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364 Berichte Stahlbau 78 (2009), Heft 5 Infolge permanenter Wiederholung dieses Spiels entstanden dann doch ein paar aussagbare Bilder, Auftrag ausgeführt (Bild 1). Die Erkenntnis, dass Kunst und Tech- nik einen Hauptnenner besitzen ist über 2000 Jahre alt. So ist die „Techne für Aristoteles der Inbegriff aller menschlichen Fähigkeiten etwas zu bewirken: durch Arbeit, Kunstfertig- keit und Geschicklichkeit. Wortge- schichtlich ist „Technik“ vom Griechi- schen „Techne “ über das Neulateini- sche „Ars“ auf uns gekommen. Histo- risch vollzog sich der Prozeß der Auf- lösung des mittelalterlichen Ars-Be- griffes und der Konstitution des mo- dernen Technik-Begriffes in der durch die Wissenschaftliche (1550–1700) und Industrielle (1770–1870) Revolution in Europa eingespannte Epoche. Seither galten Kunst und Technik als geschie- den. Das Schisma der Baukunst sollte das Bauen des 19. Jahrhunderts be- stimmen – hier Architektur, dort In- genieurbau. Auch heute spielt sich die Einheit von Schönheit und Nutzen so- wie von Anmut und Gesetz im Bauen oft im Bezirk der Utopie ab. Gleich- wohl gab und gibt es immer wieder Versuche, diese Pole menschlicher Tätigkeit zu verbinden. Um einen sol- chen Versuch der Fotografin Petra Petrick geht es im Folgenden. Erste Impressionen vom Bau Ankunft im Industriegebiet, von wei- tem sieht es ja noch ganz gut aus, an den fertigen Bauten schon bunte Türme und Fassaden; aber daran ist das Firmenauto des Auftraggebers bald vorbei (…) bis zur Baustelle: Er- schreckend große, graue Betonwände, Regenpfützen, dahinter dann der Stahl- bau. Dessen lichtes blau versöhnt zu- nächst Auge und Sinne, aber doch Baustellenrealität: Krach, Kälte, Wind um alle Ecken und das Gefühl von har- ter Arbeit. Selbstverständlich ist auch der Tag grau, bis zum Nachmittag wird es dunkelgrau, die ersten Regentrop- fen (…). Und nun los, Poesie ist gefor- dert, oder doch wenigstens ein paar aussagekräftige Bilder von diesem wichtigen, eine Fotodokumentation werten Projekt. Der Flug vor Wochen gebucht, Schönwetter einkalkuliert. Ja, los nun, schöne Bilder sind gefragt! Die gefühlte Temperatur wird für die leicht fröstelnde Fotografin auf 40 m Höhe – und während des Aufstiegs über die erschreckend provisorisch erscheinenden Gitterrost-Zick-Zack- Treppen – auch nicht höher. Oben, auf der Montageebene angekommen, ist der Himmel noch nicht gewünscht Stahlblau, nur etwas bewegt-windiger und also noch kälter. Auch hier, sicht- bar harte Arbeit, auf Stahlträgern in luftiger Höhe sitzende Arbeiter (die New Yorker Stahlbauer der 1930-er Jahre erscheinen unweigerlich vor dem geistigen Auge) fügen Bauteile; wer möchte schon mit klammen Fingern kaltes Metall bewegen? Erstaunlich für die Außenstehende, die unerwar- tet-stilvolle Höflichkeit der Arbeiter; die anfänglich belustigt-verwunderten Blicke bald vergessen. Spätestens hier die Erkenntnis: dieses Abenteuer Bau- stelle ist ein Geschenk, Einblicke in eine völlig andere Lebens- und Arbeits- welt erhalten zu dürfen. Heißer Kaf- fee im Baustellencontainer, selbstver- ständlich ist Frau ein Fremdkörper in der Männerwelt, also besser wieder raus ins graue Nichts und fast aus pu- rer Verzweiflung der Wille, unbedingt etwas „schön“ zu machen, in dieser trostlosen Umgebung, und sei es nur ein wenig Ästhetik für einen Moment. Was lässt noch Goethe seinen Faust im V. Akt des II. Teiles über den Au- genblick sagen? „Verweile doch! Du bist so schön!“ Ein paar gute Bilder müssen her, für die eigene Seele, für den Auftraggeber; also mit dem Stativ in den Innenraum der Stahlkonstruk- tion, auf dem Boden liegend, die tolle Konstruktion der darüber liegenden Ebene im Kopf – selbstverständlich ist genau an der Stelle, wo die Kamera aufgebaut werden muss, eine Pfütze (…). Der nächste Tag, grau. Doch dann, eine Ahnung von Sonne, im Laufschritt 40 m nach oben strebend, die klapprige Treppe nicht wahrneh- mend: Ankunft im grauen Himmel. Kunstausstellung STAHL in Cottbus Bild 1. Bauvorhaben Kraftwerk Höchst, SIAG Stahlbau Ruhland, September 2008 Zwei Stimmen über Petra Petricks künstlerische Arbeiten Die Galerie Haus 23 in Cottbus prä- sentiert vom 8. Mai bis 20. Juni 2009 eine Ausstellung mit aktuellen Ar- beiten der Fotografin Petra Petrick. Gezeigt werden neue Werke, die sich auf unterschiedliche Weise mit dem Thema Stahlbau befassen. Der Kustos der „Sammlung Bildende Kunst, kunst. museum.dieselkraftwerk.cottbus“, Jörg Sperling, schreibt: „Petra Petrick, die sich vor allem mit ihren Aufnahmen von den Zwischenlandschaften der Lausitzer Tagebaue einen Namen ge- macht hat (hier sei nur auf ihre Aus- stellung in der Cultural Foundation in Abu Dhabi im Oktober/November 2008 verwiesen), tritt hier mit einem neuen Arbeitsfeld in die kunstinteres- sierte Öffentlichkeit“. Schließlich sei hier noch der Kunstwissenschaftler

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Berichte

Stahlbau 78 (2009), Heft 5

Infolge permanenter Wiederholungdieses Spiels entstanden dann dochein paar aussagbare Bilder, Auftragausgeführt (Bild 1).

Die Erkenntnis, dass Kunst und Tech-nik einen Hauptnenner besitzen istüber 2000 Jahre alt. So ist die „Techne–“für Aristoteles der Inbegriff allermenschlichen Fähigkeiten etwas zubewirken: durch Arbeit, Kunstfertig-keit und Geschicklichkeit. Wortge-schichtlich ist „Technik“ vom Griechi -schen „Techne–“ über das Neulateini-sche „Ars“ auf uns gekommen. Histo-risch vollzog sich der Prozeß der Auf-lösung des mittelalterlichen Ars-Be-griffes und der Konstitution des mo-dernen Technik-Begriffes in der durchdie Wissenschaftliche (1550–1700) undIndustrielle (1770–1870) Revolution inEuropa eingespannte Epoche. Seithergalten Kunst und Technik als geschie-den. Das Schisma der Baukunst solltedas Bauen des 19. Jahrhunderts be-stimmen – hier Architektur, dort In-genieurbau. Auch heute spielt sich dieEinheit von Schönheit und Nutzen so-wie von Anmut und Gesetz im Bauenoft im Bezirk der Utopie ab. Gleich-wohl gab und gibt es immer wiederVersuche, diese Pole menschlicherTätigkeit zu verbinden. Um einen sol-chen Versuch der Fotografin PetraPetrick geht es im Folgenden.

Erste Impressionen vom BauAnkunft im Industriegebiet, von wei-tem sieht es ja noch ganz gut aus, anden fertigen Bauten schon bunteTürme und Fassaden; aber daran istdas Firmenauto des Auftraggebersbald vorbei (…) bis zur Baustelle: Er-schreckend große, graue Betonwände,Regenpfützen, dahinter dann der Stahl-bau. Dessen lichtes blau versöhnt zu -nächst Auge und Sinne, aber dochBaustellenrealität: Krach, Kälte, Windum alle Ecken und das Gefühl von har-ter Arbeit. Selbstverständlich ist auchder Tag grau, bis zum Nachmittag wirdes dunkelgrau, die ersten Regentrop-fen (…). Und nun los, Poesie ist gefor-dert, oder doch wenigstens ein paaraussagekräftige Bilder von diesemwichtigen, eine Fotodokumentationwerten Projekt. Der Flug vor Wochen

gebucht, Schönwetter einkalkuliert. Ja,los nun, schöne Bilder sind gefragt!Die gefühlte Temperatur wird für dieleicht fröstelnde Fotografin auf 40 mHöhe – und während des Aufstiegsüber die erschreckend provisorischerscheinenden Gitterrost-Zick-Zack-Treppen – auch nicht höher. Oben,auf der Montageebene angekommen,ist der Himmel noch nicht gewünschtStahlblau, nur etwas bewegt-windigerund also noch kälter. Auch hier, sicht-bar harte Arbeit, auf Stahlträgern inluftiger Höhe sitzende Arbeiter (dieNew Yorker Stahlbauer der 1930-erJahre erscheinen unweigerlich vor demgeistigen Auge) fügen Bauteile; wermöchte schon mit klammen Fingernkaltes Metall bewegen? Erstaunlichfür die Außenstehende, die unerwar-tet-stilvolle Höflichkeit der Arbeiter;die anfänglich belustigt-verwundertenBlicke bald vergessen. Spätestens hierdie Erkenntnis: dieses Abenteuer Bau-stelle ist ein Geschenk, Einblicke ineine völlig andere Lebens- und Arbeits-welt erhalten zu dürfen. Heißer Kaf-fee im Baustellencontainer, selbstver-ständlich ist Frau ein Fremdkörper inder Männerwelt, also besser wiederraus ins graue Nichts und fast aus pu-rer Verzweiflung der Wille, unbedingtetwas „schön“ zu machen, in diesertrostlosen Umgebung, und sei es nurein wenig Ästhetik für einen Moment.Was lässt noch Goethe seinen Faustim V. Akt des II. Teiles über den Au-genblick sagen? „Verweile doch! Dubist so schön!“ Ein paar gute Bildermüssen her, für die eigene Seele, fürden Auftraggeber; also mit dem Stativin den Innenraum der Stahlkonstruk-tion, auf dem Boden liegend, die tolleKonstruktion der darüber liegendenEbene im Kopf – selbstverständlichist genau an der Stelle, wo die Kameraaufgebaut werden muss, eine Pfütze(…). Der nächste Tag, grau. Dochdann, eine Ahnung von Sonne, imLaufschritt 40 m nach oben strebend,die klapprige Treppe nicht wahrneh-mend: Ankunft im grauen Himmel.

Kunstausstellung STAHL in Cottbus

Bild 1. Bauvorhaben KraftwerkHöchst, SIAG Stahlbau Ruhland,September 2008

Zwei Stimmen über Petra Petrickskünstlerische ArbeitenDie Galerie Haus 23 in Cottbus prä-sentiert vom 8. Mai bis 20. Juni 2009eine Ausstellung mit aktuellen Ar -beiten der Fotografin Petra Petrick.Gezeigt werden neue Werke, die sichauf unterschiedliche Weise mit demThema Stahlbau befassen. Der Kustosder „Sammlung Bildende Kunst, kunst.museum.dieselkraftwerk.cottbus“, JörgSperling, schreibt: „Petra Petrick, diesich vor allem mit ihren Aufnahmenvon den Zwischenlandschaften derLausitzer Tagebaue einen Namen ge-macht hat (hier sei nur auf ihre Aus-stellung in der Cultural Foundation inAbu Dhabi im Oktober/November2008 verwiesen), tritt hier mit einemneuen Arbeitsfeld in die kunstinteres-sierte Öffentlichkeit“. Schließlich seihier noch der Kunstwissenschaftler

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Berichte

Herbert Schirmer zitiert: „(…) Als Au-torin eher zurückhaltend, verlässt siesich ganz auf die vorhandene Qualitätdes gewählten Bildausschnittes, densie zu eindrucksvoller Bildsprache ver -dichtet. Indem sie vorgefundenes miteiner subjektiven Vision absichtsvollverbindet, schafft sie wunderbare Zwi -schenwelten aus Traum und Wirklich-keit, wobei die Kamera zum ästheti-schen Vermittler ihrer Botschaftenwird (…)“.

Bilder vom Beginnen des BauensWas da ringsherum passiert, an Krach-Feuer-Funken-Aktion, in der „Hexen -küche“ des Stahlbaus, profan Ferti-gungshalle genannt (Bild 2), hier derneu errichteten von Züblin in Hosena,kann so inspirierend sein, dass es füreinen Vorstand des bedeutenden Kon-zerns aus Stuttgart vielleicht den letz-ten Anstoß gab, die „poplige kleineBude“ kurz nach dem Ende der DDRtatsächlich zu kaufen. Diese krudeSchönheit regt in der Tat die Phanta-sie an – und bestenfalls entsteht einpoetisches Werk, notfalls aus dem Ab-fall-Container geklaubt (Bild 3) Diekrude Schönheit solch einer Industrie-halle wird sicher auch geprägt vomangenehmen Selbstbewusstsein derStahlbauer und deren Rücksichtnahmeauf die Fotografin, die sich wegen dernotwendigen Perspektive gern mittenin den Funkenflug stellt – auch wenndie Haare schon merkwürdig knisternund riechen –, aber der am Schleif -gerät Tätige versucht besorgt, den hei -ßen Feuerstrahl weg zu leiten. Undeigentlich ist alles nur ein Spiel, nichtsdarf so sein, wie es wirklich ist, eineAbbildung der Realität 1 zu 1 ist un-bedingt zu vermeiden, nur keine Ge-wöhnlichkeit. Also wird der Bohrspanaus dem Abfallbehälter zur Lanze fürsRitterturnier (Bild 3), alte Farbspurenaus der Konservierungshalle zum Ko-

Die Fotografien von Petra Petricksind kunstgewordenes Fließgleichge -wicht, die Offenheit werktätiger Kunstund Technik darstellend: Symbole fürdas Offene des Bauens, welches sich –wie das Leben auch – im Fließgleich-gewicht dynamisch verwirklicht underhält, nie aber vollendet: „Anmut“,schrieben die Gebrüder Grimm inihrem Deutschen Wörterbuch (1854),sei „nicht mehr das begehrende, son-dern das begier anregende und befrie-digende, die grazie: anmut des lebens(…); das was wir sinnliche schönheit(…) nennen“.

Der raum-zeitliche Schnittpunkt vonKunst und TechnikDie Ausstellung STAHL mit Foto -grafien von Petra Petrick findet vom8. Mai bis 20. Juni 2009 statt.Ort: Galerie Haus 23 (Tel. 0355-70 23 57)Kunst- und Kulturförderverein Cottbus e. V.Marienstraße 23, 03046 CottbusÖffnungszeiten: Di–Sa, 18–22 Uhr

Jahren, vor kurzem aufwendig unddenk malgerecht saniert (Bild 6). Aberwer will von bloßem Nutzen spre-chen, angesichts solcher Schönheit wieder alten Metallgußrahmen-Fenster(Bild 7).

Bild 4. Arbeitsspuren nach der Konser-vierung, SIAG Stahlbau Ruhland,Februar 2009

Bild 5. Neubau Kraftwerk Boxberg,Block R mit Öffnung für die zu mon-tierende Bekohlungsbrücke, ZüblinStahlbau Hosena, August 2008

Bild 6. Handrad zur Regelung derLuftklappen des Generatorkühlers,Industriemuseum Kraftwerk Plessa,April 2009

Bild 7. Metallgußrahmen, Industriemu-seum Kraftwerk Plessa, September 2008

Bild 2. In der neuen Fertigungshallevon Züblin Stahlbau Hosena,November 2008

Bild 3. Bohrspan

rallenriff oder abstrakten Gemälde(Bild 4).

Bilder vom Neuen und würdigenAltern Selbst der schwere Stahlbau im neuenKraftwerk Boxberg (Bild 5) kann ganzleicht, geradezu graziös daherkommen.Interessant die Frage, ob dieses mo-derne, hier gerade entstehende Bau-werk, eines Tages mit dem Ende sei-ner industriellen Nutzung, auch zurKathedrale der Arbeit wird, wie etwadas heutige Industriemuseum und Er-lebniskraftwerk Plessa aus den 1920-er

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