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19. Wahlperiode Kurzbericht öffentlich ohne Beschlussprotokoll 103. Sitzung des Innenausschusses 42. Sitzung des Rechtspolitischen Ausschusses 14. Juni 2018, 10:00 bis 12:00 Uhr Anwesend: Vorsitzender des INA: Abg. Horst Klee (CDU) Vorsitzender des RTA: Abg. Christian Heinz (CDU) CDU Abg. Alexander Bauer Abg. Holger Bellino Abg. Christian Heinz Abg. Heiko Kasseckert Abg. Irmgard Klaff-Isselmann Abg. Markus Meysner Abg. Uwe Serke Abg. Astrid Wallmann SPD Abg. Tobias Eckert Abg. Nancy Faeser Abg. Dieter Franz Abg. Lisa Gnadl Abg. Karin Hartmann Abg. Rüdiger Holschuh Abg. Günter Rudolph BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Abg. Jürgen Frömmrich Abg. Eva Goldbach Abg. Daniel May DIE LINKE Abg. Hermann Schaus FDP Abg. Wolfgang Greilich

Kurzbericht öffentlich - hessischer-landtag.de · Ausländerreferenten des Bundes und der Länder rechtzeitig ein abgestimmtes Konzept zur Rückführung ausreisepflichtiger irakischer

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19. Wahlperiode

Kurzbericht öffentlich – ohne Beschlussprotokoll –

103. Sitzung des Innenausschusses

42. Sitzung des Rechtspolitischen Ausschusses

14. Juni 2018, 10:00 bis 12:00 Uhr

Anwesend:

Vorsitzender des INA: Abg. Horst Klee (CDU)

Vorsitzender des RTA: Abg. Christian Heinz (CDU)

CDU

Abg. Alexander Bauer

Abg. Holger Bellino

Abg. Christian Heinz

Abg. Heiko Kasseckert

Abg. Irmgard Klaff-Isselmann

Abg. Markus Meysner

Abg. Uwe Serke

Abg. Astrid Wallmann

SPD

Abg. Tobias Eckert

Abg. Nancy Faeser

Abg. Dieter Franz

Abg. Lisa Gnadl

Abg. Karin Hartmann

Abg. Rüdiger Holschuh

Abg. Günter Rudolph

BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Abg. Jürgen Frömmrich

Abg. Eva Goldbach

Abg. Daniel May

DIE LINKE

Abg. Hermann Schaus

FDP

Abg. Wolfgang Greilich

Lb/me – 2 – INA 19/103 u. RTA 19/42 – 14.06.2018

Fraktionsassistentinnen und Fraktionsassistenten:

Helena Fertmann (Fraktion der CDU)

Lisa Ensinger (Fraktion der SPD)

Dr. Frederik Rakor (Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Adrian Gabriel (Fraktion DIE LINKE)

Bérénice Münker (Fraktion der FDP)

Landesregierung, Rechnungshof, Datenschutz, Landtagskanzlei:

Protokollierung: Claudia Lingelbach

Stefan Ernst

Lb/me – 3 – INA 19/103 u. RTA 19/42 – 14.06.2018

Information zum aktuellen Sachstand im Fall Ali B.

Vorsitzender Abg. Horst Klee: Meine Damen und Herren, ich darf Sie herzlich zur 103.

Sitzung des Innenausschusses und zur 42. Sitzung des Rechtspolitischen Ausschusses be-

grüßen.

Ich habe vor der Sitzung mit den Fraktionen gesprochen. Der Punkt ist selbstverständlich

öffentlich. Wenn das einhellig so gesehen wird, brauchen wir keinen Beschluss mehr zu

fassen.

Minister Peter Beuth: Die Justizministerin Frau Kollegin Kühne Hörmann und ich selbst ha-

ben dem Ausschuss angeboten, dass wir über den Fall Susanna F. informieren. Das wol-

len wir hiermit auch tun.

Zunächst einmal will ich feststellen: Das ist eine schreckliche Tat, die sich hier zugetragen

hat und uns alle erschüttert hat. Unser Mitgefühl gilt natürlich vor allen Dingen den An-

gehörigen. Das möchte ich noch einmal zum Ausdruck bringen. Darüber hinaus will ich

deutlich machen, dass wir alles tun, um den Täter und die Tat genau auszuermitteln und

den Täter am Ende seiner gerechten Strafe zuzuführen. Im Fall der getöteten Susanna F.

möchte ich Sie über den bisherigen Sachstand informieren. Den Obleuten des Innen-

ausschusses ist das nach der ausführlichen Information vom vergangenen Freitag-

nachmittag überwiegend schon bekannt. Ich möchte darauf hinweisen, dass es sich

um eine Momentaufnahme handelt und die Ermittlungen jederzeit neue Erkenntnisse

hervorbringen können.

Nachdem Susanna F. am späten Abend des 23. Mai von ihrer Mutter in Mainz als ver-

misst gemeldet worden war, wurden zunächst durch die zuständigen rheinland-

pfälzischen Behörden Ermittlungen eingeleitet. Ab dem 30. Mai 2018 hat das Polizeiprä-

sidium Westhessen diesen Fall übernommen. Grund für die Übernahme der Ermittlungen

waren die sich verdichtenden Erkenntnisse, dass Susanna F. in Wiesbaden ihren regel-

mäßigen Aufenthalt hatte und vermutlich auch dort verschwunden war. Seit Februar

war sie nur selten in der Schule und hatte sich in Wiesbaden einer Clique angeschlos-

sen. Am 22. Mai hatte sie nach unseren Erkenntnissen abends zuletzt Telefonkontakt zu

ihrer Mutter. Am 29. Mai meldete sich eine Freundin der Vermissten bei der Mutter von

Susanna F. Diese Freundin gab an, sie haben einen anonymen Anruf erhalten, in wel-

chem ihr mitgeteilt worden sei, dass Susanna tot sei und in Erbenheim an den Bahnglei-

sen liege. Diese Information gab Susannas Mutter dann am späten Abend des 29. Mai

an die Polizei in Mainz und in Wiesbaden weiter. Die Übernahme der Ermittlungen und

Fahndung durch die Polizei in Wiesbaden erfolgte sodann am 30. Mai.

Nach den heutigen Erkenntnissen wissen wir, dass Susanna F. bereits eine Woche vor

der Übernahme der Ermittlungen durch die hessischen Behörden tot war. Direkt am

nächsten Tag erfolgten durch das zuständige Kommissariat des Polizeipräsidium West-

hessen mehrfache Kontaktaufnahmeversuche durch das zuständige Kommissariat so-

wohl auf dem Handy der Zeugin und der Mutter als auch auf dem Festnetzgerät. Ein

Kontakt kam nicht zustande. Auf Nachfrage der Polizei in Mainz wurde bekannt, dass

die Zeugin über das verlängerte Wochenende im Urlaub und nicht erreichbar sei. Wo

sich die Zeugin aufhielt, wurde nicht bekannt.

Lb/me – 4 – INA 19/103 u. RTA 19/42 – 14.06.2018

Durch die Polizei erfolgten neben der Suche nach weiteren Kontakten und Aufenthalts-

orten umgehend – wie in einem solchen Fall üblich – Abklärungen, beispielsweise bei

der Schule, über Spuren in sozialen Netzwerken, durch Telefonüberwachungsmaßnah-

men, Ortungsmaßnahmen des Telefons der Vermissten, öffentliche Fahndung nach der

Vermissten und durch umfangreiche Suchmaßnahmen unter Helikoptereinsatz in der

Gemarkung Erbenheim. Viele Hinweise erfolgten auch durch die Mutter der Vermissten,

denen sofort nachgegangen wurde. Alle diese Überprüfungen ergaben – so wie von

mir berichtet – keinen entscheidenden kriminalistischen Ermittlungsansatz.

Am Sonntag, den 3. Juni erschien ein 13-jähriger Zeuge afghanischer Staatsangehörig-

keit auf einem Polizeirevier in Wiesbaden und erklärte, dass Susanna F. vergewaltigt und

getötet worden sei. Er benannte den irakischen Flüchtling Ali B. als Täter und einen

möglichen Tatort in Erbenheim. Noch in derselben Nacht wurde Ali B. zur Fahndung

ausgeschrieben, die Flüchtlingsunterkunft aufgesucht und der Zeuge zu dem möglichen

Tatort gebracht. Zur Fahndung, den weiteren Ermittlungen und zur Suche nach Susanna

F. waren täglich zwischen 140 und 220 hessische Beamte eingesetzt.

Am Nachmittag des 6. Juni 2018 wurde schließlich eine weibliche Leiche in Wiesbaden

gefunden. Weitere Ermittlungen ergaben, dass Ali B. gemeinsam mit seiner acht Perso-

nen umfassenden Familie am 2. Juni, d. h. vor dem entscheidenden Zeugenhinweis am

3. Juni 2018, vom Flughafen Düsseldorf nach Istanbul mit Anschlussflug nach Erbil, Irak,

ausgereist ist. Die Ausreise war also bereits vor dem entscheidenden Zeugenhinweis auf

den Tatverdächtigen erfolgt.

Der Tatverdächtige Ali B. konnte schließlich in der Nacht auf den 8. Juni durch kurdische

Sicherheitsbehörden im Nordirak auf Hinweis der Bundespolizei festgenommen werden.

Er wurde am 9. Juni wieder nach Deutschland gebracht. Nach der polizeilichen Ver-

nehmung und der Vorführung vor der Ermittlungsrichterin am vergangenen Sonntag

erging ein Untersuchungshaftbeschluss. Ali B. hat sich geständig bezüglich des Tötungs-

delikts eingelassen. Eine Vergewaltigung wurde durch ihn allerdings bestritten.

Der Tatverdächtige ist nach eigenen Angaben im Oktober 2015 in das Bundesgebiet

eingereist. Im April 2016 erfolgte die Zuweisung des Beschuldigten nach Wiesbaden. Die

Asylantragstellung folgte im September 2016. Im Oktober 2016 hat die Anhörung zum

Asylantrag beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge stattgefunden. Der Asylan-

trag wurde im Dezember 2016 abgelehnt. Daraufhin wurde im Januar 2017 Klage beim

Verwaltungsgericht Wiesbaden gegen den ablehnenden Bescheid eingereicht. Dies

hatte im März 2017 die Erteilung einer Aufenthaltsgestattung durch die Ausländerbe-

hörde der Stadt Wiesbaden aufgrund der laufenden Klage zur Folge. Ein Zeitverzug von

mehr als einem Jahr zwischen der Einreise und dem Asylgesuch und der formellen Asyl-

antragstellung war in den Jahren 2015/2016 nicht ungewöhnlich.

Im Zustrom der Asylsuchenden im Laufe der Jahre 2015 und 2016 wurden zwar Gesuche

aufgenommen und Bescheinigungen über die Meldung als Asylsuchender, sogenannte

BüMA, ausgestellt. Die Antragstellung konnte verwaltungsseitig durch das BAMF indes

nicht gewährleistet werden. Im Verlauf des Jahres 2016 zeigte sich zudem, dass das so-

genannte EASY-Gap eine Differenz von EASY-Zuweisungszahlen und tatsächlich aufge-

nommenen Asylanträgen aufwies. Daraufhin wurden in einer von der EAE in Gießen

gesteuerten Maßnahme mehrere 10.000 Asylsuchende aus den Unterkünften in die

HEAE und zu den Außenstellen des BAMF gebracht, um ihren formalen Asylantrag stel-

len zu können und das EASY-Gap zu schließen.

Lb/me – 5 – INA 19/103 u. RTA 19/42 – 14.06.2018

Zur weiteren Einordnung des Gesamtaufkommens an Flüchtlingen zu dieser Zeit möchte

ich Ihnen darüber hinaus noch Folgendes in Erinnerung rufen. Der Tageszugang am

28. Oktober 2015 belief sich auf insgesamt 1.128 Personen. An diesem Tag befanden

sich 27.820 Asylsuchende in 32 Standorten der HEAE sowie den ca. 32 Landesnotunter-

künften von zehn Landkreisen.

Ali B. ist bereits vor dem Tatverdacht im Zusammenhang mit der Tötung von Susanna F.

polizeilich in Erscheinung getreten. Die Vorgänge, alle mit Tatort Wiesbaden, liegen

überwiegend im Zeitraum Februar 2018 bis Juni 2018. Es handelt sich um Verdacht auf

gefährliche Körperverletzung, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, versuchte Kö-

perverletzung, Raub und Verdacht auf Vergewaltigung. In einigen Fällen war kein Tat-

nachweis möglich, insbesondere zum Verdacht auf Vergewaltigung war bisher und ist

nach meiner Kenntnis auch gegenwärtig kein Tatnachweis zu führen, da die bislang

vorliegenden Zeugenaussagen keine Konkretisierung der Tathandlung zuließen. Insbe-

sondere sahen Polizei und Staatsanwaltschaft auch im Zusammenhang mit den schwe-

reren Deliktsvorwürfen, wie z. B. dem schweren Raub, keine Chance, erfolgreich Unter-

suchungshaft zu beantragen.

Über diesen Sachstand hinaus möchte ich noch zwei weitere Punkte aufgreifen, die

zum Teil bereits ebenfalls medial diskutiert wurden: einmal die Frage der Identität des Ali

B. und zum anderen die Rahmenbedingungen für Abschiebungen in den Irak.

Das Polizeipräsidium Westhessen hat sich zur Frage der auch medial thematisierten, an-

geblich unterschiedlichen Identitäten des Beschuldigten und dessen Familie unmittel-

bar und mit großem Nachdruck gewidmet. Das irakische Generalkonsulat hat hier sehr

zur Aufklärung beigetragen. Wie mir berichtet wurde, steht die Identität des Beschuldig-

ten fest. Im Irak erfolgt die Namensgebung von Kindern wie folgt: erstens, eigener ge-

wählter Vorname; zweitens, Vorname des Vaters; drittens, Vorname des Großvaters und

viertens, Vorname des Urgroßvaters oder der sogenannte Stammesname. Auf diese

Weise setzen sich die jeweiligen Namen zusammen. Nach Auskunft des Generalkonsu-

lats sei man jedoch nicht verpflichtet, den vierten Namen in der Namensfolge auf amt-

lichen Dokumenten zu erfassen. Auch im Sprachgebrauch ist die Verwendung aller

Namen nicht üblich. Auf diese Weise entstand der Eindruck unterschiedlicher Identitä-

ten. Auf einem Dokument ist z. B. der vierte Name des Beschuldigten enthalten; auf ei-

nem anderen – und beispielsweise auf dem der Übersetzung der Laissez-passer – nicht.

Die Kontrolle der Dokumente und der Abgleich der Dokumente bei der Ausreise der

Familie oblag der Bundespolizei. Hier liegen der hessischen Polizei keine Erkenntnisse vor.

Ali B. stammt aus dem autonomen Kurdengebiet im Nordirak. In diesem Gebiet übt die

kurdische Regionalregierung die Staatsgewalt de facto alleine aus. In den letzten Jah-

ren fanden keine Abschiebungen aus Hessen in den Irak statt. Auch bundesweit wurde

nach meiner Kenntnis lediglich eine niedrige zweistellige Zahl von Personen in den Irak

abgeschoben. Eine formale Aussetzung von Abschiebungen nach § 60a Abs. 1 Aufent-

haltsgesetz wurde allerdings nicht angeordnet. Grundlage ist die Beschlusslage der

Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren. Im Jahre 2003 wurde durch ei-

nen Beschluss der IMK festgestellt, dass angesichts der gegenwärtigen Lage im Irak und

des Fehlens von Flugverbindungen eine zwangsweise Rückführung ausreisepflichtiger

irakischer Staatsangehöriger derzeit noch nicht in Betracht kommt. Der Bund wurde ge-

beten, die Länder über die weitere Entwicklung der Lage zu unterrichten, damit die

Ausländerreferenten des Bundes und der Länder rechtzeitig ein abgestimmtes Konzept

zur Rückführung ausreisepflichtiger irakischer Staatsangehöriger vorlegen können, so-

bald eine zwangsweise Rückführung möglich ist.

Lb/me – 6 – INA 19/103 u. RTA 19/42 – 14.06.2018

Ab 2006 war die Rückführung von verurteilten – ich wiederhole verurteilten – Straftätern

in den Nordirak möglich. Die kurdische Seite bat jedoch darum, nur solche Straftäter zur

Rückführung anzubieten, die zu mindestens 90 Tagessätzen bzw. drei Monaten Freiheits-

strafe verurteilt wurden.

Am 4. Juli 2017 schließlich stellte der damalige Bundesinnenminister de Maizière fest,

dass es nach sorgfältiger Prüfung des Einzelfalls auch möglich sei, Abschiebungen in

den Zentralirak zu betreiben und die Passersatzbeschaffung einzuleiten. Die letzte IMK

hat nun beschlossen, dass Straftäter und Gefährder auch in den Zentralirak abgescho-

ben werden können. Der BMI wurde zugleich gebeten, weiterhin mit der Zentralregie-

rung des Irak die dafür notwendigen Vereinbarungen zu treffen. Eine Abschiebung von

Ali B. wäre daher zum einen aufgrund des laufenden Klageverfahrens, zum anderen

aber auch aufgrund der gerade beschriebenen Beschlusslage nicht möglich gewesen.

Ministerin Eva Kühne-Hörmann: Der Tod von Susanna F. macht uns alle betroffen. Mein

Mitgefühl – das will ich zuallererst sagen – gilt ihrer Mutter und ihrer ganzen Familie.

Staatsanwaltschaft und Polizei setzen alles daran, das mutmaßliche Verbrechen an Su-

sanna F. möglichst zeitnah und trotzdem gründlich aufzuklären. Soweit es um das ver-

waltungsgerichtliche Asylverfahren des Beschuldigten Ali B. geht, möchte ich voraus-

schicken, dass Gerichte als dritte Gewalt in unserem Rechtsstaat ihre Verfahren eigen-

verantwortlich führen. Aufgrund des verfassungsrechtlich garantierten Prinzips der rich-

terlichen Unabhängigkeit kann und darf das Justizministerium keinen Einfluss auf einzel-

ne gerichtliche Verfahren nehmen. Wegen der verfassungsrechtlich garantierten rich-

terlichen Unabhängigkeit kommentiere ich auch weder die Prozessführung noch die

Entscheidungen in einzelnen Verfahren. Das gilt übrigens für alle gerichtlichen Verfah-

ren, nicht nur für das verwaltungsgerichtliche Asylverfahren des Beschuldigten Ali B.

Ich kann Ihnen aber mitteilen, was mir das Verwaltungsgericht Wiesbaden zu dem Ver-

fahren im Wesentlichen mitgeteilt hat. Am 27. September 2016 stellte Ali B. einen Asylan-

trag. Mit Bescheid vom 29. Dezember 2016, zugestellt am 31. Dezember 2016, lehnte

das BAMF die Zuerkennung einer Flüchtlingseigenschaft und auch die eines subsidiären

Schutzstatus ab. Mit anwaltlichem Schriftsatz vom 9. Januar 2017 erhob der Beschuldig-

te beim Verwaltungsgericht Wiesbaden Klage gegen diesen Bescheid. Er beantragte

das BAMF zu verpflichten, ihm die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, hilfsweise ihm

subsidiären Schutzstatus zu gewähren und weiter hilfsweise festzustellen, dass Abschie-

bungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Aufenthaltsgesetz vorliegen. Eine weitere Be-

gründung wurde angekündigt, ist aber trotz entsprechender Aufforderung durch das

Verwaltungsgericht Wiesbaden dort nicht eingegangen.

Das BAMF übermittelte am 8. Februar 2017 dem Verwaltungsgericht Wiesbaden die

elektronische Bundesamtsakte und beantragte, die Klage abzuweisen. Durch Beschluss

des Verwaltungsgerichts Wiesbaden vom 13. März 2017 wurde der Rechtsstreit gemäß

§ 76 Abs. 1 Asylgesetz dem Einzelrichter übertragen. Nachdem der Prozessbevollmäch-

tigte des Beschuldigten mit Schriftsatz vom 11. Juni 2018 die Klage zurückgenommen

hat, hat das Verwaltungsgericht das Verfahren mit Beschluss vom selben Tag einge-

stellt. – Soweit die Mitteilungen des Verwaltungsgerichts zum Verfahrensablauf.

Ergänzend möchte ich noch zu dem, was Kollege Beuth eben dargestellt hat, darauf

hinweisen, dass nach Erlasslage die Rückführung irakischer Staatsbürger in den Irak in

den letzten Jahren grundsätzlich nicht möglich ist.

Lb/me – 7 – INA 19/103 u. RTA 19/42 – 14.06.2018

Im Weiteren will ich darauf hinweisen, dass die Asylverfahren in der Justiz in der jüngeren

Vergangenheit erheblich zugenommen haben. Bereits seit 2014 sind die Eingangszahlen

deutlich und kontinuierlich gestiegen. So stieg die Zahl der Asylhauptverfahren an den

hessischen Verwaltungsgerichten von rund 3.000 im Jahr 2014 auf über 25.000 im Jahr

2017. Dieser enorme Anstieg ist eine Spätfolge der Entwicklung in den Jahren 2015/2016.

Die in diesen Jahren zeitweise massiv gestiegenen Flüchtlingszahlen führten zu einer er-

heblichen Zunahme der Verfahren vor den Verwaltungsgerichten. Das Justizministerium

hat auf diese Situation reagiert und Maßnahmen ergriffen, um die personelle Ausstat-

tung der hessischen Verwaltungsgerichte deutlich zu verbessern.

Schon seit 2014 haben wir nach Jahren wieder Proberichterinnen und –richter in der

Verwaltungsgerichtsbarkeit eingestellt. Das waren 2014 zunächst zwei neue Richter. Zu-

dem sind aus anderen Gerichtsbarkeiten Richterinnen und Richter in die Verwaltungs-

gerichtsbarkeit gewechselt. Im Jahr 2016 haben wir die Verwaltungsgerichte aufgrund

des Flüchtlingszustroms erheblich verstärkt. Es wurden 32 neue Stellen in der Verwal-

tungsgerichtsbarkeit geschaffen, davon 15 Richterstellen und 17 im nichtrichterlichen

Bereich. An den Verwaltungsgerichten Frankfurt am Main, Gießen und Kassel wurden

insgesamt vier neue Kammern errichtet. Auch in der ordentlichen Gerichtsbarkeit wur-

de dem Verfahrensanstieg im Zusammenhang mit den minderjährigen unbegleiteten

Flüchtlingen Rechnung getragen. Dort wurden im Haushalt 2016 insgesamt sieben Stel-

len geschaffen, davon drei Richterstellen. Diese Personalverstärkungen haben wir mit

dem Haushalt 2017 ausgebaut. Mit dem Haushalt 2017 wurde das Stellenabbaupro-

gramm vorzeitig beendet. Personal im Umfang von rund 185 Stellen, die noch hätten

abgebaut werden sollen, blieb erhalten. Zusätzlich wurden 256 Stellen neu geschaffen.

Eine nochmalige Verstärkung erfolgte mit dem Doppelhaushalt 2018/2019, in dem zu-

sätzlich insgesamt 234 Stellen neu geschaffen worden sind. Von diesen sind 30 Stellen

zur Stärkung der Verwaltungsgerichtsbarkeit und der Asylverfahren vorgesehen. Davon

sind 14 Richterstellen. Ergebnis: Seit dem Jahr 2016 haben wir in der Verwaltungsge-

richtsbarkeit insgesamt 62 neue Stellen geschaffen, davon insgesamt 29 neue Stellen für

Richterinnen und Richter.

Trotz der hohen Verfahrenszahlen ist es den Verwaltungsgerichten bislang gelungen,

die Asylsachen in einer überschaubaren Zeit zu erledigen. So lag die durchschnittliche

Verfahrensdauer bei den hessischen Verwaltungsgerichten in den erledigten Hauptsa-

cheverfahren im Jahr 2017 bei 6,1 Monaten, bei den Asyleilverfahren betrug die durch-

schnittliche Verfahrensdauer im Jahr 2017 1,6 Monate.

Nach Mitteilung des Verwaltungsgerichtshofs sind im Zeitraum vom 1. Januar 2016 bis

zum 11. Juni 2018 beim Verwaltungsgericht in Wiesbaden insgesamt 166 Hauptsache-

verfahren, die sich mit Irakern beschäftigen, anhängig gewesen. Davon sind 133 bereits

erledigt. In dem Zeitraum gab es 46 Eilverfahren, von denen 43 erledigt worden sind.

Der Justizstandort Wiesbaden wurde erheblich gestärkt. Beim Verwaltungsgericht Wies-

baden sind bis ins laufende Jahr hinein 4,5 Richterstellen sowie 3 weitere Stellen für

nichtrichterliches Personal zusätzlich zur Verfügung gestellt worden, sodass die Zahl der

besetzbaren Richterstellen heute aktuell 19 beträgt. Im September 2018 wird eine weite-

re Stelle hinzukommen, die derzeit haushaltsrechtlich noch gesperrt ist.

Die Staatsanwaltschaft Wiesbaden hat im selben Zeitraum zwei zusätzliche Stellen für

Staatsanwälte erhalten. Das Landgericht Wiesbaden ist auch um insgesamt zwei Stellen

im richterlichen Bereich und um fünf weitere Arbeitsplätze im nichtrichterlichen Bereich

ergänzt worden. Angesichts dieses gestiegenen Personaleinsatzes, den ich Ihnen eben

beschrieben habe, verbunden mit nunmehr rückläufigen Neueingängen, bin ich davon

Lb/me – 8 – INA 19/103 u. RTA 19/42 – 14.06.2018

überzeugt, dass die hessische Justiz die durch die Flüchtlingskrise ausgelöste Klagewelle

bewältigen wird.

Ich will zu einem letzten Punkt kommen, und zwar zu den Informationen über die

Rechtshilfeaktivitäten. Am Freitag, den 8. Juni 2018 teilte die Generalstaatsanwaltschaft

dem Justizministerium gegen 13 Uhr telefonisch mit, dass eine Festnahme des Beschul-

digten Ali B. im Irak erfolgt sei. Ein Bericht der Staatsanwaltschaft Wiesbaden werde

noch am gleichen Tag erfolgen. Im Justizministerium wurde daraufhin ein Auslieferungs-

vorgang angelegt und ein Schreiben an das Bundesamt für Justiz vorbereitet. Am sel-

ben Tag gegen 15 Uhr wurde der telefonisch angekündigte Bericht der Staatsanwalt-

schaft Wiesbaden nebst dem Haftbefehl gegen den Beschuldigten übermittelt. Noch

am selben Tag hat sich das Justizministerium schriftlich an das Bundesamt für Justiz ge-

wandt, die erforderlichen Unterlagen übersandt und wie üblich um Prüfung gebeten,

ob im Einvernehmen mit dem Auswärtigen Amt ein Auslieferungsersuchen in den Irak als

weiterleitungsfähig erachtet werde. Am Montag, den 11. Juni 2018 ging eine E-Mail-

Nachricht des Bundesamtes für Justiz mit einem Fernschreiben des Bundesministeriums

des Innern ein. In dieser Nachricht wurde über die Verbringung des Beschuldigten in die

Bundesrepublik Deutschland berichtet. Das Bundesamt für Justiz teilte mit, dass es daher

seinen Auslieferungsvorgang als abgeschlossen betrachte. Das Justizministerium hat die

Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main und die Staatsanwaltschaft Wiesbaden

noch am gleichen Tag entsprechend informiert.

Zu den weiteren Ausführungen, was die strafrechtlichen Belange angeht, würde ich

jetzt an den Generalstaatsanwalt, Herrn Prof. Dr. Fünfsinn, abgeben.

Prof. Dr. Fünfsinn: Ich denke, dass eigentlich alles gesagt worden ist, jedenfalls für jetzt.

Ich kann aus meiner Sicht nur sagen, wir sind ja als Mittelbehörde mit den Dingen be-

traut, dass es keine Anhaltspunkte dafür gibt, dass die Staatsanwaltschaft Wiesbaden

an irgendeiner Stelle zögerlich gehandelt hätte oder dass Dinge von der General-

staatsanwaltschaft zu beanstanden wären. Im Übrigen laufen die Ermittlungen, und sie

sind – wie Sie alle wissen – nicht öffentlich zu führen. Das hat der Gesetzgeber so vorge-

sehen. Der Gesetzgeber hat dabei ganz zu Recht im Auge gehabt, dass die Beweisfüh-

rung im Verfahren sehr schwierig sein wird, wenn andere Personen gleichzeitig ermitteln.

Daran sollten wir uns alle halten. Noch einmal: Ich sehe zurzeit keinen Anlass zur Bean-

standung.

Abg. Alexander Bauer: Ich möchte mich zunächst für die Berichte von der Justizministe-

rin und dem Innenminister bedanken, die ja heute auch ein Stück weit auf Konsens ge-

stoßen sind. Wir haben diese Sondersitzung einberufen, um uns über die Fakten zu in-

formieren und diese der Legendenbildung entgegensetzen. Die Fakten sind heute zu-

mindest in einem Zwischenstand – in einer Momentaufnahme – hier in die Diskussion

eingebracht worden. Bei genauem Zuhören kann man erkennen, wie dramatisch und

schrecklich dieser Einzelfall, dieser Mord, dieses Verbrechen ist. Das entsprechende Be-

dauern und das Mitgefühl für die Angehörigen wurden ja schon kundgetan. Dem kann

ich mich nur anschließen.

Gleichwohl gibt die Schilderung auch Einblicke in die Komplexität unseres Rechtsstaa-

tes. Wenn man sich das Ganze anhört und sich die Verläufe anschaut, kann man schon

erkennen, wie komplex die entsprechenden Entwicklungsketten sind. Für uns ist es wich-

tig, dass wir ein Stück weit aus den Erfahrungen und der Vorgeschichte dieses Falles

lernen. Ich bin mir ganz sicher, dass der aktuelle Fall, dieses Verbrechen auch ganz kon-

Lb/me – 9 – INA 19/103 u. RTA 19/42 – 14.06.2018

sequent aufgeklärt wird. Ich habe keine Zweifel, dass die entsprechende Tat auch der

gerechten Strafe und Sühne zugeführt wird. Für das aktuelle Verfahren werden wir uns

an das halten, was der Generalstaatsanwalt hier gesagt hat. Wir werden uns nicht ins

laufende Verfahren einmischen. Aber man kann den Blick auf die Vorgeschichte dieses

Falles, auf die Personen, auf die Hintergründe richten, um daraus für die Gegenwart

und die Zukunft Konsequenzen zu ziehen. Das ist das Ansinnen, was CDU und BÜND-

NIS 90/DIE GRÜNEN mit dieser Beratung haben.

Mir fallen beim ersten Durchschauen schon drei Dinge auf. Deshalb möchte ich noch

einmal nachfragen. – Der Innenminister hat deutlich gemacht, dass es im Laufe des

Verfahrens eine Aufenthaltsgestattung gab – ich glaube, er hatte März 2017 in diesem

Zusammenhang erwähnt. Die Frage ist, ob eine Aufenthaltsgestattung befristet ist, ob

sie verlängert werden muss oder ob sie dann dauerhaft bis zum Abschluss des jeweili-

gen Gerichtsverfahrens bzw. bis zum Abschluss der entsprechenden unwiderruflichen

Bescheidung dieses Antrags beim Verwaltungsgericht gilt.

Sie haben ja gesagt, dass aufgrund der Vordelikte keine Untersuchungshaft möglich

gewesen sei. Ich denke, man müsste an dieser Stelle einmal über die Rahmenbedin-

gungen sprechen, damit man in solchen Fällen vielleicht doch so etwas möglich ma-

chen kann. Ich glaube, bei all den Dingen, die dem Beschuldigten schon im Vorfeld

zugeschrieben wurden, müsste man das Ganze vielleicht ein Stück weit schärfen, um

bei solchen Sachlagen der Person schneller habhaft werden zu können.

Dann möchte ich hinweisen – ich möchte keine Debatte anstoßen, aber die Debatte ist

für uns als CDU-Fraktion extrem wichtig – auf die komplexe Diskussionslage bezüglich

der Einrichtung einer Abschiebehaftanstalt hier in Hessen, damit wir Personen zurückfüh-

ren können, die unrechtmäßig in Hessen sind, unabhängig davon, welche Personen es

sind, wohin sie kommen und welche Vorerfahrungen wir mit diesen Personen haben.

Diese entsprechende Einrichtung, die wir in Darmstadt etablieren, ist ja auch nicht un-

umstritten.

Auch die Frage der Rückführungen von Personen, die durchaus straffällig geworden

sind, ist hier oftmals Gegenstand der Debatte im Hessischen Landtag. Ich will nur einmal

daran erinnern, dass es da Tendenzen gibt, generell in gewisse Gebiete und gewisse

Länder gar keine Rückführungen durchzuführen, unabhängig davon, ob diese Person in

erheblichem oder geringfügigem Maße straffällig geworden ist. Dazu gibt es durchaus

unterschiedliche politische Einschätzungen. Ich glaube, ich muss nicht erläutern, wie die

CDU-Fraktion zu diesen Dingen steht. Aber diese komplexe Gemengelage ist auch Ge-

genstand für die kommenden und künftigen politischen Debatten.

Ich rufe noch einmal die zwei Fragen in Erinnerung. Es geht um die Aufenthaltsgestat-

tung: Hätte sie verlängert oder widerrufen werden können? Und es geht um die Frage

nach den Untersuchungshaftumständen, ob man da nicht eine gesetzliche Schärfung

herbeiführen müsste.

Vorsitzender Abg. Horst Klee: Wir lassen im ersten Durchgang alle zu Wort kommen.

Dann können die Ministerien antworten.

Abg. Nancy Faeser: Ich möchte für die SPD sagen – ich will das auch ganz persönlich

tun –: Als Mutter ist so ein Fall das Schlimmste, was einem passieren kann. Deswegen gilt

unser Mitgefühl den Angehörigen der Ermordeten. Ich will sagen, dass das etwas ist, um

Er/me – 10 – INA 19/103 u. RTA 19/42 – 14.06.2018

das wir uns sehr stark kümmern müssen. Wir müssen überlegen – da teile ich die Ansicht

des Kollegen Bauer –, ob man so etwas verhindern kann.

Ich will an das anknüpfen, was der Kollege Bauer gefragt hat, weil ich das für einen der

wichtigsten Punkte in diesem Fall halte, was das Innenministerium oder auch die Frage

betrifft, wer da letztlich die Entscheidung getroffen hat. Da will ich nachfragen, Herr In-

nenminister: Ich hatte Sie in der letzten Woche etwas anders verstanden, nämlich bei

der Frage der polizeilichen Vorerkenntnisse. Ich hatte es so verstanden: Wenn ich – –

Darf ich das hier sagen?

(Zuruf von der CDU: Das kommt darauf an, was Sie sagen! – Weitere Zurufe)

– Das ist jetzt schwierig. Sie haben uns Informationen über polizeiliche Vorerkenntnisse

gegeben. Da stand, soweit ich mich erinnere, bis auf den Raub nie ein dringender Tat-

verdacht im Raum. Ist das so weit richtig? Sonst frage ich das noch mal nach, denn ich

finde die polizeilichen Vorerkenntnisse sehr wesentlich, weil mich seit Freitag die Frage

umtreibt: Inwieweit – – Wer hat denn entschieden bei dem Verdacht des Raubes, dass

keine U-Haft angeordnet wird?

Sie haben jetzt gesagt, es seien die Ermittlungsbehörden gewesen, die keinen Anlass

gesehen oder nicht genügend Hinweise gehabt hätten, um Untersuchungshaft zu be-

antragen. Ich hatte es bislang so verstanden, dass das Gericht das abgelehnt hat. Ich

würde gerne wissen, wer quasi da entschieden hat, dass entweder nicht genügend

Kenntnisse vorlagen oder kein Haftgrund bestanden hat.

Ich will erläutern, warum ich da so genau nachfrage. Wir haben diesen Komplex

durchaus im Innenbereich hin und wieder, nämlich die Frage, ob tatsächlich für das

Nichtvorhandensein eines Fluchtgrundes bei der U-Haft ein fester Wohnsitz ausreichend

sei, wenn jemand in der Asylbewerberunterkunft gemeldet ist. Wir hatten damals bean-

tragt, dass es auch eine Sensibilisierung der Justizbehörden gibt. Frau Kühne-Hörmann,

deswegen spreche ich das auch bei Ihnen mit an. Man sollte dafür sensibilisieren, dass

bei Asylbewerbern vielleicht per se ein Fluchtgrund vorliegen könnte und dass das ein-

fache Beantworten mit: „Da ist doch ein fester Wohnsitz, weil er in einer Asylbewerber-

unterkunft gemeldet ist“ durchaus kritisch gesehen werden könnte. Deswegen interes-

siert mich so sehr an diesem konkreten Fall des Verdachtes auf schweren Raub, warum

keine U-Haft angeordnet wurde. Das war, soweit ich weiß - das wäre die Nachfrage,

Herr Innenminister -, im April dieses Jahres, oder?

Dann habe ich eine Frage zu den Ermittlungsmaßnahmen. Wie ich es bislang verstan-

den habe – das haben Sie wiederholt –, ist die Wiesbadener Polizei erst am 30. Mai in-

volviert worden. Da würde mich interessieren, inwieweit dann die Maßnahmen ergriffen

wurden, was den Vermisstenfall betrifft. Denn für mich ist heute neu, dass bereits zu die-

sem Zeitpunkt der Hinweis der Freundin der Mutter schon vorhanden war. Meine Frage

lautet: Ab wann wurde denn veranlasst, dass Handyortung und öffentliche Fahndung

getätigt wurden – schon ab der Übergabe von Rheinland-Pfalz nach Hessen oder erst

nach Intervenieren durch die Anwältin der Mutter, die sich wohl eingemischt hat? Das

fände ich auch sehr interessant.

Das Mädchen hat sich wohl – so habe ich es der Berichterstattung entnommen – häufi-

ger in der Flüchtlingsunterkunft aufgehalten. Deswegen ist man wohl relativ schnell da-

rauf gekommen. Mich würde interessieren, welche Vorerkenntnisse vorliegen, was das

Mädchen dort gemacht hat.

Er/me – 11 – INA 19/103 u. RTA 19/42 – 14.06.2018

Dann habe ich eine dritte Frage zu dem, was Sie relativ kurz abgetan haben. Mich inte-

ressiert, Herr Innenminister, ob Sie Kontakt mit dem Bundesinnenminister hatten, was die

Frage, die jetzt in der Presse rauf und runter diskutiert wird, angeht, ob die Rückführung

nicht legal gewesen sein soll. Gibt es dazu schon Hinweise des Bundesinnenministeri-

ums?

Erlauben Sie mir noch den Hinweis auf den Kollegen Bauer mit der Abschiebehaftein-

richtung. Sie können sich erinnern, dass es im letzten Sommer eine Sondersitzung des

hessischen Innenausschusses auf Antrag der SPD gegeben hat, weil wir wissen wollten,

wie es mit einer Abschiebehafteinrichtung weitergeht. Sie wissen, dass sowohl FDP als

auch SPD das schon sehr lange gefordert haben.

Deswegen finde ich interessant, dass Sie die Nebenbemerkung gemacht haben, da

seien sich hier nicht alle einig. Erlaubt sei, das an der Stelle noch einmal zu erwähnen,

denn ich finde es schon spannend, weil wir es schon länger auf dem Schirm hatten,

dass es nicht hilfreich war, nur in andere Bundesländer abzuschieben.

Abg. Wolfgang Greilich: Diese Situation hat uns alle in der Tat massiv getroffen – nicht

nur, die wir politisch Verantwortung tragen, sondern quer durch die gesamte Bevölke-

rung hat das eine Aufmerksamkeit zu Recht gefunden und eine Erschütterung hervorge-

rufen, die danach ruft, dass wir uns intensiv mit der Frage beschäftigen, ob es etwas

gibt, um künftig Solches zu verhindern, sprich, auch kontrollierend zu schauen: Was ist

gut gelaufen? Was ist falsch gelaufen? Was hätte man vielleicht tun können, um es zu

ändern? Ich will eines dazusagen: Ich verfolge – wie wahrscheinlich alle hier – sehr ge-

nau alle Veröffentlichungen, die dazu bis jetzt vorliegen. Ich finde es auf den konkreten

Fall bezogen beruhigend, dass – das muss ich mit der Einschränkung sagen – mindes-

tens im hessischen Bereich bislang keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass irgendet-

was unterlassen worden ist, was hätte geschehen müssen. Das will ich ganz klar voraus-

schicken.

Gleichwohl müssen wir natürlich nach den Details im Einzelnen fragen. Deswegen rich-

ten sich meine Fragen in erster Linie an den Innenminister. Ich denke, das betrifft den

Bereich der polizeilichen Ermittlungen. Wenn ich die Daten richtig im Blick habe, ist Su-

sanna am 22. Mai verschwunden. Am 23. Mai ist sie als vermisst gemeldet worden bei

der Polizei in Mainz. Dann gibt es eine große Informationslücke, was immerhin sechs Ta-

ge angeht, bis zum 29. Mai, als die Mutter dann der Polizei berichtet hat, dass es einen

Hinweis gebe, Susanna sei im Raum Wiesbaden gewesen und sei tot. Das war sechs

Tage danach. Haben wir irgendwelche Informationen – ich nehme an, die Frage wird

zur gleichen Zeit im Moment in Rheinland-Pfalz im Ausschuss besprochen –, was in die-

sen sechs Tagen passiert ist?

Dann interessiert mich schon genau: Wie ist die Übergabe von Mainz nach Wiesbaden

erfolgt: am 29. oder am 30. Mai? Welche Ermittlungsmaßnahmen sind wann durch die

hessische Polizei unternommen worden? Es gibt eine TKÜ. Wenn ich es richtig verstan-

den habe – das passt zu der Frage von Frau Kollegin Faeser –, ist sie wohl in Hessen an-

geordnet worden – nicht in Mainz. Aber auch das würde ich gerne konkret wissen.

Was mich brennend interessiert, ist, ob es schon vor dem 3. Juni, als sich dieser 13-

jährige Flüchtling mit dem entscheidenden Hinweis gemeldet hat – und wenn ja, seit

wann –, irgendwelche Hinweise auf eine Bekanntschaft, auf eine Verknüpfung zwischen

Ali B., der Familie B. und Susanna F. gab. Gab es dort vorher irgendwelche Verknüpfun-

gen, irgendwelche Erkenntnisse über Verbindungen?

Er/me – 12 – INA 19/103 u. RTA 19/42 – 14.06.2018

Dann ist im Nachhinein nach meiner Notiz bekannt geworden, dass der Hausmeister

angibt, er hätte die Familie zuletzt am 31. Mai gesehen. Am 1. Juni abends haben sie

erst den Flug gebucht und dann die Unterkunft verlassen. Was ist in der Zwischenzeit

gewesen? Wann hat man den Hausmeister erstmals befragt? Ist das erst nach dem

3. Juni passiert, oder gab es schon vorher irgendwelche Hinweise, sich um Ali B. zu

kümmern?

Das Folgende betrifft die konkreten Abläufe, zu denen ich ein paar Fragen hatte und

hoffe, dass sie beantwortet werden können. Es gibt aber auch die generelle Einord-

nung. Kollege Bauer hat das Thema „Abschiebehaftanstalten“ in dem Zusammenhang

angesprochen. Es tut mir leid, Herr Kollege Bauer, aber das scheint mir mit dem Thema

gar nichts zu tun zu haben. Es bestand überhaupt kein Grund, Abschiebehaft anzuord-

nen. Dass wir endlich Abschiebehaft haben, ist gut, aber sie hat mit diesem Fall nur sehr

wenig zu tun. Was aber mit dem Fall etwas zu tun hat, ist etwas, das mich aufgrund der

Zeitungsberichte der letzten Tage besorgt macht, nicht was den verantwortlichen Um-

gang der Justiz mit solchen Verfahren angeht, sondern wir müssen uns wahrscheinlich

Gedanken machen, ob wir nicht ein generelles Problem damit haben, wie wir mit der

Situation umgehen. Alle von Ihnen kennen seit vielen Jahren die Beschwerde, die man

immer mal wieder hört, etwa von der Polizei, über Verärgerung mit Staatsanwaltschaft

und Justiz. Wie das zu bewerten ist, wissen wir auch alle, denn das sind oft sehr pau-

schale Wahrnehmungen.

Aber man hört häufig, wenn man auf Polizeistationen kommt: Was ist denn? Wir reißen

uns hier sonst was auf, um Täter zu ermitteln. Dann geben wird das an die Staatsanwalt-

schaft ab, und zum Schluss laufen die wieder in der Gegend herum. – Es hat viel mit

Rechtsstaat und mit rechtsstaatlichen Verfahren zu tun, dass es diese Erscheinungen

gibt. Aber ich habe in den letzten Tagen das Gefühl gewonnen, dass diese Frustration

derjenigen, die dort arbeiten, langsam auf die Justiz überschwappt, weil man in der

Justiz das Gefühl hat: Wir können im Asylverfahren entscheiden, was wir wollen, aber

das hat keine Konsequenz. – Der Verwaltungsgerichtspräsident aus Frankfurt, Herr Gers-

ter, ist zitiert worden. Er spricht von durchschnittlich sechs Monaten. – Er hat vor allem

Äthiopier im Blick. Ich zitiere wörtlich, was er gesagt hat:

Wir haben mehrere Hundert Fälle und müssen jeden einzelnen genau prüfen.

Aber wenn ich mir die Zahl der Abschiebungen nach Äthiopien ansehe, frage

ich mich: Wozu eigentlich?

Ähnlich ist in einem anderen Artikel, im „Wiesbadener Kurier“ berichtet worden. Aus Jus-

tizkreisen war zu erfahren:

Die meisten Richter räumten schlichtweg den Fällen Priorität ein, bei denen auch

tatsächliche Aussicht auf eine Vollstreckung des Urteils besteht.

Das kann man ja aus richterlicher Sicht verstehen, aber ich höre Folgendes in unserem

konkreten Fall: Zum Thema „Abschiebestopp Irak“ hat der Innenminister in seinen einlei-

tenden Worten schon etwas gesagt. Das ist jetzt hoffentlich endgültig gefallen. Aber

was bleibt, ist, dass am 9. Januar 2017, wenn ich das richtig sehe, die Klageerhebung

stattfand. Wenn ich es richtig verstanden habe, ist bis heute diese Klage noch nicht

einmal begründet.

Das heißt: Wir haben jetzt schon bei einer durchschnittlichen Verfahrensdauer von

sechs Monaten in diesem Fall, wo der Richter zu Recht bis vor Kurzem davon ausgehen

konnte, dass ohnehin folgenlos blieb, was er entschied, eine Verfahrensdauer von rund

Er/me – 13 – INA 19/103 u. RTA 19/42 – 14.06.2018

16 oder 17 Monaten, ohne dass bislang überhaupt eine Begründung der Klage vorge-

legt oder angefordert worden ist. Das macht einen natürlich nachdenklich, ob ein we-

sentliches Problem, das wir haben, darin liegt, dass wir diese Vollzugsdefizite am Ende

nach dem Abschluss des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens haben, nämlich bei dem

Vollzug des Rechtsstaates insoweit, als auch Entscheidungen, die in diesem Rechtsstaat

getroffen werden, anschließend vollzogen werden.

Dazu hätte ich gern eine Einschätzung des Innenministers.

Vorsitzender Abg. Horst Klee: Nach der Frage von Frau Hofmann machen wir eine Ant-

wortrunde, weil alle Fraktionen zu Wort gekommen sind – teilweise zweimal. Sonst verlie-

ren sich die Fragen.

Abg. Heike Hofmann: Ich möchte mich den Kollegen und Kolleginnen anschließen,

dass es eine schreckliche Tat ist, dass unser Mitgefühl in der Tat der Familie gehört und

dass es aber geboten ist, dass wir in dieser Sorgsamkeit natürlich alle Vorgänge auf den

Prüfstand stellen und auch uns hinterfragen, wie so etwas auf jeden Fall künftig ausge-

schlossen und verhindert werden kann, damit solch eine Tat nie wieder passiert.

Deshalb finde ich es gut, dass, nachdem wir als SPD-Landtagsfraktion gesagt haben,

dass wir uns in den Fachausschüssen im Parlament mit den Fragen auseinandersetzen

werden, diese gemeinsame Ausschusssitzung zustande gekommen ist.

Ich möchte ein paar Punkte vertiefen, die aus meiner Sicht von besonderer Bedeutung

sind, etwa die Frage, warum keine U-Haft gegen Ali B. angeordnet bzw. beantragt

wurde und die entscheidende Frage, wer das entschieden hat. Ich möchte auf einen

weiteren Punkt eingehen. Es gibt mehrere mögliche Haftgründe. Sie sind, so wie Sie es

geschildert haben, ausgeschlossen worden. Ein möglicher Haftgrund bei den Delikten,

die Ali B. im Vorfeld möglicherweise verübt hat, Widerstand gegen Vollstreckungsbeam-

te, der schwere Raub, Verdacht auf Vergewaltigung – –

Ein weiterer Anordnungsgrund für eine Untersuchungshaft ist die Wiederholungsgefahr.

Bitte gehen Sie auf diesen entscheidenden Punkt ein, wer entschieden hat, dass keine

U-Haft angeordnet wird, und warum sie nicht angeordnet wurde. Denn wie gesagt: Es

gibt vielleicht mögliche Fallkonstellationen oder zumindest mögliche Tatbestandsgrün-

de, bei denen man vielleicht auch – ich spreche im Konjunktiv – hätte etwas anordnen

bzw. vorab beantragen können.

Dann möchte ich auf einen Punkt eingehen, der aus meiner Sicht im Zuge der Ermitt-

lungen auch wichtig ist, und zwar auch aus den Presseberichterstattungen etc. Ober-

staatsanwalt Kuhn hat unter anderem auf die in den Irak ausgereisten Familienmitglie-

der von Ali B. als wichtige Zeugen hingewiesen. Welche Möglichkeiten bestehen, diese

zu vernehmen, weil diese womöglich wichtige Erkenntnisse liefern können?

Ich möchte zur Frage, die Herr Greilich angesprochen hat, nachfragen. In der Tat hört

man aus verschiedenen Justizkreisen, aber auch von der Polizei immer wieder, dass das

Zusammenspiel zwischen Polizei und Justiz verbessert werden könnte. Aus meiner Praxis

bzw. Anschauung und Gesprächen ist das aus meiner Sicht immer dort besser gege-

ben, wenn es runde Tische bzw. regelmäßige Abstimmungsgespräch in der gebotenen

Form zwischen Polizei und Justiz gibt. Ich frage, wie Sie das einschätzen und ob man

das flächendeckend im Land einsetzen oder installieren könnte. Denn in der Tat hört

Er/me – 14 – INA 19/103 u. RTA 19/42 – 14.06.2018

man immer wieder, dass die Abstimmungen in dem Bereich zwischen Polizei und Justiz

optimiert werden könnten.

Ich möchte auf die Verwaltungsgerichtsverfahren eingehen. Frau Justizministerin, Sie

haben es so dargestellt, als sei sozusagen alles in Butter. Fakt ist – das mussten Sie ja

selbst darstellen; das weiß auch jeder –, dass die Zahl der Verwaltungsverfahren und

insbesondere der Asylverfahren angestiegen ist, und zwar massiv. Ich darf aus einem

Artikel der „Frankfurter Neuen Presse“ zitieren, in dem jemand aus der Praxis, der Präsi-

dent des Verwaltungsgerichts Frankfurt, Gerster, zu Wort kommt. Er weist zu Recht, wie

ich finde, in dem Artikel – ich darf daraus zitieren – darauf hin:

In der Statistik sind nur die abgeschlossenen Fälle enthalten, aber der Großteil der

Asylverfahren läuft noch, und es kommen weiterhin neue Klagen hinzu.

Das heißt: Er weist aus meiner Sicht zu Recht darauf hin, dass die Statistiken nur einen Teil

der Realität wiedergeben. Ich darf erneut – ich machte das immer wieder – auf das

Schreiben des Bezirksrichterrates hinweisen, das Sie, Frau Justizministerin, auch erhalten

haben. Der Bezirksrichterrat und niemand anderes hat in einem Schreiben an Sie, aber

auch an alle Obleute der Rechtspolitik darauf hingewiesen, dass die Verwaltungsge-

richtsbarkeit eine Belastungsquote von 259 % hat und dass es zwar jetzt Stellenmehrun-

gen gegeben hat, dass es aber – ich darf aus dem Schreiben wörtlich zitieren – noch

Jahre dauern wird, bis die anhängigen Verfahren überhaupt abgearbeitet werden

können. Das ist ein Zitat aus dem Schreiben des Bezirksrichterrates an Sie und auch an

die Obleute der Fraktionen.

Ich darf noch einen Punkt ansprechen aus der „Frankfurter Neuen Presse“ und noch

einmal Herrn Gerster zitieren, der auch – das ist hier schon angedeutet worden – sagt:

Egal, wie wir entscheiden, abgeschoben wird am Ende kaum jemand.

Ich darf auch Bezug auf eine Beantwortung aus dem Innenministerium nehmen. Sie ist

in der „Rhein-Main-Zeitung“ abgedruckt worden und bezieht sich auf Folgendes: Mit

der Einschaltung des Verwaltungsgerichts werde das Ziel verfolgt, die sich aus der Ab-

lehnung des Asylantrags ergebende Pflicht zur Ausreise auszusetzen. Wegen der Über-

lastung der Justiz – ich zitiere – könnten sich zwischen Einreise und endgültiger Rückfüh-

rung Zeiträume von einem, teilweise mehreren Jahren ergeben. – Das ist eine Antwort

des Hessischen Innenministeriums auf eine entsprechende Anfrage. Das ist Ihre Antwort.

Dazu bitte ich auch Stellungnahme. Wenn Sie diese Problematik sozusagen selbst auf-

tun, muss uns das nachdenklich stimmen und verdeutlichen, dass es an der einen oder

anderen Stelle doch noch Handlungsbedarf gibt.

Abg. Jürgen Frömmrich: Ich würde fast vorschlagen – ich weiß es aber nicht –, dass

man vielleicht eine Runde der Minister macht, denn die Fragen, die schon gestellt wur-

den, sind einigermaßen komplex. Dann kann man vielleicht auch die gegebenen Ant-

worten aufbauen.

Aber ich will eingangs auch darauf eingehen, dass das natürlich eine schreckliche Tat

war, die uns alle beschäftigt und die die Menschen in unserem Land beschäftigt. Des-

wegen ist es auch gut, dass wir heute hier von den beiden Ministern umfangreich darü-

ber informiert werden, wie die Ermittlungen laufen und wie der Ablauf der Ermittlungen

vonstattengegangen ist. Dafür auch von meiner Seite bzw. von unserer Seite herzlichen

Dank.

Er/me – 15 – INA 19/103 u. RTA 19/42 – 14.06.2018

Weil es die Menschen so beschäftigt und weil es in der öffentlichen Wahrnehmung so

eine große Rolle spielt, ist es eben auch wichtig, dass wir dieses Thema möglichst trans-

parent hier behandeln, soweit das in solchen Ermittlungsverfahren überhaupt geht. Der

Generalstaatsanwalt hat dazu Auskunft gegeben.

Ich möchte noch einmal daran appellieren, dass jetzt natürlich die Stunde der Ermittler

ist. Das sollte uns alle daran hindern, hier Spekulationen ins Kraut schießen zu lassen oder

Verdächtigungen in den Raum zu stellen. Zum Teil ist das ja in der Öffentlichkeit ge-

schehen. Deswegen würde ich darum bitten, dass der Minister zu diesen Fragen, die

hier zu Recht hergestellt worden sind und die die Menschen beschäftigen, Auskunft

gibt.

Ich möchte bitten, dass man zu zwei Themenkomplexen, die noch nicht angesprochen

worden sind, Auskunft gibt. Ein Bereich ist, glaube ich, vom Kollegen Greilich angespro-

chen worden. Was ist in der Zeit zwischen dem 23. und dem 29. eigentlich passiert?

Welche Maßnahmen sind da vonstattengegangen? Das ist vom Zeitpunkt der Vermiss-

tenanzeige bis zu dem Anruf der Freundin mit dem Hinweis, dass Susanna F. tot ist. Ich

würde gerne wissen, was in dieser Zwischenzeit passiert ist.

Dann hätte ich gerne erläutert, wie es passieren kann, dass jemand mit Passersatzpa-

pieren über einen Flughafen ausreisen kann, ohne dass kontrolliert wird, ob die Passer-

satzpapiere mit dem Ticket übereinstimmen. Das hat mich ein bisschen verwirrt, denn

sonst könnte jeder mit einem gebuchten Ticket einen Flieger besteigen, ohne dass der

Besitzer des Tickets mit der tatsächlichen Person übereinstimmt. Dass das vielleicht in

Europa so ist, kann ich wegen der Freizügigkeit nachvollziehen. Aber dass das bei Rei-

sen in die Türkei genauso ist? Deswegen möchte ich Sie bitten zu erläutern, wie das ge-

nau abgelaufen ist und wie das Prozedere da ist.

Zu den Fragen ist hier etwas angedeutet worden. Zu der Frage der Rückführung von

Ali B. aus dem Irak ist, glaube ich, gestern im Innenausschuss des Deutschen Bundesta-

ges gesprochen worden. Vielleicht erklären Sie, wie die Rückführung vonstattengegan-

gen ist und was das Bundesinnenministerium oder aber die Bundespolizei dazu im In-

nenausschuss des Deutschen Bundestages erklärt hat.

Abg. Dr. Ulrich Wilken: Ich möchte bitten, dass vier Bereiche etwas näher beleuchtet

werden. Ein Bereich ist schon mehrfach nachgefragt worden, nämlich warum eigent-

lich nach der Vermisstenanzeige das Ermittlungsverfahren eher schleppend angelaufen

ist, vor allen Dingen vor dem Hintergrund – da möchte ich Herrn Bauer widersprechen,

der von einem Einzelfall geredet hat –, dass es leider kein Einzelfall ist, sondern wir im

letzten Jahr in Hessen insgesamt 93 Morde, in Wiesbaden 69 Fälle von Vergewaltigung

bzw. besonders schwerer sexueller Nötigung sowie sechs Fälle von Totschlag hatten. Vor

dem Hintergrund möchte ich, dass Sie, Herr Innenminister, beleuchten, wie das Verfah-

ren in der polizeilichen Ermittlung in die Gänge kommt und ob es typisch war, wie es in

diesem Fall gelaufen ist.

Der zweite Bereich bezieht sich genau auf diesen Fall. Ich bin bisher davon ausgegan-

gen, dass wir mit „Fall“ die Vergewaltigungen, den Totschlag, den Mord an der 14-

jährigen jungen Frau behandelt haben in. Mein Respekt vor dem Leid der Angehörigen

des Opfers gebietet, dass ich das nicht vermische. Ich bin aber hier zu einer Sitzung ein-

geladen worden, in der über den aktuellen Sachstand im Fall Ali B. berichtet werden

soll. Ich gehe nach wie vor davon aus, dass der Tatbestand und der Fall Vergewalti-

Er/me – 16 – INA 19/103 u. RTA 19/42 – 14.06.2018

gung sowie Mord und Totschlag sind. Auch möchte ich Sie bitten, mir über diese Ver-

drehung Auskunft zu geben.

Drittens. Sie haben, Herr Innenminister, gesagt: Er ist mit Hinweis der Bundespolizei fest-

genommen worden. – Vielleicht könnten Sie mir dazu erläutern, ob die Bundespolizei

wusste, wo er ist, oder ob man nur gesagt: Wir suchen ihn, und wenn ihr ihn findet, gebt

ihn uns. Also: Was wusste die Bundespolizei da ganz genau?

Viertens. Ich habe eine Frage ausdrücklich an beide Minister, auch an Sie, Frau Kühne-

Hörmann: Wie gedenken Sie jetzt, gegen Hetze und Hass gegen Ausländer nicht nur in

sozialen Netzwerken, sondern in der breiten Öffentlichkeit anlässlich dieses Falls – mit

„Fall“ meine ich ausdrücklich immer noch Tötung und Vergewaltigung – vorzugehen?

Minister Peter Beuth: Ich versuche, alle Fragen zu beantworten. Das systematisch zu tun,

fällt mir ein bisschen schwer. Deswegen muss ich versuchen, das nach den Fragestellern

abzuarbeiten, obwohl ähnliche Fragestellungen von den unterschiedlichen Kollegen

aufgeworfen worden sind. Aber um nichts zu vergessen, versuche ich, es chronologisch

abzuarbeiten.

Herr Kollege Bauer hatte nach dem Thema „Aufenthaltsgestattung im Klageverfahren“

gefragt. Die Ausländerbehörden geben eine entsprechende Aufenthaltsgestaltung

aus. Sie ist sechs Monate befristet. Sie hängt natürlich am Klageverfahren. Wenn die

Klage dann noch läuft, kann sie verlängert werden. So ist sozusagen der Zusammen-

hang zwischen Aufenthaltsgestattung und dem Klageverfahren selbst.

Zur Frage der U-Haft-Gründe will ich zunächst vorwegschicken: Das Thema „Gründe für

die Untersuchungshaft“ ist keine völlig neue Debatte. Das ist eine rechtspolitische De-

batte, die – wenn ich: „30 Jahre“ sage, glaube ich, den Zeitraum noch unzureichend

erfasst zu haben – mindestens diesen Zeitraum währt.

Wir brauchen für die Anordnung einer Untersuchungshaft entsprechende Haftgründe:

Flucht-, Verdunklungs- oder Wiederholungsgefahr. Nach der Bewertung von Staatsan-

waltschaft und Polizei waren in der Situation von Ali B. entsprechende Haft- bzw. Unter-

suchungshaftgründe nicht gegeben. Insofern ist auch kein entsprechender Untersu-

chungshaftbefehl erlassen worden.

Dass man – Frau Kollegin Faeser, ich mache bei Ihnen in der Chronologie der Fragen

weiter – für Flüchtlinge per se ein anderes Untersuchungshaftrecht bräuchte, finde ich

kühn.

(Abg. Nancy Faeser: Das habe ich nicht gesagt, Herr Innenminister!)

– Ich habe das so verstanden. – Dass man bei Flüchtlingen strafprozessual anders han-

delt als bei anderen,

(Widerspruch der Abg. Nancy Faeser)

ist zumindest ein kühner Vorschlag.

Zu den Maßnahmen um den 30. Mai wurde von unterschiedlichen Kollegen nachge-

fragt. Ich werde gleich den Landespolizeipräsidenten bitten, das zu beantworten –

auch, was die Vorerkenntnisse angeht.

Er/me – 17 – INA 19/103 u. RTA 19/42 – 14.06.2018

Ich will aber noch einmal darauf hinweisen, dass – Herr Greilich, in der Tat waren am

22. Mai der letzte Kontakt und vermutlich auch die Tat – die Vermisstenmeldung am

23. Mai erfolgte, also am Tag danach. Die ersten sieben Tage, 23. bis 30., haben sich

sozusagen in Mainz abgespielt bzw. bei den dortigen Behörden. Da bitte ich jetzt wirk-

lich um Nachsicht, aber dazu kann ich keine Auskunft geben, wie die Kolleginnen und

Kollegen dort gearbeitet haben.

In dem Moment, als wir übernommen haben – das war am 29./30.; das mag bitte

gleich der Landespolizeipräsident genauestens erläutern –, sind dann die Maßnahmen

von uns entsprechend losgegangen. Das können, wie gesagt der Landespolizeipräsi-

dent und der Polizeipräsident aus Wiesbaden hier noch mal erörtern.

Auch die Frage, ob es vor dem 3. Juni, also bevor der Zeuge, der dann den entschei-

denden Hinweis gegeben hat, Erkenntnisse zu der Familie im Zusammenhang der Tat

gegeben hat, müssten Sie bitte beantworten.

Ich wurde gefragt, ob wir schon Erkenntnisse über die Zeit zwischen dem 2., der Ausrei-

se, und dem 30./31. haben, als der Hausmeister erklärt hat, die Unterkunft sei leer.

Herr Kollege Greilich, ich will Ihnen nur kurz zurufen, dass der hessische Innenminister

nicht die Entscheidungspraxis von Verwaltungsgerichten und von unabhängigen Rich-

tern beurteilt. Das ist nicht meine Aufgabe.

Frau Kollegin Hofmann, Sie hatten zu der Frage „Zeugenvernehmung und Familie“ an-

gefragt, inwieweit dort entsprechende Bemühungen stattgefunden haben. Das kann

ich Ihnen nicht sagen. Das kann Ihnen vielleicht die Polizei sagen. Ich weise aber vor-

sichtig die rechtspolitische Sprecherin der SPD darauf hin, dass es sich um Familienmit-

glieder handelt.

(Abg. Heike Hofmann: Ja!)

Da gibt es ein paar strafprozessuale Einschränkungen, wonach Zeugenaussagen nur in

dem Rahmen der Strafprozessordnung zu tätigen sind.

(Abg. Heike Hofmann: Das hat auch keiner bestritten!)

– Nein, ich wollte Sie nur darauf hinweisen. Ich bin ganz ruhig; Sie brauchen gar nicht so

aufgeregt zu sein. Ich wollte Sie nur darauf hinweisen, dass das sozusagen dort im Wege

stehen könnte, umfangreiche Aussagen zu erhalten.

Kollege Frömmrich, Sie haben nach den Tickets und der Frage „Flughafen“ gefragt. Da

sage ich jetzt mal von mir aus: Da gilt eigentlich dasselbe wie für den Zeitraum vor dem

30. Mai. Das ist eine Angelegenheit der Bundespolizei. Die Bundespolizei hat sich dazu

eingelassen. Ich will nur darauf hinweisen, dass diese Frage der Identität nach meinem

Dafürhalten zumindest erklärbar ist. Wir haben die Situation, dass die Namensgebung im

arabischen Raum, im kurdischen Recht oder bei den Irakis so gestaltet ist, wie ich es

eben vorgetragen haben: mit diesen vier Namenszusammensetzungen. Flugtickets,

Aufenthaltsgestattung, Asylverfahren, Laissez-passer, ID-Card, Staatsangehörigkeits-

urkunde enthalten in irgendeiner Kombination eben immer diese Namen. Deswegen ist

die Frage der Identität eigentlich nicht ungeklärt gewesen. Das hat uns zumindest der

irakische Generalkonsul in Frankfurt entsprechend bestätigt, sodass sich der Rückschluss,

das sei nicht kontrolliert worden bzw. da sei ein großer Fehler passiert, nicht zwingend

Er/me – 18 – INA 19/103 u. RTA 19/42 – 14.06.2018

aufdrängt. Aber wie gesagt: Ich mag es nicht beurteilen, denn es ist am Ende nicht un-

sere Angelegenheit. Dazu muss sich der Bund einlassen.

Bei dem Thema, wie die Rückführung aus dem Irak hierher erfolgt ist, bitte ich, die Bun-

despolizei vorzutragen, weil wir auch darüber letztlich nur in dem Rahmen Auskunft ge-

ben können, wie es die Justizministerin vorhin gemacht hat. Wir waren sozusagen bei

der Vorbereitung der nach den Regeln der Kunst sozusagen erforderlichen Ausliefe-

rungspapiere. Die Entwicklungen im Rahmen der bundespolizeilichen Maßnahmen sind

sozusagen über dieses Verfahren hinweggegangen.

Herr Abgeordneter Wilken, das, was ich eben zum Kollegen Greilich gesagt habe, gilt

letztendlich auch für Sie. Ich maße mir nicht an zu erklären, dass Ermittlungsverfahren

schleppend geführt worden sind, insbesondere wenn sie von einer anderen Polizeibe-

hörde geführt worden sind. Zu den Dingen, die hier bei uns passiert sind, werden gleich

der Landespolizeipräsident und der Polizeipräsident von Wiesbaden Auskunft geben. Zur

Frage, was die Bundespolizei bezüglich des Irak wusste, kann ich Ihnen auch keine ent-

sprechende Auskunft geben; das tut mir leid.

Aber wir geben gerne Auskunft über das, was in unserer Hoheit gelegen hat. Deswegen

bitte ich den Landespolizeipräsidenten, den Ermittlungsstand zum 30. – Übergang von

der Mainzer Polizei zur hessischen Polizei – darzustellen.

Herr Münch: Mit Hinweis auf den Vermerk von unserem „General“ bitte ich um Ver-

ständnis, wenn ich mich bei den Ermittlungsmaßnahmen auf ganz grobe Überblicke

konzentriere und an dieser Stelle keine Details dazu sagen kann.

Vorsitzender Abg. Horst Klee: Herr Münch, bitte sprechen Sie ein bisschen lauter. Rücken

Sie bitte näher ans Mikro.

Herr Münch: Noch einmal: Mit Hinweis auf die Ausführungen unseres „Generals“ bitte

ich um Verständnis, wenn ich mich bei der Darstellung der Ablaufsystematik nur auf

ganz grobe Hinweise beschränke. Ich greife noch einmal das auf, was mein Minister

gesagt hat. Die Mainzer Ermittlungsarbeit in dem Fall ist Sache der Mainzer Ermittlungs-

behörden. Da haben wir keinen Zugang. Ich kann also nur darstellen, was bei uns ge-

laufen ist.

Wir hatten einen sehr guten Kontakt mit Mainz. Wir haben in der Zeit nach Bekanntwer-

den der Vermisstenanzeige sehr umfänglich, zum Teil im eigenen Ermessen oder auch

im Auftrag der Mainzer Kollegen Abklärungen vorgenommen. Wir haben allein drei Un-

terkünfte begangen. Wir haben acht bis neun Kontaktpersonen abgeklärt – das war

sehr schwierig, weil zum Teil Namen nur phonetisch übermittelt worden sind –, bis es

dann gelungen ist, tatsächlich die Person aufenthältlich festzustellen. Das war zu dem

Zeitpunkt alles negativ. Wir haben gemutmaßte Aufenthaltsorte, letzte Aufenthaltsorte

der Verschwundenen hier in Wiesbaden abgeklärt. Wir haben umfänglich mit dem

Streifendienst gearbeitet – mit Sensibilisierungen – und im Grunde genommen das gan-

ze Maßnahmenpaket abgearbeitet.

Der Maßnahmenübergang erfolgte am 30. Das war meine Frage, glaube ich, vom Ab-

geordneten Greilich an uns. Wir haben bereits begonnen, am 28. technische Maßnah-

men einzuleiten. Wir haben über Ortung, Verkehrsdaten, Aufhebung TKÜ, IMEI das ge-

Er/me – 19 – INA 19/103 u. RTA 19/42 – 14.06.2018

samte technische Programm abgefahren und das ganze Repertoire ausgeschöpft. Al-

lerdings sind alle Versuche, TKÜ-Protokolle, Maßnahmen oder Ortungshinweise zu be-

kommen, negativ verlaufen, weil das Handy nach heutigem Sachstand deshalb nicht

aufgefunden worden ist, weil es ausgeschaltet war. Deswegen waren keine weiteren

Ermittlungserkenntnisse daraus abzuleiten.

Das ist zunächst der Sachstand. Im Rahmen der Ermittlungen haben wir dann den Vor-

gang am 30. übernommen. Das war eine mit Mainz abgestimmte Maßnahme und ist

auch geübte Praxis. Nach heutigem Kenntnisstand gibt es auch keinen kritischen An-

satzpunkt. Die Wiesbadener Kollegen haben umfänglich eine SOKO im Rahmen der

Ermittlung aufgebaut, sodass das dann ganz normal seinen Verfahrensgang gegangen

ist.

Zunächst einmal so weit, bis dahin.

Vorsitzender Abg. Horst Klee: Herr Müller, noch ergänzend?

Herr Müller: An dieser Stelle erst einmal nicht, danke.

Ministerin Eva Kühne-Hörmann: Es ist von der Kollegin Faeser noch einmal zu der Unter-

suchungshaft gefragt worden. Der Kollege Beuth hat schon etwas dazu gesagt. Da

würde ich gerne an Herrn Oberstaatsanwalt Kuhn abgeben, der in diesem Verfahren

auch als Pressesprecher der Staatsanwaltschaft Wiesbaden schon zu vielen Dingen Stel-

lung genommen hat.

Frau Hofmann hat ein Zitat angeführt, das die Vernehmung von Zeugen angeht, die

sich im Umfeld der Familie befinden. Die beiden Themenkomplexe würde ich jetzt an

Sie, Herr Oberstaatsanwalt, abgeben.

Herr Kuhn: Zur ersten Frage: Ich nehme an: Die Frage bezog sich auf das Raubdelikt,

(Abg. Nancy Faeser: Ja, auf den schweren Raub!)

auf den schweren Raub zum damaligen Zeitpunkt. Das Delikt ereignete sich am

27. April 2018, Mitternacht, in der Parkstraße in Wiesbaden. Es gab einen Geschädigten

und zwei in dem Sinne mutmaßliche Täter. Das Problem in diesem Verfahren war ers-

tens, dass es erst einmal gegen unbekannt lief, weil keine Hinweise auf konkrete Person

vorhanden waren. Der Geschädigte wurde dann dreimal vernommen und berichtete

dreimal unterschiedliche und zum Teil widersprüchliche Sachverhalte. Das ist wichtig im

Hinblick auf den dringenden Tatverdacht.

Am 17. Mai 2018 fand eine Wahllichtbildvorlage mit dem Geschädigten statt. Da deu-

tete er Ali B. als einen der Täter heraus. Ich weise nochmals darauf hin: Wir hatten zu

dem Zeitpunkt drei widersprüchliche Angaben von dem Geschädigten. Das heißt: Der

Sachverhalt stand zu diesem Zeitpunkt nicht konkret fest. Für einen dringenden Tatver-

dacht brauche ich aber nicht nur den Täter, sondern ich brauche auch die konkrete

Straftat, die dem Ganzen zugrunde liegt. In Übereinstimmung mit Polizei sind wir zu dem

Zeitpunkt zu der Auffassung gelangt, dass am 17. Mai deshalb kein dringender Tatver-

dacht wegen einer konkreten Straftat gegen Herrn B. zu begründen war.

Er/me – 20 – INA 19/103 u. RTA 19/42 – 14.06.2018

Wir haben dann am 22. Mai, nachdem uns das Verfahren zugeleitet worden ist, einen

Durchsuchungsbeschluss beim Amtsgericht Wiesbaden beantragt, um über diesen Weg

weitere objektive Beweismittel zu finden, um diesen Tatverdacht zu erhärten. Dieser

Durchsuchungsbeschluss konnte aber dann aufgrund der bekannten Umstände nicht

mehr umgesetzt werden.

Deshalb: Schon aus den Gründen, dass es keinen dringenden Tatverdacht gab, konnte

kein Untersuchungshaftbefehl beantragt werden. Das ist die erste Entscheidung.

Eine Frage wird dann immer gestellt: Aber könnte nicht Fluchtgefahr vorgelegen ha-

ben? – Das ist dann unerheblich. Sie brauchen kumulativ einen dringenden Tatver-

dacht und die Haftgründe. Zu diesem Zeitpunkt bestand, wie gesagt, schon kein drin-

gender Tatverdacht.

Zur anderen Frage, wenn man sich die Fluchtgefahr betrachtet, möchte ich an dieser

Stelle einwerfen: Das ist natürlich immer objektiv für den konkreten Fall zu betrachten.

Herr B. war fest in dieser Flüchtlingsunterkunft untergebracht. Man muss berücksichtigen:

Er war zu diesem Zeitpunkt mit sieben weiteren Familienmitgliedern dort untergebracht.

Das heißt: Die soziale Bindung war vielleicht anders ein als bei einer Einzelperson, die

untergebracht ist. All das fließt in die Bewertung mit ein. Deshalb wird man auch zu die-

sem Zeitpunkt davon ausgehen können, dass keine Fluchtgefahr bestand.

Ministerin Eva Kühne-Hörmann: Dann sind noch einige andere Sachen gefragt worden.

Herr Kollege Greilich, Sie haben angeführt, dass für die Asylverfahren bei den Verwal-

tungsgerichten die zeitliche Dimension eine Rolle spielt, und haben auch aus der Presse

zitiert. Frau Kollegin Hofmann hat zu einem ähnlichen Bereich gefragt. Deshalb würde

ich gerne diesen Bereich an den Präsidenten des Verwaltungsgerichtshofes, Herrn

Schönstädt, abgeben.

Herr Schönstädt: Es ist so, dass natürlich über die Reihenfolge der Abarbeitung verwal-

tungsgerichtlicher Verfahren die Richterinnen und Richter der hessischen Verwaltungs-

gerichtsbarkeit in ihrer richterlichen Unabhängigkeit entscheiden. Auch ich habe ihnen

dabei keine Vorgaben zu machen; ich kann es Ihnen aber gern aus der Praxis berich-

ten.

Wie sieht es aus beim Verwaltungsgericht Wiesbaden? Ich nehme nur das Jahr 2017. Da

kamen allein im Asylbereich 4.715 Eingänge dazu. Ende 2017 belief sich der zu bearbei-

tende Bestand von Asylverfahren auf 5.195. Hinzurechnen müssen Sie immer noch un-

gefähr ein Viertel dieser Zahl für klassische Verfahren. Die müssen bearbeitet werden.

Wir haben uns innerhalb der Verwaltungsgerichtsbarkeit mit Nachdruck darauf verstän-

digt, dass wegen Asylverfahren andere Verfahren nicht zurückstehen sollen.

Konsequenz dieser Sache ist, dass natürlich Verwaltungsrichterinnen und Verwaltungs-

richter ihre Verfahren möglichst effizient bearbeiten. Das heißt: Sie nehmen eine Rei-

hung vor – auch in den Asylverfahren – und bilden Gruppen. Da mag es – das vermag

ich nicht zu beurteilen, weil das die Richter in ihrer Unabhängigkeit machen – sicherlich

auch eine Rolle spielen, ob Verfahren in dem Sinne bedeutsam sind, dass es nach ihrem

Abschluss auch tatsächlich zum Vollzug der verwaltungsgerichtlich bestätigten behörd-

lichen Entscheidung kommt.

Er/me – 21 – INA 19/103 u. RTA 19/42 – 14.06.2018

Da ist Folgendes dargelegt worden: Was konkret den Irak anbelangt, hat es eine ent-

sprechende Erlasslage gegeben, dass in den Irak grundsätzlich keine Abschiebungen

erfolgten. Gleichwohl – die Zahlen sind mitgeteilt worden – ist die Mehrzahl der Irakver-

fahren in absehbarer Zeit beendet worden.

Dass in der konkreten Angelegenheit keine bevorzugte Behandlung erfolgt ist, erklärt

sich meines Erachtens leicht daraus, dass hier kein Anlass bestand, gerade dieses Ver-

fahren priorisiert zu bearbeiten.

Die Belastungen der Verwaltungsgerichte mit dem Verfahren sind recht hoch. Wir ha-

ben eine Verstärkung bekommen. Dass der Bezirksrichterrat, auf den eingegangen

worden ist, darauf hingewiesen hat, dass sich die Verfahrensdauer verwaltungsgericht-

licher Verfahren aufgrund des Zuwachses neuer Verfahren und des Bestandes hinaus-

zögern wird, lässt sich meines Erachtens nicht von der Hand weisen.

In dem Schreiben des Bezirksrichterrats ist natürlich darauf hingewiesen worden, dass

man darum bittet, sich für eine Streichung der Sperrvermerke im Haushalt 2018/2019

einzusetzen. Das ist aber in der ersten Tranche bereits passiert. Das heißt: Von den in

2018/2019 der Verwaltungsgerichtsbarkeit zur Verfügung gestellten Planstellen werden

die ersten jetzt besetzt werden können. Nach meinem Kenntnisstand ist es so, dass die

Aussichten darauf, dass im Herbst die zweite Tranche zur Verfügung steht, gut sind.

Ministerin Eva Kühne-Hörmann: Herr Dr. Wilken, zu dem letzten Komplex, der den Be-

reich der Justiz betrifft, haben Sie noch einmal gefragt: Was passiert gegen die Hetze im

Netz? – Es passiert das, was immer in diesen Verfahren passiert. Wenn es Straftatbestän-

de gibt, dann ist das im Netz genauso strafbar wie in der realen Welt. Wenn sich da Het-

ze ereignet, dann wird das verfolgt.

Abg. Handan Özgüven: Ich habe noch eine kleine Frage, was den zeitlichen Ablauf

anbelangt. Frau Justizministerin, Sie haben gesagt, die Klage vor dem Verwaltungsge-

richt sei am 11. Juni 2018 zurückgenommen worden. War das tatsächlich nach der Aus-

lieferung des Beschuldigten hierher, oder war das ein Versprecher und die Klage ist im

Jahr 2017 zurückgenommen worden?

Ministerin Eva Kühne-Hörmann: Das war kein Versprecher, sondern sie ist am 11. Juni

2018 vonseiten des Anwalts zurückgenommen worden. Das kann der VHG-Präsident

vielleicht noch einmal ergänzen.

Herr Schönstädt: Da gibt es nur eine Ergänzung: Ja.

Abg. Hartmut Honka: Zunächst finde ich es gut, dass wir es hier schaffen, das Thema

sachlich aufzuarbeiten. Das ist anders als das, was man leider manchmal von einer Par-

tei in der Öffentlichkeit hört, die zum Glück noch nicht dem Hessischen Landtag ange-

hört.

Ich habe eine Detailfrage zu dem gerichtlichen Verfahren. Dort wurde ausgeführt, dass

die Klage vom 9. Januar 2017 ohne Begründung bei dem Verwaltungsgericht einge-

gangen sei. Soweit ich die öffentliche Presseberichterstattung zu solchen Verfahren ver-

Lb/me – 22 – INA 19/103 u. RTA 19/42 – 14.06.2018

folge, wurde geschrieben, das sei häufig der Fall. – Dann fordert das Gericht bei dem

Anwalt eine Stellungnahme an. Wie wird das aus Sicht der Justiz gesehen? Wie häufig ist

das der Fall? Zu wie viel Verzögerung führt das in einem Verfahren? Was ist dort aus

Sicht der Justizministerin nötig? Es sind doch Bundesgesetze, die dann in Angriff ge-

nommen und geändert werden müssten, damit die Richter, die diese Verfahren auf

dem Schreibtisch haben, eine Chance bekommen, dass sie überhaupt etwas ent-

scheiden können. Dafür sind sie da. Insofern gilt mein Dank auch den Richterinnen und

Richtern, die trotz hoher Belastung ihre Arbeit sehr gut machen.

Ministerin Eva Kühne-Hörmann: Ich kann zu der Praxis überhaupt nichts sagen. Herr

VGH-Präsident, bitte sehr.

Herr Schönstädt: Ich habe auch keine genauen Zahlen darüber, in wie vielen Fällen

verwaltungsgerichtlicher Verfahren die Begründung nachlässig ist. Was ich allerdings

von Kollegen und Kolleginnen im Gespräch erfahre, ist, dass es gerade im Asylbereich

Verfahren gibt, in dem auf diese Art und Weise gehandelt wird. – Sie haben es richtig

dargestellt: Die Reaktion der Kolleginnen und Kollegen bei den Gerichten ist dann so,

dass der anwaltlich vertretene Kläger aufgefordert wird, die Klage zu begründen. Man

kann das Ganze auch damit verbinden, dass im Nachhinein ein Vorbringen abge-

schnitten wird. Das wären Möglichkeiten der Verfahrensbeschleunigung. Sie werden

auch vorgenommen; das kann ich hier verbindlich sagen. Die Frage ist dann nur, wann

das Verfahren zur Entscheidung kommt. Das gesamte Verfahren ist gleichwohl durch-

zuhalten. Es ist eine mündliche Verhandlung durchzuführen etc. Das hängt dann wiede-

rum mit der Anzahl an Verfahren und der Anzahl von Kolleginnen und Kollegen zusam-

men, in welcher Reihenfolge das abgearbeitet wird. Es gibt also kurz gesagt prozessuale

Möglichkeiten, ein entsprechendes Verhalten zum Anlass zu nehmen, den Vortrag der

Beteiligten – hier im konkreten Fall des Klägers – abzuschneiden. Das nennt man dann

Präklusion. Dann ist ein etwaiges Vorbringen im Nachhinein unbeachtlich.

Abg. Nancy Faeser: Zum einen bin ich dem Leitenden Oberstaatsanwalt dankbar, dass

er das ausgeräumt hat, weil es in der Tat ja so ist, dass sich die Frage nach den Flucht-

gründen ja überhaupt nicht mehr stellt, wenn kein dringender Tatverdacht vorliegt. Das

stand aber bislang im Raum. Deswegen ging meine Frage ja auch dahin; denn diese

Frage – Herr Innenminister, das müssen Sie jetzt schon aushalten, da Sie versucht haben,

mir da eins mitzugeben –, in der es nicht um die Änderung von Recht, sondern um die

Bewertung von Fluchtgründen ging, haben wir hier gemeinschaftlich, und zwar mehr-

fach angemahnt. Daran kann ich die Kolleginnen und Kollegen erinnern. Deswegen

finde ich es auch hochgradig unfair, da jetzt zu unterstellen, man wolle eine unter-

schiedliche Handhabung bei Flüchtlingen, Deutschen oder anderen. Das ist wirklich

purer Unsinn.

Ich hätte da zum einen noch einmal die Frage, ob seitens der Polizei die technischen

Maßnahmen erst aufgrund des Intervenierens der Anwältin der Mutter geschaltet wur-

den. – Das ist noch nicht beantwortet worden. Herr Münch, ich hatte es von Ihnen so

verstanden, dass bereits am 28. Mai die technischen Maßnahmen geschaltet wurden.

Das würde aus meiner Sicht nicht zu dieser Theorie passen. Aber ich glaube, es ist wich-

tig, das auszuräumen, Herr Münch. Da geistert doch einiges in der Presse immer wieder

herum.

Lb/me – 23 – INA 19/103 u. RTA 19/42 – 14.06.2018

Ich hätte auch noch eine Frage in Bezug auf die Ermittlungsbehörden, wie denn die

Tatsache gewertet wurde, dass Ali B. doch mehrfach polizeilich auffällig war. In so ei-

nem Verfahren stellt sich in der Tat die Frage, ob jemand einmal auf die Idee gekom-

men ist, dort weitere Maßnahmen zu ergreifen oder zu überlegen, wie man dem Herr

werden kann, wenn er im Zusammenhang mit mehreren Taten mal unter Verdacht ge-

raten ist. Wir sprechen bei keiner der Taten von einem dringenden Tatverdacht. Das ist

mir klar. Aber auffällig ist es ja schon, dass er im Zeitraum von Februar bis Juni bei meh-

reren Taten mit im Gespräch war – so will ich es jetzt einmal sehr unrechtlich formulieren.

Aber das war ja auch der Komplex, den Kollege Bauer angesprochen hat, nämlich die

Frage: Wie geht man eigentlich damit um, und wie beherzt ist da das Vorgehen der

Ermittlungsbehörden? Inwiefern läuft das zusammen, dass man dann solche Erkenntnis-

se über jemanden hat?

Ich habe noch eine Frage zu der mutmaßlichen Vergewaltigung einer 11-Jährigen, die

ja auch ständig durch die Presse geistert und wo nicht klar ist, ob Ali B. da beteiligt war

oder nicht. Auf jeden Fall ist dem Wiesbadener Kurier vom 12. Juni zu entnehmen, dass

angeblich auch noch die Rockergruppe Black Devils an der Schule des Mädchens auf-

getaucht sein soll. Herr Innenminister, da würde ich gerne wissen: Welche Kenntnisse

haben Sie darüber? Angeblich sollen zwei Mitglieder die Begleitung der Schwester der

11-Jährigen mit den Worten bedroht haben, sie möge nicht so viel über Ali B. reden. Da

ist schon wieder der Täter im Gespräch. Ist da etwas dran? Liegen Ihnen dazu über-

haupt Erkenntnisse vor? Ich glaube, es wäre schon hilfreich, dem nachzugehen, um die

die Gerüchte, die da im Moment kursieren, möglichst bald aufzuklären.

Einen Hinweis kann ich mir nicht ersparen, auch unter Bezug auf das, was die Kollegin

Hofmann zum Bezirksrichterrat gesagt hat: Haben Sie sich einmal die Frage gestellt, ob

es richtig war, in den Jahren vor 2016 nachhaltig Personal im Bereich der Polizei und der

Justiz abzubauen? Die Justizministerin hat ja davon gesprochen, dass seit 2017 der Ab-

bau von Tarifbeschäftigten im Bereich der Justiz aufgehalten wurde, d. h. vorher wurde

noch massiv Personal abgebaut. Ich glaube, man muss sich schon mit der Frage be-

schäftigen – und da würde ich keinem einzigen Richter jemals einen Vorwurf machen,

im Gegenteil –: Wie viel kann man den Richterinnen und Richtern, der Staatsanwalt-

schaft und auch der Polizei an Belastung eigentlich zumuten? Man muss auch darüber

nachdenken, ob das Verhalten der Landesregierung in den Jahren vor 2016 richtig war.

Sie wissen, dass wir das mehrfach angemahnt haben, sowohl bei der Polizei als auch

bei der Justiz.

Minister Peter Beuth: Die Justizministerin hat vorhin schon einmal ausgeführt, wie sich der

Personalaufbau bei der Justiz gestaltet hat. Es ist am Ende auf die entsprechenden Vor-

lagen aus dem Justizministerium und auf die Entscheidungen der Koalition im Hessi-

schen Landtag zurückzuführen, dass wir einen entsprechenden Stellenaufbau haben.

Ich kann das auch für die Polizei sagen. Wir haben am Ende 1.520 zusätzliche Stellen in

unseren Haushalten geschaffen; das sind bei der Polizei 11 % mehr. Insofern kann ich

den Vorwurf, den Sie hier wieder konstruieren wollen, in keiner Weise nachvollziehen. Wir

sind dabei, dass wir zusätzliche Stellen in einem nie da gewesenen Umfang bei der Poli-

zei und bei den Sicherheitsbehörden geschaffen haben. Wenn ich das richtig in Erinne-

rung habe, haben Sie an keiner einzigen Stelle im Hessischen Landtag den Haushalten

zugestimmt.

(Abg. Nancy Faeser: Aber Sie den Personalerhöhungen davor auch nicht !)

Lb/me – 24 – INA 19/103 u. RTA 19/42 – 14.06.2018

– Ich bin mir nicht sicher, ob das alles so angemessen ist; aber das ist eine andere Fra-

ge.

Meine Damen und Herren, ich will zu der polizeilichen Vita des 20-jährigen Ali B. noch

einmal von mir aus zwei Bemerkungen machen. Jetzt bitte ich die Kollegen von der Po-

lizei, genauestens aufzupassen, um dann ggf. noch zu ergänzen.

Wir haben keine Verurteilung von Ali B. Es gibt keinen Tatbestand, der zu einer Verurtei-

lung geführt hätte. Wir haben sechs Vorgänge mit Verdachtslagen. Wir haben einmal

einen Widerstand gegen eine Stadtpolizistin – darüber ist auch berichtet worden – und

eine versuchte Körperverletzung. Ansonsten haben wir entsprechende Verdachtsfälle.

So ist es mir zumindest übermittelt worden – ggf. müssten Sie das noch einmal korrigie-

ren. – Das Problem, dort entsprechende Maßnahmen aufzusetzen, erschließt sich sicher-

lich jedem. Aber ich will dazu sagen, dass Ali B. auch in der Behandlung des Hauses des

Jugendrechts ist, was wir ja für jugendliche und heranwachsende Straftäter haben und

wo wir versuchen, die staatsanwaltschaftlichen, die polizeilichen Ermittlungen zusam-

menzubinden und wo wir auch die Sozialbehörden noch mit eingebunden haben. Das

heißt, wir haben für eine solche Verdachtslage ein Instrument, mit dem wir uns auch um

die Delinquenten kümmern. Das wollte ich Ihnen nur noch einmal dargestellt haben.

Zum Thema Black Devils und ggf. die Ergänzung der polizeilichen Vita würde ich den

Landespolizeipräsidenten bitten, noch einmal zu ergänzen.

Herr Münch: Zunächst steht noch eine Frage im Raum. Die Schaltung technischer Maß-

nahmen erfolgte am 28. erstmals in Abstimmung zwischen den Kollegen in Wiesbaden

und Mainz. Die weiteren technischen Maßnahmen, die dann im Rahmen der sachlei-

tenden Zuständigkeit von uns gemacht worden sind, sind die Entscheidung der örtli-

chen Behörde gewesen. Die Mutter spielte nach meinem Kenntnisstand keine Rolle.

Aber das war eine rein polizeiliche Maßnahme.

Noch einmal zu Ali B.: Der Minister hat das zutreffend aufgeführt. Es gab nach unserem

Kenntnisstand keinen unmittelbaren Bezug zwischen der Vermissten und Ali B. Es gab ein

Kennverhältnis – das wissen wir – zu dem jüngeren Bruder des späteren Tatverdächti-

gen. Insofern war die direkte Herleitung aus den Taten nicht möglich. Deswegen ist das

so abgearbeitet worden, wie es abgearbeitet worden ist.

Beim Thema „Vergewaltigungsvorwurf“ sind wir genau an dem Punkt, den Herr Minister

gesagt hat. Es war kein dringender Tatverdacht zu dem Zeitpunkt festzustellen. Das lag

unter anderem auch an den Schwierigkeiten im Ermittlungsvorgang, und es ist an der

Stelle nicht weiter zu vertiefen. Da bitte ich um Verständnis.

Zum Thema „Black Devils“ gebe ich an Herrn Müller als Polizeipräsident von Westhessen

ab.

Herr Müller: Ich will das gern ergänzen bezogen auf die Rocker. Wir hatten 7. Juni schon

einen Hinweis einer Schulleiterin aus Wiesbaden, nach dem die Elfjährige, um die es

ging, in Verbindung mit ihrer Schwester eine Bedrohung erfahren hatte. Die Elfjährige

stand als mögliches Opfer der Vergewaltigung im Raum.

Wir waren als Polizei in der Schule und wurden am 8. Juni morgens wieder verständigt,

dass nunmehr die zwei Schülerinnen mit zwei Männern zu Schule erschienen sind. Es gibt

Er/me – 25 – INA 19/103 u. RTA 19/42 – 14.06.2018

im privaten Bereich, im Bereich der älteren Schwester, ein Kennverhältnis zu den Black

Devils. Die haben offensichtlich dann einen Eigenschutz aufgesetzt, den wir als Polizei

sofort unterbunden haben. Wir haben den Rockern Platzverweise erteilt. Wir haben uns

dann an dem Wochenende zusammen mit der Stadt mit der Schule und mit dem Ju-

gendamt um diese Kinder gekümmert. Tiefergehend möchte ich darauf mit Blick auf

den Schutz der Familie nicht eingehen.

(Zuruf von der SPD: Danke schön!)

Abg. Wolfgang Greilich: Ich danke zunächst einmal für die doch schon recht weitge-

henden Auskünfte. Aber wie es immer ist: Die zusätzlichen Informationen werfen immer

weitere Fragen auf.

Ich habe jetzt bei dem zweiten Beitrag von Herrn Münch verstanden: In der Tat war es

so, dass schon vor dem 30. Mai, als, wenn ich das so sagen darf, die Federführung von

Wiesbaden übernommen wurde, eine Zusammenarbeit stattgefunden hat und die hes-

sische Polizei – so habe ich es verstanden – durch die Mainzer Polizei in die Maßnahmen

eingebunden war. Ich habe es auch so verstanden, dass diese technischen Maßnah-

men, Handyortung etc., von der hessischen Polizei schon vor dem 30. Mai durchgeführt

wurden.

Dann habe ich mir notiert – da bin ich mir nicht ganz sicher, ob ich es richtig verstanden

habe –, dass auch Unterkünfte in Wiesbaden durch die Wiesbadener Polizei kontrolliert

worden sind. Wann war das? War das auch schon vor dem 30. Mai? Und welche waren

das? War das insbesondere auch die, in der Familie B. untergebracht war?

In dem Zusammenhang: Sie sagten, Kontakte zwischen Ali B. und Susanna habe man

nicht feststellen können, wohl aber habe man ein Kennverhältnis zu dem jüngeren Bru-

der feststellen können. Wenn so etwas zusammenkommt – Kennverhältnis zu dem jün-

geren Bruder und die noch unbeantwortete Frage: War auch die Unterkunft der Fami-

lie B. in dem Zusammenhang im Blick –, hätte man da nicht doch stutzig werden und

sich mal genauer das Umfeld anschauen müssen? Denn dieses Kennverhältnis war ja,

wenn ich die Zeitungsberichte richtig verstanden habe, der Punkt, der letztlich auch zu

dem Kontakt zu Ali B. führte. Das würde ich gerne von der Polizei beantwortet haben –

ob vom Innenminister oder von jemand anderem, ist natürlich Ihrer Entscheidung über-

lassen.

Genauso spannend und aufschlussreich fand ich die Ausführungen des Generalstaats-

anwalts zu der Frage: Wie waren die Abläufe in dem Ermittlungsverfahren? Warum gab

es da noch nicht mehr? Warum gab es zum Beispiel auch keinen Haftbefehl oder sons-

tige Maßnahmen? Ich habe mir notiert: Die Lichtbildvorlage wegen dieses Verdachts

auf schweren Raub war am 17. Mai. Das war dann doch schon etwas früher. Wenn ich

das richtig verstanden und notiert habe, gab es dann einen Durchsuchungsbeschluss

am 22. Mai, also fünf Tage nach der Lichtbildvorlage. Ich glaube: Das ist bei normalen

Ermittlungsverfahren ein normaler Ablauf. Aber wenn man das so schnell hinbringt, fra-

ge ich mich: Warum ist der Durchsuchungsbeschluss vom 22. Mai, wenn ich das richtig

verstehe, gar nicht vollzogen worden? Warum hat man die Durchsuchung nicht durch-

geführt? Denn ich nehme an – das ist auch wieder eine Unterstellung von mir –: Der

Durchsuchungsbeschluss muss sich ja wohl auf die Unterkunft bezogen haben, sprich:

Wenn man einen Durchsuchungsbeschluss für die Unterkunft hatte und die Unterkunft

durchsucht hätte, wäre man auch früher schon auf den Hausmeister gestoßen. Dann

wäre man überhaupt auf die Situation der Familie B. gestoßen. Warum ist also die

Durchsuchung nicht erfolgt, nachdem es den Durchsuchungsbeschluss gab?

Er/me – 26 – INA 19/103 u. RTA 19/42 – 14.06.2018

Zu meinem letzten Punkt: Der Innenminister hat in der ihm eigenen Art gemeint, er

kommentiere keine richterlichen Entscheidungen. Das tue ich auch nicht. Das tue ich

grundsätzlich nicht. Ich habe auch danach gar nicht gefragt, richterliche Entscheidung

zu kommentieren. Das ist nicht unser Thema.

Zur Diskussion über die Frage: „Wie ist die Stimmung in der Justiz?“ hat Herr Präsident

Schönstädt auch ein bisschen beschrieben, dass natürlich ein Richter in seiner richterli-

chen Unabhängigkeit festlegt, wann er was wie abarbeitet. Wenn in der öffentlichen

Diskussion aus der Justiz an die Politik herangetragen wird – das wird es logischerweise,

wenn sich zum Beispiel der Präsident des VG Frankfurt in der Presse äußert –, dass es of-

fensichtlich bei den beschäftigten Richtern Frust gibt, weil das, was sie entscheiden,

keine Konsequenzen hat – –

Das war die Frage an den Innenminister: Sie sehen erstens, dass das solche Auswirkun-

gen auf unsere unabhängige Justiz haben kann? Zweitens: Was wollen Sie tun, damit

das anders als in letzter Zeit in Hessen wie zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen auch

funktioniert, dass in stärkerem Umfang Abschiebeanordnungen auch durchgeführt

werden bzw. vollziehbare Ausreiseverpflichtungen durchgesetzt werden? Wir haben es

kürzlich schon mal im Parlament erörtert: In Hessen sind die Zahlen rückläufig. Dass es

auch anders geht, führt NRW vor. Da steigen die Zahlen.

Minister Peter Beuth: Herr Vorsitzender, meine Damen und Herren! Die Frage „Frust in der

Justiz“, die Sie hier unterstellen, werde ich auch weiterhin als Innenminister nicht kom-

mentieren. Allerdings will ich die die Hinweise auf Nordrhein-Westfalen zumindest inso-

fern kommentieren, als wir dafür Sorge tragen, dass diejenigen, die bei uns kein Bleibe-

recht haben, in ihre Heimatländer zurückgeführt werden, und zwar idealerweise mit Pri-

orität auf freiwilliger Rückreise. Aber auch entsprechende zwangsweise Rückführungen

finden statt. Wir haben im Jahre 2016 insbesondere aus dem Bereich des Westbalkans

die Rückführungen durchgeführt. Das hat dazu geführt, dass wir im Jahr 2017 aus die-

sem Bereich, den andere Länder bedient haben und dafür entsprechend höhere Rück-

führungszahlen erreicht haben, unsere Arbeit im Jahr 2016 schon gemacht hatten. Im

Jahr 2017 hatten wir gegenüber dem Vorjahr 2016 anteilig etwas höhere Rückführungs-

zahlen.

Sie wissen selbst, weil Sie selbst die Debatten, die wir im Innenausschuss und im Hessi-

schen Landtag geführt haben, schon angesprochen haben, dass das für die beteiligten

Behörden ein sehr, sehr schwieriges Geschäft ist, weil es allerlei Restriktionen gibt, die wir

unter anderem hier auch haben.

In den Bereich Irak zurückzuführen, ist in der Vergangenheit tatsächlich so gut wie un-

möglich gewesen – auch für den Bereich der Straftäter und Gefährder. Wir haben in

den Jahren 2017 und 2018 deutschlandweit nur eine sehr, sehr geringe Zahl an Rückfüh-

rungen gehabt. Die Debatten über die Frage „Rückführung nach Afghanistan?“ will ich

hier niemandem zumuten. Aber sie gehört natürlich auch mit dazu. Das ist eine ent-

sprechende Restriktion. Der Hessische Landtag hat entsprechend beschlossen, wie wir

damit umzugehen haben.

Wir haben darüber hinaus an vielen Stellen das Problem, dass die Heimatländer der

Rückzuführenden nicht sehr kooperativ sind. Das ist eine Angelegenheit, die wir aus

Hessen heraus nicht verändern können. Da sind am Ende die Bundespolitik, das Auswär-

tige Amt und das Bundesinnenministerium gefragt – gegebenenfalls stellt sich auch die

Frage der Entwicklungszusammenarbeit, dass man dort eine entsprechenden Druck auf

Er/me – 27 – INA 19/103 u. RTA 19/42 – 14.06.2018

die Herkunftsstaaten aufbaut, die sich nach meiner Einschätzung völkerrechtswidrig

verweigern, ihre eigenen Leute wieder zurückzunehmen. Ich finde, dass wir diese Frage

schon hinreichend miteinander diskutiert haben. Sie kennen meine Position dazu.

Sie müssten eigentlich auch wissen, dass wir uns mit allen Maßnahmen, die wir in den

vergangenen Monaten oder anderthalb Jahren aufgebaut haben, genau auf diese

Situation auch bei der Frage der Vollstreckung und der Rückführung entsprechend ein-

gerichtet haben. Insofern sehe ich dort keinen kritikwürdigen Ansatz. Aber das ist meine

Einschätzung. Insbesondere im Vergleich mit Nordrhein-Westfalen stehen wir insgesamt,

was unsere Arbeit angeht, sehr, sehr gut dar.

Ich will die Frage „Vollstreckung von unterschiedlichen Maßnahmen“ an das LPP wei-

tergeben. Herr Polizeipräsident, sind Sie so lieb und beantworten die technischen Fra-

gen, die noch gestellt worden sind?

Herr Münch: Zunächst, Herr Greilich, war die Abfolge richtig verstanden mit dem Beginn

der Maßnahmen. Nach der Anzeigenaufnahme durch die Mutter ist noch in der Nacht

in beiden PP-Bereichen, also Mainz und Wiesbaden, eine Funkfahndung mit Personen-

beschreibung herausgegeben worden. Da bekannt war, dass sie sich öfters in Wiesba-

den aufhält, haben wir noch an dem Folgetag – – Ich bitte um Verständnis, weil wir jetzt

langsam doch im Ermittlungsbereich sind, aber im Rahmen der parlamentarischen Auf-

klärung – ich schaue unseren „General“ an; er nickt noch – haben wir drei Unterkünfte

konkret angefahren. Wir haben dort Lichtbilder vorgelegt. Alle drei Überprüfungen wa-

ren ohne Ergebnis. Die Kontaktpersonen, die auch genannt worden sind, waren zum

damaligen Zeitpunkt nicht familiär mit dem späteren Tatverdächtigen irgendwie ver-

bandelt, sodass der erste Bezugspunkt dort ins Leere ging. Aber die Aktivitäten haben

unmittelbar am Folgetag nach der Vermisstensachbearbeitung oder Vermisstenmel-

dungserstattung auch in Hessen stattgefunden.

Ministerin Eva Kühne-Hörmann: Ich will noch etwas zur Praxis bei den Verwaltungsge-

richten sagen. Ich habe vorhin ausdrücklich darauf hingewiesen, was die Erlasslage

angeht. Die gibt es ja schon lange. Der Kollege Beuth hat das eben auch schon getan,

wie 2003, 2006, 2016 und zuletzt die letzte Innenministerkonferenz auch wieder. Danach

konnte man all die Jahre – auf Bundesebene hat es keine Mehrheit dafür gegeben –

eine andere Lösung zu finden. Das heißt: Es hat all die Jahre einen Abschiebestopp in

den Irak gegeben, außer wenn es sich um schwere Straftäter handelte. Da ist konkret

bezeichnet worden, welche darunter fallen. Das ist die Rechtslage, die wir haben. Ich

will es noch mal sagen: Die hat politisch eine Mehrheit gefunden. Alles, was darüber

hinaus beantragt worden ist – übrigens auch von Unionsseite –, hat keine Mehrheit ge-

funden – auch auf Bundesebene nicht.

Diese Praxis hat aber nicht dazu geführt – das habe ich auch mitgeteilt –, dass beim

VG Wiesbaden die Verfahren, die den Irak betreffen, komplett nach hinten geschoben

worden wären. Deswegen will ich es noch mal erwähnen: Im Zeitraum Januar 2016 bis

Juni 2018 gab es beim VG Wiesbaden 166 Hauptsacheverfahren. Von diesen 166 sind

133 erledigt – eben nicht wegen dieser nicht möglichen Abschiebung. Sie sind trotzdem

bearbeitet worden. Von den 46 Eilverfahren sind 43 erledigt.

Warum der eine Fall, über den wir hier reden, nicht erledigt worden ist, kann nur im Er-

messen des Einzelrichters liegen. Jedenfalls hat das nach der Statistik, die mir vorliegt, für

Er/me – 28 – INA 19/103 u. RTA 19/42 – 14.06.2018

das VG Wiesbaden nicht dazu geführt, dass die irakischen Fälle nicht bearbeitet wor-

den wären. Darauf möchte ich hinweisen.

Abg. Alexander Bauer: Ich habe nur noch eine kurze Nachfrage. Mir ist schon bekannt,

dass man, solange kein Haftbefehl vorliegt, bei der Ausreise natürlich keine Kontrollen

durchführen und die Person dann auch nicht ausfindig machen kann. Aber mich inte-

ressiert Folgendes: Die Familie ist ja komplett ausgereist. Ist schon bekannt, wie die

Finanzierung dieser Ausreisetickets, die ja nicht unerheblich ist, erfolgt ist. Ist das durch

eigene Mittel erfolgt oder wurde das Ganze von Dritten unterstützt?

Minister Peter Beuth: Wenn ich das richtig im Kopf habe, kostet ein Flugticket 133 €. Wie

das finanziert wurde, ist jetzt eine Frage der Ermittlung.

Abg. Heike Hofmann: Ich bin dankbar, dass der VGH-Präsident in aller Deutlichkeit die

hohe Belastung dargestellt hat und – ich darf einmal zitieren – dass nicht von der Hand

zu weisen ist, was der Bezirksrichterrat geschrieben hat. Generell will ich noch einmal

verdeutlichen, dass nach dem Abbauprogramm 150 Stellen in der Justiz weniger vor-

handen sind. Ich kann es vollumfänglich nachvollziehen, dass es für die Justiz keine Pla-

nungssicherheit gibt, die erforderlich wäre, wenn Stellen zwar zusätzlich vorgesehen,

aber mit dem Zusatz „kann wegfallen“ versehen sind.

Herr Innenminister, Sie haben angesprochen, dass Ali B. im Haus des Jugendrechts ein-

gebunden war. Wir haben das Haus des Jugendrechts 2007 hier im Hessischen Landtag

beantragt. Es gibt jetzt glücklicherweise etliche Häuser des Jugendrechts in Hessen. Ich

möchte Sie aber konkret dazu fragen, weil das ja nicht ganz unbedeutend ist. Wir spre-

chen hier von sechs Vorgängen. Aufgrund welchen Vorgangs/welcher Vorgänge war

Ali B. denn im Haus des Jugendrechts eingebunden, wie Sie es formuliert haben? Wel-

che Maßnahmen wurden konkret ergriffen, oder hätten von dort aus ergriffen werden

können, um den Dingen zeitnaher auf den Grund gehen zu können?

Minister Peter Beuth: Frau Kollegin Hofmann, das habe ich jetzt nicht verstanden.

(Abg. Jürgen Frömmrich: Ich auch nicht!)

Welche Maßnahmen meinen Sie?

Abg. Heike Hofmann: Sie haben es ja selbst dargestellt, dass im Haus des Jugendrechts

gerade hier in Wiesbaden verschiedene Fachdisziplinen – Polizei, Staatsanwaltschaft,

Jugendgerichtshilfe etc. – interdisziplinär miteinander arbeiten, übrigens auch präven-

tiv. Hier findet auch ein Täter-Opfer-Ausgleich statt. Es ist ja gerade die Stärke des Hau-

ses des Jugendrechts, wenn solche Jugendlichen mit entsprechenden Fällen dort sind,

dass man sich diese Fälle dann interdisziplinär anschaut und klärt, was präventiv getan

wird, damit der Jugendliche nicht noch einmal straffällig wird. Das ist ja gerade das

Konzept des Hauses des Jugendrechts.

Minister Peter Beuth: Wir haben ja in Wiesbaden eine große Tradition, was die Frage der

Jugenddelinquenz und deren Bearbeitung angeht – angefangen von der AG Jaguar in

Lb/me – 29 – INA 19/103 u. RTA 19/42 – 14.06.2018

den Neunzigerjahren, wenn ich daran noch einmal erinnern darf, sodass das es eine

konsequente Fortführung war, dass wir die Häuser des Jugendrechts hier eingerichtet

haben. Ich weise noch einmal darauf hin, bevor der Polizeipräsident das genauer tut:

Wir haben einen Zeitraum, in dem Ali B. aufgefallen ist, mit – sagen wir es einmal so –

Verdachtsmomenten. Es geht nicht darum, dass es irgendeine Verurteilung gegeben

hätte. Wir sind noch nicht einmal beim dringenden Tatverdacht richtig weitergekom-

men. Der Zeitraum lag zwischen Februar 2018 bis jetzt, so ist uns berichtet worden. Ich

will zumindest darauf hingewiesen haben. Wie die Behandlung im Haus des Jugend-

rechts gelaufen ist, da wäre ich dankbar, wenn die Polizei noch einmal etwas dazu sa-

gen kann.

Herr Münch: Der Herr Minister hat das zutreffend dargestellt. Wenn sich die Verdachts-

lage bestätigt, ist die Zeit, in der Ali B. Delinquent geworden ist, sehr eng gefasst. Wir

hatten eine Einstellung aus dem alten Jahr 2017. Alle anderen Fälle waren noch laufen-

de Ermittlungsvorgänge, sodass es noch nicht zum Verfahrensabschluss gekommen ist.

Die Schlagkraft und die Stärke der Häuser des Jugendrechts liegt ja gerade in der ge-

meinsamen schnellen Bearbeitung zwischen Polizei, der Jugendgerichtshilfe und der

Staatsanwaltschaft. Zur Frage der rechtlichen Bewertung: Ist das zutreffend aufgeführt

worden? – Es lag aufgrund der gemeinsamen Bewertung kein Grund für eine U-Haft vor.

Insofern war dort im Grunde genommen nach allen Regeln der Kunst alles getan wor-

den.

Herr Greilich, noch einen Hinweis zu der Frage des Durchsuchungsbeschlusses, der am

22. Mai wegen schweren Raubs erwirkt worden ist. Wie läuft das in der Praxis ab? – Das

Haus des Jugendrechts hat naturgegeben bei etwa 20 Personen, die dort arbeiten,

eine gewisse Durchsatzzahl. Wir hatten in der Umsetzung von Beschlüssen noch drei wei-

tere prioritäre Maßnahmen zu erledigen. In einem Fall ging es um eine Durchsuchung

nach einer Machete. Diese war am 28. Mai geplant. Dann gab es eine weitere Durch-

suchung wegen gefährlicher Körperverletzung mit einer Schusswaffe; diese war am

30. Mai getaktet. Eine weitere Bedrohung mit einer Schusswaffe war der Grund für eine

Durchsuchungsmaßnahme am 5. Juni. Es gab ein weiteres Verfahren am 7. Juni wegen

schweren Raubs, sodass die Kollegen im Rahmen der Lagebewertung und insbesonde-

re unter dem Eindruck des Hintergrunds des gesamten familiären Bildes gesagt haben,

dass das eine Aktion ist, die wir organisatorisch so planen und steuern müssen, dass wir

nicht nur mit dem Streifenwagen hinfahren, sondern entsprechende Maßnahmen ab-

stimmen müssen. Deswegen ist das dann im Rahmen der vorwiegenden Priorisierung für

den 12. Juni vorgesehen gewesen. Das ist in dem Umfeld ein veritabler Einsatz, der auch

zum Schutz der Kollegen dient. Ich glaube, ich brauche an der Stelle nicht weiter auszu-

führen, dass die Örtlichkeit mit den vorgegebenen Rahmenbedingungen für uns keinen

einfachen Zugriff erlaubt hätte. Insofern haben die Kollegen die Lagebeurteilung so

aufgesetzt, dass ein geplanter organisierter Zugriff erfolgt, der im Grunde genommen

durch die Situation, die wir alle kennen, überholt worden ist, sodass es dann im Endef-

fekt zu der Beschlussumsetzung nicht mehr gekommen ist.

Abg. Wolfgang Greilich: Herr Münch, Sie haben erst in dem Zusammenhang vom Haus

des Jugendrechts gesprochen. Das hatte doch wohl nichts mit dem Durchsuchungsbe-

schluss zu tun, oder? Das ist die eine Frage, die sich mir noch stellt.

Zum Zweiten ist es schon eine lange Zeitspanne, wenn man vorher innerhalb von fünf

Tagen den Durchsuchungsbeschluss erwirkt, dass man ihn dann in der Planung erst

einmal drei Wochen liegenlassen will. Das finde ich schon nachdenkenswert.

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Noch nicht beantwortet ist die Frage aus der letzten Runde – ich kann mir nicht vorstel-

len, dass dem jetzt plötzlich Interessen der Nichtöffentlichkeit der Ermittlungen entge-

genstehen –, ob bei den drei überprüften Unterkünften auch die dabei war, in der die

Familie B. wohnte.

Herr Münch: Ja, die Unterkunft war dabei.

Abg. Dr. Ulrich Wilken: Ich möchte auf die Frage nach der Reaktion des Hasses und der

Hetze im Internet zurückkommen. Frau Kühne-Hörmann, Sie haben ja schon etwas dazu

gesagt. Ich glaube, die Abscheulichkeit der Tat ist nur noch zu toppen durch die Wider-

lichkeit, wie jetzt im Netz mit Hass und Hetze gegen fast alle von uns vorgegangen wird

– angefangen von der Bundeskanzlerin etc. Jetzt lese ich ganz aktuell in den Medien,

dass derzeit eine bundesweite Razzia gegen Hassmails läuft. In der Berichterstattung

wird Hessen ausdrücklich nicht erwähnt, während hingegen andere Bundesländer er-

wähnt werden. Vielleicht könnten Sie dazu etwas sagen.

Minister Peter Beuth: Im Zweifel wird es sich um laufende Ermittlungen handeln. Dazu

kann ich Ihnen im Moment nichts sagen. Ich kann Ihnen aber zusagen, dass wir die

Antwort gerne in der nächsten Innenausschusssitzung nachliefern.

Abg. Hugo Klein (Freigericht): Liegen denn belastbare Dokumente vor, die das Alter des

Beschuldigten von 20 Jahren eindeutig bestätigen?

Minister Peter Beuth: Wir versuchen ja, den DPA-Ticker immer mitzulesen. Herr Kollege Dr.

Wilken, um 10:19 Uhr hat DPA in der Tat gemeldet, dass das Bundeskriminalamt gegen

Hasspostings koordiniert vorgeht. In der DPA-Meldung steht Hessen mit drin.

Das Thema „Alter des Beschuldigten“ kann der Landespolizeipräsident sicher noch auf-

klären.

Herr Münch: In Abstimmung mit dem Konsulat kam es im Rahmen einer Umsetzung zu

einem Dreher. Man muss wissen, dass im irakischen Recht nicht der Geburtstag als Erstes

genannt wird, sondern der Monat, also „11 3“. Das ist korrigiert und auch vom Konsulat

bestätigt. Er ist geboren am 11.03. und war zum Zeitpunkt der Begehung der Tat 21 Jah-

re alt.

Abg. Nancy Faeser: Ich glaube, das war vorhin etwas missverständlich, Herr Innenminis-

ter. Deswegen noch einmal konkret die Frage an die Polizei: Hat sich das Haus des Ju-

gendrechts in Wiesbaden mit Ali B. beschäftigt – ja oder nein?

Zum Durchsuchungsbeschluss: Es ist in der Tat eine große Zeitspanne vom 22. Mai bis

zum dann geplanten 12. Juni. Ich habe eine präzise Frage zu dem Durchsuchungsbe-

schluss wegen dieser Waffenfunde. Verstehe ich das richtig, dass sich der Durchsu-

chungsbeschluss gegen mehrere Beschuldigte richtete oder nur gegen Ali B.?

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Dann hätte ich von der Polizei gern einmal gewusst: Gab es denn eine Bewertung, als

dann das Verfahren zu Susanna F. geführt wurde und man ja auch u. a. die Asylbewer-

berunterkunft im Blick hatte und dort ja auch vorstellig war, weil sich das Mädchen da

möglicherweise aufhält. Hätte man da nicht eventuell auch einen Zusammenhang mit

dem Dursuchungsbeschluss sehen können, sodass es dann vielleicht angemessen ge-

wesen wäre, ihn schneller zu vollziehen?

Minister Peter Beuth: Zur Behandlung des Hauses des Jugendrechts hat m. E. der Polizei-

präsident eben schon einmal gesagt: Ja, sie hat stattgefunden. Das ist ja im Prinzip

auch von den mitbeteiligten Behörden bestätigt worden, weil man sich dort gemein-

sam über einzelne Fragen unterhalten hat, z. B. ob Haftbefehle, U-Haftbefehle möglich

sind oder nicht.

Herr Münch, bei der Frage des Durchsuchungsbeschlusses müssten Sie Folgendes noch

einmal erklären: Es muss klar werden, dass man für diese Maßnahme ein entsprechen-

des Umfeld braucht.

Herr Münch: Zunächst noch einmal zur Klarstellung bei den dargestellten Maßnahmen:

Das sind völlig andere Fälle. Ich habe versucht, das anzudeuten, weil das Haus des Ju-

gendrechts eine Vielzahl von Fällen bearbeitet. Im Rahmen des Einsatzes der operati-

ven Einheit, die die Operative abbildet, um prozessuale Maßnahmen umzusetzen, ist

das dort gemeinsam entschieden worden. Das heißt, die vier genannten Fälle haben

mit unserem in Rede stehenden Ali B. gar nichts zu tun gehabt. Ali B. war ein nächster

Fall.

Zum Zweiten. Am dem Tag, als der Durchsuchungsbeschluss gefasst wurde, lag noch

nicht einmal eine Vermisstenanzeige vor. Eine Zusammenführung der Ereignisse war also

noch gar nicht möglich, weil der Durchsuchungsbeschluss am 22. Mai wegen schweren

Raubs gegen den Hauptverdächtigen gefasst wurde. Die Vermisstenanzeige ist aber

erst am 23. Mai erstattet worden, nachdem das Kind am 22. Mai verschwunden war. Es

war also schlichtweg unmöglich, da einen Sachzusammenhang herzustellen.

Abg. Nancy Faeser: Ich habe das noch nicht verstanden. Ist jetzt Ali B. im Haus des Ju-

gendrechts behandelt worden, ja oder nein? Wenn das so ist, ist es ja in Ordnung. Dann

hätte ich das nur gerne noch einmal präzise gewusst, wenn das quasi zu dem Fall war,

dringender Tatverdacht, ja oder nein, was spricht gegen ihn, für ihn? Herr Münch, ich

würde gerne Folgendes davon abtrennen: Die Frage der Durchsuchungsmaßnahmen

hatte aber mit dem Durchsuchungsbeschluss gegen Ali B. nichts zu tun, oder doch? Das

hätte ich gerne noch einmal auseinandergehalten.

Herr Münch: Ali B. war in der Sachbearbeitung des Hauses des Jugendrechts. Im Rah-

men der Sachbearbeitung wurde wegen Ermittlung des schweren Raubs ein Durchsu-

chungsbeschluss beantragt und erlassen. Er ist am 22. Mai erlassen worden, am 24. Mai

lag er auf dem Postweg bei dem Haus des Jugendrechts vor. Ali B. ist einer von vielen

jugendlichen Delinquenten, die im Haus des Jugendrechts bearbeitet werden. Bezüg-

lich der sonstigen Sachbearbeitung sind weitere Vorgänge im Rahmen der operativen

Umsetzung besprochen worden. Deswegen ist nach dem postalischen Eingang mit den

Einheitsführern der operativen Einheit gesprochen worden, wann der Beschluss umge-

setzt werden kann. Da gab es eine Taktung. Ich habe die Termine genannt, wann die

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vier Vormaßnahmen geplant waren. Der Durchsuchungsbeschluss, der mit den ande-

ren Verfahren gar nichts zu tun hatte, war dann für den 12. Juni eingeplant.

Vorsitzender Abg. Horst Klee: Gibt es weitere Fragen? – Ich stelle fest, das ist nicht der

Fall. Damit ist diese Sitzung geschlossen.

Wiesbaden, 9. Juli 2018

Für die Protokollierung: Der Vorsitzende des INA: Der Vorsitzende des RTA:

Claudia Lingelbach Horst Klee Christian Heinz