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Kursgewinne durch Entlassungspläne? Erste Ergebnisse aus Deutschland

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Perspektiven der Wirtschaftspolitik 2009 10(1): 1–20

Kursgewinne durchEntlassungsplane? ErsteErgebnisse aus Deutschland

Werner Neus∗Universitat Tubingen

Andreas WalterUniversitat Tubingen

1. Einfuhrung

Unternehmerische Maßnahmen, die zu einem Ruckgang der Beschaftigungfuhren, unterliegen einer hohen Aufmerksamkeit und werden in der offent-lichen Diskussion regelmaßig scharf kritisiert. Dies gilt insbesondere dann,wenn nicht die Abwendung einer akuten Krise Anlass fur Entlassungen ist,sondern das Bemuhen, die Rentabilitat des Unternehmens zu steigern. In die-sen Bereich fallt beispielsweise die Entscheidung des Nokia-Vorstands, die Pro-duktion von Mobiltelefonen von Bochum nach Rumanien zu verlagern. Furden weiteren Gang der Argumentation ist hier weniger der Aspekt der Sub-ventionierung der Ansiedlung von an und fur sich offenbar nicht rentablenProduktionen von Interesse. Naher am Thema ist die Befurchtung, infolge derMobilitat des Faktors Kapital bei gleichzeitiger relativer Immobilitat des Fak-tors Arbeit wurden systematisch und dauerhaft Arbeitsplatze von Hochlohn- inNiedriglohnlander verlagert. Im Kern – und damit losgelost vom konkreten Fall– geht es um die weit verbreitete Ansicht, Direktinvestitionen deutscher Un-ternehmen im Ausland fuhrten zu einem Abbau von Arbeitsplatzen im Inland.Genau dies suggeriert auch die gerne verwendete Formulierung „Arbeitsplatzewerden ins Ausland verlagert.“ Serioserweise musste eine solche Behauptungempirisch untermauert werden. Tatsachlich gibt es auch einschlagige Unter-suchungen. Beispielsweise analysieren Buch et al. (2007) in einem Gutachten

∗Korrespondenzadressen: Universitat Tubingen, Abteilung Bankwirtschaft, Mohlstraße 36,D-72074 Tubingen, [email protected], [email protected]. Fur zahl-reiche konstruktive Hinweise danken wir dem Herausgeber, Lutz Arnold, und einem anonymenGutachter. Zudem danken wir Rosali Gohl und Birgit Gotz fur die Unterstutzung bei der Erhebungder Daten.

C© 2009 die AutorenJournal compilation C© 2009, Verein fur Socialpolitik und Blackwell Publishing Ltd. Published by BlackwellPublishing Ltd, 9600 Garsington Road, Oxford, OX4 2DQ, UK and 350 Main Street, Malden, MA 02148, USA.

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fur das Bundeswirtschaftsministerium die Auswirkungen von Auslandsdirek-tinvestitionen deutscher Unternehmen auf Arbeitsplatze im Inland. Es stelltsich heraus, dass per saldo Auslandsinvestitionen einen neutralen bis positivenEinfluss ausuben. Ein differenzierter Blick belegt, dass die Motive fur die Aus-landsinvestitionen von Bedeutung sind: Bei reinen Kostensenkungsmotivengeht die Inlandsbeschaftigung zuruck, wahrend bei dem Motiv der Erschlie-ßung von Absatzmarkten die Arbeitsplatzbilanz positiv ist. Da insgesamt daszweite Motiv uberwiegt, ergibt sich eine eher positive Gesamtwirkung. DieLektion aus dieser Geschichte ist, dass eine populare Folklore nicht immerauch zutreffen muss.

Als ein weiterer Hort unerwunschten Verhaltens werden haufig die Ka-pitalmarkte und hier a forteriori die Borse angesehen. Beklagt werden ins-besondere die mutmaßlich angelegten Bewertungsmaßstabe der Investoren.Als ein zentraler Ausloser fur diesen Zweig der Diskussion kann die Bilanz-pressekonferenz der Deutschen Bank am 3. Februar 2005 angesehen werden.Der Vorstandssprecher der Deutschen Bank, Josef Ackermann, konnte fur dasGeschaftsjahr 2004 einen Rekordgewinn von 4 Mrd. € bekannt geben; dasentsprach einer Eigenkapitalrentabilitat von 16,7%. Weiter wurde fur die Zu-kunft eine Erhohung der anzustrebenden Eigenkapitalrentabilitat auf 25% alsZiel vorgegeben. Zugleich kundigte Ackermann den Abbau von 6.400 Stellenan.1 Diese Kombination von Mitteilungen einerseits uber einen Rekordgewinnsowie andererseits uber Entlassungsplane (versehen mit dem etwas euphemis-tischen Etikett „Fortentwicklungsprogramm“) wurden schon per se als Pro-vokation der Deutschen Bank und ihres Vorstandssprechers empfunden. DieEmporung nahm jedoch noch zu, als bekannt wurde, dass der Aktienkurs derDeutschen Bank am namlichen Tag um ca. 2,5% anstieg, wahrend zeitgleichder DAX um 0,3% nachgab. Adressat der Kritik waren nunmehr die Investorenan der Borse, deren Bewertungsmaßstabe als unmoralisch abqualifiziert wur-den. Seither wird es als Gemeinplatz gepflegt, dass die Ankundigung von Ent-lassungen ein Kurs steigernder Faktor ist. Im direkten Nachgang zur angespro-chenen Informationspolitik der Deutschen Bank wird beispielsweise BischofWolfgang Huber, Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche Deutschlands, wiefolgt zitiert: „Die Leitlinie konne nicht sein, dass derjenige am Aktienmarktgut dasteht, der zwar seinen Gewinn steigere, aber gleichzeitig Arbeitsplatzeabbaue.“ (o.V., 2005a).2 Ahnlich behauptet der Vorsitzende des Deutschen

1. In der aufgeregten Stimmung rund um diese Meldung wurde kaum zur Kenntnis genommen,dass in den 6.400 abzubauenden Stellen zum einen bereits 1.900 Stellen deutscher Standorteenthalten waren, deren Wegfall bereits im Dezember 2004 bekannt gegeben wurde, zum ande-ren weitere 4.000 der einbezogenen Stellen das Investment Banking in den FinanzmetropolenLondon, New York, Singapur und Tokio betreffen sollten (o.V., 2005b, S. 1).

2. Es sei angemerkt, dass der Evangelischen Kirche das Phanomen der Stellenstreichungen nichtunbekannt ist. In einer Meldung der Presseagentur ddp vom 30. November 2006 heißt es unterder Uberschrift „Protest gegen geplanten Stellenabbau bei der Landeskirche Hannover“: „Trotzunerwarteter Mehreinnahmen aus Kirchensteuern in Hohe von 27 Millionen Euro sollen inden nachsten vier Jahren etwa 9.000 von insgesamt rund 30.000 Stellen gestrichen werden.“

2 C© 2009 die AutorenJournal compilation C© 2009 Verein fur Socialpolitik und Blackwell Publishing Ltd.

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Kursgewinne durch Entlassungsplane?

Gewerkschaftsbundes, Michael Sommer, in einem Spiegel-Gesprach Anfang2008: „Wir haben die bekanntermaßen perverse Situation, dass der Aktien-kurs steigt, wenn Beschaftigte rausgeschmissen werden.“ (o.V., 2008, S. 79).Im Sommer 2008 heißt es in der Tageszeitung: „Die Ankundigung von Stel-lenstreichungen ist ein sicheres Mittel, um den eigenen Borsenkurs nach obenzu treiben.“ (Hermann, 2008). Derartige Zitate sind lediglich Beispiele fur ubi-quitare Außerungen ahnlichen Inhalts, die typischerweise die Eigenschaft auf-weisen, dass der behauptete Zusammenhang als allgemeingultig hingestelltwird.

Diese Meinungslage gibt Anlass zu einer naheren Auseinandersetzung mitdem Phanomen breit angelegter Entlassungsplane. Eine solche Auseinander-setzung konnte zunachst konzeptioneller Natur sein. So ließe sich mit Blickauf Entscheidungskompetenzen und Haftungsregeln in einem Unternehmendurchaus fragen, ob nicht dessen Eigentumer, die ja den uberwiegenden Teilder Erfolgsrisiken zu tragen haben, ein gutes Recht haben, Wert steigerndeEntscheidungen herbeizufuhren. Solche Uberlegungen zielen auf die Fragenach der einzelwirtschaftlich oder gesamtwirtschaftlich optimalen Ausgestal-tung der Unternehmensverfassung (neudeutsch: Corporate Governance). ImWeiteren sollen allerdings empirische Befunde zur Kapitalmarktreaktion imMittelpunkt stehen.

Auch ohne nahere Analyse ist namlich einsichtig, dass eine bloß anekdoti-sche Evidenz wie die oben angefuhrte in die Irre fuhren kann. Daher kann ausdem stets kolportierten Fall „Deutsche Bank“ keineswegs besonders viel gefol-gert werden. Ohne weiteres lassen sich Beispiele mit gegenlaufiger Tendenzbenennen. So gab BMW am 6. Februar 2008 ein umfassendes Sparprogrammbekannt, das unter anderem den Abbau von bis zu 8.000 Stellen vorsieht. Amselben Tag sank der Kurs der BMW-Aktie um 2,8%, wahrend zugleich der DAXum 1,2% anstieg. Auch die Aktien der beiden anderen im DAX enthaltenenAutomobilhersteller (Daimler und Volkswagen) legten an diesem Tag zu. Andiesem Junktim stort sich offenbar niemand; allenfalls wird beklagt, dass uber-haupt Entlassungsplane vorangetrieben werden, solange noch Gewinne erzieltwerden.

Die vorgetragenen Beobachtungen fuhren unmittelbar zur Hauptuntersu-chungsfrage des vorliegenden Beitrags: Handelt es sich bei der haufig kritisier-ten Parallele zwischen Entlassungsankundigung und Kursanstieg relativ zumGesamtmarkt3 um einen Einzelfall oder um die Regel? Zwar gibt es insoweiteinige Studien fur bestimmte nationale Kapitalmarkte (siehe dazu naher Ab-schnitt 2); fur Deutschland ist der Zusammenhang jedoch bislang noch nicht

3. Wenn im Weiteren von einem Kursanstieg oder von einer Marktwertveranderung die Rede ist,bezieht sich dies stets auf den Vergleich mit der zu erwartenden Veranderung, also die Relationzum Gesamtmarkt. Im Einzelfall kann es daher vorkommen, dass trotz eines Kursruckgangsvon einer positiven Marktreaktion gesprochen wird und umgekehrt. Fur die Interpretationentscheidend ist aber alleine die Relation zur erwarteten Veranderung. Vergleiche dazu naherAbschnitt 3.3 zur Methodik der Ereignisstudien.

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einer breit angelegten Studie unterzogen worden.4 Die Schlagzeile zu den Er-gebnissen dieses Beitrages lautet: Im Einklang mit empirischen Befunden ausanderen Landern sinken per Saldo auch in Deutschland Aktienkurse, wennEntlassungsplane angekundigt werden.

Weiter drangt sich eine wichtige Differenzierungsmoglichkeit unmittelbarauf: Gegenstand der Information auf der Bilanzpressekonferenz der DeutschenBank war nicht nur die Entlassungsankundigung, sondern zugleich der erzielteRekordgewinn. Sofern, jeder okonomischen Theorie entsprechend, der Borsen-kurs die diskontierten erwarteten Cash-flows des Unternehmens reprasentiert,ist der Kursanstieg durch erhohte Gewinnerwartungen bedingt, nicht durchdie Entlassungsplane. Bei der systematischen Untersuchung der Kurswirkun-gen von Entlassungsankundigungen ist also der spezifischen Unternehmenssi-tuation Rechnung zu tragen. Die zweite Untersuchungsfrage lautet demnach,ob sich die Kurswirkungen danach unterscheiden, ob die Entlassungsankundi-gungen Folge einer Unternehmenskrise oder Teil einer aktiven Effizienzstei-gerungsstrategie sind. Im ersten Fall wurde man einen negativen Kurseinflusserwarten, im zweiten Fall sollte dagegen der Einfluss positiv sein. Hier lautetdie Uberschrift zu den Ergebnissen des vorliegenden Beitrags: Wahrend dieerste Vermutung zutrifft, erweist sich die zweite als falsch. Das heißt, selbstsolche Entlassungsplane, die direkt dem Ziel der Gewinnsteigerung dienensollen, erweisen sich per Saldo als nicht Kurs steigernd, sondern haben nureinen okonomisch wie statistisch insignifikanten Einfluss auf den Aktienkurs.

Zur Herleitung dieser Ergebnisse sind die weiteren Ausfuhrungen wie folgtgegliedert: Zunachst folgt in Abschnitt 2 ein Uberblick uber den Stand der Lite-ratur. In Abschnitt 3 werden Stichprobe, Daten und Untersuchungsmethodikvorgestellt. Abschnitt 4 enthalt die zu uberprufenden Hypothesen sowie dieTestergebnisse. In Abschnitt 5 fassen wir die Ergebnisse zusammen und gebeneinen Ausblick auf weiterfuhrende Forschungsfragen.

2. Stand der Literatur

Die grundsatzliche Frage nach der Erfolgswirkung von Entlassungsplanen wur-de seit Anfang der 1990er Jahre schon mehrfach aufgegriffen. Einen umfas-senden Literaturuberblick dazu bietet Gerpott (2007). Die verwendete Unter-suchungsmethodik ist weit uberwiegend die Ereignisstudie (siehe zu dieser Me-thodik naher Abschnitt 3.3), das heißt, es werden kurzfristige Marktreaktionen

4. Im Uberblicksaufsatz von Gerpott (2007) wird ein unveroffentlichtes (hektographiertes) Manu-skript aus dem Jahr 2001 zitiert (Clarenbach und Davis, 2001), das Gerpott zufolge 336 Falle aus13 Landern einbezieht, darunter auch 18 deutsche Falle. Allerdings ist das Manuskript nichtnur unveroffentlicht, es findet sich lediglich in einem einzigen weiteren Uberblicksaufsatz(Capelle-Blancard und Couderc, 2008) ein Verweis darauf; auch im Internet gibt es keinerleiweitere Verweise auf dieses Manuskript oder einen der Verfasser.

4 C© 2009 die AutorenJournal compilation C© 2009 Verein fur Socialpolitik und Blackwell Publishing Ltd.

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Kursgewinne durch Entlassungsplane?

auf die Ankundigung von Entlassungen gemessen. Demnach geht es nicht umrealisierte Erfolge bei tatsachlich vorgenommenen Entlassungen, sondern umdie Wahrnehmung der Investoren uber erwartete Erfolgszuwachse. Fur den an-gestrebten Untersuchungszweck ist die Methode angemessen. Eine Alternativebestunde darin, aus Jahresabschlussen die Ex-post-Wirkung umgesetzter Ent-lassungsplane zu bestimmen. Da sich jedoch derartige Vorhaben haufig uberviele Jahre hinziehen, sind die tatsachlichen Personalstandsveranderungenebenso wie die gemessenen Erfolgswirkungen durch vielerlei andere Determi-nanten uberlagert. Daher sind langfristige Analysen die deutliche Ausnahme.

Tabelle 1 gibt einen Uberblick uber einige Eckdaten der wichtigsten Manu-skripte, welche die Methodik der Ereignisstudie heranziehen.

Die Ergebnisse zeigen durchweg einen negativen Ankundigungseffekt, dasheißt, im Aggregat gibt es uberraschende Kursverluste im zeitlichen Umfeldder Entlassungsankundigungen. Dieses Hauptergebnis hat Bestand fur alle un-tersuchten Kapitalmarkte und fur alle untersuchten Teilperioden, wobei sichnaturgemaß die Hohe der abnormalen Renditen je nach Untersuchung et-was unterscheidet. Somit ist schon vor Beginn der eigenen Untersuchung zurKenntnis zu nehmen, dass die vielerorts mit großem Impetus vorgetragene Be-hauptung im internationalen Rahmen schlicht den Tatsachen widerspricht.

Relativ zu den angefuhrten Beitragen erweitert der vorliegende Aufsatz inzwei Dimensionen den Kenntnisstand. Zum einen wird erstmalig in einer brei-ten Untersuchung der Befund fur den deutschen Arbeits- und Kapitalmarkterhoben; da der deutsche Arbeitsmarkt als besonders stark reguliert gilt, konn-ten andere Ergebnisse resultieren als beispielsweise in den angelsachsischenLandern. Zum anderen umschließt die Untersuchung ein Zeitfenster, das deut-lich zeitnaher ist als die aller anderen uns bekannten Veroffentlichungen (dienachst aktuelle Untersuchungsperiode endet 2000).

Aus Grunden der Methodik sollen hier zwei Untersuchungen etwas naherkommentiert werden: Palmon et al. (1997) unterscheiden die Wirkung vonEntlassungsankundigungen danach, welche Strategien die betreffenden Un-ternehmen mit ihren Planen verfolgen. Die beiden resultierenden Gruppenumschreiben sie als Teilstichprobe mit rucklaufiger Nachfrage (57 Unterneh-men) sowie Teilstichprobleme mit Effizienzsteigerung (83 Unternehmen). BeiNachfrageruckgang ergibt sich ein hoherer negativer Ankundigungseffekt von−1,82%, fur den Fall der Effizienzsteigerung weisen Palmon et al. einen Wertvon +0,60% aus. Die Differenz belegt zum einen die Relevanz der Unterschei-dung, zum anderen ergeben sich zumindest fur eine klar abgrenzbare Teilgrup-pe tatsachlich die haufig behaupteten positiven Effekte. Unten wird zu disku-tieren sein, warum dieses Teilergebnis – wie bereits erwahnt – in Deutschlandkeine Gultigkeit beanspruchen kann.5

Anhand des recht aktuellen Beitrags von Hillier et al. (2007) lasstsich die Problematik langfristiger Untersuchungen aufzeigen. Die Autoren

5. Siehe Abschnitt 4.2 fur Darstellung und Diskussion der Befunde fur Deutschland.

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6 C© 2009 die AutorenJournal compilation C© 2009 Verein fur Socialpolitik und Blackwell Publishing Ltd.

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Kursgewinne durch Entlassungsplane?

untersuchen neben den in Tabelle 1 ausgewiesenen kurzfristigen Ankundi-gungseffekten auch die langfristigen Wirkungen. Die Buy-and-Hold-Renditenfur eine Dreijahresperiode nach dem Tag der Ankundigung von Entlassungs-planen erweisen sich nach Bereinigung um die Renditen von Referenzun-ternehmen als negativ (−7,3%), wenn auch nicht statistisch signifikant.6

Daneben untersuchen die Autoren auch die Entwicklung wichtiger Jahresab-schlusskennzahlen in einem Zeitfenster von drei Jahre vor bis drei Jahre nachder Entlassungsankundigung. Es zeigt sich unter anderem, dass verglichenmit Kontrollunternehmen die Gesamtkapitalrentabilitat vor der Ankundigungrucklaufig ist, danach aber wieder ansteigt. Umgekehrt ist die Verschuldungs-quote relativ zu den Vergleichsunternehmen durchweg hoher, steigt im Vor-feld der Ankundigung noch weiter an, fallt aber in der Periode nach derEntlassungsankundigung. Daraus kann man den vorsichtigen Schluss ziehen,dass sich die Ertragssituation der einbezogenen Unternehmen nach den Ent-lassungsankundigungen tatsachlich verbessert, was sich in einer steigendenGesamtkapitalrentabilitat und einem sinkenden Verschuldungsgrad nieder-schlagt. Jedoch sind diese Ergebnisse etwas mit Vorsicht zu genießen, weileben nur angekundigte Entlassungen (also Entlassungsplane) den Stichtag fest-legen. Ob und gegebenenfalls in welcher Hohe sowie zu welchen Zeitpunktendie Entlassungen tatsachlich vorgenommen wurden, geht nicht in die Un-tersuchung ein. Pressemeldungen hierzu belegen, dass zumindest in einzel-nen Fallen mit Entlassungsankundigungen auch eine spatere Zunahme derBeschaftigung einhergeht (Hermann, 2008, S. 2).

3. Daten und Methodologie

3.1 Datenquellen und Konstruktion der Stichprobe

Fur die Ermittlung der relevanten Entlassungsankundigungen borsennotier-ter Unternehmen aus Deutschland im Zeitraum Januar 1995 bis Dezember2006 wurden die Pressedatenbanken LexisNexis sowie Factiva ausgewertet.Unter Verwendung eines Katalogs einschlagiger Stichworte wurden die sechswichtigsten Tageszeitungen mit Wirtschaftsteil aus Deutschland ausgewertet,in alphabetischer Reihenfolge die Financial Times Deutschland, die Frank-furter Allgemeine Zeitung, die Frankfurter Rundschau, das Handelsblatt, dieSuddeutsche Zeitung und die Welt. Angesichts der hohen Beachtung, die ein

6. Erstaunlicherweise weisen Hillier et al. (2007) auch eine aus der Ereignisstudie abgeleitete ab-normale Rendite fur eine Dreijahresperiode vor der Entlassungsankundigung aus. Diese nimmtmit −14,6% auch einen statistisch hochsignifikanten Wert an. Gleichwohl ist es aus metho-dischen Grunden strikt abzulehnen, unerwartete Renditen uber derartig lange Perioden demEreigniszeitpunkt zuzuordnen. Dies gilt auch dann, wenn nicht das Marktmodell fur die Ren-ditebereinigung herangezogen wird (Markt- und Risikobereinigung), sondern – wie im vorlie-genden Fall – nur die schlichte Marktbereinigung, also die Korrektur um die Marktrendite derbetreffenden Zeitraume.

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Arbeitsplatzabbau in der Presse ublicherweise findet, kann davon ausgegangenwerden, dass damit tatsachlich alle Falle aus dem genannten Zeitraum in dieAnalyse einbezogen werden.

Den Pressemeldungen wurde die Begrundung fur die Entlassungsplane so-wie die Anzahl der betroffenen Mitarbeiter entnommen; die Kapitalmarktda-ten (Aktienrenditen der betroffenen Unternehmen, die durch den CDAX7 ge-messene Performance des Aktienmarktes sowie die Marktkapitalisierung) stam-men aus Thomson Financial Datastream; Bilanzdaten sowie Informationenuber die Anzahl der Beschaftigten werden durch die Worldscope-Datenbankbereitgestellt; die BIP-Wachstumsraten folgen den Angaben des StatistischenBundesamtes.

Bei der Suche nach Meldungen uber Personalentlassungen deutscherborsennotierter Unternehmen wurden nur die Falle betrachtet, bei denen esinnerhalb eines Monats vor der Veroffentlichung keine anderen einschlagi-gen Meldungen gab; somit wurde nur die erste Meldung uber einen bestimm-ten Entlassungsplan einbezogen.8 Dadurch sollen Doppelerfassungen ausge-schlossen werden. Insgesamt konnten so 274 Meldungen identifiziert werden.Drei Falle mussten wegen des Fehlens von Marktrenditedaten ausgeschlossenwerden. Schließlich wurden sechs Falle als Ausreißer ausgeschlossen, bei denenTagesrenditen betragsmaßig großer als 30% ausfielen. Nach dieser Prozedurfuhrte die Vollerhebung zu einer Anzahl von 265 einbezogenen Entlassungs-ankundigungen.

3.2 Deskriptive Statistik

Aus der oben angesprochenen Untersuchung von Palmon et al. (1997) gehthervor, dass die Motive fur den Entlassungsplan vermutlich eine wesentlicheDeterminante fur die Beurteilung durch den Aktienmarkt darstellen. Die vonden Autoren verwendeten, plakativen Uberschriften (Nachfrageruckgang bzw.Effizienzsteigerung) sind jedoch nicht fur jeden Einzelfall zutreffend. Daherverwenden wir im Weiteren in der Hauptsache Palmon et al. folgend, abermit geringfugig anderer Nuancierung das Begriffspaar „aktive Strategie“ und„reaktive Strategie“.

Bei einer reaktiven Strategie reagiert das Unternehmen auf eine vorange-gangene Krise, worunter offensichtlich auch der Fall des Nachfrageruckgangszu subsumieren ist. Zur Verdeutlichung sei als Beispiel fur eine solche reak-tive Strategie der Fall Praktiker genannt. In einer Pressemeldung vom 4. Juli

7. Der CDAX umfasst alle an der Frankfurter Wertpapierborse notierten Aktien, die entwederTeil des Prime Standard oder des General Standard sind. Damit ist der CDAX der breiteste furDeutschland verfugbare Aktienindex und somit der beste Reprasentant fur „den Markt“.

8. Hingegen kann es durchaus vorkommen, dass innerhalb des zwolfjahrigen Untersuchungszeit-raumes von Unternehmen mehrere verschiedene Entlassungsplane angekundigt werden. Bspw.kundigt die BASF AG in sieben der zwolf Jahre des Untersuchungszeitraums Entlassungsplanean.

8 C© 2009 die AutorenJournal compilation C© 2009 Verein fur Socialpolitik und Blackwell Publishing Ltd.

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Kursgewinne durch Entlassungsplane?

Tabelle 2 Haufigkeit, zeitliche Verteilung und Umfang der angekundigtenEntlassungen

Jahr Anzahl Ø Entl. Ø Quote Anteil aktiv CDAX-Rendite BIP-Wachstum

1995 14 3.111 7,2% 57% 4,7% 1,9%1996 14 1.125 9,1% 38% 22,1% 1,0%1997 7 3.674 12,8% 50% 40,8% 1,8%1998 13 1.680 8,0% 46% 15,5% 2,0%1999 9 2.535 8,4% 43% 31,7% 2,0%2000 9 2.865 4,8% 57% −9,9% 3,2%2001 38 2.586 6,2% 47% −17,9% 1,2%2002 20 2.305 13,5% 40% −39,9% 0,0%2003 22 554 9,5% 48% 37,6% −0,2%2004 36 1.054 4,1% 63% 8,5% 1,2%2005 42 2.637 5,7% 29% 28,2% 0,9%2006 41 2.117 8,0% 32% 20,4% 2,7%Insg. 265 2.076 7,6% 44% 9,2% 1,5%

In der Spalte „Anzahl“ wird die Zahl der einen Personalabbau ankundigenden Unternehmenaufgefuhrt. Die Spalte „Ø Entl.“ zeigt den Mittelwert der Mitarbeiterzahl an, die abgebaut werdensoll. Die Spalte „Ø Quote“ gibt den Mittelwert des prozentualen Personalabbaus je Unternehmenan, also des Verhaltnisses von geplantem Personalabbau zur Gesamtbeschaftigtenzahl zum Endedes Geschaftsjahres vor dem Personalabbau. In der Spalte „Anteil aktiv“ wird der prozentualeAnteil der aktiven Ankundigungen angegeben. Die Durchschnittswerte bzw. Anteile wurden aufBasis derjenigen Falle berechnet, fur welche die entsprechenden Informationen vorliegen.Quelle: Pressemitteilungen, Worldscope, Thomson Financial Datastream, Statistisches Bundesamt.

2001 heißt es dazu: „. . .Seit etwa 1995 befindet sich die Branche in der Krise,weil die Nachfrage mit dem Angebot nicht Schritt halt. . .“. Eine aktive Stra-tegie ist demgegenuber dadurch gekennzeichnet, dass ein Entlassungsplan alserfolgsorientiertes unternehmenspolitisches Instrument eingesetzt wird. Bei-spielsweise heißt es zu Entlassungsplanen der Comdirekt-Bank am 4. Septem-ber 2002: „. . .Mit den Kostensenkungsmaßnahmen um rund ein Viertel willdie Comdirect ihre Ergebnisse steigern, auch wenn sich die Borsenlage nichtverbessert. Unter dieser Voraussetzung wird eine Rendite vor Steuern von 10%im Jahr angestrebt. . .“

Die Tabelle 2 enthalt wichtige Eckdaten zu den der Stichprobe zugrundeliegenden Entlassungsankundigungen.

Nur bei 213 von insgesamt 265 Fallen lagen auch Informationen zumUmfang der geplanten Entlassungen vor. In diesen Fallen waren insgesamt442.186 Arbeitnehmer betroffen. Bei Hochrechnung auf die Gesamtheit derFalle ergabe sich eine Zahl von etwa 550.000 wegfallenden Arbeitsplatzen. Diedurchschnittliche Entlassungsquote liegt bei 7,6% der in den jeweiligen Un-ternehmen Beschaftigten, was als betrachtlich angesehen werden kann. MitBlick auf den Zeitablauf ist zu konstatieren, dass die Anzahl der pro Jahr an-gekundigten Entlassungsplane tendenziell zugenommen hat. Nicht in allen

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Tabelle 3 Weitere deskriptive Statistik (jeweils Mediane)

Merkmal alle aktiv reaktiv Differenz

Anzahl 265 107 137Performance 12 Monate vorher a) −7,6% −1,6% −9,6% −8,0%∗

Performance 36 Monate vorher a) −13,4% −1,3% −18,9% −17,6%∗∗

Umsatzwachstum 1 Jahr vorher 3,1% 3,1% 3,2% −0,1%EBIT-Wachstum 1 Jahr vorher −1,3% −4,8% 0,4% 5,2%Marktwert je Mitarbeiter 118.339 135.203 92.676 42.527∗∗

Umsatz je Mitarbeiter 198.496 219.496 187.229 32.267∗∗∗

∗. ∗∗. ∗∗∗ zeigen auf dem 10%-, 5%- und 1%-Niveau signifikante Unterschiede zwischen denTeilstichproben gemaß des Wilcoxon-Rangsummentests an.a) bereinigt um die CDAX-Rendite.Quelle: Eigene Berechnungen

Fallen geht aus den Pressemeldungen die Motivation fur die Entlassungsplaneeindeutig hervor, 21 Falle konnten somit nicht in die differenzierte Auswer-tung ubernommen werden. Unter den verbleibenden 244 Fallen kommen ak-tive Strategien etwas seltener vor als reaktive Strategien, wobei am aktuellenEnde der Anteil aktiver Strategien rucklaufig zu sein scheint. Schließlich er-kennt man, dass kein systematischer Zusammenhang besteht zwischen derBorsen- oder der allgemeinen Wirtschaftsentwicklung und dem Anteil aktiverStrategien. Es ist also keineswegs so, dass krisenbedingte Entlassungsplane in„schlechten“ Jahren haufiger sind als in „guten“ Jahren.

Tabelle 3 gibt einige Informationen zum Unterschied zwischen den Teil-stichproben mit aktiven bzw. reaktiven Strategien wieder. Dabei werden je-weils Mediane angegeben, weil die Mittelwerte durch wenige Ausreißer deut-lich verzerrt sind. Konsistent wird fur Aussagen uber etwaige signifikante Un-terschiede zwischen den Teilstichproben auf den Wilcoxon-Rangsummentestals verteilungsfreien Lokationsvergleichstest zuruckgegriffen.

Zwei klare Unterschiede zwischen den verschiedenen Gruppen von Unter-nehmen lassen sich erkennen: Die mittel- bis langfristige Aktienperformancevor Bekanntgabe der Entlassungsplane ist bei Unternehmen mit reaktiver Stra-tegie deutlich starker negativ als bei der anderen Gruppe. Jedoch schneidenselbst die Unternehmen mit aktiver Strategie zuvor etwas schlechter ab als derdurch den CDAX reprasentierte Gesamtmarkt. Einen zweiten wichtigen Un-terschied erkennt man in der Personalintensitat. Bei Unternehmen mit aktiverEntlassungsstrategie sind Marktwert und Umsatz je Mitarbeiter deutlich undsignifikant hoher als bei der Gruppe mit reaktiver Strategie. Umgekehrt istletztgenannte Gruppe daher personalintensiver. Es leuchtet ein, dass bei einerUnternehmenskrise (haufig in Form eines Nachfrageeinbruchs) personalinten-sive Unternehmen fast zwangslaufig mit Entlassungen reagieren mussen. ImHinblick auf die Unternehmensentwicklung (Wachstum von Umsatz und Ge-winn vor Zinsen und Steuern, jeweils im letzten Jahr vor der Ankundigung

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Kursgewinne durch Entlassungsplane?

der Entlassungsplane) unterscheiden sich die beiden Gruppen nicht. Es falltauf, dass die Unternehmen mit reaktiven Strategien im Vorfeld der Entlas-sungsankundigung eine leichte Bruttogewinnsteigerung erreichten, wahrendim Ubrigen ein Bruttogewinnruckgang zu beobachten war. Allerdings ist dieDifferenz aufgrund der hohen Streuung insignifikant. Zudem kann die Gultig-keit der einer Bilanzpolitik unterliegenden Gewinnziffer generell in Zweifelgezogen werden.

3.3 Methodik der Ereignisstudie

Bei einer Ereignisstudie wird der vorher nicht zu erwartende Einfluss einerneuen Information auf den Aktienkurs eines Unternehmens gemessen. Imvorliegenden Fall ist diese neue Information die Ankundigung eines Entlas-sungsplans des betreffenden Unternehmens. Als Maß fur die Bewertung derNachricht werden „abnormale Renditen“ (oder „unerwartete Renditen“) ver-wendet. Abnormale Renditen lassen sich ebenso gut in unerwartete Markt-wertanderungen ubersetzen. Eine positive abnormale Rendite bedeutet in die-sem Sinne, dass der Aktienkurs starker gestiegen (oder weniger stark gefallen)ist, als es zu erwarten gewesen ware.

Das konkrete Verfahren einer Ereignisstudie ist seit der grundlegenden Ar-beit von Fama et al. (1969) weitgehend unverandert. Um die durch die Nach-richt verursachte Marktreaktion zu messen, wird zunachst die Kalender- in dieEreigniszeit transformiert. Der Ereignistag wird als Tag τ = 0 definiert; hierhandelt es sich dabei um den Tag der ersten Pressemeldung. Die Festlegungund die Identifikation des Ereignistages ist haufig ein schwieriges Unterfan-gen. In unserem Fall trifft dies jedoch nicht zu, weil die Meldungen eindeutigerfasst werden konnen und weil aufgrund des stets zu erwartenden offent-lichen Interesses am Thema „Entlassungen“ die Unternehmensmitteilungenunverzuglich von der Presse aufgegriffen werden.

Um die abnormale Rendite zu bestimmen, muss eine Adjustierung der reali-sierten um eine erwartete Rendite erfolgen. Fur die Abschatzung dieser erwar-teten Rendite stehen verschiedene Verfahren zur Auswahl. Die am haufigstenverwendeten Ansatze sind das mittelwertadjustierte Modell (constant meanreturn model), das Marktmodell (market model) und das marktadjustierteModell (market adjusted model).9 In dieser Arbeit wird das marktadjustier-te Modell verwendet, in dem die erwartete Rendite am Ereignistag durch dieRendite des Gesamtmarktes bestimmt wird. Um die Rendite des Gesamtmarktszu approximieren, wird in dieser Studie die Rendite des CDAX als Marktren-dite angenommen. Im Vergleich zum mittelwertadjustierten Modell hat dasmarktadjustierte Modell den Vorteil, das Marktumfeld im Ereigniszeitraum zuberucksichtigen; den Gesamtmarkt betreffende Unregelmaßigkeiten werden

9. Brown und Warner (1980, 1985) zeigen, dass diese drei Verfahren zumeist zu gleichenSchlussfolgerungen bezuglich statistischer Signifikanzaussagen gelangen.

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auf diese Weise herausgefiltert. Verglichen mit dem Marktmodell kommt dasmarktadjustierte Modell mit weniger strengen Annahmen aus. Insbesondereverlangt das Marktmodell nach der Schatzung von Regressionskoeffizienten ineiner zeitlich vorgelagerten Schatzperiode, die wiederum als RenditeparameterVerwendung finden. Kritisch an diesem Verfahren ist, dass die geschatzten Pa-rameter auch in der Ereignisperiode um den Tag der Entlassungsankundigungherum Gultigkeit haben mussen. Denkbar ist aber, dass das Ereignis einenEinfluss auf die aus der Schatzung abgeleiteten Renditeparameter hat.

Fur die einzelnen Handelstage im Ereignisfenster, τ ε ∈ {− 5, . . . , + 5},werden sodann die abnormalen Renditen ARiτ bestimmt, die zugleich denAnkundigungseffekt kennzeichnen. Es gilt:

ARiτ = riτ − E(riτ ) = riτ − rmτ .

Dabei bezeichnen r iτ die Aktienrendite des Unternehmens i beziehungsweiser mτ die Rendite des Gesamtmarktes (CDAX) am Handelstag τ . Um Aussagenuber den Ankundigungseffekt bei mehreren Unternehmen zu treffen, wirdder durchschnittliche Ankundigungseffekt der Stichprobe ARτ bestimmt. Da-bei werden die einzelnen Falle gleich gewichtet.10 Somit erhalt man als dendurchschnittlichen Ankundigungseffekt fur n Unternehmen:

ARτ = 1n

.

n∑

i=1

ARiτ .

Sofern der Kapitalmarkt nicht vollstandig informationseffizient ist, kannsich die Anpassung der Aktienkurse an die neue Information uber mehrere Ta-ge hinziehen. Deshalb werden die abnormalen Renditen nicht ausschließlicham Ereignistag τ = 0 betrachtet, sondern auch fur eine gewisse Periode rundum diesen Ereignistag herum, eben fur die Ereignisperiode. Eine etwas langergewahlte Ereignisperiode ist zudem ein Notbehelf, wenn der Ereignistag nichtgenau identifiziert werden kann. Da dieses Problem jedoch im vorliegendenFall nicht zutrifft, werden wir uns auf eine kurze Periode beschranken; diesentspricht auch am besten der Konzeption einer Ereignisstudie. Generell giltfur die kumulierten abnormalen Renditen uber beliebige Zeitfenster innerhalbdes Ereignisfensters:

CARτ1;τ2 =τ2∑

τ=τ1

ARτ .

Fur die Uberprufung der statistischen Signifikanz kommen zwei Testverfah-ren zur Anwendung. Zum einen wird aufgrund der unternehmensspezifischen

10. Die Gleichgewichtung ist kennzeichnend fur alle Ereignisstudien. Ziel der Messung abnor-maler Renditen ist typischerweise nicht die fur einen Investor mit dem zugrunde liegendenPortefeuille erzielbare Rendite, sondern der Informationsgehalt des Ereignisses.

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Beobachtungen der abnormalen und der kumulierten abnormalen Renditenim Querschnitt mit Hilfe des klassischen t-Tests untersucht, ob die resultie-renden Renditen signifikant von Null verschieden sind. Zum anderen hat sichin der Literatur zu Ereignisstudien ein spezifischer t-Test etabliert, der auchdie Variabilitat der Aktienrenditen im Zeitablauf berucksichtigt. Konkret wer-den hierfur zunachst fur alle Entlassungsankundigungen die marktadjustiertenTagesrenditen in einem 180-Tage-Zeitfenster vor dem Ereignistag berechnet.Aus diesen abnormalen Renditen im Ereignisfenster resultiert eine geschatzteereignisspezifische Varianz von σ 2

εi fur jedes Unternehmen i. Diese ereignis-spezifische Varianz wird wie folgt zur Stichprobenvarianz fur n Unternehmenaggregiert:11

σ 2(ARτ ) = 1n2

.

n∑

i=1

σ 2εi .

Zur Uberprufung der statistischen Signifikanz ist der zweiseitige t-Test an-zuwenden, wobei die Teststatistik

t = ARτ

σ (ARτ )

approximativ standardnormal verteilt ist.Um Aussagen uber die statistische Signifikanz der kumulierten abnormalen

Renditen treffen zu konnen, wird deren geschatzte Varianz benotigt. Dieseergibt sich aus der Summe der geschatzten Varianzen der abnormalen Renditenzwischen den Ereignistagen τ 1 und τ 2:

σ 2(CAR(τ1, τ2)) =τ2∑

τ=τ1

σ 2(ARτ ).

Analog wird auch hier die statistische Signifikanz mittels eines zweiseitigent-Tests uberpruft, wobei die Teststatistik

t = CAR(τ1, τ2)σ (CAR(τ1, τ2))

wiederum approximativ der Standardnormalverteilung folgt.12

11. Dem liegt die fur Ereignisstudien typische Annahme zugrunde, dass sich die einzelnen Fallevon Ankundigungen stochastisch unabhangig verhalten. Fur Details zum spezifischen t-Testbei Ereignisstudien siehe Armitage (1995), MacKinlay (1997), Binder (1998) sowie Kothariund Warner (2007).

12. Da der klassische und der spezifische t-Test letztlich zu qualitativ identischen Signifikanzaus-sagen fuhren, werden im Folgenden lediglich die Ergebnisse des spezifischen t-Tests berichtet.

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4. Hypothesen und Schatzergebnisse

4.1 Hypothesen

Aus einer Theorie der Wirkung von Entlassungen auf den Marktwert vonUnternehmen ließe sich eine Aussage uber unerwartete Renditen infolge derAnkundigung eines Entlassungsplans ableiten. Tatsachlich gibt es eine solcheTheorie in geschlossener Form nicht. Allerdings erschließt sich unmittelbar,dass die Marktwertwirkung maßgeblich von der Motivation fur die geplantenEntlassungen abhangt. Geht es darum, bisher noch nicht realisierte Effizienzre-serven zu heben, so mussten sich Entlassungen erfolgssteigernd auswirken, waspositive abnormale Renditen zur Folge haben musste. Genau diesen Fall kenn-zeichnet die aktive Strategie. Entlassungsplane als Teil einer reaktiven Strategiebestehen dagegen haufig im Abbau von Uberkapazitaten angesichts schrump-fender Markte. Eine neue Information uber schrumpfende Absatzmarkte soll-te einen Marktwertruckgang und somit eine negative abnormale Renditenach sich ziehen. Aus all dem folgt als bescheidenste Formulierung einerHypothese:13

Hypothese 1: Entlassungsankundigungen haben eine Auswirkung auf den Marktwerteines Unternehmens.

Aufgrund der zuvor angestellten Uberlegungen kann man differenzierendfolgern:

Hypothese 2a: Entlassungsankundigungen auf Basis einer aktiven Strategie ziehen einepositive abnormale Rendite nach sich.

Hypothese 2b: Entlassungsankundigungen auf Basis einer reaktiven Strategie fuhren zueiner negativen abnormalen Rendite.

4.2 Ergebnisse

Die Tabelle 4 enthalt die abnormalen Renditen ARτ sowie die kumuliertenabnormalen Renditen CAR−5;τ in einem Elftagefenster fur die gesamte Stich-probe.

Im Widerspruch zur anekdotischen Evidenz, jedoch in Ubereinstimmungmit den internationalen empirischen Studien zeigt das erste Hauptergebnissomit, dass die abnormalen Renditen uberwiegend negativ sind. Bei den Ein-tagesrenditen erweist sich lediglich AR0 als signifikant von Null verschieden.14

13. Die nachfolgenden Hypothesen formulieren die maßgeblichen okonomischen Aussagen. FurZwecke der statistischen Uberprufung wird zutreffendenfalls jeweils die gegenteilige Aussagewiderlegt.

14. Trotz der in Abschnitt 3.3 vorgebrachten methodischen Einwande wurde auch das Marktmo-dell als Modell zur Schatzung der erwarteten Renditen herangezogen. Empirisch resultierenqualitativ ahnliche Resultate. Daher werden im Folgenden nur noch die Ergebnisse fur dasmarktadjustierte Modell berichtet.

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Tabelle 4 Ankundigungseffekte

Tag ARτ CAR−5;τ

−5 −0,18% −0,18%−4 0,06% −0,11%−3 −0,06% −0,17%−2 −0,00% −0,18%−1 −0,01% −0,19%

0 −0,37%∗∗ −0,56%+1 −0,02% −0,57%+2 −0,15% −0,72%+3 −0,14% −0,86%∗

+4 −0,12% −0,98%∗

+5 −0,08% −1,06%∗∗

∗. ∗∗. ∗∗∗ zeigen auf dem 10%-, 5%- und 1%-Niveau signifikante Werte fur abnormale bzw.kumulierte abnormale Renditen gemaß des in Abschnitt 3.3 beschriebenen spezifischen t-Testsan.Quelle: Eigene Berechnungen

Dies ist ein weiterer Beleg fur die oben angestellte Vermutung, dass der Ereig-nistag eindeutig fixiert werden konnte. Die kumulierten abnormalen Renditensind durchweg negativ und ab dem Tag τ = 3 auch statistisch signifikant.15

Abbildung 1 verdeutlicht den Zusammenhang zusatzlich. In dieser Abbildungfinden sich neben den konkreten Werten der abnormalen und kumuliertenabnormalen Renditen im Ereignisfenster auch die jeweiligen unteren Grenzendes zweiseitigen 90%-Konfidenzintervalls fur die abnormalen Renditen (τ ) undfur die kumulierten abnormalen Renditen (CAR−5;τ ).

Somit ist zu konstatieren, dass Hypothese 1 nicht verworfen werden kann.Vielmehr gelten im Ganzen fur Deutschland die gleichen Zusammenhange,wie es auch international der Fall ist (siehe Tabelle 1). Anders als allgemeinangenommen, konnen Unternehmen ihren Marktwert durch Entlassungs-ankundigungen nicht ohne weiteres steigern. Vielmehr geht die Veroffent-lichung von Entlassungsplanen mit einem sinkenden Marktwert einher.

Gegeben die allgemeine Evidenz sinkender Aktienkurse im Falle eines an-gekundigten Personalabbaus ist weiter der Frage nachzugehen, ob nicht dochdie in der Kritik stehenden Unternehmen, die Personal trotz einer gutenGeschaftslage entlassen, vom Personalabbau profitieren. Hierfur wird die Stich-probe in Entlassungsplane mit aktivem und solche mit reaktivem Charaktergeteilt. Angesichts der robusten Fixierung des Ereignistages werden die beidenVarianten der Hypothese 2 genau fur den Ereignistag, an dem die Pressemel-dung veroffentlicht wurde, uberpruft.

15. Die CAR fur die fruheren Teilperioden sind nicht signifikant, weil die Tage vor dem Ereignistaguberwiegend ein Rauschen beitragen, so dass diese Effekte erst noch kompensiert werdenmussen.

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-0.80%

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-0.40%

-0.20%

0.00%

0.20%

-5 -4 -3 -2 -1 0 1 2 3 4 5

AR

/CA

R

ARs CARs AR_krit_unten CAR_krit_unten

-1.20%

-1.00%

-0.80%

-0.60%

-0.40%

-0.20%

0.00%

0.20%

-5 -4 -3 -2 -1 0 1 2 3 4 5

AR

/CA

R

ARs CARs AR_krit_unten CAR_krit_unten

Abbildung 1 Abnormale (AR) und kumulierte abnormale (CAR) Renditen imEreignisfenster.

Quelle: Eigene Berechnungen

Tabelle 5 Unterschiede zwischen aktiven und reaktiven Strategien

Anzahl AR0

alle 265 −0,37%∗∗

aktiv 107 0,03%reaktiv 137 −0,76%∗∗

Differenz 0,79%∗∗

In der Zeile „aktiv“ wird die abnormale Rendite fur die aktiven Ankundigungen berichtet. In derZeile „reaktiv“ findet sich die durchschnittliche abnormale Rendite fur reaktive Ankundigung.Quelle: Eigene Berechnungen

Aus Tabelle 5 ist ersichtlich, dass das Hauptergebnis von negativen Ak-tienkursreaktionen auf die Ankundigung von Entlassungsplanen vor allemauf die Teilstichprobe der reaktiven Ankundigungen zuruckgeht. Bei diesenUnternehmen resultiert ein ausgepragter Kursruckgang. Der Hypothese 2bentsprechend zeigt sich eine signifikant negative Marktreaktion von −0,76%auf eine Entlassungsankundigung mit reaktiver Strategie. Fur die Beurteilung

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der Signifikanz wird dabei der verteilungsgebundene Mittelwertdifferenzentestherangezogen.16

Im Falle der aktiven Strategien ergibt sich weder okonomisch noch stati-stisch ein signifikant von Null verschiedener Wert. Hypothese 2a muss alsoverworfen werden. Der Unterschied in den Ankundigungseffekten bei den bei-den Teilstichproben ist betrachtlich und statistisch signifikant auf dem 5%-Niveau. Letztlich zeigen die Untersuchungsergebnisse fur aktive Strategien,dass selbst die besonders in der Kritik stehenden Unternehmen den Marktwertkeinesfalls systematisch durch Entlassungsankundigungen steigern konnen.

Fraglich ist, warum Hypothese 2a verworfen werden muss. Zunachst ist zufolgern, dass Investoren Entlassungsplanen mit aktiven Strategien offenbarkeinen systematischen Einfluss auf den Marktwert eines Unternehmens zu-sprechen. Dies wiederum mag damit zusammenhangen, dass mit der Umset-zung von Entlassungen nicht unerhebliche Kosten verbunden sind.17 Wenndie Entlassungskosten in ihrer Hohe den eingesparten Personalkosten entspre-chen, ist die gesamte Transaktion erfolgsneutral. Ob dies tatsachlich zutrifft, istjedoch spekulativ. Die vorliegenden Ergebnisse konnen aber mit den in diesemPunkt abweichenden Resultaten von Palmon et al. (1997) fur die USA vergli-chen werden, die bei aktiven Strategien positive Marktreaktionen berichten.In dem Unterschied erkennt man ein Indiz dafur, dass einerseits aufgrund derin Deutschland scharferen Regulierung des Arbeitsmarktes aktive Entlassungs-plane weniger profitable Strategien sind als in den USA. Auch ist plausibel,dass sich andererseits diese durch die Regulierung hervorgerufenen Kostenvon Entlassungsstrategien bei Unternehmen in Krisen (also bei den reaktivenStrategien) weniger stark auswirken; daher weichen die Ergebnisse fur den Fallreaktiver Strategien nicht voneinander ab.

5. Abschließende Bemerkungen

5.1 Zusammenfassung und Folgerungen

Die erste Nachricht ist: Die immer wieder vertretene und von den Medienstets bereitwillig aufgegriffene Meinung, Entlassungsankundigungen fuhrtenzu Kurssteigerungen bei den betreffenden Unternehmen, kann nicht bestatigtwerden. Dies gilt in Deutschland ebenso wie fur alle Staaten, fur die einschlagi-ge Untersuchungen angestrengt wurden.

16. Dieses Ergebnis bestatigt sich auch, wenn man das Marktmodell zur Berechnung der abnor-malen Renditen heranzieht. Konkret sind die aktiven Ankundigungen mit einer abnormalenKursreaktion von 0,08% und die reaktiven Ankundigungen mit einem entsprechenden Wertvon −0,66% verbunden. Die Differenz der beiden abnormalen Renditen ist auf dem 10%-Niveau signifikant.

17. Im eingangs zitierten Fall der Deutschen Bank kundigt diese selbst an, dass mit dem„Fortentwicklungsprogramm“, dem die Entlassungen zuzurechnen sind, Aufwendungen inHohe von 1,3 Mrd. € einhergehen.

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Die zweite Nachricht ist: Die Kurswirkungen der Bekanntgabe von Entlas-sungsplanen hangen entscheidend von der Motivation fur diese Plane ab.Selbst aktive, auf eine erhohte Rentabilitat gerichtete Entlassungsplane fuhrennicht zu einer erkennbaren Kurssteigerung. Handelt es sich um eine der Kri-se folgende reaktive Strategie, sind die Kurswirkungen, wie zu erwarten war,deutlicher negativer als im Durchschnitt.

Was bedeuten diese Nachrichten nun fur die Bewertungsmaßstabe derBorse? Die im Allgemeinen indifferente Reaktion auf aktive Strategien be-sagt zum einen, dass die Borse Entlassungsplane typischerweise nicht als einegeeignete Strategie zur Steigerung des Marktwertes eines Unternehmens an-sieht. Mit Blick auf die Entlassungen selbst lasst sich folgern, dass es der Borseschlicht egal ist, ob Mitarbeiter entlassen werden oder nicht. Dies kann manleidenschaftslos zur Kenntnis nehmen oder auch beklagen. In jedem Fall un-terstreicht das Ergebnis die Vorhersage jeder akzeptierten Theorie der Unter-nehmensbewertung, wonach der Wert bestimmt wird durch den diskontiertenStrom kunftig erwarteter Ausschuttungen. Und fur diese Determinante erwei-sen sich offenbar Entlassungsplane per Saldo als irrelevant. Die ausgepragtnegativen Reaktionen auf krisenbedingte Entlassungsplane sollten umgekehrtnicht als Bedauern uber wegfallende Stellen interpretiert werden. Vielmehr istes die Nachricht uber die Krise, die zu einer Unterrendite fuhrt.

Diese aus Unternehmensdaten abgeleitete Folgerung wird zusatzlich unter-strichen durch eine Beobachtung auf gesamtwirtschaftlicher Ebene. Am 7. Sep-tember 2007 wurden fur die USA uberraschend schlechte Arbeitsmarktdatenbekannt gegeben. Diese fuhrten auf dem sich gerne an den USA orientierendendeutschen Aktienmarkt zu einem Ruckgang der DAX-Kurse um ca. 2,6% inner-halb von drei Stunden; an der New Yorker Borse ergaben sich ahnliche Auswir-kungen. Die geringe Beschaftigung ist auf dem flexiblen amerikanischen Ar-beitsmarkt ein Indikator fur Uberkapazitaten, also ein Krisenphanomen. Auchhier zeigt sich somit, dass Probleme auf dem Arbeitsmarkt typischerweise keinegute Nachricht fur die Borse sind.

Mit Blick auf die hier (und in der Literatur) fur das Ausland zusammenge-tragenen Fakten lasst sich fur die offentliche, politische Diskussion festhalten:Wer entgegen den Tatsachen behauptet und gar als Gesetzmaßigkeit hinstellt,dass Entlassungsplane zu Kurssteigerungen fuhren, betreibt mit den personli-chen Schicksalen der entlassungsbedrohten Mitarbeiter Spielchen zur Verfol-gung machtpolitischer Ziele.

5.2 Ausblick auf die weitere Forschung

Die vorgetragenen Ergebnisse und Interpretationen stellen in Bezug auf dendeutschen Markt die Schlagzeilen dar, welche gerade angesichts der ge-genwartigen Stimmungslage in der deutschen Offentlichkeit und Politik Auf-merksamkeit verdienen. Aus wissenschaftlicher Sicht ist die Thematik jedochnoch nicht abschließend behandelt. An zwei wichtigen Baustellen sollte weitergeforscht werden:

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Kursgewinne durch Entlassungsplane?

Dies ist zunachst die nahere Analyse von Determinanten der Ankundigungs-effekte. Wie gesehen hat die veroffentlichte Motivation einen erheblichenEinfluss. Plausiblerweise konnen aber auch weitere Großen eine Rolle spie-len. Dazu zahlen vermutlich die Unternehmensperformance in den Jahrenvor Bekanntgabe der Entlassungsplane, die Personalintensitat, die gesamtwirt-schaftlichen Rahmenbedingungen sowie auch die Unternehmensgroße undder Anteil der wegfallenden Stellen an der Gesamtbeschaftigung des Unter-nehmens.

Eine zweite zusatzliche Fragestellung betrifft die Identifikation der Eigen-schaften von Unternehmen, die sich fur eine Entlassungsstrategie entscheiden.Diese Frage betrifft die Ex-ante-Sicht und uberdies die Sicht der Unterneh-mensleitung; die Borsenwirkung nimmt eine Ex-post-Sicht und die Sicht derInvestoren ein. Die maßgeblichen Einflussgroßen konnen sich daher durchauserheblich unterscheiden.

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Abstract: Employing traditional event study methodology we examine the marketreaction to layoff announcements of firms listed on the German stock market. Wecontribute to the international literature in this field with two major results. First,unlike anecdotal and similar to international evidence we report a negative andsignificant abnormal rate of return of −0.37 percent on the announcement day.Further, we find that the reason for the layoff announcement plays a decisive role inthe revaluation process. On the one hand, stocks of firms that announce layoffs as areaction to declining market conditions are associated with a more intense negativemarket response. On the other hand, even stocks of firms that intend to enhance theirprofitability by means of layoffs do not show a significant positive reaction.

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