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Materialien zu den Ausstellungstafeln Kunst und Strafrecht Prof. Dr. Dr. Uwe Scheffler Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder), Lehrstuhl für Strafrecht, Strafprozessrecht, Kriminologie Kunst und Sachbeschädigung § 303 StGB Sachbeschädigung (Auszug) (1) Wer rechtswidrig eine fremde Sache beschädigt oder zerstört, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe be- straft. (2) Ebenso wird bestraft, wer unbefugt das Erscheinungsbild einer fremden Sache nicht nur unerheblich und nicht nur vorüberge- hend verändert. § 304 StGB Gemeinschädliche Sachbeschädigung (Auszug) (1) Wer rechtswidrig Gegenstände der Verehrung einer im Staat bestehenden Religionsgesellschaft oder Sachen, die dem Gottes- dienst gewidmet sind, oder Grabmäler, öffentliche Denkmäler, Naturdenkmäler, Gegenstände der Kunst, der Wissenschaft oder des Gewerbes, welche in öffentlichen Sammlungen aufbewahrt werden oder öffentlich aufgestellt sind, oder Gegenstände, welche zum öffentlichen Nutzen oder zur Verschönerung öffentlicher Wege, Plätze oder Anlagen dienen, beschädigt oder zerstört, wird mit Frei- heitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Ebenso wird bestraft, wer unbefugt das Erscheinungsbild einer in Absatz 1 bezeichneten Sache oder eines dort bezeichneten Gegenstandes nicht nur unerheblich und nicht nur vorübergehend verändert. Abb.: AFP, http://www.sueddeutsche.de/reise/kopenhagen-kleine-meerjungfrau-zieht-nach-china-1.6042-5 / Abb.: dpa, http://www.sueddeutsche.de/muenchen/trotz-wiederholungsgefahr-duerer-attentaeter-aus-psychiatrie-entlassen-1.736911 Edvard Erikson: Die Kleine Meerjungfrau (1913 / beschädigt 1998). Kopenhagen, Langeliniekai Albrecht Dürer: Beweinung Christi („Glimsche Beweinung“) (um 1500/01 / beschädigt 1998) (Ausschnitt). München, Alte Pinakothek

Kunst und Strafrecht54418078.swh.strato-hosting.eu/Bohlmann-Fall.pdf(* 1633; † 1658): Noli me tangere (Christus erscheint Maria Magdalena als Gärtner) (um 1655). Kassel, Museum

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Materialien zu den Ausstellungstafeln

Kunst und Strafrecht

Prof. Dr. Dr. Uwe Scheffler

Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder), Lehrstuhl für Strafrecht, Strafprozessrecht, Kriminologie

Kunst und Sachbeschädigung

§ 303 StGB Sachbeschädigung (Auszug) (1) Wer rechtswidrig eine fremde Sache beschädigt oder zerstört, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe be-straft. (2) Ebenso wird bestraft, wer unbefugt das Erscheinungsbild einer fremden Sache nicht nur unerheblich und nicht nur vorüberge-hend verändert. § 304 StGB Gemeinschädliche Sachbeschädigung (Auszug) (1) Wer rechtswidrig Gegenstände der Verehrung einer im Staat bestehenden Religionsgesellschaft oder Sachen, die dem Gottes-dienst gewidmet sind, oder Grabmäler, öffentliche Denkmäler, Naturdenkmäler, Gegenstände der Kunst, der Wissenschaft oder des Gewerbes, welche in öffentlichen Sammlungen aufbewahrt werden oder öffentlich aufgestellt sind, oder Gegenstände, welche zum öffentlichen Nutzen oder zur Verschönerung öffentlicher Wege, Plätze oder Anlagen dienen, beschädigt oder zerstört, wird mit Frei-heitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Ebenso wird bestraft, wer unbefugt das Erscheinungsbild einer in Absatz 1 bezeichneten Sache oder eines dort bezeichneten Gegenstandes nicht nur unerheblich und nicht nur vorübergehend verändert.

Abb.: AFP, http://www.sueddeutsche.de/reise/kopenhagen-kleine-meerjungfrau-zieht-nach-china-1.6042-5 / Abb.: dpa, http://www.sueddeutsche.de/muenchen/trotz-wiederholungsgefahr-duerer-attentaeter-aus-psychiatrie-entlassen-1.736911

Edvard Erikson: Die Kleine Meerjungfrau (1913 / beschädigt 1998). Kopenhagen, Langeliniekai Albrecht Dürer: Beweinung Christi („Glimsche Beweinung“) (um 1500/01 / beschädigt 1998) (Ausschnitt). München, Alte Pinakothek

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„Bohlmann“-Fall Stand: Oktober 2013 Letzte Modifizierung: 27.4.2016

Hans-Joachim Bohlmann (* 1937 in Breslau; † 2009 in Hamburg) wurde in den 1980er Jahren als der Dürer-Attentäter bekannt. Ins-gesamt beschädigte Bohlmann zwischen 1977 und 1988 über 50 Kunstwerke. („Haarmann der Kunstmörder“1) Der durch ihn verur-sachte Schaden wird auf über 130 Millionen Euro geschätzt. Bohlmann litt seit seiner Jugend an einer schwerwiegenden Persönlichkeitsstörung. Früh wurden Kontrollzwänge und Angstzustän-de bei ihm diagnostiziert, ausgelöst durch eine harte Erziehung, die Flucht 1945 aus Breslau und das unverarbeitete Trauma eines beinahe tödlich geendeten Sturzes in eine Jauchegrube als Zweijähriger, bei dem seine Mutter nicht eingeschritten war. Heute als höchst fragwürdig erkannte Behandlungsmethoden wie das Setzen von Elektroschocks, eine Insulin-Komatherapie und eine stere-otaktische Hirnoperation, der er sich freiwillig im Jahre 1974 unterzog, blieben ohne Erfolg. Ganz im Gegenteil bewirkte der Hirnein-griff eine hirntraumatische Schädigung; seine Intelligenz minderte sich. 1975, keine 40 Jahre alt, wurde er Frührentner. Des Weiteren kam es bei Bohlmann als Folge der Operation zu einer Enthemmung; er begann, aggressive Impulse in die Tat umzu-setzen. So legte er Brände in der Heide, die er wieder löschte, und drehte auf Friedhöfen Wasserhähne auf. Nachdem seine Ehe-frau am 11. März 1977 beim Fensterputzen verunglückt war und kurz darauf starb, begann Bohlmann damit, in Museen und Kunst-hallen, aber auch in Parks, Kirchen und Friedhöfen Gemälde sowie andere Kunstwerke mutwillig zu beschädigen, indem er sie mit Säure bespritzte. Seinen ersten Anschlag auf ein Gemälde in einem Museum verübte er am 29. März 1977 in der Kunsthalle Hamburg, wo er das Bild „Goldener Fisch“ von Paul Klee beschädigte. Es war möglich, das Werk zu restaurieren.

Abb.: Artists Rights Society (ARS), New York / VG Bild Kunst, Bonn, http://www.artchive.com/artchive/k/klee/goldfish.jpg.html

Paul Klee (* 1879; † 1940): Der goldene Fisch (1925). Hamburg, Kunsthalle

Abends war sein Anschlag Thema in der „Tagesschau". Er hatte zum ersten Mal etwas erreicht. Nachts wachte er mit dem Gedan-ken auf: Du könntest noch viel mehr machen. Er fühlte eine derartige Genugtuung, dass er meinte, seine Medikamente nicht mehr zu brauchen. Es folgten weitere Attentate auf Kunstwerke in zahlreichen deutschen Städten, aber auch Übergriffe auf Tiere, Vandalismus auf Friedhöfen. Er freute sich über den angerichteten Schaden – je mehr, desto besser. Sodann wählte er aus einem Kunstlexikon bedeutende Porträts aus – Gesichter seien „die künstlerisch wertvollsten Partien, also ist der Schaden am größten“: Am 16. August 1977 goss er im Niedersächsischen Landesmuseum in Hannover Schwefelsäure über zwei Bilder von Lucas Cranach dem Älteren, Bildnisse Martin Luthers und seiner Frau Katharina von Bora,

Abb.: Niedersächsisches Landesmuseum, http://de.wikipedia.org/wiki/Lucas_Cranach_der_%C3%84ltere

Lucas Cranach der Ältere (* 1472; † 1553): Bildnisse Martin Luther und Katharina von Bora (1528). Hannover, Niedersächsisches Landesmuseum

sowie drei Gemälde von Bartholomäus Bruyn dem Älteren.

1 Die Zeit vom 29.4.1988 (http://www.zeit.de/1988/18/die-macht-der-opfer). Friedrich „Fritz“ Haarmann (* 1879; † 1925) war ein Serienmör-der, der wegen Mordes an 24 Jungen bzw. jungen Männern im Alter von 10 bis 22 Jahren 1924 in Hannover zum Tode verurteilt und hinge-richtet wurde.

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Abb.: Landesmuseum Hannover - Arthotek, http://www.artothek.de/artothek/index.cfm?jumpin=true&language=1

Bartholomäus Bruyn der Ältere (* 1493; † 1555): Bildnis eines 39-jährigen Mannes (1539). Hannover, Niedersächsisches Landesmuseum Bartholomäus Bruyn der Ältere: Bildnis eines Stifters (um 1540). Hannover, Niedersächsisches Landesmuseum Bartholomäus Bruyn der Ältere: Bildnis einer Stifterin (um 1540). Hannover, Niedersächsisches Landesmuseum

Die Bilder wurden nicht unerheblich beschädigt, konnten aber restauriert werden.

Abb.: http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-40859183.html

Die beiden lädierten Cranachs sowie (im Vordergrund) das Bildnis einer Stifterin von Bartholomäus Bruyn Am 24. August 1977 attackierte Bohlmann eine Version2 des Gemäldes des Erzherzog Albrechts von Peter Paul Rubens im Kunst-museum Düsseldorf, dessen Gesicht fast weggefressen und buchstäblich aufgelöst wurde. Die Restaurierung dauerte zwei Jahre.

Abb.: http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-40859183.html

Peter Paul Rubens (* 1577; † 1640): Porträt des Erzherzogs Albrecht VII., Regent der südlichen Niederlande (um 1609/15). (Ehem.) Düsseldorf, Kunstmuseum / Sammlung Bentinck-Thyssen

Am nächsten Tag habe er immer alles in der Zeitung nachgelesen und sich an der öffentlichen Empörung geweidet, sagte Bohl-mann. „Je größer der Schaden, desto wichtiger hab ich mich genommen. Alles andere kann man ersetzen, aber die Bilder würde selbst ein Alter Meister nicht noch mal hinkriegen. Ich hatte die Gesellschaft bestohlen. Und weil das so ein Echo fand, hat mir das Spaß gebracht“, zitierte ihn „Der Spiegel“3. Bei einem Anschlag am 7. Oktober 1977 im Kasseler Museum Schloss Wilhelmshöhe wurden vier Werke der Gemäldegalerie Alte Meister beschädigt, darunter der „Jakobssegen“

2 Es gibt mehrere Versionen, die sich in Museen in Wien, London und São Paulo befinden. Die damals in Düsseldorf beschädigte Fassung wird oftmals als die endgültige Fassung der nicht ganz vollendeten Wiener Fassung angesehen. 3 Der Spiegel 40/2005 (http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-42008774.html).

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Abb.: The Yorck Project: 10.000 Meisterwerke der Malerei. DVD-ROM, 2002. ISBN 3936122202, http://de.wikipedia.org/wiki/Jakobssegen_%28Rembrandt%29

Rembrandt Harmensz van Rijn (* 1606; † 1669): Der Jakobssegen (1656). Kassel, Museum Schloss Wilhelmshöhe

und das „Selbstbildnis mit Barett und goldener Kette“ von Rembrandt

Abb.: http://www.museum-kassel.de/index_navi.php?parent=10944

Abb.: http://art-damaged.tumblr.com/post/21324459684/rembrandt-self-portrait-sulfuric-acid

Rembrandt Harmensz van Rijn: Selbstbildnis mit Barett und goldener Kette (1656). Kassel, Museum Schloss Wilhelmshöhe

sowie ein Gemälde von Nicolaes Maes

Abb.: http://www.lib-art.com/imgpainting/9/0/13309-apostle-thomas-nicolaes-maes.jpg

Abb.: http://lancewakeling.com/work/3817

Nicolaes Maes (* 1634; † 1693): Der Apostel Thomas (1956). Kassel, Museum Schloss Wilhelmshöhe Lance Wakeling4: Hans-Joachim Bohlmann, Nicolaes Maes' Scholar at His Desk (2009)

und ein Bild von Willem Drost, beide Rembrandt-Schüler.

4 Lance Wakeling nimmt in seiner Serie „Untitled (Vandalized Paintings)“ Fotoaufnahmen, die die zerstörten bzw. beschädigten Teile der jeweiligen Gemälde zeigen, und setzt diese an entsprechender Stelle in das Gemälde ein.

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Abb.: BPK, Berlin, Dist. RMN-Grand Palais / image MHK, http://www.photo.rmn.fr/cf/htm/CPicZ.aspx?E=2C6NU09FE596

Willem Drost (* 1633; † 1658): Noli me tangere (Christus erscheint Maria Magdalena als Gärtner) (um 1655). Kassel, Museum Schloss Wilhelmshöhe Der Sachschaden betrug insgesamt etwa 25 Millionen DM. Die Gemälde von Rembrandt und Maes wurden in den Jahren 1978-1982 restauriert und wieder ausstellt. Die Laufspuren der Schwefelsäure konnten retuschiert werden, wesentliche Partien waren ohnehin ganz verschont geblieben. Im Fall des Bildes von Willem Drost „Noli me tangere“ war dies anders. Durch das Säureattentat wurde u.a. das Gesicht der Chris-tus-Figur fast vollständig zerstört. Eine reine Restaurierung schien nicht auszureichen, um das Bild zu retten. Die verantwortlichen Restauratoren und Kunsthistoriker kamen dann aber viele Jahre später, um 2005, zu der Entscheidung, das Gesicht von Christus, das der Künstler ohnehin nur verschattet angelegt hatte, doch zu rekonstruieren und die anderen Laufspuren der Säure auszukitten und zu retuschieren. Durch eine Spezialistin, die Dresdener Diplomrestauratorin Karen Gäbler, wurde die komplizierte Restaurierung und teilweise Rekonstruktion 2006/07 ausgeführt. Seit dem 20. April 2008 – mehr als 30 Jahre nach dem Säureangriff – ist das Ge-mälde wieder in Kassel ausgestellt.

Abb.: Museumslandschaft Hessen Kassel, http://www.museum-kassel.de/index_navi.php?parent=2244

Nach seinem Anschlag vom 7. Oktober 1977 im Kasseler Museum Schloss Wilhelmshöhe war Bohlmann festgenommen worden. Er wurde vom Landgericht Hamburg am 31. Januar 1979 wegen Gemeinschädlicher Sachbeschädigung (§ 304 StGB) in 17 Fällen, wegen Sachbeschädigung (§ 303 StGB) in drei Fällen sowie Tierquälerei zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Als Motiv für die Taten machte das Gericht „Hass und Rachegefühle gegenüber der Allgemeinheit“ aus. Verminderte Schuldfähigkeit wurde ihm jedoch nicht zugebilligt. Er musste bis zum 6. Oktober 1982 seine Strafe vollständig verbüßen. 1983 beging er eine zweite Tatserie, in der er allerdings „nur“ Bauwagen und Baumaschinen in Brand setzte und dadurch einen Schaden von über 130.000 DM verursachte. Hierfür verurteilte ihn das Landgericht Hamburg wegen Sachbeschädigung in vier Fäl-len zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren, deren Vollstreckung am 5. Mai 1986 erledigt war. Wegen erneut auftretender Angst- und Hassgefühle – Auslöser war die Pfändung von monatlich 158,60 DM seiner Rente infolge von Schadensersatzforderungen – begab er sich im Herbst 1987 zur Behandlung in die offene psychiatrische Abteilung des Klinikums Hamburg-Eilbek. Aber es kam langsam abermalig über ihn. Seinem behandelnden Arzt wagte er, da er sich vor einer Verlegung in eine geschlossene Abteilung fürchtete, nicht mitzuteilen, dass er sich wieder nach der Zerstörung bedeutender Gemälde sehnte. Im März 1988 kaufte er sich dann zwei Liter Schwefelsäure und versteckte die beiden Behälter zunächst in einem Park. Am 20. April 1988 ließ er sich von der Klinik beurlauben und begab sich nach München, wo er am 21. April 1988 in der Alten Pinakothek drei weltberühmte Werke von Albrecht Dürer mit der mitgebrachten Schwefelsäure übergoss: den „Paumgartner-Altar“,

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Abb.: http://wapedia.mobi/de/Paumgartner_Altar

Albrecht Dürer (* 1478; † 1521): Der Paumgartner-Altar (nach 1503). München, Alte Pinakothek die „Mater Dolarosa“ (Schmerzensmutter), d.h. die Mitteltafel von „Die sieben Schmerzen Mariä“5,

Abb.: http://wapedia.mobi/de/Datei:Albrecht_D%C3%BCrer_025.jpg

Abb.: AP, http://wissen.spiegel.de/wissen/image/show.html?did=7810106&aref=image017/SP1998/005/SP199800501600161.pdf&thumb=false

Albrecht Dürer: Die sieben Schmerzen Mariä, Mitteltafel: Mata Dolorosa – Maria als Schmerzensmutter (1494/97). München, Alte Pinakothek sowie die „Beweinung Christi“.

Abb.: http://www.chronik-schinzel.de/page3.php

Abb.: dpa, http://www.sueddeutsche.de/muenchen/trotz-wiederholungsgefahr-duerer-attentaeter-aus-psychiatrie-entlassen-1.736911

Albrecht Dürer: Beweinung Christi („Glimsche Beweinung”) (um 1500). München, Alte Pinakothek Der dabei entstandene Schaden wurde auf 100 Millionen DM geschätzt. Die Restauration des zu 70 % zerstörten Bildes „Beweinung Christi für Albrecht Glim“ nahm letztlich 21 Jahre in Anspruch. Um dieses Bild zu retten, waren die Restauratoren gezwungen, neue Methoden zu entwickeln. Das Landgericht München verurteilte Bohlmann am 25. Januar 1989 für die Münchener Anschläge wegen Gemeinschädlicher Sachbeschädigung erneut zu zwei Jahren Freiheitsstrafe und ordnete die Unterbringung des diesmal als vermindert schuldfähig eingestuften Bohlmanns in einem Psychiatrischen Krankenhaus an. Er kam in die Klinik in München-Haar, 1990 wurde er in die Kli-nik in Hamburg-Ochsenzoll verlegt. Im Rahmen der Überprüfungen des Fortdauerns der Unterbringung gemäß § 67e Abs. 2 StGB stellte die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Hamburg jedes Jahr erneut fest, dass keine Änderungen an seiner Persönlichkeitsstörung wahrnehmbar seien, die es rechtfertigten, die weitere Vollstreckung der Unterbringung zur Bewährung auszusetzen oder für erledigt zu erklären. Ab 1993 wurden ihm wenigstens Lockerungen und begleitete Ausgänge auf dem Gelände der Anstalt gewährt, seit 1997 sogar Ausgänge ohne Begleitetung. 1998 verließ er bei einem dieser unbegleiteten Ausgänge das Klinikgelände und fuhr nach Dresden, wo er aller-

5 Die die Mater Dolorosa umgebenen kleineren Tafeln mit den einzelnen sieben Schmerzen befinden sich in der Gemäldegalerie Alte Meis-ter in Dresden.

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dings kein Museum betrat; er wurde zwei Tage später, offenbar auf dem Weg zurück in die Anstalt, in Ochsenzoll festgenommen. Die Klinik stellte daraufhin sämtliche bislang gewährten Lockerungen ein. Mit Beschluss vom 11. Januar 1999 erklärte die Strafvollstreckungskammer die Vollstreckung der angeordneten Unterbringung dann aber für erledigt: Obwohl eine wesentliche Veränderung oder Verbesserung des Zustandes des Verurteilten in der Vergangenheit nicht erreicht worden sei, sei die Unterbringung aus Gründen der Verhältnismäßigkeit nach 10-jähriger Vollzugsdauer nunmehr zu beenden. Gegen diesen Beschluss legte die Staatsanwaltschaft Sofortige Beschwerde ein. Ein vom Beschwerdegericht, dem Oberlandesge-richt Hamburg, eingeholtes nervenärztliches Gutachten benannte konkrete Anhaltspunkte dafür, dass Bohlmann ohne spezielle Vor-bereitung bei einer Entlassung zum aktuellen Zeitpunkt auf frühere delinquente Verhaltensschablonen zurückgreifen werde, so dass vor allem Säureattacken und andere Beschädigungen bei möglichst wertvollen Kunstwerken in Betracht gezogen werden müssten. Ohne ausreichende Vorbereitung eines geeigneten „sozialen Empfangsraums“ sei die Wahrscheinlichkeit erneuter spezieller straf-barer Handlungen annähernd so hoch einzuschätzen wie 1988/89. Mit Beschluss vom 15. November 1999 hob daraufhin das Oberlandesgericht die Entscheidung der Strafvollstreckungskammer auf und ordnete die Fortdauer der Unterbringung, allerdings bei „stufenweisen Lockerungen“ an, weil die Kriminalprognose nicht positiv und der weitere Freiheitsentzug angesichts der von Bohlmann drohenden Gefahr noch verhältnismäßig sei. In der Folgezeit genoss Bohlmann nur eingeschränkt auf die Freilassung vorbereitende Lockerungen. Dies vor allem deswegen, weil die Klinik das Missbrauchsrisiko als unvertretbar hoch einschätzte und die von der Strafvollstreckungskammer angeordneten Locke-rungen mehrfach aussetzte und schließlich abbrach, als Bohlmann nach einem Ausgang zu einer therapeutischen Wohngruppe erst am nächsten Tag wiederauftauchte. Dies hatte für große öffentliche Aufregung gesorgt („‚Dürer-Attentäter‘ auf der Flucht“6 / „Kunst-schänder auf der Flucht: Museen in Angst“7 / „Alarm in allen Museen“8), die Hamburger Kunsthalle sowie andere Museen in der Hansestadt und in ganz Deutschland leiteten unverzüglich Sicherheitsmaßnahmen ein. Straftaten beging Bohlmann allerdings nicht. Er sagte nach seiner Rückkehr, er habe sich lediglich Orte in Hamburg angesehen, an denen er lange nicht mehr gewesen sei. Mu-seen oder Kirchen habe er aber nicht besucht. Mit Beschluss vom 30. April 2004 erklärte die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Hamburg die Vollstreckung der Unter-bringung Bohlmanns mit Wirkung ab dem 1. Juli 2004 für erledigt. Die Sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft München verwarf das Hanseatische Oberlandesgericht durch Beschluss vom 21. September 2004. Bohlmann kam dabei eine am 29. Juli 2004 in Kraft getretene Gesetzesänderung zugute. Seitdem soll eine Maßregel ausdrücklich gemäß § 67d Abs. 6 Satz 1 Alt. 2 StGB auch dann für erledigt erklärt werden, wenn der weitere Vollzug als unverhältnismäßig zu erachten sei9:

Stellt das Gericht nach Beginn der Vollstreckung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus fest, dass ... die weitere Vollstreckung der Maßregel unverhältnismäßig wäre, so erklärt es sie für erledigt.

Der Gesetzgeber schrieb damit die Praxis der Rechtsprechung fest, wonach der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht nur im Rahmen der Prognose, mit welcher Wahrscheinlichkeit und mit welcher Schwere der freigelassene Untergebrachte außerhalb des Maßregelvollzugs wieder Straftaten begehen würde (vgl. § 67d Abs. 2 Satz 1 StGB), zu berücksichtigen sei. Je länger die Unterbrin-gung in einem Psychiatrischen Krankenhaus andauere, umso strenger müssten die Voraussetzungen für die Verhältnismäßigkeit des Freiheitsentzugs sein. Für das Oberlandesgericht Hamburg war die Entscheidung für Bohlmann letztlich klar10:

Angesichts der auf der Selbstwertproblematik fußenden Geltungsbedürftigkeit besteht weiterhin die Gefahr, dass der Untergebrach-te Straftaten wie die 1988, nämlich Säureattentate und andere Beschädigungen möglichst wertvoller Kunstwerke, begehen wird. Der Untergebrachte hat 1988 Kulturkunstwerke von unschätzbarem Wert unwiederbringlich nahezu zerstört. Hingegen ist nicht zu erwarten, dass der Untergebrachte in Freiheit andere Straftaten als Sachbeschädigungen begehen wird, ins-besondere nicht gegen Personen gerichtete Gewalttaten. Der Untergebrachte ist in der Vergangenheit ausschließlich wegen Sach-beschädigung bzw. gemeinschädlicher Sachbeschädigung verurteilt worden. Während der seit 1989 andauernden Unterbringung ist er nicht ein einziges Mal Personen gegenüber als gewalttätig in Erscheinung getreten. ... Der Untergebrachte ist jetzt 67 Jahre alt. Er befindet sich seit nunmehr über 16 Jahren in Haft, davon über 15 Jahre im Maßregel-vollzug. ... Es liegt auf der Hand, dass dieser über Jahre andauernde Zustand der Ungewissheit, ob überhaupt und wann er die ihm immer wieder in Aussicht gestellte Entlassung in die Freiheit erleben wird, für den Untergebrachten besonders belastend gewesen ist. ... Die Abwägung zwischen den betroffenen Rechtsgütern läuft auf die Frage hinaus, ob ein Untergebrachter, der bei fehlender Aus-sicht auf Heilung seines Grundleidens weiterhin gefährdet ist, Sachbeschädigungen erheblichen Ausmaßes zu begehen, deswegen bis an sein Lebensende untergebracht werden muss oder nicht. Wie dargelegt ist zu befürchten, dass der Untergebrachte im Falle erneuter Straffälligkeit wiederum Kulturgüter von unschätzbarem Wert beschädigen oder zerstören wird. Im Rahmen der Abwägung zwischen dem Freiheitsanspruch des Untergebrachten und dem Schutz der Allgemeinheit vor schwerwiegenden Straftaten (hier: gemeinschädliche Sachbeschädigung unwiederbringlichen Kultur-gutes) ist aber zu berücksichtigen, dass auch grundgesetzlich geschützte Rechtsgüter strafrechtlichen Schutz nur mit der Intensität genießen, mit der der Gesetzgeber ihre Verletzung strafrechtlich sanktioniert hat. § 304 StGB sieht für gemeinschädliche Sachbe-schädigung als Höchstmaß Freiheitsstrafe von drei Jahren vor. Der Untergebrachte hat inzwischen über das Fünffache dieser Höchststrafe im Maßregelvollzug verbracht. Auf der Grundlage dieser Werteordnung des Strafgesetzes hält es der Senat für geboten, dem Freiheitsanspruch des langdauernd Untergebrachten im vorliegenden Fall den Vorrang zu geben.

6 Spiegel online vom 31.7.2001 (http://www.spiegel.de/panorama/alarm-in-museen-duerer-attentaeter-auf-der-flucht-a-147904.html). 7 Tagesspiegel vom 31.7.2001 (http://www.tagesspiegel.de/weltspiegel/kunstschaender-auf-der-flucht-museen-in-angst/245186.html). 8 BZ vom 1.8.2001 (http://www.bz-berlin.de/archiv/alarm-in-allen-museen-article199987.html). 9 § 67d Abs. 6 StGB wurde eingefügt durch Gesetz zur Einführung der nachträglichen Sicherungsverwahrung vom 23.7.2004, BGBl. I, 1838. 10 OLG Hamburg, NStZ-RR 2005, 40.

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Mit Meldeauflagen und einem Hausverbot für Museen wurde Hans-Joachim Bohlmann am 3. Januar 2005 freigelassen. Er durfte Hamburg nicht ohne Genehmigung verlassen. Er musste zur Nachsorge gehen und seine Medikamente nehmen. Kulturbetrieb und Medien reagierten empört, Museen im ganzen Land verteilten Bohlmann-Fotos an ihr Personal.

Abb.: DPA, http://art-damaged.tumblr.com/post/21385881718/hans-joachim-bohlmann-german-serial-vandal-who

Nun ist eine solche Aufregung durchaus verständlich. Dass auch bei Bohlmann nach jahrelangem Freiheitszug (wiederholter) Rück-fall drohen sollte, war auch insofern plausibel, als schon häufiger psychisch kranke Kunstattentäter nach ihrer Rückkehr in die Frei-heit alsbald wieder Gemälde beschädigten.

Ein merkwürdiger Zufall ist es, dass die Amsterdamer Museen Wiederholungstäter magisch anzuziehen scheinen: Am 6. April 1990 attackierte ein 31-jähriger Geistesgestörter „Die Nachtwache“ (so wurde das Bild allerdings erst seit dem 19. Jahr-hundert genannt), eines der bekanntesten Gemälde Rembrandts11. Er versprühte aus einer Flasche Schwefelsäure auf das Bild. Es wurde jedoch lediglich die Lackschicht des Anstrichs angegriffen, so dass es vollständig wieder hergestellt werden konnte. Der Täter wurde in ein psychiatrisches Krankenhaus eingewiesen.

Abb.: Rijksmuseum Amsterdam, http://de.wikipedia.org/wiki/Die_Nachtwache

Rembrandt Harmensz van Rijn (* 1606; † 1669): Die Nachtwache (Die Kompanie des Frans Banning Cocq) (1642). Amsterdam, Rijksmuseum Der gleiche Mann beschädigte dann am 16. Mai 1999 im Amsterdamer Stedelijk Museum ein Gemälde von Pablo Picasso. Aus der Leinwand des Gemäldes „Femme nue devant le jardin“ (Weiblicher Akt vor dem Garten) schnitt er ein kreisrundes Loch von einem halben Meter Durchmesser. Die Wiedereinsetzung des nicht vollständig abgetrennten Teiles – Kopf, Rumpf und Schoß der Frau – war möglich. Der inzwischen 41 Jahre alte Mann war kurz vor der neuen Tat aus einem psychiatrischen Krankenhaus in Utrecht geflüchtet.

11 Die Nachtwache war damit zum dritten Mal im 20. Jahrhundert Gegenstand von Vandalismus geworden: Am 13.1.1911 stach ein arbeits-loser Marinekoch mit einem Messer auf das Bild ein. Am 14. September 1975 attackierte der arbeitsloser Lehrer Wilhelmus de Rijk das Bild mit einem Küchenmesser und zerschnitt damit die Leinwand. Das Bild konnte nicht vollständig wiederhergestellt werden.

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Abb.: http://art-damaged.tumblr.com/page/2 (Markierung von hier)

Abb.: http://talmana.nl/website/kunst/popup/vernielzucht%20popup%20afbeeldingen/vernielzucht%20popup%20afbeeldingen/1999NaaktPicasso3afb.gif

Pablo Picasso (* 1881; † 1973): Femme nue devant le jardin (1956). Amsterdam, Stedelijk Museum Ebenfalls im Amsterdamer Stedelijk Museum hatte 1986 ein anderer psychisch Kranker, der unbekannte niederländische Maler Ge-rard Jan van Bladeren, auf das großformatige (245 x 544 cm) Gemälde „Who`s Afraid of Red, Yellow and Blue Nr. III“ von Barnett Newman

Abb.: Barnett Newman/Artists Rights Society, New York, http://www.portlandart.net/archives/2007/11/beyond_the_fram.html

Barnett Newman (* 1905; † 1970): Who`s Afraid of Red, Yellow and Blue Nr. III (1966-1967). Amsterdam, Stedelijk Museum mit einem Teppichmesser eingestochen12. Er zerschlitzte die Leinwand im unteren Teil des Bildes über mehrere Meter.

Abb.: AP, http://www.volkskrant.nl/vk/nl/2676/Cultuur/article/detail/3512580/2013/09/19/Reconstructie-het-bizarre-verhaal-van-Who-s-Afraid-of-Red-Yellow-and-Blue-III.dhtml

Es gelang dem Restaurator nicht, das Gemälde zufriedenstellend wiederherzurichten. Van Bladeren büßte dafür mit einer Freiheitsstrafe und kam in psychiatrische Behandlung, war nach ein paar Monaten aber wieder auf freiem Fuß. 1997 machte sich van Bladeren nochmals auf den Weg zu „Who`s Afraid of Red, Yellow and Blue Nr. III“ ins Stedelijk Museum. Vor Aufregung fand er diesmal jedoch das Gemälde nicht, wurde dafür allerdings von „Cathedra“, ebenfalls einem sehr großformatigen (545 x 244 cm) Werkes von Barnett Newman, „maßlos irritiert"

12 Die großen Formate Newmans – stilistisch dem Colour Field Painting zuzuordnen – und vielleicht auch der Titel mögen manche psychisch Gestörte offenbar besonders herauszufordern: Auch „Who`s Afraid of Red, Yellow and Blue Nr. IV“ (274,3 x 604,5 cm) von 1969/70 wurde im April 1982 in der Neuen Nationalgalerie in Berlin von einem psychisch kranken Veterinärmedizinstudenten mit einer Stange angegriffen und schwer beschädigt.

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Abb.: Pictoright, http://www.stedelijk.nl/kunstwerk/1376-cathedra

Barnett Newman: Cathedra (1951). Amsterdam, Stedelijk Museum

und zerschnitt das Bild wiederum mit einem Teppichmesser.

Abb.: http://krant.telegraaf.nl/krant/ditjaar/jaaroverzicht/teksten/jo.nederland.schilderij.html

Man zögerte in Amsterdam nach den schlechten Erfahrungen mit dem anderen Newman-Gemälde, nahm dann aber doch die Res-taurierung in Angriff, die nach dreijähriger Dauer erst 2002 abgeschlossen werden konnte. Heute wird „Cathedra“ hinter Plexiglas geschützt.

Zurück zu Bohlmann: Nach seiner Entlassung passierte eineinhalb Jahre nichts – bis zum Juni 2006: Beim turnusmäßigen Besuch der therapeutischen Ambulanz Mitte des Monats soll Bohlmann unauffällig, geradezu normal gewirkt haben. Im Anschluss reiste er jedoch nach Amsterdam – schon wieder Amsterdam! Am 25. Juni 2006 ging er ins Rijksmuseum. Er kaufte eine Eintrittskarte und tauchte im Besucherstrom unter. Auch an dieser Museumskasse lag sein Foto – keiner hatte ihn je-doch erkannt. In der Gemäldesammlung spritzte er Feuerzeugbenzin auf das riesige (232 x 547 cm) Bild „Schützenmahlzeit zur Feier des Friedens von Münster“ (1648), das Hauptwerk des Holländers Bartholomeus van der Helst (* 1613; † 1670), und zündete es an. Dabei wurde indes nur die oberste Schutzschicht, der Firnis, beschädigt.

Abb.: Rijksmuseum, https://www.rijksmuseum.nl/nl/mijn/verzamelingen/43647--r-bruijn/van-der-helst

Abb.: Rijksmuseum, http://www.rijksmuseum.nl/nieuwsenagenda/vanderhelstterug?lang=nl

Bartholomeus van der Helst: Das Schützenmahl der Amsterdamer Bürgergarde zur Feier des Westfälischen Friedens (1648). Amsterdam, Rijksmuseum

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Widerstandslos ließ er sich festnehmen. Man zählte sein 52. – und letztes – Kunst-Attentat. Das Gemälde konnte gereinigt werden.

Abb.: JEROEN SCHOKKER / AFP, http://wissen.spiegel.de/wissen/image/show.html?did=47441212&aref=image036/2006/07/01/ROSP200602701160118.PDF&thumb=false

Abb.: Rijksmuseum, http://www.rijksmuseum.nl/nieuwsenagenda/vanderhelstterug?lang=nl

Wegen Brandstiftung und Sachbeschädigung wurde Bohlmann hierfür vom Amsterdamer Gerechtshof [sic] in zweiter Instanz zu drei Jahren Gefängnis und zur Zahlung von 17.772 Euro Schadenersatz an das Rijksmuseum verurteilt. In erster Instanz war noch auf ein Jahr Freiheitsstrafe und anschließender Einweisung in eine psychiatrische Einrichtung erkannt worden. Mit Verbüßung von zwei Dritteln der Strafe wurde Bohlmann am 24. Juni 2008 aus der Haft entlassen, kehrte nach Hamburg zurück und erlag hier am 19. Januar 2009 einem Krebsleiden. Museumsdirektoren in Deutschland und den Niederlanden mögen aufgeatmet haben. Doch so einen richtigen Grund zur Entspan-nung hätten sie wohl erst dann, wenn sämtliche Besucher aus den Museen ausgeschlossen werden würden oder wenigstens alle Gemälde so martialisch gesichert wären wie Leonardo da Vincis „Mona Lisa“ im Pariser Louvre, die nach zwei Attacken im Jahre 1956 mit Säure bzw. einem Stein durch eine Absperrung sowie durch 2 cm dickes, versiegeltes Panzerglas vom Publikum abge-schirmt ist13 (und so nur noch einen sehr getrübten Kunstgenuss bietet).

Abb.: picture-alliance / dpa/dpaweb/SIPA, http://www.welt.de/kultur/literarischewelt/article13849280/Ist-die-Mona-Lisa-im-Louvre-nur-eine-Kopie.html (Galerie: Bild Nr. 10)

Abb. : http://www.dailymail.co.uk/news/worldnews/article-1205735/Woman-sparks-security-alert-hurling-mug-Mona-Lisa.html Abb.: Montrealais, http://commons.wikimedia.org/wiki/Leonardo_da_Vinci

Leonardo da Vinci (* 1452; † 1519): Mona Lisa (1503/06). Paris, Musée du Louvre Denn Bohlmann war gerade ein Jahr tot, als eine kunstinteressierte Frau, nun sicher nicht von krankhaften Aggressionen gegen Ma-lerei geplagt, ein Gemälde Picassos schwer beschädigte: Am 22. Januar 2010 war sie mit einer Erwachsenenbildungs-Klasse im New Yorker Metropolitan Museum of Art unterwegs. Sie strauchelte und stürzte in Pablo Picassos relativ großes (196 x 115 cm) Gemälde „L’Acteur“ (Der Schauspieler).

Abb.: http://www.musee-virtuel.com/picasso.htm

Abb.: Todd Heisler/The New York Times, http://art-trade-management.over-blog.de/article-after-repairs-a-picasso-returns-49053758.html

Pablo Picasso (* 1881; † 1973): L’Acteur (1904/05). New York, Metropolitan Museum of Art

13 Im August 2009 wurde gemeldet, eine Frau habe eine Keramiktasse über die Köpfe der Besucher hinweg gegen die „Mona Lisa“ gewor-fen. Der Becher sei am Panzerglas abgeprallt und zerbrochen. Dem Gemälde passierte nichts, die Frau wurde der Meldung zufolge fest-genommen und psychologisch untersucht. Mail Online vom 11.8.2009 (http://www.dailymail.co.uk/news/article-1205735/Woman-sparks -security-alert-hurling-mug-Mona-Lisa.html).

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Dabei riss die Leinwand in der rechten unteren Ecke (im Bereich des Souffleurkastens) etwa 15 cm ein. Der Schaden war im April 2010 nach drei Monaten schwieriger Restaurierungsarbeiten beseitigt. Der Riss soll kaum noch zu sehen sein. Der Marktwert des Gemäldes, ein frühes Hauptwerk aus Picassos „Rosa Periode“, soll angeblich durch den Unfall von 130 Millionen auf 65 Millionen Dollar gesunken sein. Die Frau hat sich mit ihrem Sturz in das Gemälde nach deutschem Recht natürlich nicht strafbar gemacht, egal wie ungeschickt sie sich angestellt haben mag, weil es einen strafrechtlichen Tatbestand der fahrlässigen (Gemeinschädlichen) Sachbeschädigung nicht gibt. Es könnte der Frau aber Schlimmeres als die Verurteilung zu einer Geldstrafe passieren: Sie wäre auch bei bloßer Fahrlässig-keit zivilrechtlich zur Leistung von Schadensersatz aus § 823 Abs. 1 BGB verpflichtet14; hier stehen Summen im Raum, die sicher von keiner Privathaftpflichtversicherung mehr gedeckt sind. Kurz nach dem Vorfall waren im Metropolitan Museum of Art Seile vor allen frühen Werken von Picasso installiert worden, um die Besucher auf Abstand zu halten – nicht allerdings vor den benachbarten Werken von Van Gogh, Gauguin oder Matisse. Und (nur) „L’Acteur“ wird seit seiner Restaurierung – wie erwähnt, auch Newmans „Cathedra“ – hinter Plexiglas ausgestellt. Purer Aktionis-mus? Nicht unbedingt. Selbst nach einer Beschädigung durch einen bloßen Unfall ist es nicht übervorsichtig, Wiederholungs-, bes-ser gesagt Nachahmungstätern vorzubeugen.

14 § 823 BGB Schadensersatzpflicht (1) Wer vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines an-deren widerrechtlich verletzt, ist dem anderen zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet. (2) ...