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gefördert durch: Robert Bosch Stiftung und Transfer-Project e.V. L-1 L. Grundlagen des Wissensmanagements In diesem Modul werden Hintergrundinformationen zum Thema Wissensmanagement vermittelt. Zunächst erfolgt im ersten Kapitel eine Einführung in das Wissens- management unter gesellschaftspolitischen Aspekten. Im zweiten Kapitel werden grundlegende Begrifflichkeiten geklärt. Im Anschluss daran werden ausgewählte Modelle des Wissensmanagements vorge- stellt und deren Inhalte miteinander verglichen. Im vierten Kapitel wird auf das Wissensmanagementkonzept von Probst / Raub / Romhardt näher eingegangen. Dieses Konzept bildet die theoretische Grundlage für das vorliegende Handbuch. 1. Einführung Der Wandel von der Produktionsgesellschaft zur Informations- und Wissensgesellschaft fordert die Gesellschaft und Wirtschaft, ihre Institutionen und Organisationen nachhaltig heraus und verlangt von allen Akteuren ein umfassendes Umdenken. Wie Willke schildert, verändert sich mit jedem Wandel der Gesellschaftsformation auch der zentrale Wert bildende Faktor. In einer Wissensgesellschaft liegt im Prozess der wirtschaftlichen Wertschöpfung neben den Faktoren „natürliche Ressourcen“, „Arbeit“, „Kapital“ und „Organisation“ eine besonders hohe Gewichtung auf dem Produktionsfaktor „Wissen“. 15 Probst/Raub/Romhardt betonen in diesem Zusammenhang den kontinuierlichen Zuwachs wissensintensiver Industrien an der Wert- schöpfung moderner Industrienationen. Diese Entwicklung wirkt sich zunehmend auf den wirtschaftlichen Erfolg einzelner Unternehmen aus, weshalb immer mehr Unternehmen die Ressource Wissen als wesentliche Einflussgröße anerkennen. 16 Das intellektuelle Kapital wird immer mehr zum integrativen Bestandteil eines Unternehmens. Gerade in einem zunehmend umkämpften Markt wie dem Gesundheitsmarkt ist es für die Unter- nehmen dieser Branche unerlässlich, sich ständig neu zu positionieren und zu behaupten. Um Wettbewerbsvorteile erzielen zu können, „… geht es darum, vorhandenes, für das Unternehmen relevantes Wissen schnell zu identifizieren, gezielt zu nutzen und so zu kapitalisieren.“ 17 Dem Wissensmanagement kommt hierbei die Aufgabe zu, den bedeutenden Faktor Wissen in einer wirtschaftlichen Organisation zu steuern und zu lenken. Es obliegt dem Wissensmanagement, vorhan- dene Strukturen zu analysieren, zu verbessern und Arbeit in weiten Teilen neu zu organisieren, um Wettbewerbs- und Marktchancen zu erreichen. Nohr vertritt die Auffassung: „Der Schlüssel für die 15 Vgl. Willke, G.: 47. 16 Vgl. Probst et al.: 20. 17 Schwuchow: 79.

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gefördert durch: Robert Bosch Stiftung und Transfer-Project e.V.

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L. Grundlagen des Wissensmanagements In diesem Modul werden Hintergrundinformationen zum Thema Wissensmanagement vermittelt. Zunächst erfolgt im ersten Kapitel eine Einführung in das Wissens-management unter gesellschaftspolitischen Aspekten. Im zweiten Kapitel werden grundlegende Begrifflichkeiten geklärt. Im Anschluss daran werden ausgewählte Modelle des Wissensmanagements vorge-stellt und deren Inhalte miteinander verglichen. Im vierten Kapitel wird auf das Wissensmanagementkonzept von Probst / Raub / Romhardt näher eingegangen. Dieses Konzept bildet die theoretische Grundlage für das vorliegende Handbuch.

1. Einführung Der Wandel von der Produktionsgesellschaft zur Informations- und Wissensgesellschaft fordert die Gesellschaft und Wirtschaft, ihre Institutionen und Organisationen nachhaltig heraus und verlangt von allen Akteuren ein umfassendes Umdenken. Wie Willke schildert, verändert sich mit jedem Wandel der Gesellschaftsformation auch der zentrale Wert bildende Faktor. In einer Wissensgesellschaft liegt im Prozess der wirtschaftlichen Wertschöpfung neben den Faktoren „natürliche Ressourcen“, „Arbeit“, „Kapital“ und „Organisation“ eine besonders hohe Gewichtung auf dem Produktionsfaktor „Wissen“.15 Probst/Raub/Romhardt betonen in diesem Zusammenhang den kontinuierlichen Zuwachs wissensintensiver Industrien an der Wert-schöpfung moderner Industrienationen. Diese Entwicklung wirkt sich zunehmend auf den wirtschaftlichen Erfolg einzelner Unternehmen aus, weshalb immer mehr Unternehmen die Ressource Wissen als wesentliche Einflussgröße anerkennen.16 Das intellektuelle Kapital wird immer mehr zum integrativen Bestandteil eines Unternehmens. Gerade in einem zunehmend umkämpften Markt wie dem Gesundheitsmarkt ist es für die Unter-nehmen dieser Branche unerlässlich, sich ständig neu zu positionieren und zu behaupten. Um Wettbewerbsvorteile erzielen zu können, „… geht es darum, vorhandenes, für das Unternehmen relevantes Wissen schnell zu identifizieren, gezielt zu nutzen und so zu kapitalisieren.“17 Dem Wissensmanagement kommt hierbei die Aufgabe zu, den bedeutenden Faktor Wissen in einer wirtschaftlichen Organisation zu steuern und zu lenken. Es obliegt dem Wissensmanagement, vorhan-dene Strukturen zu analysieren, zu verbessern und Arbeit in weiten Teilen neu zu organisieren, um Wettbewerbs- und Marktchancen zu erreichen. Nohr vertritt die Auffassung: „Der Schlüssel für die 15 Vgl. Willke, G.: 47. 16 Vgl. Probst et al.: 20. 17 Schwuchow: 79.

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Wettbewerbsfähigkeit und die Innovationskraft eines Unternehmens liegt heute in der Fähigkeit begründet, … Wissen zu erwerben (Organisationales Lernen) oder neues Wissen zu entwickeln, dieses Wissen adäquat innerhalb der Organisation bereitzustellen (Wissenstransparenz und -verteilung) und schließlich in strategische Konzepte und operative Handlungen umzusetzen (Wissensnutzung).“18 Das Gesundheitswesen ist ebenfalls von den beschriebenen Entwick-lungen betroffen. Es erfährt durch die Gesundheitspolitik der letzten Jahre den Zwang zur Kostenminimierung bei gleichzeitiger Qualitäts-steigerung. Die durch die Gesetzgebung eingeforderten Veränderun-gen, wie fallbezogene Leistungsabrechnung oder verkürzte Verweil-dauern der Patienten, verlangen eine effektive und effiziente Nutzung aller vorhandenen Ressourcen eines Gesundheitsbetriebes. Auch Krankenhäuser müssen zunehmend am Markt bestehen und ihre Kapazitäten, ihre Finanzierung sowie ihre Arbeits- und Organisations-prozesse den veränderten Rahmenbedingungen anpassen. Wie Unter-nehmen anderer Branchen sollten auch Gesundheitsbetriebe die Bedeutung der Ressource Wissen als Produktionsfaktor erkennen und diese nutzen, um langfristig wirtschaftlich handlungsfähig zu bleiben. Zum Wissensmanagement gehört es, das im Unternehmen vorhandene individuelle und kollektive Wissen zu identifizieren und transparent zu machen, um es anschließend verteilen, nutzen und weiterent-wickeln zu können. Zum Management von Wissen leistet das in dieser Arbeit vorgestellte Konzept einen grundlegenden Beitrag. Mit Hilfe der vorgestellten Methoden und Instrumente erhalten bettenführende Abteilungen in Krankenhäusern die Möglichkeit, ihre Stations- bzw. Abteilungsprozesse zu erfassen und darzustellen. Somit gewinnen sie zunächst Informationen über Strukturen und Prozesse, die sie anschließend nutzen können, um Veränderungsprozesse einzuleiten.

2. Begriffe Ausgangspunkt jeder Auseinandersetzung mit dem Thema Wissens-management ist eine genauere Klärung dessen, was mit dem Begriff „Wissen“ gemeint ist. Dazu sind in der Literatur, je nach Autor und dessen wissenschaftstheoretischem Fokus, unterschiedliche Defini-tionen zu finden. Die folgenden Begriffsklärungen beziehen sich auf Aussagen ausgewählter Autoren, die in ihren Veröffentlichungen umfassend auf den Wissensbegriff und weitere im Kontext des Wissensmanagements relevante Fachausdrücke eingegangen sind. Nach Marwehe / Weißbach entstehen Informationen aus Daten. Sie formulieren:

18 Nohr: 4.

Daten

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„Daten sind Beobachtungen, die durch die Wahrnehmung und kogni-tive Rahmung durch den Beobachter für diesen überhaupt erst existent werden. Sie werden in Zahlen, Sprache oder in Bildern codiert. Werden diese Daten in einen Kontext von Relevanzen eingebettet, kann von Informationen gesprochen werden.“19 Daten werden demnach erst dann zur Information, wenn sie in einem bestimmten Kontext Relevanz besitzen. Beispielsweise sind Daten über die jährliche Niederschlagsmenge oder über die Entwick-lung der Arbeitslosenzahlen in Deutschland für die tägliche Arbeit einer Pflegekraft nicht bedeutsam. Da die Daten im Kontext der Pflegekraft irrelevant sind werden sie nicht zur Information. Es bleibt zu klären, wie Daten und Informationen zu Wissen werden können. Marwehe / Weißbach sind der Ansicht, dass Wissen aus Informationen dann entsteht, „… wenn sie (die Informationen, d. Verf.) in Erfahrungskontexte eingebaut werden können, die sich im Laufe der individuellen Biografien oder der Unternehmensgeschichte als wichtig erwiesen haben.“20 Probst et al. definieren Wissen folgendermaßen: „Wissen ist die Gesamtheit der Kenntnisse und Fähigkeiten, die Indi-viduen zur Lösung von Problemen einsetzen. Wissen stützt sich auf Daten und Informationen, ist im Gegensatz zu diesen jedoch immer an Personen gebunden.“21 Wie diese Definition zeigt, hängt Wissen von verschiedenen Faktoren ab. Neben den individuellen Einflussgrößen „Kenntnisse“ und „Fähigkeiten“ spielen die externen Faktoren „Daten“ und „Informa-tionen“ eine grundlegende Rolle. Die Ausführungen zeigen, dass Wissen nicht mit Informationen und Daten gleichzusetzen ist. Der Prozess der Wissensentstehung kann an folgendem Beispiel verdeutlicht werden:

Der gesamte Inhalt des Beipackzettels eines beliebigen Medikamentes besteht für eine Pflegekraft zunächst aus Daten. Enthaltene Angaben über die Nebenwirkungen oder die Dosierung werden für die Pflege-kraft zu Informationen, wenn sie in ihrem Arbeitskontext relevant sind. Bei der Verabreichung des Medikamentes gehen die Informa-tionen in das Wissen der Person über, da sie die Krankenbeobachtung entsprechend ausrichtet und Erfahrungen sammelt.

Probst et al. betonen zudem den Aspekt des individuellen Wissens: „Wissen als in Erfahrung eingebettete Information befähigt seinen

19 Marwehe/Weißbach: 1. 20 Marwehe/Weißbach: 2. 21 Probst et al.: 48.

Information

Wissen

Individuelles Wissen

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Träger zum Handeln.“22 Im Unterschied zu Daten und Informationen ist Wissen demnach immer personengebunden, da es im Zusammen-hang mit individuellen Erfahrungen entsteht. Von dem bis jetzt erläuterten individuellen Wissen unterscheidet sich das kollektive Wissen. Dieses ist mehr als die Summe des Wissens der einzelnen Mitglieder einer Organisation. Kollektives Wissen entsteht durch Umwandlungsprozesse, bei denen der einzelne sein Wissen mit anderen teilt und kombiniert. Die individuellen Fähig-keiten sind die Basis des kollektiven Wissens, aber der Unter-nehmenserfolg hängt letztlich davon ab, „… ob verschiedene Wissensbestandteile und Wissensträger effizient kombiniert werden können.“23 Ein Beispiel aus dem Gesundheitswesen soll dies verdeutlichen:

In einem Krankenhaus wird eine ganzheitliche Patientenbetreuung und -versorgung nicht durch unabhängiges Agieren einzelner Experten, wie Ärzten, Pflegekräften oder anderen Berufsgruppen erreichbar sein. Es kommt darauf an, dass alle Beteiligten, die den Patienten aus einer jeweils unterschiedlichen Perspektive betrachten, ihr Wissen miteinander teilen und sich in ihrer Zusammenarbeit ergänzen.

Kollektives Wissen äußert sich in den Prozessen, Routinen, Praktiken und Normen von Organisationseinheiten. Dazu gehören außerdem alle Beziehungen eines Unternehmens, z. B. zu Lieferanten oder Koopera-tionspartnern. Im Unterschied zu individuellem Wissen ist das kollektive Wissen nicht an spezifische Personen gebunden. Darin liegt seine besondere Bedeutung. Individuelle Wissensbestände, die an einzelne Personen gebunden existieren, kann ein Unternehmen nicht allgemein und nicht dauerhaft nutzen. Nur kollektives Wissen, das mehreren Personen, Gruppen oder Organisationseinheiten verfügbar ist, fördert langfristig die Stabilität und die Marktposition eines Unternehmens. Gemeinsam bilden individuelle und kollektive Wissensbestände die organisationale Wissensbasis. Sie umfasst die Gesamtheit des rele-vanten Wissens innerhalb einer Organisation. Dazu gehören die Daten- und Informationsbestände, die dem individuellen und kollek-tiven Wissen zugrunde liegen. Somit enthält die Wissensbasis einer Organisation das Wissen, auf das ihre Mitglieder zurückgreifen können, um organisationsbezoge Aufgaben zu bewältigen oder Probleme zu lösen.24

22 Schwuchow: 80. 23 Probst et al.: 43. 24 Vgl. Probst et al.: 46.

Kollektives Wissen

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„Die organisationale Wissensbasis unterliegt regelmäßigen Verände-rungen. Diese Veränderungsprozesse können unter dem Begriff des organisationalen Lernens zusammengefasst werden.“25 Der Ausgangs-punkt des organisationalen Lernens ist das lernende Individuum. Dabei wird individuelles zu organisationalem Lernen, wenn es im Kontext der Organisation stattfindet. Hier gibt der organisatorische Bezug Rahmen und Anlass für das individuelle Lernen vor.26 Wenn sich eine Einrichtung für die Einführung einer EDV-gestützten Patientendokumentation entscheidet und entsprechend ihre Mitarbeiter zur Anwendung befähigt, so lernen die Mitarbeiter organisational. Einerseits erweitern oder verändern die einzelnen Organisations-mitglieder ihr Wissen durch Lernen. Andererseits lernt aber auch die Organisation dadurch, „… dass die Ergebnisse der individuellen Lern-vorgänge durch eine intensive hierarchie- und bereichsübergreifende Kommunikation der Organisation zugänglich gemacht werden.“27 Erst dadurch wird die organisationale Wissensbasis als gemeinsamer Bezugsrahmen modifiziert, was dazu führt, dass vorhandene organisa-tionale Problemlösungs- und Handlungskompetenzen erhöht werden. Probst et al. führen dazu zusammenfassend aus: „Organisationales Lernen beschreibt die Veränderungsprozesse der organisationalen Wissensbasis. Deren Gestaltung und Lenkung ist Gegenstand des Wissensmanagements.“28 Durch organisationales Lernen wird die organisationale Wissensbasis eines Unternehmens verändert. Die Aufgabe des Wissensmanage-ments ist es, diese Veränderungsprozesse zu steuern. Wissens-management ist anwendungsorientiert und beinhaltet gezielte Inter-ventionsabsichten in Bezug auf die organisationale Wissensbasis.29 Wissen als persönliche Fähigkeit entsteht in einem Transformations-prozess aus im Überfluss vorhandenen Daten. Diese Daten können die Qualität von Informationen erreichen, wenn sie in einen Kontext eingebunden sind, in dem sie für ein Individuum Relevanz besitzen. Sind die nun vorliegenden Informationen geeignet, die persönlichen Erfahrungen zu ergänzen oder zu ersetzen, so werden sie zu Wissen. Neben den Erfahrungen spielen die Kenntnisse und Fähigkeiten der Person eine Rolle und beeinflussen den Transformationsprozess der Wissensentstehung. Außerdem ist Wissen ein dynamischer Prozess und kein statisches Produkt. Deshalb ist die Überprüfung vorhandenen Wissens immer nur eine Momentaufnahme.

25 Vgl. Probst et al.: 46. 26 Vgl. Schreyögg: 538. 27 Vahs: 308. 28 Probst et al.: 61. 29 Probst et al.: 47.

Organisationales Lernen

Fazit

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Das Individuum ist der zentrale Träger des Wissens in einer Organi-sation. Soll individuelles Wissen für ein erfolgreiches Agieren in einer Organisation genutzt werden, ist es notwendig, die einzelnen Wissensträger in einem komplexen Geflecht zu verknüpfen und so kollektives Wissen zu generieren und weiterzuentwickeln. An einzelne Personen gebundenes individuelles und nicht an spezifische Personen gebundenes kollektives Wissen bilden gemeinsam die organisationale Wissensbasis. Sie ist die Gesamtheit relevanten Wissens in einer Organisation. Aktivitäten zur Verränderung der organisationalen Wissensbasis werden mit dem Begriff „organisationales Lernen“ bezeichnet. Es ist die Aufgabe des Wissensmanagements, diese Veränderungsprozesse zielgerichtet zu steuern.

3. Modelle des Wissensmanagement Über das Wissensmanagement wurden in den letzten Jahren zahl-reiche Publikationen veröffentlicht. Diese Veröffentlichungen beschäftigen sich sowohl auf theoretischer und allgemeiner Ebene mit dem Wissensmanagement als auch auf der Ebene konkreter Erfahrungsberichte. Um einen Eindruck von dem facettenreichen Angebot zu erhalten, werden zunächst die Ansätze von Nonaka / Takeuchi, Schüppel und Willke skizziert und im Hinblick auf ihre Praxisrelevanz bewertet. Es sind insbesondere Autoren aus den Bereichen Wissenschaft und Beratung, die bisher Modelle für das Wissensmanagement entwickelt haben, so auch Nonaka / Takeuchi. Sie führen den Ansatz von Polany weiter, der sich aus philosophischer Perspektive mit dem Wissens-begriff beschäftigt. Nonaka / Takeuchi entwickeln ein Modell der organisationalen Wissensgenerierung. Sie vertreten die Auffassung, dass ein Unternehmen nur Wissen generieren und Innovationen hervorbringen kann, wenn es das implizit in den Köpfen der Mitarbeiter vorhandene Wissen externalisiert, also kollektiv zugänglich macht. Unter implizitem Wissen ist dabei das Erfahrungs-wissen der Mitarbeiter zu verstehen, welches sich in ihren Handlungen äußert. Dieses Wissen ist oft unbewusst vorhanden und lässt sich deshalb nur schwer fassen oder artikulieren. Dagegen ist explizites Wissen formulierbar und dokumentierbar. Es kann in Worten, Zahlen, Regeln, Formeln, Verfahrensweisen u. ä. ausgedrückt werden und ist gezielt vermittelbar. Das komplexe Modell der Wissensschaffung beschreiben Nonaka/Takeuchi anhand einer Wissensspirale.30 Dieses Modell, v. a. die Unterscheidung in implizites und explizites Wissen, wird in vielen

30 Vgl. Nonaka/Takeuchi: 68 ff.

Modell nach Nonaka / Takeuchi

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anderen Ansätzen zum Wissensmanagement übernommen. Kritisch ist nach Ansicht von Schreyögg jedoch zu betrachten, dass Nonaka/Takeuchi die Externalisierung impliziten Wissens als einzige Möglichkeit sehen, neues Wissen zu schaffen. Demgegenüber führt Schreyögg an, dass Wissen auch auf anderen Wegen generiert werden kann, z. B. durch Experimentieren, Reflektieren, Beobachten, Nach-ahmen oder Vergleichen.31 In ihrem Buch „Die Organisation des Wissens“ führen Nonaka/Takeuchi zahlreiche Beispiele aus japanischen Unternehmen an, in denen das Modell umgesetzt wurde. Probst et al. stellen in diesem Kontext in Frage, ob der notwendige Aufwand, implizites Expertenwissen zu externalisieren, im Verhältnis zu dem zu erwartenden Nutzen steht. Sie sind der Ansicht, dass es in den meisten Fällen ausreichend ist, zu wissen, wer der entsprechende Experte ist.32 In seinem Modell der „Akte des Wissensmanagements“ nimmt Schüppel auf die von Nonaka/Takeuchi entwickelte Konzeption der Wissensspirale Bezug. Schüppels Modell besteht aus vier Akten. Die ersten drei Akte sind der Erfassung der IST-Situation und der Kontextgestaltung gewidmet. Dabei erfolgt zunächst die Identifizierung des Kernwissens des Unter-nehmens. Im zweiten Schritt analysieren die Organisationsmitglieder selbstreflexiv die individuellen und kollektiven Lernprozesse, um einen Überblick über die typischen Verlaufsmuster organisationaler Lernprozesse zu erhalten. Im dritten Akt werden vorhandene Wissens- und Lernbarrieren identifiziert. Erst nachdem diese drei Schritte absolviert wurden, beginnt die konkrete Gestaltung des unternehmens-spezifischen Wissensmanagements. Dieser vierte Akt wird durch die Modellierung der Wissensspirale von Nonaka/Takeuchi vollzogen.33 Schüppels Modell ist auf einen struktu-rierten Veränderungsprozess ausgerichtet. Jedoch ist es ein theoreti-sches Konstrukt, das heißt für seine praktische Umsetzung müssen erst geeignete Verfahrensschritte und -abläufe konzipiert werden und sich in einer konkreten Situation bewähren. Es ist deshalb nur bedingt als Implementierungsmodell geeignet. Als weiteres Modell ist Willkes „Systemisches Wissensmanage-ment“ zu nennen. Willke betrachtet Wissensmanagement als einen Geschäftsprozess, der sich in zwei Kreisläufe, einen inneren und einen äußeren, teilt. Im inneren Kreislauf geht es um die Organisation des Wissensmanagements. Dazu gehören die sechs Elemente Wissens-generierung, Wissensaktivierung, Wissensgeneralisierung, Wissens-verteilung, Wissensnutzung und Wissensrevision. Im äußeren Kreis- 31 Vgl. Schreyögg: 550. 32 Vgl. Probst et al.: 116. 33 Vgl. Schüppel.

Modell nach Schüppel

Modell nach Willke

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lauf werden die Ergebnisse des optimierten Wissensmanagements auf die Ziele der Organisation ausgerichtet.34 Auch dieser Ansatz stellt eher ein theoretisches Erklärungsmodell als ein Implementierungsmodell dar. Er strukturiert den Wissensmanage-mentprozess und bietet Ansatzpunkte für mögliche Interventionen, die jedoch hier ebenfalls erst abgeleitet werden müssen. Die drei vorgestellten Konzeptionen des Wissensmanagements können nur einen kleinen Ausschnitt verfügbarer Modelle wider-spiegeln. Kennzeichnend für die Forschungssituation ist folglich, dass es unterschiedlichste Ansätze zum Wissensmanagement gibt, aber kein Modell ein Wahrheitsmonopol beanspruchen kann. Seine Eignung hängt vielmehr davon ab, ob und inwieweit es sich als nütz-lich für das jeweilige Erkenntnis- oder Anwendungsziel erweist.

4. Wissensmanagementkonzept nach Probst / Raub / Romhardt In diesem Kapitel wird das Wissensmanagementkonzept von Probst / Raub / Romhardt vorgestellt. Es wird zur Umsetzung der Reorganisa-tion einer bettenführenden Station verwendet. Damit bildet es die theoretische Grundlage der im Teil 1 (Kernprozesse) verwendeten Methoden und Instrumentensammlung im Sinne des Wissens-managements. Die Wahl begründet sich durch die Praxistauglichkeit des Konzepts. So vereint es theoretische und praktische Elemente und integriert Aspekte der vorgestellten Modelle von Nonaka/Takeuchi, Schüppel und H. Willke. Neben theoretischen Aspekten dienten reale Problemstellungen als Grundlage für die Konzeptentwicklung. Die theoretische Fundierung und die praktische Realisierbarkeit zeichnen das Konzept aus und unterscheiden es von den bereits vorgestellten Ansätzen, die sich hauptsächlich auf eine eher theoretische und praxisfernere Ebene beschränken.

4.1. Entstehung des Konzeptes Probst / Raub / Romhardt vertreten die Auffassung, dass für Manager vor allem die Lernprozesse von Bedeutung sind, die sie lenken können. „Statt organisationale Lernprozesse zu verstehen, brauchen Führungskräfte Methoden, mit denen sie organisationale Wissens-bestände lenken und in ihrer Entwicklung beeinflussen können.“35 Ihrem Anspruch nach soll Wissensmanagement den Praktikern eine

34 Vgl. Willke, H. 35 Probst et al.: 51.

Fazit

Bedeutung der Lernprozesse

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konkrete Hilfestellung bei der Gestaltung organisationaler Lern-prozesse liefern. Demzufolge ist das von ihnen entwickelte Wissens-managementkonzept praxisnah und beschreibt in konzeptualisierter Form wissensbezogene Aktivitäten. Die Basis für das entwickelte Konzept bildete das 1995 gegründete schweizerische „Forum für Organisationales Lernen und Wissensmanagement“ an der Genfer Universität. In diesem Forum kommen Vertreter aus Wissenschaft und Praxis bei themenzentrierten Roundtables zusammen. Die Mitarbeiter des Lehrstuhls für Manage-ment und Organisation der Genfer Universität führten eine Vielzahl von Forschungsprojekten durch, in denen sie, gemeinsam mit dem am Forum beteiligten Firmen36, unterschiedlichste Aspekte des Themen-komplexes „Wissen als Ressource“ untersuchten. Als ein Ergebnis der zweijährigen Forschungsarbeit entstanden die von den Autoren formulierten Anforderungen an ein Wissensmanagementkonzept. Darin wurden die Aspekte berücksichtigt, welche die Praktiker als unverzichtbar betrachteten. Danach muss ein praxisorientiertes Wissensmanagementkonzept • anschlussfähig an im Unternehmen bereits bestehende Konzepte,

wie z. B. Total Quality Management, sein • sich an konkreten Praxisproblemen orientieren • verständlich formuliert und aufgebaut sein • auf konkrete Handlungen ausgerichtet sein • erprobte Instrumente zur Verfügung stellen37 Unter Berücksichtigung dieser Anforderungen entwickelten Probst/Raub/Romhardt ihr pragmatisches Wissensmanagement-konzept der „Bausteine des Wissensmanagements“.

4.2. Theoretische Grundlage In ihrer empirischen Forschungstätigkeit zur Konzeptentwicklung folgen Probst et al. den Grundsätzen des Action Research Ansatzes, der sich um eine Theorie und Praxis verbindende Forschung bemüht. Action Research, auch als Aktions- oder Handlungsforschung bezeichnet, geht ursprünglich auf den Psychologen Kurt Lewin zurück und wurde inzwischen von verschiedenen Forschergruppen inhaltlich erweitert. Lewin entwickelte die Handlungsforschung in Abgren-zung zur klassischen Form der empirischen Forschung.

36 Zu den Forumsfirmen gehören u. a. AT&T International, Winterthur

Versicherungen, Hewlett Packard Europa, Daimler Chrysler, Deutsche Bank, Motorola, Novartis, Roche Diagnostics und Siemens.

37 Vgl. Probst/Romhardt: 3 f.

Forschungsprojekt „Wissen als Ressource“

Action Research

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Nach dem Zweiten Weltkrieg war Lewin in den USA in privaten Komitees beratend tätig, die es sich zur Aufgabe gemacht hatten, Rassismus und Antisemitismus zu bekämpfen und die gespannten Beziehungen zwischen ethnischen Minderheiten in den USA zu verbessern. Bei seiner Arbeit stellte Lewin fest, dass bestehende sozialwissenschaftliche Theorien es ihm nicht ermöglichten, „… in dieser konkreten Problemsituation Handlungsanweisungen zur Herbeiführung gesellschaftlichen Wandels zu geben.“38 Seine Lösung bestand in der Verknüpfung von Forschung und Intervention. In dieser Verbindung von Wissenschaft und Praxis liegt noch heute das zentrale Prinzip des Action Research. Im Gegensatz zur klassischen empirischen Forschung stellte Lewin „… die Diagnose der konkreten Problemsituation und die Wissensgenerierung über Wandlungs-prozesse als gleichberechtigte Partner neben die Entwicklung allgemeingültiger Gesetze …“.39 Im Unterschied zu einer gängigen Praxis, Hypothesen aus theoretischen Vorgaben abzuleiten und diese in einem von vornherein definierten Forschungsfeld zu bestätigen, orientiert sich der Action Research an realen Problemsituationen und versucht seine Forschungsaktivitäten an diesen auszurichten. Der Ansatz des Action Research Ansatz ist durch die konsequente Einbeziehung des Praktikers in den gesamten Forschungsprozess gekennzeichnet. Anders als die klassische empirische Forschung hebt die Handlungsforschung die Trennung von Forscher und Beforschtem auf. Der Praktiker ist bereits bei der Festlegung der Fragestellung oder der Problemdefinition beteiligt und begleitet den gesamten Forschungsprozess. Somit übernimmt er eine Mitverantwortung und erweitert die Perspektive des Forschers. Der Partizipationsaspekt betont die ausgesprochene Problem- und Handlungsorientierung des Action Research und stellt gleichzeitig die Verbindung von wissen-schaftlichen und praktischen Forschungsinteressen sicher. Dabei wird der wissenschaftliche Aspekt durch den Forscher gewahrt. Dieser „… bringt nicht nur Theorie als Hilfsmittel zur Lösung der konkreten Problemsituation ein, sondern verpflichtet sich, den Prämissen des Action Research folgend, auch dazu, über die rein anwendungs-orientierte Problemlösung hinaus neues Wissen zu generieren.“40 In der Handlungsforschung ist der Forschungsprozess „… auf Hand-lungen und damit auf die Herbeiführung von Wandel im unter-suchten Kontext“41 ausgerichtet. Ausgehend von einem konkreten Problem sollen die Forschungen bzw. ihre Ergebnisse pragma-tische Lösungen bereitstellen und zu einem beabsichtigten organi-satorischen Wandel beitragen. Dieser Anspruch birgt den Vorteil, dass „… das gewonnene Wissen dem untersuchten System direkt zugute kommt und dessen Unabhängigkeit und Fähigkeit zur 38 Probst/Raub: 8. 39 Probst/Raub: 9. 40 Probst/Raub: 14. 41 Probst/Raub: 10.

Der Praktiker als Experte

Problemlösung durch Problemanalyse

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Problemlösung unmittelbar verbessert.“42 Ein Forschungsprojekt, das dem Action Research Ansatz folgt, leistet demnach für die untersuchte Organisation Hilfe zur Selbsthilfe. Da sich Action Research bewußt von der klassischen empirischen Forschung abgrenzt, hat der Ansatz seit seinem Bestehen eine kritische Diskussion erfahren. Die Kritik an der Handlungsforschung entzündet sich hauptsächlich daran, dass die jeweiligen Unter-suchungsergebnisse keine Allgemeingültigkeit beanspruchen können. Diese Kritik ist durchaus berechtigt. Andererseits wird übersehen, dass grundlegende, an einem großen theoretischen Entwurf orientierte Lösungsstrategien den Besonderheiten konkreter Problemsituationen in sozialen Systemen häufig nicht gerecht werden und keinen adäqua-ten Handlungsbezug ermöglichen. Der Ansatz des Action Research verzichtet absichtlich auf einen solchen Entwurf. Im Zentrum des Interesses steht die praktische Umsetzbarkeit von Ergebnissen. Probst et al. führen dazu aus: „Action Research tritt an, um den unmittelbaren Verlust von Reali-tätsbezug durch eine übertriebene Betonung wissenschaftlicher Strenge zu bekämpfen. Es postuliert, dass die Realität in sozialen Systemen wie einer Unternehmung zu komplex ist, als dass sie mit wenigen, streng wissenschaftlich handhabbaren Kriterien zuverlässig und umfassend beschrieben werden könnte.“43 Zusammenfassend ist festzuhalten, dass Action Research durch eine interdisziplinäre, problem- und handlungsorientierte Vorgehensweise gekennzeichnet wird. Die Handlungsforschung bemüht sich um einen integrativen Ansatz; das heißt, es geht ihm in einem problem-orientierten Kontext darum, sowohl die Interessen der Praktiker als auch der Forscher zu berücksichtigen. Für den Forscher steht dabei der theoretische Erkenntnisgewinn im Vordergrund, während der Praktiker an umsetzbaren Problemlösungen orientiert ist. Die einge-schränkte Generalisierbarkeit der Forschungsergebnisse wird bewußt realitätsfernen Konstrukten vorgezogen. Insgesamt erhöht Action Research das organisationale Problemlösungspotential und leistet somit Hilfe zur Selbsthilfe für das untersuchte System.

4.3. Bestandteile des Konzeptes Während ihrer dem Action Research Ansatz folgenden Forschungs-arbeit in den Teilnehmerfirmen des „Forums für Organisationales Lernen und Wissensmanagement“ fanden Probst et al. in den Unter-nehmen zahlreiche Problemstellungen vor. Diese einzelnen Problem-stellungen wurden in Problemkategorien zusammengefasst. Mit Hilfe dieser Systematisierung erarbeiteten Probst et al. die sechs Kernpro-zesse des Wissensmanagements. 42 Probst/Raub: 10f. 43 Probst/Raub: 15.

Fazit

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Als Kernprozesse verstehen sie die Bausteine „Wissensidentifika-tion“, „Wissenserwerb“, „Wissensentwicklung“, „Wissens(ver)teilung“, „Wissensnutzung“ und „Wissens-bewahrung“.44 Diese Bausteine bilden die wichtigsten Ansatzpunkte für wissensbezogene Interventionen. Alle sechs Kernprozesse stehen in Verbindung zueinander, weshalb Eingriffe in einzelne Kernpro-zesse immer Auswirkungen auf die übrigen haben. Die definierten Kernprozesse sind auf den operativen Aspekt des Wissensmanagements gerichtet und „… benötigen einen orientierenden und koordinierenden Rahmen, der von der Unternehmensleitung geschaffen werden muss.“45 Um diesen strategischen Bezug zu integrieren, werden die sechs Kernprozesse durch die beiden Bausteine „Wissensziele“ und „Wissensbewertung“ ergänzt. Durch sie wird das Konzept zu einem Managementregelkreis, der mit seinen insgesamt acht Bausteinen strategische und operative Elemente integriert. Den Ausgangspunkt bildet die Definition von Wissenszielen, um die strategische Ausrichtung des Wissensmanagements sicherzustellen und die Zielsetzungen für Interventionen abzuleiten. Der Kreislauf wird durch die Wissensbewertung geschlossen. Dabei werden Controlling-Daten ermittelt, um den Wissensmanagementprozess zielgerichtet steuern zu können. Die nachfolgende Abbildung veranschaulicht die Bausteine des Wissensmanagements, die in den nachfolgenden Abschnitten näher erläutert werden.

44 Vgl. Probst et al.: 53. 45 Probst et al.: 56. 46 Abbildung nach Probst et al.: 58.

Bausteine des Konzepts

Regelkreis

Abbildung L-1: Bausteine des

Wissensmanagement46

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4.3.1. Wissensziele und Wissensbewertung Für die Umsetzung des Wissensmanagements sehen es Probst et al. als grundlegende Voraussetzung an, unternehmensspezifische Wissens-ziele zu definieren. Diese sind notwendig, um den Interventionen im Zusammenhang mit den einzelnen Kernprozessen bzw. allen mit dem Wissensmanagement verbundenen Aktivitäten eine Richtung zu geben. Wissensziele sind die wissensbezogene Übersetzung und Ergänzung der herkömmlichen Unternehmensziele. Sie können z. B. in Form eines Wissensleitbildes in die bestehenden unternehmens-kulturellen Leitlinien integriert werden. Die Wissensziele eines Unternehmens sollen normative, strategische und operative Elemente enthalten. Die normativen Wissensziele sind auf die Schaffung einer geeigneten Unternehmenskultur gerichtet. Letztlich wird ohne eine wissensbewusste Unternehmenskultur keine tief greifende Auseinandersetzung mit der Ressource Wissen erfolgen und die Integration eines Wissensmanagementkonzeptes scheitern. Die strategischen Wissensziele werden benötigt, um das aktuelle und zukünftige organisationale Kernwissen eines Unternehmens zu definieren. Aus ihnen lässt sich ableiten, welche bereits vorhandenen Fähigkeiten erhalten und weiterentwickelt werden sollen und welche neuen Fähigkeiten für zukünftige Aufgaben erworben werden müssen. Der Einfluss normativer und strategischer Wissensziele auf praktische Handlungen wird durch die operativen Wissensziele sichergestellt. Zu ihrer Festlegung werden die strategischen Wissensziele unter Beachtung des normativen Kontextes in den operativen Bereich übersetzt und umsetzungsorientierte Teilziele geschaffen.47 Um den Grad der Erreichung der definierten Wissensziele feststellen zu können, enthält das Konzept von Probst et al. den Baustein „Wissensbewertung“, der den Regelkreislauf schließt. Hierbei geht es nicht um die monetäre Bewertung des Wissens, sondern ausschließlich um Rückmeldungen über den Stand der Realisierung der angestrebten Wissensziele. Die Wissensbewertung „… gibt Auskunft darüber, ob Wissensziele angemessen formuliert und Wissensmanagement-Maßnahmen erfolgreich durchgeführt werden.“48 Sie macht Stärken und Schwächen der geleisteten Aktivitäten deutlich und ermöglicht es, Konsequenzen für die nachfolgenden Prozessschritte zu ziehen. In der Praxis erweist sich die Erstellung eines unternehmens-spezifischen Wissensbewertungssystems jedoch als ein bisher weit-gehend ungelöstes Problem. Es besteht der Wunsch nach objektiven und quantifizierbaren Messergebnissen. In Bezug auf die kontext-

47 Vgl. Probst et al.: 87. 48 Probst et al.: 350.

Wissensziele

Wissensbewertung

Bewertungsverfahren

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bezogene Ressource „Wissen“ lassen sich diese aber nicht eindeutig bestimmen. Probst et al. empfehlen deshalb zur Wissensbewertung ein zweistufiges Verfahren: „Die Wissensmessung bemüht sich um die Sichtbarmachung von Veränderungen der organisatorischen Wissens-basis, während die Interpretation dieser Veränderungen mit Hilfe von Wissenszielen erst nachgelagert erfolgen kann.“49 Es kann folglich nicht um die monetäre Bewertung von Wissen gehen. Vielmehr muss festgelegt werden, bis zu welchem Grad die normativen, strategischen und operativen Wissensziele erreicht worden sind. Dazu schlagen Probst et al. verschiedene Bewertungsmethoden vor. Die Erreichung normativer Wissensziele kann u. a. durch die Beobachtung des Top-Management-Verhaltens, die Realisierung der strategischen Wissens-ziele mit Hilfe der Balanced Scorecard und die Verwirklichung der operativen Wissensziele durch die Erstellung individueller Fähigkeits-profile bewertet werden.50

4.3.2. Die sechs Kernprozesse Neben den Bausteinen „Wissensziele“ und „Wissensbewertung“ enthält das Konzept von Probst et al. die weiteren Bausteine „Wissensidentifikation“, „Wissenserwerb“, „Wissensentwicklung“, „Wissens(ver)teilung“, „Wissensnutzung“ und „Wissensbewahrung“, die die Kernprozesse des Wissensmanagements beschreiben. Diese Kernprozesse bilden die operativen Elemente des Wissens-managementkonzepts und zeigen die wichtigsten Ansatzpunkte für wissensbezogene Interventionen innerhalb eines Unternehmens auf.

A) Wissensidentifikation Im Anschluss an die erforderliche Definition von Wissenszielen gilt es, Transparenz über bereits vorhandenes Wissen herzustellen. Diese Wissensidentifikation ist auf internes und externes Wissen gerichtet. In Bezug auf das interne Wissen geht es darum, sich einen Überblick über interne Fähigkeiten und Wissensbestände im Unternehmen zu verschaffen. Nur bekannte Wissensbestände können genutzt werden. Zum Ausbau der organisationalen Kompetenz können Führungskräfte interne Experten ebenfalls erst dann einbeziehen, wenn diese ihnen bekannt sind. Einige Methoden zur Schaffung interner Wissens-transparenz bestehen z. B. im Anlegen von Expertenverzeichnissen oder von Wissenskarten. Diese Wissenskarten können sich auf Wissensträger, Wissensbestände, Wissensquellen, Wissensstrukturen oder Wissensanwendungen beziehen.51 Solche Wissenskarten schaffen Wissenstransparenz und ermöglichen u. a. die Verkopplung von

49 Probst et al.: 324. 50 Die angegebenen Bewertungsmethoden stellen an dieser Stelle nur eine

minimale Auswahl dar. Eine ausführliche Darstellung ist bei Probst et al., Seite 324 ff. zu finden.

51 Vgl. Eppler: 10 f.

interne Wissensquellen

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Wissensträgern und/oder Wissensquellen mit einem Problem bzw. einer Aufgabe. Neben der Identifikation des internen Wissens geht es um die Schaffung von Transparenz über das im Umfeld des Unternehmens vorhandene Wissen. Hierbei sind sowohl externe Wissensträger als auch externe Wissensquellen zu ermitteln, die relevante Informationen für unternehmensspezifische Fragestellungen enthalten. Dazu gehören u. a. Experten, Berater, Kunden oder Lieferanten als externe Wissens-träger und Unternehmensverbände, externe Datenbanken, Internet oder Fachzeitschriften als externe Wissensquellen.52 Die durch die interne und externe Wissensidentifikation zu erzielende Wissenstransparenz ermöglicht dem Unternehmen vorhandene Wissenslücken aufzudecken „… und schafft die Voraus-setzung, um über Wissenserwerb oder Wissensentwicklung zu entscheiden.“53 Zu beachten ist, dass es nicht darum geht, eine absolute Transparenz über internes und externes Wissen herzustellen. Die Wissenstransparenz soll angemessen sein, das heißt, dass sie sich an den Wissenszielen des Unternehmens orientieren soll. Dabei gilt es, diejenigen Wissensbestände zu identifizieren, die für die Erreichung der Wissensziele von Bedeutung sind.

B) Wissenserwerb Aufgabe der Wissensidentifikation ist es, die Fähigkeiten zu ermitteln, über welche die Organisation verfügt und vorhandene Wissenslücken sichtbar zu machen. Fehlende Fähigkeiten können anschließend durch Weiterentwicklung des vorhandenen Wissens oder durch den Erwerb externen Wissens ergänzt werden. Dieser Wissenserwerb kann nicht nur externe Wissensprodukte, sondern auch externe Wissenspotentiale umfassen. Zu Wissensprodukten gehören z. B. Software, Patente, High Tech Produkte, legales Kopieren oder Speichermedien wie Bücher, Daten-banken und Videos. Unter Wissenspotentialen verstehen Probst et al. das Wissen externer Wissensträger, anderer Firmen und das Stake-holderwissen. Als externe Wissenspotentiale werden v. a. externe Fähigkeiten eingekauft, die das Unternehmen selbst nicht entwickeln kann. Dazu gehören die Inanspruchnahme von Beratungsleistungen oder die Rekrutierung von Experten für eine temporäre oder dauer-hafte Beschäftigung. Das Wissen anderer Firmen kann in Form von Kooperationen genutzt werden, z. B. durch Joint Ventures, fallweise Kooperationen oder strategische Allianzen. Auch das Wissen von Stakeholdern wie Kunden oder Lieferanten stellt ein wichtiges Wissenspotential dar. Gerade der Erwerb von Stakeholderwissen bietet eine günstige Möglichkeit, um an bedeutende Wünsche, 52 Vgl. Probst et al.: 131. 53 Probst et al.: 144.

externe Wissensquellen

Identifikation von angemessenem Wissen

Nutzung externer Wissenspotentiale

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Bedürfnisse und Ideen aus dem Umfeld des Unternehmens zu gelangen.54 Vor dem Erwerb von externen Wissensprodukten oder externen Wissenspotentialen sind diese auf ihre Anschlussfähigkeit zu über-prüfen, damit der erwünschte Nutzen erzielt werden kann. Ebenso ist zu beachten, dass der Erwerb fremder Fähigkeiten zu Abwehr-mechanismen führen kann. Schließlich bietet das Alltagswissen Orientierung und Stabilität, vermittelt somit ein Gefühl der Sicherheit. Von außen hinzukommendes neues Wissen oder neue Fähigkeiten können diese Sicherheit destabilisieren und deshalb zu negativen emotionalen Reaktionen wie Ablehnung führen.

C) Wissensentwicklung Neben dem Wissenserwerb bietet die Wissensentwicklung eine weitere Möglichkeit, die organisationale Wissensbasis zu erweitern. Dieser Baustein ist für das Konzept von Probst et al. von besonderer Bedeutung. Schließlich geht es ihnen bei der Wissensentwicklung in erster Linie darum, neue Fähigkeiten oder Produkte, leistungsfähigere Prozesse oder Ideen zu erschaffen. „Wissensentwicklung umfasst alle Managementanstrengungen, mit denen die Organisation sich bewußt um die Produktion bisher intern noch nicht bestehender oder gar um die Kreierung intern und extern noch nicht existierender Fähigkeiten bemüht.“55 Wissensentwicklung kann im Unternehmen auf individueller und auf kollektiver Ebene vollzogen werden. Die individuelle Wissens-entwicklung beruht auf Kreativität als „chaotischer Komponente“ und auf systematischer Problemlösungsfähigkeit als „systematischer Komponente“. Beide Komponenten benötigen einen Kontext, der die individuelle Wissensproduktion unterstützt. Hierbei spielt die Unter-nehmenskultur eine entscheidende Rolle.56 Die Einbringung der Mitarbeiter, z. B. in Form eines betrieblichen Vorschlagswesens, sollte erwünscht sein und gefördert werden. Ausschlaggebend ist ebenso der Umgang der Organisation mit Fehlern der Mitarbeiter. In einem Klima, in dem Fehler als etwas Negatives betrachtet und behandelt werden, wird die Motivation der Mitarbeiter zur Entwicklung und Umsetzung von neuen Ideen gehemmt. In einem unterstützenden Kontext können dagegen Freiräume für die Mitarbeiter geschaffen werden, in denen sie herausgelöst aus dem Arbeitsprozess, z. B. an Projekten oder Ideen, kreativ und systema-tisch arbeiten oder sich weiterbilden. Eine solche Kontextgestaltung bedarf struktureller Voraussetzungen bzw. Veränderungen innerhalb der Organisation.

54 Vgl. Probst et al.: 155 ff. 55 Probst/Romhardt: 12. 56 Vgl. Probst et al.: 187.

individuelle Wissensentwicklung

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Den Kern der kollektiven Wissensentwicklung bildet das Team als kleinste Einheit des organisationalen Lernens. Soll innerhalb eines Teams neues Wissen entstehen und das Wissen des Einzelnen für die Gruppe verfügbar gemacht werden, sind verschiedene Voraus-setzungen zu erfüllen. Dazu gehören zunächst eine hinreichende Intensität an Interaktion, Kommunikation und Wissenstransparenz sowie eine Atmosphäre von Offenheit, Vertrauen und Fehlertoleranz. Ebenso sollten die Fähigkeiten der einzelnen Teammitglieder sinnvoll aufeinander abgestimmt sein. Letztlich kommt es darauf an, individu-elle Fähigkeiten und Wissensbestandteile zu einem funktionalen Ganzen zusammenzufassen. Im Anschluss an die Darstellung der individuellen und kollektiven Wissensentwicklung soll abschließend auf eine besondere Form des individuellen Wissens eingegangen werden: das im Alltag entstehende Handlungswissen. Nonaka / Takeuchi weisen darauf hin, dass dieses Wissen i. d. R. implizit und häufig unbewusst in den Köpfen der Mitarbeiter vorliegt und deshalb nur schwer artikulierbar und fassbar ist. Wenn dieses Wissen für die Organisation nutzbar gemacht werden soll, muss versucht werden, es soweit wie möglich zu externalisieren. Ansonsten geht es dem Unternehmen beim Ausscheiden des Mitarbeiters verloren. Probst et al. schlagen in Anlehnung an Nonaka / Takeuchi mehrere Methoden zur Externalisierung des implizierten Wissens vor. Dazu gehört die Verwendung von Metaphern, Analogien und Modellen.57 Der Erfolg der Externalisierungsversuche ist jedoch abhängig von der Bereitschaft der Mitarbeiter, ihr Wissen preiszugeben. Eine nicht minder wichtige Rolle spielen die Absichten des Unternehmens, die es mit der Externalisierung verfolgt. Es kann nicht darum gehen, das Expertenwissen der Mitarbeiter einseitig zu absorbieren und diese anschließend zu entlassen. Eine solche Vorgehensweise fördert Miss-trauen und wird nachfolgende Externalisierungsaktivitäten scheitern lassen. Ebenso ist zu bedenken, dass eine vollständige Externali-sierung des Expertenwissens auch mit hohem Aufwand nicht zu erreichen ist. Das Ausscheiden eines Experten wird also immer mit dem Verlust wertvollen impliziten Wissens für die Organisation einhergehen. Gleichwohl können gezielte Maßnahmen zur Externali-sierung innerhalb einer entsprechenden Unternehmenskultur das Ausmaß der impliziten Wissensverluste durch ausscheidende Experten verringern. „Die Fähigkeit einer Organisation, das Wissen ihrer Experten sichtbar zu machen und auf andere Mitglieder der Organisa-tion zu übertragen bildet demnach eine kritische Stelle bei der Kollek-tivierung individuellen Wissens.“58

57 Vgl. Probst et al.: 195 f. 58 Probst et al.: 196 f.

kollektive Wissensentwicklung

Wissensentwicklung durch Handlungswissen

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D) Wissens(ver)teilung Nach der Identifikation vorhandenen Wissens oder existierender Wissenslücken und dem Erwerb bzw. der Entwicklung neuer Fähig-keiten gilt es, dieses Wissen im Unternehmen zu (ver)teilen, um es für die gesamte Organisation nutzbar zu machen. Der Begriff „(ver)teilen“ wurde von Probst et al. bewußt gewählt, um zu verdeut-lichen, dass es sowohl um die Verteilung als auch um die Mitteilung von Wissen geht. „Der Begriff Wissens(ver)teilung kann sich daher je nach Kontext entweder auf die zentral gesteuerte (Ver)teilung organi-sationalen Wissens auf eine festgelegte Gruppe von Mitarbeitern oder auf das (Mit)teilen von Wissen unter Individuen beziehungsweise im Rahmen von Teams und Arbeitsgruppen beziehen.“59 Es ist nicht sinn-voll, die totale Wissens(ver)teilung anzustreben. Vielmehr muss die Balance zwischen Offenlegung und Vertraulichkeit gehalten werden. Nicht jeder muss alles wissen, sondern der Wissens(ver)-teilungsumfang muss sich nach dem ökonomischen Prinzip der Arbeitsteilung richten. Es geht darum, Individuen oder Gruppen einen angemessenen Zugang zu dem Wissen zu ermöglichen, das sie für die Erfüllung ihrer Aufgaben oder für die Lösung von Problemen benötigen. Die drei Hauptgebiete der Wissens(ver)teilung sehen Probst et al. in der Multiplikation von Wissen, der Sicherung und Teilung vergangener Erfahrungen und dem simultanen Wissensaustausch.60 Die Weiterentwicklung der Informations- und Kommunikations-technologie bietet große Unterstützung und vielfältige Möglichkeiten für die Wissens(ver)teilung. Jedoch gehört zur (Ver)teilung von Wissen mehr als der Einsatz von Technologie. Diese liefert die Infra-struktur als wichtige Voraussetzung, garantiert jedoch noch nicht die tatsächliche Umsetzung effizienter Wissens(ver)teilung. Die Umsetzung wird i. d. R. durch eine Vielzahl von Teilungsbarrieren behindert. Solche Hürden können auf individueller und/oder kultureller Ebene bestehen und aus funktionalen oder hierarchischen Strukturen resultieren.61 Eine funktional ausgerichtete Organisationsstruktur kann dazu führen, dass Wissen abgekapselt den einzelnen Funktionsbereichen zur Verfügung steht, während es anderen Bereichen verschlossen bleibt. Es bilden sich vertikale Wissensinseln. Ebenso können hierarchische Strukturen zu horizontalen Wissensinseln auf den einzelnen Hierar-chieebenen führen. Die klassischen Organisationsstrukturen innerhalb von Kranken-häusern liefern ein gutes Beispiel, um das Problem der Wissensinseln zu verdeutlichen. Hier sind strenge Hierarchien und eine funktions-

59 Probst et al.: 224 f. 60 Vgl. Probst et al.: 264. 61 Vgl. Probst et al.: 257.

Barrieren der Wissens(ver)teilung

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orientierte Organisationsstruktur zu finden. Beides gemeinsam bedingt eine Zersplitterung der organisationalen Wissensbasis in zahlreiche vertikal und horizontal isolierte Wissensinseln. Für die Überwindung von Teilungsbarrieren spielen ebenso die Teilungsbereitschaft der Einzelnen und Aspekte der Unternehmens-kultur eine wichtige Rolle. Die individuelle Teilungsbereitschaft und -fähigkeit kann durch Variablen wie Besitzerstolz, Zeitmangel oder Verlustängste in Bezug auf das Image oder die Stellung im Unter-nehmen beeinflusst werden. Auf individueller und auf kultureller Ebene spielen v. a. Macht- und Vertrauensfragen eine große Rolle. Entsprechend muss die Unternehmenskultur von Vertrauen, Offenheit und produktiver Neugier geprägt sein. Daneben sollte sie Anreiz-mechanismen enthalten, welche die Teilungsbereitschaft der Wissens-träger fördern. Ausgehend von der Erzielung einer angemessenen Teilungsbereitschaft müssen in der Organisation insbesondere im Bereich der Mitarbeiterpolitik unterstützende Rahmenbedingungen geschaffen werden.

E) Wissensnutzung Die Wissens(ver)teilung und die ihr vorangehenden Schritte schaffen die Grundlage für die Nutzung des vorhandenen, erworbenen oder selbst entwickelten Wissens. Im Rahmen der Wissensnutzung sollte dieses Wissen nun in die betrieblichen Prozesse integriert und ange-wendet werden. Schließlich werden die Folgen eines effektiven Wissensmanagements erst durch die produktive Anwendung des Wissens sichtbar gemacht.62 Ebenso wie bei der Wissens(ver)teilung können auch bei der Wissensnutzung Barrieren vorliegen, die eine geeignete Wissens-anwendung nachhaltig behindern. Auf individueller Ebene sind beispielsweise psychologische Faktoren zu nennen. Dies betrifft etwa die Überschätzung der eigenen Fähigkeiten oder die Angst vor dem Verlust des eigenen Expertenstatus. Neben der Teilungsbereitschaft spielt also die Nutzungsbereitschaft der Mitarbeiter in Bezug auf Wissen eine wesentliche Rolle. Diese muss durch eine entsprechende Gestaltung der Unternehmenskultur gefördert werden. Auch hier ist wieder eine Atmosphäre von Offenheit und Vertrauen gefragt. Zudem sollte die Bereitschaft der Einzelnen, sich Wissenslücken einzugestehen und neues Wissen nachzufragen, unterstützt und gewürdigt werden. Im Unternehmen sollte die Anforderung und Nutzung neuen Wissens mit der Bereitschaft zum Lernen und zur Veränderung einhergehen und nicht als Zeichen für Inkompetenz aufgefasst werden.63

62 Vgl. Probst et al.: 271 f. 63 Vgl. Probst et al.: 275 f.

Barrieren der Wissensnutzung

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Die Wissensnutzung wird durch eine nutzerfreundliche Gestaltung der Wissensinfrastrukturen innerhalb des Unternehmens unterstützt. Nutzungsorientierte Arbeitsplätze unterstützen deswegen die individu-elle und kollektive Arbeitssituation. „Im Idealfall können dabei Infor-mationen und Wissen auf einfache Weise und in kurzer Zeit lokalisiert und übertragen werden und liegen in einer Form vor, die ihre umgehende Anwendung und Weiterverarbeitung möglichst wenig behindert.“64 Bei allen Gestaltungsmaßnahmen sind deswegen die Bedürfnisse der Wissensnutzer ausschlaggebend.

F) Wissensbewahrung Damit eine Organisation auch in Zukunft auf relevantes Wissen zurückgreifen kann, muss sie Erfahrungen, Informationen und Doku-mente gezielt bewahren bzw. speichern. Dazu sind zunächst aus der Vielzahl organisatorischer Ereignisse, Personen und Prozesse jene auszuwählen, die bewahrt werden sollen. Im Arbeitskontext werden zahlreiche Erfahrungen gemacht. Jedoch ist es weder sinnvoll noch erreichbar, alle diese Erfahrungen zu dokumentieren und zu bewahren. Die Organisation muss wertvolle von wertlosen Erfahrungen, Daten, Informationen und Fähigkeiten unter dem Gesichtspunkt der Nützlichkeit in der Zukunft unterscheiden. Nach dieser Auswahl ist das bewahrungswürdige Wissen in der orga-nisationalen Wissensbasis zu verankern. Dazu stehen individuelle, kollektive und elektronische Speicherungsformen zur Verfügung. Auf der individuellen Ebene geht es vordergründig darum, Experten durch materielle und immaterielle Anreizsysteme an das Unternehmen zu binden, um einem Verlust an individuell erworbenen Erfahrungs-schätzen vorzubeugen. Auf kollektiver Ebene sollte sich eine Organi-sation um „… bewusste Protokollierung, gemeinsame Auseinander-setzung und kollektive Sprachentwicklung …“65 bemühen. Ergänzend ermöglichen elektronische Speichermedien den dauerhaften systema-tischen Zugriff auf die organisationalen Wissensbestände. Zum Prozess der Wissensbewahrung gehört neben der Auswahl und der Speicherung des organisationalen Wissens auch dessen Aktuali-sierung. Für die Aktualisierung der Wissensbestände sind Verant-wortlichkeiten und Mechanismen festzulegen. Genutzte Datenbanken sollen mit Hilfe der Aktualisierung nicht ins Unermessliche anwachsen, sondern einen relativ konstanten und überschaubaren Umfang behalten. Dies impliziert, dass im Zuge eines entsprechenden Services veraltete Informationen gelöscht werden.66

64 Probst et al.: 277. 65 Probst et al.: 319. 66 Vgl. Probst et al.: 315 f.

Bedeutung der Infrastruktur

Komprimierung des Wissens

Aktualisierung

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4.4. Fazit Das vorgestellte Wissensmanagementkonzept von Probst et al. liefert mit seinen acht Bausteinen einen pragmatischen Wegweiser für Orga-nisationen, die Wissensmanagement anwenden möchten. Gemeinsam bilden alle Bausteine einen Managementregelkreis. Dieser Regelkreis entsteht durch die integrierten Bausteine „Wissensziele“ und „Wissensbewertung“. Beide bieten Möglichkeiten zur Steuerung und Kontrolle der Aktivitäten des Wissensmanagements. Die Bausteine „Wissensidentifikation“, „Wissenserwerb“, „Wissensentwicklung“ und „Wissens(ver)teilung“ schaffen Grundlagen für die Nutzung des Wissens. Mit dem Prozess der Wissensnutzung fließt das durch Erwerb oder Entwicklung geschaffene bzw. das bereits vorhandene Wissen in die betrieblichen Abläufe ein und stiftet bei Erfüllung der im Abschnitt „Wissensnutzung“ beschriebenen Bedingungen den angestrebten Nutzen. In der Wissensnutzung liegen Sinn und Zweck des Wissensmanagements. Damit genutztes und bewährtes Wissen oder gesammelte Erfahrungen der Organisation für zukünftige Aufgaben zur Verfügung stehen, ist der Baustein „Wissens-bewahrung“ verschiedenen Speichermöglichkeiten gewidmet. Die Bausteine des Wissensmanagements bieten gute Möglichkeiten, eine nutzungsorientierte Wissensinfrastruktur im Unternehmen aufzubauen und zu gestalten. Das nahtlose Ineinandergreifen und die systemische Gestaltung aller Bausteine bringen bei der Nutzung der organisatio-nalen Wissensbasis den erwünschten Effizienzvorsprung. Ebenso beinhaltet das Konzept von Probst et al. Elemente des strate-gischen und des operativen Managements. Strategisch ist die Umsetzung des Konzeptes auf die langfristige Sicherung von Wettbe-werbsvorteilen und die Entwicklung organisationaler Fähigkeiten gerichtet. Es enthält jedoch in Form der Bausteine auch sämtliche Managementphasen, die zur Erreichung dieses Zieles durchlaufen werden sollen. Die Struktur des Konzeptes orientiert sich am klassi-schen Managementkreislauf, wodurch seine Anschlussfähigkeit an alternative Managementansätze gewährleistet wird. Das durch seine Offenheit geprägte Konzept kann also in bestehende Management-konzepte integriert werden, die nicht zugunsten des Wissens-managements abgelegt werden müssen. Ein weiterer Vorteil liegt in seiner integrierten Berücksichtigung verschiedener Ebenen. Wissensmanagement nach diesem Konzept umfasst bei der Umsetzung seiner Bausteine sowohl Interventionen auf individueller und kollektiver als auch auf organisationaler Ebene. Aktivitäten des Wissensmanagements erfolgen somit nicht isoliert auf einzelnen Ebenen, sondern das Konzept übernimmt eine Brücken-funktion zwischen diesen. Gleichzeitig werden verschiedene Funktionsbereiche unter einer gemeinsamen Strategie vereint. Eine Schwierigkeit bei der Umsetzung des Konzeptes könnte in der Wissensbewertung bestehen. Dieser Baustein ist notwendig, um Erfolge und Misserfolge der Interventionen messen und Konse-

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quenzen für zukünftige Aktivitäten im Rahmen der anderen Bausteine des Konzeptes ableiten zu können. In der Praxis existieren zahlreiche Beispiele aus Unternehmen, die sich um Wissensbewertung bemüht haben. Gleichwohl ist die Umsetzung dieses Bausteines noch nicht umfassend geklärt. Derzeit besteht noch ein Forschungs- und Entwicklungsbedarf auf dem Gebiet der Wissensbewertung. Dieser Bedarf wurde von Probst et al. erkannt, die ihr pragmatisches Wissensmanagementkonzept nicht als abgeschlossen betrachten. Das Konzept wurde aufgrund realer praktischer Problemstellungen erarbeitet, wird in der Praxis bereits genutzt und anhand der dabei gemachten Erfahrungen weiterentwickelt. Wie bei der Vorstellung der einzelnen Bausteine deutlich wird, spielt neben der Schaffung einer nutzerorientierten Wissensinfrastruktur v. a. die Unternehmenskultur für die Umsetzung des Konzeptes eine bedeutende Rolle. Die Unternehmenskultur entscheidet über Erfolg oder Misserfolg und ist für die effiziente Gestaltung der organisatio-nalen Wissensbasis grundlegend. Eine Studie des Fraunhofer Infor-mationszentrums Benchmarking definiert die Unternehmenskultur an erster Stelle der kritischen Erfolgsfaktoren des Wissensmanage-ments.67 Hauptsächlich individuelle und organisationale Barrieren, wie Macht- und Kommunikationsstrukturen, erzeugen Wissensinseln und können das Wissensmanagement scheitern lassen. Um diese Barrieren zu überwinden und die Mitarbeiter zur Teilung ihres Expertenwissens zu motivieren, ist eine von Offenheit, Trans-parenz, Fehlertoleranz und Experimentierfreudigkeit geprägte Unter-nehmenskultur notwendig. Das Teilen von Wissen muss ein wechsel-seitiger Prozess sein, was bedeutet, dass die Unternehmensleitung offen mit Informationen und sog. Herrschaftswissen umgehen muss, um Ängste und Skepsis bei den Mitarbeitern abzubauen und Vertrauen zu schaffen. Auch materielle und immaterielle Anreizsysteme für Wissens-austausch und Expertentum sind einzurichten, ohne dass dabei Nicht-Wissen grundsätzlich abgewertet wird. Elemente wie Laufbahn-konzepte, Personalentwicklungsprogramme und Führungsinstrumente sollten ebenso fester Bestandteil der Unternehmenskultur sein wie geeignete Kommunikationsstrukturen. Neben umfassenden Wissensdatenbanken sollen die Informations- und Kommunikationsstrukturen gewährleisten, dass Wissen nicht zufällig fließt und unabhängig von einzelnen Personen abrufbar ist.

67 Vgl. Schwuchow: 80.