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ınwıen ® 45 2011 april 44 ınwıen ® FOTOS: ADRIAN BATTY kunst&kultur ınwıen ® april 2011 Malen nach Zahlen. Sie malt Rätsel, die entschlüsselt werden wollen. Martina Schettina und ihre „mathemagischen“ Bilder. TEXT VON HENRIETTE HORNY AUF DEM ANTIKEN Schreibtisch liegen Kuli und Papier bereit. Im Bücherschrank steht philosophische und mathematische Literatur. Der Malplatz in Form einer Staffelei und Farben, die auf einer Theke abgerich- tet sind, befindet sich in der Mitte des Raumes, der sich in den Garten öffnet. „Ja, ich bin sehr ordentlich“, sagt Martina Schettina, bietet mir Platz an und setzt sich mir gegenüber. Es ist leicht, mit der eloquenten Frau ins Gespräch zu kommen. Sie beant- wortet jede Frage klar und erstaunlich ehrlich. Sie spielt keine Spiele, nimmt alles ernst. „Man wird Künstler, weil man geliebt werden möchte“, sagt sie und erzählt ihre Lebensgeschichte, die sie früh und spät zur Kunst geführt hat. „In Kindheit und Jugend hatte ich zwei Leidenschaften“: Mathema- tik und Zeichnen. Nach der Matura hat sie dann, nach einigem Ringen mit sich selbst, der Mathematik den Vor- rang gegeben. Spät im Studium fällte sie dann die Entscheidung für das Lehramt. „Weil ich damals dachte, dass sich der Beruf der Lehrerin mit Kindern leichter vereinbaren lässt.“ Leicht war es zwar nicht, aber die vierfache Mutter unterrichtete bis 2007 Mathematik. Seither ist sie frei- schaffende Künstlerin. Grenzen Drei Kinder sind erwachsen, eines lebt noch bei ihr. „Und der muss jetzt manchmal zurückstecken. Wenn ich male, kann es vorkommen, dass sich mein Sohn eine Tiefkühlpizza auf- tauen muss.“ Das war nicht immer so. Jahrelang hat Martina Schettina aufs Zeichnen verzichtet, und als sie wieder Pinsel und Stifte in die Hand nahm, wurde ihr klar, dass sie an ihre Gren- einmal ein Kinderlied singen.“ Das muss sie als Malerin auch nicht. „Mathemagische Bilder“ heißt ihre Verbindung von Mathe und Malerei. Thema ist, die Magie der Mathema- tik künstlerisch umzusetzen. Konkret geht es in einer Serie darum, die Ideen des Pythagoras darzustellen. Ihr Ansatzpunkt ist die Tatsache, dass die a lten Griechen keine Zahlen und keine Variablen gehabt haben. „So kann man keine Algebra machen, aber sie haben dennoch gerechnet. Ihr Zugang war ein sehr naiver in B ildern.“ Etwas, das Martina Schet- tina mit den Mitteln der Kunst zeigt. Aktuell ist sie mit Leibniz beschäftigt. Konkret mit der Frage, was der 1646 in Leipzig geborene und 1716 in Hannover gestorbene Philosoph und Wissenschaftler, Mathematiker, Dip- lomat, Physiker, Historiker, Politiker, Bibli othekar und Doktor des welt- lichen und des Kirchenrechts in der Mathematik weitergebracht hat. Seit Wochen liest sie sich ins Thema ein. Sie nennt es ihre wissenschaftliche, the oretische Phase. Ist die abge- schlossen, geht es ans Malen. Parallel geht nichts. Zuerst wird geforscht, die Vereinigung findet auf der Lein- wand statt. Ihr Tag beginnt dann um 7.15 in der Früh und endet um 24 Uhr. Das schafft nur jemand, der über ein hohes Maß an Konsequenz verfügt. Das allein reicht aber noch nicht zur Kunst. Das Wichtigste ist die Fähigkeit zur Selbstkritik, und auch darüber verfügt Martina Schet- tina in einem extrem hohen Ausmaß. Das alles macht ihre Bilder interes- sant und anziehend. Sie malt Rätsel, die entschlüsselt werden wollen. Mit etwas Anstrengung geht das. Auch deshalb, weil die Künstlerin die An- leitungen mitliefert. /// ausstellung Von Pythagoras bis Leibniz. Mathemagische Bilder 27. April bis 11. Mai Galerie Artefakt im Palais Ferstel, Strauchgasse 2, 1010 Wien. www.schettina.com zen gestoßen war. Sie zog die Konse- quenzen und meldete sich zu Kursen an. Naturwissenschaftlerin, die sie nun einmal auch ist, war es ihr wich- tig, erst einmal Grundlagen gründlich zu lernen. Bezogen auf die Kunst hieß das: Techniken lernen. Malen, Zeich- nen, Drucken, Collagieren und so weiter. Der Ort ihrer Wahl war Stift Geras. Dort fand sie in der Person des Ulrich Gansert einen wichtigen Im- pulsgeber. „Bei Gansert habe ich sehen gelernt“, sagt Schettina heute. Weitere Lehrer waren Peter Sengel, bei dem sie erstmals Stillleben und Figuratives verschränkte. Gewicht und Masse Sie lernte, dass man Körpern, auch wenn sie nahezu nur aus Umrisslinien bestehen, Gewicht und Masse geben kann. Dass man mit sehr wenig Farbe sehr viel zeigen kann. Damals, als sie Menschen und Stillleben malte, war die Mathematik ihr Beruf – einer, der ihr zwar Freude machte, aber es war eben Beruf. Als sie dann 2007 den Schuldienst quittierte, passierte etwas Entscheidendes. Die Mathematik, die ihr bis zu diesem Zeitpunkt den Lebensunterhalt gesichert hatte, for- derte in den Bildern ihr Recht. Die Schönheit der Mathematik – etwas, das Martina Schettina bereits als Jugendliche fasziniert hatte – verband sie jetzt mit der Malerei. Ein schwie- riger Ansatz, weil Mathematik von vielen Menschen als sperrig empfun- den wird und auch weil Mathematik, wenn überhaupt mit einer Kunstform, dann mit Musik in Verbindung ge- bracht wird. „Unter den Mathematik- studenten waren viele Musiker“, be- richtet sie und fügt an, dass sie selbst unmusikalisch sei. „Ich kann nicht „Man wird Künstler, weil man geliebt werden möchte“: Martina Schettina in ihrem Atelier. Oben: „Twins“ (2009) behandelt das Thema „Primzahlzwillinge“. Unten: utcunque Pompeii ampu tat rures, utcun que con cubine

kunst&kultur ınwıen Verbindung von Mathe und Malerei. Thema ist, die Magie der Mathema-tik künstlerisch umzusetzen. Konkret geht es in einer Serie darum, die Ideen des Pythagoras

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Page 1: kunst&kultur ınwıen Verbindung von Mathe und Malerei. Thema ist, die Magie der Mathema-tik künstlerisch umzusetzen. Konkret geht es in einer Serie darum, die Ideen des Pythagoras

ınwıen® 452011 april44 ınwıen®

FOTO

S: A

DRIAN BATTY

kunst&kulturınwıen®

april 2011

Malen nach Zahlen.Sie malt Rätsel, die entschlüsselt werden wollen. Martina Schettina undihre „mathemagischen“ Bilder.TEXT VON HENRIETTE HORNY

AUF DEM ANTIKEN Schreibtischliegen Kuli und Papier bereit. Im Bücherschrank steht philosophischeund mathematische Literatur. DerMalplatz in Form einer Staffelei undFarben, die auf einer Theke abgerich-tet sind, befindet sich in der Mitte desRaumes, der sich in den Garten öffnet. „Ja, ich bin sehr ordentlich“,sagt Martina Schettina, bietet mirPlatz an und setzt sich mir gegenüber.Es ist leicht, mit der eloquenten Frauins Gespräch zu kommen. Sie beant-wortet jede Frage klar und erstaunlichehrlich. Sie spielt keine Spiele, nimmtalles ernst. „Man wird Künstler, weilman geliebt werden möchte“, sagt sieund erzählt ihre Lebensgeschichte, diesie früh und spät zur Kunst geführthat. „In Kindheit und Jugend hatteich zwei Leidenschaften“: Mathema-tik und Zeichnen. Nach der Maturahat sie dann, nach einigem Ringen mitsich selbst, der Mathematik den Vor-rang gegeben. Spät im Studium fälltesie dann die Entscheidung für dasLehramt. „Weil ich damals dachte,dass sich der Beruf der Lehrerin mitKindern leichter vereinbaren lässt.“Leicht war es zwar nicht, aber die vierfache Mutter unterrichtete bis2007 Mathematik. Seither ist sie frei-schaffende Künstlerin.

Grenzen

Drei Kinder sind erwachsen, eines lebtnoch bei ihr. „Und der muss jetztmanchmal zurückstecken. Wenn ichmale, kann es vorkommen, dass sichmein Sohn eine Tiefkühlpizza auf -tauen muss.“ Das war nicht immer so.Jahrelang hat Martina Schettina aufsZeichnen verzichtet, und als sie wiederPinsel und Stifte in die Hand nahm,wurde ihr klar, dass sie an ihre Gren-

einmal ein Kinderlied singen.“ Dasmuss sie als Malerin auch nicht.„Mathemagische Bilder“ heißt ihreVerbindung von Mathe und Malerei.Thema ist, die Magie der Mathema-tik künstlerisch umzusetzen. Konkretgeht es in einer Serie darum, die Ideen des Pythagoras darzustellen.Ihr Ansatzpunkt ist die Tatsache, dassdie alten Griechen keine Zahlen undkeine Variablen gehabt haben. „Sokann man keine Algebra machen,aber sie haben dennoch gerechnet.Ihr Zugang war ein sehr naiver in Bildern.“ Etwas, das Martina Schet-tina mit den Mitteln der Kunst zeigt.Aktuell ist sie mit Leibniz beschäftigt.Konkret mit der Frage, was der 1646in Leipzig geborene und 1716 inHannover gestorbene Philosoph undWissenschaftler, Mathematiker, Dip -lomat, Physiker, Historiker, Politiker,Bibli othekar und Doktor des welt -lichen und des Kirchenrechts in derMathematik weitergebracht hat. SeitWochen liest sie sich ins Thema ein.Sie nennt es ihre wissenschaftliche,the oretische Phase. Ist die abge-schlossen, geht es ans Malen. Parallelgeht nichts. Zuerst wird geforscht,die Vereinigung findet auf der Lein-wand statt. Ihr Tag beginnt dann um7.15 in der Früh und endet um 24Uhr. Das schafft nur jemand, derüber ein hohes Maß an Konsequenzverfügt. Das allein reicht aber nochnicht zur Kunst. Das Wichtigste istdie Fähigkeit zur Selbstkritik, undauch darüber verfügt Martina Schet-tina in einem extrem hohen Ausmaß.Das alles macht ihre Bilder interes-sant und anziehend. Sie malt Rätsel,die entschlüsselt werden wollen. Mitetwas Anstrengung geht das. Auchdeshalb, weil die Künstlerin die An-leitungen mitliefert. ///

ausstellung

Von Pythagoras bis Leibniz.Mathemagische Bilder

27. April bis 11. Mai Galerie Artefakt im Palais Ferstel,Strauchgasse 2, 1010 Wien.www.schettina.com

zen gestoßen war. Sie zog die Konse-quenzen und meldete sich zu Kursenan. Naturwissenschaftlerin, die sienun einmal auch ist, war es ihr wich-tig, erst einmal Grundlagen gründlichzu lernen. Bezogen auf die Kunst hießdas: Techniken lernen. Malen, Zeich-nen, Drucken, Collagieren und soweiter. Der Ort ihrer Wahl war StiftGeras. Dort fand sie in der Person desUlrich Gansert einen wichtigen Im-pulsgeber. „Bei Gansert habe ich sehengelernt“, sagt Schettina heute. WeitereLehrer waren Peter Sengel, bei dem sieerstmals Stillleben und Figurativesverschränkte.

Gewicht und Masse

Sie lernte, dass man Körpern, auchwenn sie nahezu nur aus Umrisslinienbestehen, Gewicht und Masse gebenkann. Dass man mit sehr wenig Farbesehr viel zeigen kann. Damals, als sieMenschen und Stillleben malte, wardie Mathematik ihr Beruf – einer, derihr zwar Freude machte, aber es wareben Beruf. Als sie dann 2007 denSchuldienst quittierte, passierte etwasEntscheidendes. Die Mathematik, dieihr bis zu diesem Zeitpunkt den Lebensunterhalt gesichert hatte, for-derte in den Bildern ihr Recht. DieSchönheit der Mathematik – etwas,das Martina Schettina bereits als Jugendliche fasziniert hatte – verbandsie jetzt mit der Malerei. Ein schwie -riger Ansatz, weil Mathematik vonvielen Menschen als sperrig empfun-den wird und auch weil Mathematik,wenn überhaupt mit einer Kunstform,dann mit Musik in Verbindung ge-bracht wird. „Unter den Mathematik-studenten waren viele Musiker“, be-richtet sie und fügt an, dass sie selbstunmusikalisch sei. „Ich kann nicht

„Man wird Künstler, weil man geliebtwerden möchte“: Martina Schettinain ihrem Atelier.

Oben: „Twins“ (2009) behandelt dasThema „Primzahlzwillinge“.Unten: utcunque Pompeii amputat rures, utcun que con cubine