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KULTURLANDSCHAFT AUTOBAHN DIE FOTOSAMMLUNG DES LANDESAMTS FÜR STRASSENWESEN BADEN-WÜRTTEMBERG LANDESARCHIV BADEN-WÜRTTEMBERG STAATSARCHIV LUDWIGSBURG

KULTURLANDSCHAFT AUTOBAHN

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Page 1: KULTURLANDSCHAFT AUTOBAHN

KULTURLANDSCHAFT AUTOBAHNDIE FOTOSAMMLUNG DES LANDESAMTS FÜR STRASSENWESEN BADEN-WÜRTTEMBERG

LANDESARCHIVBADEN-WÜRTTEMBERG

STAATSARCHIV LUDWIGSBURG

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Kulturlandschaft AutobahnDie Fotosammlung des Landesamts für Straßenwesen Baden-Württemberg

Bearbeitet von Bernhard Stumpfhaus

Verlag W. Kohlhammer Stuttgart 2011

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Die Drucklegung wurde gefördert durch das Regierungs-präsidium Stuttgart.

Titelbild:Blick vom Überführungsbauwerk der B 500 auf die A5;am Brückengeländer Erich Wahl, Autobahnamt / 1956 (Repro: 05.12.1991) Vorlage: Landesarchiv Baden-Württemberg StAL EL 75 VIa Nr 826

∞Gedruckt auf alterungsbeständigem, säurefreiem Papier

Alle Rechte vorbehalten© 2011 by Landesarchiv Baden-Württemberg, StuttgartGestaltung: agil > Visuelle Kommunikation, PforzheimDruck: Druckerei Mack GmbH, SchönaichKommissionsverlag: W. Kohlhammer GmbH, StuttgartPrinted in GermanyISBN 978-3-17-022370-7

Page 4: KULTURLANDSCHAFT AUTOBAHN

Grußwort

Vorwort

Peter André, Konradin Heyd, Jürgen WeckerBaden-Württembergs Autobahnen von den Anfängen bis in die 1970er Jahre

Thomas ZellerVom Landschaftsgenuss zur Schadens-vermeidung: Straßen- und Autobahnland-schaften im historischen Wandel

Hermann KnoflacherKulturlandschaft und Autobahn – mehr als ein gescheiterter Versuch

Angela JainDas Bild von der Autobahn-Landschaft

Bernhard StumpfhausBemerkungen zur Autobahnfotografie. Ihre Ästhetik, ihr Gebrauch, ihre Bedeutung

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Katalog

Trassen. Fahrten ins GrüneBrücken. Tore in die LandschaftRaststätten. Oasen der ErholungPlanungen in der NaturBauarbeiten. Herstellung einer PerspektiveTraum und Wirklichkeit. Die Geschichte einzelner AutobahnabschnitteLuftbilder. Die Landschaft als Modell und Landkarte

Die Autorin, die Autoren

Inhalt

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Gert Klaiber

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Mit dem Bau von ausschließlich dem KFZ-Verkehrvorbehaltenen neuen Straßen begann im Jahr 1934im Gebiet des heutigen Landes Baden-Württem-berg die Geschichte der Autobahnen. Die Ideenhierfür waren freilich schon älter. Die Planungs-und Gestaltungsprinzipien der ersten Jahre wurdenbereits in den 1920er Jahren entwickelt. Der Bezugder Bautechnik zur Natur und Landschaft und um-gekehrt war einer der Leitgedanken ab etwa 1935.Nach dem Zweiten Weltkrieg standen vor allemwegen der rasant steigenden Motorisierung dieAnforderungen des Verkehrs und der Fahrdynamikim Vordergrund. Aus der Zeitspanne von 1934 bisin die 1990er Jahre ist ein sehr umfangreiches undanschauliches Fotomaterial erhalten, welches beiden damals für den Autobahnbau verantwortli-chen Stellen entstanden ist, und welches das Lan-desamt für Straßenwesen systematisch geordnetim Jahr 2002 dem Staatsarchiv Ludwigsburg über-geben hat. Die vorliegende Ausstellung zeigt einesehr gute Auswahl dieser auch künstlerisch wert-vollen Aufnahmen. Die Bilder veranschaulichennicht nur den Entwicklungsprozess, den die Gestal-tung und der Bau von Autobahnen im Lauf der

Jahrzehnte durchlaufen hat, sondern sie zeigenauch die Sicht der planenden und ausführendenIngenieure auf ihre Verkehrsbauwerke und dieumgebende Natur. Damit wird aber auch das Fotound dessen gestalterische Ausdruckskraft selbstzum Thema.Ich freue mich, dass der reichhaltigeSchatz an Dokumenten mit dieser Ausstellungeiner breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemachtwird. Die Geschichte unserer Autobahnen wirdhier lebendig. Die Autobahnen bilden das Rück-grat unserer Verkehrsinfrastruktur, sie sind aberauch für sich selbst genommen ein Kulturgut. Ausbeiden Gründen bildet die Geschichte der Auto-bahnen einen ganz wichtigen Bestandteil unsererLandesgeschichte. Ich möchte mich bei den ver-antwortlichen Ausstellungsorganisatoren, Herrn Dr. Häussermann und Herrn Dr. Stumpfhaus fürdiese großartige Ausstellung herzlich bedanken.Dem Regierungspräsidium Stuttgart danke ich fürdie fachliche Begleitung.

Gert KlaiberMinisterium für Verkehr und Infrastruktur Baden-Württemberg

Grußwort

Grußwort

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Peter Müller

Vorwort

Dass Behörden und andere öffentliche Einrichtun-gen für ihre Aufgabenerledigung sich nicht nurschriftlicher Unterlagen wie Akten, Urkunden,Karten und Pläne bedienen, sondern seit dem Auf-kommen der Fotografie vielfach auch Lichtbild-aufnahmen für ihre Arbeit eingesetzt haben, isterst in der jüngeren Vergangenheit vermehrt in dasBlickfeld der Öffentlichkeit geraten. Erinnert sei in diesem Zusammenhang etwa an die erfolgreicheAusstellung Spurensuche – Polizeifotografie Mann-heim 1946–1971 im Mannheimer Reiss-Engel-horn-Museum im Jahr 2007/08 oder die Präsenta-tion von Patientenbildern aus der PsychiatrischenAnstalt Weinsberg im Staatsarchiv Ludwigsburgim Rahmen der Ausstellung Das schöne Bild vomWahn etwa zur selben Zeit. Außer Polizei und Medizin, die Fotografien schon früh zu Diagnose-und Ermittlungszwecken eingesetzt haben, hatsich insbesondere die Bau- und Denkmalverwal-tung des Mediums der Fotografie bei der Planungund Dokumentation von Bauvorhaben bedient.Die auf diesem Weg seit dem frühen 20. Jahrhun-dert entstandenen analogen Bildbestände bei Be-hörden und anderen Einrichtungen in öffentlicherTrägerschaft, deren genauer Umfang sich bislangerst in Umrissen abzeichnet, werden im Zuge deszunehmenden Vordringens digitaler Techniken in der Fotografie und Reprografie in verstärktemUmfang an die zuständigen staatlichen und kom-munalen Archive abgegeben. Das StaatsarchivLudwigsburg konnte so in den letzten Jahren unteranderem Fotosammlungen des Landesamts fürDenkmalpflege, der ehemaligen Bundesbahndirek-

tion in Stuttgart und des Landesamts für Straßen-wesen übernehmen.Schon ein kurzer Blick in die verschiedenen Bild-bestände zeigt, dass die aufgrund ihrer Herkunftaus einem amtlichen Zusammenhang vielleichtallzu voreilig als spröde und langweilig einge-schätzten Aufnahmen nicht nur wegen der darge-stellten Motive Geschichtsquellen von hohem Wert darstellen, sondern auch einen ganz eigenenästhetischen Reiz entfalten, der eine eingehendereBeschäftigung lohnt. Bei den Fotografen, die dieseLichtbilder angefertigt haben, handelte es sich oft um ambitionierte Laien, vielfach aber auch umProfis, die ihre Arbeit ganz offensichtlich miteinem gewissen künstlerischen Anspruch ausgeübthaben. Bei den Aufnahmen von Gebäuden undAnlagen der technischen Infrastruktur wie Bahn-höfen, Eisenbahnstrecken, Brücken, Straßen undAutobahnen, besitzt das dargestellte Objekt viel-fach selbst optische Qualitäten, die besonderssichtbar werden, wenn dieses aus einer ungewohn-ten Perspektive aufgenommen wurde. Der Reizdieser Fotos kann sich unter Umständen noch steigern, wenn die Gestaltung der Aufnahme nichtnur von ästhetischen Gesichtspunkten bestimmtwar oder zumindest das Ziel verfolgte, ein Objektbesonders gut erkennbar ins Bild zu setzen, son-dern auch Zwecken diente, die unmittelbar mit der Aufgabenerfüllung des Auftraggebers zu tunhatten. Im Falle der Straßenbauverwaltung dientendie Fotos nicht nur der Dokumentation der Bau-vorhaben und wurden für die Öffentlichkeitsarbeit(oder Propaganda) eingesetzt; sie waren vielmehr

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Vorwort

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Peter Müller

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auch wichtige Arbeitsinstrumente im Rahmen der Gestaltung der Trassen und der Bauplanung.Was ursprünglich einmal als Primärzweck die Ge-staltung vieler Fotografien bestimmte, kann, ausder Perspektive des heutigen, von ganzen anderenInteressen geleiteten Betrachters, so durchaus zueinem ästhetischen Mehrwert werden.Die Ausstellung Kulturlandschaft Autobahnmöchte die vielfältigen Perspektiven, unter denenman sich mit einem solchen – zunächst einmalprimär (bau-)technisch bestimmten – Bildbestandbeschäftigen kann, anhand der umfangreichen Fotosammlung des ehemaligen Landesamts fürStraßenwesen Baden-Württemberg aufzeigen. DerBestand, der mehrere Tausend Fotografien enthältund vom Staatsarchiv Ludwigsburg im Jahr 2002übernommen werden konnte, reicht bis in die An-fänge des Autobahnbaus in den 1930er Jahren zurück und enthält das ganze Spektrum von Bild-motiven rund um eines der großen Verkehrsinfra-strukturprojekte des 20. und 21. Jahrhunderts. Die Fotografien beleuchten einerseits als historischeQuellen die massive Veränderung unserer Kultur-landschaft durch den Bau von Verkehrswegen für den motorisierten Individualisten und zeigen, welchen Illusionen von einer Versöhnung vonLandschaft und Verkehr die Planer der Autobah-nen anfänglich erlegen sind. Die Aufnahmen dokumentieren gleichzeitig aber auch, für welchunterschiedliche Verwendungszwecke das Mediumder Fotografie bei der Planung und dem Bau derAutobahnen eingesetzt wurde und sind damitauch für eine Geschichte der amtlichen Fotografie

von hohem Interesse. Selbstverständlich lassen sich die Bilder aber auch als künstlerische Objektevon eigenem Reiz betrachten. All dies kann in derAusstellung und dem vorliegenden Katalog an repräsentativen Beispielen nachvollzogen werden.Die Ausstellung und das hier vorliegende Be-gleitbuch wurden für das Staatsarchiv Ludwigsburgvon dem Kunsthistoriker Dr. Bernhard Stumpf-haus erarbeitet. Für den Katalog konnten nebendem Kurator sowie Mitarbeitern der baden-würt-tembergischen Straßenbauverwaltung auch renommierte Kulturwissenschaftler und Verkehrs-experten gewonnen werden, die den Kontext, in dem die Bilder entstanden sind, aus unter-schiedlichen Perspektiven beleuchten. Der Bandbietet somit auch eine exzellente Einführung inden Gesamtbestand an Bildern, der schon vor einiger Zeit digitalisiert wurde und im Internetüber das Onlinefindmittelsystem des Landesar-chivs Baden-Württemberg abgerufen werdenkann. Das Regierungspräsidium Stuttgart, in demdas Landesamt für Straßenwesen im Zuge der letzten Verwaltungsreform aufgegangen ist, hat dasAusstellungsvorhaben von Anfang an nicht nurmit großem Interesse begleitet, sondern auch ide-ell und finanziell unterstützt, wofür ihm unsererganz besonderer Dank gilt.

Ludwigsburg, im November 2011

Dr. Peter MüllerLeiter der Abteilung Staatsarchiv Ludwigsburgdes Landesarchivs Baden-Württemberg

Vorwort

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Peter André, Konradin Heyd, Jürgen Wecker

Baden-Württembergs Autobahnen von den Anfängen bis in die 1970er Jahre

Kurz vor seiner Auflösung im Jahr 2002 hat dasdamalige Landesamt für Straßenwesen (vor 1986Autobahnamt) seine fotografische Sammlung demStaatsarchiv Ludwigsburg übergeben. Das um-fangreiche Konvolut besteht aus mehreren Teilenund enthält mit einer speziellen Sammlung von7500 Fotoabzügen eine umfassende Dokumen-tation zum Bau der Autobahnen in Baden-Würt-temberg. Die Lichtbilder sind im Staatsarchiv zwischenzeitlich digitalisiert worden und steheninteressierten Nutzern online zur Verfügung. Entstanden ist diese Bildersammlung in ihrer derzeitigen Gestalt in den 1990er Jahren als Repro-duktion von Fotografien und Grafiken verschie-denster Qualität und Funktion. Notwendig wurdediese Arbeit, weil im damaligen Autobahnamtdiese vielfältigen Lichtbilder nicht organisiert vor-lagen. Die Reproduktionen wurden meist auf Privatinitiative der planenden und bauenden In-genieure angefertigt. So wuchsen die Bildbeständebei bestimmten Einzelpersonen zu ansehnlichenSammlungen. Als man ihren dokumentarischenWert erkannte, entschied man sich, die Fotografiensystematisch auf Mikrofilm, mit elektronischemRegister und Schlagwortverzeichnis ausgestattet,

zusammenzuführen. Damit stand dieses Materialbeim Landesamt endlich verlässlich zur Verfü-gung. Diese neu geordnete und vereinheitlichteSammlung konnte nun einem neuen Zweck zuge-führt werden: Sie sollte allen Mitarbeitern eineHilfestellung geben bei der Erfüllung ihrer ver-schiedenen Aufgaben, etwa bei der Suche nachGestaltungsbeispielen, als aktuelle und historischeBestandsdokumentation, die man etwa für Repa-raturzwecke, aber insbesondere auch für die Öf-fentlichkeitsarbeit brauchte. Zwischenzeitlich istsie eine wesentliche Begleitung für die Geschichtedes Autobahnbaus in Baden-Württemberg seitihren Anfängen. Wenden wir uns nun dieser Autobahngeschichteselbst zu: Immerhin stellte die Autobahn zu ihrerEntstehungszeit ein ganz neuartiges Verkehrskon-zept vor. Nicht der Ausbau historisch gewachsenerStraßen, sondern die Konzeption eines völligneuen Fernstraßennetzes für den modernen Au-tomobilverkehr: Das war die Idee, die in den1920erJahren entwickelt wurde. Mit dem Bau derReichs- und später der Bundesautobahnen wurdediese Idee seit den 1930er Jahren umgesetzt. Dieses gigantische Infrastrukturunternehmen war

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Baden-Württembergs Autobahnen von den Anfängen bis in die 1970er JahrePeter André

Konradin Heyd

Jürgen Wecker

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Baden-Württembergs Autobahnen von den Anfängen bis in die 1970er Jahre

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zuerst mit der Gesellschaft Reichsautobahnen(RAB) reichsweit zentral organisiert, zunächst an-gegliedert an die Reichsbahn. 15 Oberste Baulei-tungen (OBR) dieser Gesellschaft steuerten undüberwachten das regionale Baugeschehen. Für dasGebiet des heutigen Landes Baden-Württembergwaren die 1933/1934 eingerichteten Obersten Bau-leitungen Frankfurt und Stuttgart zuständig. DieseBauleitungen schufen auf dem heutigen Landes-gebiet in wenigen Jahren Autobahnstrecken vonknapp 300 km Länge.Nach dem Krieg gingen der Bau von Autobah-nen und deren Betrieb in die Verwaltung der Bun-desländer über, als Auftragsverwaltung für denBund. Mit der Gründung des Landes Baden-Württemberg wurde für diese Aufgaben 1952 eineigenständiges Autobahnamt geschaffen, in demdie Vorläuferorganisationen aufgegangen sind.Dieses Amt existierte 50 Jahre, zuletzt unter demNamen Landesamt für Straßenwesen . In dieser Zeitentstand der weitaus größte Teil des heutigen über 1000 km langen baden-württembergischenAutobahnnetzes. Seit Anfang 2003 liegt die Ver-antwortung für die Autobahnen bei den vier Regierungspräsidien des Landes. Aus den ersten beiden Epochen (1933–1945 und 1946–1970) ist uns von diesen mit dem Auto-bahnbau befassten Stellen umfangreiches doku-mentarisches Material erhalten. Von besondererAussagekraft ist das reichhaltige Bildmaterial. Insbesondere lässt sich anschaulich verfolgen,wie sich Trassierungsgrundsätze und Bautechnikim Lauf der Zeit entwickelt und verändert haben.Viele Bilder zeigen als geometrisch exakte Monta-gen (sog. Hybridtechnik) eingezeichnete Trassenund Brücken in der fotografierten Landschaft(Kat. Nr. 43, 46). Solche Arbeiten verfolgten zumeinen den Zweck, die räumliche Linienführung

der Autobahntrassen im Zusammenwirken vonLage und Höhe zu überprüfen. Auch ihre Lage inder Landschaft sollte vor dem Bau der Fernstraßendargestellt und beurteilt werden. War die Linienführung zu Beginn noch unorga-nisch und hart, begannen die Ingenieure schonbald, sich mit der Wirkung ihrer Bauwerke auf dieLandschaft und in der Landschaft auseinanderzu-setzen. Ja, sie begriffen die von ihnen entworfenenAutobahnen als bereichernden Teil der Landschaftund als Inszenierung der Natur für den Auto-fahrer. Bei der Beurteilung der Trassenvariantenwurde besonderer Wert auf eine abwechslungs-reiche Linienführung mit häufiger Fernsicht aufmarkante Landschaftsteile gelegt. Der Reisendesollte die neuen Verkehrswege nicht nur benutzen,um schnell von einem Ort zum anderen zu gelan-gen, sondern auch, um auf der Reise die Schön-heit des Landes zu erleben und zu genießen (Kat.Nr. 7). Varianten wurden u. a. wegen zu großerEintönigkeit und langer ermüdender Fernsicht,die kaum Abwechslung bietet, ausgeschieden. Der Generalinspekteur für das deutsche Straßen-wesen Dr. Fritz Todt schrieb 1934: Die Landschaftkennt keine geometrischen Figuren, sondern weiche,harmonische Formen. Wer bei der Anlage von Stra-ßen geometrische Figuren vom Reißbrett in dieNatur überträgt, verursacht dort harte Einschnitteund Verlegungen des bestehenden Landschaftsrhyth-mus und trägt dazu bei, dass der kulturelle Wert der ge schaffenen Werke geringer wird und auch derVerkehrswert durch die Monotonie leidet. Wirhaben mit un seren Straßen nicht nur Einschnitte indie Landschaft vorzunehmen, sondern wir habenauch dafür zu sorgen, dass diese Einschnitte undEingriffe abgeglichen werden, so dass die Verletzungder Landschaft wieder gemildert wird. Ich ersuchedringend zum wiederholten Male, alle Mitarbeiter

Peter André

Konradin Heyd

Jürgen Wecker

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Peter André

Konradin Heyd

Jürgen Wecker

Baden-Württembergs Autobahnen von den Anfängen bis in die 1970er Jahre

am Werk der Reichsautobahnen und auf dem Ge-biet des allgemeinen Straßenbaues, nicht wie min-dere Techniker an geometrischen Formen zu hängen,sondern wie schöpferische Baumeister die Straßenals Kunstwerk der Natur anzupassen. Trotz allerideologischen Überlagerungen, die Todts Ausfüh-rungen prägten, sind das Gedanken, die auchheute noch gelten.Was für die Linienführung und den Straßen-körper galt, galt erst recht für die Gestaltung derBrücken, Tunnel und Stützbauwerke. Die Bau-werke am Albaufstieg und am DrackensteinerHang (Albabstieg) sind hierfür beeindruckendeBeispiele. So wie man seit dem Zeitalter der Ro-mantik Schlösser und Burgen als die Landschaftbereichernde Kunstbauten begriff, so entstandennun moderne Bauwerke, die Stilelemente des Mittelalters aufgriffen. Naturstein verwendeteman als Baumaterial, zumindest als Verkleidung.Selbst Baubehelfe wie Holzgerüste waren beein-druckende und schön gestaltete Konstruktionen.Zur Autobahngeschichte gehört aber auch dievon den Nationalsozialisten befohlene Zerstörungstrategisch wichtiger Brücken sowie deren provi-sorische Wiederherstellung nach dem Krieg. Auchhierzu gibt es reichhaltiges Bildmaterial (Kat. Nr.70, 72, 73–74).In den Zeiten des Wirtschaftswunders und desAutomobilbooms wuchs auch der Autobahnbau.Das vor dem Krieg konzipierte Autobahnnetzwurde wesentlich erweitert und verdichtet.Die öffentliche Meinung stand dem Bau von Au-tobahnen bis Ende der 1960er Jahre überwiegendpositiv gegenüber. Der Ruf nach immer mehr,immer besseren und leistungsfähigeren Autobah-nen wurde immer lauter. Die Entwicklung gipfelteschließlich im sogenannten Leberplan, benanntnach dem damaligen Bundesverkehrsminister

Georg Leber. Dieser Plan sah vor, dass jeder Bun-desbürger nicht mehr als 25 km entfernt von einerAutobahn wohnen sollte.In dieser Zeit der Autobahn-Hochbauphase wurden die Trassierungsgrundsätze zwar weiterverfeinert, jedoch grundsätzlich beibehalten. Baldgab es durch die Motorisierungswelle Kapazitäts-probleme. Die verkehrstechnischen Anforderun-gen stiegen rasant. Der Ausbau der AnschlussstelleDegerloch zum Echterdinger Ei in den sechzigerJahren und der Umbau dieses Eis in eine hoch-leistungsfähige Turbine vor knapp zehn Jahrensind hierfür ein beeindruckendes Beispiel. DieModernisierung der besonders stark befahrenenBetriebsstrecken setzte bereits in den 1970er Jah-ren ein und ist noch lange nicht abgeschlossen. So harrt z. B. der Neubau des Albaufstiegs der A8seit langem auf die notwendige Finanzierung.Grundlegend weiterentwickelt hat sich in den ersten Nachkriegsjahrzehnten aber auch die Bau-technik. Im Erdbau und im Straßenoberbau war dafür die zunehmende Mechanisierung aus-schlaggebend. Im Brückenbau führte der tech-nische Fortschritt zu ganz neuen Möglichkeiten.Spannbetonkonstruktionen (Kat. Nr. 79), Takt-schiebeverfahren und Freivorbau (Kat. Nr. 63, 65)ermöglichten riesige Stützweiten bei dennochschlanken Konstruktionen und damit auch völligneue Gestaltungsmöglichten. Eine moderne sach-liche Formgebung orientierte sich nun an derfunktionalen Anforderung des Bauwerks und amstatischen Kraftfluss. So entstand eine neue Ge-staltungs- und Formensprache der entwerfendenIngenieure. An dieser technischen und künst-lerischen Entwicklung hatten und haben baden-württembergische Ingenieure einen ganz wesentlichen Anteil. Allein dank dieser schönenKonstruktionen ergeben sich beim Fotografieren

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faszinierende Bilder. Viele der planenden undbauenden Ingenieure waren indes auch begabteFotografen. So wird das dokumentierende Bildselbst zum Kunstwerk. Heutzutage hat die Digitalfotografie in die Pla-nung und den Bau der Trassen Einzug gehalten.Es findet sich in jeder Projektakte eine Fülle vonFotos. Abgesehen von den bildgestützten Bautage-büchern und Brückenkontrollakten gibt es nachwie vor keine strenge Regel, was wann und wie fotografiert werden soll. Die Verantwortlichendenken aber darüber nach, wie dies systematisiertwerden kann, um künftig eine bessere Dokumen-tation zu erhalten. Auf die Geländefotografie als Mittel zum Ent-wurf von Autobahntrassen können wir heute allerdings verzichten, da wir über digital erzeugteGeländemodelle verfügen. Fotografische Monta-gen, digital dargestellte Straßenkörper auf einenFotohintergrund projiziert, dienen aber immerhäufiger als Anschauungsmittel bei der Öffent-lichkeitsarbeit. Sie werden bei der Vorstellung derPlanung in Bürgerversammlungen, im Gemeinde-rat oder bei Erörterungsverhandlungen im Plan-feststellungsverfahren verwendet. Seit dem Ende der 1970er Jahre geriet das Konzept der Autobahn zunehmend in die Kritik. Das extreme Anwachsen des motorisierten Ver-kehrs führte nicht nur zu einer verstärkten Belas-tung von Natur und Landschaft; auch litt dieBevölkerung unter Lärm und Abgasen. Die Folge:Lärmschutzwände, Tunnels und tiefliegende Straßen bestimmten nun das Bild, dem Autofah-rer wird so der Blick in die Landschaft, durch dieer fährt, vorenthalten. Dies betrifft jedoch einenZeitraum, der durch die Bildersammlung des Landesamts für Straßenwesen nicht mehr erfasstwird. Aber auch dies wurde und wird dokumen-

tiert und kann somit dereinst als Archivgut künf-tigen Generationen zur Auswertung zur Verfügunggestellt werden.

Baden-Württembergs Autobahnen von den Anfängen bis in die 1970er Jahre Peter André

Konradin Heyd

Jürgen Wecker

Page 13: KULTURLANDSCHAFT AUTOBAHN

Thomas Zeller

Der Blick durch die Windschutzscheibe auf Städte,Dörfer, Felder, Wiesen und Wälder ist seit nun-mehr zwei Generationen eine prägende Landschafts-erfahrung. Landschaft ist nicht nur das, was alsGemälde oder Kunstdruck zuhause im Wohnzim-mer hängt oder was beim Wandern oder Spazie-rengehen zu sehen ist; Landschaft ist auch die vonunterwegs geschaute Mischung von Bäumen undHimmel, Asphalt und Kirchtürmen. Wer überLand fährt, dem kommt die automobile Aussichtwie ein manchmal geschwindigkeitsbedingt ver-huschtes, aber stets vorhandenes Tableau vor. Nicht so offensichtlich ist aber, in welchem MaßMobilitätslandschaften nicht zufällig vorbeirol-lende Beiwerke sind, sondern menschliche Krea-tionen. Seit Anfang des 20. Jahrhunderts habenGruppen von Bauingenieuren und Landschafts-architekten in mehreren Ländern, darunter auchDeutschland, die Gestaltung und Kontrolle vonStraßenlandschaften und besonders Autobahn-landschaften als professionelle Aufgabe angesehen.Der Ausblick aus dem fahrenden Auto sollte auf-muntern, unterhalten, beleben und vor allem dieheimische Landschaft und damit in ihr aufgegan-gene kulturelle Werte den Fahrern und Passagieren

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Vom Landschaftsgenuss zur Schadensvermeidung

Thomas Zeller

Vom Landschaftsgenuss zur Schadens-vermeidung: Straßen- und Autobahn-landschaften im historischen Wandel

nahebringen. Die landschaftsnahe Autofahrt wardazu gedacht, Natur und Kultur aufzuwerten.Wenn von Natur und Kultur die Rede war, war die Nation nicht weit: Die Mobilitätslandschaftenverkörperten dem Anspruch ihrer Gestalter zu-folge spezifisch deutsche oder andere nationaleWerte. In Deutschland wurden solche Versuche be-sonders während der nationalsozialistischen Ge-waltherrschaft unternommen. Warum dies so warund wie solche Autobahnlandschaften währendund nach der NS-Diktatur aussahen, soll dieserBeitrag untersuchen. Zunächst aber ist es hilfreich, einen Blick auf denwichtigsten Verkehrsträger vor der massenhaftenVerbreitung des Automobils zu werfen: die Eisen-bahn. Aufkommen und Durchsetzung der Eisen-bahn im 19. Jahrhundert veränderten nicht nurGesellschaft und Wirtschaft umfassend, sondernresultierten auch in einer neuen Erfahrung vonLandschaft. Im Vergleich zur Kutschenreise mitihrer vergleichsweise intensiven Erfassung vonFeld und Flur erschien zeitgenössischen Beobach-tern die Eisenbahnreise als extrem beschleunigteForm der Fortbewegung, die kaum noch Blicke auf die Umgebung zuließ. Eine oft gebrauchte Me-

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Thomas Zeller

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tapher in diesem Zusammenhang war die vomZug als Projektil und dem Passagier als Paket,mehr ein Objekt als ein Subjekt.1 Passagiere, diesich noch an Fuhrwerke erinnerten, empfandendie neue Art des maschinellen Reisens mit der Ei-senbahn als Verlust; die Landschaft verhuschte; Gerüche, Geräusche, Synästhesien gar,wie sie für die Reisenden der Goethezeit zum Weggehörten, entfallen.2 Langeweile und Stumpfsinnwaren für solche Reisende die Folge. Im Lauf des 19. Jahrhunderts aber kam eine neueArt der Wahrnehmung auf, die Wolfgang Schivel-busch als panoramatisches Reisen bezeichnet hat.Wegen der höheren Reisegeschwindigkeiten warein Blick auf den Vordergrund und darin gelegenenahe Landschaftsmerkmale wie Bäume und Bü-sche nicht mehr möglich. Statt dessen richteten die Reisenden ihren Blick auf Mittelgrund undHintergrund und erblickten in relativ schnellerAbfolge Berge und Täler: Die Eisenbahn inszenierteine neue Landschaft.3 Diese neue, maschinelleLandschaft mit ihrer relativ rasanten Aneignungs-art war bis zum Ende des 19. Jahrhunderts die dominante Form der Mobilitätslandschaft.Als dann im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhun-derts gutsituierte Stadtbürger ihre seltenen undteuren Automobile zu Ausflügen aufs Land nutz-ten, empfanden viele von ihnen ein Gefühl derFreiheit von den Fahrplänen, Abteilen und Wahr-nehmungsmustern der Eisenbahn. Ein Autofahrerbegeisterte sich 1908: Das Automobilreisen ist etwasWundersames. … Das hochgespannte Unabhängig-keitsbewusstsein, das wahrhafte Dahinfliegen …, die Rückkehr zur alten vielverästelten Landstraßemit ihrer Romantik, der wechselnde Reichtum land-schaftlicher Bilder, der sausend um Stirn und Wan-gen flatternde Luftzug, das alles gibt uns ein Gefühlvon Köstlichkeit zu leben.4 Die ästhetisch anspre-

chende Autoreise war für viele frühe Automobilis-ten ein Mittel zur Wiedergewinnung des in der Ei-senbahnreise verlorengegangenen landschaftlichenVordergrundes, eine selbstbestimmte Art des Rei-sens und nicht zuletzt ein erfolgreicher gesell-schaftlicher Distinktionsversuch: Die Massen inder Eisenbahn sahen nur das, was die maschinelleForm der Fortbewegung und der Fahrplan zulie-ßen, während die von Chauffeuren transportiertenoder selbstfahrenden frühen Kraftfahrer nach Be-lieben die Gegend schauend erkunden konnten. Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass dasZiel des Schauens die Landschaft war, nicht Natur.Zunächst war Landschaft als Genrebegriff in derMalerei bekannt und auch in der ästhetischenTheorie seit der frühen Neuzeit als geschauter Na-turausschnitt diskutiert. Durch das Aufkommender Geographie im 19. Jahrhundert wurde Land-schaft als menschlich und kulturell konnotierteNatur verstanden. Kulturlandschaften waren durchdas Zusammenwirken von Terrain, Klima, undMenschen entstanden. Letztere gaben der Land-schaft durch Wirtschaft und Landwirtschaft einbestimmtes Gepräge, so dass kulturelle und natio-nale Werte in der Landschaft nie weit waren. Derschillernde Begriff der Landschaft war also mehrals die bloße Aussicht ins Grüne, sondern ein kulturell und nationalspezifisch aufgeladenes En-semble. In Europa wurden landschaftsorientierteStraßen in der Zwischenkriegszeit nicht als Vor-stoß in die Wildnis, sondern als eine zusätzlicheSchicht auf die reichhaltige und historisch ge-wachsene Kulturlandschaft verstanden.5

In den ersten beiden Jahrzehnten des 20. Jahr-hunderts, als Automobile in Europa weitgehendein Privileg städtischer Mittel- und Oberschichtenblieben, fuhren die Automobilisten mit wechselndenSchwierigkeitsgraden auf den oft noch ungeteerten

Vom Landschaftsgenuss zur Schadensvermeidung

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Thomas Zeller

Landstraßen, oft zum großen Missvergnügen derörtlichen Bevölkerung.6 Nach dem Ersten Welt-krieg wurden Straßen zunehmend ausgebaut, umder zeitgenössisch als Problem verstandenenStaubplage Herr zu werden. Noch immer galt aber,was seit Jahrtausenden gegolten hatte: Straßen, obin der Stadt oder auf Land, waren öffentlicheRäume. Fußgänger, Fahrradfahrer, Fuhrwerke undneuerdings auch Autos und Lastwagen teilten sichdiese allgemein zugänglichen Orte. Die Vorstel-lung, Straßen ausschließlich für Automobile undsonst keine andere Verkehrsart zu planen oder zubauen, war seinerzeit so fremd, dass sprachlicheVerrenkungen wie Nur-Autostraße bemüht werdenmussten, wenn jemand eine solche Idee in Wortefasste. Der heute geläufige Begriff der Autobahnleitete sich denn auch vom dominanten Verkehrs-mittel der Zeit, der Eisenbahn, ab. Ab 1926 be-mühte sich ein von einzelnen Stadtverwaltungen,Handelskammern und Industriellen getragenerVerband namens Hafraba, der Öffentlichkeit einenur für Automobile und Lastwagen zugänglicheStraße schmackhaft zu machen; Hafraba stand füreine vorgeschlagene Route, die von den Hanse-städten über Frankfurt nach Basel führen sollte.Angesichts des geringen Motorisierungsgrades inDeutschland und der politischen Zersplitterungder Weimarer Republik war diese Lobbyarbeitweitgehend erfolglos. Der Volkswirtschaftler Wer-ner Sombart hielt Autobahnen für Straßen für denheiteren Lebensgenuss reicher Leute.7

Nicht ausschließlich für reiche Leute, sondern füreine breiter verstandene, zunehmend motorisierteGesellschaft wurden unterdessen in der Zwischen-kriegszeit in den USA Straßen nur für Automobileund nicht einmal für Lastwagen geplant und ge-baut: die sogenannten parkways. Bereits 1868 hatteder Landschaftsarchitekt Frederick Law Olmsted

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Vom Landschaftsgenuss zur Schadensvermeidung

Wege in einem Stadtpark in Brooklyn ausschließ-lich für Droschken geplant; keine Art öffentlichenVerkehrs mit Straßenbahnen oder Güterverkehrwar erlaubt. Der durch Gestaltung und Bepflanzungin die Parklandschaft integrierte parkway hatte alsZiel, mobilen Parkbesuchern die Natur im Fahrennahezubringen. Diese Gestaltungsmerkmale wur-den beibehalten, als Landkreise und Städte nachdem Ersten Weltkrieg parkways bauten, die Auto-mobilen vorbehalten waren.8 Nicht nur wiesen die USA in der Zwischenkriegszeit den weltweithöchsten Motorisierungsgrad auf; seinerzeit wurdedas Auto durch Massenproduktion und Gebraucht-wagenhandel auch für untere Mittelschichten inden Städten erschwinglicher. Dementsprechendlaut wurde der Ruf nach mehr und neuen Straßen.Einer der bekanntesten parkways war der Bronx

River Parkway, der seit 1922 Autopendlern aus denwohlhabenden nördlichen Vororten von New Yorkeine Landpartie inmitten städtischer Räume bietet.Möglich wurde dies durch die Zusammenarbeitvon Landschaftsarchitekten und Bauingenieurenvon Anfang an, durch den Erwerb und die archi-tektonische Gestaltung breiter Streifen beiderseitsder Straße und durch eine geschwungene Linien-führung, die hohe Geschwindigkeiten nicht zuließund stattdessen den Blick auf landschaftlicheSchönheiten lenkte. Solche Straßen waren entspre-chend teurer als gewöhnliche, doch die Bauherrenerhofften sich außer dem Gewinn kulturellerWerte auch höhere Grundstückspreise und damitgestiegene Grundsteuereinnahmen entlang derparkways.9 Ab den dreißiger Jahren baute dannauch die Bundesregierung parkways, die der Ar-beitsbeschaffung und dem Tourismus dienten.Gemessen an den Kilometerzahlen, waren dieseparkways den gewöhnlichen highways (für Autosund Lastwagen) weit unterlegen, die als Reaktion

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Thomas Zeller

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auf zunehmenden Verkehr vor allem in und umBallungszentren gebaut wurden. Doch die kultu-relle Signalwirkung der parkways war enorm undreichte bis nach Deutschland. In der Fachliteraturvon Bauingenieuren und Landschaftsarchitektenwurden solche Straßen vorgestellt und diskutiert;anlässlich von internationalen Straßenbaukongres-sen fuhren Fachleute aus verschiedenen Ländernauf ihnen. Vorstellung und Praxis landschafts-betonter Straßen waren international bekannt;ihre jeweiligen Ausprägungen waren hingegen mitnationalen Eigenarten und bisweilen mit nationa-listischen Tönen aufgeladen.Die deutschen Autobahnen, die ab 1933 das Landüberzogen, nahmen manche dieser Gestaltungs-ideen auf und hoben sie in der Propaganda hervor;in der Baupraxis waren sie aber hochgradig um-stritten. Das nationalsozialistische Motorisierung-programm gehörte zu den frühesten und amstärksten propagandistisch begleiteten öffentlichenInitiativen der Diktatur. In einer Rede vor der In-ternationalen Automobil- und Motorradausstel-lung wenige Tage nach dem Machterwerb forderteHitler die deutsche Automobilindustrie dazu auf,ein erschwingliches Auto für die Massen anzu-bieten. Von staatlicher Seite aus sollten dazu neueÜberlandstraßen kommen. Die Lebenshöhe vonVölkern sei nämlich, so seine Begründung, nichtmehr in der Zahl von Eisenbahnkilometern, sondern an der Länge der für den Kraftverkehr geeigneten Straßen zu messen.10

Den ersten Teil der Massenmotorisierung, einbald Volkswagen genanntes Niedrigpreisauto, solltenach dem Zögern der deutschen Autoindustrie das staatliche VW-Werk in Wolfsburg übernehmen.Mit viel öffentlichem Getöse wurde ein Ratenspar-plan für das von Ferdinand Porsche gestaltete Kugelauto für 900 Reichsmark aufgelegt, dem

Zehntausende von Sparern beitraten. Doch derVolkswagen scheiterte kläglich; das VW-Werk pro-duzierte während der Diktatur hauptsächlich amphibische Kübelwagen für den Kriegseinsatz.11

Das hinderte das Hitlerregime aber nicht daran,den Autobahnbau zu forcieren. Bis zur Einstellung der Bauarbeiten 1942 wurdenim Nationalsozialismus 3625 Kilometer Autobah-nen in Deutschland und Österreich gebaut. Ineinem Land, das so gering motorisiert war wieDeutschland, waren solche kreuzungsfreien Fern-straßen volkswirtschaftlich nicht zu rechtfertigen:Statistisch gesehen, teilten sich 62 Deutsche imJahr 1935 ein Auto. Doch weder in Großbritan-nien, wo der Durchschnittswert 20 Einwohner proAuto betrug, noch in den USA, wo auf alle fünfEinwohner ein Pkw kam, wurden in der Zwischen-kriegszeit solche teuren Projekte verwirklicht.12

Mit aller Macht, um nicht zu sagen, mit Brachial-gewalt, preschte hingegen das nationalsozialisti-sche System beim Autobahnbau vor und lenktefinanzielle, professionelle und propagandistischeRessourcen auf das Straßenbauprojekt um. DasMissverhältnis zwischen Motorisierungsgrad undUmfang des Straßennetzes führte dazu, dass diewenigen Fahrer auf den Straßen freie Fahrt genos-sen, weil sie oft unter sich blieben. In der Literatursind die Autobahnen als weiße Elefanten, also als beeindruckende, aber wenig nutzbringendePlanungsobjekte bekannt.13 1938 konstatierte einStraßenbaubeamter aus dem US-Bundesstaat Michigan nach einer Besichtigungsreise: Germanyhas the roads while we have the traffic.14

Warum wurden dann die Autobahnen gebaut? In der zeitgenössischen Propaganda wurde wieder-holt Arbeitsbeschaffung als ein Haupteffekt desAutobahnbaus angepriesen. In Wochenschau-Fil-men, die im Kino vor dem Hauptprogramm liefen,

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in zahlreichen Reden und öffentlichen Veranstal-tungen präsentierte das NS-Regime Gruppen vonArbeitern mit Schaufeln auf den Schultern, die mitbloßem Oberkörper Straßen bauten. Doch dieVorstellung, dass die Reichsautobahnen Deutsch-land aus der Weltwirtschaftskrise führten, trifftnicht zu. Historiker weisen darauf hin, dass derwirtschaftliche Aufschwung auch ohne Straßenbaubereits im Gange war, auch wenn letzterer dazubeitrug. Statt ökonomischer Einsicht herrschte beiHitlers Entscheidung, den Autobahnbau zu forcie-ren, sein Propagandainstinkt vor.15 Südlich derAlpen hatte Benito Mussolini vorgeführt, wie ein rechtsradikales Regime Straßenbau als Mittelder Selbstrepräsentation benutzen konnte: Die autostrade wurden dort ab 1922 gebaut und eiltender Nachfrage wie in Deutschland weit voraus. Bis Ende der zwanziger Jahre entstanden einzelneStrecken, die Mussolinis Regime als Beitrag zurModernisierung des Landes und als Zeichen italie-nischer Raumorganisation feierte.16

Wer von 1933 an in Deutschland wohnte, derkonnte der nationalsozialistischen Straßenpropa-ganda kaum entgehen. In Büchern, Filmen, Brettspielen, Gemälden, Zigarettenbildern, Thea-terspielen, Radiosendungen und Romanen wurdendie Autobahnen nicht nur als moderne Verkehrs-form gefeiert, mit denen das Land den Herausfor-derungen der Zukunft begegnen konnte.17

Vielmehr legte die Propaganda Wert darauf, Hitlerso oft wie möglich mit den Autobahnen in Verbin-dung zu bringen: Hitler sei der Urheber der Idee,kreuzungsfreie Überlandstraßen zu bauen, undhabe entsprechende Pläne während der Festungs-haft nach dem gescheiterten Münchner Putsch von 1923 verfasst, behaupteten regimetreue Jour-nalisten und Autoren nach 1933. Dass dies frei erfunden war, tat der Legende von Adolf Hitlers

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Straßen keinen Abbruch: Der Diktator stilisiertesich als infrastrukturfreundlicher Potentat; dieStraßen waren an seine Person gebunden und dieFahrt auf ihnen sollte die Deutschen jenseits vonregionalen, konfessionellen und Klassenunter-schieden in eine von Hitler beherrschte Volksge-meinschaft einbinden. Diese ethnisch verstandeneVolksgemeinschaft schloss als Juden definierteDeutsche und andere Minderheiten aus und ver-sprach ihren Mitgliedern, sofern sie politisch nichtmissliebig waren, die Lockungen einer Konsumge-sellschaft. Die für politische Häftlinge errichtetenKonzentrationslager und die Reichsautobahnensind so in einem Zusammenhang zu sehen. Zwangund Lockung waren bestimmende Kennzeichenauch dieser Diktatur.18

Die allgegenwärtige Propaganda wurde nichtmüde, Neuheit und Umfang des Straßennetzes zubetonen. Nicht nur die breiten Betonbänder derAutobahn an sich sollten monumental erscheinen,sondern auch das Bautempo. In der Tat wuchsendie Autobahnen rasch durch Wälder und Wiesen.Im September 1933 begannen die Bauarbeiten fürdie Strecke Frankfurt-Heidelberg, ab März 1934wurde die Autobahn von München zur österrei-chischen Grenze gebaut. Der propagandistischeNutzen, nicht Verkehrsnachfrage bestimmten diePrioritäten: Jährlich sollten 1000 KilometerReichsautobahn fertiggestellt werden, was das Re-gime in den Jahren 1937 und 1938 auch erreichte.Ein so rasches Wachstum war nur im Rahmeneiner Diktatur möglich, in der der Rechtsstaataußer Kraft gesetzt ist.In der Propaganda wurde neben Bautempo undAusmaß der Reichsautobahnen auch ihre Gestal-tung gefeiert. In denjenigen Veröffentlichungen,die eher an ein gebildetes Publikum gerichtetwaren, wurden die Straßen nicht als Eingriff in die

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Natur, sondern als Verbesserung der Landschaftangepriesen. Die Autobahnen sollten nach demWillen ihrer Erbauer die Landschaft aufwerten,nicht beschädigen. Als im Januar 1934 der Bauin-genieur Fritz Todt, ein glühender Nationalsozialistaus Pforzheim, der an der Technischen Hoch-schule München promoviert hatte, bei Hitler seineIdeen zum Autobahnnetz vortrug, griff er das be-reits diskutierte Verhältnis von Eisenbahnen undAutomobilen wieder auf: Die Linienführung mussjedoch für das Automobil anders gestaltet werdenwie für die Eisenbahn. Eisenbahn ist Massentrans-portmittel (auch für Masse Mensch). Kraftfahrbahnist individuelles Transportmittel. Die Eisenbahn istmeist Fremdkörper in der Landschaft. Kraftfahrbahnist und bleibt Straße, Straße ist Bestandteil derLandschaft. Deutsche Landschaft ist charaktervoll.Deutschen Charakter muß auch die Kraftfahrbahnerhalten.19 Todt ließ jedoch offen, mit welchen Mit-teln die neuen Autobahnen diese landschaftlichenQualitäten erhalten sollten. Der Bauingenieur, derals Generalinspektor für das deutsche Straßenwesendas Autobahnprojekt leitete und dabei frühereKompetenzen der Länder auf die Reichsebene zog,ermunterte zwar die ihm unterstellten Ingenieure,die Straßen in die Landschaft zu integrieren. Wasdies im Detail bedeuten sollte, überließ Todt aberder Zusammenarbeit von Bauingenieuren und be-ratenden Landschaftsarchitekten. Die Ingenieure, die in der Zentrale in Berlin undregional verstreuten Obersten Bauleitungen dieAutobahnen planten, stammten zum Großteil vonder Deutschen Reichsbahn, die von Hitler zur Zu-sammenarbeit beim Autobahnprojekt gezwungenworden war. Fast zweitausend Reichsbahnbeamtewurden 1934 und 1935 an die Generalinspektionabgeordnet.20 Tiefbauingenieure mit Kompetenzenim Straßenbau gab es wenige, die Reichsbahninge-

nieure waren hingegen im Eisenbahnbau geschult.Angesichts ihrer Vorbildung und Beschäftigungwar den Reichsbahnern der Gedanke einer land-schaftsbetonten Linienführung für die Straßenfremd: Sie entwarfen Straßen, die möglichst geradeverliefen und mit kurzen Kreisbögen verbundenwaren, so wie sie es für Eisenbahnen gelernt hatten.Dies hatten auch die Hafraba-Pläne vorgesehen,die während der Weimarer Republik entstandenwaren und die öffentlich unerwähnte Grundlagefür die frühen Reichsautobahnen boten.Todts rhetorisches Ziel einer landschaftsfreund-lichen Straße war damit in der Baupraxis gefährdet.Als beratendes Gegengewicht zu den Reichsbahn-ingenieuren beschäftigte die Generalinspektiondeshalb ein rundes Dutzend Landschaftsarchitek-ten. Der Münchner Architekt Alwin Seifert (1890–1972) diente sich Todt im November 1933 an undwurde von diesem prompt eingeladen, die bereitsabgeholzte Trasse der Autobahn von München zur Landesgrenze in einem Waldstück bei Mün-chen zu besichtigen. Seifert verfasste daraufhin einGutachten zur landschaftlichen Eingliederung derStraßen. Darin betonte er die ästhetische und öko-logische Bedeutung von Bäumen und Sträuchernam Straßenrand.21 Ab 1934 fungierte Seifert alsLeiter einer Gruppe von Landschaftsarchitekten,die Landschaftsanwälte genannt wurden und dieIngenieure berieten.Diese Personalkonstellation erinnert an die US-amerikanischen parkways. Hinzu kommt, dassTodts Behörde Reiseberichte aus den USA veröf-fentlichte und einschlägige Fachliteratur über-setzen ließ.22 Jedoch trügt der Eindruck, dass diedeutschen Reichsautobahnen eine vollständigeÜbernahme der parkways waren. Anders als dieamerikanischen parkways, auf denen bis heuteLastwagen verboten sind, waren die deutschen Au-

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tobahnen von Anfang an für Lastverkehr offen.Wichtiger noch war die Behandlung von Linien-führung und Bepflanzung. Sie waren hinter denKulissen der Propaganda stark umstritten; Land-schaftsarchitekten und Bauingenieure waren oftuneins. Was die Linienführung angeht, so drängten dieLandschaftsarchitekten um Seifert auf geschwun-gene oder schlängelnde Straßen, so wie sie auch inder Gartenarchitektur üblich waren. Olmstedsparkways und die späteren parkways für Automo-bile waren auch in dieser Form angelegt, um denVerkehr zu verlangsamen und Ausblicke aus derKurve auf neue Landschaftsteile inszenieren zukönnen. Der Maler und Autor William Hogarthhatte bereits Mitte des 18. Jahrhunderts eine ondu-lated line, also eine geschwungene Schönheitslinieempfohlen. Geographisch und ideologisch warenden deutschen Landschaftsarchitekten in der Seifert-Gruppe die Ausführungen des deutschenPublizisten Paul Schultze-Naumburg näher, der in seinen vielbeachteten Veröffentlichungen imfrühen 20. Jahrhundert kurvenreiche Wege als naturnäher bezeichnete, weil sie sich besser an dasGelände und seine wechselnden Konturen an-schmiegen konnten.23

Für den Landschaftsarchitekten Alwin Seifertwaren lange Geraden im Straßenbau schlechter-dings naturfremd. Die Gestaltungsmerkmale derStraßen seien aus der sie umgebenden Landschaftabzuleiten; da es keine Geraden in der Natur gab,sollte es also auch keine geraden Straßen geben.Aber nicht nur der Natur, sondern auch dem Men-schen seien Geraden fremd: Geradlinige Straßenseien reizlos und die Gefahr, dass unaufmerksameAutofahrer Unfälle verursachten, sei deshalb größer, schrieb Seifert.24 Generalinspektor Todtkonterte mit einer Naturanalogie: Schließlich ist

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1 | Eine der ersten Strecken der Reichsautobahn bei Viernheim im Jahr 1934. Die gerade Linienführung war von der Eisenbahnabgeleitet und widersprach der Rhetorik der NS-Propaganda. (Vorlage: StAL EL 75 VIa Nr 2019 a wie Kat. Nr. 19)

2 | So präsentierte sich die nationalsozialistische Autobahn in derPropaganda: Die nichtmotorisierte landwirtschaftliche Nutzung,hier die Heuernte, sollte der technischen Funktion eines modernenVerkehrsweges nicht widersprechen. Weil die Autobahn dem Verkehrsbedarf etliche Jahre vorauseilte, waren Abgase so seltenwie Autos. Bemerkenswert ist neben der ideologischen Komponentedie Linienführung: Lange Geraden wurden mit relativ kurzenKreisbögen verbunden. In der Nachkriegszeit wurden solche engenKurven großzügiger umgebaut. (Vorlage: StAL EL 75 VIa Nr 68aus: Das Erlebnis der Reichsautobahn. München 1943, Abb. 10)

der Kraftwagen auch kein Hase oder kein Reh, das in schlängelnden Linien im Gelände herumspringt,sondern es ist ein von Menschen geschaffenes tech-nisches Werk, das eine zu ihm passende Fahrbahn verlangt, schrieb er an Seifert. Eher sei ein Kraft-wagen zu vergleichen mit einem Wasserläufer odersonst springenden Lebewesen, die kürzere Teilstreck-en in der Geraden zurücklegen und dann von Punktzu Punkt ihre Richtung ändern.25 Todt bevorzugte,zumindest in der Anfangsphase des Reichsauto-bahnbaus, mit Kurven verbundene Geraden. Erst1939, also gegen Ende der nationalsozialistischenStraßenbauphase, wurden schwingende Straßenzur Norm.26 Abbildung 1 zeigt eine solche früheAutobahn unter dem Einfluss der Eisenbahninge-nieure; mit viel Aufwand produzierte Bildbändestellten unterdessen die Versöhnung von Land-schaft und Technik wie in Abbildung 2 heraus.Ähnlich umstritten waren auch Ausmaß und Artder Bepflanzung am Straßenrand. Für die Land-schaftsarchitekten war es offensichtlich, dass Straßengrün unabdingbar war, um ihr Ziel einerlandschaftlichen Eingliederung zu erreichen. Eine

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Straße aber muss Bäume haben, wenn anders sieeine deutsche Straße sein soll, verlangte Seifert.27

Für die Architekten waren Bäume und Sträucherauf Mittelstreifen und am Straßenrand gestalteri-sche Mittel, um die Einheit von Bauwerk undLandschaft zu erreichen. Ihre Ziele reichten abernoch weiter: Statt die vorhandene Landschaft le-diglich zu erhalten, sollte sie, soweit möglich, inihren ökologischen Urzustand versetzt werden.Die Flora, die vor der Ansiedelung von Menschenvorherrschte, sollte wiederhergestellt werden.Heutzutage würden solche Versuche Renaturie-rung genannt; im Nationalsozialismus blieben sieauf rhetorische Wünsche einzelner Berater be-schränkt und verharrten in den Anfängen. Beson-ders umstritten war in diesem Zusammenhangdie Verwendung sogenannter bodenständiger, alsostandortheimischer Pflanzen. Während die land-schaftlichen Berater, allen voran Alwin Seifert, mitimmer schrilleren Begründungen den Wert ein-heimischer Pflanzen anpriesen, blieben die Bauin-genieure und besonders Fritz Todt zurückhaltend.Zwar wurde ökologische Feldforschung finanziellunterstützt, um Listen standortgerechter Arten zu erstellen. Doch Todt war weniger an ökologi-schen Idealzuständen als an rasch anwachsendenPflanzen und Bäumen interessiert.28 Ein Bild wieAbbildung 3, das landschaftliche Harmonie durchdie Bepflanzung von Mittelstreifen und Böschun-gen vermittelt, verbirgt also das Ausmaß an ge-stalterischer Zwietracht hinter den Kulissen desnationalsozialistischen Autobahnbaus.Die angeblich sich so harmonisch in die Land-schaft einschmiegende Straße war also das Ergebnisvielfältiger Konflikte zwischen Landschaftsarchi-tekten und Bauingenieuren. Die Straßen wareneine Mischung verschiedener Baustile. Besondersherausgestellt und auch für heutige Autofahrer

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noch erkennbar sind diejenigen Autobahnstrecken,die eine Autofahrt als visuelle Konsummöglichkeitinszenierten. In den Mittelgebirgen und im Vor-alpenland wurden Strecken, die in Tälern oder anHängen verlaufen konnten, oft über Bergrückengeführt, um Aussichtspunkte zu schaffen. Land-schaft wurde so ein Bestandteil visuellen Konsums.Zu den bekanntesten solcher Strecken gehört die

Route von München zur österreichischen Landes-grenze, besonders die Strecke über den Irschen-berg. Statt die vierspurige Straße günstiger undsicherer im Tal zu bauen, bevorzugte Generalinspek-tor Todt eine Linienführung über den Gebirgs-rücken, da auf einer Länge von drei Kilometernein umfassender Gebirgsrundblick zu genießenwar.29 Einige Kilometer weiter öffnete sich derBlick auf den Chiemsee (siehe Abb. 4), was Todt sogefiel, dass er den Autofahrern eine stille Talfahrtmit ausgeschaltetem Motor empfahl: Die plötzlicheVeränderung der Aussicht, neben den Bergen zurRechten die große weite Fläche des Chiemsees vorausund links der Fahrbahn, hat noch jeden, der an dieseStelle kam, überrascht und gefesselt. Wer diese Land-schaft als Kraftfahrer richtig empfindet, stellt denMotor ab und gleitet die 3 km Gefälle lautlos hinaban das Südufer des Sees, wo Badestrand, Parkplätzeoder der Fischerwirt zum Bleiben und Rasten ein-laden.30Weder die stille Talfahrt zum Chiemseenoch die Konzentration auf die Aussicht vom Irschenberg aus wären heute ratsam. Das Verkehrs-aufkommen ist so hoch, dass viele Autofahrer frohsind, ohne Stau voranzukommen.Dass die Routenwahl über Bergrücken höhereSteigungen und damit eine größere Unfallgefahrnach sich zog, war den Planern durchaus nichtfremd. Sie hielten aber die Aussichtsmöglichkeitenfür wichtiger als die Verkehrssicherheit. Der Alb-aufstieg auf der Strecke Stuttgart-Ulm wurde inden 1930er Jahren bewusst so gestaltet, dass dervisuelle Konsum so breit wie möglich war (sieheAbb. 5). Todts Generalinspektion erlaubte eineAbweichung von den Richtlinien mit engen Kur-ven und einer Steigung von bis zu acht Prozent;statt längerer Tunnels wurden Viadukte undHanglagen gewählt: Selbst formvollendete Bau-werke hätten in ihren Ausmaßen die herrliche

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3 | Ausmaß und Art von Pflanzen und Bäumen entlang derReichsautobahn waren intern umstritten, wurden in Text und Bildaber als landschaftsintegrierende Straßenelemente herausgestellt.(Vorlage: EL 75 VIa Nr 2014 aus: Das Erlebnis der Reichsauto-bahn, München 1943, Abb. 4)

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Landschaft ihres ursprünglichen Charakters völligberauben müssen. Dem Fahrer und Reisenden wäredurch die rasch aufeinanderfolgenden Tunnels derBlick auf das einzigartige Landschaftsbild verschlos-sen geblieben.31

War vor 1945 visueller Konsum noch eines derMerkmale der deutschen Autobahn gewesen, sowurden zu bundesrepublikanischen Zeiten Zieleund Methoden des Autobahnbaus neu definiert.Bis in die 1960er Jahre hinein war das Autobahn-netz in Westdeutschland überdimensioniert; in derDDR nahm die Autobahn wegen der Betonung des öffentlichen Verkehrs eine (spärlich wachsende)Nischenexistenz ein.32 Die aus der Generalinspek-

tion stammenden Straßenbauingenieure kamen zu großen Teilen im Bundesverkehrsministeriumund dem Verkehrsministerium der DDR unter. In der Bonner Republik war zunächst an Auto-bahnneubau nicht zu denken: Die von der Wehr-macht zerstörten Strecken und Brücken musstenerst wiederaufgebaut wurden und die Finanz-politik des Bundes wies den Autobahnen in denfrühen 1960er Jahren keine Priorität zu. Immermehr Ingenieure machten sich nun daran, künf-tigen Verkehrsbedarf durch Verkehrszählungen zuprognostizieren, um so eine datengesicherteGrundlage für Grobplanungen in der Hand zuhaben. Was die Gestaltung der Straßen in der

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5 | Kurz vor der Fertigstellung 1937 ist hier das Aichelbergviaduktzu sehen. Statt eine Serie von Tunneln bevorzugten die Planer ge-häufte Aussichtsmöglichkeiten. In den vergangenen Jahrzehnten istder Albaufstieg zur Verbesserung der Verkehrssicherheit stark um-gebaut worden. (Vorlage: StAL EL 75 VIa Nr 3847)

4 | Als landschaftliche Verheißung wurde der Blick auf den Chiem-see von den Autobahnbauern auf der Strecke von München zurösterreichischen Landesgrenze in Szene gesetzt. Heute ist dieStracke außerdem wegen häufiger Staus bekannt. (Vorlage: StALEL 75 VIa Nr 66 aus: Das Erlebnis der Reichsautobahn, München1943, Abb. 24)

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Landschaft angeht, so gewannen die Bauinge-nieure gegenüber den Landschaftsarchitekten zu-nehmend die Oberhand. Die so leidenschaftlichdiskutierte Frage, ob Geraden oder geschwungeneStraßen zu bevorzugen seien, wurde in der Bundes-republik auf geometrischer, nicht auf landschaft-licher Ebene entschieden. In den sechziger Jahrenmachten Lehrbücher und Tafelwerke die Klot-hoide als Übergangsbögen bei Kurven bei Straßen-

bauern populär.33 Abbildung 6 zeigt ein Beispieleiner solchen mathematisch gewonnenen Linien-führung. Ab den 1970er Jahren waren dann die Expertennicht mehr unter sich, wenn es um Autobahn-planungen ging. Zunächst an Plänen für Stadt-autobahnen und dann an längeren Streckenentzündete sich Bürgerprotest. Angesichts desmassiv gewachsenen Verkehrs nutzten immer

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6 | Dieses Luftaufnahme der Strecke Ulm-Memmingen bei Dettin-gen aus dem Jahr 1973 zeigt die sanfte Krümmung der bundes-deutschen Autobahn und die großen Übergangsbögen. (Aufnahme:Alb. Brugger, Vorlage: StAL EL 75 VIa Nr 2685)

7 | Mitte der 1980er Jahre wurde dieser Albaufstieg auf der A7 anders gestaltet als fünf Jahrzehnte zuvor derjenige auf der A8:Verkehrssicherheit statt Aussichtsmöglichkeiten war nun dasMotto. (Vorlage: StAL EL 75 VIa Nr 2504)

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mehr Bundesbürger die Autobahnen, doch An-wohner und verkehrspolitische Aktivisten, dieAutobahnen als landschaftszerstörend und nichtlänger als Landschaftsgewinn ansahen, verzöger-ten und änderten viele Pläne oder machten sieganz zunichte.34 In einem dichtbesiedelten undhochmotorisierten Land wie der Bundesrepublikwaren landschaftsbetonte Gestaltungselementevon den 1970er Jahren an wenn nicht obsolet, sodoch nachrangig.Wenn Bundesbürger als Auto-fahrer oder ADAC-Mitglieder sich öffentlich be-merkbar machten, dann überwogen die Rufenach Verkehrssicherheit, nicht nach mehr Aus-sichtsmöglichkeiten. In den 1960er Jahren machtesich der ADAC erfolgreich für das Abholzen vonStraßenbäumen stark, weil sie für Verkehrsunfälleverantwortlich gemacht wurden. Letztere warenein stark emotional besetztes Thema in der jun-gen Bundesrepublik; von 1949 bis 1970 starbenüber 280.000 Verkehrsteilnehmer in Straßen-verkehrsunfällen.35 Durch zunehmenden Verkehrauf den Autobahnen wurde auch der Straßenlärmfür eine wachsende Anzahl von Anwohnern ein Politikum. Nach vielen Protesten wurden zu-nehmend Lärmschutzwände errichtet, die derAutofahrt eine kanal- und schneisenartige Optikverliehen.36 Das Ziel war nun, die Emissioneneinschließlich des Lärms zu mindern.In dem halben Jahrhundert zwischen 1930 und1980 hat sich das Verhältnis von Landschaft undAutobahn grundlegend geändert. Was zunächst alsglückliche Ehe zur Verbesserung beider Hälften gesehen wurde (auch wenn die nationalsozialisti-sche Baupraxis widersprüchlich war), erschien bei höherem Verkehrsaufkommen manchen baldals Mesalliance. Wie stark dieser Wandel war, zeigtder Albaufstieg der Autobahn Ulm-Würzburg bei Westhausen in Abbildung 7: Statt den Höhen-

unterschied dazu zu nutzen, den Autofahrernschöne Ausblicke zu bieten, ist die Straße in tiefenEinschnitten und einem Tunnel gelegen.

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Anmerkungen

1 Wolfgang Schivelbusch: Geschichte der Eisenbahnreise. München 1977, S. 51–57.2 Schivelbusch, wie Anm. 1, S. 53.3 Schivelbusch, wie Anm. 1, S. 58.4 Zitiert nach Kurt Möser: Geschichte des Autos. Frankfurt,New York 2002, S. 69.5 Die Literatur zum Thema Landschaft ist sehr umfänglich. Zur Einführung: Denis E. Cosgrove: Landscape and Landschaft.In: Bulletin of the German Historical Institute Washington D.C.,No. 35 (Fall 2004), S. 57–71; Technologies of Landscape. FromReaping to Recycling. Hg. von David Nye. Amherst Mass. 1999;Martin Warnke: Politische Landschaft. München 1992; ThomasLekan u. Thomas Zeller: Cultural Landscapes. In: The OxfordHandbook of Environmental History. Hg. von Andrew Isenberg.Oxford, im Erscheinen.6 Christoph Maria Merki: Der holprige Siegeszug des Auto-mobils. Zur Motorisierung des Straßenverkehrs in Frankreich,Deutschland und der Schweiz. Wien 2002; Uwe Fraunholz: Motorphobia. Anti-automobiler Protest im Kaiserreich und derWeimarer Republik. Göttingen 2002; Brian Ladd: Autophobia.Love and Hate in the Automotive Age. Chicago 2008.7 Zitiert nach Karl-Heinz Ludwig: Technik und Ingenieure imDritten Reich. Düsseldorf 1979, S. 303.8 Clay McShane: Down the Asphalt Path. The Automobile andthe American City. New York 1994, S. 31–40; ders.: Urban Path-ways: The Street and Highway, 1900 –1940. In: Technology and the Rise of the Networked City in Europe and America. Hg.von Joel A. Tarr u. Gabriel Dupuy. Philadelphia 1988, S. 67–87.9 Timothy Davis: The Rise and Decline of the American Park-way. In: The World Beyond the Windshield: Roads and Land-scape in the United States and Europe. Hg. von Christof Mauchu. Thomas Zeller. Athens, Stuttgart 2007, S. 35–58; John Nolen u.Henry V. Hubbard: Parkways and Land Values. Cambridge Mass.1937; Thomas Zeller: Der verlangsamte Verkehr: Die Herstellungvon Landschaft durch Straßen im 20. Jahrhundert. In: Neue Wege in ein neues Europa. Geschichte und Verkehr im 20. Jahr-hundert. Hg. von Ralf Roth u. Karl Schlögel, Frankfurt am Main,New York 2009, S. 361–376.10 Zit. Erhard Schütz, Eckhard Gruber: Mythos Reichsautobahn.Bau und Inszenierung der „Straßen des Führers“ 1933–1941.Berlin 1996, S. 14.11 Hans Mommsen u. Manfred Grieger: Das Volkswagenwerkund seine Arbeiter im Dritten Reich. Düsseldorf 1996; WolfgangKönig: Volkswagen, Volksempfänger, Volksgemeinschaft: Volks-produkte im Dritten Reich. Vom Scheitern einer nationalsozialis-tischen Konsumgesellschaft. Paderborn 2004.

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12 Thomas Zeller: Straße, Bahn, Panorama. Verkehrswege undLandschaftsveränderung in Deutschland 1930 bis 1990. Frank-furt am Main, New York 2002, S. 51–52.13 Dirk van Laak: Weiße Elefanten. Anspruch und Scheiterntechnischer Großprojekte im 20. Jahrhundert. Stuttgart 1999.14 Der highway commissioner des US-Bundesstaates Michiganim Jahr 1938, zit. nach Bruce E. Seely: Visions of AmericanHighways 1900–1980. In: Geschichte der Zukunft des Verkehrs.Verkehrskonzepte von der Frühen Neuzeit bis zum 21. Jahrhun-dert. Hg. von Helmuth Trischler u. Hans-Liudger Dienel. Frank-furt am Main 1997, S. 260–279, Zitat S. 269.15 R. J. Overy: Cars, Roads and Economic Recovery in Germany,1932–1938. In: The Economic History Review 28 (1975), S. 466–483. Ebenfalls unzutreffend ist die angebliche militäri-sche Motivation für die Reichsautobahnen. Für die Belange derReichswehr war das Projekt überdimensioniert und zu teuer;Hitler überstimmte solche Kritik intern; vgl. Christopher Kop-per: Modernität oder Scheinmodernität nationalsozialistischerHerrschaft. Das Beispiel der Verkehrspolitik. In: Von der Auf-gabe der Freiheit. Politische Verantwortung und bürgerliche Ge-sellschaft im 19. und 20. Jahrhundert. Festschrift für HansMommsen. Hg. von Christian Jansen, Lutz Niethammer u.Bernd Weisbrod. Berlin 1995, S. 399–411.16 Im Gegensatz zu Deutschland wurde in Mussolinis Italienweder rhetorisch noch in der Baupraxis viel Wert auf land-schaftliche Aspekte gelegt: Massimo Moraglio: A Rough Moder-nization: Landscapes and Highways in Twentieth-Century Italy.In: Mauch/Zeller, wie Anm. 9, S. 108–124.17 Schütz/Gruber, wie Anm. 10.18 Zur Volksgemeinschaft statt vieler Nennungen Ludolf Herbst:Das nationalsozialistische Deutschland. Frankfurt/Main 1996, S. 80–89. Historiker sind sich uneinig, inwieweit die national-sozialistische Konsumgesellschaft vorgetäuscht oder wirkmäch-tig war. Zu zwei Polen der Debatte König, wie Anm. 11; ShelleyBaranowski: Strength through Joy: Consumerism and MassTourism in the Third Reich. Cambridge 2004.19 Zitiert nach Christoph Hölz: Verkehrsbauten. In: Bauen imNationalsozialismus. Bayern 1933–1945. Ausstellung des Archi-tekturmuseums der Technischen Universität München und des Münchner Stadtmuseums. Hg. von Winfried Nerdinger.München 1993, S. 54–97, Zitat S. 56.20 Alfred C. Mierzejewski: The Most Valuable Asset of the Reich:A History of the German Railway Company. Bd. 2. Chapel Hill2000, S. 42.21 Todt an Seifert, 23.11.1933, Deutsches Museum, Archiv NL133/56; Alwin Seifert, Vorschlag zur landschaftlichen Eingliede-rung (Deutsches Museum, Archiv NL 133/56). Zu Einzelheitensiehe Zeller, wie Anm. 12, u. Thomas Zeller: Driving Germany:The Landscape of the German Autobahn 1930–1970. New York/Oxford 2007.

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22 Wolfgang Singer: Parkstraßen in den Vereinigten Staaten. In:Die Straße 2 (1935), S. 175–177; Bruno Wehner: Die landschaft-liche Ausgestaltung der nordamerikanischen Park- und Ver-kehrsstraßen. In: Die Straße 3 (1936), S. 599 –601; Wilbur H. Simonson, Robert E. Royall: Landschaftsgestaltung an der Straße.Berlin 1935.23 Stephen Bending: The Improvement of Arthur Young. Agri-cultural Technology and the Production of Landscape inEighteenth Century England. In Nye, Landscape, S. 241–253; W. G. Hoskins: The Making of the English Landscape. With anIntroduction and Commentary by Christopher Taylor. Londonu. a. 1988, S. 161f.; Paul Schultze-Naumburg: Kulturarbeiten. Teile I–IX, München 1902–1917; ders.: Die Gestaltung der Land-schaft durch den Menschen. München ³1928.24 Alwin Seifert: Natur und Technik im deutschen Straßenbau.In: ders., Im Zeitalter des Lebendigen. Natur-Heimat-Technik,Planegg vor München ²1942, S. 9–23; ders.: Die landschaftlicheEingliederung der Straße. In: Die Straße 2 (1935), S. 446–450.25 Todt an Seifert 26. 06.1935 (Bundesarchiv Koblenz NS 26/1188).26 Zeller, wie Anm. 12, S. 142–158.27 Alwin Seifert: Natur und Technik im deutschen Straßenbau.In: ders.: Im Zeitalter des Lebendigen, wie Anm. 24, S. 9–23, 20.28 Zeller, wie Anm. 12, S. 165–187.29 Fritz Todt: Der landschaftliche Charakter der AutobahnMünchen-Landesgrenze. In: Die Straße 2 (1935), S. 67–68.30 Todt, wie Anm. 29, S. 68.31 Eugen Kern: Der Albaufstieg im Zuge der ReichsautobahnStuttgart-Ulm. In: Die Straße 2 (1935), S. 474–480, Zitat S. 474.32 Axel Doßmann: Begrenzte Mobilität. Eine Kulturgeschichteder Autobahnen in der DDR. Essen 2003.33 Zeller, wie Anm. 12, S. 228–283.34 Für ein regionales Beispiel siehe Dietmar Klenke: Autobahn-bau in Westfalen von den Anfängen bis zum Höhepunkt der1970er Jahre – Eine Geschichte der politischen Planung. In: Verkehr und Region im 19. und 20. Jahrhundert. Westfälische Beispiele. Hg. von Wilfried Reininghaus u. Karl Teppe. Pader-born 1999, S. 249–270.35 Thomas Zeller: Mein Feind, der Baum: Verkehrssicherheit,Unfalltote, Landschaft und Technik in der frühen Bundesrepu-blik, In: Mit dem Wandel leben. Neuorientierung und Traditionin der Bundesrepublik der 1950er und 60er Jahre. Hg. vonFriedrich Kießling u. Bernhard Rieger. Köln 2010, S. 247–266.36 Möser, wie Anm. 4, S. 102.

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Hermann Knoflacher

die typische Prägung der Kulturlandschaft. Im offenen Gelände waren es die Klimaanlagen derFeldgehölze und Alleen für den Personen- undFuhrwerksverkehr, die bis heute die Landschaftprägen. Techniker schätzten ihre Funktionen zurbaulichen Stabilisierung der Straßenkörper undkooperierten so mit der Natur – daraus entstanddie Baukultur auch für die Verkehrswege. Die fehlende oder teure Energie zwang die Inge-nieure zu intelligenten konstruktiven Lösungenund einer Linienführung, bei der eine maximaleÜbereinstimmung mit den natürlichen Gegeben-heiten zu den geringsten Bau- und Erhaltungs-kosten führte und darüber hinaus ästhetische undökologische Leistungen vollbrachte, die bis heuteeinen added value der Kulturlandschaft bilden.Sensible Integration der Kunstbauten, die Wahl lokalen Baumaterials und bodenständiger Pflanzenbestimmten den Straßenbau noch bis in die 30erJahre des 20. Jahrhunderts. Die Trassierungsele-mente entsprachen dem Fußgeher, dem Fuhrwerkund konnten damit optimal den örtlichen Rand-bedingungen angepasst werden. Das Gleichgewicht

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Kulturlandschaft und Autobahn

Hermann Knoflacher

Kulturlandschaft und Autobahn – mehr als ein gescheiterter Versuch

Straßen geprägte Kulturlandschaften

Verkehrswege waren in der Geschichte der Mensch-heit immer strukturprägend, weil sie nicht nur das Erscheinungsbild im ländlichen Raum, sondernauch der Siedlungen gestalteten. An den Küstenund Flüssen waren natürliche oder künstlicheHäfen die Voraussetzung für die Siedlungs- undspätere Stadtentwicklung, an denen Waren ein-und ausgeladen wurden und Menschen die Ver-kehrsmittel wechselten. Auf dem Lande waren esjene Punkte, an denen die Verkehrsmittel zum Halten kamen, Waren umgeschlagen, Pferde ge-wechselt wurden und Menschen übernachtenmussten. Verkehrssystem und Siedlungsentwick-lung sind zwingend über raumzeitliche Beziehun-gen, die Geschwindigkeiten, miteinander verknüpft.Wo Energie für die Fortbewegung zu ruhen hatte,konnte Energie für die Entwicklung und Erhaltungvon Siedlungsstrukturen gewonnen und gehaltenwerden. An den End- und Schnittpunkten der Tagesreisen entstanden unsere heutigen Kreis- oderBezirksstädte. Aus der natürlichen entstand so

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zwischen der Straße und ihrer Umgebung musstean jeder Stelle neu gesucht und gefunden werden.Mit dazu gehört auch die Harmonie zwischen derSiedlung und den sie umgebenden agrarischenoder forstlichen Nutzungen. Die Arbeitsprozessemussten dort stattfinden, wo Menschen und Res-sourcen waren. Denn Transporte waren teuer undnahezu alle Energie war solare. Der Reichtum dereuropäischen Kulturlandschaft an Vielfalt, Diver-sität und Unverwechselbarkeit ist das Erbe dieserZeit.

Eisenbahn als Vorbild

Eisenbahnen waren die ersten mit fossiler Energiebewegten technischen Landverkehrsmittel, die auf eigenen, vom übrigen Geschehen getrennten Trassen hohe, jenseits der evolutionären Erfahrungliegende Geschwindigkeiten erreichten. Ein auf-wändiges Internes und Externes an Signalen, Verhaltensregeln, Vorschriften und Kontrollein-richtungen musste eingerichtet werden, um die Sicherheit zu gewährleisten. Eisenbahnen sind alsgeschlossenes System nur über kontrollierte Zu-gänge, Bahnhöfe, erreichbar (wo die Verkehrsmit-tel gewechselt werden), mit klar definierterVerantwortung, festgelegten Sicherheitsstandardsund Betriebsbedingungen. Zwischen den Geradenund den Kreisbogen mussten Eisenbahningenieureeinen Übergangsbogen in Form einer kubischenParabel einschalten, um die Überhöhung der Au-ßengleise bei der Bogenfahrt unterzubringen undden Fahrkomfort weitgehend ruckfrei gestalten zu können. Die geringe Gleitreibung zwischen Radund Schiene zwang zu technischen Höchstleistun-gen in schwierigen topographischen Geländen, die später niemals wieder erreicht wurden. Das

Ergebnis waren nicht nur ingenieurmäßig beein-druckende Bauwerke, sondern ein Beitrag zur Kulturlandschaft, dem manche Bergstrecken dasPrädikat Weltkulturerbe verdanken. Vorüberge-hend verloren die Straßen an Bedeutung, zumin-dest im bahnparallelen Fernverkehr; durchausnicht von Nachteil für die Kulturlandschaft, blicktman auf das letzte Jahrhundert mit dem beschleu-nigten Straßenbau zurück.

Renaissance der Straßen durch das Auto und das Dilemma der Informationsverarbeitung

Das Auto, ein Ergebnis von Erfindergeist und Ge-werbe des 18. und 19. Jahrhunderts, wandelte sichim 20. Jahrhundert durch die Strategien einesHenry Ford zu einem erfolgreichen Konzernpro-dukt, für das passende Bewegungsflächen fehlten.An mehr dachte man damals nicht. 1921 wurdedie AVUS in Berlin gebaut, eine Art Vorläufer derspäteren Autobahnen, um als Rennstrecke für denschnellen Autoverkehr genutzt zu werden. Die mitden Siedlungen und der Landschaft organisch ver-bundenen Wege und Straßen stellten für den mü-helosen und schnellen Autoverkehr ein Hindernisdar, das seine Entwicklung und Verbreitung eherbehinderte als förderte. Die Autos hatten sich indas allgemeine Verkehrsgeschehen einzugliedernbzw. diesem noch unterzuordnen. Ab 1865 musstein England dem Kraftfahrzeug im öffentlichenRaum ein Mann mit roter Fahne vorausgehen.1

Es fehlten Erfahrungen mit dem neuen Verkehrs-mittel, das den Lenkern individuelle Geschwindig-keitsbereiche eröffnete, für die sie evolutionärnicht ausgestattet waren. Die Informationsmengein dem vielfältigen Straßenbild von damals über-schritt die Möglichkeiten der hinter dem Steuer

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sitzenden, zum Autofahrer gewordenen Fußgänger,um sie in verantwortliche Handlungen umzuset-zen. Die Informationsdichte war zu verringern, ambesten, indem man alle anderen Verkehrsteilneh-mer aus dem Bewegungsraum der Autos entfernte.Die Fahrbahnen als privilegierte Zonen für Autoswurden eingerichtet. Um die Informationsdichtebei höheren Geschwindigkeiten auf die begrenztenVerarbeitungsfähigkeiten der Lenker zu reduzie-ren, war mehr Exklusivität notwendig: die Auto-bahn – in Analogie zur Eisenbahn, eine Anlage nurfür den schnellen Autoverkehr. Der Italiener Pietro Puricelli errichtete 1924 einerstes Teilstück einer Autobahn zwischen Mailandund Varese, für alle zugänglich, aber gebühren-pflichtig. Dieses Projekt misslang, weil die Nach-frage wegen des geringen Fahrzeugbestandes denErwartungen nicht entsprach. Aus und mit denIdeen Puricellis entstammt aber die Projektierungeiner Autobahn von Hamburg nach Mailand, Hafabra (Hamburg-Frankfurt-Basel), die nachähnlichen Prinzipien nur dem Autoverkehr vor-behalten war. Als man 1932 die erste öffentlicheAutobahn Deutschlands zwischen Köln und Bonneröffnete, ahnte man nichts von den Folgewirkun-gen, die diese Verkehrsanlagen in den nächstenJahrzehnten auf verschiedenen Gebieten erzeugenwerden und von denen traditionelle Verkehrspla-ner bis heute noch immer keine Ahnung haben. Der primäre Zweck von Autobahnen war das ungehinderte Autofahren mit hoher Geschwindig-keit auf richtungsgetrennten Fahrbahnen ohneKreuzungen. Spezielle Zu- und Abfahrten, schein-bar analog zu den Bahnhöfen, wurden vorgesehen.Weil man aber weiter mit dem Auto in die Um-gebung eindringen konnte, wären Strukturverän-derungen, weit über jene der Bahn hinaus, zu bedenken gewesen. Im Unterschied zu den Eisen-

bahnen, welche die Ingenieure zwangen, die Bo-genfahrt sorgfältig zu projektieren, um mit denauftretenden Fliehkräften fertig zu werden, gingman bei der Anlage der Autobahnen relativ saloppvor. Denn als man die ersten errichtete, wussteman weder über die Wirkungen der Fahrbahn-breite auf das Fahrverhalten bzw. das richtige Maßder Fahrstreifen (die Eisenbahn nahm die Spur-weite von den Kutschen) Bescheid, noch hatte manbrauchbare Übergangsbogen, um den Seitenruckbeim Übergang von der Geraden in den Kreis-bogen zu mindern. Um dieses fahrdynamischeProblem zu lösen, schaltete man einfach einenKreisbogen mit doppeltem Radius vor, baute brei-tere Fahrstreifen und überließ es den Autofahrern,damit fertig zu werden. Erst in den 1950er und1960er Jahren wurde durch die Klothoide der ste-tige Übergang von der Geraden zur Krümmungdes Kreisbogens ermöglicht. Die überbreiten Fahr-streifen blieben – und mit jedem zusätzlichen ent-fernt man sich immer mehr von der Landschaft.

Der – gescheiterte – Versuch, Autobahnen und Kulturlandschaft zu harmonisieren

Bei der Planung und dem Bau der Reichsautobah-nen zeigte sich der Konflikt zwischen Autobahnund Kulturlandschaft zum ersten Mal deutlich.Landschaftsschützer und Architekten verlangteneine an die Kulturlandschaft angepasste geschwun-gene Linienführung, Ingenieure verteidigten dielangen Geraden, die Kreisbogen und setzen sichauch gegen die Vertreter der Interessen der Kultur-landschaft durch. Eine Umkehr der Werte: Quanti-tät vor Qualität. Die Vorzüge der Kulturlandschaftwurden dort genutzt, wo man sich Vorteile für dasAutofahren erwartete. Die Richtungsfahrbahnen

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waren zunächst nicht baulich getrennt, der Blicknoch frei auf die Umgebung. Abgesehen von Ausnahmen, blieben die Bemühungen der Land-schaftsvertreter vor allem auf Detailausgestaltungenvon Brücken begrenzt. Die bereits eingeschränkteSichtweise der Naturwissenschaftler wurde durchdie Ingenieure weiter verengt, die mit einfachenFormeln den Bau der Autobahnen vorantriebenund sie so zu einem Symbol für Fortschritt, Mobili-tät und Freiheitmachten. Ohne die Unterstützungtotalitärer Systeme in Italien und Deutschlandwäre diese Entwicklung vermutlich anders verlau-fen. Während man auf der Eisenbahn gefahrenwird, also nicht selbst fährt, suggeriert bereits dasWort Auto (gr. selbst)-Bahn, dass man diese Anla-gen individuell benutzen kann. Diese Art vonSelbstbedienung hat in der Folge ab 1933 das In-teresse der nach langfristigen und sicheren Aufträ-gen Ausschau haltenden Bauindustrie geweckt undab den 1950er Jahren einen unglaublichen Bau-boom für Autobahnen ausgelöst. Wegen fehlendereigener Erfahrungen orientierte man sich an denUSA, in der Annahme, deren Standards hätten so-lide Grundlagen.

Die Geschwindigkeit prägt die Trassierung, nichtmehr die Kulturlandschaft

Die Projektierung der Autobahnen richtete sichnach möglichst hohen Geschwindigkeiten, aufdem Glauben beruhend, man könne dadurch Zeitsparen. Diese aus der individuellen Erfahrung re-sultierende Extrapolation ist bedauerlicherweiseein Irrtum, weil höhere Fahrgeschwindigkeiten im System zwingend zu Wegverlängerung führen. Was früher in der Nähe sein musste, mag nun inder Ferne liegen, weil man es in der gleichen Zeiterreichen kann. Die Folgen kennt man mittler-

weile: es ist möglich auf dem Lande zu wohnenund in der Stadt zu arbeiten; sichtbare Konse-quenz davon ist die flächenhafte Zersiedlung. Aberauch die Wirtschaft reagiert und konzentriert ihreStandorte immer mehr dort, wo man diese mitdem Auto gut erreichen kann, denn die Transport-kosten werden weitgehend von der Gesellschaft getragen. Hinzu kam die bis heute vorhandeneZwangsvorstellung eines endlos steigenden Mobili-tätsbedürfnisses, das es zu befriedigen galt, ohnenach dessen Ursache zu fragen. Der Mobilitätsbe-griff, der die Planung und Projektierung von Auto-bahnen treibt, beschreibt eine zwecklose Mobilitätmit hohen Geschwindigkeiten auf einer Anlage,auf der sich weder Ausgangs- noch Zielpunkte derFahrten und daher auch keine Zwecke der Reisebefinden. Es wurde ein Teilsystem ohne Bedacht-nahme auf die Wirkungen im Gesamtsystem vonWirtschaft, Gesellschaft und Natur errichtet. In der Kulturlandschaft entstanden Barrieren, Zer-schneidungen für alle anderen Mobilitätsformen.Die nach dem Zweiten Weltkrieg lawinenartig zunehmende Motorisierung wurde durch den Bauvon Autobahnen weiter angefacht und verdrängteoder erstickte alle anderen Formen der Mobilität.Mit der Verwendung der Klothoide wäre die in der Zeit der Reichsautobahn gewünschte ge-schwungene Linienführung zur Anpassung an dieLandschaft möglich, wurde aber bald durch dieForderungen nach hohen Durchflussmengen bei-seitegeschoben. Eine enge, sektoral ausgerichteteAusbildung und Verwaltung erkannte die uner-wünschten Folgewirkungen der Autobahnen, wiebeispielsweise die flächenhafte Zersiedlung derehemaligen Kulturlandschaft, lange Zeit nicht. Die Freiheit der Standortwahl wurde zum Slogander internationalen Konzerne, um auf Kosten der öffentlichen Hand Gewinne zu erzielen. Auto-

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bahnen als offene Systeme eignen sich dazu beson-ders. Die im Vergleich zum Wirtschaftswachstumschneller auswuchernden LKW-Kilometer sind einBeleg dafür.

Die Rückseite der glänzenden Medaille Autobahn

Die sprunghaft steigenden Unfallzahlen in den1950er und 1960er Jahren führten zu ersten Ord-nungsmaßnahmen und einer Nachrüstung dieserVerkehrsanlagen mit baulichen Leiteinrichtungen,die schrittweise zu immer stärkeren und härterenEingriffen in die Kulturlandschaft führten. Dereinst freie Blick auf die Umgebung wird zuneh-mend durch Lärmschutzwände oder die Verlegungder Autobahn in Tunnel eingeschränkt. Statt einerFahrt durch eine Kulturlandschaft bewegt mansich zunehmend in einem Kanal. Dafür tauchenentlang der Autobahnen insbesondere an den An-schlussstellen der Kulturlandschaft fremde Ele-mente einer schrillen, rücksichtslosen Werbungauf, die sich häufig mit einem flächenverzehrendenIndustrieflachbau vermengen. In den 1960er Jahren wird der Autobahnbau zu-nehmend durch quantitative Größen, hard facts,dominiert – selbst wenn sie so unsinnig und falschsind wie Zeiteinsparungen aus Geschwindigkeit,die es im Verkehrssystem ebenso wenig gibt wieein Mobilitätswachstum, definiert man Mobilitätzweckbezogen. Kultur ist das Ergebnis von Quali-tät und nicht von Quantität. Die Autobahnenlösen sich immer mehr von der seltener werden-den Kulturlandschaft und werden durch dieZwangsmobilität der Benutzer immer mehr zumInstrument des Kapitals. Geld mal Geist ist eineKonstante im Volksmund in der Weisheit Wer esnicht im Kopf hat, muss es in den Beinen haben

griffig erklärt, bewahrheitet sich auch hier. Die ers-ten Stauphänomene werden gerade dort sichtbar,wo die meisten Fahrstreifen angeboten werden –aber keiner erkennt die Ursachen, die in der An-lage selbst – und den menschlichen Eigenschaften– liegen. Die uralte evolutionäre Schicht, in der die Energie verrechnet wird, wurde durch die Be-quemlichkeit des Autos (sitzende Bewegung inRuhe!) und unbehindertes Ausleben einer sonstunerreichbaren individuellen Geschwindigkeit aufAutobahnen wirksam. Eine paradoxe Situation: Als man sich noch um die Kulturlandschaft be-mühte, konnte man so schnell fahren, dass mandafür keinen Blick hatte. Jetzt, wo man die planeri-schen Möglichkeiten für die Integration in dieLandschaft hätte, ist man schon froh, auf den Au-tobahnen Augenblicke ohne Behinderungen durchandere Autofahrer zu erleben. Und steht man imStau, ist der Blick auf die Kulturlandschaft durchBarrieren verstellt.Ist Kulturlandschaft ein Produkt der geistigenMobilität jener, die in der Auseinandersetzung mitder Natur harmonische Lösungen in ökonomi-scher, sozialer und ökologischer Hinsicht fanden –so bildet sie einen Eigenwert des jeweiligenRaumes, der ebenso wenig wie das Leben durchGeld allein erfassbar ist. Der Maßstab einermenschlichen Kulturlandschaft war und ist derMensch. Der Maßstab der Autobahnen ist wederräumlich noch zeitlich ein menschlicher, son-dern jener der schnellen Fahrmaschinen in einem offenen System, die diesen Maßstab auch in dieUmgebung tragen, dort ausufernde Industrieland-schaften und austauschbare Wohnsiedlungen erzeugen. Ihr positiver Beitrag zu einer Kultur-landschaft reduziert sich auf Sonderfälle. IhreAbgas- und Lärmkorridore entwerten einstige Kul-turlandschaften als Lebens- und Erholungsräume.

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1975, drei Jahre nach der Energiekrise, als dieGrenzen des Wachstums 2 schon bekannt waren,wäre der Zeitpunkt zu einer Abkehr vom SystemAutobahn gewesen, gäbe es eine rationale und verantwortungsbewusste Verkehrspolitik und -wis-senschaft. Erst 40 Jahre danach wurde das Zentrumvon Seoul wieder zur Kulturlandschaft, nachdemman dort die Autobahn, die täglich von über220.000 Autos befahren wurde, abgetragen hatte.Ein Vorbild für die Zukunft.Kulturlandschaft berührt positiv; Kulturland-schaft durchschnitten von Autobahnen berührtauch – im Geiste des technologischen Fortschritts-glaubens des 19. Jahrhunderts vielleicht mit Be-wunderung –, aus dem Blick eines systemkundigenBetrachters eher mit erschütterndem Bedauern umdie Verluste an intelligenteren Lösungen.

Anmerkungen

1 Ein Wunder – Der Einsturz der Kufsteiner Autobahnbrückewurde von Experten seit langem prophezeit. In: Der Spiegel,Heft 30, 1990, S. 149–150.2 Donella H. Meadows, Dennis L. Meadows, Jørgen Randersu.William W. Behrens III: The Limits to Growth. New York 1972.

Kulturlandschaft und Autobahn

Wie aus Autobahn wieder Kulturlandschaft werden kann: Seoul 2001 links und 2005 rechts

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Angela Jain

Die Straße als Symbol

Über die Bedeutung von Straßen ist bereits ausvielen Perspektiven reflektiert worden, nicht zu-letzt über ihr Verhältnis zur Landschaft und ihreRolle als netzförmige Infrastruktur. Straßen, be-festigte Wege, gehören zu den ältesten menschlichenBauwerken. Straßen sind Zeugnisse der Zivilisation.Sie beziehen Räume aufeinander, sie verknüpfenStädte, überbrücken Flüsse und überwinden Gren-zen, sie erschließen Landschaften. […] Sie dienender Ausbreitung von Ideen und Kulturtechniken.Handel und Wirtschaft brauchen Straßen. Sie sindeine Voraussetzung der Kommunikation, des Aus-tausches zwischen Menschen, Völkern und Kulturen,Orten, Regionen und Staaten.1

Der große Stellenwert von Straßen wird alleinschon durch den Sprachgebrauch deutlich. DerWeg findet als Metapher für das Leben Verwen-dung, eine lange Reise oder ein beschwerlicher Wegbeziehen sich nicht nur auf eine konkrete Strecke,Sackgasse, Einbahnstraße und Stau werden eben-falls im übertragenen Sinne verwendet. Am deut-lichsten aber zeigt das Wort Er-fahrung dieReichweite der Bedeutung von Fortbewegung unddie Verbindung zum menschlichen Erleben.

Zu Beginn des Straßenzeitalters bestimmte vorallem die eigene menschliche Leistungsfähigkeitdie Fortbewegung. Das Zu-Fuß-Gehen hat überJahrtausende die Vorstellung von Zeit und Raumund das Verhältnis von Mensch und Umwelt ge-prägt.2 Später vereinfachten der Einsatz von Tierenund dann das Rad den Transport von Waren undermöglichte eine höhere Reisegeschwindigkeit. EinWendepunkt in der Form der Fortbewegungsmit-tel war die Entwicklung der Dampfmaschine, diezunächst ihre Kraft über die Schiene in Bewegungumsetzte. So wurden immer neue Möglichkeitengefunden, Reise und Transport zu vereinfachenund zu beschleunigen, Verkehrswege wurden ver-bessert und aus der Dampfmaschine wurde dasAutomobil, mit dem Berta Benz im Jahre 1888 ihreerste Fernfahrt unternahm.In der Konsequenz verlangte das Auto als neueErrungenschaft der Fortbewegungstechnik nacheinem adäquaten Zuhause. Die Straße musste sichden höher werdenden Geschwindigkeiten anpas-sen, die Folge war eine Trennung der Wege fürlangsamere und schnellere Fahrzeuge und somitauch ein Verlust der Kommunikationsfunktion.Die Straße erfüllt in erster Linie die Aufgabe, denMenschen das Mobil-Sein zu erleichtern. Sie ist

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Das Bild von der Autobahn-Landschaft

Angela Jain

Das Bild von der Autobahn-Landschaft

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für die Benutzer eine Strecke mit einem Anfangs-punkt und einem Endpunkt. Eine Verbindungzwischen diesen Punkten zu schaffen, ist ihrewichtigste Funktion. Ihr Streckenverlauf wird be-stimmt durch die Orte, die sie verbindet. Sie hatsomit großen Einfluss auf ihre Umgebung – positivwie negativ. Weniger bedeutsame Ortschaften ge-wannen und gewinnen an Einfluss und Attraktivi-tät und locken Neugierige an, andere Orte werdendurch die Auswirkungen des Verkehrs unbewohn-bar, nötigen zur Flucht. Heute wie vor hundertenvon Jahren ist für Wirtschaftsunternehmen dieNähe zum Handelsweg, zur Autobahn ein aus-schlaggebender Standortfaktor. So erlangen man-che kleinere Städte oder Ortschaften durch einenAutobahnanschluss Bedeutung. Ihr Name prägtsich durch die blauen Autobahnschilder im Vor-beifahren ein und verbleibt – allerdings ohne Bild– im Gedächtnis. Gerade periphere Regionenleben davon, dass die Bewohner die Straßen nutzenkönnen, um woanders zu arbeiten und dort ihrenLebensunterhalt zu verdienen.

Die Perspektive der Nutzer

Die Bedeutung der Straße, wie sie von ihren Nut-zern erlebt und er-fahren wird, ist in Literatur,Wissenschaft und Medien nur selten Gegenstandder Betrachtung. Einen frühen Erlebnisbericht lieferte allerdings Goethe im Jahre 1786 in seinerItalienischen Reise: Die Postillions fuhren, dasseinem Hören und Sehen verging. Und obwohl Goe-the in einer Kutsche mit Fenstern saß, die mithöchstens 40 Kilometern pro Stunde über un-ebene, staubige Straßen holperte, beklagte er, dieseherrlichen Gegenden mit der entsetzlichsten Schnelle[…] wie im Fluge zu durchreisen.3

Straßen und Transportmittel haben sich im Laufe der Zeit gewandelt. Im Gegensatz zu früherverbringen heute wesentlich mehr Menschen ihreZeit mit der schnellen Fortbewegung auf derStraße und auf der Autobahn. Doch das Gefühl,sich im Irgendwo, weitgehend ohne Bezug zur Weltaußerhalb, zu befinden – soundso viele Minutenoder Stunden vom Zielort entfernt – ist geblieben.Alles, was zählt, ist, möglichst schnell dort anzu-kommen. Deshalb gewinnt die Autobahn gegen-über anderen Lebens-Räumen einen immergrößeren Stellenwert: nicht als Aufenthalts-Raum,wohl aber als Zeit-Raum. Hingegen wird der Ge-staltung dieses Raumes erstaunlich wenig Beach-tung geschenkt.

Schon mit den ersten Autobahnen sollte den gesetzlichen Regelungen zufolge eine Verkehrsbe-einträchtigung, ausgehend von Werbung und Propaganda durch Bild, Schrift, Licht oder Ton [...],vermieden werden, da die Verkehrsteilnehmer ineiner den Verkehr gefährdenden oder erschwerendenWeise abgelenkt oder belästigt werden können.4 Das

Das Bild von der Autobahn-Landschaft

1 | A 40 bei Moers (Aufnahme: Angela Jain)

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mit einer Schnellstraße verglichen werden. Die Au-tobahn, als Extrembeispiel, ist rein auf die Fort-bewegungsfunktion reduziert. Keine anderen Nutzungen sind zugelassen, abgesehen von den Parkplätzen oder Raststätten, auf denen das Dahinfließen – im Wettlauf mit der Zeit – füreinen kurzen Moment unterbrochen wird. Durchdie starke Abgrenzung der Autobahn von anderenRäumen und ihre Monofunktionalität wird diePlanung von Autobahnen zumeist allein den Ver-kehrsplanern überlassen, die sich vor allem auf die Merkmale Geschwindigkeit, Verkehrsfluss undSicherheit konzentrieren. Viele Autobahnstreckengleichen sich daher, und höchstens die Topo-graphie lässt darauf schließen, dass die Autobahndurch unterschiedlich geformte Landschaftenführt.Aus der Perspektive der Menschen betrachtet, die sich gerade nicht auf der Autobahn befinden,wird sie fast unsichtbar gemacht und aus den Le-bensräumen weit möglichst verbannt. Was bleibt,ist das Hintergrundrauschen der Autos auf derFahrbahn.Die Autofahrer (und Mitfahrer) bewegen sich inihrem Fahrzeug wie auf einem langen Band undlegen diese Strecke in möglichst kurzer Zeit zu-rück. Dadurch wird die Zeit auf der Autobahn oftzur Zwischenzeit, der Raum zum Transit-Raum.Die Autobahn-Korridore sind auf weite Streckenvon Böschungen und Bepflanzungen eingefasst(Abb. 2). Nur im Bereich von Ausfahrten oderBrücken können Reisende manchmal erahnen, wosie sich befinden, und der Blick kann für einenMoment aus der grünen Röhre entfliehen. Fahr-zeuglenker finden sich daher oft nur zurecht, weilOrts- oder Städtenamen auf den Schildern zu er-kennen geben, wo sie sich befinden, oder weil dasNavigationssystem, mit Hilfe des kleinen Bild-

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Das Bild von der Autobahn-Landschaft

Ergebnis ist bis heute sichtbar: Immer mehr Strek-kenabschnitte von Autobahnen wurden im Laufeder Zeit mit hoher Vegetation begrünt, mit Bö-schungen oder Lärmschutzwänden versehen undvon ihrer Umgebung abgetrennt (Abb. 1). Auchheute hat sich an dieser Planungspolitik nicht vielgeändert. Jede Ablenkung des Autofahrers, jederBlick weg von der Straße wird gleichgesetzt miteiner Hemmung des Verkehrs und einer Vermin-derung der Verkehrssicherheit.In der Werbung allerdings wird dem Rezipientendas Autofahren – meist in spektakulären Land-schaften – fast ausnahmslos als einzigartiges emo-tionales Erlebnis suggeriert. Das unendliche Bandder Straße, die Natur und das Fahrzeug scheineneins zu werden mit dem (meist männlichen) Fah-rer. Auf ein ansprechendes Design des beworbenenProdukts wird viel Wert gelegt. Für die Straße aber,auf der das teure Objekt zu Hause ist, sind nur selten Designabteilungen zuständig. Laut Bundes-fernstraßengesetz wird eine nicht gewollte Ablen-kung durch alle Objekte hervorgerufen, die sich zunah an der Autobahn befinden. So dürfen an denBundesautobahnen Hochbauten jeder Art in einerEntfernung bis zu 40 m nicht errichtet werden. Au-ßerdem bedürfen bauliche Anlagen längs der Bun-desautobahnen in einer Entfernung bis zu 100 m[...] zu ihrer Errichtung oder erheblichen Änderungeiner Baugenehmigung.5 Der Raum, den die Auto-bahn als Verkehrsfläche einnimmt, ist dadurch im-mens angewachsen, zumindest bietet er sich aberals Raum für Gestaltung an.

Die Autobahn – Ort oder Nicht-Ort?

Wie wird die Straße von ihren Nutzern wahrge-nommen? Dies variiert sicherlich je nach Ge-schwindigkeit und so kann eine Spielstraße kaum

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schirms, ihre momentane Position visualisiert. Selten nur lassen sich Autobahnstrecken durch besondere Merkmale des Straßenraumes, durcheinen einprägsamen Eindruck aus der Umgebungoder eine spektakuläre Aussicht identifizieren. DieInformation von außen bleibt gering und die Auf-merksamkeit beschränkt sich auf die unendlichscheinende Fahrbahn. Es gibt nur eine vorgege-bene Bewegungsrichtung und nur wenige Ent-scheidungsmöglichkeiten; die besondere Qualitätdieses Raumes liegt allein in der Fortbewegung.Obwohl die Aufenthaltsdauer auf der Autobahnmittlerweile bei vielen Menschen höher sein dürf-ten, als in anderen öffentlichen Räumen (Stadt-plätze oder Parks), hat sie eher den Charaktereines Nicht-Ortes6 – hier möchte niemand wirklichsein, sich niemand länger als nötig aufhalten.

Eine Autobahn wird dennoch für kurze Zeit zum Ort, sobald für die Reisenden eine Verbindungzwischen dem Autobahn-Raum und der Land-schaft sichtbar, spürbar wird. In Abschnitten, diees ermöglichen, Informationen von außen zu be-

kommen, ist diese Verbindung hergestellt. Durchdiese Überlagerung von Autobahn und Landschaftentstehen Querverbindungen – im weitesten Sinne auch imaginäre Kreuzungen. Die Linie derAutobahn erweitert sich an solchen Sichtachsenfür einen Moment zum Ort. Ein Ort ist ein Schnitt-punkt. Ein Ort entsteht dort, wo sich Linien kreuzen.(Eine Linie, eine Gerade ist kein Ort.) Der Ort ver-sammelt Dinge; diese geben ihm Sinn.7

Visuelle Informationen, die sich den Reisendenaus der Umgebung in den Autobahnraum hineinvermitteln, ermöglichen es, die Umgebung (wieder)zu erkennen und ihr einen bestimmten Charakterzuzuordnen. So ist beispielsweise eine im Vorbei-fahren wahrgenommene Stadt ein Ort mit einereigenen Identität. Diesen Ort füllt der Reisende aufder Weiterfahrt mit seinen persönlichen Vorstel-lungen, Erfahrungen und Kenntnissen. Die dreizentralen Merkmale des Ortes [sind]: Identität, Re-lation [Verbindung], Geschichte.8

Straße und Autobahn haben oft auch eine eigeneGeschichte. Sie wird ebenfalls nur dann erfahrbar,wenn sie sich durch solche Schnittpunkte, oderAufmerksamkeitspunkte, vermittelt. Das könnenalte Straßenbeläge, Brücken, Schilder, Inschriftenoder andere Zeichen der Vergangenheit sein. Esgibt Landschaften, in denen Flurgrenzen, die Wege-netze und die Siedlungen der Gegenwart wie durch-sichtige Deckblätter auf die Landkarte derVergangenheit aufgelegt sind.9 Die Eindrücke vonaußen, die im Fahrzeug wahrgenommen werdenkönnen (Geschichte, Information über die Land-schaft, ein sich wandelndes Landschaftsbild, Städteetc.) können einem Streckenabschnitt auf dieseWeise eine besondere Erlebnisqualität geben.Der Eindruck einer Landschaft, den Reisende aufihrer Durchfahrt erhalten, stimmt aber nichtimmer mit ihrem tatsächlichen Charakter überein.

Das Bild von der Autobahn-Landschaft

2 | A 40 bei Wankum (Aufnahme: Angela Jain)

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So sind aus dem Fahrzeug (besonders aus demPKW) vorwiegend die Randbegrenzungen – be-pflanzte Böschungen – zu sehen und von diesemEindruck wird auf den Charakter der Umgebunggeschlossen. Oft wird das Bild der Landschaft dadurch verfälscht: Wird der Blick beispielsweisedurch hohe und dichte Vegetation begrenzt,nimmt der Reisende an, er fahre durch ein langesWaldstück. Unter Umständen verläuft die Streckeaber in Wirklichkeit durch eine Stadt oder aneinem Dorf inmitten landwirtschaftlich genutzterFläche vorbei und der vermeintliche Wald be-schränkt sich auf die Breite der Straßenböschung.Die Wahrnehmung der Landschaft funktioniertüber das Erkennen und Deuten von Zeichen undSymbolen. Reisende ordnen den Dingen, die siesehen, eine Bedeutung zu (Bäume als Symbol fürWald). Die Landschaft zu sehen und zu verstehenist also immer auch eine kulturelle Interpreta-tion.10 Nur Streckenabschnitte, in denen die Land-schaft wirklich sichtbar wird, ermöglichen einentatsächlichen Eindruck des Landschaftscharaktersoder Stadtbildes und somit eine reale Erfahrung,ein visuelles Erlebnis, das Kennenlernen vonNeuem.Das Bild einer Region lässt sich über die Gestal-tung des Straßenraumes aber auch gezielt beein-flussen, indem die Wahrnehmung gelenkt wird. So können den Reisenden Symbole, künstlicheund künstlerische Gestaltelemente angeboten wer-den, die den Eindruck von der realen Umgebungüberlagern oder ersetzen. Über diese Symbole wirddann die Vorstellung von der Region hinter derAutobahn geprägt. Das Informationsvakuum dergrünen Röhre lässt sich auf diese Weise dafür nutzen, die Aufmerksamkeit der Autofahrer aufetwas vollkommen Neues zu lenken – beispiels-weise Kunstobjekte – und einen künstlichen Wahr-

nehmungsraum zu schaffen, der Planung und Ge-staltung freien Raum lässt und – unter Wahrungder Verkehrssicherheit11 – die Imaginationskraftder Reisenden herausfordert.

Geschwindigkeit und Orientierung im Raum

Die räumliche Orientierung ist Bedürfnis und Fähigkeit eines jeden Individuums, sich beispiels-weise in baulichen Strukturen oder Landschaftenzurechtzufinden. Vor jeder Fahrt haben Auto-fahrer eine ungefähre Vorstellung von der Streckeund den Orten und Landschaften, die sie durch-queren werden. Diese Vorstellung wird Raumer-wartung genannt. Beim Fahren vergleichen sie dasvorgestellte Bild der Autobahn und ihrer Umge-bung mit der tatsächlich erlebten Situation. Durchdie Sicht auf die Umgebung werden Raumerwar-tung und Realität verglichen. Stimmen diese über-ein, entsteht ein positives Raumgefühl – einGefühl der richtigen Orientierung und der Sicher-heit.Im Verkehrssystem, insbesondere auf der Auto-bahn, findet Orientierung in erster Linie überSchilder statt. Auf ihnen kann abgelesen werden,wie weit das angestrebte Ziel noch entfernt ist undauf welchem Punkt der Strecke man sich geradebefindet. Außer Städtenamen und Entfernungenvermitteln die Schilder jedoch keine weitere Infor-mation über Orte oder Landschaften. Einen Ver-such, Orten ein einprägsames Bild, eine Identitätund damit Emotionalität zu verleihen, stellen die braunen Schilder an der Autobahn dar, die aufSehenswürdigkeiten der Umgebung oder beson-dere Landschaften hinweisen. Da diese aber nurselten mit auffälligen Symbolen in der (Stadt-)Landschaft verknüpft sind, bleibt der skizzenhafteHinweis ohne Verortung.

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Das Bild von der Autobahn-Landschaft

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Um sich im Raum (nicht im Verkehrssystem) zuRecht zu finden, benötigen Reisende Sichtkontaktzu ihrer Umwelt und Information aus der Umge-bung. Schon die klare Abgrenzung von Räumenmit unterschiedlichem Charakter – beispielsweiseStadt und Land – erleichtern diese Orientierung.Das Auge ist ein mobiler Ermittler, der in einer zu-nehmend undurchschaubaren, veränderlichen, un-verlässlichen Welt alle Anhaltspunkte registriert, diezur Aufklärung führen können, die ihm helfen zu ermitteln, wo er sich befindet.12 Geeignet sind dafürinsbesondere markante architektonische Struktu-ren. Das kann eine Brücke sein, unter der manhindurch fährt, oder ein einzelnes Haus auf einemweiten Feld. Bewusst oder unbewusst werden beimFahren solche Landmarken zur Orientierung her-angezogen. Landmarken sind markante Objekte(Abb. 3), die meist eine einfache und einprägsameForm haben, die sich von ihrer Umgebung abhebenund die an der Stelle, an der sie sich befinden, ein-zigartig sind.13 Solche markanten Objekte werdenin der Vorstellung der Reisenden mit einem be-

stimmten Punkt auf ihrer Wegstrecke in Verbindunggebracht. Diese Stelle erhält dadurch eine Identitätund steht stellvertretend für ihre Umgebung.Beim Fahren mit hoher Geschwindigkeit verengtsich der Sehwinkel des Fahrers und der Fokus liegt auf der eigenen Fahrspur.14 Je höher die gefah-rene Geschwindigkeit, desto geringer ist die Wahr-nehmung der Umgebung. Nur wenn der Sichtbezugnach außen über eine längere Strecke bestehenbleibt, kann die Umgebung gesehen und bewusstwahrgenommen werden. Der Raumbetrachter er-lebt den Raum immer dynamisch. Sein gelebterRaum ist stets in Bewegung. Er wird aus unzähligenElementen fortwährend neu bestimmt und bewirkt[...]. Im Wirkungszusammenhang von Raum undZeit sind daher Wahrnehmungs-Szenarien erfor-derlich, die auf Bewegung angelegt sind und Bewe-gung motorisieren.15Während des Fahrens werdenEntfernungen weniger an der räumlichen Ausdeh-nung einer Strecke gemessen, sondern vielmehr ander Zeit, die es dauert, diese Strecke zu überwin-den. Durch die hohe Geschwindigkeit verliert sichder Bezug zum dreidimensionalen Raum, die zeit-liche Dimension dominiert. Eine Folge davon ist,je geringer die Wahrnehmung der Umgebung (je geringer die Abwechslung), desto größer ist das Be-dürfnis nach Geschwindigkeit.Haben Reisende alsokeinen (visuellen) Kontakt zur Umgebung, be-kommen sie keine direkte Information über dieangrenzende Landschaft und können sich kein ei-genes Bild davon machen. Es entsteht der Ein-druck, dass sie sich an keinem (identifizierbaren)Ort befinden. Es ist nicht so sehr der Nihilismus der Technik, der die Welt vernichtet, eher vernichtetder Nihilismus der Geschwindigkeit die Wahrheitder Welt.16

Das subjektive Geschwindigkeitsgefühl verringertsich durch das Fehlen von Fixpunkten entlang

Das Bild von der Autobahn-Landschaft

3 | Visualisierung der Sichtbezüge beim Fahren am Beispiel der A 40 im Ruhrgebiet (Vorlage: Angela Jain)

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der Strecke, an denen sich der Blick festhalten kann.Es entsteht das Gefühl, nicht voran zu kommenund so wächst mit der Monotonie das Bedürfnismöglichst schnell an einen wirklichen Ort zu gelangen. Hingegen teilen Sichtbezüge und Land-marken die Strecke in räumliche und zeitliche Abschnitte ein, so dass sich die eigene Geschwin-digkeit besser abschätzen lässt und die Monotonieunterbrochen wird. Durch Blickkontakt mit dem Außen wird die Aufmerksamkeit also nichtzwangsläufig von der Aufgabe des Fahrens ab-gelenkt, sondern in vielen Fällen wieder in denStraßenraum zurückgeholt, die Geschwindigkeitverliert an Bedeutung.

Ausblick: Die Autobahn als Lebensraum?

Heute wird wieder mehr über das Verhältnis vonmenschlichem Lebensraum und Straße nach-gedacht. Die Isolierung der Fahrwege und die Verbannung der Autobahn aus dem Bewusstsein hatten dazu geführt, dass sie immer mehr zumNicht-Ort wurden und dass sie sich unbemerkt

immer weiter ausbreiten konnten (zu einer Re-duzierung der Verkehrsprobleme hat dies nicht geführt).Ein ungelöstes Problem ist allerdings, dass auto-orientierte Mobilität (derzeit noch) einher gehtmit der Emission von Abgasen und Lärm. Die logische Schlussfolgerung wäre demnach, den motorisierten Verkehr unter die Erde zu verban-nen oder in geschlossenen Röhren zu führen. Obdie Anzahl der Menschen, die ihre Lebenszeit indiesen dann vollkommen zeit- und raumlosenSchleusen verbringen müssten, dadurch reduziertwürde, ist fraglich. Die heutigen Planungsansätzegehen daher eher wieder von einer Re-Integrationund von einer Domestizierung des Autos aus.17

Neue lärm- und abgasarme post-oil Fahrzeug-modelle, die voraussichtlich in den nächsten Jahrenauf den Markt kommen, werden diese Über-legungen wohl noch verstärken.Dies wird jedoch nicht das Problem lösen, dassauch künftig viele Menschen im Stau ihre Zeit ver-bringen werden. Und oft ist es derselbe Stau zurselben Zeit an der gleichen Stelle. Auch hier kannsich die Planung neue, dynamische Gestaltungs-

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Das Bild von der Autobahn-Landschaft

4 | Landmarken entlang der A 40 im Ruhrgebiet (Aufnahmen: Angela Jain)

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elemente und Infotainment-Angebote einfallenlassen. Die spannende Frage wird nämlich sein, wiedie PKW-Kapsel künftig genutzt wird, wenn Navi-gationssysteme dazu in der Lage sind, die Aufgabedes Steuerns zu übernehmen. Sind die Fahrerdann nur noch Mitreisende? Werden sie die ge-wonnene Zeit nutzen, um in die Landschaft zuschauen oder sich per Navigationssystem über dieUmgebung zu informieren? Oder wird der Innen-raum des Autos zum Home-Office bzw. zumWohnzimmer mit entsprechender Ausstattung anBildschirmen und Soundsystemen, noch stärkerintrovertiert als bisher und völlig ohne Beziehungzum Außen? Es wird wohl vom jeweiligen Zielund Zweck der Reise und von den individuellenVorlieben der Reisenden abhängen, wie sie ihreZeit nutzen. Fest steht, die knappe RessourceRaum kann und sollte in Zukunft stärker multi-funktional genutzt werden.

Anmerkungen

1 Ulrich Borsdorf: Zugänge. In: Transit Brügge: – Novgorod: Eine Straße durch die europäische Geschichte. Hg. von Ferdi-nand Seibt u.a. Essen 1997, S. 24.2 John Brinckerhoff Jackson: Straßen gehören zur Landschaft. In: Kursbuch ‚neue Landschaften‘, Heft 131 (1998), S. 101–117.1 Johann Wolfgang von Goethe: Italienische Reise. AusgabeLeipzig 1973, S. 26.4 Straßenverkehrsordnung (StVO 2) § 33. In: Beck’sche Kurz-kommentare. München 351999.5 Bundesfernstraßengesetz (FStrG 17), § 9. In: Beck’sche Kurz-kommentare. München 351999.6 Marc Augé: Orte und Nicht-Orte. Überlegungen zu einerTechnologie der Einsamkeit. Frankfurt 1994. Als Nicht-Orte de-finiert Augé alle Verkehrsmittel (Flugzeug, Bahn, Auto), Wegeund Gebäude des Transits.7 Peter Arlt: Was ist ein Ort? Heterotopien – Nicht-Orte – Ge-wöhnliche Orte. In: Kunstforum 145 (1999) S. 222.8 Arlt, wie Anm. 7.9 Herlyn Gröning: Landschaftswahrnehmung und Landschafts-erfahrung. München 1990, S.46.10 Vgl. Gröning, wie Anm. 9.11 Gerrit Confurius: Daidalos (online: www.daidolos.de, zuletztbesucht März 1998).12 An Stellen, die besondere Aufmerksamkeit erfordern, z.B. anAusfahrten oder in Kurven, sollte keine Ablenkung erfolgen.13 Vgl. Kevin Lynch: The Image of the City. Cambridge Massa-chusetts 1988, S. 78.14 Vgl. Amos Cohen, René Hirsig: Zur Bedeutung des fovealenSehens für die Informationsaufnahme bei hoher Beanspru-chung. In: Sicht und Sicher im Straßenverkehr. Hg. vom TÜVRheinland. Köln 1990.15 Rudolf Manz: Video: Denk-Raum Architektur: Für den Videostil im architektonischen Denken. Zürich 1994, S. 15.16 Paul Virilio: Ästhetik des Verschwindens. München 1986, S. 128.17 Vgl. Sabine Kraft: Den Tiger reiten. In: Arch+ Heft 147(1999) S. 24.

Das Bild von der Autobahn-Landschaft

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Die Bilddokumentation des ehemaligen Landesamtsfür Straßenwesen

Das Staatsarchiv Ludwigsburg verfügt über eineumfangreiche Sammlung von Autobahnfotografienaus den Jahren 1934 bis 2000. Diese Bilddoku-mentation stammt aus dem RegierungspräsidiumStuttgart und wurde Anfang der 1990er Jahre imdamaligen Landesamt für Straßenwesen (heute Abteilungen Straßenwesen und Verkehr bei den Regierungspräsidien) angelegt, um den Mitarbei-tern eine Art visuelles Nachschlagewerk für ihrediversen Tätigkeitsfelder zur Verfügung zustellen.1 Die Bilddokumentation besteht aus meh-reren Teilen. Neben einem großen Bestand voneher gleichförmigen Farbdias jüngeren Datums(Bestand EL 75 VI d) enthält sie insbesondere eineumfangreiche Sammlung von Papierabzügen aufKarteikarten (Bestand EL 75 VI a). Die verschie-densten Bildtypen – Zeichnungen, Fotografienvon Autobahnmodellen, Bildmontagen, Kalender-blätter, Abbildungen aus Büchern, Luftbilder, Do-

kumentationen von technischen Apparaten oderBesonderheiten, fotografische Beobachtungen von spezifischen Tätigkeiten, Belege von Baustellen-situationen oder Autobahnschäden – finden sichin dieser Sammlung unterschiedslos in Licht-bildreproduktionen versammelt. Originale haben sich darunter kaum erhalten. Wo die Vorlagenherstammen, verbleibt im Dunkeln. Der Gleichförmigkeit der Bilder in Form von Kopien entspricht ihre Vergesellschaftung zurSammlung. Kleinformatig sind sie meist in Zwei-ergruppen auf ein Din-A 4 Blatt geklebt, dessenVorderseite unbeschriftet bleibt, so dass der Be-trachter zunächst nur die Bilder anschaut. DieRückseite des Bogens trägt einheitlich, in einenKasten gesetzt, die Überschrift Bilddokumentation.Desweiteren werden auf dem Blatt die zur Auf-nahme gehörigen Autobahnabschnitte bestimmt,die betroffenen Sachgebiete im Klartext listen-mäßig aufgeführt und über Zahlenchiffren den je-weiligen Referaten zugeordnet2, Bemerkungensind angefügt und schließlich ist das Entstehungs-

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Bemerkungen zur Autobahnfotografie

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Bemerkungen zur Autobahnfotografie. Ihre Ästhetik, ihr Gebrauch, ihre Bedeutung

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datum des Originals genannt. Es handelt sich alsozunächst einmal um eine technisch orientierteSammlung. Mit der Reproduktion gehen der Materialcharak-ter der Vorlagen, ihre originalen Bildqualitäten,die Kontrast- und Helligkeitsverhältnisse der Ori-ginalfotografien, ihre glänzende oder matte, ihrevernutzte oder intakte Oberfläche verloren. Abge-sehen vom Unterschied, dass die älteren Fotogra-fien schwarz/weiß, die jüngeren farbig auftreten,eignet den Bildern in Format und ErscheinungEinheitlichkeit – ganz so, wie man es für ein Nach-schlagewerk erwartet. Ebenso ist der Modus derHantierung verloren. Der fotografierten Zeich-nung in der Sammlung sieht man ihre Entstehung,die handschriftliche Qualität der Bleistiftzeich-nung oder ihren weiteren Gebrauch nicht mehran. Das Lichtbild eines Holzmodells lässt verges-sen, dass man um diese Arbeit herumgehen odersich auf sie betrachtend niederbeugen konnte. Mit dem eigentümlichen Charakter ist auch dieGeschichtlichkeit der einzelnen Fotografien alsObjekte, der Zeichnungen und Montagen als Originale oder der raumgreifenden Holzkonstruk-tionen aufgehoben in der Reproduktion. Wirsehen in den vorliegenden Fotografien eine Zeich-nung mit demselben Blick wie den dreidimensio-nalen Entwurf einer Landschaft mit Brücke ausHolz, den fotografierten Buchauszug genauso wiedie Liveaufnahme einer Landschaft vor Ort. Die kleinen Dimensionen, die gleichförmige Äs-thetik vereinheitlichen diese Nachbildungen so,dass zwischen dem schönen Bild, also der fotogra-fisch versierten und gelungenen Bildkomposition,einerseits und der schönen Dokumentation, derkompositionell zwar nicht ansprechenden, dafüraber zweckmäßig und gut sichtbar aufgenomme-nen Sache andererseits kaum noch unterschieden

werden kann. Diese sinnliche wie formale Gleich-behandlung der unterschiedlichen Vorlagentypensorgt für sachliche Distanz. Es stehen die Fotogra-fien zur Information bereit. Das Nachschlagewerkbietet für die verschiedensten Aspekte eine Füllean Nachrichten über die Entstehung der Auto-bahn, ihre sich in der Zeit verändernden Planungs-und Bauformen, die variierenden Straßenbeläge,die verschiedenen Baumaschinen und -techniken.Als Teil einer Bilddokumentation verweisen dieReproduktionen auf das, was in ihnen sichtbar ist,das Faktische.3

Der Gebrauch der Bilder und ihre Aussage

Doch die Bilder haben auch ihre eigene Ge-schichte, erfüllen Zwecke außerhalb der Samm-lung. So gingen sie in Auswahl kurz vor ihrerVereinigung zum Nachschlagewerk in den Band50 Jahre Autobahn in Baden-Württemberg4 ein,eine im Auftrag des damaligen AutobahnamtesBaden-Württemberg erstellte Publikation ausdem Jahr 1986. Als historische Illustrationen er-füllen sie hier weniger den Zweck einer Doku-mentation für bloße Sachgegebenheiten alsvielmehr auch den, einen geschichtlichen Rück-blick auf das Geleistete atmosphärisch anschaulichzu machen. Auch in anderen, älteren Publika-tionen lassen sich Bildveröffentlichungen aus derSammlung nachweisen. Was ist der Gebrauch dieser Bilder und wie ver-hält es sich in diesem Zusammenhang mit demFaktischen, der in den Bildern aufgezeichnetenSache? Diese Fragen erhellen sich durch den obengenannten Umstand, dass die verschiedenstenVorlagen zu einer technisch orientierten Samm-lung zusammengetragen und vereinheitlicht

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wurden, gleichzeitig aber auch der Öffentlich-keitsarbeit dienten. Nun stellt sich die Frage, wiediese Vorlagen überhaupt so vereinheitlicht wer-den konnten und was das für ihren Sachcharakterund ihren Aussagegehalt als Fotodokumentationbedeutet? Was befähigt dieselben Fotografien zueinem Gebrauch einmal für den technisch versier-ten Spezialisten, ein anderes Mal für das wenigerfachlich interessierte Publikum? Im Nachfolgen-den sollen einzelne Stationen auf dem Weg derAutobahnfotografie zum technischen Nachschla-gewerk thesenhaft skizziert werden. Doch zunächst einmal, um gleichsam experi-mentell den Blick und das Verständnis der vorlie-genden Fotografien zu schärfen, werden einigeBeobachtungen vorausgeschickt zum Gebrauchund der davon abhängigen inhaltlichen Bedeu-tung der Autobahnfotografie. Abbildungen aus der Sammlung finden sich wieder in Publikationen wie etwa Straßen undBrücken im Lande Baden-Württemberg aus demJahr 1956.5 Dieses Werk hat, so der Herausgeberim Vorwort, die Anliegen, zum einen die Baufort-schritte seit dem Krieg darzulegen, zum anderendie Gedankengänge aufzuzeigen, welche die Notdes Straßenbauwesen einer zukunftsweisenden Lösung zuführen, einer Lösung, die nur mit demVerständnisse(s) des ganzen Volkes erreicht werdenkönne.6 Und so richtet sich das Buch nicht nur anFachleute, sondern auch an die breite Öffentlich-keit. Nach einem umfassenden Textteil, welcherdie Autobahn als ein enzyklopädisches Unterneh-men zwischen Geologie, Soziologie, Geschichts-schreibung, Rechtswesen etc. vorstellt, folgt derBildteil des Bandes, der beinahe die Hälfte des Bu-ches umfasst und die Arbeit des Straßenbauamtsfotografisch präsentiert, versehen allein mit einerden abgebildeten Straßenabschnitt oder die Bau-

stellentätigkeit prägnant bezeichnenden Bildun-terschrift. Offensichtlich entfalten die Bilder denumfassenden Bericht zu Beginn illustrierend. Allerdings, da sich das Buch eben auch an das all-gemeine Publikum wendet, sollen die Fotografiendurch Vorstellung der Schönheit und Größe deraktuellen Bauvorhaben beeindrucken und durchden landschaftlichen Reiz der Straßen bestechen.Kurzum, die Bilder hier haben auch rhetorischeFunktionen: aufzuklären, zu erfreuen und zuüberwältigen. Vor allem letztere Funktion wird of-fensichtlich, schaut man sich den umfangreichenWerbeteil der Veröffentlichung an: Die werbendenAblichtungen sind nicht zu unterscheiden vomKatalog. In einem Fall findet sich sogar ein unddieselbe Abbildung einer Neckarbrücke einmal alsIllustration im Katalogteil des Buches, ein anderesMal als Werbung für eine Bauunternehmung ausStuttgart.7 Der rhetorische Einsatz entfernt dieFotografie von der reinen, sachlich angeleitetenDokumentation, so dass es die Intention ihres Ge-brauchs wie ihre Vergesellschaftung sind, die dar-über entscheiden, ob das einzelne Foto dieses oderjenes aussagen soll: zum einen dokumentiert esdas vom Straßenbauamt verwirklichte Autobahn-projekt, zum anderen wirbt es für die besonderenFähigkeiten eines Unternehmens. Das Faktischeim Bild, die Brücke, ist jeweils von völlig anderemAussagewert. Noch zwei weitere, kategorisch unterschiedeneBeispiele – diesmal jenseits der hier diskutiertenSammlung – können vertiefend anschaulich machen, wie geduldig die Fotografie ihrem Zweckund damit Aussagegehalt gegenüber steht:In der Fotosammlung des Landesamts für Stra-ßenwesen finden sich häufiger Abbildungen vonleeren oder äußerst spärlich befahrenen Autobah-nen.8 Sie dokumentieren Trassierungen, Fahr-

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bahndecken oder Leitplankenbestückungen. Fürsich genommen sind diese Fotografien von leerenStraßen wenig spektakulär. Die Leere der Fahr-bahn erklärt sich offensichtlich aus der Absichtdes Fotografen, gewährt die unbefahrene Straßedoch den ungestörten, analytischen Blick auf ihreQualitäten und Eigenheiten. Erstaunlicherweise gibt es kaum Unterschiedezwischen solchen Aufnahmen aus der Sammlungder verantwortlichen Autobahnbauer und Presse-fotografien, welche etwa zeitgleich zur ersten Ölkrise 1973 als Beleg für die Folgen des sonntäg-

lichen Fahrverbots ebenfalls Autobahnstreckenohne Verkehr ablichten. (Abb. 1) Doch anders alsjener technisch orientierte Lichtbildbeleg will dieses Bild etwas anderes mitteilen: Das Pressefotodemonstriert dem Leser, wie ein Fahrverbot aufden Straßen durchgesetzt und eingehalten wird.Solche Bilder geben Zeugnis für die tiefgreifende

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1 | Autofreier Sonntag. Blick auf das leere Autobahnkreuz Duis-burg-Kaiserberg. Wegen der Ölkrise wurde am 02.12.1973 zumzweiten Mal ein sonntägliches Fahrverbot verhängt. ©dpa – Bildarchiv

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Wirkung der Krise, denn sie zeigen die leeren Au-tobahnen als einprägsames Symbol: Ausgerechnetsie als nationale Identifikationsbauten wurdenihrer regulären Nutzung beraubt! Leere Schnell-straßen waren nicht nur romantisches Idyll fürneugierige Fußgänger und ironisch gesonneneTechnikskeptiker, sie waren auch eine Drohungund zeigten, wie sehr man vom Auto, vom Waren-transport, als Bedingung des kollektiven wie indi-viduellen Wohlstandes abhängig war. Andererseitszeigen diese Bilder auch die politische Entschlos-senheit der Industrienation, sich machtvoll demWürgegriff des Ölembargos durch Mäßigung desselbstverständlichen Gebrauchs von Autos zu entziehen. Die Ablichtungen verwaister, ruhig da-liegender Autobahnen konnten ihre komplexeWirkung entfalten, weil sie im Kontrast zu den Er-fahrungen der täglich autofahrenden Menschenstanden. Der fotografische Blick auf die leere Autobahn inszeniert wirkungsvoll den spannungs-vollen Widerspruch zum Erlebnis im Verkehr undentfaltet darin seine politische Dimension. Der rhetorische Gebrauch, der Bildern den Ge-halt eigentlich erst manifestiert, liegt nicht alleinin ihrem demonstrativen Einsatz, als dokumen-tarischer Beleg, als Werbung oder Pressenotiz. Fotografien können auch argumentativ durch Ver-gleich mit anderen Lichtbildern eingesetzt wer-den: In seiner 1934 erstmalig publizierten SchriftNatur und Technik im Deutschen Straßenbauplädiert Alwin Seifert, als ReichslandschaftsanwaltMitarbeiter des Generalinspektors für das deut-sche Straßenwesen Fritz Todt, für die naturnaheTechnik des deutschen Straßenbaus. Seine Haupt-polemik richtet sich gegen eine bloß technische,mathematisch rechnende Ingenieurskunst, derenZiel es sei, die Landschaft dem Reißbrett gleich-zumachen, Baum und Busch und Feldrain zu besei-

tigen, jede Gliederung des Bodens zu nivellieren 9.Stattdessen fordert der Autor die schöne Straßeim Sinne einer harmonischen Eingliederung der-selben in die Landschaft; dazu gehört insbeson-dere die Bepflanzung: Eine Straße aber mussBäume haben, wenn anders sie eine deutsche Straßesein soll.10 Seine These plausibel zu machen be-dient sich Seifert eines Evidenzbeweises. Er stelltstillschweigend, ohne weitere Erklärung im Text,auf einer aufgeschlagenen Buchseite zwei Fotogra-fien jeweils völlig unterschiedener Straßen gegen-über. (Abb. 2) Links oben sehen wir als Straße ander Nordseeküste eine Allee strubbeliger Bäume.Der Blickpunkt ist leicht erhöht, so dass wir dieStraße in die Tiefe verfolgen können, zwischen denBäumen hindurch in eine weite Landschaft blick-end, die von einer Staffel Telegrafenmasten so ge-gliedert ist, dass sich der Rhythmus der Bäume inihnen zu wiederholen scheint. Rechts unten sehenwir mit sehr niedrigem Blickpunkt und hohemHorizont als Die erste deutsche Kraftfahrbahn: DieAutostraße Köln-Bonn, erbaut 1932/33 die Auf-nahme einer Fahrbahn, die schnurstracks imrechten Winkel, unfallartig zum Horizont führt.Perspektivisch nimmt der Bildanlage gemäß dertriste Belag als breiter Vordergrund beinahe diegesamte Bildfläche ein und ein paar dürre Büschestehen verloren rechts an den Rand gedrückt. Die-ser argumentativ gemeinte, gleichzeitig polemi-sche Bildvergleich Seiferts spielt das Faktische derFotografie gegen ihre bezugsgebundene Aussageaus.11 Das eine, dokumentarisch gemeinte Bild sollhässlich wirken neben dem anderen, genauso do-kumentarisch gemeinten. Der Autor rechnet nichtmit einer kritischen Bildanalyse seiner Leser, son-dern mit dem realistischen Reflex des Betrachters,der die Fotografie gleichsam als Fenster nimmtund wörtlich auf die Straße zu blicken meint:

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‚Das ist die Allee in Norddeutschland!‘ ‚Das ist dieAutobahn zwischen Köln und Bonn!‘ Die genannten drei, völlig verschiedenen Zu-sammenhängen entnommenen Beispiele zeigen,dass eine Fotografie zwar geduldig, aber nichtgleichgültig gegenüber ihrem Gebrauch ist. Einund dasselbe Bild kann im ersten Fall stolzes Do-kument geleisteter Bauarbeiten sein oder als Ver-künder für die Fähigkeiten eines werbetreibendenUnternehmens dienen. Dieselbe Motivwahl fun-giert im zweiten Beleg einmal als nüchterne Be-standsaufnahme von Gegebenheiten vor Ort,einmal als hochbrisante Pressenotiz. Und im drit-ten finden sich zwei völlig verschiedene Aufnah-men polemisch in den Dienst eines Argumentesgestellt, indem die Sinnebenen der Ablichtungengegeneinander ausgespielt werden. Dieser exemplarische Durchlauf zum Gebraucheiner Fotografie zeigt ihre inhaltliche Anfällig-keit gegenüber deren Verwendung. Selbst die bloßfaktische Betrachtung birgt die Gefahr, die Ästhe-tik eines Lichtbildes und damit seine mit ge-meinte Intention zu übersehen. Doch was heißt‚bloß faktisch‘? Für das erste Exempel gilt das Fak-tische in der unterschiedlichen Zuordnung derAutorschaft. Am Beispiel der Presseaufnahme zurÖlkrise besteht die Dokumentation im sonntäg-lichen Verbot des üblichen Verkehrs. Das Faktischehier ist die nichtbefahrene Autobahn. Anders verhält es sich bei den Dokumentationen in derFotosammlung. Hier ist das Faktische der Verlaufder Trassierung, die Anbringung der Leitplanke.Und im dritten ist das Faktische die Ästhetikselbst, das Schöne der Straße, das Hässliche eineranderen.13

Eine Reflexion auf die zum Nachschlagewerktransformierten Bild-Archivalien käme also nichtumhin, die Geschichte der Fotografien um eben

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2 | Textabbildungen in: Alwin Seifert: Im Zeitalter des Lebendigen.Natur, Heimat, Technik. München 1941, S. 16, 17.

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diesen, ihren spezifischen Gebrauch zu erweitern.Er bestimmt darüber, was zu sehen ist und was dieFotografien jeweils bedeuten.14

Stationen der Autobahnfotografie

Erschwerend bei der Bestimmung der Bilderkommt hinzu, dass für ihr Hauptmotiv, die Auto-bahnen in ihren verschiedenen Entwicklungs-phasen und Zuständen, der Status bis heute nichteindeutig bestimmt ist. Auf der einen Seite geltensie als Werk von Ingenieuren, als mathematischangeleitete Industrieprodukte.15 Auf der anderenSeite haben sie ihre Vorläufer in der Konzeptionvon Parkwegen, sind also Teil des ästhetischen Ar-rangements: Park oder weitergefasst: der Land-schaft16 und wurden seitdem immer wieder demKunsthandwerk oder gar der Kunst zugerechnet.Von hier aus leuchtet ein, dass die Autobahnfoto-grafie ästhetisch sehr unterschiedlich ausfällt;denn je nach Auffassung wird die Dokumentationeines Kunstwerkes anders angelegt sein als dieje-nige von einem technischen Erzeugnis. Und auchhier kommt es darauf an, wie die fotografischeDokumentation der Autobahn wirken soll. Inter-essanterweise markieren die unterschiedlichen ästhetischen und die technischen Auffassungenvon der Autobahn nicht die Wende zwischen Na-tionalsozialismus und Bundesrepublik, zwischenReichsautobahn (RAB) und Bundesautobahn(BAB); der Wechsel findet nicht abrupt statt.17

Vielmehr ist dieser Zwiespalt mit jeweils anderenKonnotationen während der ganzen Entwicklungdieses Verkehrsweges hin nachweisbar.18

a) Ihre Ästhetik

Bei der Sichtung der Fotografien in der überliefer-ten Dokumentation des Landesamts für Straßen-wesen fällt auf, dass die meisten Bilder sich mitder Autobahn in der Landschaft als beobachtetemObjekt beschäftigen. Es sind Aufnahmen aus derDistanz auf die Straße, meist mehr oder wenigervon oben herab. Perspektivisch ist damit kaumder Blick aus dem Auto, schon gar nicht aus demfahrenden heraus gemeint. Wie dieser aussieht,davon geben uns die Fotografien von Angela Jaineine Ahnung.19 Fotografie als ein stehendes Medium hat es schwer, Geschwindigkeit zu ver-mitteln. Wenn sie es tut, dann sieht die Umge-bung streifig verwaschen aus. Was wir aber aufden Fotografien sehen, sind scharf gestellte Detailsder Autobahn oder einen gleichsam kontemplati-ven Blick in die Landschaft, in die sich die Straßehinein schlängelt. Das geeignetste Medium, dasdie Schnellstraße als Ort von Geschwindigkeitund Beschleunigung darzustellen vermag, ist wohlder Film. Er allein scheint, aufgrund seiner Mög-lichkeit, Bilder in hoher Frequenz ablaufen zu las-sen, dazu befähigt, Bewegung in Beschleunigungund hoher Geschwindigkeit als solche sichtbar zumachen. Zudem kommt, dass der fotografischeBlick vorn aus der Windschutzscheibe als Vorder-grund einzig die breite Fahrbahn bietet20, dagegenkaum etwas von der Straße in der Landschaft.Schaut man sich hingegen die Fahrbahnaufnah-men in der Bildersammlung (s. Kat. Nr. 2–18) an,so erscheinen sie meist proportioniert im Bild,ohne den störenden Vordergrund und lassen nochihr Linienspiel in der Ferne erkennen. Dennoch vermitteln einige der Lichtbilderdurchaus einen Eindruck von Geschwindigkeit.Denn die weitläufigen Trassen erzeugen einen un-

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geheuren Tiefensog. Das Auge braucht meist nurin einer bequemen Blickbewegung leicht durchdas Bild zu schwenken und schon hat es augen-blicklich in der Darstellung mehrere KilometerWegs durcheilt. Der Effekt von Geschwindigkeitentsteht neben den fluchtenden Linien hier vorallem durch den Kontrast zwischen Autobahn undLandschaft. Die Straße bietet aufgrund ihrer eben-mäßigen Beschaffenheit kaum Details, so dass der Blick gleichsam ungehemmt die Fahrbahn imBild entlang gleiten kann. Anders verhält es sichbei der umgebenden Natur. Sie enthält eine Füllean Kleinigkeiten, Blätter und Zweige im Vorder-grund, Gras zuweilen, Wälder, Gebirgszüge imHintergrund, manchmal Wolken am Himmel. DerEindruck von Geschwindigkeit entsteht hier auchim Kontrast zwischen dem Detailreichtum derNatur und der Gleichförmigkeit der Trasse. An-ders als der Film, der die beschleunigte Bewegungdes Autos nachvollzieht und damit die Landschaftin der Nähe auf Flächen und Linien reduziert, in der Ferne zu einem Miniaturereignis im per-spektivisch sich kontinuierlich verändernden Raumverzerrt, bietet die Fotografie etwas, dass es außerhalb ihrer nirgends gibt: die ästhetische Ver-söhnung von Geschwindigkeit und Ruhe. DerBildbetrachter ist in der Lage, sich im Nu in dieTiefe der Landschaft gezogen zu fühlen und dabeigleichzeitig zu verharren, um Einzelheiten derNatur zu gewärtigen. Zweifellos finden wir Vor-läufer dieser Art, Geschwindigkeit und Detail-reichtum zusammenzusehen, bei Grafiken derEisenbahn (Abb. 3) seit der Mitte des 19. Jahrhun-derts oder auch in impressionistischen Malereienetwa eines Gustave Caillebotte21. Wie ihre künstlerischen Vorläufer wollen Foto-grafien von der Autobahn in der Landschaft meistselbst kompositorisch ansprechend wirken. Die

Lichtbilder können in ihren wohlgeratenen Ge-staltungen als kunstvolle Aufnahmen mit Rechtder Landschaftsfotografie zugerechnet werden.Für die Bilder heißt das, ihr Gegenstand ist weni-ger die Autobahntrasse, auch nicht die Landschaft,sondern deren Zusammenspiel, denn dieses erstergibt, wie bereits angesprochen, jenes reizvolleParadox von Geschwindigkeit und dauerhafterBetrachtung.

b) Ein Bild von einer Autobahn

Besonders in der Zeit des Nationalsozialismus istdiese künstlerische Form der Autobahnfotografiezu gewärtigen. Immerhin wurde ja nicht nur vomGeneralinspektor für das deutsche Straßenwesen,Fritz Todt, zur Unternehmung der Reichsauto-bahn festgestellt: Eine Straße ist ein Kunstwerk in

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3 | Holzbrücken verschiedener Konstruktion bei Machern, 1837(Vorlage: Norbert Kempke: In 220 Minuten von Leipzig nach Dres-den, Dresden 1989, S. 11)

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der Landschaft.22 Dieses in der Kunstgeschichtewohl erste staatliche Projekt der landart, zu dessenkünstlerischem Urheber der Führer höchst selbstmythisch im Sinne romantischer Genieästhetikstilisiert wurde, fand seinen Niederschlag in diver-sen Publikationen. Werke wie Das Erlebnis derReichsautobahn oder Reichsautobahn. Mensch undWerk betonen schon im Titel den ästhetischenCharakter dieses Projektes und feiern seine künst-lerische Verfassung in Wort und vor allem Bild.Sie geben Zeugnis von jenem harmonischen Zu-sammenspiel von Technik und Natur, hier als Ausweis einer spezifisch deutsch-völkischen Raum-ordnung, die als beispielgebend für die Ein-Nordung der im Krieg unterworfenen Völker undNationen zu gelten hatte.23 Auch in Jahreskalen-dern, welche die fotografischen Kompositionenund Motive als gedruckte Grafik und Zeichnungwiederholen24, in Ölgemälden, die den Kunstge-schmack des Führers in besonderer Weise trafen25,in besonders inszenierten Ausstellungen von Autobahn- und Brückenmodellen26 wurden dieFernschnellstraßen als Kunstwerke verherrlicht. Der Charakter der Autobahnfotografie als Land-schaftsbild geht, wie gesagt, von seiner beson-deren Perspektive aus. Im Vordergrund wird eine Breitenführung der fotografisch nicht sehr an-sprechenden Fahrbahnoberfläche im Allgemeinendurch einen erhöhten Augenpunkt vermieden.Der Blick kann die Trasse in der Landschaft biszum entfernten Horizont über einige Distanz begleiten, so dass ihr unmittelbarer Verlauf nach-vollziehbar ist – für den Fahrbahnnutzer, den Autofahrer, ein utopischer Standpunkt. Es wäre zu kurz gegriffen, die Fotografien derReichsautobahn allein propagandistischen Zweckenzuzuordnen. Das belegt ihr vielseitiger Gebrauch;so zum Beispiel im Fotoband Reichsautobahn.

Mensch und Werk. Gegen Ende ist eine Doppel-seite platziert (Abb. 4); sie zeigt links eine ent-fernte Fahrbahn durch eine Landschaft, gerahmtvon Wäldern, im Vordergrund quer die Schienender Reichsbahn, rechts ein Landschaftsbild mit geschwungener Fahrbahn im Wald. Unter dem

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Bild rechts steht, die Idylle dieser beiden Szenenstimmungsvoll erläuternd: Wer auf solchen Stra-ßen zieht, dem versinkt in fliehender Eile / derKirchturm seines beengten Daseins in versöhnenderFerne.27 Eben dieselben Arbeiten, ebenfalls alsDoppelabbildung, wurden in den ausdrücklich fürden straßenplanenden Fachmann bestimmtenBand Trassierungsgrundlagen der Reichsautobahnenvon 1943 übernommen. Dieses Heft zeigt unteranderem modellhaft Verfahren, die eigens entwick-elt wurden, um die ästhetische Wirkung derReichsautobahn von Baubeginn an überprüfen zukönnen.28

Im Artikel Gedanken zur Ästhetik der Linien- und Gradientenführung von Fritz Heller29, wirdjene Doppelseite erneut abgedruckt. Hier sind jedoch nicht nur die Bildunterschriften geändert,diesmal die Art der Streckenführung bezeichnend.30

Die darin gezeigten Trassen werden auch einerausführlichen ästhetischen Kritik unterzogen. Abbildung 1 (die entfernte Straße mit Schienenim Vordergrund) wird in ihrem Verlauf als unste-tig, Abbildung 2 (die Strecke im Wald) als stetigdiskutiert.31 Abbildung 1 erfährt neben ihrer Ana-lyse noch eine schematische Umsetzung in einemHöhenplan. Für Abbildung 2 werde die erkenn-bare ästhetisch erwünschte Stetigkeit erreicht. Sierealisiere das Idealbild einer Streckenführung.Denn die Harmonie des Linienflusses als das zuerreichende Ziel einer jeden Autobahnführungwird verwirklicht, so der Autor, wenn die Ände-rung der einander folgenden Elemente (i.e. Graden,Kurven) sowohl in ihrer Form als auch hinsichtlichihrer Größe sich stetig vollziehen. In diesem Sinnehaben die Autobahningenieure diese Beziehungen(von Form und Größe) bereits bei der Entwurfs-bearbeitung einer Strecke im Lage- und Höhenplan(zu) berücksichtigen.32 Konsequenz einer Fehl-

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4 | Erna Lendvai-Dircksen: Reichsautobahn – Mensch und Werk,Bayreuth 1937, o.S. (S. 101, 102) (Aufnahmen: Erna Lendvai-Dircksen)

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planung wäre, so Heller weiter: Missverhältnisseim Entwurf haben Missverhältnisse im Bild der fertiggestellten Bahn zur Folge.33 Und um klarzu-stellen, wie dies aussähe, fährt der Verfasser einenSatz später fort: Wie die beigegebenen Abbildungenzeigen, ist das Auge für solche Störungen eines harmonischen Linienverlaufes außerordentlichempfindlich.34 Die Fotografie wird hier also aus-drücklich als Korrektiv des Ingenieurs erwähntund eingesetzt. Diese Engführung von Bild und Planung zeitigtein solches Bündel von Implikationen und Folge-rungen, dass es lohnte, weitere Forschungs-arbeiten zum Verhältnis Autobahn und Lichtbildanzustoßen. Hier ist nur Raum für thesenhafteBemerkungen: Zum einen fällt auf, dass Heller Ab-bildungen eines folkloristischen Bildbandes zumBau der Autobahn in seine fachmännische Ab-handlung übernimmt. Offensichtlich wird alsAdressat der Autobahnfotografie nicht allein dasVolk mit oder ohne Auto35 angesprochen, sondernauch derjenige, welcher verantwortlich die Auto-bahn plant und baut. Des Weiteren überrascht,dass der Autor diese durchaus im Sinne einer spezifischen Propaganda gemeinten Abbildungenvergleichend nebeneinander hält, sie als Doku-mentationen wertet und in seinem ästhetischenGutachten zur Stetigkeit der Linienführung kri-tisch vergleicht. Zudem wird deutlich, dass die Fotografie in diesem Kontext als die zentrale ästhe-tische Kontrollinstanz auf dem Weg der Ent-wicklung immer harmonischer durchgeführterAutobahnen zu werten ist – Autobahnen, derenSchönheit sichtbar wird ‚im Bild der fertiggestell-ten Bahn‘, welches dann als Vorlage für weitereFortschritte zu nehmen ist. Die Fotografie fun-giert hier in ein und demselben Zusammenhanggleichzeitig als Dokumentation einer bestimmten

Straßenführung und als Sehschulung für den In-genieur. Nimmt man den Befund einer Erst-publikation für die breite Bevölkerung dazu, ließesich überspitzt die These formulieren, dass dieReichsautobahn gebaut wurde weniger für denVerkehr, zum Nutzen des Transportes oder desAutofahrers, als einzig um fotografiert zu werden.Ihre Schönheit ist eine des Bildes. Allerdings müssen solche Fotografien, wollen sie für den Ingenieur vorbildlich sein, durchausauch ihre Gesetzmäßigkeiten erfüllen. Im Sinneder ausdrücklich angesprochenen Bauhütten- undRenaissanceästhetik36 ist dem Autor Heller der Autobahnbau einem mittelalterlichen Dombau-projekt vergleichbar, in welchem Wissenschaftund Kunst sich zu einem monumentalen Werkvereinen. Das ‚Bild der fertiggestellten Bahn‘ darfalso nicht nur ästhetisch überzeugend, sondernmuss auch perspektivisch ‚richtig‘ sein. Auch aufdiesen Punkt geht die erwähnte Sondernummerder Zeitschrift Die Straße zu den Trassierungs-grundlagen ein. Hans Lorenz fasst hier37 einen be-reits im April 1941 in Die Straße publiziertenArtikel38 von Viktor von Ranke zur Raumperspek-tive, der maßstäblich korrekten Umsetzung einerdreidimensional gekrümmten Fahrbahn auf derFläche, zusammen. Diskutiert wird, wie man planend eine in der Ebene zur Kurve gekrümmteund gleichzeitig in einer welligen Landschaft auf-und ablaufende Fahrbahn richtig darstellt. VonRanke findet hier eine im Auf- und Grundriss jeweils unterschiedlich verzerrte, aber aufeinanderbezogene Maßstäblichkeit, abhängig von der fest-gelegten Entfernung des Betrachterauges. Ziel der sogenannten Raumperspektive ist die Kontrolleder Harmonie des Linienflusses, will sagen ihrerStetigkeit im Landschaftsraum. Bemerkenswert inunserem Kontext ist, dass von Ranke als Beleg für

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die korrekte Anwendung seiner Raumperspektivedie beschriebene Methode auf eine Fahrbahn an-wendet, die einmal grafisch konstruiert, dann gezeichnet und schließlich in Fotografie gezeigtwird. Eine Strecke von rund 6 km Blicktiefe ließ sichhier in einigen Stunden bildlich darstellen. ZumVergleich wurde sie vom gleichen Blickpunkt ausauch im Lichtbild festgehalten.39 Die zur Überprü-fung der Richtigkeit seiner sphärisch verzerrt an-gelegten Trassengrafik mitgelieferte fotografischeAbbildung trägt die erklärende Begleitschrift: Das Lichtbild beweist, dass die raumperspektivischeDarstellung mit der Natur übereinstimmt.40 Mankann es kaum deutlicher zeigen, dass die Fotogra-fie Vorbild für die technische wie ästhetische Kon-zeption der Linienführung fungiert. Im Fall vonRankes wird das Lichtbild, vielmehr die in ihr gezeigte Landschaft, expressis verbis als wörtlich zunehmendes Substitut der Natur selbst aufgefasst;womit er solche bildrhetorischen Verfahren, wiewir sie bei Seifert eingangs besprochen haben, imNachhinein legitimiert. Nirgends wird auch nurmit einem Wort darauf reflektiert, dass das mitder Kamera aufgenommene Bild selbst perspekti-vischen Verzerrungen unterliegt – je nach Objek-tiv, Weitwinkel-, Normal- oder Teleobjektiv, malmehr, mal weniger spürbar41, ganz zu schweigenvon einer Diskussion des richtigen Standpunktes,von welchem man die Fahrbahn aus am bestendarstellen könne. In unserem Zusammenhang bleibt zu bemerken,dass von Ranke die raumperspektivische Kon-struktion einer Trasse überführt in eine Landschafts-zeichnung, die dann wiederum in der Fotografievon derselben Autobahnlandschaft realisiert erscheint. Auf diese Weise verwirklicht von Rankean sich selbst das Selbstverständnis der für denBau der Reichsautobahn propagierten Renais-

sance-Ästhetik, die von einer schematisch ent-wikkelten und dann im Bild umgesetzten mathe-matisch-geometrischen Grundstruktur der Perspektive ausgeht. Der Referenzpunkt bleibt,wie gesagt, die Fotografie: vom Bild ausgehendwird für das Bild geplant.

c) Die Optik der Straße

Von hier aus mutet die nach dem Krieg einset-zende Kritik an der Irrationalität nationalsozialis-tischen Bauens verständlich an. Vor allem der vonSeebohm, dem Bundesminister für Verkehr(1949–1966), formulierte Vorwurf, die Reichs-autobahn sei zu sehr als Selbstzweck behandeltworden, man hätte zu wenig auf Wirtschaftlichkeitund Funktionalität geachtet, trifft insofern einenzentralen Aspekt, als der Selbstzweck seit der Aufklärung bekanntlich zu einer wesentlichen Ka-tegorie für das Kunstschöne erklärt worden ist.Funktionalität, Notwendigkeiten für Transportund Verkehr dürften in der Tat nicht die dring-lichsten Aufgaben gewesen sein für eine Haltung,deren Hauptaugenmerk auf der Harmonie und Stetigkeit des Linienflusses der Fahrbahn inder Landschaft gerichtet war, um ein Bild voneiner Autobahn zu schaffen. Der Paradigmen-wechsel wird deutlich in der Kritik an der Gestal-tung des Albaufstieges an der Autobahnstreckezwischen Stuttgart und Ulm: Erst dann ist eineStraße für uns brauchbar, wenn sie nicht um irgendwelcher schöner Aussichtspunkte willen überdie höchsten Spitzen der Berge geführt wird, son-dern wenn sie dem Verkehr dient, und zwar im Wesentlichen dem Last-, und damit wieder demschweren Lastverkehr.42

Folgen dieses veränderten Ansatzes des Auto-bahnbaus sind vor allem seine Rationalisierung in

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Hinsicht auf die Modernisierung der Forschungs-arbeiten, der Systematisierung der Planung mitden Zielen von Sicherheit und Wirtschaftlichkeit.Der Verwissenschaftlichung des Straßenbaus dienen nunmehr quantifizierende Methoden alsGrundlage der Analyse, in welcher Zahlen, Grafiken und Formeln auch als Kommunikations-strategien verstanden werden.43

Der Fotografie kommt in diesem Zusammenhangzweifellos eine veränderte Funktion zu. Immer-hin, schaut man sich die einschlägigen Publikatio-nen zu Trassierungsverfahren und -darstellungenauf den Gebrauch der Fotografie hin durch, sofehlt ihr emphatischer Gebrauch als Kontrollin-stanz im Sinne der oben beobachteten Gleich-stellung mit der Natur. Es begegnen uns in dem Standardwerk zur Pla-nung und Darstellung von Autobahnen Trassie-rung und Gestaltung von Straßen und Autobahnen44

von 1971 erwartungsgemäß vor allem Grafiken,Tabellen und schematisch angelegte Modelle fürdie verschiedenen Belange der Straßenplanungund -begutachtung. Das Kapitel zur Optik derStraße widmet sich weniger Fragen nach der Schön-heit der Linienführung als eher solchen nach denBlickwinkeln des Fahrers auf der Fahrbahn. Eswird deutlich unterschieden zwischen der Sicht-weise der Planer und der Nutzer der Autobahn:Würde der Fahrer die Straße ebenso sehen, wie sie in den Plänen dargestellt ist, gäbe es nicht dasProblem der Optik der Straße.45 Anders als für Hel-ler und Ranke beschrieben, wird hier die Optikder Straße bestimmt nicht nach dem, wie sie imBild erscheint, sondern wie sie der Fahrer sieht.46

Allerdings sieht dieser die Straße nur mangelhaft,ohne dass ihm das Maß der Krümmungen, derLängsneigungen, Ausrundungen bekannt oder er-sichtlich ist. Der Fahrer erliegt den perspektivi-

schen Verkürzungen und Stauchungen, vor allemaber optischen Täuschungen. Der Straßenbauerhat seine Aufgabe noch nicht ganz erfüllt, wenn erdie Straße dem Gelände entsprechend entworfenhat, sondern er darf erst dann zufrieden sein, wenner dafür gesorgt hat, dass der Fahrer die Straße sosieht, wie er sie sehen soll, damit er sein Verhaltenrichtig und mühelos darauf einrichten kann. Diese kurzen Bemerkungen zur Aufgabe des Au-tobahnplaners zeigen deutlich, dass es nun nichtmehr das schöne Bild von der Autobahn in derLandschaft ist, dass es zu erreichen gilt, sondern esgilt auch das Bild des Fahrers, das er von der Fahr-bahn empfängt und sich macht, mit zu berück-sichtigen. Nicht die ‚im Bild der fertiggestelltenBahn‘ sich erfüllende Straße ist Ziel der Planungund des Baus, sondern das Bild im Kopf des Be-trachters: Aber, der Fahrer sieht die Straße nur inperspektivischen Bildern, die in dauernder Verände-rung vor ihm her wandern. Diese filmische Perzep-tion des Automobilisten von der Fahrbahn, dieOptik der Autobahn, ist defizitär, wie wir gesehenhaben, und bedarf der Korrektur nämlich: dass er sieht, wie er sehen soll. Das heißt der Straßen-bauer plant und baut nicht nur in Hinsicht aufdas mangelhafte Trugbild einer Straße im Kopfdes Fahrers, sondern in Hinsicht auf ein vorherrichtig gestelltes mathematisch angeleitetes Bildebendort. Der erste Schritt im Hinblick auf dieVerwirklichung dieses Vorhabens ist, dem Fahrereine fassbare Norm zu verordnen: Das dauerndeMitdenken des Fahrers verlangt eine vor seinemAuge vorauslaufende Erfahrungssichtweite desFahrbahnverlaufs.47 Und es ist klar, dass diese ma-thematisch und tabellarisch bestimmt ist. DieBildunterschrift macht deutlich, was dieses Zah-lenschema der Erfahrungssichtweite meint: Tabelle 45. Erfahrungssichtweite. Sie soll in Kurven

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auf Kuppen dem Fahrer einen hindernisfreien Über-blick über den Fahrbahnverlauf geben.48

Es wird also nicht allein der Autobahnbau in derBundesrepublik rationalisiert und mathematisiert,sondern ebenso der Automobilist. Auf Seiten derProduktion wird die Straßenführung nach der Ta-belle ausgerichtet49, gleichzeitig muss, was übri-gens heute noch zum Lehrplan jeder Fahrschulegehört, auf Seiten des Autobahnkonsumenten dasfahrende Sehen ebenfalls mathematisierten Wahr-nehmungsparametern anpasst sein. Im Grundegenommen kann man das gesamte Kapitel zurOptik der Straße als eine Bestrebung ansehen, derPerspektive des Autofahrers wissenschaftlich Herrzu werden. So ist festzustellen, dass entgegen der Sichtwei-sen der nationalsozialistischen Autobahnbauer50

hier von der prinzipiellen Perspektivität allerschematischen wie fotografischen Darstellungenin Raum und Zeit ausgegangen wird: Die Perspek-tive sieht von jedem Standpunkt anders aus unddieser Standpunkt muss festgelegt werden, ehe miteiner Perspektive begonnen werden kann.51 Tabel-larisch vor Augen gestellt wird diese Multiperspek-tivität im Kapitel zur Kombination von (Fahrbahn)Elementen. Hier ist eine im Raum gebogene Fahr-bahn mit Wanne und nachfolgender Kuppe ausinsgesamt neun Perspektiven, errechnet aus dreiverschiedenen Augenhöhen und Breitenlagen,wiedergegeben. Die daraus resultierenden ‚Stra-ßenbilder‘ weisen eine beinahe surrealistische Veränderlichkeit auf und lassen kaum den gleichenVerlauf als Grundlage ihrer Projektionen erken-nen. Gegen Ende des Bildtextes steht entsprechendzu lesen: Diese bescheidene Auswahl von nur neunBetrachterpunkten zeigt eine bemerkenswerte Viel-falt.52Weitere Faktoren, die das Sehen auf derStraße beeinflussen, sind Besonderheiten der Stra-

ßenrandbebauung, Wettereinflüsse, Sichtweitenund verschiedene Formen der Beleuchtung. Zur Darstellung des Fahrerblicks gehört hier aucheine wahrnehmungspsychologische Grafik, diedem Storyboard eines Filmes ähnlich53 den Auf-merksamkeitsbereich des Fahrers beim Blickdurch die Windschutzscheibe darstellt, welchesangesiedelt wird innerhalb eines Rechteckes, dasman sich in der Größe 10 x 16 cm auf der Wind-schutzscheibe denken kann.54 Das entspricht bei-nahe der üblichen fotografischen Ratio von 4:3.Wir sehen hier zeichnerisch, der Windschutz-scheibe eingeschrieben, ein winziges Rechteck, dasdie fokussierte Konzentration des Fahrers vor-stellen soll; links daneben vergrößert die verschie-denen Landschaften, die der Automobilist visuelldurcheilt. (Abb. 5)Zusammenfassend lassen sich diese Beobachtun-gen im Gesamtkonzept der Zuordnung von Grafikund Fotografie, von Tabelle und Fahrerblickblickals ein kulturpolitisch brisanter Wechsel für diefotografische Darstellung der Autobahn und derAuffassung ihrer Aussage formulieren. Für dieReichsautobahn gilt, dass sie sich einzig im Bildrealisiert. Hier wurde zwar die Konstruktion desBildes besprochen, nicht jedoch ihre Perspektivität.Der nicht weiter hinterfragte Fokus auf die Auto-bahn lässt sich meines Erachtens erklären mitdem Künstlermythos des Führers, der die Auto-bahn erfunden haben soll. Dieser wird vorbildlichvom Schriftsteller Herybert Menzel im BildbandDas Erlebnis der Reichsautobahn erzählt: Währendseiner Haft, als seine Bewegung zerschlagen war, als seine Gegner ihn selbst vernichtet hielten, als erdas Buch der Deutschen schrieb, da schlug er auchdie Karte unseres Vaterlandes auf seinen Knien aus-einander und dachte in sie hinein eine Reichsauto-bahn: so werden sie laufen!55 Dieser Roman, der

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die Reichsautobahn zu einem Werk der outsider-artmacht56, legt nicht nur fest, wer die Autobahnerdacht hat, sondern auch den Standpunkt, wie siezu sehen sei: So werden sie laufen! Dieser Apell istja unter anderem ein visueller. Der für den Auto-fahrer utopische, nicht weiter hinterfragte Stand-punkt der schönen Fotografie von der Autobahnjener Tage dürfte ihre Rechtfertigung in diesemMythos finden. Jene Lichtbilder sind – so könnenwir überspitzt formulieren – nachvollziehendeEmanationen des genialen Blicks des Schöpfers derReichsautobahnen auf Deutschland. Die StraßenAdolf Hitlers, dieser Titel bezeichnet nicht nur denErfinder, sondern auch seine Ästhetik. Von hieraus leuchtet ein, warum das schöne Lichtbild vonder Autobahn autoritativ für den bauenden Inge-nieur gewertet wird: Es bezieht sich auf den Blickdes Führers auf Deutschland und kann verstandenwerden als dessen gehorsame Realisierung.57

Dem gegenüber steht die Multiperspektivität der Autobahnplaner in der nachfolgenden Bundes-republik. Ihre Bilder beziehen sich auf die Viel-gestaltigkeit des Interesses der Autofahrer, derNutzer der Autobahnen. Statt eines göttlichen Blicksauf die deutschen Lande haben wir nun viele ver-zerrte Perspektiven auf den deutschen Autobahnen.Die Ausführungen Zellers in diesem Band ergän-zend können wir für den Autobahnbau der Nach-kriegszeit nicht nur eine Verwissenschaftlichungund Mathematisierung in seiner Konzeption undKommunikation konstatieren, sondern einher-gehend ebenso die Subjektivierung des vorausge-setzten Blicks vom Autofahrer auf die Fahrbahn.Jene Subjektivierung allerdings wird selbst wie-derum aufgrund ihrer Mangelhaftigkeit und Multiperspektivität vorbildlich mathematisch ra-tionalisiert. Wie zentral die vorgreifende Auto-mobilistenperspektive auf der Fahrbahn für die

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5 | Hans Lorenz: Trassierung und Gestaltung von Straßen und Autobahnen, Wiesbaden, Berlin 1971, S. 142

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Planung und Geometrie der Linienführung einerAutobahn ist, zeigt übrigens ein fotografischerApparat, der mit Spiegeln und Modellperiskop soauf das aus Papierstreifen hergestellte Gradienten-modell einer Trasse aufmontiert wird, dass schonin der ersten Phase der Planung der subjektiveBlick des Nutzers sichtbar und kontrolliert antizi-pierend nachvollzogen werden kann.58

Analog zur oben genannten Priorisierung derMathematik werden die Fotografien von Fahr-bahnansichten geometrischen Konstruktionen imLayout der Seiten nachgestellt, so dass die gefor-derten wissenschaftlichen Grundlagen nicht nurdes Sehens, sondern auch der Fotografie als ge-währleistet erscheinen. Die Fotografien, das zeigendie Bildunterschriften, werden hier eingesetzt imSinne der subjektiven Kamera. Sie vollziehen etwaals Blick aus dem Rückspiegel59 oder mit dem verschwommenen Mercedesstern als Teil dersichtbaren Front des Autos das Sehen während derFahrt nach. Anders als wir es bei den Trassierungs-grundlagen von 1943 gelernt haben, steht hier dasLichtbild nicht als wörtliches Substitut für die‚Natur‘ sondern für die Wahrnehmung derselbenaus dem fahrenden Auto heraus. Allerdings fällt bei genauer Durchsicht des Bild-gebrauchs im Buch zur Trassierung von 1971 auf,dass diejenigen Studien, die sich ausdrücklich mitdem Fahrerblick auf der Fahrbahn beschäftigen,vornehmlich mit handgezeichneten Skizzen arbei-ten. Die Vermittlung zwischen Fotografie undGrafik funktioniert über einige wenige Bildse-quenzen etwa zum Gebrauch des Teleobjektivs.60

Wirklich habhaft wird der Planer der verzerrten,sich in Zeit und Raum ständig verändernden Per-spektive des Fahrers jedoch nicht. Denn der Inge-nieur steht im Konflikt, einerseits dessen Optik als normativen Wert gegenüberzustehen, normativ

insofern, als willkürliche Sinnestäuschungen undfalsche Schlüsse des einzelnen Automobilisten dieGrundlage des Planens darstellen, denn jene sol-len verhindert werden. Andererseits braucht derPlaner eine stabile Perspektive, einen Standpunkt,von dem aus er verlässlich seine Fahrbahnen kon-struieren kann.61 Diesen Standpunkt vertritt dieFotografie. So werden denn gleichsam als Ersatzfür den – freilich durch Mathematik und grafischeAnstrengungen normierten – Blick des Autofah-rers alle möglichen Lichtbildaufnahmen gesam-melt und gezeigt, historische aus der Zeit desDritten Reiches gleichwertig neben zeitgenössi-schen. Die Dokumentation des Landesamts fürStraßenwesen zur Autobahnfotografie ist offen-sichtlich an solchen Grundlagenbüchern für Tras-sierungsgestaltungen orientiert. Auch hier findetsich jene technisch gemeinte Gleichförmigkeit derReproduktionen, die wir eingangs angesprochenhaben. Die ehedem als für den Ingenieur normativgewerteten Fotografien des Dritten Reiches stehenals Sachdokumentation neben anderen. Zweifellosist in diesem Bildgebrauch eine weitere Schichtder Subjektivierung zu sehen: nämlich das Herun-terbrechen des göttlichen Blicks jenes einzigartigenSchöpfers auf die Perspektive des Allerwelts-fahrers, der zu seiner Willkür die Autobahn befährtund nutzt. Diese gleichwertige, unkommentierte Vergesell-schaftung von Fotografien des Dritten Reiches mitsolchen bloß den Fahrerblick meinenden Licht-bildstudien der Gegenwart lässt sich neben der ge-nannten Subjektivierung durch den Bildgebrauchauch rechtfertigen durch das Argument des tech-nischen Fortschritts, der mathematischen Rationa-lisierung und wissenschaftlichen Systematisierungim Autobahnbau. Die Bilder der Straßen AdolfHitlers können übernommen werden, da sie ja

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einen bereits evolutiv überwundenen Status in derEntwicklung der Fernschnellstraße bedeuten.Doch diese Historisierung hat zur Folge, dass manwenigstens im Rückblick weiterhin das Pathos vonder Autobahn als einem Kunstwerk pflegen kann.Und immerhin finden sich im genannten Lehr-werk zur Gestaltung der Trassierung von 1971 beider Diskussion des Perspektografen, einem vonViktor von Ranke mit entwickeltem Apparat zurperspektivisch richtigen Darstellung der im Raumgekrümmten Fahrbahn, Hinweise auf die Renais-sance-Kunst Leonardos oder Dürers.62Wenigstensin der bildgestützten Planung oder Rezeption der Autobahn darf man sich noch in der Traditiondieser großen Künstler wähnen.63

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Anmerkungen

1 Siehe hierzu den Beitrag von André, Heyd und Wecker in die-sem Band, S. 8.2 Bei den Nummern auf den Karteikarten handelt es sich um eine an den fachlich zuständigen Referaten orientierte Verschlag-wortung. Beispielsweise die Nummer 4451 löst sich wie folgt auf: Natursteinpflaster 44 war die Nummer des Referats Straßen-bautechnik, 51 die Nummer für die Belagsart Pflasterung.Freundliche Mitteilung von Konradin Heyd. 3 Roland Barthes nennt dieses Faktische den ‚Referenten derFotografie‘: Fotografischen Referenten nenne ich nicht die mögli-cherweise reale Sache, auf die ein Bild oder Zeichen verweist, sondern die notwendig reale Sache, die vor dem Objektiv platziertwar und ohne die es keine Fotografie gäbe. […] Anders als bei diesen Imaginationen [i.e. die Malerei] lässt sich in der Fotografienicht leugnen, dass die Sache dagewesen ist; Roland Barthes: Diehelle Kammer. Bemerkungen zur Fotografie. Frankfurt 1989(zuerst erschienen Paris 1980), S. 86. 4 50 Jahre Autobahnen in Baden-Württemberg. Hg. von KlausSchefold. Stuttgart 1986. 5 Straßen und Brücken im Lande Baden-Württemberg. Hg. vonAlbert Kistner. München 1956. Kistner war Leiter der baden-württembergischen Straßenbauverwaltung. Beispielsweise dieAbbildungen S. 5 (Autobahn Stuttgart-Ulm, Fertigstellung desAlbaufstiegs, Fahrbahndeckenbau) entspricht der Sign. EL 75 VIa Nr 3263, hier: Kat. Nr. 56. Weitere Abbildungen im Buch S. 6,7, 8, 9, 10 oben, 12, 13, 20, 21 finden sich ebenfalls in der Doku-mentation im Staatsarchiv Ludwigsburg. 6 Straßen und Brücken, wie Anm. 5, Vorwort, o. S. 7 Straßen und Brücken, wie Anm. 5, Bildteil S. 29, Werbeteil S. 103. 8 Beispiele: A 81, AS Ludwigsburg Süd, 1972 (EL 75 VI a Nr6112) = hier ist nur ein Auto zu sehen; A 81, AS Tauberbischofs-heim, Dez. 1972 (EL 75 VI a Nr 5579) = völlig ohne Verkehr; A 81, AS Geisingen, 1975 (EL 75 VI a Nr 6954). Bei letzteremBild steht ein Auto auf dem Standstreifen und betont vor der Industrielandschaft die Leere der Fahrbahn. Links hinten stehtein Bauwagen und davor zwei Personen auf dem Seitenstreifen. 9 Alwin Seifert: Im Zeitalter des Lebendigen. Natur – Heimat –Technik. Planegg bei München 1941, S. 16. 10 Seifert, wie Anm. 9, S. 20. 11 Seifert, wie Anm. 9, S. 16, 17, Abb. 4 u. 5. Es zeigt die Polemikdes Vergleichs, dass Seifert für die Autobahn Köln-Bonn die Jahreszahl ihrer Entstehung nennt, die auf die Zeit vor dem Na-tionalsozialismus und damit auf die von Seifert so verachteteEpoche der ‚bloßen Techniker‘ verweisen soll, für die norddeut-sche Allee hingegen nicht. 12 Ein weiteres Beispiel für diese Art der Bildargumentation findet sich im selben Buch im Kapitel Naturnäherer Wasserbau,

zuerst publiziert 1938. Hier bieten zwei Fotos unterschiedlicherAbschnitte ein und desselben Flusses, der Ammer, ebenfalls denVergleich zwischen naturferner und naturnaher Auffassung von Wasserbau. Unten die neue Ammer, die als ein errechnetesseelenloses Gerinne vorgestellt wird, oben die alte Ammer, auchheute noch ein zauberhaft schöner Fluss; Seifert, wie Anm. 9, S. 73,Abb. 38 u. 39. 13 Besonders schwierig wird die Frage nach dem Faktischen ineiner Fotografie, wenn es um die Diskussion und Bewertungvon historischen Umständen geht. Das gilt vor allem bei Auf-nahmen zur Reichsautobahn. So kann beispielsweise die Doku-mentation von Bauarbeitern einmal als Ausweis gelten für denselbstbewussten deutschen Mann in Arbeit, als Beleg für die ge-lungene Reintegration der ehemals Millionen von Arbeitslosen,ein anderes Mal als stellvertretendes gutes Gewissen eines unsozia-len und verbrecherischen Regimes. Das Faktische wäre im erstenFall die (stilisierte) Darstellung des Arbeiters als Helden, imzweiten die Diskrepanz zwischen Bildpropaganda und Wirklich-keit; siehe Claudia Windisch-Hojnacki: Die Reichsautobahn.Konzeption und Bau der RAB, ihre ästhetischen Aspekte sowieihre Illustration in Malerei, Literatur, Fotografie und Plastik.Bonn 1989, S. 232–244, hier S. 242. 14 Die Reproduktionen und Fotoprints liegen getrennt von den Akten im Staatsarchiv Ludwigsburg. Man müsste in umfangreichen Studien den Bezug beider und folgend ihren Gebrauch rekonstruieren.15 Dazu Hermann Knoflacher in diesem Band, S. 28–30.16 Siehe dazu mit weiterführenden Literatur Thomas Zeller indiesem Band, S. 17–21, insbes. Anm. 19–30. 17 Siehe dazu Thomas Zeller: Straße, Bahn, Panorama. Frank-furt, New York 2002, S.228.18 Denn Autobahnen sind Ästhetik. Friedrich Kittler: Auto Bah-nen. In: KultuRRevolution 5 (1984), S. 12; Friedrich Kittler: AutoBahnen. In: AutoBahn und Medien. Hg. von Marc Riesu. a.. Wien 1995, S. 13 (2. Hälfte der Publ.).19 Siehe hierzu Angela Jain in diesem Band, S. 33, Abb. 1 und S. 35, Abb. 2.20 Siehe Angela Jain in diesem Band, S. 38, Abb. 4 sowie diverseAufnahmen in StAL EL 75 VI d. 21 Siehe z. B. Gustave Caillebotte, Landschaft mit Eisenbahn-schienen, 1872, Öl/Lw, 81 x 116 cm, Frankreich, Privatslg. DiesesBild bietet bereits alles, was wir für die Autobahnfotografie alsLandschaftsfotografie kennen. Von einem erhöhten Standpunkt,hier einer Brücke, wird tief in die Landschaft geschaut, die Ei-senbahntrasse entlang, die sich im Hintergrund sogar schlängelt,um dann auf den Horizont zu treffen. Aber anders als die Foto-grafie übernimmt der Maler auch den Eindruck, wie sich dieLandschaft aus Perspektive des Reisenden ausnimmt, verrußt,verwischt und vereinheitlicht. Deutlicher im Sinne des im Textgeschilderten Phänomens sind die Arbeiten Caillebottes zurPont d’Europe von 1876 (etwa Genf, Musée du Petit-Palais). Hier

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ist der rasante Tiefensog der schräg gesehenen Brücke verbun-den mit dem Blick des verweilenden Müßiggängers. 22 Fritz Todt, Vorwort. In: Die Straße 2 (1935), Heft 1 , S. 2. 23 Todt sah nämlich nicht in erster Linie den Erhalt, sondern dieschöpferische Umgestaltung der Landschaft als Kulturauftrag derarischen Rasse an; siehe Charlotte Reitsam: Reichsautobahn –Landschaften im Spannungsfeld von Natur und Technik. Inter-nationale und interdisziplinäre Verflechtungen. München 2004,Kapitel 6.0 (Kulturauftrag der landschaftlichen Eingliederung), S. 91–98, Zitat S. 92. 24 Die Sammlung des Landesamts für Straßenwesen umfasstReproduktionen sowohl der Abbildungen des im Text erwähn-ten Bildbands Das Erlebnis der Reichsautobahn wie auch solche aus dem Autobahnkalender von 1939. Die auf DIN-A4-Karteikarten aufgeklebten Reproduktionen sind neben denÜbernahmen der originalen Bildunterschriften auch mit ent-sprechenden Schlagworten, meistens Hinweise auf die Trassie-rung in der Landschaft, versehen.25 Zu den populärsten Autobahnmalern, den auch Hitler sehrschätzte, gehörte Ernst Vollbehr, der im Auftrag Todts vor allemBaustellen der Reichsautobahn ins Bild setzte; siehe dazu auch:Windisch-Hojnacki, wie Anm. 13, S. 217–18; Erhard Schütz, Eck-hard Gruber: Mythos Reichsautobahn. Bau und Inszenierungder „Straßen des Führers“ 1933–1941. Berlin 1996, S. 112–15. Zu nennen wäre auch der studierte Bauingenieur Erich Merker,der 1939 in der Großen Deutschen Kunstausstellung in Münchensein Gemälde der damals so berühmten Baustelle der Rohrbach-brücke zeigte. Das Gemälde wurde dann durch Heinrich Hoff-mann für die Sammlung Adolf Hitlers erworben; siehe dazu:Die zweite Schöpfung. Bilder der industriellen Welt vom 18. Jahr-hundert bis in die Gegenwart. Hg. von Sabine Beneke und HansOttomayer, Berlin 2002, S. 263. 26 So etwa die aufwendigen Fotodokumentationen zur Aus-stellung Die Reichsautobahn auf der 2. Deutschen Architektur-und Kunsthandwerkausstellung in München. In: Die Straße 6(1939), Heft 1, S. 2–5. Dort auch ein Lichtbild der Drackenloch-brücke.27 Erna Lendvai-Dircksen, Reichsautobahn – Mensch und Werk,Bayreuth 1937, o.S. (S. 102). Siehe zur komplexen Verbindungvon Physiognomie und Landschaft bei Lendvai-Dircksen: Claudia Schmölders. Das Gesicht von Blut und Boden. ErnaLendvai-Dircksens Kunstgeographie. In: Körperbilder im Natio-nalsozialismus. Bilder und Praxen. Hg. von Paula Diehl, Pader-born 2006, S. 51–78. 28 Eduard Schönleben: Vorwort. In: Trassierungsgrundlagen der Reichsautobahn. Amsterdam, Prag, Wien 1943. o. S. (S. 7).Schönleben signiert hier als Ministerialdirektor beim General-inspektor für das deutsche Straßenwesen. Der Band ist auch als Ergebnis der im Frühjahr 1941 durchgeführten Trassierungs-tagung zu verstehen, an der außer den Trassierungsingenieuren

auch Künstler und berufene Vertreter der Automobiltechnik teil-nahmen.29 Fritz Heller: Gedanken zur Ästhetik der Linien- und Gradientenführung, In: Trassierungsgrundlagen der Reichsauto-bahn, wie Anm. 27, S. 37–42.30 Heller, wie Anm. 28, S. 37.31 Heller, wie Anm. 28. 32 Heller, wie Anm. 28, S. 39. 33 Heller, wie Anm. 28.34 Heller, wie Anm. 28. 35 In ganz Deutschland gab es im Jahr 1932 486.001 zugelasse-ne PKWs; damit besaß nur jeder 37. Haushalt ein Automobil. Dazu kam, dass nur eine kleine Zahl von Autos für Privatperso-nen zur Verfügung stand. Die meisten waren zur Zeit des Bausder Reichsautobahn Firmen- oder Behördenwagen; Diskussio-nen der Statistiken zum Grad der Mobilisierung in Deutschlandjener Zeit bei Zeller, wie Anm. 17, S. 51–52; Schütz u. Gruber, wie Anm. 25, S. 12.36 Heller erwähnt zu Eingang seiner Abhandlung ein Streit-gespräch zwischen mittelalterlichen Baumeistern, ob Kunst ohne Wissenschaft auskomme und schließt mit der Synthese:Ars sine scientia nihil est, wobei klar ist, dass der Kunst das Primat zukommt; Heller, wie Anm. 28, S. 37. 37 Viktor von Ranke (Hans Lorenz): Raumperspektive. In: Trassierungsgrundlagen, wie Anm. 27, S. 81–98.38 Viktor von Ranke: Raumperspektive. In: Die Straße 8 (1941),Heft 7/8, S. 137–139. Im Weiteren beziehe ich mich auf diesenArtikel. Der von Lorenz neu publizierte Aufsatz von Rankes in den Trassierungsgrundlagen wurde erweitert um verschiedeneAnwendungshinweise zur Raumperspektive und um begleiten-de, vornehmlich grafische Illustrationen.39 Ranke, wie Anm. 37, S. 137.40 Ranke, wie Anm. 37, S. 137. 41 Wie komplex der Umgang des Fotografen mit verzerrten Perspektiven ist, belegen die Versuche von Andreas Feininger, derteilweise mit selbstgebauten Teleobjektiven von langer Brenn-weite hantierte, um im Bild die Wirkung der tatsächlichen Größenverhältnisse zu reproduzieren. 42 Dr. Schulz-Wittuhn, Leiter der Hauptverwaltung der Straßendes amerikanischen und britischen Besatzungsgebietes, zitiertnach Zeller, wie Anm. 17, 2002, S. 232. 43 Zeller, wie Anm. 17, S. 229.44 Hans Lorenz: Trassierung und Gestaltung von Straßen undAutobahnen. Wiesbaden, Berlin 1971.45 Lorenz, wie Anm. 43, S. 107. 46 Lorenz, wie Anm. 43, S. 107. 47 Lorenz, wie Anm. 43, S. 107, Betonung im zitierten Text.48 Lorenz, wie Anm. 43, S. 107. Natürlich wird dieser Wert alsrelativ dargestellt und von den psychischen Zuständen des je-weiligen Fahrzeugführers abhängig gemacht.

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49 So wird ganz deutlich formuliert: Man wollte nicht nur un-schöne Formen vermeiden, sondern auch auf alle Fälle solche, dieden Fahrer zu falschen Schlüssen verleiten könnten (Lorenz, wieAnm. 43, S. 108). 50 Dieser Perspektivenwechsel wird deutlich, wenn wir vonRankes Beschreibung am Schluss seines Artikels zur Raumper-spektive lesen: Zum Schluss darf wohl nicht ungesagt bleiben, dassjeder Trassierungsingenieur sich geradezu dazu zwingen müßte, inder Autobahn ein lebendiges Wesen zu sehen, das – unverstanden –voller Tücken und Launen sein kann, das aber unter liebevoller,individueller Behandlung uns zu einem schönen, großartigen Er-leben wird; von Ranke, Raumperspektiven, in: Die Straße,Nr.23/24 (1941) S. 139. Von Ranke geht von der Autobahn alslaunenhaftem Wesen aus, der bundesrepublikanische Autor vomFahrer! Jener Satz wurde in den Trassierungsgrundlagen von1943 wieder getilgt. 51 Lorenz, wie Anm. 43, S. 108.52 Lorenz, wie Anm. 43, S. 116. 53 Marc Ries kommentiert diese Verbildlichung, die Kadrierungdes Fahrerblicks durch die Windschutzscheibe eines fahrendenAutos als eine Transformation der Wahrnehmung in ein völligneues Erkenntnisparadigma, in ein kinematographisches; MarcRies: Das Bild der Strasse, Vortrag auf dem Symposion des Eu-ropafestivals Drosendorf 2004: On the road. Sill. 1.–4.6.2004,Typoskript, S. 4. Ich danke Marc Ries für die Überlassung seinesSkripts. 54 Ries, wie Anm. 52, S. 142. 55 Das Erlebnis der Reichsautobahn. Ein Bildwerk von Her-mann Harzmit einer Einführung von Herybert Menzel. Mün-chen 1943, o. S. Die Dichtung Menzels wurde zuerst publiziertin: Die Straße 8 (1941), Heft 23/24, S. 373–375. Der Mythos zur‚Erfindung der Reichsautobahn durch Adolf Hitler‘ dort S. 373 f. 56 Der von Menzel so beschriebene Schöpfungsakt findet sichin Prinzhorns Buch Bildnerei der Geisteskranken präfiguriert.Dort wird der psychiatrieerfahrene Künstler Heinrich Welz be-schrieben. Dessen Wunsch ist es, das Bild allein mit dem Willenund der Kraft seiner Augen zu gestalten. Er werde künftig einfachdas Papier mit Graphit bestreuen und, mit dem Blick darüber-hinfahrend, die Körner zu Linien und Formen zwingen (HansPrinzhorn: Bildnerei der Geisteskranken. Berlin 1922, Biografiezu Heinrich Welz, S. 249–255, hier S. 255) Freundliche Mit-teilung von Thomas Röske. Der Mythos Menzels erfüllt alle Be-dingungen für ein Werk der outsider-art: die eingeschlosseneEinsamkeit des devianten Genies. 57 Auch Reitsam spricht von der Normierung des Blicks; Reit-sam, wie Anm. 23, S. 102. Allerdings kann, wie oben ausgeführt,nicht davon die Rede sein, dass die Fotografien von der Auto-bahn die Perspektive des fahrenden Betrachters einnehmen (Reit-sam, wie Anm. 23, S. 102). Dagegen sprechen die Ausführungenvon Rankes zur korrekten Darstellung der Fahrbahn in der Pro-

jektion: Der Betrachter befindet sich gewissermaßen in der Mitteeiner Glaskugel, auf deren Wände er die gewünschten Gegenständeprojiziert. […] Dass hierbei die sich in absoluter Nähe befind-lichen Gegenstände nicht aufgenommen werden, versteht sich vonselbst, denn wir wollen ja die Tiefe, die Ferne, bildlich festhalten…;von Ranke (Lorenz), wie Anm. 36, S. 81.58 Lorenz, wie Anm. 43, S. 67–69.59 Lorenz, wie Anm. 43, Bild 120. 60 Lorenz, wie Anm. 43, S. 164.61 Das Problem der Fahrerperspektive und dessen Stillstellungim Bild schon bei Marc Ries: Dieses Bild kann so nur über den er-zwungenen Stillstand des Fahrers und aller weiteren Insassen ent-worfen werden; Ries, wie Anm. 42, S. 5. Der Stillstand des Fahrersbezieht sich hier auf das immobile Fremdbewegt-Werden desKörpers des Fahrers im sich selbst bewegenden Auto. Allerdingsgibt es eine interessante Parallelität zwischen dem im Auto still-gestellten Fahrer und dem in der Fotografie stillgestellten Fahrerblick als Vorrausetzung seiner mathematisch orientiertenRationalisierung für den Autobahnplaner. 62 Lorenz, wie Anm. 43, S. 184–188. 63 Ein visueller Kommentar zu dieser Problematik findet sichals künstlerische Bildmontage in: AutoBahn und Medien, wieAnm. 18, S. 16 (2. Hälfte der Publ.).

Bernhard StumpfhausBemerkungen zur Autobahnfotografie

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1 | Betonfahrbahndeckenlos VI, geschnittene Längsscheinfuge/1956 (Repro: 05.12.1991)Landesarchiv Baden-Württemberg StAL EL 75 VI a Nr 784

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Betonfahrbahndeckenlos VI, geschnittene Längsscheinfuge/ 1956(Repro: 05.12.1991)Landesarchiv Baden-Württemberg StAL EL 75 VI a Nr 784