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KURZ GESAGT Konrad Eißler Aussaat

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KURZGESAGT

Konrad Eißler

Aussaat

Konrad Eißler

Kurz gesagt

R. Brockhaus Verlag Wuppertal und Zürich

Aussaat-Verlag Neukirchen-Vluyn

R. Brockhaus Taschenbuch Bd. 478

AB Cteam-Taschenbuch

© 1992 Konrad EißlerUmschlaggestaltung: Carsten Buschke, Solingen

Umschlagfoto: Stockmarket - ZEFA, DüsseldorfZeichnungen im Innenteil: Arno Maurer, Tübingen

Gesamtherstellung: Breklumer Druckerei Manfred Siegel KGISBN 3 - 417 - 20478 - X (Brockhaus)

ISBN 3-7615-3449-3 (Aussaat)

INHALT

Maßstab 5Neid 7Jedermann 8Platz 9Gottesdienst 12Neinsager * 13Hand 14Vorsätze 16Hammer 18Fliegen 19Wenige 21Flickerei 22Mund 24Blaulichtaktion 25Bürgerschaft 27Weiß 28Rechnen 29Zelt 30Klugheit 33Nichts 34Findling 35Lohn 36Wasserzeichen 38Glück 40Ordination 41Kreuztragen 42Ohrwürmer 43Vergebung 46Durchbohren 47Gottsucher 48

Schöpfer 50Kind 52Hinhören 53Vater 54Schreien 56Beziehungszerfall 57Herzschaden 58Dank .59Gotteskinder 60Herzpatient 63Kopf 64Besuch 65Glanz 66Christus 69Machtwort 70Zweifel 71Aus 72Bibelwort 74Daheim 76Wort 77Geist 78Kreuzgang 80Gesellenstück 81Tisch 82Geben 85Heimarbeiter 86Hilfsarbeiter 87Ernte 88Herrentag 89

Stichwortverzeichnis 92

Bibelstellenverzeichnis 93

Maßstab

Eine altbekannte Geschichte: Maria und Marta. Schauenwir in die Küche, wo Marta werkelt. Auf dem Herd wer-den Töpfe rangiert, auf dem Tisch werden Hühner tran-chiert. Marta unter Volldampf. Kein Wunder, daß sie dasnicht alleine packen kann.

Maria! So tönt es laut durch die Küche, aber da ist kei-ne Stimme. Maria! So tönt es ganz laut durch den Haus-flur, aber da ist keine Maria. Wo bleibt denn diese Schlaf-haube? Schnell reibt sich Marta die fettigen Hände abund stürzt ins Zimmer. Richtig, da sitzt doch dieserBlaustrumpf und hat die Hände im Schoß. Ist das dieMöglichkeit? Marta platzt der Kragen. »Herr, sag ihrdoch, daß sie mich nicht alleine zappeln lassen kann. Siesoll mit anpacken!«

Marta weiß ganz genau, was Maria tun soll - so wieauch wir es wissen, was die andern tun sollen. »Herr, sagdoch meinem Mann, daß er auch einmal Blumen mit-bringt; er soll Kavalier werden.« »Herr, sag doch mei-nem Sohn, daß er keine Rockplatten mehr kauft; er sollBach mögen wie ich.« »Herr, sag doch meiner Schwie-rgertochter, daß sie endlich auf mich hört; sie soll meinenRat nicht in den Wind schlagen.«

Wir wissen es ganz genau, was der andere tun und las-sen soll. Er soll sich gefälligst an mir ein Beispiel neh-men. Der einzig gültige Maßstab für rechtes Denken,Handeln und Glauben bin ich.

Und Jesus sagt: Marta, Marta! Denk mal nach. Mariamuß nicht wie Marta werden, der Sohn muß nicht wieder Vater werden und die Schwiegertochter nicht wiedie Schwiegermutter. Jeder ist ein Original Gottes, einEinzelexemplar aus seiner Handschnitzerwerkstatt.

Jeder aber soll ein Nachfolger dieses Herrn werden, dermit seinem Wort den einzig gültigen Maßstab gesetzt hat.

Neid

Jeder kennt die Geschichte: Kain wurde Bauer und AbelHirte. So weit, so gut. Nein: so weit, so schlecht. DennKain ist kein froher Ackermann geworden, sondern eingrüblerischer Mensch. Wenn er hinausgeht, sieht er seinenAcker, diesen elenden Steinriegel. Die Hacke springt vonder harten Krume. Der Same wird von den Krähen heraus-gepickt. Das Unkraut wuchert aus allen Löchern. Warumbin ich nur Bauer geworden? Hätte ich doch einen andernJob gewählt. Wäre ich doch Hirte geworden, Hirte, so wiemein Bruder.

Kain schaut hinüber und sieht dessen Weide, dieseswunderschöne Hügelland. Die Schafe bringen die Wolle.Die Lämmer liefern das Fleisch. Der Hund sorgt für dienotwendige Ordnung.

Abel hat es schöner und leichter und besser. Die Lagedes andern sticht ihn. Der Vorteil des andern wurmt ihn.Kain wird vom Neid zerfressen.

So wie wir auch. Wenn wir ins Geschäft gehen, sehen wirden Schreibtisch, dieses elende Aktengebirge. Das Telefonklingelt. Der Chef zieht den Mund schief. Das Gehalt istein Hungerlohn. Warum bin ich nur Angestellter gewor-den? Hätte ich doch auch studiert. Wäre ich doch Architektgeworden, Architekt, so wie mein Nachbar. Wir schauenhinüber und sehen dessen Büro, eine einzige Goldgrube.Der braucht nicht zur Stechuhr. Der sitzt nicht ab sieben.Der teilt seine Zeit ein.

Der andere hat es leichter und schöner und besser.»Dort, wo du nicht bist, dort ist das Glück.« Und das stichtund wurmt und macht den Neid.

Wieviel Nachtstunden gehen darauf, nur weil ich Neid-hammel vor lauter mickrigen Gedanken keinen Schlaf fin-

den kann und mich als Aschenbrödel oder Pechmarie be-weine! Neid ist die Wurzel allen Übels. Wo ich nicht mehrvorwärtsschaue und dem Bruder sein vermeintliches Glückvon Herzen gönne, sondern wo ich nur noch seitwärtsschiele und ihm seine vermeintlichen Vorteile neide, da isthöchste Gefahr im Verzug.

Gott hat uns nicht über den gleichen Leisten geschlagenund jedem dieselbe Einheitsmontur verpaßt. In seinemReich geht es nicht nach Schema F. Er hat jeden mit denGaben ausgerüstet, die er für sein Leben nötig hat, und dar-an sollen wir uns genügen lassen. Was wir nicht haben,brauchen wir nicht.

Jedermann

Wie wird Herr Jedermann eingeschätzt? Für Kaiser Augu-stus war er ein natürliches Wesen. Augustus, dieser römi-sche Strahlemann, verwandelte die vereinigten Hüttenwer-ke Roms in eine glänzende Marmorstadt. Weil diese wäh-lerfreundliche Politik aber äußerst kostenintensiv war,schickte er seinen Finanzexperten Quirinius in die Provinz,um den kleinen Leuten die Steuerschrauben anzulegen.Herr Jedermann soll zahlen, immer soll er zahlen.

Für König Herodes war er ein schädliches Wesen. Dieseridumäische Bluthund witterte überall Konkurrenz undrichtete deshalb ein Blutbad an. Die unschuldigen Säuglin-ge lieferte er ans Messer. Herr Jedermann darf nicht muk-ken, immer darf er nicht mucken.

Für den Wirt von Bethlehem war er schlicht übrig. Die-ser judäische Hotelier war Krisengewinnler, und sein

Weihnachtslied ging nach der Melodie: »Süßer die Kassennie klingen, als zu der Volkszählungszeit.« Kein Zimmerwar mehr frei. Herr Jedermann war übrig, immer ist erübrig.

Gott sei Dank gibt es noch eine andere Schätzung. Gottselber hat wider Erwarten diesen aufmüpfigen Menschennicht eingeschätzt wie Augustus, auch nicht abgeschätztwie Herodes, erst recht nicht geringgeschätzt wie der Wirt.Gott hat ihn wertgeschätzt. Sein einziger Sohn war ihmnicht zu teuer. In der Krippe lag kein goldiges Schätzchen,das unser Dideldumdei nötig hätte, sondern der SchatzGottes, der uns den Höchstpreis seiner Liebe zeigt. DieWeihnachtsgeschichte ist ein einziger Schatzbrief.

Seit der Geburt Jesu steht es fest: Jedermann ist hochge-schätzt. Die Maria mit ihrem Kind genauso wie der Josef,der seine Braut nicht sitzen ließ. Die Hirten vom Felde ge-nauso wie die Herren Astrologen vom finstern Heiden-land. Der Hochgelehrte und Analphabet, der Weltbekann-te und Namenlose, der Muskelprotz und Schwächling, derKrösus und arme Schlucker, jedermann ist hochgeschätzt.Keiner ist unter Wert verkauft. Alle können mit dieser Ein-schätzung rechnen.

Platz

Das ist doch nicht die Möglichkeit: Mitten im Weinbergsteht ein Feigenbaum. Normalerweise wächst er hintermHaus, hier aber wächst er hinter der Mauer. Normalerwei-se steht er an der Landstraße, hier aber steht er an der Quel-le. Normalerweise gedeiht er auf einer Wiese, hier aber ge-deiht er auf dem Humus. Wie kommt das?

Der Besitzer hörte einiges, als er mit dem Bäumchenanrückte: »Nichts gegen Feigen, auch wenn sie keinenVergleich mit Trauben aushalten, aber ein Feigenbaumgehört nun mal nicht in den Weinberg. Wer pflanztschon eine Kartoffel in den Rosengarten? Wer setztschon einen Rettich in das Blumenbeet? Wer zieht schoneinen Spitzwegerich am Fenstersims? In den Weinberggehört nur Spitzenwein.«

Aber der Besitzer ließ sich nicht umstimmen: »MeinWeinberg ist kein Mustergarten, und Privilegien habeich nicht verteilt. Auch dieser Feigenbaum darf leben.Hier ist Platz für alle.«

Das ist im Weinberg Gottes auch so. Mitten in derGemeinde stehen ganz schöne Pflänzchen, ein SchieberZachäus zum Beispiel oder ein Gauner Levi. Normaler-weise sitzen sie hinter anderen Mauern und gedeihen aufanderem Boden. Wie kommt das?

Zöllner und Sünder gehören nun mal nicht in die Ge-meinde. Wer verpflanzt schon einen Ganoven in denLionsclub? Wer setzt schon einen Schurken in dieHautevolee? Wer zieht schon einen miesen Typ in dieoberen Zehntausend? In die Gemeinde gehören nurMenschen erster Güte- und Spitzenklasse.

Aber Gott wird von niemandem umgestimmt: »Mei-ne Gemeinde ist kein Mustergarten. Privilegien habe ichnie verteilt. Exklusivrechte habe ich nie ausgegeben.Ausschließlichkeitsansprüche habe ich nie angenom-men. Auch Zöllner und Sünder dürfen leben. Hierist Platz für alle.« Es gibt gar niemanden, dem dasPlatzrecht in der Gemeinde Jesu streitig gemacht wer-den könnte.

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Gottesdienst

Gottesdienst - wie ist das? Einer besinnt sich und meint:»Gottesdienst ist wie Pause. Ich bin ein geselliger Mensch.Zu Hause hocke ich alleine. Nachbarn wollen nichts wis-sen. Im Betrieb kenne ich nur sture Gesellen. Aber in derKirche ist es anders. Dort treffe ich lauter sympathischeLeute, die dieselbe Blutgruppe wie ich haben. Mit denenkann ich frei und offen reden. Nett sind diese Begegnun-gen, einfach nett. Gottesdienst ist wie Pause.«

Aber genau das prangert der Prophet an: »Ich bin eurenSonntagen gram, wenn ihr sie nur zu Sprechtagen macht.Ich mag eure Versammlungen nicht riechen, wenn ihr sienur zu Pausengesprächen nutzt. Suchet Gott, so werdet ihrleben!«

Dann meint ein anderer: »Gottesdienst ist wie Han-del. Ich bin ein berechnender Mensch. Der Gottesdienst-besuch kostet mich eine Runde Schlaf, zwei Stunden Zeitund eine ordentliche Kollekte am Ausgang. Bei so vielOpfer kann sich Gott nicht lumpen lassen. Eine Handwäscht die andere. Ich will zwar nicht unverschämt sein,aber weniger Schmerzen im Fuß und mehr Freude an mei-nem Filius darf ich doch wohl erwarten. Gottesdienst istwie Handel.«

Aber genau das prangert der Prophet wieder an: »Ichhabe kein Gefallen an euren Opfern, wenn ihr sie nur alsHandelsware einsetzt. Ich mag eure Gaben nicht riechen,wenn ihr sie nur als Zahlungsmittel anseht. Sucht nicht zu-erst Schmerzfreiheit und Lustgewinn und Glücksgefühle.Suchet Gott, so werdet ihr leben!«

Schließlich meint ein dritter: »Gottesdienst ist wie Mu-sik. Ich bin ein musikalischer Mensch. Ums Leben gern hö-re ich Bach und Mendelssohn. Die Klassiker bauen mich

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auf. Seit die Konzertmieten so unverschämt teuer gewor-den sind, gehe ich zur Kirche. Erstklassige Darbietungenbei freiem Eintritt. Bei solch hohem Niveau nehme ich aucheine Predigt in Kauf, Gottesdienst ist wie Musik.«

Aber genau das prangert der Prophet noch einmal an:»Ich mag eure Harfen nicht hören, wenn ihr nur schöneTöne hören wollt. Ich bin total verstimmt, wenn ihr nur eu-re Instrumente stimmt. Sucht nicht zuerst Kenner undKönner und Künstler. Suchet Gott, so werdet ihr leben!«

Neinsager

Die Nacht ist vorüber. Der Morgen dämmert herauf. Einneuer Tag beginnt. Der Vater denkt an seinen Weinberg,der so groß ist wie die Welt. »Mein Sohn, geh und arbeiteim Weinberg!« Und der sagt: »Nein, das fällt mir nicht ein.Nein, gewiß nicht, das würde mir gerade noch fehlen.Nein, selbstverständlich nein, das ist doch keine Arbeit füreinen jungen Menschen.«

Also ein klares, deutliches, unüberhörbares Nein, so wiewir es von der Dame an der Haustür hören, die vom Pfarrerzum 70. Geburtstag besucht wird: »Nein, danke für IhrenBesuch, aber ich brauche keinen Gott!« Oder so, wie wir esin einem Brief lesen können: »Ich will mit dem Gott nichtsmehr zu tun haben, den mir meine Mama mit jedem LöffelBrei in den Mund stecken wollte.« Oder so, wie es in der»Internationalen« klingt: »Es rettet uns kein höheres We-sen, kein Gott, kein Kaiser, kein Tribun.«

»Und der Sohn antwortete dem Vater: Nein!« Unddann - ging er doch hin. Es reute ihn. Er drehte um. Sei-

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ne Antwort hat ihm leid getan. Der Neinsager ist zumJatuer geworden, genau wie der Zöllner Zachäus, derdie Leute nach Strich und Faden ausnahm und dann aufeinmal mit seinem Geld eine Steuerrückzahlungsaktionin Szene setzte, die den Leuten den Atem verschlug.Oder genau wie die namenlose Dame, die im dunklenGewerbe ihr Geld verdiente und dann auf einmal eineSalbung des Herrn veranstaltete, die die Pharisäer aufdie Palme brachte. Oder genau wie viele kaputte Typen,die sich keinen Deut um Gott und die Welt scherten unddann auf einmal umkehrten und ein anderes Leben be-gannen.

Das ist das Wunder der Buße, das immer wieder dortpassiert, wo Menschen sich ihres Vaters erinnern. Nichtsist in unserem Leben eben so, wie es ist. Jeder kann sei-nem Leben einen neuen Dreh geben. Der Vater spielte janicht die beleidigte Leberwurst und wollte von seinemTrotzkopf nichts mehr wissen. Nein, er freute sich andiesem Spätheimkehrer und nahm seinen Dienst gernean. Für das Ja ist es nicht zu spät. Heute kann aus demNeinsager ein Jatuer werden, der ins Reich Gotteskommt.

Hand

Frau Potiphar wollte mit einer kleinen Romanze etwaszündeln, ein bißchen Glut entfachen, neue Wärme in ihrLeben bringen. Vielleicht könnte eine kleine Liebelei dergroßen Liebe wieder aufhelfen. Ein Seitensprung mußdoch dem Glück auf die Sprünge helfen. Und so nützte

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dieses aalglatte Weib einen günstigen Moment, um nachdem jungen Joseph zu greifen: Leg dich zu mir!

Aber er weigerte sich. Nicht: Er wollte nicht. JosephsBlut kochte genauso wie unser Blut, wenn es Schlangendarauf anlegen, uns zu umringen. Er war kein Frauenver-ächter. Josephs Augen waren genauso geblendet wie unse-re Augen, wenn wir schmutzige Illustrierte und gemeineWerbespots anschauen. Joseph war kein Tugendbold. Jo-sephs Ohren waren genau so geschmeichelt wie unsere Oh-ren, wenn uns einer zuflüstert: Du bist attraktiv!

Joseph war kein Bravourstück männlicher Standfestig-keit. Natürlich wollte er, so wie jeder junge Mann will, aberer weigerte sich. Er riß sich los. Er haute ab. Das war derschwerste Kampf, den er gegen sich selbst führte. Sein Ge-wand blieb als Beweisstück in den Händen der Schlange. Ersetzte nicht nur seinen Job, nicht nur seine Karriere, ersetzte sein ganzes Leben aufs Spiel. Lieber mit Gott im Ge-fängnis als ohne ihn ein high life. Lieber mit Ehren im Knastals ehrlos in schwülen Salons. Lieber schutzlos als gottlos.

Das meint Jesus, wenn er sagt: »Wenn dich deine rechteHand verführt, so hau sie ab!« Es gibt keinen Platz, wo wirwind- und wettergeschützt unseren Glauben leben könn-ten. Überall hören wir jene schmeichelhafte Stimme: Legdich zu mir. Mach dir nichts draus! Und Jesus sagt: Du ge-hörst mir. Wer zum Subjekt Gottes befördert worden ist,läßt sich nicht mehr zum Objekt der Menschen degradie-ren. Wer zum Kind Gottes geadelt wurde, ist sich als Lie-besknecht oder Schmusekatze zu schade. Die losgerisseneHand war Josephs Glück.

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Vorsätze

Gute Vorsätze sind nützlich. Ich wollte ein vorbildlicherVerkehrsteilnehmer sein. Jedermann sollte erkennen, wiegroßartig ich mich auf der Straße bewege. Verkehrssünder -ich nicht!

Mit meinem Wagen hielt ich mich an die 50-km-Marke.Jede Oma winkte ich freundlich über die Straße. KeinemHund schnitt ich die Vorfahrt. Und dann fuhr ich mit mei-nem randvollen Familienbus über den Albplatz. Plötzlichzuckte ein Blitz. Im Auto wurde es taghell. »Was war das?«schrie die Brut. Ich wurde schulmeisterlich. »Lernt ihr dennüberhaupt nichts mehr in der Schule? Ein Erstklässler weißdas schon. Das war ein Wintergewitter. Zusammenprallvon verschieden temperierten Luftmassen. Ein Blitz ausheiterem Winterhimmel.«

Aber vier Wochen später schlug der Blitz ein, als einStrafzettel über 100 Mark ins Haus flatterte: Bei Rot überdie Ampel. Ich wurde blitzwütend über dieses Geblitze derPolizei, aber es nützte nichts. Trotz aller guter Vorsätzeblieb ich der alte Verkehrssünder, der immer wieder er-tappt wird.

Immer bleiben wir der Sünde, dem alten Schlendrian inuns treu, egal was wir uns vornehmen. Der Teufel machtsich einen Spaß daraus, uns mit hämischem Grinsen jeneBilder unter die Augen zu halten, die er von uns geblitzthat: Den hast du geschnitten. Die hast du überfahren. Jenehast du in den Graben gedrückt. Klare Gebote glatt miß-achtet!

Wir wären verloren, wenn, ja wenn nicht über dieserWelt noch ein ganz anderes Licht aufgegangen wäre. Vondem auferstandenen Christus heißt es: Seine Gestalt warein Blitz, heller als tausend Sonnen, nicht mehr in Watt

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oder Lumen anzugeben, ein gleißendes Licht. Und diesesLicht ist so hell, daß es alle Bilder, die der Teufel von unsschießt, glatt überlichtet. Im Lichte Jesu ist keine Sündemehr zu erkennen.

Deshalb gibt es nur einen Vorsatz, der uns helfen kann!»Suche Jesum und sein Licht, alles andere hilft dir nicht.«

Hammer

Mitten auf der Landstraße galoppierte er. Als Abwehrspe-zialist wollte er seine Razzia gegen die Christensekte bisnach Damaskus ausdehnen. Saulus hatte seinen Kopf in denNacken geworfen - und auf einmal war er selbst vom Pferdgeworfen. »Saul, Saul, was verfolgst du mich?« Dieses Worttraf ihn wie der Hammer. Er taumelte, verlor jede Orientie-rung, stürzte vom hohen Roß und blieb im Staub liegen.Nicht nur seine freche Stirn war getroffen, nicht nur seinGroßmaul war gestopft, auch sein felsenfestes Herz war imEimer. Das Wort hatte durchschlagende Wirkung. Knappaußerhalb Ortsetters lag ein Wrack, ein Trümmerhaufen,ein Totalschaden des alten Menschen.

Seither hat diese Wirkung nicht nachgelassen. GottesWort holt uns von jedem hohen Roß. Der eine sitzt auf sei-ner Vernunft, die Maß- und Richtschnur für ihn ist. Der an-dere trabt mit einer Frömmigkeit daher, die fadenscheinigund zerschlissen ist. Der dritte sitzt fest im Sattel derRechtschaffenheit, die recht tut und niemand scheut. Dervierte reitet die alte Tour, daß Religion Opium des Volkessei. Alle miteinander sind wir stolze Reiter, die gerne denKopf hoch tragen. Deshalb trifft uns Gottes Wort auf denKopf.

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Wer Gottes Wort wirklich hört, der taumelt und stürzt.Wer Gottes Wort wirklich versteht, der ist am Boden. WerGottes Wort wirklich spürt, der gehört zum alten Eisen.Verspüren wir nichts von dieser Gewalt, dann ist zu fragen,ob wir das Wort Gottes wirklich schon vernommen haben.Ein Gott, der uns weiterträumen ließe, wäre nicht der le-bendige Gott. Paulus stammelte: »Ich elender Mensch.«Andere klagten: »Ich zerschlagene Kreatur.« Vielen kam esüber die Lippen: »Ich bin am Ende.« Und wenn wir auchanfangen, die ganze Bibel zu lesen und nicht nur ein paarLieblingsverse, verstehen wir Kierkegaard, der gesagt hat:»Menschen von solchem Kaliber, die das aushalten, werdennicht mehr geboren.« Erst total geschädigte Menschenkönnen dann auch das andere begreifen: »Ist jemand inChristus, so ist er eine neue Kreatur.«

Fliegen

Irgendwo habe ich jene kleine Geschichte gelesen, die ichweitererzählen will. Ein Mann fing im Wald einen jungenAdler, brachte ihn heim und steckte ihn in den Hühnerstall.Dort lebte er wie ein Huhn. Dort fraß er wie ein Huhn.Dort stritt er wie ein Huhn. Der König der Lüfte war kleinund häßlich geworden.

Und dann kam ein Besucher auf den Hof, sah das Tierhinter dem Maschendraht und sagte: »Der Vogel dort istkein Huhn, das ist ein Adler!« »Ja,« sagte der Besitzer, »duhast recht, aber ich habe ihn als Huhn erzogen, und jetzt ister kein Adler mehr, sondern ein Huhn.« Der andere schüt-telte ungläubig den Kopf, und darauf beschlossen sie, eineProbe zu machen.

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Der Besitzer holte den Adler aus dem Stall, hob ihn indie Höhe und rief beschwörend: »Adler, flieg!« Aber dasverschreckte Tier saß auf der hochgereckten Faust, blickteum sich, sah die Hühner nach ihren Körnern picken undsprang zu ihnen hinunter. »Siehst du«, sagte der Mann,»ich hab's dir gesagt, das ist ein Huhn.«

»Erlaube mir noch einen Versuch«, sagte der andere,nahm den Adler, brachte ihn hinaus an den Fuß eines ho-hen Berges. Die Sonne stieg gerade auf und vergoldete dieZinnen. Er hob den Adler und sagte: »Adler, flieg!« Aberder Adler blickte um sich, zitterte und blieb sitzen. Da ließihn der Mann direkt in die Sonne schauen, und plötzlichbreitete der Vogel seine Flügel aus, erhob sich mit demSchrei eines Adlers, flog höher und höher und zog majestä-tisch davon.

Da mögen sie zu uns sagen: »Du bist doch ein armesHühnchen. Du wirst nie ein großes Tier werden. Dir habensie die Gefangenenmentalität anerzogen.« Trotzdem: Er-denzwerge müssen wir nicht bleiben. Die Bibel will nichtsanderes, als uns die göttliche Sonne zeigen. An Ostern istsie endgültig aufgegangen. Auch heute steht sie golden amHimmel.

Am liebsten würde ich jeden Kopf direkt in diese Sonnehalten und sagen: »Mensch, flieg doch! Du kannst es pak-ken. Du kannst Fallwinden widerstehen, du kannst Ab-gründe überqueren, du kannst ans Ziel kommen.« »Wer aufden Herrn harrt, kriegt neue Kraft, daß er auffährt mit Flü-geln wie Adler.«

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Wenige

Ich sehe, wie die Hirten über die Hügel marschieren. DerÄlteste schreitet vorneweg, und die Jüngeren stolpern hin-terdrein. Es ist eine bescheidene Gruppe. Eins, zwei, drei,vier, fünf, mehr sind es gar nicht. Es ist eine bescheideneGruppe. Eigentlich gibt es Hunderte Hirten in der Ge-gend, aber nur eine Handvoll hat sich aufgemacht. DemRuben war es zu weit. Dem Jubal war es zu spät. Dem Ru-fus war es zu kalt. Dem Terach war es zu dumm. Es mag siegeschmerzt haben, daß nur so wenige die Botschaft ernstnahmen. Gemeinsam wäre es schöner gewesen.

Aber sie brechen auf und halten auf Bethlehem zu. Ein-sam ziehen sie ihres Weges. So wie Jesus, der mit einer klei-nen Truppe nach Jerusalem wanderte. So wie Paulus, dernur mit ein paar Getreuen über das Gebirge zog. So wie Lu-ther, der nur mit wenigen Gesellen aus seiner Kirche hin-ausmarschierte.

Wer zum Weihnachtsoratorium geht, der muß sich früh-zeitig Karten besorgen. Wer zum Weihnachtseinkauf geht,der muß sich mit starken Rippen und harten Ellenbogenwappnen. Wer zum Weihnachtsmarkt geht, der muß sichim Gedränge vor einer Glühweindusche hüten. Wer aberzur Weihnachtskrippe geht, muß sich mit einer bescheide-nen Gesellschaft begnügen. 5 im Schülerkreis, 8 im Jugend-kreis, 15 im Posaunenchor. Eigentlich gibt es Hunderte,Tausende Leute aus der Gegend, aber nur eine Handvollmacht sich auf. Den anderen ist es zu langweilig, zu muffig,einfach zu dumm. Doch, es tut weh, wenn es nur wenigesind. Gemeinsam wäre es schöner.

Aber Jesus sagt: Wenige sind es. Wenige sind es, die ge-hen. Wenige sind es, die den Weg finden. Wer den Weg nachBethlehem gehen will, der muß den Mut haben, ein einzel-

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ner zu sein, der muß um den Mut bitten, ein Einsamer zusein, der muß den Wappenspruch jener französischenAdelsfamilie tragen: »Si omnes, ego non« - wenn auch alle,ich nicht. Wenn auch alle auf dieses Kind verzichten wollen,ich nicht. Ich brauche es. Ich suche es. Ich finde es.

Flickerei

Ein glänzendes Fest. Alle haben sich in Schale geworfen.Eine piekfeine Gesellschaft. Nur einer fällt aus dem Rah-men. Er hat den alten Sabatter aus dem Schrank geholt, je-nen Frack, mit dem schon der Opa die Oma vor den Trau-altar geführt hat. Leider waren die Knie durch, die Ellbogendurchgescheuert und der Kragen abgewetzt. Aber weil dasDing saß und die Nummer stimmte, machte er sich ans Re-parieren. Aus einem neuen Stück Tuch wurden passendeFlecken geschnitten und kurzerhand daraufgenäht.

Mit diesem Hochzeiter, der mehr einem Fleckenteppichals einem Festgewand glich, erschien er bei Tisch. »Unmög-lich«, tuschelten die Tischdamen, »nichts gegen Fräcke,aber Festtagsgarderoben vertragen keine Flickerei. NeueFetzen auf einem alten Tuch sind Krampf. Was ist das fürein Mensch, der sich so unter die Leute traut?«

Jesus bezeichnet sich einmal als neues Kleid. Deshalbkann Paulus von »Jesus anziehen« oder »von ihm überklei-det werden« reden. Viele haben diesen Kleiderwechsel voll-zogen, indem sie ihren schmutzigen Alltagskittel an denNagel hängten und in Jesus hineinschlüpften. Aber manchetun es diesem Flickschuster gleich. Ihr frommes Gewandstammt aus Opas Zeiten und riecht schon nach Mottenku-geln wie ein alter Frack. Leider ist alles fadenscheinig ge-

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worden. Aber weil es so bequem sitzt und nirgends drückt,machen sie sich ans Reparieren.

Ein Fetzen der Friedensbotschaft Jesu und ein Eckchender Bergpredigt Jesu und ein Lappen der FreiheitsbotschaftJesu wird herausgeschnitten und kurzerhand auf das alte,fromme Mäntelchen aufgenäht. Ein Stück von Jesus, we-nigstens so groß wie ein Herzchen oder ein Friedenstäub-chen, möchte jeder gerne haben. Und mit diesem Flecken-teppichglauben erscheinen sie bei Tisch.

Aber der Tischherr Jesus will das vom Tisch haben. DasFesttagsgewand soll neu sein. Er bietet es an. Der Glaubeverträgt keine Flickerei, und der Glaubende darf keinFlickschuster sein. Jesus will uns so einkleiden, daß wir unssehen lassen können.

Mund

Wohl war er nie auf den Mund gefallen. Sein Meister litt im-mer wieder an seinem fixen Mundwerk. In Gethsemane be-kam er sogar eins auf seine große Klappe, als er mit dem Sä-bel wild durch die Gegend fuchtelte. Aber im Hof des ho-hepriesterlichen Palastes wurde er ganz klein und mickrig.Nicht einmal vor der Magd mit dem Putzeimer wagte er einwahres Wort. »Ich kenne diesen Typ nicht«, so hat er ge-sagt.

Genau dieser feige, verängstigte Petrus aber steht amPfingstmorgen vor der Menge und sagt den Leuten ins Ge-sicht: »Diesen Jesus, den ihr gekreuzigt habt, hat Gott zumHerrn und Christus gemacht.«

Welchen Mut hat sich dieser Mann angetrunken, solcheWahrheit vor der ganzen Menge vom Stapel zu lassen? Wel-

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che Ego-Behandlung hat er durchgemacht, solche Wahr-heit unverblümt erbosten Menschen entgegenzuhalten?Welche seelischen Klimmzüge hat er fertiggebracht, solcheWahrheit ohne Rücksicht auf Verlust an die Öffentlichkeitzu bringen?

Nichts von alledem. Das war kein Mannesmut und kei-ne Therapie und kein Klimmzug, sondern das Wunder desHeiligen Geistes, der einen schwachen Menschen zumZeugen seiner Sache bestellt. Immer ist das so, daß dieserGeist Leute befähigt, in aller Schlichtheit und Direktheitweiterzusagen: Jesus ist Christus!

Es lebt keiner, dem der Heilige Geist nicht die Zungelupfen will: dem Jugendleiter, der die Andacht bei derGruppenstunde gestrichen hat, dem Schüler, der in derKlasse zu allem ja und amen sagt, dem Azubi, der an derWerkbank mit den Wölfen heult, dem Zeitgenossen, dersich lieber die Zunge abbeißt. Aus stummen Leuten sollenfröhliche Zeugen werden, die den Mund nicht mehr haltenkönnen über diese Botschaft: Jesus ist Christus.

Blaulichtaktion

Abschied auf dem Berg. Keine Dankadresse für geleisteteArbeit. Keine Kapelle mit dem großen Zapfenstreich. KeinHändedruck und ein paar Krokodilstränen. Jesus beför-dert nie in den Ruhestand, sondern setzt neu in Marsch:»Gehet hin, lehret sie halten alles, was ich euch befohlenhabe!«

Jesus sagt also zu den Elf nicht: Ihr müßt analysieren,wie sich die Dinge nach meinem Weggang entwickeln. Ihrmüßt dialogisieren, wie sich Wahrheitsmomente des Kai-

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serkultes in eure Religion einbauen lassen. Ihr müßt disku-tieren, ob Mission überhaupt noch dran ist.

Aber Jesus sagt: Proklamiert, alarmiert, missioniert! Re-det, taufet, lehret! Glaube ist doch keine Privatsache oderAnsichtssache oder Geschmacksache, sondern Eilsache.Warum?

Nehmen wir an, ein Mann stürzt in den Strom. Hilflostreibt er in den Wellen. Nur noch eine kurze Zeit trennt ihnvom sicheren Tod. Dann taucht ein Helfer am Ufer auf.Wird er analysieren, wie giftig das Wasser ist? Wird er dia-logisieren, wie sich Erfahrungsmomente eines Ertrinken-den bei einem Ufergänger verarbeiten lassen? Wird er dis-kutieren, ob jetzt Rettung überhaupt dran ist? Nein, erwird ein Seil hineinwerfen und rufen: Halt dich fest!

So sind Menschen in den Strom der Sünde gestürzt, dersich ein breites Bett durch unsere Welt gerissen hat. Hilflostreiben sie in den Wellen. Nur noch eine bemessene Zeittrennt sie vom ewigen Tod. Können wir denn anders, alsmit der Taufe das Seil der Liebe Gottes hineinwerfen undden Mund auftun: Halt dich fest! Der du keinen Bodenmehr unter die Füße bekommst: Halt dich fest! Der du vorlauter Aufgaben nur noch schwimmst: Halt dich fest! Derdu im Strudel der Ängste nach unten gezogen wirst: Haltdich fest!

Wenn Jesus sagt: Lehret sie halten, dann heißt das zu-erst: Lehret sie festhalten. Es gibt eine Chance, dem Sogzu entkommen. Das Seil der Liebe Gottes ist in Jesus Chri-stus geworfen. In der Taufe wird es handgreiflich. Weil Je-sus befiehlt: Lehret sie halten, deshalb können wir denMund nicht mehr halten. Mission ist Blaulichtaktion zurRettung der Menschen.

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Bürgerschaft

Wenn ich in London geboren bin, dann habe ich die engli-sche Staatsbürgerschaft. Wenn ich in Marseille geboren bin,dann habe ich die französische Staatsbürgerschaft. Undwenn ich in Jesus wiedergeboren bin, habe ich die himmli-sche Bürgerschaft dazu.

Nun lesen wir bei Nietzsche im Zarathustra: »Glaubtdenen nicht, die von überirdischen Hoffnungen reden.«

Nun lesen wir bei Goethe im Faust: »Nach drüben istdie Aussicht uns verrannt.«

Nun lesen wir bei Brecht im Galilei: »Heute ist der6.1.1610; der Mensch trägt in sein Journal ein: Es gibt kei-nen Himmel mehr.«

Wir müssen aber wieder bei den Evangelisten und Apo-steln in der Bibel nachlesen: Dort heißt es bei der GeburtJesu über dem Feld Bethlehems: »Alsbald war da bei demEngel die Menge der himmlischen Heerscharen.« Und beider Taufe Jesu am Jordanfluß wird berichtet, daß sich »derHimmel auftat und der Heilige Geist herabfuhr wie eineTaube«. Und bei der Speisung der 5000 am Seeufer lesenwir, daß »er Brot und Fische in die Hand nahm, aufsah genHimmel und dankte«. Und beim Abschied auf dem Ölberggeschah es, daß er seine Jünger segnete und auf gen Him-mel fuhr.

Jesu ganzes Leben war wie ein großer Bogen, der imHimmel begann, 33 Jahre die Erde berührte und dann wie-der in den Himmel einmündete: Wunderanfang - herrlichEnde!

Auch wenn es kein Fernglas gibt, das diesen Ort ausma-chen könnte, auch wenn es keinen Raumflug gibt, der die-sen Ort erreichen könnte, auch wenn es keine Astronomiegibt, die diesen Ort erdenken könnte, so kann uns doch

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niemand und nichts die Gewißheit nehmen, daß es einenHimmel gibt, ein Aufatmen nach allen Kämpfen undKrämpfen, ein Aufschnaufen nach Mühen und Lasten, einAusruhen daheim beim Vater. Jesus ist der Garant dafür,daß dies stimmt: Unsere Bürgerschaft ist im Himmel.

Weiß

Laodicea war Einkaufsstadt. B azare, Kaufläden, Shopsreihten sich eng aneinander. Angebote gab es in Hülle undFülle. Aber der Renner auf dem Markt war die »Trimata«,ein baumwollenes Obergewand, das die Modeboutiquenzu gesalzenen Preisen anboten. Die rund um die Stadt wei-denden Schafe lieferten die tiefschwarz glänzende Wolle,und die in der Stadt ansässige Industrie fertigte den mo-disch teuren Stoff. Deshalb waren die Tweens in schwarzgestylt und die Snobs in schwarz gekleidet und die Ladys inschwarz gehüllt. Jeder war heiß auf dieses Schwarz.

Und an die Türen dieser Modebewußten klopft einer.Unaufdringlich packt er seinen Stoff aus: »Weiß, das jedempaßt. Weiß, das jedem steht. Weiß, das jeden festlich klei-det. Ich rate dir, kauf bei mir!«

So sagt es der Herr, weil kein noch so teurer und schik-ker Stoff unsere Sünden zudecken kann. Trotz Brokat sindwir vor Gott nackt. Trotz englischem Tuch sind wir vorGott bloß. Trotz Samt und Seide sind wir vor Gott totalaufgedeckt. Es gibt keine Kreation, hinter der wir uns ver-stecken könnten.

Dieser Herr will uns nicht unbekleidet stehen lassen. Sowie der Pharao den Joseph mit kostbarer Leinwand einklei-dete, so wie ein Belsazar den Daniel mit reinem Purpur

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ausstattete, so wie der Vater den verlorenen Sohn mit dembesten Kleid herausputzte, so bietet er jedem das weißeKleid der Gerechtigkeit an. Im Blut des Karfreitags ist esgewaschen, im Licht des Ostertags gebleicht, im Glanz desHimmelfahrtsfestes strahlend hell geworden.

Dieses Weiß paßt jedem, weil es unserer Natur angepaßtist. Dieses Weiß steht jedem, weil es als Deckweiß unsereschändlichen Stellen zudeckt. Dieses Weiß kleidet jedenfestlich, weil nur diese Farbe beim letzten Abendmahl zu-gelassen ist. Keiner soll am Schluß ausgeschlossen sein,deshalb klopft er an unsere Tür: »Ich rate dir, kauf beimir.«

Rechnen

Eine junge Frau wartet auf ihr erstes Kind. Sollte Kinderlo-sigkeit auch ihr schweres Schicksal sein? Dann eröffnet ihrder Arzt, daß sie guter Hoffnung sei. Die schweren Ge-danken sind wie weggeblasen. Eine neue Sicht tut sich vorihr auf. Und wenn nach neun Monaten die schweren We-hen einsetzen, mit was rechnet sie dann? Doch nicht mitdem Ende ihres Lebens, sondern mit dem Anfang einesneuen Lebens. Ihre Freude ist nicht mehr zu bremsen. We-hen sind Vorzeichen, nicht Warnzeichen.

Oder ein verschütteter Arbeiter wartet auf seine Befrei-ung. Sollte schon in der Mitte des Lebens das Ende ge-kommen sein? Dann hört er Raupenbagger und Hammer-schläge. Eine gewaltige Hoffnung keimt in ihm auf. Undals nach weiteren Stunden Steine von der Decke bröckeln,mit was rechnet er dann? Doch nicht mit dem Ende seinesLebens, sondern mit dem Anfang eines neuen Lebens. Sei-

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ne überschäumende Freude ist nicht mehr zu stoppen.Steinschläge sind Vorzeichen, nicht Warnzeichen.

So ist das mit den Christen auch. Zeitlebens warten sieauf die Erlösung. Sollte die Gefangenschaft in Leid undSchuld wie ein ewiges Gewinde in unser Leben eingeschlif-fen sein? Dann erleben wir Katastrophen globalen Ausma-ßes. Das Herz pocht merklich höher. Der Welthorizont istmit einem Schlag verändert. Und wenn dann Kriege undKrisen und Zweifel und Verzweiflungen kommen, mit wasrechnen wir dann? Doch nicht mit dem Ende unseres Le-bens, sondern mit dem Anfang des neuen Lebens. Die allesüberschwemmende Freude ist nicht mehr aufzuhalten.Schrecken sind Vorzeichen, nicht Warnzeichen.

Notorische Schwarzmaler können biblisch nicht auf dreizählen. Verbiesterte Apokalyptiker sind immer schonSchwachmathikusse gewesen. Lärmende Unheilsprophe-ten haben von der Mathematik des Reiches Gottes keinenblauen Dunst. Rechnet schlicht und einfach mit demkommenden Herrn, denn wer mit ihm rechnet, verrechnetsich nie.

Zelt

Kanaan - was für ein Landstrich! Im Norden der See, imSüden das Meer, östlich und westlich fruchtbare Felder undAuen. Wirklich ein Land, in dem Milch und Honig fließen.Und dort, nach langen Irrungen und Wirrungen, kommtAbraham an, der Ausländer auf Befehl.

Natürlich fängt er an zu bauen, so wie alle Einwandererzu bauen beginnen. Aber was baut er? Einen Stall für dasVieh, eine Scheune für das Futter, ein Dach für die liebe

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Verwandtschaft - oder gar eine Schule für Analphabeten,ein Spital für Leprakranke, ein Entwicklungszentrum fürArbeitslose?

Statt dessen treibt er Heringe in den Boden, spannt Seileüber den Platz und legt Teppiche darüber. Abraham bautein Zelt, und Abraham wohnt im Zelt. Kein QuadratmeterErde ist sein Eigentum. Abraham ist Zelter, Camper, Frem-der, so wie es der auch ist, von dem berichtet wird, daß erim Gegensatz zu Füchsen und Vögeln keine Grube undkein Nest gehabt habe. Jesus hatte nichts, wo er seinenKopf hinlegen konnte. Am Schluß setzten sie ihn in einemgeliehenen Grab bei.

Über das Fremdsein, Campersein, Zeltersein kommenwir nicht hinaus. Unser Haus, das wir mit Schweiß gebauthaben, ist Zelt, das wir verlassen müssen. Unsere Woh-nung, die wir so toll eingerichtet haben, ist Zelt, das wirhinter uns lassen müssen. Unser Leben, das wir mit Stolzpräsentieren, ist Zelt, das wir einmal verlieren. »Ich weiß,daß ich meine Hütte bald verlassen muß«, weiß Petrus.Wissen wir das auch?

Wo sind unter uns die fröhlichen Fremden, die in dieserWelt nicht mehr wollen als zwei Quadratmeter fürs Grab,weil sie außer Gott von keinem Glück wissen wollen? Wosind unter uns die getrosten Camper, die in diesem Lebennicht mehr wünschen als einen Standplatz, weil sie sich beiGott eine ewige Wohnung versprechen? Wo sind unter unsdie zuversichtlichen Zelter, die auf dieser Erde nicht mehrbeanspruchen als einen Mietvertrag auf Zeit, weil sie mitder Ewigkeit rechnen?

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Klugheit

»Hallo Konrad«, sagte die Stimme am Telefon: »Du erin-nerst dich an Johannes und Birgit?« Und wie ich mich erin-nerte: Traumhochzeit mit Riesenfete. »Du weißt auch, daßsie Zwillinge erwarteten?!« Natürlich wußte ich von die-sem großen Geheimnis, Kinderglück im Zweierpack.»Heute nacht sind sie geboren, zwei süße Mädchen, beidetot.« Die Stimme am Telefon versagte.

Wir mögen erst 9 Monate sein und die Sonne noch garnicht gesehen haben, wir mögen erst 15 sein und nochfeucht hinter den Ohren, wir mögen erst 30 sein und le-benslustig wie ein junger Hund: »Dieser Tag ist der ersteTag vom Rest deines Lebens.« Shakespeare hatte recht:»Nur Frist und Zeitgewinn ist unser Leben.« Wir sind nurzurückgestellt vom Sterben. Wir sind nur Urlauber vomTod. Nichts ist so sicher wie der todsichere Tod.

Klugheit ist nicht dann, wenn ich im Abitur 14 Punkteschreibe. Das ist Begabung. Klugheit ist nicht dann, wennich auf Anhieb den Führerschein schaffe. Das ist Glücksa-che. Klugheit ist dann, wenn ich weiß, wie mein letztesHemd aussieht. »Lehre uns bedenken, daß wir sterbenmüssen, auf daß wir klug werden.«

Nun aber ist Jesus nicht im Grab geblieben. Am drittenTag jagte er die Objektschützer davon. Er stand mitten un-ter ihnen und sagte: »Ich lebe, und ihr sollt auch leben.«Seit Ostern hat die Todeswand ein Loch. Seit Ostern ist derTod tödlich verwundet. Seit Ostern geht es durch den Todzum Leben.

Ein Christ weiß: Mein letztes Outfit ist kein Sterbe-hemd, sondern das weiße Kleid, das Jesus einmal seinenLeuten überstreifen wird. Ein Christ kann wegen des Auf-erstandenen hoffen.

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Nichts

Petrus ist vom Fach. Das Fischen ist ihm nicht fremd. Des-halb geht er nicht ans Wasser, taucht einen Eimer unter undruft über den See: »Auf geht's! Betätigt eure Kiemen! Be-wegt eure Flossen! Alle Fische hierher!« Fische gehorchennicht aufs Wort. Wer sie haben will, darf nicht am sicherenUfer bleiben und kommandieren, sondern muß hinaus aufdie hohe See und fangen.

So wie Petrus und seine sechsköpfige Crew, die das Bootbesteigt, die Ruder betätigt, die Wellen kreuzt und dasNetz auswirft. Und dann ist kein einziger Hering darin. Al-le Fische sind durch die Maschen gegangen.

Das ist die schmerzliche Erfahrung des leeren Netzes,die auch Menschenfischern nicht erspart bleiben wird. ZumBeispiel Pfarrern und Mitarbeitern. Sie sind vom Fach. DasPredigen und Unterrichten ist ihnen nicht fremd. Deshalbwerden sie nicht auf der Kanzel oder auf dem Podium blei-ben und ihren jungen Leuten zurufen: »Auf geht's! Bestä-tigt eure Taufe! Bewegt eure Herzen! Alle Teens und Twenshierher!« Aber sie gehorchen nun einmal nicht aufs Wort.Wer sie haben will, darf nicht kommandieren, sondern mußziehen. Draußen, auf den schlagenden Wellen von Zeit undMode, wollen sie gefangen sein. Aber mit sechzehn oderzwanzig sind sie ganz weggetaucht. Junge Leute sind durchdie Maschen gegangen.

Wir können es noch so gut gelernt haben, wir können esnoch so geschickt anfangen, wir können es noch so perfektzu Ende bringen, immer wieder ist alle Kraft und alle Müheund aller Schweiß umsonst. Auch die schmerzliche Erfah-rung des leeren Netzes gehört zur Wirklichkeit des Glau-bens, die uns vor allem jenen Satz neu buchstabieren lehrt:»Ohne mich könnt ihr nichts tun.« Ohne mich könnt ihr

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nichts fangen. Ohne mich könnt ihr nichts bringen. OhneJesus ist alles nichts.

Findling

Der Findling ist ein Fundstein, ein unförmiger Block, sowie wir ihn waggonweise auf Geröllhalden und in Stein-brüchen finden. Sagenerzähler behaupten zwar, daß solcheBrocken einmal Wurfsteine der Riesen oder Schleuderstei-ne des Teufels gewesen seien, aber Geologen wissen, daß esTeile der Schöpfung sind. Der Findling ist tot und hart undwertlos, so wie es nur ein Stein sein kann.

Findlinge sind übrig - bis zu dem Tag, an dem einer auf-taucht, dem Steine nicht egal sind. Der sucht einen herausund säubert ihn von allem Dreck. Dann behaut er ihn mitkräftigen Schlägen und gibt ihm eine lebendige Struktur.Schließlich bringt er ihn auf das Maß, das diesem Stein an-gemessen ist. Der Findling ist nicht wiederzuerkennen.

Auch der Mensch findet sich haufenweise auf dieser Er-de. Auch wenn manche behaupten, daß er nur vom Schick-sal an Land gespült worden sei, so wissen wir: Der Menschist Teil von Gottes Schöpfung. Aber von Natur aus ist er totund hart und wertlos wie ein Stein. Der Mensch ist übrigbis zu dem Tag, an dem einer auf dem Feld auftaucht, demMenschen nicht schnuppe sind. Der sucht einen heraus,säubert ihn liebevoll von allem Sündendreck. Warum ver-wechseln wir diesen Sammler immer wieder mit einemSchinder?

Dann behaut er ihn mit kräftigen Schlägen und gibtihm eine eigene, unverwechselbare Struktur. Warum ver-wechseln wir solche Krankheitsschläge, Lebenskrisen oder

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Berufsnöte mit unverständlichen Schicksalsschlägen, dieder liebe Gott nicht zulassen darf? Calvin hat gesagt:»Es ist deine Hand, die mich schlägt.« Meine Niederge-schlagenheit - es ist deine Hand! Meine Traurigkeit - esist deine Hand!

Schließlich bringt Jesus den Menschen auf das Maßdes Kreuzes. Seine Maßnahmen in unserem Leben sindMaßnahmen am Kreuz, die jeden Menschen so bilden,daß er nicht wiederzuerkennen ist.

Lohn

Lohn ist kein unbiblischer Begriff. Die Entlohnung kannnicht unter den frommen Teppich^ gekehrt werden. DieFrage der Bezahlung i'st auch beim Christsein eineHauptfrage. »Jeder Arbeiter ist seines Lohnes wert.«Dieses Wort Jesu gilt.

Nur kann der Lohn nicht darin bestehen, daß der Ar-beiter 18 Mark pro Stunde auf die Hand bekommt. Un-ser Herr zahlt nicht in DM, auch nicht in Dollars, erstrecht nicht in holländischen Gulden oder dänischenKronen, sondern in »unvergänglicher Krone der Herr-lichkeit«. Das ist die himmlische Währung, die keinerKursschwankung unterworfen ist.

Wer sie kennenlernen will, der schaue bitte nicht nachden Kronen von Siegern, Königen oder Kaisern, son-dern nach der Krone des Herrn. Sie ist nicht aus Goldgearbeitet. Sie ist nicht aus Platin getrieben. Sie ist nichtmit Edelsteinen besetzt. Nein, aus Dornen ist sie gear-beitet. Aus Dornen ist sie geflochten. Mit Dornen ist siebesetzt. Die Krone Jesu ist eine Dornenkrone. Eine an-

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dere können und dürfen wir auch nicht erwarten.Das Material, mit dem er uns krönen will, ist dornig.

Aber unter seinen Händen wandelt es sich zum unver-gleichlichen Schmuck.

So kommt es, daß unsere Niederlagen, die wir erleben,nicht dornige Erfahrungen bleiben, sondern goldenes Ma-terial der Krone werden. So kommt es, daß unsere Enttäu-schungen, die wir erleben, nicht dornige Erlebnisse blei-ben, sondern goldenes Material der Krone werden. Sokommt es, daß unsere Rückschläge, die wir erleben, nichtdornige Widerfahrnisse bleiben, sondern goldenes Materi-al der Krone werden.

Nichts ist so dornig, als daß es nicht zum goldenen Ma-terial werden könnte. Die Wandlung der Dornen in dieKrone ist der Lohn dieses Herrn. Am Tag seiner Erschei-nung wird auch noch dem Letzten dämmern: »Er gibtmehr Lohn, als man erwarten kann, kein kühler Trunk istunvergolten geblieben. Er gibt dafür die ganze Segensflut.Der Herr ist gut.«

Wasserzeichen

Wir kennen ihn doch: Jona im Schiff. Auf einmal kommtSturm auf. Wasser schlagen über Bord. Segel zerfetzen imWind. Die Angst geht um wie ein Gespenst. Und immer,wenn die Angst umgeht, wird nach dem Schuldigen ge-sucht. Der Kapitän kann wirklich nichts dafür, daß derKahn so wackelt. Und die Matrosen sind völlig schuldlosan dieser Misere. Und der Zahlmeister wäscht seine Händein Unschuld. Aber Jona ist schuld. Jona ist verantwortlich.Jona ist der Sündenbock. Die Besatzung macht kurzen

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Prozeß. Rohe Hände fassen zu und werfen ihn über Bord.Dann ist von Jona nichts mehr zu sehen.

So wie bei Jesus. Er ist auf dem Meer der Zeit. Auf ein-mal kommt Sturm. Menschen blähen sich auf. Seine Hautzerfetzt unter den Peitschenhieben. Die Angst geht um unddamit die Suche nach dem Schuldigen. Der Hohepriesterkann wirklich nichts dafür, daß das Volk so tobt. Und dieHohenpriester sind völlig schuldlos an diesem Desaster.Und Pilatus wäscht seine Hände in Unschuld. Aber Jesusist schuld. Jesus ist verantwortlich. Jesus ist der Sünden-bock. Die Menschen machen kurzen Prozeß. Rohe Händefassen zu und nageln ihn fest. Dann ist von Jesus nichtsmehr zu sehen.

Wir möchten gern Jesu Erhöhung sehen und erleben sei-ne Erniedrigung. Wir möchten gern seine Aktion sehenund erleben seine Passion. Gott führt in die Tiefe, das istdas Wasserzeichen: Gott führt in die Tiefe!

Nicht jeder wird diesen schwersten Weg antreten müs-sen, aber für jeden gilt: »Nur wer sein Leben verliert, derwird es finden.« Wenn also Wellen hochgehen und wir die-se Sturmzeichen fürchten, so können wir wissen: nichtSturmzeichen, sondern Wasserzeichen. Und wenn Schmer-zen kommen und wir vor diesen Krankheitszeichen zit-tern, so können wir wissen: nicht Krankheitszeichen, son-dern Wasserzeichen. Und wenn Kräfte schwinden und wirvor diesen Todeszeichen erschrecken, so können wir wis-sen: nicht Todeszeichen, sondern Wasserzeichen. Gottführt in die Tiefe - aber auch wieder heraus.

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Glück

Nachtstunden im Gefängnis sind lang. Paulus dachte anmorgen. Vor ihm stand seine Gemeinde. Er hatte von Pre-digern gehört, die sich darüber ins Fäustchen lachten, daßdieser unbequeme Apostel und vielgerühmte Prediger ausdem Verkehr gezogen und auf Nummer Sicher gesetztwurde. Nun konnten sie ihr eigenes, frommes Süppchenkochen und sich selbst ins rechte licht setzen.

Wie wird es weitergehen? Vor Paulus stand seine Ge-sundheit. Er hatte schon lange diesen Schmerz im Leib, dernicht nachlassen wollte. Es gab bisher weder Diagnose, ge-schweige denn eine Therapie, die ihm Linderung verschaffthätte. Wie wird es ausgehen?

Und Paulus denkt nicht: Das wird schon werden. DieGemeinde kommt wieder ins Lot. Die Gesundheit wirdsich stabilisieren. Paulus denkt anders. Es wird nicht allesnach meinem Wunsch, aber nach seinem Heil ausgehen. Eswird nicht alles nach meinem Kopf, aber nach seinem Wil-len weitergehen. Es wird nicht alles gut, aber es wird heilwerden.

Der Todeskandidat bekommt keine Garantie für einschmerzfreies Leben in Freiheit, aber die Gewißheit: Dermorgige Tag ist mein Glück. Rückkehr oder Verbannung,Krankheit oder Gesundheit, Freispruch oder Todesurteil:»Es kann mir nichts geschehen, als was er hat ersehen, undwas mir nützlich ist.« Auf jeden Fall wird es zum Heil aus-gehen.

Wir hätten es gerne schriftlich, daß das Kirchenschiffleinauf keinen Fall in stürmische Gewässer gerät. Wir hätten esgerne schwarz auf weiß, daß der umbetete Kranke auf je-den Fall die volle Gesundheit wieder zurückerhält. Aberdiese Garantieerklärung gibt es nicht. Sie würde uns von Je-

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sus unabhängig machen. Christen bekommen die Gewiß-heit: Es wird alles heil werden.

Und wenn die Gemeinschaft der Heiligen sich sehr un-heilig bekriegt: Es wird alles heil werden. Und wenn dieSchmerzen immer stärker und die Lasten immer schwererwerden: Es wird alles heil werden.

»Um mich habe ich mich ausbekümmert«, hat Zinzen-dorf gesagt. Auch der morgige Tag, egal was er an Rätselnund Ungereimtheiten bringen mag, wird mein Glück sein -wenn Christus mein Leben ist.

Ordination

Nur wer in der Wüste war, weiß, was Hitze ist. Alle ande-ren machen sich keine richtige Vorstellung. Nur wer in derArktis war, weiß, was Kälte ist. Alle anderen machen sichein falsches Bild. Nur wer auf dem Meer war, weiß, wasWeite ist. Alle anderen machen sich irgend etwas vor. Undnur wer in der Trübsal war, weiß, was Trost ist. Alle ande-ren haben keine Ahnung. Erst am Ort der Bedrängnis wirdes verstehbar: »Ich will euch trösten, wie einen seine Mut-ter tröstet.«

Aber diesen Trost hat man eben nicht nur zur eigenenTrostbedürftigkeit. Gott tröstet, damit wir trösten können.Gott ordiniert ins Trostamt.

Reden wir nicht vorschnell von sinnlosem Leiden. Spre-chen wir nicht vorschnell von sinnlosen Schmerzen.Schwätzen wir nicht vorschnell von sinnlosem Tod.

Dieses Leiden macht mich offen für die, die soviel leidenmüssen und am Ende ihrer Tragkraft sind. Jene Schmerzenmachen mich sensibel für die, die von Schmerzen gerädert

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sind und nur noch klagen können. Und gerade jener Todmacht mich hellhörig für die, die mit der Tatsache Tod nichtfertig werden.

In der Trübsal ist Resignation fehl am Platze. Dort ge-schieht Ordination zum Dienst. Niemand ist damit über-fordert.

Ein Wort sagen können wir doch auch. Einen Briefschreiben haben wir gelernt. Einen Besuch machen kostetnicht viel. Das Trostamt ist das Hauptamt im Reich Gottes,weil es uns gleichzeitig den Menschen und dem Herrnnahebringt, von dem der Prophet sagt: »Fürwahr, er trugunsere Krankheit und lud auf sich unsere Schmerzen.«

Wer darum in Zukunft Schweres und Schreckliches erle-ben muß, soll wissen: Keiner kommt umsonst in die Trüb-sal. »Haben wir Trübsal, so geschieht es zu eurem Trostund Heil«, erklärt der Apostel.

Leidensdruck ist Beauftragung. Schmerzerfahrung istEinsetzung. Depression ist Ordination in das Trostamt.

Kreuztragen

So stelle ich mir das vor. In der großen Menge war auch eineFrau, bedrückt, gebeugt, geschlagen. Ihre zweite Lebens-hälfte hatte sie sich so ganz anders vorgestellt. Viel zurück-gestellte Wünsche sollten in Erfüllung gehen. Dann tratenNervenschmerzen auf, die auch bei Nacht keine Ruhe ga-ben. Alle Mittel sprachen nicht an. Dann kam ein Ischiaslei-den hinzu, das sie wochenlang ans Bett fesselte. Eine Medi-zin dagegen war nicht gefunden. Und dann wurden Ge-schwüre am Magen entdeckt, die sich ständig vergrößerten.Ob es vielleicht Krebs ist?

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Und Jesus nimmt nicht die Schmerzen. Jesus heilt nichtdas Leiden. Jesus macht nicht mit einem Wunder den Krebsvergessen. Jesus sagt: »Wer nicht sein Kreuz trägt, der kannnicht mein Jünger sein.« Gewiß hat er zu einigen gesagt: Seisehend! Sei hörend! Nimm dein Bett und gehe heim! Auchheute wird er hie und da, in aller Stille und Verborgenheit,seine Heilandskunst demonstrieren und Kranke gesundmachen. Aber zu allen andern ist dies Wort vom Kreuztra-gen gesprochen.

Er muß hinauf aufs Kreuz, und wir sollen hinunter untersKreuz. Wer sich sträubt, reibt sich blutig. Wer sich weigert,verweigert die Nachfolge und kündigt das Christsein auf.

Es geht nicht zuerst darum, daß wir unser Kreuz wegbe-ten, sondern ihn am Kreuz anbeten und um Kraft fürsKreuztragen bitten. Dann ist Migräne nicht mehr Fluch,sondern Kreuz. Dann ist Ischias nicht mehr Schicksal, son-dern Kreuz. Dann ist jedes Elend nicht mehr Verhängnis,sondern Kreuz, von dem ich das wissen kann, was schonFranz von Sales vor 450 Jahren gewußt hat: »Gott hat diesdein Kreuz, bevor er es dir schickte, mit seinen Augen be-trachtet, es durchdacht mit seinem göttlichen Verstand, esgeprüft mit seiner weisen Gerechtigkeit, es gewogen mitseinen Händen, ob es nicht ein Millimeter zu groß und einMilligramm zu schwer sei. Und dann hat er noch einmal aufdeinen Mut geblickt, und so kommt es schließlich aus demHimmel zu dir.«

Ohrwürmer

Ein alter Organist pflegte vor Trauungen kirchenfremderPaare zu sagen: »Die wollen nur Ohrwürmer.« Dann zog er

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alle Flöten- und Schalmeienregister, setzte den Zimbel-stern in Bewegung und griff voll in die Tasten. Aus demPfeifenkasten floß förmlich der Schmalzstrom des Ave Ma-ria hinunter ins Kirchenschiff und ließ die Hochzeitsgesell-schaft in diesem Fettiegel der Seligkeit baden.

»Die wollen nur Ohrwürmer!« hätte Paulus vom stau-nenden Predigtpublikum sagen können. »Die wollen nurSchalmeientöne von lieblichen Hirten auf dem Bethlehe-mer Feld. Die wollen nur Zimbelsterne von kamelreitendenKönigen des Morgenlandes. Die wollen nur Schmalzströ-me des himmlischen Jerusalems, wo Milch und Honigfließt. Die wollen nur die Insel der Seligkeit, wo man denReigen seliger Geister tanzt.«

So war es doch. Anfangs spitzten sie die Ohren, wenn ervon einem Herrn redete, der wie ein Baby in der Wiege lag.Aber dann hielten sie sich die Ohren zu, wenn er von die-sem Herrn sagte, daß er wie ein Verbrecher am Fluchholzverendete: »Das ist Beleidigung für unsere Ohren! Das istein Skandal!«

In der Tat ist das Wort vom Kreuz kein Ohrwurm. DasEvangelium klingt nicht wie das Ave Maria in der Kirche.Die Dissonanz von Golgatha kann nicht einfach in eineHarmonie aufgelöst werden. Dieser Schrei »Es ist voll-bracht!« will nämlich durch die Ohren ins Herz.

Durch das Herz soll es uns gehen, daß die Schuld be-zahlt ist und keine unbezahlten Rechnungen mehr offenstehen. Im Herzen sollen wir es haben, daß dem Tod heim-gezahlt ist und keine Todesfurcht mehr grassieren darf. VonHerzen sollen wir es glauben, daß uns nichts mehr schei-den kann von der Liebe in Jesus Christus.

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Vergebung

Elf Brüder baten um Audienz beim großen Bruder. Derhatte ja eine steile Karriere hinter sich. Wohl hatten ihn ge-schäftstüchtige Kameltreiber auf einem ägyptischen Skla-venmarkt an den Sicherheitschef verhökert. Wohl hattedessen Lebedame dafür gesorgt, daß er hinter Schloß undRiegel kam. Aber trotzdem war sein Aufstieg nicht mehrzu bremsen. Zuerst wurde Joseph Hilfssheriff im Gefäng-nis, dann anerkannter Traumdeuter und schließlich Land-wirtschaftsminister plus Vizekanzler. So standen die ganzklein gewordenen Brüder vor dem großen Bruder.

Aber dann fingen sie nicht zu weinen an: »Joseph, wirhaben damals durchgedreht. Weißt du, die Hitze und so.Nachher tat es uns furchtbar leid. Pardon!« Sie fingen auchnicht zu heulen an: »Joseph, wir haben damals nur Kidnap-ping gespielt. Weißt du, Bubenstreiche und so. Verzeih!«Sie fingen auch nicht zu stottern an: »Joseph, wir haben da-mals Blödsinn gemacht, Ruben hat es uns gleich gesagt.Entschuldigung! «

Nein, diese Elf rissen nicht den Mund auf, sondernmachten den Mund auf: »Vergib doch deinen Brüdern dieMissetat und ihre Sünde.« Sie baten also nicht um Ent-schuldigung und Verzeihung, sondern um Vergebung. NurVergebung kann unsere Lebensgeschichte bewältigen. NurVergebung kann Schuld auslöschen. Nur Vergebungnimmt uns die Angst vor gestern.

Warum fällt uns der Gang zum andern so schwer? War-um steckt uns das Wort wie ein Knödel im Hals, das nuneinmal gesprochen werden müßte? Warum kommen wirsofort mit tausend Entschuldigungsgründen, anstatt zuunserer Schuld zu stehen?

Zugegeben, es gibt leichtere Dinge auf der Welt. Zum

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Beispiel Schuld verteilen. Der Frau ins Gesicht sagen:»Dein emanzipatorisches Gehabe paßt mir nicht!« Oderden Mann wissen lassen: »Dein autoritäres Verhalten hältkein Mensch aus!« Oder den Sohn in den Senkel stellen:»Dein undankbares Wesen ist an allem schuld.« AndereSchuld brandmarken bringt es nicht. Eigene Schuld beken-nen, darum geht es.

Durchbohren

Bestimmt hatten die Leute am Pfingstmorgen schon vielePredigten gehört, lange und kurze, ärmliche und erbärmli-che. Beim einen Mal ging das Wort weit über sie hinweg.Beim andern Mal ging das Wort zum einen Ohr herein undzum andern wieder hinaus. Beim dritten Mal ging das Wortdurch den Kopf und beim vierten Mal sogar unter die Haut.

Aber diesmal war es ganz anders. Das Wort Gottes gingdirekt ins Herz. Wörtlich heißt es: Das Wort durchbohrtedas Herz. Das war ein Blattschuß, kein Streifschuß. Doch,da wurde gelöchert. Da wurde getötet. Da wurde gemor-det. Es starb der Hochmut, der mit Gott umgeht, als sei erdie Notbremse für Krisenzeiten. Es starb der Gleichmut,der einem einredet, daß man weder Gott noch die Höllefurchten müsse. Es starb die Schwermut. Es starb alles, waseinem im Grunde das Herz schwer macht. Der Pfingsttagwurde zum Sterbetag der Schuld.

Pfingsten ist kein »lieblich Fest«, sondern ein bestürzen-des Fest, weil die Schuld absterben soll. Und Gottes Wortist das Werkzeug dazu, weil es schärfer ist als ein zwei-schneidiges Schwert.

Es will nicht nur über unseren Kopf hinwegrauschen. Es

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will nicht nur durch den Kopf geistern. Es will nicht nurunter die Haut gehen. Gottes Wort von Jesus will in unserHerz. Dort will es töten und neu machen. Aus dieser Rum-pelkammer der Schuld kann eine Wohnung seines Geisteswerden. Aus dieser Höhle der Verzweiflung kann einSchacht des Lichtes werden. Aus diesem Behälter der Hoff-nungslosigkeit kann eine Quelle des getrosten Muteswerden.

Keiner muß mit beschwertem Herzen weiterleben. Nie-mand muß mit leidendem Herzen seines Weges ziehen. Je-der kann um dieses erneuerte und getroste Herz bitten:Komm, Heiliger Geist, Herre Gott!

Gottsucher

Der reich gewordene Jakob lagert sich mit seiner Großfa-milie in den Bergen. Das war kein Camping im schönenGebirge Gilead, sondern eine Verschnaufpause auf derFlucht vor seinem Schwiegervater Laban. Schon damalsgab es Schwierigkeiten mit den Schwiegereltern, das isttröstlich. Die Liebe zu ihnen wächst mit der Entfernung.Deshalb hat er sich auch entfernt und freut sich seiner Ru-he. Nur war die Freude nicht von langer Dauer. Da kamdoch der zornerfüllte Laban den Berg heraufgeschossenund schrie: »Warum hast du auch noch meinen Hausgottmitlaufen lassen?«

Jakob verschlug es den Atem. »Vierzehn Jahre geschuf-tet wie ein Tier, dann noch als Taschendieb hingestellt zuwerden.« Das sagte er aber nicht. Höflich kam es über seineLippen: »Bitte suche, ich habe nichts geklaut.«

Dann begann die schwiegerväterliche Hausdurchsu-

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chungsaktion: Alle Zelte wurden umgekrempelt und dasganze Gepäck gefilzt. Laban fand alles, Wertsachen, Wä-sche, Wanzen, aber seinen Hausgötzen fand er nicht. Sowurde Laban der erste Gottsucher, und dieser Gottsucherhat nichts gefunden.

Das war vor rund dreitausend Jahren, aber die Labanssind nicht ausgestorben. Gottsuchen ist modern. Sie su-chen bei Nacht den Himmel ab, denn »droben überm Ster-nenzelt muß ein guter Vater wohnen«. Sie suchen am Mit-tag in der freien Natur, denn der liebe Gott geht durch denWald.

Sie suchen am Abend in der eigenen Brust, denn derEwige hat sich in uns versteckt. Sie suchen und filzen undklopfen, aber Gott finden sie nicht.

Und wenn Sie sich auch aufgemacht haben und als Gott-sucher die Augen ausgucken, dann hören Sie: Sie brauchenGott nicht zu suchen. Sie finden ihn nicht. Gott sucht Sie.Gott hat sich aufgemacht. Gott schaut sich nach Ihnen dieAugen aus. Gott ist Menschensucher. Gott schläft odersitzt oder wohnt nicht, sondern er sucht. So wie damals inEden, als er durch das Paradies ging, sein Geschöpf suchteund durch den Garten rief: »Adam, wo bist du?«, so geht erin Jesus heute durch die Welt, sucht seine Erschöpften undruft: Mensch, wo bist du? Mensch, wo lebst du? Mensch,wohin hast du dich verirrt?

Schöpfer

Die Germanen sagten: Wir stammen von Urriesen. EineKuh leckte mit ihrer warmen Zunge den Menschen aus demewigen Eis. Die Babylonier sagten: Wir stammen vom Ur-

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ei. Irgendwann zersprang ein Wunderei und brachte denMenschen zur Welt. Manche Wissenschaftler sagten: Wirstammen vom Urfeuer oder vom Urnebel oder vom Ur-schleim. Aber die Bibel sagt: Wir stammen von Gott. AmAnfang war nicht etwas, sondern jemand. »Ich glaube anGott, den Vater, den Schöpfer.«

Ein Steinhauer benötigt einen Stein, um hauen zu kön-nen. Ein Holzschnitzer benötigt ein Holz, um schnitzenzu können. Ein Kunstmaler benötigt eine Leinwand, ummalen zu können. Jeder Künstler benötigt Material für sei-ne Schöpfung. Nur der Schöpfergott benötigt nichts. Seine»Schöpfung aus dem Nichts« ist einzigartig.

Das bedeutet, daß wir kein fluchbeladenes Gen-Materi-al eines Urriesen mit uns herumtragen, das uns wie eingrausiges Schicksal bestimmt. Das bedeutet auch, daß wirkeine negativen Erbanlagen eines Ureis mit uns herum-schleppen, die uns trotz aller guten Vorsätze böse beein-flussen. Das bedeutet weiter, daß wir auf keinen Fall mitunheimlichen Urchromosomen befrachtet sind. Unserevorgeburtliche Mitgift ist einzig und allein seine Liebe.

Liebevoll hat er den Himmel geschaffen, damit wir einDach über dem Kopf haben. Liebevoll hat er die Erde ge-schaffen, daß wir Boden unter die Füße bekommen. Lie-bevoll hat er das Licht erschaffen, daß wir nicht im Dun-keln munkeln müssen. Liebevoll hat er alles installiert, da-mit wir ein Zuhause haben und nicht unbehaust vegetierenmüssen.

Das Menschengeschöpf ist eben kein unerwünschtesKind. Er hat »ja« gesagt zu unserem Dasein. Und wennmein Vater mich nicht gewollt hat, und wenn meine Mut-ter mich nicht gewollt hat, und wenn ich mich selbst nichtmehr will, dann gilt es erst recht: Gott hat mich gewollt,Gott hat mich gewünscht. Ich bin Gottes Wunschkind.

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Wir stammen von Gott, dem Vater, dem Schöpfer desHimmels und der Erden - von niemand anders.

Kind

Gott schickt nach Bethlehem ein Kind. Ist das die Möglich-keit? Dorthin müßte man eine Zeltstadt schicken, damitdie Obdachlosen ein Dach überm Kopf haben. Dorthinmüßte man das Rote Kreuz schicken, damit jemand nachden Wohnungssuchenden schaut. Dorthin müßte man eineFeldküche schicken, damit die Herumirrenden etwas War-mes in den Magen bekommen. Und Gott schickt nachBethlehem ein Kind!?

Wenn es wenigstens ein Mann wäre, der in diesemDurcheinander die Zügel in die Hand nehmen könnte!Wenn es wenigstens eine Frau wäre, die in dieser frostigenAtmosphäre mütterliche Liebe verbreiten würde. Wenn eswenigstens ein junger Mensch wäre, der anpacken und zu-packen könnte. Aber Gott schickt nach Bethlehem einKind.

Immer wissen wir ganz genau, was er uns schicken müß-te. Mit 4 Jahren wäre der Playmobilzirkus geschickt. Mit 14wäre der Ataricomputer geschickt. Mit 34 wäre der Lotto-gewinn geschickt. Und mit 64 wäre die Gesundheit ge-schickt. Gott als Weihnachtsmann für unsere tausendWünsche. Aber Gott schickt nach Bethlehem ein Kind.

Nein, kein Allerweltskind, sondern ein Kind für alleWelt. Gehen wir doch in den jämmerlichen Stall hinein,gleich hinter der Herberge. Treten wir doch an die wackeli-ge Krippe heran, gleich neben Ochs und Esel. Schauen wiruns dieses Neugeborene auf Heu und Stroh genau an. Jesus

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ist ein Gotteskind. Das Ewige kommt in unserem Fleisch.Der Allmächtige atmet unsere Luft. Der Barmherzigesteckt in unserer Haut.

Nun kann ich wissen: Gott lebt nicht hinter dem Mond.Er ist zu uns auf die Erde gekommen. Gott schwebt nichtzwischen den Sternen. Er hat all die, die ihr Glück in denSternen suchen, Lügen gestraft. Gott webt nicht an einemNew Age. Er hat die neue Zeit schon im alten Judäa anbre-chen lassen. Und deshalb fragen wir nicht mehr, was allesnoch über uns kommen könnte. Kommt Haß, kommtStreit, kommt Schrecken, kommt Krieg? Gott kommt, dasist Weihnachten. Gott schickt nach Bethlehem ein Kind.Wir können zu ihm kommen, weil er zu uns kommt. Jesusist das Gotteskind, also das echte Christkind, das auch die-ses Weihnachten zum Christfest machen kann. Gott seiDank, Gott schickt nach Bethlehem ein Kind.

Hinhören

Was für Heidelberg das Schloß und für Ulm das Münsterist, das war für Ur der Tempel des Mondgottes Nanna-Sin.Chaldäer waren Mondanbeter. Urbewohner waren Ge-stirnsgläubige. Abrahamsleute waren Sterngucker. Wennsich also abends Millionen von Sternen um den Mond her-um entzündeten, dann zogen ganze Menschenschlangenden Tempelberg hinauf und blickten ängstlich hinaus zuden kosmischen Mächten.

Was sagt der Mond über mein Leben? Was sagen dieTierkreiszeichen zu meinen Plänen? Was sagen die Kon-stellationen zu meinen Absichten? Habe ich unter einemguten oder schlechten Stern zu leben? - Das ist dreitausend

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Jahre her, aber hinaushören tun sie immer noch, auch beiuns. Die Astrologie feiert fröhliche Urstände. Die viel pro-pagierte Wendezeit ist zur regenbogenfarbigen Blütezeitder Kosmologen geworden. Wassermann läßt grüßen. Manlebt nicht hinter dem Mond, wenn man nach den Mondenfragt. Was sagt Jupiter? Was sagt Saturn? Was sagen dieZwillinge?

Aber dem Abraham ging damals ein anderes Licht auf.Die Monde sagen gar nichts. Die Sterne schweigen sich aus.Im Weltraum herrscht Totenstille. Von außen ist kein Tonzu hören, aber von vorn. »Und der Herr sprach«, obwohler nach der Paradiesgeschichte hätte schweigen müssen.»Und der Herr sprach«, obwohl mit der babylonischenSprachverwirrung alles gesagt war. Dieser langmütige Herrschwieg sich nicht aus, sondern schlug ein neues Kapitelauf. »Und der Herr sprach zu Abraham«, zu Isaak, zu Ja-kob, zu Mose, David, Jesaja.

Dann wurde das Wort sogar Fleisch. Jetzt spricht Gottin Jesus zu uns. Warum sind wir ganz Ohr, wenn Horosko-pe sich zu Wort melden? Warum hören wir hinaus in dieeiskalte Gestirnswelt? Der Herr spricht in seinem Wort:Ich sehe dich auf dem grünen Planeten zwischen Myriadenvon Sternen und Milchstraßen. Ich kenne dich an deinemErdenplatz unter Völkern und Nationen. Ich liebe dichtrotz aller Macken und Mängel deines Lebens. Ich tragedich mit allen Schwächen und Schwierigkeiten. Du bistmein. Glauben heißt hinhören, doch nicht hinaushören.

Vater

Gott sei Dank fängt die Geschichte nicht so an: Ein Gene-ral hatte zwei Leibburschen. In aller Frühe putzten sie die

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Stiefel, bis sie sich darin spiegeln konnten. Anschließendmachten sie Jagd auf das letzte Staubkorn, das sich nochunter den Achselklappen der Generalsuniform versteckthalten konnte. Auch der Wagen mußte noch auf Hochglanzgebracht werden. Wenn dann der Offizier pfiff, spritztensie die Treppe hinauf, schlugen die Hacken zusammen,preßten die Hände an die Hosennähte und stotterten imGleichtakt: »Zu Befehl, Herr General!« Sie verzogen keineMiene, wenn das übliche Donnerwetter über sie hinunter-ging: »Lahme Enten! Soll ich hier Wurzeln schlagen? Ho-len Sie die Post beim Spieß! Auf, auf! Warum sind Sie nichtschon längst zurück?!« Von einem General und zwei Leib-burschen ist in der Bibel nicht die Rede.

Gott sei Dank heißt es: Ein Mann hatte zwei Söhne. EinVater hatte zwei Kinder. Das meint: Gott hat Familie. Er istkein bissiger General, dem wir seine Stiefel putzen müßten.Er pfeift uns nicht an und kommandiert uns nicht herum.Seine Welt ist kein Kasernenhof.

Gott ist Vater, auch wenn wir es nicht mehr so rechtglauben wollen und dann lieber vom Ewigen, Erhabenenoder Allmächtigen reden. Gott ist der gute Vater, auchwenn wir das nicht mehr so recht verstehen können unddann lieber vom Urgrund, Abgrund und Hintergrund desSeins faseln. Gott ist der rechte Vater, auch wenn wir dasnicht mehr so recht nachvollziehen können und dann lieberübers Sternenzelt hinauf oder in die eigene Seele hinabden-ken. Gott ist und bleibt der Vater der Barmherzigkeit undGott allen Trostes. In Jesus kommt er uns ganz nahe, setztsich mit uns an einen Tisch und spricht uns freundlich an.Seine Welt ist das Kinderhaus.

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Schreien

Ein schillernder Typ, dieser Richter, der mit der Akte einerbittenden Witwe kurzen Prozeß macht und sie auf die lan-ge Bank schiebt. Eine dubiose Persönlichkeit, dieserRechtssprecher, der sich um die aufgebrachte Klägerin ei-nen Dreck kümmert. Was die Götter über ihn denken, läßtihn kalt, und was die Leute von ihm halten, ist ihm schnup-pe. »Ich bin mir selbst genug«, steht auf dem Wappen-spruch dieses fiesen Kerls.

Diesem Rechtsverdreher geht eines Tages dies unablässi-ge Bitten und Betteln jener Antragstellerin über die Hut-schnur. »Ich kann diese Nervensäge nicht mehr sehen. Ichmuß mir diese Quengeltante vom Halse schaffen. Ichbrauch' endlich meine Ruhe vor diesem geifernden Weibs-stück, das schlußendlich noch handgreiflich wird und mirdie Augen auskratzt.« Deshalb greift er nach der Akte, ver-fügt die Testamentsvollstreckung und erledigt den Fall.

Wahrlich keine Idealfigur, dieser Herr Gerichtsvorsit-zende, aber eine Kontrastfigur. Wenn schon dieser Rechts-brecher schließlich Recht schafft, bloß weil er die ständigeBelästigung loshaben will, wieviel mehr wird dieserRechtsbringer, dieser Richtergott schließlich alles rechtund richtig machen?

Gott hört die Armen. Er sieht die Elenden. Er leiht denRufenden sein Ohr. Ihm gegenüber berufen wir uns nichtnur auf das, was er tun soll, sondern auf das, was er tun will.Er bekennt sich förmlich als Vater der Waisen und Witwen.Er verbürgt sich ausdrücklich als Heiland der Schutzlosenund Wehrlosen. Er wendet sich uns ganz zu. Warum zwei-feln wir an unseren ungeahnten Möglichkeiten bei ihm?Warum glauben wir nicht, daß er wegen uns sein Konzeptzerreißt und neu schreibt?

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Es ist recht, ihn in allen Nöten anzurufen. Wir liegenrichtig, wenn wir in allen Schwierigkeiten bei ihm vorstelligwerden. Schreien gehört zum guten Ton im Reich Gottes.Kein Schrei ist aussichtslos, denn diese Verheißung steht:»Ich sage euch: Er wird ihnen Recht schaffen in Kürze.«

Beziehungszerfall

Als Kinder verbrachten wir unsere Sommerferien bei derGroßmutter auf der Schwäbischen Alb. Sie hatte nicht nurein großes Haus, sondern auch ein weites Herz. Fast alleswar bei ihr erlaubt. Aber als wir einmal Kastanienlaub undZeitungspapier besorgten, um daraus Zigaretten zu fabri-zieren, verzogen wir uns vorsichtshalber ganz hinauf unterdie Dachziegel. Dort entstanden jene lungen- und umwelt-feindlichen Glimmstengel, die jeden Kammerjäger glatt er-setzten.

Aber mitten im schönsten Tabakkollegium hörten wirSchritte. Bevor wir unsere Markenerzeugnisse durch dieDachluke speditieren konnten, stand die Oma vor uns. Mitihren Augen schaute sie sich um und schaute uns lange an.Noch heute schäme ich mich in den Boden hinein. So woll-te ich ihr nicht begegnen. So wollte ich ihr nicht gegenüber-treten. So wollte ich sie nicht wiedersehen. Wären wir dochbei ihr geblieben, dann wäre dies alles nicht passiert.

Sicher drehen wir keine Kastanienblätter mehr, aber wirdrehen ganz anderes Teufelszeug. Manchmal werdenkrumme Dinger gedreht. Auch die Gotteskindschaft erlöstuns nicht automatisch von diesem »in sich eingekurvtsein«, wie Luther einmal sagte. Weil wir uns immer wiedervom Vater entfernen, uns aufs Dach oder in den Keller

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schleichen, deshalb haben wir es mit dem Teufelswerk zutun. Nicht umsonst haben die Reformatoren mit allemNachdruck darauf hingewiesen, daß Sünde kein Quali-täts-, sondern ein Relationsbegriff sei, daß also Sünde nichtdie Lebensminderung, sondern den Beziehungszerfallzwischen Gott und Mensch darstellt.

Würden wir doch bei ihm bleiben! Würden wir unsdoch nicht heimlich davonstehlen! Würden wir doch nichtin irgendeiner Ecke mit dem Feuer spielen! Wir müssenganz dicht beim Vater bleiben, denn »wer bei ihm bleibt,der sündigt nicht«.

Herzschaden

Wie sind wir? So wie unsere Nerven, wie unser Gemüt, wieunsere Bildung? Jesus sagt: Ihr seid so wie euer Herz. Wo-von das Herz voll ist, das muß der Mund ausplaudern. DasHerz ist die Ursache eurer Lieblosigkeit, Kraftlosigkeit,Rastlosigkeit und Charakterlosigkeit.

Sicher könnt ihr manchmal den Höflichen spielen undnur Artiges über die Lippen bringen. Sicher könnt ihr zu-weilen diplomatisch vorgehen und nur Berechnendes wei-tersagen. Sicher könnt ihr eine Zeitlang den Mund haltenund stumm in der Runde sitzen. Aber dann, in einer schwa-chen Minute, bricht es heraus, und ihr plaudert eure ganzeJämmerlichkeit aus.

So wie ein Birnbaum nur Birnen bringen kann und keinePfirsiche, so wie ein Apfelbaum nur Äpfel bringen kannund keine Trauben, so wie ein Kirschbaum nur Kirschenbringen kann und keine Pflaumen, so kann ein Mensch nurdas bringen, was in seinem Herzen ist.

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Stellen wir uns einen Baumwart vor, der sich vor einenBirnbaum stellt und ihm gut zuredet, im nächsten Jahrdoch ja kein Mostobst mehr, sondern nur noch Spalierobstzu liefern. Stellen wir uns einen Landwirt vor, der seinemApfelbaum kommandiert, ab sofort statt Goldparmänen»Golden delicious« zu tragen! Stellen wir uns einen Guts-besitzer vor, der seinen Kirschbaum mit Zwetschgenwas-ser begießt, damit herrliche Zwetschgen darauf reifen.

Die Frucht ist so wie der Baum - und das Wort ist so wiedas Herz. Wenn das Herz kalt ist, werden wir mit unserenKindern ein unterkühltes Verhältnis bekommen. Wenn dasHerz lieblos ist, werden wir in der Ehe die Liebe nichtdurchhalten können. Wenn unser Herz böse ist, werdenwir immer Streit vom Zaune brechen. Der Schaden unsererZeit ist ein Herzschaden.

Wer kann diesen Schaden reparieren? Nur einer hat ge-sagt: Ich will euch ein neues Herz geben.

Dank

In Sachen Dankbarkeit gehören wir zu den Unterentwik-kelten. Weil aber das Danken für jeden Menschen so wich-tig ist wie das ABC für den Erstklässler, deshalb müssenwir die Dankbarkeit wieder lernen, so wie jener Bauer imalten Israel.

Interessanterweise geht er dazu nicht hinaus aufs Feld.Wohl sieht er das wogende Getreide und das schießendeKraut, aber auch die öde Steppe und das verbrannte Land.So wie wir das auch sehen können, wenn wir Bilder vonden Kornkammern Kanadas und Obstplantagen Kalifor-niens, aber auch von den Trockengebieten Südindiens und

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den Hungergürteln Nordafrikas am Bildschirm verfolgen.Unsere Welt ist keine Schule der Dankbarkeit, und Dankenkommt nicht durchs Sehen.

Auffallenderweise geht unser Bauer auch nicht hineinins Haus. Wohl hört er dort das laute Lachen und das fröh-liche Singen, aber auch das leise Weinen und das traurigeKlagen. So wie wir das auch hören können, wenn wir offe-ne Ohren für die Freude der Kinder und das Glück der lie-benden, aber auch für den Schmerz der Kranken und dieLast der Alten daheim haben. Unser Haus ist auch keineSchule der Dankbarkeit, und Danken kommt nicht durchsHören.

Der israelitische Landwirt geht hinauf in den Tempel.Dort setzt er den Korb voller Früchte am Altar ab, faltetdie Hände zum Gebet und denkt mit einem uralten Glau-bensbekenntnis an seinen gnädigen und gütigen Vatergott.So wird er ein dankbarer Mensch, der uns zu diesem Lern-schritt ermuntert: Hinaufdenken zu Gott.

Jedes Gotteshaus ist eine Hochschule der Dankbarkeit,und Danken kommt durch das Denken. Denke an den Va-tergott. Jede Ähre weist wie ein Wegweiser zu ihm hin. Den-ke an den Allmächtigen. Jede Knolle zeugt wie ein Beweis-stück von seiner Gegenwart. Denke an den Schöpfer Him-mels und der Erde. Jede Frucht ist ein Liebeszeichen seinesHerzens. Und denke an Jesus Christus, seinen für uns gege-benen Sohn. »Denke daran, was der Allmächtige kann, derdir mit Liebe begegnet.« Dankbarkeit ist Denkarbeit

Gotteskinder

Wer bin ich? Wenn ich in den Spiegel schaue, weiß ich nicht,ob ich weinen oder lachen solL Wenn ich auf die Leute höre,

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bin ich mir im unklaren, ob Hochmut oder Schwermut dieangemessene Reaktion ist.

Der Zeitgeist sagt: »Du bist ein Herr, befreit von allenKetten. Deine Schule, dein Elternhaus, deine Ehe sperrtendich in ein Prokrustesbett, das die Ichwerdung verunmög-licht.«

Der Ungeist sagt: »Du bist ein Sklave, gefangen in allerFurcht. Dein Alter macht dich zu einem übrigen und ent-behrlichen Lebewesen, das reif ist für das Abstellgleis.«

Der Schwarmgeist sagt: »Du bist ein Zigeuner am Randedes Weltalls, namenlos, bedeutungslos, hoffnungslos.«

Trotzdem muß es nicht bei dieser fast geisterhaften Ver-wirrung der Geister bleiben. In der Bibel wird jeder andereGeist übertönt von dem Heiligen Geist, der sagt: »Du bistein Kind, nicht bedrängt, sondern befreit. Du bist ein KindGottes, nicht gepreßt, sondern geliebt.«

Und wen diese Aussage skeptisch stimmen und zur Be-merkung veranlassen will: »Diese Bibelschreiber sind dochvon allen guten Geistern verlassen«, der erinnere sich anden Satz Martin Luthers, den er im Jahre 1525 an Erasmusvon Rotterdam gerichtet hat: »Der Heilige Geist schreibtGewißheiten, lauter Bejahungen ins Herz.«

Er stellt also keine These auf, die zu diskutieren wäre. Erlegt auch keine Prognose vor, die einiges für sich habenkönnte. Er gibt erst recht keine Vermutung weiter, die nachder Wahrscheinlichkeitsrechnung der Wirklichkeit ent-spricht. »Der Heilige Geist gibt Zeugnis unserem Geist,daß wir Gottes Kinder sind.«

Nun haben wir's schriftlich, schwarz auf weiß, mit Briefund Siegel: Nicht Herren, nicht Sklaven, nicht Zigeuner,sondern Gotteskinder sind wir.

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Herzpatient

Früher wurden die Herzpatienten ins Bett geschickt: Füßehoch! Wenig Bewegung! Viel Ruhe! Heute werden sie ausdem Bett geholt. Angeschlagene sollen sich bewegen. An-geknackste sollen sich bemühen. Herzkranke sollen etwastreiben.• Sport treiben, hören sie, und dann geht es in den Wald.

Jeden Tag rein in die Joggingschuhe und raus in die Luft.Gewicht verlieren, hören sie, und dann geht es ab in dieKur. Statt gebratenes Fleisch nur noch gedämpfte Körner.Autogenes Training, hören sie, und dann geht es los in denKurs. Dreimal die Woche flach auf die Matte mit Blick andie Decke.

Was sie nicht alles umtreibt? Was sie nicht alles umtrei-ben? Von was sie nicht alles umgetrieben werden? NervöseHerzpatienten sind immer umgetriebene Menschen - unddie mit unruhigem Herzen auch.

Sie sollen sich bewegen. Sie sollen sich bemühen. Sie sol-len etwas treiben. Meditation treiben, hören sie, und danngeht es zu den New-Age-Aposteln. Die kosmischen Heil-kräfte liegen in den Sternen und müssen nur abgerufenwerden. Esoterik treiben, hören sie, und dann geht es inden Geheimzirkel. Karten und Pendel und Blei zeigen dieWege in die Zukunft. Prophétie treiben, hören sie, unddann geht es in den neuen Kreis. Schwarmgeister verscheu-chen die Trauergeister.

Was sie nicht alles umtreiben? Der religiöse Supermarktist grenzenlos. Was sie nicht alles umtreibt? Die sektiereri-schen Rattenfänger kennen keine Skrupel. Von was sienicht alles umgetrieben werden!

Deshalb mahnt der Apostel: »Laßt euch nicht umtrei-ben!« Unsere Therapien machen das Herz noch kränker,

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als es ohnehin schon ist. Zum Krampf kommt die Unruhehinzu, die einmal dahin und einmal dorthin treibt undüberall das feste Herz sucht, wo es nicht zu finden ist. Laßteuch nicht wegtreiben! Werdet nicht religiöse Goldsucher.Laßt euch nicht durch mancherlei und fremde Lehre um-treiben. Unsere Herztherapien sind vom Teufel. HerzlicheGottesliebe ist die einzige Medizin für ein festes Herz.

Kopf

Wir dürfen kein Brett vor dem Kopf haben. Wir müssen esendlich in den Kopf bekommen. Seit Himmelfahrt ist Jesusder Kopf der Gemeinde.

Manche meinen, er sei nur der Fuß, auf dem die Kirchestehe. Es gebe so einen christlichen Grund und Boden, ei-nen abendländischen Humus, auf dem alles mögliche insKraut schieße oder wunderlich blühe. Jesus ist aber nichtder Fuß, er ist der Kopf der Gemeinde.

Manche denken, er sei nur die Hand, die gebende undhelfende Hand, die die Kirche bieten müsse. Alles erschöp-fe sich in der Nächstenliebe, und mehr als ein Diakoniever-ein sei ohnehin nicht nötig. Jesus ist aber nicht nur dieHand, er ist der Kopf der Gemeinde.

Manche denken, er sei nur der Mund, den die Kircheaufreißen müsse. In Jesu Namen müsse gegen die Reichenund Ausbeuter und Umweltzerstörer lauthals protestiertwerden. Kirche als Vormund der Entrechteten und Ausge-beuteten. Jesus aber ist nicht nur der Mund, er ist der Kopfder Gemeinde.

Manche denken, er sei nur ein Teil der Kirche. In anderenReligionen sei er auch stückweise zu finden. Deshalb könne

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es gar keine Mission, sondern nur den Dialog der Religio-nen geben, in dem der kosmische Christus wie ein Puzzlezusammengesetzt wird. Aber Jesus ist nicht ein Teil, er istder Kopf der Gemeinde.

Ohne Jesus als alleiniger Kopf ist die Kirche kopflos undrennt hierhin und dorthin. Ohne Jesus als alleiniger Kopfist die Kirche geköpft und damit als Leichnam reif für denAbdecker. Ohne Jesus ist die Kirche tot.

Nun aber ist er der große Kopf der Kirche, und seineGemeinde kann sich dessen gewiß sein: »Der Herr ist meinHirte.« Und wenn es überall an Mitarbeitern fehlt: »Mirwird nichts mangeln.« Und wenn es überall aus dunklenund giftigen Quellen sprudelt. »Er führet mich zum fri-schen Wasser.« Und wenn sich überall Holzwege und Sack-gassen auftun: »Er führet mich auf rechter Straße.« Undwenn falsche Propheten von links und rechts einbrechen:»Fürchte ich kein Unglück.« Und wenn Leid und Tränen inStrömen fließen: »Dein Stecken und Stab trösten mich.«Weil die Gemeinde diesen Kopf hat, müssen wir nicht mehrden Kopf verlieren.

Besuch

Es gibt Besucher, die zu kurz bleiben. Sie sind immer aufdem Sprung und lassen sich kaum hereinbitten. Am lieb-sten reden sie zwischen Tür und Angel und geben nur ihreBlumen ab. Solche Stippvisiten befriedigen nicht.

Dann gibt es Besucher, die einfach zu lange bleiben.Schon bei der Ankunft lassen die vielen Koffer Böses ah-nen. Nach drei Tagen sind die Gesprächsstoffe und nachfünf Tagen die Nerven am Ende. Man verfährt nach der al-

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ten Regel aus dem Kloster Aliensberg: »Ihr solltet gegenjedweden Gastfreundschaft üben, doch wenn der Gast län-ger als drei Tage verweilet, könnet ihr mit der Freundlich-keit langsam nachlassen.« Schließlich ist alle Geduld weg,und man fragt: »Wann geht Ihr Heber Zug?«

Dann gibt es Besucher, die man am liebsten gar nichtmehr ziehen läßt. Sie füllen das Haus mit Freude und ma-chen jeden Tag zum Fest. Mit ihrer Anwesenheit ist die Ein-samkeit vorbei, und in ihrer Gegenwart ist einem wohl zu-mute. Solche Besucher sollten Bewohner werden, die im-mer bleiben.

Genau dazu zählt der lebendige Gott. Der alte Zachariashat es gemerkt: »Gelobt sei der Herr, der Gott Israels,denn er hat besucht sein Volk.« Das ist kein Überfall, denwir schweigend erdulden müssen. Das ist keine Hausbeset-zung, die wir nicht beenden können. Der Gottesbesuchfüllt das Haus mit Freude und macht jeden Tag zum Fest.

Dieser Hausbesucher will zum Hausbewohner werdenund überall Quartier beziehen. Im Wohnzimmer, wo wiroft übers Kreuz miteinander kommen, im Arbeitszimmer,wo wir die Fülle der Anforderungen nicht mehr erledigenkönnen, im Krankenzimmer, wo wir Leiden und Schmer-zen haben, im Sterbezimmer, wo die Schatten immer längerund dunkler werden, in allen Zimmern auf der Sonnen-und Schattenseite unseres Lebenshauses gilt es seit Jesus:Gott ist gegenwärtig.

Glanz

Athen, Ruinen, Tempel, Denkmäler. Davor ein Fremden-führer. Ihr seht dort den großen Achill, den tapferen Hel-

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den vor Troja. Er trieb die Troer zurück und besiegte sogarHektor. Ihr seht dort den großen Herkules, den starkenHelden von Theben. Er kämpfte gegen den NemeischenLöwen und zwang ihn in die Knie. Ihr seht dort den großenLeónidas, den königlichen Helden von Sparta. Gegen einewahnsinnige Übermacht verteidigte er die Thermopylen.Ihr seht sie alle - so wie wir sie auch sehen, obwohl sie ihrkriegerisches Outfit abgelegt haben.

Wir sehen das große As auf dem Hartplatz, wie er seineBälle schmettert und den andern in die Knie zwingt. Wirsehen den großen Star auf der Bühne, wie er ins Mikrofonbrüllt und die Fans in Ekstase versetzt. Wir sehen den Kön-ner Mensch, wie er sein Himmelsteleskop im Weltraumplaziert und bis in die Tiefen des Universums schaut. Auchwenn wir keine Denkmäler mehr bauen, Poster haben wirallemal, vor denen wir knien.

Paulus sagt: Ihr seht die glänzenden Taten, aber nichtden Glanz seiner Tat. Achill und Herkules und Leónidaswurden getötet, so wie Jesus auch, als ihn ein Exekutions-kommando ans Schandholz schlug. Aber der ist nicht imGrab geblieben. Jesus Christus hat den Tod überwunden.Jesus hat die Hölle aufgebrochen. Die Auferstehung Jesu istdie Glanztat unseres Gottes.

Und weil dies kein unbekannter Gott ist, dem wir wieam Grabmal des Unbekannten Soldaten einen Ehrenkranzniederlegen müßten, sondern weil er ein wohlbekannterGott ist, der an Weihnachten ganz nahe gerückt ist und seitPfingsten in uns leben und weben will, deshalb könnenauch wir mit seinen Auferstehungskräften rechnen. RudolfHagelstange hat recht: »Uns ist eine Welt anheim gegeben,in der der Tod sein Büttelrecht verwirkt.«

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Christus

So hat es Caspar ten Boom erzählt. Eines Tages ging überder englischen Provinz ein heftiger Regen nieder. Währenddie alte Bäuerin gerade ihr Fenster schließen wollte, klopftees an die Tür. Eine einfach gekleidete Frau stand auf derSchwelle und bat um einen Schirm für den Heimweg.»Nun, den alten Schirm können Sie kriegen. Meinen neuenverleihe ich nicht. Wer weiß denn, ob ich ihn jemals wiederzurückbekomme?«

So zog die Frau mit dem verschlissenen, zerrissenen undnach allen Seiten hinaussprießenden Ampreller ihres We-ges. Und am nächsten Tat ging der Bäuerin nicht nur dieSonne, sondern noch ein ganz anderes Licht auf. Denn vorihrer Hütte erschien ein Mann in königlicher Uniform, derden Schirm zurückbrachte: »Königin Viktoria von Eng-land lasse danken und ausrichten, daß er ihrer Majestät gu-te Dienste geleistet habe.«

So kann das über Nacht kommen. Eines Tages kenntman jemand, und am nächsten Tag erkennt man ihn erstrichtig. Eines Tages sieht man jemand, und am nächsten Tagübersieht man erst die wahre Situation. Eines Tages schautman auf jemand, und am nächsten Tag erst durchschautman ihn. Ob es uns bei Jesus nicht auch so geht?

Eines Tages wurde uns vom Christkind berichtet. Einsüßes, putziges, herzallerliebstes Jesulein sei in die Krippegelegt worden. Flatternde Rokokoengeichen sängen ihrEiapopeia, und rotbackene Hirtenbübchen bliesen ihreSchalmeien. Und am nächsten Tag durchschaut man denfrommen Zauber. Wahrlich kein Muttersöhnchen zumAuf-den-Arm-Nehmen, sondern des Vaters Sohn, der unsmit seinem Arm leiten will. Der Jesus von Nazareth ist derChristus der Welt.

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Darauf kommt es an, daß wir eines Tages diesen Herrn,der an unsere Tür klopft, nicht dort stehen und einen gu-ten Mann sein lassen. Oft genug leihen wir ihm nur unserOhr. Darauf kommt es an, daß wir am nächsten Tag diesenHerrn als König aller Könige erkennen, der nichts leihen,sondern alles schenken will. Darauf kommt es an, daß esüber Nacht auch bei uns zu dieser Erkenntnis kommt: Je-sus ist kein Bittsteller, den man im Regen lassen darf. Jesusist der Christus.

Machtwort

In Nain knistert es vor Spannung. Die Szene treibt einemHöhepunkt entgegen. Zwei Kolonnen nähern sich wiezwei feindliche Heerhaufen. Auf der einen Seite der Toten-gräber, auf der andern Seite der Lebensbringer. Hier dieKlageweiber und dort die Lobsänger. Also die Majestätdes Todes gegen die Majestät des Lebens. Ein atemberau-bender Augenblick. Die Begegnung rückt Schritt fürSchritt näher. Ein Ausweichen ist ausgeschlossen. Wird Je-sus jetzt gleich zur Seite treten und dem Leichenzug dieVorfahrt lassen?

Statt dessen geschieht das Haarsträubende. Er gibt demTrauerkondukt kein grünes Licht. Jesus befiehlt den Haltund berührt den Sarg. Heiden hatten Angst, mit dem Todin Kontakt zu kommen. Aber Jesus hat keine Kontakt-angst. Juden hatten Angst, mit der Unreinheit in Berüh-rung zu kommen. Aber Jesus hat keine Berührungsangst.Menschen haben bis heute Angst, mit den Gestorbenen ir-gend etwas zu tun zu bekommen. Jesus hat keine Todes-angst. Seine Hände greifen in das Kraftfeld des Todes hin-ein und beschlagnahmen auch diesen Toten für sich: Der ist

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mein, der gehört mir, der bleibt in meinen Händen.Die bange Frage: Wo sind unsere Toten?, wird hier ein-

deutig beantwortet. Wer im Leben seine Hand in die Hän-de des Herrn gelegt hat, wird auch im Tode diesen Händennicht entnommen sein. Der, der gesagt hat: »Siehe, in mei-ne Hände habe ich dich gezeichnet!«, läßt uns nicht unterder Hand in ganz andere Hände gleiten. Und seit er seineHand nicht nur bis zum Sarg, sondern bis zum Kreuze aus-gestreckt hat, liegt nichts mehr außerhalb seiner Reichwei-te. Jesu Hände fassen an, sie greifen zu, sie halten fest. Esbleibt bei der Zusage: »Niemand wird sie aus meiner Handreißen.«

Zweifel

Zweifel ist kein seelischer Defekt. Das können wir bei Pe-trus beobachten. Jesus fragt diesen Jünger, der um seinesHerrn willen den Beruf steckte und seiner ganzen Ver-wandtschaft Adieu sagte. Petrus, der zum Vormann einesZwölferteams wurde und manche heiße Schlacht für seinenHerrn geschlagen hat. Petrus, der nicht nur den Mut desGlaubens aufbrachte, sondern auch das Wagnis des Glau-bens einging, indem er auf Befehl die sicheren Schiffsplan-ken verließ und als Wellenreiter seinem Herrn entgegen-marschierte. Diesen glaubenden Petrus fragte Jesus: War-um zweifelst du?

Zweifel hat es mit dem Glauben zu tun. Zweifel hat esauf den Glaubenden abgesehen. Der Glaube ist die Voraus-setzung des Zweifels. Natürlich nicht irgendein Glaube, soein Glaube nach Goethe, der einmal geschrieben hat: »Eskommt alles darauf an, daß man glaubt; was man glaubt, istgleichgültig.«

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So glaubt der eine, daß zwei Pfund Rindfleisch eine guteSuppe geben. Das ist der Fleischbrühglaube. So glaubt derandere, daß Müsli und Sechskornbrot den Körper gesundhalten. Das ist der Ökoglaube aus echtem Schrot und Korn.So glaubt der dritte, daß eine heimliche Liebe unheimlichhimmlisch sei. Das ist der Liebesglaube, der sich total hin-gibt und anbetet. Alle miteinander glauben dem Satz:Hauptsache Glaube, gleichgültig an wen! Aber dieser Satzist genau so primitiv wie der andere: Hauptsache verheira-tet, gleichgültig gegen wen!

Echter Glaube hat es nicht mit etwas zu tun, sondernmit jemandem. »Ich glaube an Jesus Christus, seinen einge-borenen Sohn, unseren Herrn.« Und der sagt zu dem, derschon vom Ufer seines Lebens in das Schifflein des Glau-bens gestiegen ist: »Komm her!« Er sagt es zu dem, der mitandern zusammen auf den Bänken sitzt und sich in dieserMannschaft so wohl fühlt: »Komm her!« Er sagt es zudem, der die letzten sicheren Planken seiner Vernunft nichtaufgeben und die letzten dunklen Ecken seiner Sünde nichthergeben will: »Komm her, laß dein Boot, mißtrau deinerSicherheit, wag den letzten und alles entscheidenden Aus-stieg und komm!« Das erst ist Glaube, und dieser Glaubeist immer wieder vom Zweifel angefochten.

Aus

Zuerst war alles gut. Während draußen im Land das Wasserversiegte und das Brot knapp wurde, kniete der Mann anseinem Bach und schöpfte das köstliche Naß. Das notwen-dige Vesper dazu kam per Luftpost. Ausgerechnet futter-neidische Raben richteten eine Luftbrücke ein und warfendort, wo sich Fuchs und Has' gute Nacht sagen, die Fisch-

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brötchen zielgenau ab. Zweimal täglich erlebte Elia diesSpeisungswunder am Bach Krit. Aber dann passierte es.

Zuerst wurde der rauschende Bach zu einem Rinnsal,dann das arme Rinnsal zu einem dünnen Wasserfaden, dannder dünne Wasserfaden zu einem trockenen Flußbett. DasWasser kam nicht mehr. Aus das Wasser des Bachs, aus dieTreue der Raben, aus die Fürsorge des Herrn. Aus für Elia.So war das, daß sein Bach vertrocknete.

So ist das, daß mein Bach vertrocknet, mein Krit, ausdem ich geschöpft und gelebt habe. In meiner Ehe, die wieeine sprudelnde Quelle die Matten begrünte, geschah es,daß der Bach vertrocknete. In meiner Familie, die wie einmunterer Fluß alles erfrischte, geschah es, daß der Bach ver-trocknete. In meinem Glauben, der wie ein starker Strom al-le Lasten trug, geschah es, daß der Bach vertrocknete. Eskommen Augenblicke, wo wir nur sagen können: Aus derGlaube, aus die Liebe, aus die Hoffnung, aus für mich.

Aber nicht aus für Gott. Seine großen Stunden schlagendann, wenn wir meinen, unser letztes Stündlein habe ge-schlagen. Er läßt das letzte Wort nicht den vertrocknetenBächen und Wadis der Weltgeschichte. Gott selbst nimmtsich das Wort, gibt es seinem Sohn, und kommt dorthin, woMenschen verschmachtet und zerstreut sind. Solange dasWort Gottes kommt, ist nichts verloren. Solange das WortGottes unsere Werktage begleitet und unsere Sonntage be-stimmt, muß keiner an seiner Dürre zugrunde gehen.

Bibelwort

Daß Jesus bleibt, ist klar, aber wie? Bleibt Jesus wie eineKrippenfigur, die ihr wohlverpacktes Plätzchen hat undeinmal im Jahr zu besonderen Ehren kommt? Oder bleibt

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er so wie ein Kruzifix, das die Ecke zum Herrgotts win-kel macht und zuweilen Ehrfurcht auslöst? Oder bleibter so wie ein Bild, das der Großvater ins Zimmer und derVater auf den Speicher gehängt hat?

Manche denken, Jesus bleibe als guter Gedanke inunserem Kopf, als innere Stimme in unserem Gewissen,als heller Funke in unserem Herzen. Und einige entdek-ken ihn überall: Jesusgefüllt die ganze Welt. Jesusge-schwängert das ganze Haus. Jesusgeladen das ganze Le-ben. Jesus einfach überall!

Das aber ist die Lüge, die nicht aus der Wahrheitkommt. Jesus Christus, der sich an Weihnachten in dieKrippe einer elenden Karawanserei hineinlegen, der sicham Palmsonntag auf den Rücken eines elenden Eselshinaufsetzen, der sich an Karfreitag an den Querbalkeneines elenden Kreuzes festschlagen ließ, dieser JesusChristus ließ sich an Pfingsten in das elende Wort hin-einbinden. Dieses Hineingehen in schwaches Men-schenwort, dieses Hineinschlüpfen in fehlerhafte Men-schensprache, diese »Erniedrigung zweiten Grades« hater im Gehorsam gegen seinen Vater auf sich genommen.»Der Geist hat sich ans Wort gebunden«, hat Martin Lu-ther gelehrt. Keiner hat Extraworte vom Himmel. Nie-mand hat Sondermeldungen von der Ewigkeit. Wir allesind auf das Bibelwort angewiesen, das erschöpfend denWeg zur Seligkeit weist. Jesus bleibt im Wort.

Wenn uns also die Sorge überfällt, was denn im neuenJahr noch alles über uns komme, dann müssen wir Mat-thäus aufschlagen: »Sorget nicht für den andern Mor-gen.« Wenn uns Angst überkommt, wo denn diese Weltnoch hinläuft, dann müssen wir die Offenbarung auf-schlagen: »Ich sah einen neuen Himmel und eine neueErde.«

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»Das Lagerbuch der Gemeinde Gottes vom Anfangder Welt bis an ihr Ende«, so hat es Johann AlbrechtBengel bezeichnet. Und Martin Luther unterstrich:»Wenn wir glauben könnten, daß der Herr selbst darinmit uns redet, dann würden wir eifriger darin lesen. Wirwären sicher, daß hier unser Lebensglück geschmiedetwird.«

Daheim

Kinder fragen nicht, ob sie bei Muttern etwas bezahlenmüssen. Daheim ist daheim. Schüler fragen nicht, ob siebeim Vater ein Wohngeld begleichen müssen. Daheim istdaheim. Studenten fragen nicht, ob sie bei den Eltern fürKost und Logis aufkommen müssen. Daheim ist daheim.Und Christen fragen nicht, ob sie einmal für ein ewigesHaus belangt werden. Daheim ist daheim. Unser Herrzahlt eben nicht heim, sondern bezahlt das letzte Heimund macht es zu unserem Daheim. Deshalb spüren seineLeute heute schon jene Anziehungskraft des Endzieles.

Ein alter Bauer erzählte von früher, als er noch mit denPferden durch den Flecken kutschierte, seine Felder be-stellte und draußen im Wald das Holz abräumte. Wennman dann einen ganzen Tag lang geschuftet habe, sei esabends auf dem Heimweg gar nicht so leicht gewesen, dieGäule zu einer kleinen Beschleunigung ihrer müden Gan-gart anzutreiben. Aber dann, wenn sie von fern den Hofsichteten und den Stall witterten, dann fielen sie von sel-ber in Trab und waren nicht mehr zu bremsen.

Etwas von dieser Stallwitterung haben Christen ansich. Nach einem langen und ermüdenden Lebenstagfassen sie dann wieder Mut, wenn die Heimat in Sicht

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kommt. Das geschieht immer im Wort der Heiligen Schrift.Bis daheim sind es nur wenige Schritte.

Wort

»Wir haben das Wort«, sagt der Apostel, und wir sagen:»Wir haben das Bild.« Früher war das anders, früher, als un-ser Wohnzimmer noch vom Kruzifix im Herrgottswinkeloder vom röhrenden Hirsch über der Kredenz oder von derKuckucksuhr auf der Blümchentapete bestimmt war. Bänkeund Stühle waren um den bäuerlichen oder bürgerlichen Fa-milientisch gruppiert. Opa las im Almanach und Oma invergilbten Briefen. Aber heute! Der Apparat mit dem Bild-schirm bildet die magische Mitte des ganzen Raumes. DerFamilienkreis hat sich geöffnet und ist zum Halbkreis ge-worden. Aller Augen warten auf dich, Fernseher, daß du ih-nen Bilder gibst zur Feierabendzeit. Wir haben das Bild.

Aber Petrus bleibt dabei, auch wenn er nichts gegen diemoderne Bild- bzw. Bildungseinrichtung sagen will: »Wirhaben das Wort.« Er zeigt auf die Propheten. Männer wie Je-saja und Jeremía wurden zum Sprachrohr Gottes bestellt. Ingewaltigen Visionen und Auditionen erfuhren sie die Wei-sungen des Herrn. »So spricht der Herr« gehört zu den ak-tuellen Informationen. Wir haben das prophetische Wort.

Petrus zeigt auf die Evangelisten. Männer wie Matthäusund Markus ließen alles Hegen und stehen und folgten die-sem Herrn nach. In Lehrstunden und Jüngerreden lerntensie seine Weisungen. Ich-bin-Worte und Seügpreisungehhaben bleibende Bedeutung. Wir haben das evangelistischeWort. Petrus zeigt auf die Apostel. Männer wie Paulus wur-den vom hohen Roß gestürzt und in neuen Dienst gestellt.In stillen Stunden diktierte der Geist. Wir haben das apo-

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stólische Wort. Wir haben das biblische Wort. Wir habendas göttliche Wort.

Augustin sagte auch so, als ihm nach einem verkomme-nen Leben eine Stimme aus dem Feigenbaum zurief:»Nimm und lies!« Ignatius von Loyola sagte auch so, als erim Lazarett als schwerverwundeter Offizier an das NeueTestament geriet und sein Leben radikal veränderte. EdithStein sagte auch so, als sie durch eine Autobiographie aufdie Bibel stieß und dann ihren Weg nach Auschwitz getrostgehen konnte. Viele sagten so, und jetzt sollen wir es wie-der nachsagen, getrost und gewiß: Wir haben das Wort.

Geist

Gewiß gab es einen harten Kern von Jüngern in Jerusalem.Aber die Pfingstbotschaft wurde nicht nur dort verhandelt.Es gab auch eine treue Kerngemeinde von lebendigenNachfolgern. Aber die Pfingstbotschaft wurde nicht nurdort besprochen. Darüber hinaus traf sich eine stattlicheVersammlung von 120 honorigen Persönlichkeiten, die Je-sus als Gottessohn anerkannten. Aber die Pfingstbotschaftwurde nicht nur dort verkündigt. Am Pfingstmorgen istvon Persern und Medern und Elamitern und Ägyptern dieRede. Nicht einmal die halbwilden Kreter sind keusch ver-schwiegen. Europäer, Afrikaner, Asiaten hören die großenTaten Gottes reden. Die ganze Welt kommt in Sicht.

Warum ist es uns nur so wohl im Konfirmandenclub, wowir uns prächtig verstehen? Warum ist es uns nur so ku-schelig warm im Schalomkreis, in dem unsere Herzen imGleichtakt schlagen? Warum bringt uns das eigene Vereins-haus so viel, als ob die Umfassungsmauern die Grenzmau-ern des Reiches Gottes wären?

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Pfingsten öffnet Fenster und Türen. Der Pfingstgeist er-setzt den Mief frömmelnder Rechtschaffenheit durch denDuft der großen, weiten Welt. Das Pfingstwunder schenktFernweh nach den Brüdern und Schwestern ins Herz, diehinter Grenzen, Gräben und Mauern leben müssen.

Als William Carey, der einfache Flickschuster, davon ge-packt wurde, schob er den Dreifuß beiseite und legte denHammer aus der Hand. Per Schiff reiste er nach Kalkutta,weil ihm dies klar wurde: »The world is my parish« - dieWelt ist meine Parochie.

Die kleinen Karos passen nicht mehr in pfingstlichesDenken. Diesem Sturm und Drang sind keine Grenzen ge-setzt. Seine Leute verhöhnen jede Vereinsmeierei und ge-hen bis an die Enden der Erde. Bei uns ist vieles verhockt.Der Geist des Herrn muß wieder Jalousien hochziehen.

Kreuzgang

Am See war nicht nur eitel Sonnenschein. Die Fischerei wareine elende Plackerei. Nie landete Petrus den großen Coupmit seinem Netz: Immer nur kleine Fische, kleine Fische.Und in der Verwandtschaft war auch nicht alles ein Herzund eine Seele. Schon damals gab es schwierige Schwägerund Schwiegermütter. Die liebe zu den Lieben wächstproportional mit der Entfernung. Und in der damaligenWelt sah es böse aus. Deshalb sagte sich Petrus: Wenn ichdiesem Herrn nachfolge, dann habe ich die ganze Schinde-rei vom Halse. Wenn ich diesem Herrn nachfolge, dannkann mich der ganze Familienclan gern haben. Wenn ichdiesem Herrn nachfolge, dann spaziere ich über den Tal-sohlen von Gipfel zu Gipfel.

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So wie wir auch sagen möchten. Wenn ich diesem Herrnnachfolge, dann habe ich allen beruflichen Streß hinter mir,dann kann ich mich allen familiären Spannungen entziehen,dann bin ich über Nebelfelder und Gewitterzonen erhaben.

Viele haben mit solchem Glauben bösen Schiffbruch er-litten. Um allen Illusionen vorzubeugen, hat Jesus in selte-ner Eindeutigkeit festgestellt: »Will mir jemand nachfolgen,es wird keiner gezwungen, will mir jemand nachfolgen, eswird nicht der leiseste Druck ausgeübt, will mir jemandnachfolgen, der nehme sein Kreuz auf sich.«

Jeder hat sein Kreuz. Es ist aus sehr verschiedenem Holzgeschnitzt. Aber jedes Exemplar ist nach dem Maßstab vonRömer 8 gefertigt: »Wir wissen, daß denen, die Gott lieben,alle Dinge zum Besten dienen.«

So muß ich nicht mit verbissenem Gesicht ins Geschäftgehen, ich kann das Berufskreuz tragen. So muß ich nichtüber meinen Schmerzen depressiv werden, ich kann meinKrankheitskreuz tragen. So muß ich mich nicht an meinerlieben Verwandtschaft wundreiben, ich kann mein Fami-lienkreuz tragen. Nachfolge ist Kreuzgang, kein Spazier-gang.

Gesellenstück

Aufruhr, Ruhestörung, Landfriedensbruch warfen ihnendie Ordnungshüter vor. Also »schwere Jungs« folgerte derHerr Gefängnisdirektor und legte Paulus und Silas Hand-schellen an. Wer so viel auf dem Kerbholz hat, braucht ver-schärfte Haftbedingungen. Zur Beruhigung ließ er ihnen ei-ne Tracht Prügel verabreichen. Dann ging es mit einem Fuß-tritt die Treppe hinunter. Im letzten Loch wurden die Stock-schrauben angezogen und die Füße verspannt.

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Und Paulus stimmte kein Pfeifkonzert an, um wenig-stens auf diese Weise gegen solche Gemeinheit zu prote-stieren. Er rasselte auch nicht mit den Ketten, um wenig-stens diesem Grobian die Nachtruhe zu stören. Paulus fingan zu singen, dankend, lobend, preisend, zweistimmig mitSilas zusammen, ein Männerduett zur Ehre Gottes undzum Wohl dieses Menschen. Dieser Missionar überwanddas Böse und tat Gutes.

Das ist das Gesellenstück der Liebe, das uns einfachnicht gelingen will. »Dem werd' ich eins pfeifen«, sagenwir, »dem werd' ich ein Liedchen singen«, »dem werd' ichden Marsch blasen«. Und Paulus sagt: »Dem werd' ich ei-nen Psalm singen, dem werd' ich einen neuen Ton ins Herzgeben, dem werde ich Gutes tun.«

Damit tut der Apostel genau das, was er bei seinemHerrn gelernt hat. Der »ist im Land umhergezogen und hatGutes getan«. Der Kaputte auf dem Schrägen und der Aus-sätzige in der Isolierstation und der Blinde am Straßenrandhaben das Gute gespürt und jene Melodie gehört, die mitJesus in die Welt gekommen ist. Wir sind nicht ärmer dran.Deshalb müssen wir nur nachsingen und es trotz allen Kla-geliedern weitersingen. Und wer unmusikalisch ist, der sollnach diesem Rhythmus Zeichen geben, Zeichen der Liebesetzen, Zeichen der Güte aufrichten. Das Gesellenstück derLiebe ist doch kein Hexenwerk.

Tisch

Wenn in meinem Elternhaus Besuch angesagt war, dannwurden wir Kinder vorsichtshalber von der Festtafelweg an den Katzentisch in der Ecke gesetzt. Verlangend

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schauten wir hinauf nach den Fleischtöpfen Ägyptens,während wir unseren Griesbrei löffelten. Schmerzhaftwurde uns bewußt, daß wir eben Kinder und keine Er-wachsenen, daß wir eben Dreckspatzen und keine Para-diesvögel waren.

Im Reiche Gottes gibt es keinen Katzentisch. Jeder hatseinen Ehrenplatz an der Tafel Gottes. Kleine und Große,Gebildete und Ungebildete, Bekannte und Unbekanntesind ihm gleich wert. In einer Gemeinde sollen alle erfah-ren: »Schmecket und sehet, wie freundlich der Herr ist.«

Und damit dies klappt, braucht es Leute, die die Schürzeumbinden, die Ärmel hochkrempeln und keine Angst vorschmutzigen Händen haben.

In der Jerusalemer Urgemeinde gab es dafür keineZDLer, die das für fünfzehn Monate machten. Sie kanntenauch keine Nachbarschaftshilfe, die bei den Einsamen rein-schaute. Diakoniestationen waren noch in weiter Ferne, al-so kirchliche Einrichtungen, die nach Heinrich Wicherngerne zu Schuttabladeplätzen unserer verweigerten Hilfewerden.

In Jerusalem wurden die richtigen Leute gefunden. Sie-ben gestandene Männer standen vor der Gemeinde und lie-ßen sich durch Handauflegung für diesen Dienst ordinie-ren.

Sind wir uns dafür zu schade? Fühlen wir uns als Hand-langer unter Wert verkauft? Kommen wir mit unserenSchwellenängsten, um unser Nichtstun zu kaschieren? »Ichkann kein Elend sehen!« »Das habe ich noch nie gemacht!«»Ich habe zwei linke Hände!«

Niemand kauft uns das ab. Glaube ohne Liebe ist tot.Alle gehören an Gottes Tisch.

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Geben

Den meisten Stuttgartern fällt es schon gar nicht mehr auf,aber der große Stuttgarter Stiftskirchenturm ist bis heuteunvollendet geblieben. Was den Ulmern und Straßburgernund Kölnern gelungen ist, nämlich eine Spitze auf denKirchturm zu setzen, blieb den Schwaben versagt. Warum?

Ihre Krämerseele machte ihnen einen Strich durch dieRechnung. Sie waren nämlich am Ende des fünfzehntenJahrhunderts um Spenden für den Weiterbau des Turmesgebeten worden. Aberlin Jörg, der hochbetagte und hoch-begabte Baumeister, hatte sich zwei Jahre vor seinem Todmit Nachdruck für die Vollendung seines Werkes einge-setzt. Und die Spenden flössen in Strömen, weil sie kluger-weise mit einem Ablaß honoriert wurden: Vergebungdurch Geben, das war der richtige, fromme Taschenzieher.

Schon 1522 gedieh der Turm bis zum obersten Umgang.Dann begann aber die Reformation, von den benachbartenReichsstädten aus auch in Württemberg Fuß zu fassen. DieLehre Martin Luthers kannte kein Geben mit Hinterge-danken und strich den Ablaß. Sofort gingen die Zahlungenzurück. Die Stadt klagte in einem Bericht von 1527, sie hät-te zwei fürstliche Glocken gießen lassen, aber der Turm seiwegen Geldmangels nicht gedeckt und der Glockenstuhlverfault.

Jedenfalls entschloß man sich, den Turm mit dem heuti-gen Flachdächlein abzuschließen. In dieser gedrungenenGestalt ist er zum Wahrzeichen der Stadt, aber auch zumWahrzeichen unseres Gebens mit Nebenabsichten gewor-den. Soll man nur dann geben, wenn die Zahlung wieder alsEinnahme verbucht werden kann? Soll man nur dann ge-ben, wenn dabei etwas für die eigene Tasche herausspringt?Der Apostel Paulus ist der Meinung, daß alles Schenken

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und Spenden ganz und gar den Empfänger meinen muß.Geben mit frommen Nebenabsichten und egoistischen

Hintergedanken ist nicht im Sinne der Bibel. Deshalb heißtes - und sicher nicht nur an die Adresse der Schwaben: »Ei-nen fröhlichen Geber hat Gott lieb«, und keinen traurigenKnigger. Vielleicht ist das Erntedankfest ein guter Tag, sichdaran zu erinnern.

Heimarbeiter

»Ein Christ ist immer im Werden«, hat Martin Luther ge-sagt. Und recht hat er gehabt. Weit ist der Weg vom Glau-benswunsch zum Glaubensziel.

Zuerst kommt der Konfirmandenunterricht. Der Pastorgibt sich alle Mühe, mir den Katechismus beizubringen.Aber die Konfirmation ist nicht das Ziel. Dann kommt dieChristenlehre. Mein lernfähiger Kopf speichert alles sorg-fältig, und nach zwei Jahren bin ich topfit. Aber die Entlaß-urkunde ist nicht das Ziel. Dann kommt die Mitarbeiter-schulung. Als Helfer in der Jungschar bekomme ich so vielmit, daß mir die Jungenschaft »Seeräuber« übertragenwird. Aber die Jungenschaft ist nicht das Ziel. Dann kommtdie Kurzbibelschule. Im Sauseschritt geht es durch die Ge-schichte Israels. Aber die Kurzbibelschule ist nicht das Ziel,auch nicht das Ferienseminar und der Bibel-Fernkurs.

Erst wenn ich draußen bin, erst wenn ich auf dem Mis-sionsfeld afrikanische oder thailändische Luft schnuppere,erst dann habe ich mein Glaubensziel erreicht. Vorher istalles nur halb. Vorher bringt es alles nichts. Vorher bleibtjener unwiderstehliche Zug nach außen in der Brust. DasGlaubensziel ist der Missionar.

Nicht schlecht, wenn junge Leute mehr hören wollen als

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im Konfirmandenunterricht. Nicht übel, wenn junge Leutemehr tun wollen als Mithilfe im Jugendkreis. »Preis denHerrn« über jeden, der den Ruf Jesu hört und ihm folgt.Gott braucht Arbeiter für seine Ernte, sucht Arbeiter fürseine Ernte, ruft Arbeiter in seine Ernte. Nur eins, und dasmuß auch einmal wieder in aller Deutlichkeit und Ein-dringlichkeit gesagt werden: Gott braucht Arbeiter drau-ßen und drinnen. Gott braucht Arbeiter in der Ferne und inder Nähe, im Ausland und im Inland. Kurzum: Gottbraucht für seine Ernte Feldarbeiter und Heimarbeiter.»Darum bittet den Herrn der Ernte, daß er beide in seineErnte sende.« Beide tun not. Beide sind bitter notwendig.

Hilfsarbeiter

Er war stud. phil. und stud, theol. Er war philosophisch ge-schult und theologisch beschlagen. Er war gelehrt und ge-bildet. Dieser junge Mann war das, was wir ein As nennen,ein Primus, ein Topmann.

Apollos, so hieß dieser gebürtige Alexandriner, warSpitze. Er hatte alle Fähigkeiten, die weltliche oder kirchli-che Karriereleiter hinaufzuklettern. Seine Freunde sahen inihm den zukünftigen Professor an der Stadtuniversität oderden kommenden Bischof in der Kirche. Apollos hatte allesZeug zum Chef und wurde Hilfsarbeiter im Reiche Gottes.

Irgendwo ist er einem Christen begegnet. Irgend jemandhat ihm von Christus erzählt. Irgendwer schleppte ihn indie Gemeinde. Der Weg des Herrn kreuzte seinen Weg.Nun gab es nur zwei Möglichkeiten: entweder seinen Wegnach oben oder Jesu Weg nach unten. Entweder seinenWeg des Ehrgeizes oder Jesu Weg des Gehorsams. Entwe-

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der seine Lorbeeren oder Jesu Dornen. Er mußte wählen.Jeder muß wählen. Um diese Wahl kommt keiner her-

um. Das Evangelium ist keine Verbreiterung oder Verschö-nerung unseres Lebensweges, sondern eine Kreuzung. Ein-mal stehen wir davor und müssen uns entscheiden, wo eslang gehen soll. Entweder sein Weg oder mein Weg. Entwe-der Ehrgeiz oder Gehorsam. Entweder Lorbeeren oderDornen. Entweder ich oder er.

Apollos wählte richtig. Noch einmal mag die faszinie-rende Welt griechischen Geistes vor ihm gestanden sein.Noch einmal mag ihn die imponierende Gesetzeslehre derRabbis angezogen haben. Noch einmal mag ihn die verlok-kende Welt mit Samt und Purpur gelüstet haben. Dann abersagte er: »Gib, daß ich nichts achte, nicht Leben noch Tod,nur Jesum gewinne, dies eine ist not.« Der Senkrechtstarteraus der Chefetage wurde Hilfsarbeiter auf Gottes Bau.

Auch wenn wir keine Hochschule besucht haben, son-dern nur die Hauptschule, auch wenn wir keine Rhetorikgelernt haben, sondern nur das Stottern, auch wenn wirkeinen Marschallstab in der Hosentasche haben, sondernnur ein Taschentuch, dieser Gott will jeden brauchen.

Ernte

Lange ist es her, aber die Erinnerung ist geblieben. DerWeizen im Neckartal war wunderschön gewachsen undstand reif auf den Feldern. Aber es regnete Tag und Nacht,schon fast zwei Wochen lang. Schade war es um das Getrei-de, wo es in jenen Kriegsjahren so bitter nötig gebrauchtwurde. Pflanzen und Menschen ließen die Köpfe hängen.Als aber auf einmal die Sonne durchbrach, rief der Kreislei-

ter alle zur »Ernteschlacht«. Mit Jubel klappten wir unsereVokabelhefte zu, ließen alles liegen und stehen und zogenhinaus auf die Felder.

Auch bei uns ist vieles reif zur Ernte. Müßte Jesus nichtzur Ernteschlacht aufrufen? Müßten seine Leute nicht allesstehen und liegen lassen? Müßten Erntearbeiter jetzt nichtran an die Arbeit? Aber Jesus ruft nicht zuerst zur Feldar-beit, sondern zur Heimarbeit. Jesus ruft nicht zuerst zumHändeanlegen, sondern zum Händezusammenlegen. Erruft zum Gebet. »Darum bittet den Herrn der Ernte, daßer Arbeiter in seine Ernte sende.«

Alle Aktionen Gottes müssen mit Gebet beginnen. Wonicht gebetet wird, wird nichts. Auf seine segnende Handkommt's an, nicht auf die eigene Faust. Denn bei ihmbraucht es geschickte Leute. Das sind nicht unbedingt tüch-tige Leute, die keine zwei linken Hände haben. Das sindnicht unbedingt kräftige Leute, die anpacken und zupackenkönnen. Das sind nicht unbedingt qualifizierte Leute, diemöglichst noch ein Agrardiplom in der Tasche haben.

Geschickte Leute sind geschickt, gesendet, gerufen. Eingeschickter Mensch ist ein berufener Mensch. Er weiß sichnicht selber zu Höherem berufen, sondern vom Höchstengerufen. So wie ein Jesaja, der stehenblieb und sagte: »Hierbin ich, sende mich!« Und weil es an solch geschicktenFrauen und Männern fehlt, deshalb müssen wir am Betenbleiben.

Herrentag

Zwölf Sonntagsspaziergänger bekamen Hunger. Obwohlkein Ausflugslokal in der Nähe war, wußten sie sich zu hel-fen. Sie fühlten sich in Gottes Selbstbedienungsrestaurant,

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griffen nach links und rechts in die Naturkost und mahltenihre Körner. Wie gut dies Müsli schmeckte.

Leider war aber solche Help-yourself- Aktion nicht nachdem Geschmack der Pharisäer. Plötzlich waren sie amKornfeldrand aufgetaucht und gifteten diesen Jesus an:Warum tun deine Zwölf am Sabbat, was verboten ist? Eraber machte diesen Körnerzählern klar: Am Sabbat bleibtFreiheit, den Hunger zu stillen. Am Sabbat bleibt Freiheit,den Durst zu löschen. Am Sabbat bleibt Freiheit zur Freu-de, denn was wäre das für ein Sonntag, der nur aus Verbo-ten besteht?

Ein alter Herr erzählte einmal von den tristen Sonntagenseiner Jugend, als er den Matrosenanzug anziehen mußte,nicht auf die Bäume klettern durfte, keine Hühner inNachbars Garten verfolgen konnte und nur leise Spiele imHause erlaubt waren. »Gott sei Dank war nicht alle TageSonntag«, sagte er. Was für eine schlimme Verkehrung.

Am Herrentag ist Freiheit zur Freude, und zwar dieFreude, die einer erlebt, wenn er ein Buch aufschlägt, das erschon lange lesen wollte, wenn einer seinen Tischtennis-schläger zur Hand nimmt, um gegen seine Söhne in Folgezu verlieren, wenn einer seine Freunde einlädt, um mit ih-nen in Ruhe zu plaudern.

Freude erleben und Freude machen, wenn einer seinenBriefblock hervorholt, um seiner alten Mutter ins Heim zuschreiben, wenn einer zum Telefon geht, um jene einsamePerson nach ihrem Ergehen zu fragen, wenn einer dasKrankenhaus aufsucht, um dem Operierten ein paar Blüm-chen zu bringen. Freude erleben und Freude machen, ge-nau das, was wir sonntags im Gottesdienst erfahren kön-nen. Der Herrentag ist der Tag der Freiheit dazu.

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STICHWORTVERZEICHNIS

Abel S. 7Abraham S. 30, 32, 54Anbetung S. 43Anfechtung S. 36, 39Angst S. 38, 39, 46, 70, 75Apollos S. 87-88Astrologie S. 53-54Augustus S. 8

Bergpredigt S. 24Besitz S. 7-8, 28, 30, 32

Dank S. 59, 82Demut S. 43, 46-47, 47-48

Elia S. 72, 74Erlösung S. 29-30Erneuerung S. 19,22,24,29-30,

59Erntedank S. 86Ewigkeit S. 32, 76

Fest S. 22, 24, 66Freiheit S. 12, 20, 62, 90Frucht S. 58-59

Gaben S. 5, 7-8Gebet S. 56, 60, 89Geist, Heiliger S. 25, 48, 62, 78,

80Gemeinde S. 9-10, 12-13, 21-

22, 40-41, 64-65, 84, 87-88Gerechtigkeit S. 8, 56-57, 64Glück S. 15, 32, 40, 41Gottesdienst S. 12-13

heil werden S. 40-41Herodes S. 8Himmel S. 27-28Himmelfahrt S. 29, 64

Jona S. 38-39Joseph S. 15, 28, 46

Kain S. 7Karfreitag S. 29, 39Kind Gottes S. 15, 55, 57-58,

62, 76-77Krankheit S. 35, 39, 40-41, 42-

43, 66, 81Kreuz S. 35-36, 38, 39, 43, 44,

68, 71, 81Krieg S. 30, 53

Laodicea S. 28Leid S. 35-36, 38-39, 41-42, 66liebe Gottes S. 9,26,35-36,38,

44, 50, 51, 54, 60, 84liebe zu Gott S. 64, 81

Maria S. 5-6Marta S. 5-6Mission siehe Weitersagen

Nächstenliebe S. 26, 41-42, 64,82,84

New Age S. 53, 54, 63

Opfer S. 12, 85Original S. 5-6, 7-8, 9Ostern S. 16, 20, 29, 33, 68

Paulus S. 18, 40, 81-82Petrus S. 24-25, 34, 71, 80Pfingsten S. 47, 78, 80Pilatus S. 39Potiphar, Frau des S. 14-15

Reich Gottes S. 14, 30, 57, 78,84, 86-87, 88

Reife S. 35-36, 38

Schöpfer S. 51-52, 60Sonntag S. 89-90Sünder S. 10, 14,16, 18, 28-29,

58,59

Taufe S. 26

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Tod S. 26, 33, 41-42, 44, 66, 68,70-71

Trost S. 41-42, 55, 65

Umkehr S. 12-13, 13-14

Weihnachten S. 8-9, 21-22, 52,69-70

Weitersagen S. 25-26, 34, 86-87Wiederkunft Jesu S. 30Wort Gottes S. 18-19, 47-48,

74, 75-76, 77-78Vater (Gott) S. 13-14, 28, 52,

55, 56, 57-58, 60 Zukunft der Welt S. 30, 75Vergebung S. 16, 18, 44, 46-47 Zweifel S. 30, 71-72

BIBELSTELLENVERZEICHNIS

Folgende Geschichten der Bibel werden in diesem Buch behandelt:

1. Mose1,1-273,94,1-16

12,1-83139,1-18

1. Könige17,1-7Psalm 2390,12

Jesaja6,8

40,3149,1653,466,13

Amos5,4 u. 21-27

Jona 1

S. 51-52S. 50S. 7-8S. 30-32, 53-54S. 48-50S. 14-15

S. 72-74S. 65S. 33

S. 89S. 20S. 71S. 42S. 41

S. 12-13

S. 38-39

Matthäus2,1-186,257,13-148,209,14-179,38

12,1-814,1914,22-3316,2421,28-3227,57-6028,18-20

Markus1,10

15,1-20

Lukas1,682,1-72,13

S. 8S. 75S. 21S. 32S. 22-24S. 87, 89S. 89-90S. 27S. 71-72S. 81S. 13-14S. 32S. 25-26

S. 27S. 39

S. 66S. 8-9, 52-53S. 27

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Lukas2,15-205,1-117,11-15

10,710,38-4213,6-915,11-3218,1-822,63-23,524,50-51

Johannes10,2814,1915,516,16-2218,10-2719,30

S. 21S. 34S. 70-71S. 36S. 5-6S. 9-10S. 54-55S. 56-57S. 39S. 27

S. 71S. 33S. 34-35, 58-59S. 29-30S. 24S. 44

Apostelgeschichte2,1-41

6,1-69,1-9

16,23-4018,24-28Römer7,248,16

S. 24-25, 47, 78-79S. 84S. 18-19S. 81-82S. 87-88

S. 19S. 62

Romer8,288,31-39

1. Korinther1,18

2. Korinther1,65,179,6-7

12,7

Philipper2,6-11

1. Petrus1,145,4

2. Petrus1,19

Hebräer13,9

Offenbarung3,14-22

21,1

S. 81S. 40, 44

S. 44

S. 42S. 19S. 86S. 40

S. 68

S. 32S. 36

S. 77-78

S. 63-64

S. 28-29S. 75

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Vom gleichen Autor:

made in heaven

Ein Konfirmanden-Magazin s

32 Seiten, geheftet, mit zahlreichen vierfarbigen FotosBestell-Nr. 224084

Unter den Überschriften: Woher komme ich? - Wer binich? - Was soll ich? - Was suche ich? - Wie lebe ich? - Wo-hin gehe ich? macht Konrad Eißler mit der Guten Nach-richt bekannt. Seine in knappem, sehr farbigem Stil und mitviel Humor geschriebenen Kapitel lesen sich vergnüglichund bringen dabei die Dinge »auf den Punkt«.Aus dem Inhalt: »Auch wenn Du Dich im Spiegel nichtmehr sehen magst: Du bist eine Handarbeit Gottes. Auchwenn Du in der Massengesellschaft übrig bist: Du bist undbleibst bei Gott ein unersätzliches Porträt, handsigniertvom Schöpfer höchstpersönlich, >made in heaven<.

R. BROCKHAUS VERLAG WUPPERTAL UND ZÜRICH

Klaus Krämer ,

Wo gehobelt wird . . .35 Werkstattgeschichten ,' '•

96 Seiten, R. Brockhaus Taschenbuch, Bestell-Nr. 220448

Regelmäßigen Hörern des Evangeliums-Rundfunks ist er längstbekannt: Klaus Krämer mit seinen Geschichten aus der Schreiner-werkstatt. Der Autor nimmt nicht nur menschliche Schwächenund Stärken aufs Korn, in jeder Geschichte zieht er seine Gedan-ken zu einer geistlichen Aussage aus. So werden die meist lustig er-zählten Erlebnisse immer wieder zu Andachten und fuhren in dasNachdenken über Gott.

Heinrich Giesen

Minutengebete V

302 Seiten, R. Brockhaus Taschenbuch, Bestell-Nr. 220460

Der bekannte ehemalige Leiter der Berliner Stadtmission HeinrichGiesen (1910-1972) hat weit über 500 Gebete geschrieben, die inihrer kraftvollen, persönlichen Art vielen Menschen Orientierungund Hilfen zum eigenen Beten und Glauben waren und sind: Ge-bete fürs »stille Kämmerlein«, für den Gottesdienst und zu vielenanderen Anlässen. Etwa 280 dieser Gebete sind in diesem Buch zu-sammengestellt. :

Karl Beyer

Wie bereite ich eine Bibelarbeit vor?

60 Seiten, R. Brockhaus Taschenbuch, Bestell-Nr. 220390

Wer in der Jugend- und Gemeindearbeit vor die Aufgabe gestelltwird, eine Bibelarbeit durchzuführen, weiß oft nicht recht, wie ersich darauf vorbereiten soll.- Welchen Text soll ich wählen? - Wie kann ich sicherstellen, daßich selbst den Text richtig verstehe? - Wie kann ich den Hauptge-danken, das Ziel des Textes ermitteln, damit die Bibelarbeit nicht inNebensächlichkeiten abgleitet? - Welche Methoden der Bibelar-beit sind dem Text und der Gruppe angemessen? - Welche Hilfs-mittel gibt es für die Vorbereitung und die Gruppenarbeit?

Zuerst war alles gut. Während draußen im Land das Was-ser versiegte und das Brot knapp wurde, kniete der Mannan seinem Bach und schöpfte das köstliche Naß. Das not-wendige Vesper dazu kam per Luftpost. Ausgerechnetfutterneidische Raben richteten eine Luftbrücke ein undwarfen dort, wo sich Fuchs und Has' gute Nacht sagen, dieFischbrötchen zielgenau ab. Zweimal täglich erlebte Eliadieses Speisungswunder am Bach Krit. Aber dann pas-sierte e s . . .

Konrad Eißler ist Pfarrer an der Stiftskirche in Stuttgartund für seine prägnanten, schwäbisch-originellen Pre-digten bekannt. Seine kurzen Texte in diesem Buch er-zählen Geschichten aus der Bibel für heute.

ISBN 3-7615-3449-3 [795]