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Ladislaus v. Bortkiewiczt Von Oskar Anderson, Varna Am 15. Juli 1931 starb in Berlin infolge einer Herzkrankheit Professor L. v. Bortkiewicz. Sein unerwarteter Tod, der ihn mitten aus einer fruehtbaren Forsehert~tigkeit, bei v6Uig klarem Geist und beinahe unverminderter Arbeitskraft dahinraffte, ist ein herber Schlag fiir die internationa]e Wissenschaft, die in ihm elnen hervorragenden National- 5konomen und einen der wenigen wirklich GroBen im Bereiche der mathematischen Statistik verliert. Ladislaus v. Bortkiewicz wurde am 7. August 1868 in St. Peters- burg geboren. Obwohl aus einer polnischen Familie stammend, ist er doch ganz im russisehen Kulturkreis aufgewachsen. In St. Petersburg hat er auch auf der Universit~t studiert. Die ersten bedeutenden wissen- schaftliehen Arbeiten des jungen Bortkiewiez erschienen seit Anfang der neunziger Jahre in den Memoiren der St. Petersburger Akademie der Wissensehaften, in der Revue d' Economie Politique und etwas sp~ter (1894) in Conrads Jahrbiiehern. Er untersehrieb sieh damals noeh ,,yon Bortkewitseh" -- hierin ganz der russischen Tran- skription seines Namens folgend. Durch W. Lexis und G. F. Knapp gef6rdert, konnte Bortkiewiez sieh 1895 an der Stral]burger Universit~t habilitieren, woselbst er im Laufe yon zwei Jahren fiber Arbeiterver- sieherung und theoretisehe Statistik las. In die StraBburger Zeit f~llt auch der Anfang jener engen wissensehaftliehen Beziehungen, die Bort- kiewicz mit einem anderen grol]en russisehen Statistiker, mit dem um 6 Jahre jiingeren A. A. Tschuproff, verbanden, der geracle damals bei Knapp promovierte. Diese Freundschaft endigte nur mit dem frfih. zeitigen Tode Tsehuproffs im Jahre 1926. Nach RuBland zurfick- gekehrt, dozierte Bortkiewicz im Laufe der Jahre 1899 bis 1901 am Petersburger Alexander-Lyzeum -- einer privilegierten Hoehsehule, aus der eine Reihe der bedeutendsten russisehen Staatsm~nner hervor- gegangen ist. Im Jahre 1901 erhielt er hierauf den Ruf nach Berlin als auBerordentlicher Professor ffir National6konomie und Statistik (die Ernennung zum ordentliehen Professor erfolgte fibrigens erst 1920). Der Berliner Universit~t ist Bortkiewicz im Laufe yon 30 Jahren, bis zu seinem Tode, treu geblieben. ])as wissensehaftliehe Lebenswerk Bortkiewiezs l~13t sieh in gedr~ngter Form wie folgt darstellen. In der theoretischen Statistik war er der anerkannte Meister und Ffihrer einer Schule oder, richtiger gesagt, einer StrSmung, die als die ,,kontinentale" bekannt, in den

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Ladislaus v. Bortkiewiczt Von

Oskar Anderson, Varna

Am 15. Juli 1931 starb in Berlin infolge einer Herzkrankheit Professor L. v. Bor tk iewicz . Sein unerwarteter Tod, der ihn mitten aus einer fruehtbaren Forsehert~tigkeit, bei v6Uig klarem Geist und beinahe unverminderter Arbeitskraft dahinraffte, ist ein herber Schlag fiir die internationa]e Wissenschaft, die in ihm elnen hervorragenden National- 5konomen und einen der wenigen wirklich GroBen im Bereiche der mathematischen Statistik verliert.

Ladislaus v. Bor tk iewicz wurde am 7. August 1868 in St. Peters- burg geboren. Obwohl aus einer polnischen Familie stammend, ist er doch ganz im russisehen Kulturkreis aufgewachsen. In St. Petersburg hat er auch auf der Universit~t studiert. Die ersten bedeutenden wissen- schaftliehen Arbeiten des jungen Bor tk iewiez erschienen seit Anfang der neunziger Jahre in den Memoiren der St. Petersburger Akademie der Wissensehaften, in der Revue d' Economie Politique und etwas sp~ter (1894) in Conrads Jahrbiiehern. Er untersehrieb sieh damals noeh ,,yon B o r t k e w i t s e h " - - hierin ganz der ru s s i s chen Tran- skription seines Namens folgend. Durch W. Lexis und G. F. K n a p p gef6rdert, konnte Bor tk i ewiez sieh 1895 an der Stral]burger Universit~t habilitieren, woselbst er im Laufe yon zwei Jahren fiber Arbeiterver- sieherung und theoretisehe Statistik las. In die StraBburger Zeit f~llt auch der Anfang jener engen wissensehaftliehen Beziehungen, die Bort- kiewicz mit einem anderen grol]en russisehen Statistiker, mit dem um 6 Jahre jiingeren A. A. Tschuprof f , verbanden, der geracle damals bei K n a p p promovierte. Diese Freundschaft endigte nur mit dem frfih. zeitigen Tode Tsehupro f f s im Jahre 1926. Nach RuBland zurfick- gekehrt, dozierte Bor tk iewicz im Laufe der Jahre 1899 bis 1901 am Petersburger Alexander-Lyzeum - - einer privilegierten Hoehsehule, aus der eine Reihe der bedeutendsten russisehen Staatsm~nner hervor- gegangen ist. Im Jahre 1901 erhielt er hierauf den Ruf nach Berlin als auBerordentlicher Professor ffir National6konomie und Statistik (die Ernennung zum ordentliehen Professor erfolgte fibrigens erst 1920). Der Berliner Universit~t ist Bor tk iewicz im Laufe yon 30 Jahren, bis zu seinem Tode, treu geblieben.

])as wissensehaftliehe Lebenswerk Bor tk iewiezs l~13t sieh in gedr~ngter Form wie folgt darstellen. In der theoretischen S t a t i s t i k w a r er der anerkannte Meister und Ffihrer einer Schule oder, richtiger gesagt, einer StrSmung, die als die ,,kontinentale" bekannt, in den

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siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts dureh einige Sehriften Lexis ' ins Leben gerufen wurde, sieherlieh abet nieht die heutige Bedeutung erlangt h~ttte, wenn sic nicht dureh die bahnbrechenden Untersuchungen Bor tk iewiczs gestiitzt wiirde. Unsere (jiingere) Generation der Statistiker kann sieh kaum jenen Sumpf vorstellen, in welchen die statistische Theorie nach dem Zusammenbrueh des Queteletsehen Systems hineingeraten war und der Ausweg, aus welchem damals nur bei Lexis und Bor tk i ewicz gefunden werden konnte. Wir verdanken Bor tk iewicz sehr vieles in der Kl~rung der phflosophisehen und er- kenntnistheoretischen Grundlagen der statistischen Methode. Sein Verdienst war es, die grol3e Bedeutung der Poissonsehen Fassung des Gesetzes der groBen Zahlen for die Statistik klargelegt zu haben, und dureh ihn wurde aueh die Theorie des Divergenzkoeffizienten Q~ zu einem gewissen logisehen AbschluB gebraeht, tier aueh das weitere Hinfiberwaehsen der Theorie fiber diesen erm~glichte. Bor tk iewicz hat ferner die Methodik der mathematischen Statistik betr~ehtlieh ausgebaut und eine Reihe neuer wirkungsvoller Verfahren eingefiihrt. An erster Stelle w~re bier die sogenannte Methode der mathematisehen Erwartung zu nennen - - ein Instrument, dessert zentrale Bedeutung jetzt immer mehr anerkannt wird. Unter den einzelnen Lehren Bort- k i e wi e zs hat sein ,, Gesetz der ldeinen Zahlen" seinerzeit eine aul3erordent- liche Beachtung gefunden, obgleich dessen p r a k t i s e h e Bedeutung sieh nieht als so grol3 herausgestellt hat, wie es anf~tnglieh erschien. AuBer- ordentlich interessant sind ferner Bor tk i ewiezs tiefsehiiffende Unter- suehungen im Bereiche der Theorie der Indexzahlen, sowie sein letzter Beitrag zur mathematisclaen Analyse der Einkommenstatistik (vorgelegt dem Kongrel3 des Internationalen Statistischen Instituts in Tokio, 1930). Auch auf dem Gebiete der Versieherungsmathematik und der BevSlke- rungs- und Moralstatistik hat sieh Bor tk i ewiez eingehend und ~uBerst verdienstvoll bet~tigt. Die Ideen Bor tk iewiczs haben die italienisehe, skandinavisehe, russische und franz6sische statistisehe Forschung reich befruehtet; sogar in der angels~chsisehen st~tistisehen Welt, die unter Fiihrung yon Karl Pea r son ihre eigenen Wege ging und sieh in einem s e h e i n b a r e n ~ul3eren Gegensatz zur ,,kontinentalen" Riehtung befindet, ist der Einflut3 Bor tk i ewiczs unverkennbar. Nur unter den antimathematisehen Statistikern I)eutsehlands land er keinen tieferen Anklang. Doeh seheint jetzt aueh hier eine Neubelebung der mathematisehen Statistik im Anzuge zu sein; da wird man sieh vielleieht wieder an Bor tk i ewicz erinnern.

Im Bereiche der N a t i o n a l S k o n o m i e w~ren in ers~er Linie die fruehtbaren Auseinandersetzungen Bor tk iewiczs mit Wa l r a s -Pa re to , Marx, B f h m - B a w e r k und K n a p p zu nennen, in denen so ziemlich aUe Hauptprobleme der Theorie behandelt warden. In den groBen Kontroversen, wie z, B. etwa zwisehen Objektivismus und Subjektivismus in der Werttheorie, Nominalismus und Met allismus in der Geldtheorie usw., nahm der sonst so streitbare Bor tk i ewiez eine mehr vermittelnde SteUung ein, die den gesunden Kern in den Lehren beider streitender

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Parteien ruhig anerkannte. Es w/~re aber ganz verfehlt, ihn deshalb fiir einen Eklektiker zu halten. Bor tk i ewicz hat auch das Verdienst, die Wirtsehaftstheorie in Deutschland zu einer Zeit gepflegt zu haben~ wo sie fast an allen Lehrstfihlen der Universit/~ten arg vernachl/~ssigt wurde.

Fiir die M a t h e m a t i k ist Bor tk i ewicz vor a~en Dingen als ein erstklassiger Forscher im Bereiche der Wahrscheinliehkeitstheorie wiehtig, fiir die P h y s i k ist seine Untersuchung ,,Die radioaktive Strahlung als Gegenstand wahrseheinlichkeits-theoretiseher Untersuehungen" (Berlin, 1913) yon bleibendem Werte.

Das, was beim persSnlichen Verkehr mit Bor tk iewicz auffiel und was auch aus allen seinen-¥erSffentlichungen hervorleuchtet, ist sein auBergewShnlich scharfer, kalter und man m~chte beinahe sagen: erbarmungsloser analytischer Verstand, der wissenschaftliche Fehler oder Versehen weder bei sieh noeh bei anderen ertragen konnte. Bort- kiewiez besal3 eine ganz erstaunliehe Ausdauer im Nachrechnen fremder Zahlenbeispiele und Ableitungen yon mathematisehen Forme]n. Was seine eigenen Arbeiten anbetrifft, so war ihm hier auch die geringste Kleinigkeit nieht zu gering: seine Beispiele und Formeln sind daher absolut zuverl/~ssig. Zu gleicher Zeit werden aber aueh die groBen Linien und Zusammenh/inge genfigend herausgearbeitet. Der Umfang der Kenntnisse Bor tk iewiczs war ungeheuer. Er fiihlte sieh ebenso sicher im ganzen Felde der theoretisehen Statistik und NationalSkonomie, wie aueh im Versieherungswesen, in der Mathematik und in einigen Gebieten der Physik. Seine Arbeitsweise war eigenartig und erinnerte an diejenige Edgewor ths . JedenfaUs war sie fiir einen deutschen NationalSkonomen recht ungewShnlich. Im Laufe yon fiber 40 Jahren, die seine wissen- schaftliche T/~tigkeit dauerte, hat Bor tk i ewicz eine Unmasse yon Einzeluntersuchungen ver6ffentlicht, aber kein ,,System", kein einziges Werk, welches in systematischer Form die Ergebnisse eigener und fr e m d er Forschungen auf breitem Wissensgebiete darstellte, ja iiberhaupt kein einziges umfangreicheres Buch gesehaffen. Betraehtet man aber seine Untersuchungen als gemeinsames Ganzes, so finder es sich leieht, wie sehon oben angedeutet wurde, dab jene fast alle groBen Fragen behandeln, die iiberhaupt in dieser Zeit die theoretische NationalSkonomie und Statistik besch/iftigt haben. Vom Standpunkt der bekannten W. 0st- waldschen Klassifikation, die aUe genialen Forscher in zwei Gruppen einteilt - - in die Romantiker und die Klassiker --, gehSrt Bor tk iewicz sicherlieh zu den ersteren. Trotz seiner Liebe, alle Probleme yon einer eigenen, besonderen Seite anzupacken, beduffte Bor tk i ewicz einer gewissen Anregung, um die unvergleiehliche Masehine seines Geistes in Bewegung zu setzen. Als solche Ausgangspunkte dienten nicht selten fremde wissenschaftliche Untersuchungen, die Bor tk iewiez zuerst durchdachte, dann weiterspann, umbaute und zuweilen auch ganz verwaff. Es ist durchaus kein Zufall, dab gerade seine besten und tiefsten ~&rbeiten urspriinglieh als einfache Rezensionen begonnen wurden. So entstanden z. B. ,,Die Iterationen" - - ein Buch yon einem f~ir Bort-

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kiewiez ganz ungewShnliehen Umfange (205 Seiten) - - aus einer Be- sprechung yon Marbes Werk ,,Die GleiehfSrmigkeit in der Welt", wobei letzteres einfach erdriickt wurde; so entstanden auch die drei Aufs~tze fiber ,,Zweck und Struktur einer Preisindexzahl", die sieh aus einer Rezension fiber ,,Making of Index-Numbers" yon I rv ing F i she r entwickelten. Hier konnte der Verfasser fibrigens schon bedeutend glimpflicher davonkommen. Dadurch, dab Bor tk i ewicz in seinen Besprechungen fremder Arbeiten nicht selten gerade jene Gedanken bek~mpfte, die ihn selbst anf~nglieh anregten und l~sch~tigten, sp~ter abet als unhaltbar erkannt warden -- , erkl~rt sieh wohl auch zu gutem Teil jene Strenge und Herbheit seines Urteils, die zuweilen befremdete und jedenfalls die Betroffenen verletzte. Bor tk i ewiez galt allgemein als ein schaffer und galliger Richter, vor dessen Urteil sieh auch die prominentesten Gelehrten in Acht zu nehmen batten. Man hat sogar - - nieht ganz im S c h e r z - behauptet, die wissensehaftliche Bedeutung Bor tk i ewiez liege nicht nut darin, dab er diese oder jene Lehre geschaffen, diesen oder jenen Forseher beeinfluBt babe, sondern aneh darin, dab aus Fureht vor seiner verniehtenden Kritik gar manehe sehw~chere Arbeit fiberhaupt nieht das Lieht der Welt erblickt habe, was sicher zum groBen Nutzen der Wissenschaft geschehen sei. Wir dfirfen aber hie vergessen, dab Bor tk i ewiczs Urtefl immer saehlich und unparteiiseh blieb: kein Gelehrter stand ihm wohl pers6nlieh n~her als A. A. Tschuprof f , und denuoch hat es zwischen beiden wissen- sehaftliche Duelle gegeben, bei denen sehr sehmerzhafte Hiebe erteflt wurden. Im unmittelbaren Umgang konnte Bor tk i ewicz bezaubernd sein, und sein Helm in Berlin war seit Jahrzehnten eine Wallfahrtst~tte, wo Gelehrte aus aller Herren L~ndern zusammenkamen, um sich aus- zusprechen und Rat zu holen. Der Schreiber dieser Zeflen gehTrt als Schiller T s e h u p r o f f s bereits einer jfingeren Generation an, in deren Augen Bor tk i ewicz schon als ferner Olympier dasteht, aber auch er kTnnte manehes yon der geduldigen Giite des ,,strengen Herrn" erz~hlen und yon den vielfaehen wertvollen Anregungen, die er in seinen Briefen gefunden hat.

Bor tk iewicz sehrieb nieht ffir die weite 0ffentlichkeit und war durchaus kein guter Popularisator seiner eigenen Ideen. Er stellte ferner sehr hohe Anspriiehe an die Vorbfldung und Intelligenz selner Leser. Mit einer Hartn~ckigkeit, die zum Tell dutch seine wissenschaftliehe Askese bedingt war und zum Teil wohl aus dem ,,romantischen" Typus seines Forsehergeistes entsprang, weigerte er sich, den Rat des ,,Klassikers" T s c h u p r o f f anzunehmen und eine leichtere ~uBere Form ffir seine VerSffentliehungen zu w~hlen. Der angewandte mathematische Apparat, mit dem B o r t k i e w i c z zuweilen geradezu gl~nzte, maeht es dem leider yon jeher amathematisch angelegten deutschen Volkswirtsehaftler besonders schwer, in das tiefere Wesen seiner Lehren einzudringen. Hiezu kommt noch, dal~ Titel und Or~ der VerSffentliehungen durchaus nicht immer dem entsprechen, was der Leser billigerweise dort suchen k6nnte. Welcher Statistiker w~rd z. B. im Artikel ,,Das Helmertsche

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Ver~eilungsgesetz ffir die Quadratsumme zuf~lUger Beobachtungen" (erschienen in ~ der : ,Ze i t sehr i f t ffir a n g e w a n d t e M a t h e m a t i k und Meehanik") wiehtige Theoreme fiber den Lexisschen Divergenz- koeffizienten Q~ und ganz nebenbei die Theorie des Pearsonschen Kriteriums fiir ,,goodness of fi t" zu finden erwarten .~ Welcher Mathema- tiker wird andererseits in Conrads Jahrbfichern wertvolle Beitr~ge zur Wahrscheinlichkeitstheorie suehen? Die Arbeiten Bor tk iewiczs sind fiber eine Menge deutseher und ausl~ndischer Zeitsehriften zerstreut, die jetzt zum Tefl sehon schwer zug~nglich werden. Von seinen 54 gr6Beren statistisehen Monographien sind nur vier als einzelne Bfieher oder Broschiiren erschienen, die alle l~ngst vom Bfichermarkte verschwunden sind; die iibrigen 50 Ver6ffentlichungen finden sieh fiber 27 versehiedene Zeitschrfften~und Sehrlftenreihen Deutschlands, 0sterreichs, RuBlands, 8chwedens, Italiens, der Schweiz usw. verstreut. Mit den 23 gr6~eren national6konomiseben Ver6ffentliehungen steht es ungef~hr ebenso. Wir berfieksichtigen hiebei noch gar nicht die Unmasse jener Bficher- anzeigen und Rezensionen, die Bor tk i ewicz im Laufe der Jahre ge- sehrieben hat, sowie seine kleineren Artikel im groBen russischen Hand. w6rterbuch yon Brockhaus und Efron und ~hnlicben Naehsehlagewerken.

Der Sehreiber dieser Zeilen hatte niemals den Vorzug, den Vor- lesungen Bor tk iewiczs beiwohnen zu kSnnen, doch soviel ihm bekannt ist, ha~ Bor tk i ewicz auf die Ausarbeitung derselben sehr viel M ~ e und FleiB verwendet. Trotzdem hat sieh in Berlin und fiberhaupt in Deutschland kein eigentlicher Sehfilerkreis um ihn bflden kSnnen. Vielleicht erkl~rt sich diese befremdliche Tatsache dadureh, daB, wie Al t sehu l 1) meint, die eigentliehe p~dagogisehe Wirksamkeit Bor t . kiewicz fiberhaupt ,,nicht lag", was fibrigens bei den ,,Romautikern" selten vorkommen soll; vielleieht erkl~rt sie sich auch dadurch, dab B or t k ie w ic z, der fast die H~lfte seines Lebens an der B erliner Universit~t zugebracht hat, dennoeh ffir diese bis zum Ende beinahe wie ein ,,Fremd- kSrper" geblieben ist, weleher sich in den Betrieb und die Traditionen einer deutsehen nationalSkonomisehen Fakult~t nieht recht einzuordnen vermochte. Man kam ihm wohl ~ul~erlieh mit kiihler Hochachtung entgegen, lehnte ihn aber innerlieh ab. Aueh der Tod Bor tk iewiezs wird sieherlich in der Gelehrtenwelt Italiens, Skandinaviens, RuBlands usw. grSBeren Eindruck hervorrufen als in den Grenzen Deutsehlands, wo ihn die neuere Generation sogar wenig zu kennen scheint. Jedermann, dem die wahre Bedeutung des Lebenswerkes dieses grol3en Forschers bewul3t ist, wfirde es deshalb lebhaft begrfiBen, wenn zur ,,ErschlieBung" Bor tk iewiczs wenigstens der erste Schritt getan wiirde und seine statistisehen und Wahrseheinliehkeits-theoretisehen Abhandlungen, wie es vor kurzem mit E d g e w o r t h gesehehen ist, in einem Sammelband herausgegeben wiirden. Wenn sehon nieht in Deutschland, sollte sieh nicht unter den reiehen skandinavischen wissenschaftlichen Institutionen

1) Ygl. seinen warmen l~achruf im ,,Magazin tier Wirtsehaft", 7. Jg., Nr. 30, 24. Juli 1931.

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ein Herausgeber finden kSnnen ? B o r t k i e w i c z selbst wurde vor einigen Jahren yon einem deutschen Verlage die Gelegenheit geboten, eine Sammlung seiner wichtigeren Untersuchungen erscheinen zu lassen. Damals seheiterte aber die Saehe daran, da~ B o r t k i e w i c z neue For- sehungsarbeit der Bearbeitung alter VerSffentlichungen vorzog: wie er mir ungef~hr zur selben Zeit mitteilte, setzte er alles daran, um nicht begonnene und halbfertige Werke mit sich ins Grab zu nehmen. Bei seinem unerwarteten Ted wird er wohl doch das meiste mit sich ge- nommen haben !

Um die Bekanntschaft mi t den Arbeiten B o r t k i e w i e z s zu ver- mitteln, lassen wir hier ein vorl~ufiges Verzeiehnis seiner grSBeren wissen- sehaftlichen Ver6ffentlichungen folgen. Buehanzeigen und kleinere Schriften bleiben unerw~hnt, das V e r z e i c h n i s diirfte auch sonst noch manche Liicken aufweisen.

A. Theoretische Statistik und Wahrscheinlichkeitsreehnung

1. Sterblichkeit und Lebensdauer der griechisch-orthodoxen BevSlkerung des Europ~ischen RuBlands (Schriften der Kais. Akademie der Wissen- schaften, Bd. 63, Beflage Nr. 8, und Bd. 66, Beflage Nr. 3, 1890/91, russisch).

2. Die mittlere Lebensdauer, gena, 1893. 3. Kritische Betrachtungen zur theoretischen Statistik I, I I , I I I (Conrads

Jahrbiieher, Dritte Folge, Bd. VIII , X, XI, 1894 und 1896). 4. Russische Sterbetafeln (AUgem. stat. Arch., Jg. 3, 1894, S. 23 his 65). 5. Sterblichkeit (aus dem Suppl.-Band des HandwSrterbuches der Staats-

wissenschaften, 1. Aufl., 1895). 6. Erkenntnistheoretische Grundlagen der Wahrseheinlichkeitsreehnung

(Conrads gahrbiicher, 1898). 7. Das Gesetz der kteinen Zatflen, Leipzig, 1898. 8. Anwendungen der Wahrseheinliehkeitsrechnung auf Statist~k (Enzy-

klop~die der mathematisehen Wissenschaften, I D 4a, Leipzig, 1900}. 9. ~ b e r die Sterblichkeit der Empf~nger yon Invalidenrenten veto stati-

stisehen und versicherungstechnischen Standpunkt (Zeitsehr. f. Vers.- Recht; u. Wirtsehaft, Bd. 5, 1900, S. 563 bis 605).

10. ~ber den Pr~zisionsgrad des Divergenzkoeffizienten (Mitteilungen des Verbandes der 5sterr. und ungar. Versieherungstechniker, Hef~ V, 1901).

11. Wahrscheinlichkeitstheorie und Effahrung (Zeitschr. f. Philosophie und phil. Kritik, Bd. CXXI, 1902).

12. Die Theorie der BevSlkerungs- und Moralstatistik nach L e x i s (Conrads Jahrbiieher, Bd. XXVII , 1904).

13. ~3ber die Methode der ,,Standard-population" (Blffi. de l 'Inst. Intern. de Statistique, Tome XIV, 2 e livr., Berlin, 1904).

14. ~ber statistische Gesetzmiil~igkeit (Rechtsbote, St. Petersburg, 1905, russisch).

15. Derwahrscheiulichkelts-theoretisehe Standpunktlm Lebensversieherungs- wesen (0sterr. Revue, Jg. XXXI , l~r. 24 bis 28, Wien, 1906).

16. Is t die Kiirzung der Versieherungsdaner bei nieht vSllig normalen Risken immer unzweekmaBig ? (Zeitschr. f. Vers..Wesen, Jg. 1906, Nr. 31).

17. La legge dei piecoti humeri (Giornale degli Economisti, Serie 2, Vol. XXXVII , l~oma, 1908).

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18. Ancora la legge dei piccoli numeri (Giornale degli Eeonomisti, Vol. 39, Roma, 1909).

19. Die Bev61kerungstheorie im 19. Jahrhundert (Schmoners Festschnft, 1908).

20. Die statistischen Generalisationen (Revista di Scienza ,,Scientia", Vol. V, Bologna, 1909).

21. Fehlerausgleichung und Unsterblichkeit (Zeitschr. f. ges. Yers.-Wiss., Bd. 9, 1909, S. 122 bis 128).

22. Zur Verteidigung des Gesetzes der kleinen Zahlen (Conrads Jahrbfieher, Bd. XXXIX, 1910).

23. Die Aufgaben und Begriffe der wissensehaftliehen Statistik (Zeitsehr. des Ministeriums f. Volksaufkl~rung, Neue Serie, Bd.XXV, St. Petersburg, 1910, russisch).

24. Sterbeziffern und Frauenftberschul3 (Bull. de l 'Institut Internat. de Statistique, 1911).

25. Ober die Zeitfolge zaf~liger Ereignisse tibid. 1918). 26. Die Daseinsberechtigung der mathematischen Statistik (Die Geistes-

wissensehaften, 1913). 27. t~ber N~hrungsmethoden zur genauen Bereehnung der verlebten Zeit

(Assekuraiiz-Jahrbueh, Jg. 34, 1913). 28. W. Lexis zum Gediichtnis (Zeitsehr. f. d. ges. Yersicherungswissensehaft,

1915}. 29. Wilhelm Lexis (Nekrolog) (Bull. de l 'Institut Internat. de Statistique,

Bd. XX, 1915, S. 328 his 332}. 30. Wie ist das Tempo der Bevb'tkerungsvermehrung zahlenm~Big zu erfassen T

(Allg. star. Archiv, Bd. 16, 1916). 31. Die Iterationen. Ein Beitrag zur Wahrscheinliehkeitstheorie. Berlin. 1917. 32. Wahrsohein~ehkeits-theoretisehe Untersuehung fiber die Knabenquote

bei Z~llingsgeburten (Berichte der Berliner math. Geselischaft, 1918}. 33. Der mittlere Fehler des zum Quadrat erhobenen Divergenzkoeffizienten

(Jahresbericht der Berliner math. Vereinigung, 1918). 34. Homogeneit~t und Stabilit~t in der Statistik (Skandinavisk Aktuarietid-

skrift, 1918). 35. Realismus und Formalismus in der mathematisehen Statistik ( ~ e m e i n e s

statistisehes Archly, 1918). 36. Bev61kerungswesen (Aus Natur und Geisteswelt, Sammlung wiss.-gemein-

verst. Darstellungen, 670. B~ndchen, Leipzig mad Berlin, 1919). 37. Dispersion der Knabenquote bei Zwill~ngsgeburten (Zeitsehr. f. Sehweize-

risohe Statistik, 1920). 38. Variationsbreite und mittlere Fehler (Sitzungsberichte der Berliner

math. Gesellschaft, 1922). 39. Die Variabilit/itsbreite helm Gaussehen Fehlergesetz (l~ordisk Statistisk

Tidskrlft, Heft 1, 1922). 40. Knapp als Statistiker (Wirtsehaftsdienst, 1922). 41. ])as Helmertsehe Verteflungsgesetz ffir die Quadratsumme zuf~lliger

Beobachtungsfehler (Zeitsehr. f. angewandte Mathematik und Mechanik, 1922).

42. Wahrseheinlichkeltsrechnung und statistische Forschung naeh Keynes (l~ordisk Statistisk Tidskrift, Bd. II , 1923).

43. ~ber eine verschiedenen Fehlergesetzen gemeinsame Eigenschaft (Sitzungsberiehte der Berliner math. Gesellschaft, 1923).

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44. Zweek und Struktur einer Preisindexzahl (Nordisk Statistisk Tidskrift, Bd. I I und I I I , 1924).

45, Lebensdauer (Handw6rterbueh der Staatswissenschaften, 4. Aufl., 1924; vgl. auch die frfiheren Auflagen).

46. Risikopr~mie und Sparpr~mie bei Lebensversicherungen auf eine Person (Assekuranz-Jahrb, Jg. 1924, 1903, S. 1 his 16).

47. Sterbetafeln (Handb. d. Staatsw., 4. Aufl., Bd. 7, 1926). 48. Statistik (Schriften des Vereins ffir Sozialpolitik, 1926). 49. ~ber die Quadratur empiriseher Kurven (Skandinavisk Aktuarietidskrift,

1926). 50. Zum Markoffsehen Lemma (ibidem, 1927). 51. Korrela~ionskoeffizient und Sterblichkeitsindex (BlOtter f. Versichernngs-

mathematik und verwand¢e Gebiete, Beilage zur Zeitschr. f. d. gesamte Versicherungswissenschaft, Heft 3, 1929).

52. Lexis und Dormoy (Nordic Statistical Journal, Vol. 2, 1930). 53. Die Ergebnisse der Einkommen- und KSrperschaftssteuer.Veranlagung

ffir 1925 (Magazin der Wirtsehaft, 6. Jg., Nr. 18, 1930). 54. Die Disparit~tsmasse der Einkommensstatistik (XIXe Session de l 'Inst.

Intern. de Statistique, Tokio, 1930). La Haye 1930.

B. Abhandlungen zur theoretischen Nati0nal{~konomie

1. Auseinandersetzung mit Walras in der Revue d'Economie Politique, 1890. 2. Die Grenznutzentheorie als Grundlage einer ultraradikalen Wirtschafts-

politik (Schmollers Jahrbuch, 1898). 3. Der Kardinalfehler der BShm-Bawerkschen Zinstheorie (ibidem, 1906). 4. Die geldtheoretischen und w~hrungspolitischen Konsequenzen des No-

minalismus (ibidem, 1906). 5. War Aristoteles Malthusianer? (Zeitsehr. f. d. ges. Staatsw., 1906). 6. WertrechnungundPreisreehnungimMarxsehen System(Arehivf. Sozialw.,

Bd. X X I I I und XXV, 1906/07). 7. Zur Berich~gung der grundlegenden theoretischen Konstruktion yon

Marx im 3. Bande des Kapitals (Conrads Jahrbiicher, 1907). 8. Zur Zinstheorie (Schmollers Jahrbuch, 1907). 9. Eine geometrisehe Fundierung der Lehre yore Standort (Archly f. Sozialw.,

1910). 10. Die Rodbertussche Grnndrentevtheorie und die Marxsehe Lehre yon

der abs01uten Grundrente (Arch. f .d . Gesehichte d. Sozialismus und der Arbeiterbewegung, Bd. I, I910/11).

11. Ziele und Grfinde der Los-vom.Gold-Bewegung (Norddt. AUg Zeitung, 1917).

12. Das w~hrungspolitisehe Programm Otto Heyns (Sehmollers Jahrbueh, 1918).

13. Die Frage tier Reform unserer W~hrung ~ r a u n s Annalen, 1918). 14. Valutapolitik auf neuen Grund]agen (Bank-Archly, 1920). 15. Der subjektive Geldwert (Sehmollers Jahrbueh, !920). 16. Das Wesen, die Grenzen und die Wirkungen des Bankkredits (Welt-

wirtschaftsarehiv, 1921). 17. Zum Problem der Lohnbemessung (Schmollers Jahrbueh, 1921). 18. Objektivismus und Subjektivismus in der Werttheorie (Nationalekono-

miska Studier till. Knut Wieksell, Stockholm, 1921). 19. Natur und Zukunft des Geldes (ibidem, 1921).

Zeitschr. f. l~ational~konomie, III. Bcl., 2. H. 17

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20. ~ber Cunow in Griinbergs Arehiv f. d. Gesehiehte d. Sozialismus, Bd. X. 21. BShm-Bawerks Hauptwerk in seinem Verh~tnis zur soziatstatist~schen

Theorie des Kapitalzinses (Arch. Geschichte d. Sozialismus, Bd. 1 I, 1923, S. 161 his 173.)

22. Die Ursaehen einer potenzierten Wirkung des vermehrten Geldumlaufes auf das Preisniveau. (Verb. d. Vereins f. Sozialpolitik in Stuttgart, 1924, S. 256 bis 274, ~I. & L. 1925; Schr. Ver. Sp., Bd. 170).

23. Der gegenwartige Stand des Problems der Geldwertmessung (Handw. d. Staatswiss., 4. Aufl., Bd. 4, 1926).

Varia

1. Die finanzielle Stel]ung des Reiches zur Arbeiterversieherung (Conrads Jahrbficher, 1896).

2. Der Begriff ,,Sozialpolitik" {ibidem, 1899). 3. ~ber den versicherungsmathematisehen Unterricht an Universit~ten

(Aktuarienkongre~, New York, 1903). 4. Die Haftpflichtversieherung (SchmoUers Jahrbuch, 1903). 5. Wie Leibniz dieDiskontierungsformel begr~de te (Lexis Festschrif~, 1907). 6. Die Deekungsmethoden der Sozialversicherung {Wiener Kongrel3 f. Ver-

sicherungswissensch., 1909). 7. Mathematisch-Statistisehes zur preuBisehen Wahlreform (Conrads Jahr-

b~eher, 1910). 8. Die radioaktive Strahlung ats Gegenstand wahrscheinliehkeits-theoretischer

Untersuchungen, Berlin, 1913. 9. Zur Arithmetik der Verh~ltniswaht (Bericht der Berliner math. Geselt-

sehaft, 1919). 10. Ergebnisse verschiedener Systeme der Verh~ltniswahl (Brauns Annalen,

1919). 11. Gibt es Deportgesch~fte~ (Schmollers Jahrbueh, 1920).