot in Brooklyn New Yorker Hipster verbringen den Abend im Restaurant „Fette Sau“ Berliner Clubs, die 24 Stunden geöffnet haben, sind der Brooklyn Dream “ Ben Schott Britischer Bestseller- autor und Lieb- haber deutscher Mammutwörter

Kultur Yes, - New York Universityas.nyu.edu/content/dam/nyu-as/deutschesHaus/documents/iON-Websit… · 132 Focus 50/2013 F otos: Malcolm Brown, Louis Quail/In Pictures/Corbis Kultur

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Page 1: Kultur Yes, - New York Universityas.nyu.edu/content/dam/nyu-as/deutschesHaus/documents/iON-Websit… · 132 Focus 50/2013 F otos: Malcolm Brown, Louis Quail/In Pictures/Corbis Kultur

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D ie „Fette Sau“ platzt fast aus allen Näh-ten. Bärtige Männer mit engen Jeans und

dezent geschminkte Frauen in Retro-Kleidern drängen sich an den rustikalen Holztischen des Restaurants. Sie essen St. Louis Style Pork Ribs statt bayerischen Schweinebraten, Berkshire Sau-sage statt Bratwurst. Die „Fette Sau“ steht nicht in Erding, son-dern in Williamsburg, dem tren-digsten Stadtteil von Brooklyn, New York. Hier, wo der Soziologe Mark Greif die Anfänge der post-modernen Hipster-Bewegung sieht, heißen Smoothie-Läden „Essbar“ und edle Imbissbu-den „Landhaus“. Wer weiß, was angesagt ist, geht dort essen, sagt „über“ anstatt „cool“ – oder belegt einen Deutschkurs.

Die Sprache von Goethe und Schiller ist hip, Deutschunterricht wird seit 2010 immer beliebter, bestätigt Martin Rauchbauer vom Deutschen Haus, der renommier-ten Deutschschule New Yorks. Ein Grund dafür ist die gestie-gene Attraktivität Deutschlands als Wirtschaftsstandort, aber auch das Image von Berlin als trendige Kunst- und Kulturmetropole.

Berlin steht bei vielen jungen Amerikanern für niedrige Mieten

In New York ist die deutsche Sprache beliebt wie nie zuvor. Hipster speisen in Restaurants mit deutschen Namen und schwärmen von Berlin

Yes,we speakDeutsch

und große Freiräume. Nach Wil-liamsburg zu ziehen wirke fast so, als wolle man diese Art von Berlin nachahmen, beobachtet der briti-sche Bestsellerautor Ben Schott: „Berliner Clubs, die 24 Stunden am Tag geöffnet haben, sind der Brooklyn Dream.“ Der angesagte Club „Output“ in Williamsburg wirbt sogar damit, seinen Gästen das gleiche Ambiente zu bieten wie das „Berghain“ in Berlin.

Schott hat gerade das Buch „Schottenfreude: Meisterwerke der deutschen Sprache“ veröf-fentlicht. Darin erfindet er neue deutsche Wörter für Alltägliches aber bislang Namenloses wie „Sonntagsleere“, eine Depressi-on am Sonntagnachmittag oder „Gastdruck“, die Strapaze, ein guter Gast sein zu müssen. Die „New York Times“ berichtete auf einer ganzen Seite über die Sprachschöpfungen.

Englische Muttersprachler ler-nen, statistisch gesehen, selten Fremdsprachen. „Deshalb macht es uns Spaß, Wörter aus anderen Sprachen zu übernehmen, ohne gleich die Grammatik zu lernen“, so der 39-jährige Schott. Außer-dem klängen englische Neolo-gismen oft albern. Deutsch, die Sprache der Psychoanalyse, habe dagegen Tiefe.

Viele Amerikaner empfinden den Gebrauch deutscher Wörter als witzig. Launig twittert zum Bei-spiel der US-amerikanische Ger-manistikprofessor Eric Jarosinski unter „@NeinQuarterly“ übers Deutsche. Wenn sein misanthro-pisches Alter Ego namens „Nein“ dort am Freitag einen „Schönen Wochenuntergang“ wünscht, le-sen das mehr als 44 000 Follower. Deutsch cool zu finden ist in Deutschland immer noch ein Tabu. „Deshalb freut man sich, wenn ich es tue“, sagt der 42-Jährige.

Nach den New Yorker Hipstern grei-fen nun auch US-Werbestrategen zu dem positiv belegten Wort „über“: Es gibt einen „Über“-Müslirie-gel, und vegane „Über“-Snacks. Zahlreiche Unternehmen tra-gen „uber“ im Namen – ohne Umlaut, um die Kundschaft pho-netisch nicht zu überfordern. „Der Begriff weckt die Assozia-tionen von Intelligenz und einem ironischen Abstand zur Kultur“, erklärt Jarosinski. Das passt zum avantgardistischen Selbstbild amerikanischer Hipster, deren Deutschland-Bild heute mehr vom pulsierenden Berlin geprägt ist als von Lederhosen und Schweine-braten wie früher. � n

TIM GEYER

Grillwurst mit Sauerkraut „Rosamunde“ serviert deutsch-amerikanische Küche

Hot-Spot in Brooklyn New Yorker Hipster verbringen den Abend im Restaurant „Fette Sau“

Berliner Clubs, die 24 Stunden geöffnet haben, sind der Brooklyn Dream “Ben Schott Britischer Bestseller-autor und Lieb- haber deutscher Mammutwörter