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NL LANDESUMWELTAMT BRANDENBURG und Heft 3, 2003 Einzelverkaufspreis: 3,30 Euro NATURSCHUTZ UND LANDSCHAFTSPFLEGE IN BRANDENBURG

LANDESUMWELTAMT BRANDENBURG NLvielfalt im Siedlungsraum bei. Dieser Bio-top ist es wert, einmal zum „Biotop des Jahres“ gewählt worden zu sein. Wer mehr erfahren möchte, kann

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    LANDESUMWELTAMTBRANDENBURG

    uunnddHeft 3, 2003

    Einzelverkaufspreis: 3,30 Euro

    NATURSCHUTZ UND LANDSCHAFTSPFLEGE IN BRANDENBURG

  • 70 NATURSCHUTZ UND LANDSCHAFTSPFLEGE IN BRANDENBURG 12 (3) 2003

    Biotop des Jahres 2003 – der Garten

    Wer kann sich nicht daran erinnern, als Kind im Sommer nach der Schule in den Garten zu laufen und sich den Bauch mit frischen Kir-schen vollzuschlagen, grüne Schoten zu knabbern oder reife Gartentomaten zu pflücken? Versteckspiel im Garten, die Entdeckung vonkleinen Tieren – überhaupt erlebten wir oft die ersten Natureindrücke im Garten und bewahren sie lange in der Erinnerung.In seiner bundesweiten Initiative hat das Naturschutzzentrum Hessen den Garten als Lebensraum des Jahres für 2002 und 2003 ausge-wählt. Mit dem Garten fiel die Entscheidung ganz bewusst für einen sehr stark vom Menschen geprägten Lebensraum. Gärten sind einwichtiger Rückzugsraum für Tiere und Pflanzen im besiedelten Bereich. Etwa ein Drittel aller Deutschen soll über einen eigenen Gartenverfügen. Natürlich gibt es hinsichtlich der „Biotopqualität“ erhebliche Unterschiede zwischen extensiv genutzten Gärten mit „Wildnis“-Ecken oder eher intensiven Nutzgärten. Im Garten kann jeder Einzelne sein persönliches Engagement für die Natur in unterschiedlichemUmfang verwirklichen.Gestaltung und Bewirtschaftungsform sind ganz wesentlich für die Eignung eines Gartens als Lebensraum für Pflanzen- und Tierarten.Am ursprünglichsten sind wohl die sogenannten „Bauerngärten“. Beete mit Gemüsekulturen, Gewürzpflanzen, extensiv genutzte Obst-bäume – oft mit alten Sorten – und vor allem von verschiedenen Stauden geprägte Ziergartenbereiche ergänzen sich hier harmonisch.Hinzu gesellen sich hin und wieder noch Dorfunkräuter, die heute kaum noch jemand kennt, wie zum Beispiel der Gute Heinrich. Dochim „modernen“ Ziergarten kann man selbst viel zur Bereicherung der Lebensraumvielfalt im Siedlungsbereich beitragen. Es ist völlig fehlam Platze, beispielsweise fremdländische Koniferen, wie Wacholder, Lebensbaum oder Scheinzypresse zu verteufeln. In erster Linie wirdwohl von den meisten ein Garten als Stätte der täglichen Erholung und Entspannung angelegt. Zudem spenden solche Arten noch etwasGrün im tristen Farbenspiel des Winters. Sinnvoll ergänzt mit heimischen Laubsträuchern, so dem Pfaffenhütchen oder dem kleinerenSeidelbast, finden zahlreiche andere Sträucher ihren Platz im Garten. Flieder, Pfeifenstrauch oder Schneeball sollten schon wegen ihreroft intensiv duftenden Blütenstände in keinem Garten fehlen. Der Sommerflieder lockt über die Sommermonate mit seiner üppigen Blü-tenpracht viele Tag- und Nachtfalter und andere Insekten an. Fügt man noch Arten wie die im Winter oder zeitigen Frühjahr blühendeZaubernuss oder die Kornelkirsche hinzu, kann man sich mit Ausnahme der Herbstmonate fast das ganze Jahr über an Blüten erfreuen.Fledermäuse, Vögel, Kleinsäuger sowie zahllose Insekten und andere Wirbellose leben von der Blüten- und Nahrungsvielfalt im Garten.Eine biologische Bewirtschaftung durch den weitgehenden Verzicht auf Biozide und sinnvollen Einsatz geeigneter Düngemittel ist selbst-verständlich aus Naturschutzsicht einer konventionellen Bewirtschaftung vorzuziehen. Aber auch weniger aus dem Sichtwinkel des Na-turschützers gestaltete und genutzte Zier- und Nutzgärten haben zweifelsfrei Bedeutung als Lebensraum für Tiere und Pflanzen. Wer be-sonders viel für die Natur in seinem Garten tun will, sollte eine nachhaltige Bewirtschaftung z.B. durch sinnvollen Einsatz von Regenwas-ser oder die Kompostierung von Grünabfällen umsetzen. Ein zum Spielen genutzter Rasen muss nicht mehrfach im Jahr gedüngt odereinmal pro Woche gemäht werden! Rasenschnitt gehört gut untergemischt auf den Kompost oder als Mulch unter Hecken und Sträu-cher, so bleiben die Reste weitgehend im biologischen Kreislauf des Gartens. Überhaupt spielt der Kompost und anderer „Abfall“ einezentrale Rolle im ökologisch bewirtschafteten Garten. Es gibt kaum einen besseren Bodenverbesserer als Komposterde, zudem bietet derKomposthaufen Scharen von Wirbellosen ideale Lebensbedingungen. Umso befremdlicher erscheint in diesem Zusammenhang die kürz-lich von Umweltminister J. Trittin geäußerte Absicht, die private Kompostierung wegen örtlich gemessener erhöhter Konzentrationenvon Pflanzenschutzmittel-Rückständen (aus behandeltem, käuflich erworbenen Gemüse) möglicherweise künftig zu untersagen.Aber auch ganz gezielte Artenschutzmaßnahmen sind im privaten Garten möglich. Geeignete Nistkästen (in vernünftiger Anzahl!) lo-cken Höhlenbrüter wie Meisen oder Zwergschnäpper an. Reisig- und Laubhaufen können als Winterquartiere für Igel angelegt werden.Aufgehäufte Stapel aus Holzabschnitten dienen verschiedenen Hautflüglern, Lurchen oder Kleinsäugern als Fortpflanzungsbiotop oderUnterschlupf. Trockenmauern werden ebenso gern von verschiedensten Tieren besiedelt wie vielfältig angelegte Kräutergärten. Undauch dem Gartenteich kommt als Kleinbiotop im besiedelten Raum eine große Bedeutung zu, zumal sich für die ihn besiedelnden Artenwie verschiedene Amphibien oder Insekten im Garten sowohl Sommerhabitate als auch Überwinterungsquartiere gleichermaßen bieten,was in der intensiv genutzten Agrarlandschaft oft nicht der Fall ist.Denkt man zuletzt noch einmal an den eigentlichen Nutzer des Gartens, den Menschen, so kommen alle genannten Maßnahmen gleicher-maßen uns zugute, da wir uns am Grün der Bäume und Sträucher, am Blütenreichtum und den zahllosen Insekten erfreuen und Ruhevom täglichen Stress finden. Kleine „Oasen“ im Garten, wie die Bank am Gartenteich, der schattige Sitzplatz unter einer von Weinrebenüberwucherten Pergola oder unter blühenden Obstbäumen sind immer ein Ort der Entspannung. Doch auch der Nutzung von selbst an-gebautem Gemüse, Zwiebeln oder Obst kommt in letzter Zeit wieder mehr Bedeutung zu. Wie auch immer er gestaltet ist, jeder Garten

    trägt in gewisser Weise zur Lebensraum-vielfalt im Siedlungsraum bei. Dieser Bio-top ist es wert, einmal zum „Biotop desJahres“ gewählt worden zu sein.Wer mehr erfahren möchte, kann sich u. a.beim Naturschutzzentrum Hessen (http://www.nzh-akademie.de/projekte/bdj/prjbdj.htm) informieren. Entsprechende Literatur gibt es vielfältig,exemplarisch kann ich für Genießer „Traum-hafte Garten-Paradiese. Terrassen, Gar-tenhöfe, Vorgärten“ von Joan Cliftonempfehlen oder – wer es etwas naturge-mäßer mag – „Der Biogarten“ von Marie-Luise Kreuter.

    Dr. F. Zimmermann

    Foto: I. Oswald

  • NATURSCHUTZ UND LANDSCHAFTSPFLEGE IN BRANDENBURG 12 (3) 2003 71

    Naturschutz und Landschaftspflege in Brandenburg

    12. Jahrgang Heft 3, 2003

    Inhaltsverzeichis

    AXEL BRONSTERT, WERNER LAHMER, VALENTINA KRYSANOVAKlimaänderung in Brandenburg und Folgen für den Wasserhaushalt 72

    ROCCO BUCHTAHochwasserschutz und Landnutzung in der Unteren Havelniederung – Schlussfolgerungen aus dem Elbe-Hochwasser vom August 2002 80

    FRANK NEUSCHULZ, JOCHEN PURPSAuenregeneration durch Deichrückverlegung – ein Naturschutzprojekt an der Elbe bei Lenzen mit Pilotfunktion für einen vorbeugenden Hochwasserschutz 85

    REINER KNÖSCHEFischökologische und fischereiliche Schäden durch Extremhochwässer 92

    JÜRGEN RITSCHELAuswirkungen des Sommerhochwassers der Elbe im Jahr 2002 auf überschwemmte Böden 95

    THOMAS HEINECKE, WERNER KRATZNeue internationale und nationale Anstrengungen zum vorbeugenden Hochwasserschutz 98

    RALF KÖHLERWasserrahmenrichtlinie und Naturschutz –Ziele, Schnittstellen und Defizite 101

    LOTHAR KALBEAuswirkungen des Wandels der Flussniederungen auf die Vogelwelt 107

    KURZBEITRAGBiotop des Jahres 2003 – der Garten 70

    NATURSCHUTZ ONLINE 100

    LOTHAR BLACKERTLiteraturzusammenstellung zum Sommerhochwasser an der Elbe 2002 114

    KLEINE MITTEILUNGEN 116

    TAGUNGEN 117

    Impressum

    Herausgeber: Landesumweltamt Branden-burg (LUA)

    Schriftleitung: LUA/Abteilung NaturschutzDr. Matthias HilleBarbara Kehl

    Beirat: Lothar BlackertDietrich BraaschDr. Martin FladeDr. Lothar KalbeDr. Matthias KühlingDr. Bärbel LitzbarskiDr. Annemarie SchaepeDr. Thomas SchoknechtDr. Frank Zimmermann

    Anschrift: Landesumweltamt Branden-burg, Abt. NaturschutzPF 60106114410 PotsdamTel. 0331.277 62 16Fax 0331.277 61 83

    Es werden nur Originalbeiträge veröffentlicht. Au-toren werden gebeten, die Manuskriptrichtlinien,die bei der Schriftleitung zu erhalten sind, zu be-rücksichtigen. Zwei Jahre nach Erscheinen der gedruckten Beiträ-ge werden sie ins Internet gestellt.Alle Artikel und Abbildungen der Zeitschrift unter-liegen dem Urheberrecht. Die Vervielfältigung der Karten erfolgt mit Geneh-migung des Landesvermessungsamtes Branden-burg (GB-G 1/99).Namentlich gezeichnete Beiträge geben nicht un-bedingt die Meinung der Redaktion wieder.

    Redaktionsschluss: 19. August 2003

    Layout/ Brandenburgische Universi-Druck/ tätsdruckerei und Verlags-Versand: gesellschaft Potsdam mbH

    Karl-Liebknecht-Str. 24/2514476 GolmTel. 0331.56 89 0Fax 0331.56 89 16

    Bezugsbedingungen:Bezugspreis im Abonnement: 4 Hefte – 10,70 Europro Jahrgang, Einzelheft 3,30 Euro.Die Einzelpreise der Hefte mit Roten Listen sowie derthematischen Hefte werden gesondert festgelegt.Bestellungen sind an das Landesumweltamt zu rich-ten. Diese Zeitschrift ist auf chlorfrei gebleichtem Papiergedruckt.

    Titelbild/Rücktitel:Elbufer mit Sandbank – ein Beispiel für den Le-bensraumtyp 3270 „Flüsse mit Schlammbänken mitVegetation des Chenopodium rubri und des Biden-tion pp“Foto: T. Geisel

  • 72 NATURSCHUTZ UND LANDSCHAFTSPFLEGE IN BRANDENBURG 12 (3) 2003; 72–79

    Zusammenfassung

    Die anthropogene Klimaerwärmung, hervor-gerufen durch die Emission von Treibhausga-sen, macht sich sowohl global als auch regio-nal bereits bemerkbar. Global beträgt die Tem-peraturerwärmung über die letzten 40 Jahreetwa 0,7 °C, regional für Brandenburg etwa1 °C. Zudem ist für manche Regionen eine ge-änderte Auftretenshäufigkeit bestimmter Wet-terlagentypen festzustellen, was ebenfalls mitder Klimaänderung in Zusammenhang ge-bracht wird. Änderungen des Niederschlagssind regional sehr unterschiedlich, und dies-bezügliche Aussagen sind außerdem mit gro-ßen Unsicherheiten behaftet. Für die RegionBrandenburg ist bislang eine gewisse Verschie-bung des Niederschlags von den Sommer- zuden Wintermonaten festzustellen. Bezüglichseltener Ereignisse scheint sich insgesamt einTrend zur Verstärkung hydrologischer Extre-me – also Trockenheit und Hochwasserereig-nisse – zu zeigen.Bezüglich der zukünftigen Klimabedingun-gen Brandenburgs lässt sich vor allem dieZunahme der Temperatur als gesicherte Er-kenntnis festhalten, wobei für die nächsten50 Jahre mit einer Temperatursteigerungvon mindestens 1,5 °C zu rechnen ist. Einsystematisches und auf dem Stand des Wis-sens befindliches „Klima-Downscaling“ fürBrandenburg ist für eine Verbesserung derAussageschärfe bzgl. der künftigen Klima-änderungen essentiell!Die Anwendung geeigneter hydrologischerModelle ermöglicht eine Quantifizierung derWechselbeziehungen zwischen Klimabedin-gungen, Landschaftswasserhaushalt und Ge-wässerdurchfluss. Kleine Änderungen derklimatischen Randbedingungen (insb. Nieder-schlag) haben relativ große Auswirkungenauf „Restglieder“ der Wasserbilanz. Deswe-gen sind die relativ größten Veränderungeninnerhalb des Wasserkreislaufs bei der Grund-wasserneubildung (Reduktion um bis zu 40%)und des Gewässerdurchflusses (hier aller-dings stark von den Regelungen des Gewäs-serwasserstands abhängig) zu erwarten. Be-

    DIE DURCH DEN ANSTIEG DER TREIBHAUSGASE VERURSACHTE GLOBALE ERWÄRMUNGLÄSST SICH AUCH IN BRANDENBURG BEREITS DEUTLICH NACHWEISEN. DIE DAMIT VERBUNDENEN ÄNDERUNGEN

    DES NIEDERSCHLAGS SIND REGIONAL SEHR UNTERSCHIEDLICH UND MIT GROSSEN UNSICHERHEITEN BEHAFTET. FÜR DIE REGION BRANDENBURG IST BISLANG EINE GERINGE VERSCHIEBUNG DES NIEDERSCHLAGS

    VON DEN SOMMER- ZU DEN WINTERMONATEN FESTZUSTELLEN. ZUDEM IST MIT EINER VERSTÄRKUNG HYDROLOGISCHER EXTREMSITUATIONEN ZU RECHNEN.

    AXEL BRONSTERT, WERNER LAHMER, VALENTINA KRYSANOVA

    Klimaänderung in Brandenburg und Folgen für den Wasserhaushalt

    Schlagwörter: Treibhausgase, Klimaänderung, globale Erwärmung, Wasserkreislauf, Landschafts-wasserkreislauf, Hochwasser

    züglich der Entwicklung der Auenlandschaf-ten entlang der Flüsse Brandenburgs ist dieKlimaänderung sicherlich von Relevanz. Aller-dings ist zu beachten, dass manch andereanthropogene Effekte erheblich stärkere Aus-wirkungen als die Klimaänderungen haben.

    1 Anthropogene Klima-änderung: Stand des Wissens für die globaleund regionale Skala

    Seit 1990 veröffentlicht der Intergovernmen-tal Panel on Climate Change (IPCC) – einervon der UNO bestellten Gruppe von welt-weit anerkannten Wissenschaftlern zur Beur-teilung der Klimaänderungen – in etwa 5-jäh-rigem Abstand seine Berichte über die Klima-änderungen und deren Auswirkungen. Eineder wichtigsten Schlussfolgerungen bestätigtdie Zunahme der Treibhausgase in der At-mosphäre und die daraus resultierende glo-

    bale Erwärmung der unteren Atmosphäreder Erde. Die Erwärmung der Erde wird auchim dritten Technischen Bericht (IPCC 2001)betont und u. a. damit belegt, dass die mitt-leren Sommertemperaturen der nördlichenHemisphäre in den letzten Jahrzehnten diewärmsten seit ca. 1400 n. Chr. sind. Für dieZeit vor 1400 stehen nicht genügend Datenzur Verfügung, um noch weiter zurücklie-gende, zuverlässige Aussagen über die Tem-peraturen auf der nördlichen Hemisphäre zutreffen. Gestützt auf Ergebnisse weltweiterEiskernbohrungen kann allerdings indirekt ab-geschätzt werden, dass das 20. Jahrhundertzumindest so warm oder wärmer ist als jedesJahrhundert seit 1400. Demzufolge scheintauch an manchen Orten der Erde (besondersin Hochgebirgsregionen) das 20. Jahrhundertgar das wärmste Jahrhundert seit mehrerenJahrtausenden zu sein. Die Erwärmung im20. Jahrhundert fand hauptsächlich währendzweier Perioden statt: von ca. 1910 bis 1940und seit Mitte der 70er Jahre. Die wärmsten

    Abb. 1Mittlere Jahreswerte der Lufttemperatur über den Landflächen der Erde (°C) von 1860 bis2000, bezogen auf den Mittelwert von 1961 bis1990 (IPCC 2001)

  • A. BRONSTERT, W. LAHMER, V. KRYSANOVA: KLIMAÄNDERUNG IN BRANDENBURG UND FOLGEN FÜR DEN WASSERHAUSHALT 73

    Jahre dieses Jahrhunderts lagen im Wesent-lichen in den letzten zwei Dekaden, sieheAbbildung 1. Nicht nur weltweit, sondernauch für Deutschland wurden ähnlicheTrends der Temperaturerhöhung und derHäufung der wärmsten Jahre in den letzten10 Jahren festgestellt.

    1.1 Was bedingt Klimaänderungen?

    Die Erde absorbiert Strahlung von der Son-ne, größtenteils an der Oberfläche. DieseEnergie wird dann durch die Zirkulationender Atmosphäre und der Ozeane verteiltund in das Weltall mit längeren („terrestri-schen“ oder „infraroten“) Wellenlängen zu-rückgestrahlt. Im Mittel, für die Erde alsGanzes, steht die einstrahlende Energie mitder terrestrischen Abstrahlung im Gleich-gewicht.Jeder Umstand, der die von der Sonne erhal-tene oder die ins Weltall abgegebene Strah-lung verändert oder der die Verteilung derEnergie innerhalb der Atmosphäre und zwi-schen der Atmosphäre, Landflächen oderOzeanen ändert, kann das Klima beeinflus-sen. Eine Änderung der global für das Sys-tem Erde/Atmosphäre verfügbaren Energiewird hier als Strahlungsantrieb bezeichnet.Die atmosphärische Konzentration der Treib-hausgase (u. a. CO2, CH4, N2O und haloge-nierte Kohlenwasserstoffe) haben sich seitBeginn der Industrialisierung stark erhöht.Nach IPCC (1996) beträgt die Steigerung et-wa Faktor 1,3 bei CO2, 2,5 bei CH4 und1,15 bei N2O. Halogenierte Kohlenwasser-stoffe waren im vorindustriellen Zeitalter garnicht vorhanden. Eine weitere Steigerungder Konzentrationen ist zu erwarten. DasAusmaß dieser Steigerung hängt insbeson-dere von der Emission dieser Gase durch denMenschen ab bzw. vom Erfolg möglicherMaßnahmen zur Minderung der Emissionen.Unterschiedliche Szenarien der Emission unddaraus abgeleitete Konzentrationen derTreibhausgase sind im letzten Bericht desIPCC (2001) aufgeführt.Konzentrationserhöhungen der Treibhaus-gase in der Atmosphäre reduzieren die Effi-zienz, mit der die Erde Wärme ins Weltallabgibt. Die terrestrische, langwellige Strah-lung wird von der Atmosphäre stärker ab-sorbiert und erst in höheren atmosphäri-schen Höhen und bei kälteren Temperaturenemittiert. Dies resultiert in einem positivenStrahlungsantrieb, der die tiefere Atmosphä-re und die Landflächen erwärmt. Dies ist derverstärkte oder anthropogene Treibhausef-fekt – die Verstärkung eines Effektes, den esin der Atmosphäre der Erde seit MilliardenJahren gibt aufgrund der natürlich vorhan-denen Treibhausgase Wasserdampf, Kohlen-dioxid, Ozon, Methan und Stickoxide. DasAusmaß der Erwärmung hängt von der Stär-ke des Konzentrationsanstiegs eines jedenTreibhausgases, der Strahlungseigenschaftender betreffenden Gase und der Konzentra-tion von anderen, schon in der Atmosphärevorhandenen Treibhausgasen ab. Anthropogen in die Troposphäre einge-brachte Aerosole (kleine Partikel), welche

    zum Teil aus den Schwefeldioxidemissionender Verbrennung fossiler Energieträger undzum Teil aus natürlichen Quellen wie derVerbrennung von Biomasse, Vulkanausbrü-che, Sandstürme stammen, können Sonnen-strahlung absorbieren und reflektieren. Zu-sätzlich können Änderungen in der Aerosol-konzentration die Wolkenbildung und dieReflexionseigenschaften der Wolken beein-flussen. In den meisten Fällen bedingen tro-posphärische Aerosole einen negativenStrahlungsantrieb und damit eine Klimaab-kühlung. Sie haben eine wesentlich kürzereLebenszeit (Tage bis Wochen, im Fall vonvulkanischen Aerosolen wenige Jahre) als diemeisten Treibhausgase (Jahrzehnte bis Jahr-hunderte), so dass ihre Konzentrationen we-sentlich schneller auf Emissionsänderungenreagieren.Die Energieabgabe der Sonne variiert in klei-nem Umfang (0,1 %) in einem 11-Jahres-zyklus. Auch bestehen Variationen über län-gere Zeiträume. In der Zeitskala von Jahr-zehntausenden bedingen langsame, wohl-verstandene Variationen der ErdumlaufbahnÄnderungen der saisonalen und latitudinalenVerteilung der Sonneneinstrahlung. DieseÄnderungen haben eine wichtige Rolle fürdie langfristigen Klimaänderungen der fer-nen Vergangenheit, wie etwa die Zyklen derEiszeiten gespielt.

    1.2 Wie ändern sich die Klimaelementein globaler und regionaler Skala?

    Alle Änderungen der Strahlungsbilanz derErde, inklusive den auf einer Steigerung derTreibhausgase oder Aerosole beruhenden,können eine Änderung der thermo-dynami-schen Abläufe der Atmosphäre und derOzeane und der damit zusammenhängen-den Zirkulationsmuster und Wetterlagen be-wirken. Diese geänderten Bedingungen stel-len sich dann als Änderung der Klima-elemente, wie Lufttemperatur, Niederschlagoder Wind, dar. Dabei ist die Änderung der

    Temperatur eine unmittelbare Folge der ge-änderten Strahlungsbilanz (s. o.). Für denWasserkreislauf sind neben den Temperatur-bedingungen insbesondere die Nieder-schlagsverhältnisse von Bedeutung. Aberauch andere Änderungen des Wasserkreis-laufs, z. B. Wolkenverteilung, Verdunstungs-eigenschaften oder Schneeschmelzverhal-ten, sind hier von Wichtigkeit.

    1.2.1 Änderung der Wetterlagenhäufigkeit

    Witterung und Klima lassen sich nicht nurdurch die Statistik verschiedener Klima-elemente beschreiben, sondern auch zusam-menfassend durch Charakterisierung deratmosphärischen Zirkulationsformen („Groß-wetterlagen“), was vereinfacht als die mitt-lere Luftdruckverteilung in einem Großraumbezeichnet werden kann. Für den uns rele-vanten Großraum (Europa mit dem Nordost-atlantik- und Mittelmeerraum) liegt mit derKlassifizierung der täglichen Großwetter-lagen von 1881 bis heute eine sehr gute Da-tenbasis vor (GERSTENGARBE & WERNER 1999),auf deren Grundlage in den letzten Jahrenmehrere Analysen zur Änderung der Auftre-tenshäufigkeiten von Großwetterlagen er-folgten. So untersuchten BARDOSSY & CASPARY(1990) die Wetterlagenhäufigkeit für Europaanhand der Zeitreihe seit 1881. Dabei wurdefür die Wintermonate eine statistisch signifi-kante Zunahme der zonalen Westlagenhäu-figkeiten nachgewiesen, wobei der statisti-sche Bruchpunkt der Zeitreihe in den 70erJahren liegt und seit den 90er Jahren ein(fast) gleichbleibend hohe Auftretenswahr-scheinlichkeit zu verzeichnen ist. In Abb. 2ist die Zeitreihe der zonalen Westlagen(meist zyklonalen Ursprungs) und dazukomplementär die Entwicklung der Nord-,Ost- und Südost-Wetterlagen für die Mona-te Dezember bis Februar gegeben. Die Zu-nahme der zonalen Lagen ist offensichtlich. Der Zusammenhang zwischen Westwetter-lagen und großräumigen und relativ lang-

    Abb. 2Häufigkeiten zonaler Westwetterlagen und der Großwettertypen Nord, Ost, Nordost undSüdost (N+E+NE+SE) für die Monate Dez., Jan., Feb. von 1881 bis 2002 (11-jährige Glät-tung), nach Bárdossy, persönliche Mitteilung

  • 74 NATURSCHUTZ UND LANDSCHAFTSPFLEGE IN BRANDENBURG 12 (3) 2003

    andauernden Niederschlägen ist für bestimmteRegionen Mitteleuropas (z. B. Südwestdeutsch-land, Ostfrankreich, Schweiz) signifikant. Fürmanche Einzugsgebiete sind auch deutlicheKorrelationen zwischen den Zunahmen die-ser Wetterlagen und gehäuften Hochwasser-ereignissen erkennbar. CASPARY & BARDOSSY(1995) haben z. B. eine Zunahme der Auf-tretenswahrscheinlichkeit für Hochwasser-ereignisse für einige mesoskalige Einzugs-gebiete im Schwarzwald abgeleitet. Diese Westwetterlagen sind für die Witte-rung in Nordostdeutschland aber wesentlichweniger relevant als für Südwestdeutsch-land, so dass etwa aus der o. g. Änderungfür den Schwarzwald wenig zum Wasser-haushalt Brandenburgs abgeleitet werdenkann. Ergebnisse über die Änderung derAuftretenshäufigkeiten von Zirkulationsfor-men mit höherer Relevanz für Brandenburgwurden kürzlich von FRICKE & KAMINSKI (2002)veröffentlicht. Dabei wurde festgestellt, dassin den Sommermonaten Juni bis August sichdie Auftretenswahrscheinlichkeit der Wetter-lage „TrM“ (Trog über Mitteleuropa) für denZeitraum von 1881 bis 1998 in etwa ver-doppelt hat, siehe Abb. 3. Die TrM-Lagebeinhaltet auch die sogenannte Vb-Zugbahnvon Tiefdruckgebieten, die in etwa von derAdria nach Polen führt. Die aus dem Mittel-meerraum mitgeführte feuchte und warmeLuft verursacht beim Aufgleiten auf vorhan-dene Kaltluft langanhaltende starke Nieder-schläge, was beispielsweise im Sommer 1997zu dem Hochwasser an der Oder, ein Jahrspäter zu dem Hochwasser an Weichsel undTheiss sowie im Sommer 2002 zu dem ex-tremen Hochwasser an der Elbe geführt hat.Man muss sich aber bewusst sein, dass dieHäufigkeit von TrM auch heute mit ca 6 Ta-gen für die 3 Sommermonate immer noch

    sehr klein ist und damit die statistische Aus-sage unsicher ist. Zusammenfassend kannaber festgestellt werden, dass die Verände-rungen in den europäischen Zirkulations-mustern zu einer Änderung von Nieder-schlagswahrscheinlichkeiten geführt haben,die auch für Brandenburg von hoher Rele-vanz sein können.

    1.2.2 Wie zuverlässig sind die Aussagenüber die künftige Entwicklung vonTemperatur und Niederschlag?

    Die Lufttemperatur ist ein Klimaelement,welches sich in Raum und Zeit vergleichs-

    weise „robust“ verhält, d. h. mit einem rela-tiv kleinen stochastischen Variabilitätsanteil.Das hat zur Folge, dass die Beobachtung derTemperaturentwicklung nur wenig durch„Hintergrundrauschen“ erschwert und das„Signal“ recht deutlich erkannt wird. Dieglobale Temperaturentwicklung der vergan-genen 150 Jahre wurde bereits in Abb. 1dargestellt, wobei der Trend deutlich er-kennbar ist. Auch die Ergebnisse der Simula-tionen mit globalen Klimamodellen (GCM)für die nächsten Jahrzehnte zeigen bzgl. derTemperatur einen recht „robustes“ Bild.Abb. 4 zeigt beispielsweise die Änderung derberechneten mittleren globalen, aber regio-

    Abb. 3Trends von Großwetterlagen mit signifikantem Anstieg im Sommer (Juni bis August) zwischen 1881 und 2001 (30-jährige Glättung), nachFRICKE & KAMINSKI 2002

    Abb. 4Berechnete Änderung der Lufttemperatur (Differenz 2085-1975) für das Emissionsszenario„A2“ (IPCC 2001)

  • A. BRONSTERT, W. LAHMER, V. KRYSANOVA: KLIMAÄNDERUNG IN BRANDENBURG UND FOLGEN FÜR DEN WASSERHAUSHALT 75

    nal differenzierten Jahrestemperatur für dasEmissionsszenario „A2“, worunter eine Ent-wicklung der Menschheit mit nur gering ge-bremstem Geburtenüberschuss und weiter-hin großen technologischen Unterschiedenund demzufolge weiter deutlich steigendenEmissionen der Treibhausgase zusammen-gefasst wird. Man sieht deutlich, dass in denhöheren Breiten und über den Landflächendie Temperaturzunahme deutlich stärker alsüber dem Meer und in den niederen Breitenerwartet wird. Wie im Bericht des IPCC (2001)aufgeführt, stimmen die meisten internatio-nal eingesetzten GCMs hinsichtlich der er-warteten Temperaturentwicklung sowohlbzgl. des mittleren Trends als auch der regio-nalen Verteilung recht gut überein.Der Niederschlag ist ein wesentlich weniger„robustes“ Klimaelement als die Temperatur,d. h. die kleinräumigen und kurzfristigen Va-riationen sind wesentlich stärker und er-schweren die Erkennung eines möglichen„Signals“ der Klimaänderung in beobachte-ten Niederschlagswerten. Man kann ausenergetischen Betrachtungen zwar ableiten,dass eine Erwärmung der Atmosphäre aucheine Intensivierung des Wasserkreislaufesmit sich bringt, also verstärkte Verdunstungund entsprechend mehr Niederschlag (siehedazu BRONSTERT et al. 2002). Die Ergebnissedes IPCC bzgl. der erwarteten Änderungender Niederschlagsbedingungen hinsichtlich de-ren regionalen Ausprägung zeigen aber, dassin verschiedenen Regionen Niederschlagszu-nahmen oder -abnahmen erwartet werden,die räumlichen Unterschiede also sehr großsind. Die Zuverlässigkeit dieser Ergebnisse istzudem durch deren erhebliche Unsicherheitenstark beeinträchtigt. So errechnen verschiede-ne der im Einsatz befindlichen GCMs deut-lich unterschiedliche regionale Niederschlägeund in vielen Fällen gelingt es den GCMsnicht, für das heutige Klima die beobachte-ten Niederschlagsbedingungen nachzubilden. Zusammengefasst bedeutet das also, dassdie Berechnungen der GCMs bzgl. der künf-tigen Entwicklung der regionalen Nieder-schlagsbedingungen (noch) mit so großenUnsicherheiten behaftet sind, dass die direk-te Nutzung dieser Ergebnisse für Aussagendes zukünftigen Wasserkreislaufs sehr be-grenzt ist. Eine Möglichkeit, wie man die Er-gebnisse der globalen Klimamodelle dochnoch für Aussagen über regionale Nieder-schlagsbedingungen nutzen kann, stellt dassogenannte „Klima-Downscaling“ dar, siehedazu z. B. WILBY & WIGLEY (1997), CONWAY& JONES (1998) oder BÜRGER (2002).

    2 Klimaentwicklung in Brandenburg in den letzten Dekaden

    Zur Einordnung künftig erwarteter Entwick-lungen ist es wichtig, die heutige Situationund die bereits in den letzten Dekaden be-obachtete Klimaentwicklung in Brandenburgbeurteilen zu können. In Abb. 5 ist für denZeitraum 1961 bis 1998 die beobachteteEntwicklung der Temperatur, in Abb. 6 die

    Abb. 5Temperaturentwicklung in Brandenburg 1961 bis 1998 (LAHMER 2002)

    Abb. 6Niederschlagsentwicklung in Brandenburg: 1961 bis 1998 (LAHMER 2002)

    Abb. 7Jahreswerte der klimatischen Wasserbilanz für Brandenburg 1961 bis 1998 (LAHMER 2002)

  • 76 NATURSCHUTZ UND LANDSCHAFTSPFLEGE IN BRANDENBURG 12 (3) 2003

    Entwicklung des Niederschlags dargestellt.Diese Zeitreihen beruhen auf Auswertungenvon 85 amtlichen Messstationen in Branden-burg, wobei die Tageswerte zu Jahreswertenaggregiert wurden.Aus diesen Abbildungen lässt sich erkennen,dass eine deutliche Erwärmung auch inBrandenburg festzustellen ist, die in denletzten 40 Jahren sowohl statistisch signifi-kant ist, als auch mit ca. 1 °C über dem glo-bal beobachteten Wert von ca. 0,7 °C liegt.Die beobachten Jahreswerte der Nieder-schläge haben in der selben Periode leichtabgenommen, wobei dieser Trend bislangnicht als statistisch signifikant zu bezeichnenist. Die Analyse einzelner Monate ergaballerdings z. T. signifikante Änderungen derNiederschläge. So wurde z. B. für den Mo-nat Mai eine auch statistisch signifikanteAbnahme der Niederschlagsmengen festge-stellt (LAHMER 2002). Zusammenfassendkann also eine insgesamt leichte Abnahmeder Niederschläge sowie eine saisonale Ver-schiebung vom Sommer zu den Wintermo-naten festgestellt werden.Natürlich sagen die Jahreswerte nichts überdie klimatischen Extreme aus. Zuvor wurdejedoch bereits auf die Häufung der Wetter-lage „TrM“ im Sommer hingewiesen, welchemit starken (aber seltenen) Hochwasser-ereignissen für Brandenburg verbunden seinkann, ohne dass dadurch der mittlere Trendabnehmender Sommerniederschläge aufge-hoben wird.In Abb. 7 sind die Jahreswerte der klimatischenWasserbilanz (Differenz zwischen beobach-teten Niederschlagswerten und der berech-neten potenziellen Verdunstung) für die Pe-riode 1961 bis 1998 dargestellt. Deutlich zuerkennen ist die hohe Variation zwischeneinzelnen Jahren, was auch auf die Bedeu-tung der oben erwähnten hydrologischenExtremzustände hinweist. Man erkennt, dassder Trend der klimatischen Wasserbilanz ne-

    gativ ist, d. h. dass potenziell immer mehrWasser verdunstet als abregnet. LAHMER2002, zeigte, dass dieser Rückgang im We-sentlichen durch die verstärkte Differenzzwischen potenzieller Verdunstung und Re-gen im Sommerhalbjahr hervorgerufen wur-de. Dieser negative Trend der klimatischenWasserbilanz ist (noch) nicht als statistischsignifikant zu bezeichnen. Die Analyse derklimatischen Wasserbilanz für einzelne Som-mermonate, z. B. für den Mai, zeigt aber z. T.(bereits) eine Zunahme der Differenz zwischenNiederschlag und potenzieller Verdunstung,die statistisch signifikant ist (LAHMER 2002).

    3 Szenarien der künftigenKlimaentwicklung in Brandenburg

    Wie in Abschnitt 1 bereits bemerkt, zeigtsich die anthropogene Klimaänderung durcheine Änderung der Klimaelemente Lufttem-peratur, Niederschlag, Luftfeuchte, Windge-schwindigkeit usw. Bislang sind Aussagenzur künftigen Entwicklung der Klimaelementeauf der regionalen Skala („regionale Klima-szenarien“) im Prinzip nur für die Lufttem-peratur mit befriedigender Sicherheit mög-lich. Unter „befriedigender Sicherheit“ isthier zu verstehen, dass die in den Klimasze-narien enthaltene Information für praktischeFragestellungen, z. B. zum Gewässermanage-ment oder für Planungen in Flussauenland-schaften, direkt weiter verarbeitet werdenkönnen. Ein Beispiel für ein solches Tempe-raturszenario ist in Abb. 8 für die RegionBrandenburg dargestellt. Es beruht auf derGrundlage einer Temperaturerhöhung vonim Mittel 1,7 °C zwischen 1980 und 2050und wurde nach der Methode von WERNER &GERSTENGARBE (1997) erstellt.Bezüglich des – für den Wasserkreislauf min-destens ebenso wichtigen – Klimaelements

    Niederschlag sind die regionalen Klimaszena-rien dagegen mit so großen Unsicherheitenbehaftet, dass eine direkte Weiterverarbei-tung für Planungszwecke nur unter Berück-sichtigung der Unsicherheiten erfolgen soll-te. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, dieUnsicherheiten mit zu betrachten, was hieraber nicht im Detail behandelt werden kann.Eine wichtige Frage ist in jedem Fall, inwie-weit das eingesetzte Verfahren zur Erstellungder Niederschlagsszenarien die aktuelle Kli-mastatistik (also für die beobachteten Wer-te) nachvollziehen kann. Dieser Frage wirdin Abb. 9 nachgegangen. Dargestellt ist einSzenario des Niederschlags (jeweils Tageswer-te gemittelt über ein Jahr [mm], Auftretens-häufigkeit von Regentagen [>0,1 mm/Tag,in %], und mittlere Niederschlagsintensi-täten [mm/d]) für Potsdam, für die Zeitpe-riode 1800 bis 2100. Dargestellt sind nebendem Klimaszenario aufgrund steigenderTreibhausgaskonzentrationen (rote Linie,von 1870 bis 2100) und einem fiktiven Sze-nario ohne Änderung der Treibhausgaskon-zentrationen (grüne Linie, von 1810 bis 2100)auch die an der Station Potsdam gemesse-nen lokalen Werte (schwarze Linie, von1960 bis 1995) und die Werte, die auf Basisgroßräumiger Klima-Reanalysen für die Sta-tion Potsdam ermittelt wurden (blaue Linie,von 1960 bis 1995). Letztere dient zur Ein-schätzung der Zuverlässigkeit der eingesetz-ten Downscaling Methode. Man erkennt indieser Abbildung, dass• die Unsicherheit des eingesetzten Down-

    scaling-Verfahrens (Unterschied schwarzeund blaue Linie) z. T. beträchtlich ist(hier insbesondere bzgl. der Auftretens-häufigkeit im Winter), im Mittel aberdeutlich geringer als die Unterschiedezwischen den Klimaszenarien mit Treib-hausgaszunahme (rote Linie) und ohnediese Steigerung (grüne Linie);

    • der Gesamtniederschlag im Winter zu-nimmt, im Sommer in etwa konstantbleibt;

    • die Auftretenshäufigkeit im Sommerdeutlich kleiner wird, im Winter in etwaauf gleichem Niveau bleibt;

    • aufgrund der beiden zuvor genanntenErgebnisse die Niederschlagsintensitätsignifikant ansteigt.

    Zusammenfassend lässt sich also feststellen,dass das in Abb. 9 gezeigte Niederschlags-szenario verstärkte Niederschläge im Winterbeinhaltet, diese aber durch verstärkteNiederschlagsintensitäten verursacht werdenund nicht durch mehr Regentage. Daherkann auch eine Zunahme von Starkregene-reignissen abgeleitet werden. Ein Klimaszenario darf grundsätzlich nichtmit einer Vorhersage verwechselt werden,da Vorhersagen für solch lange Zeiträumenicht möglich sind. Von daher muss daraufhingewiesen werden, dass Klimaszenarien,die mit anderen Methoden ermittelt wurden,auch andere Ergebnisse ergeben können.Dies gilt besonders hinsichtlich des Klimaele-ments Niederschlag, da es auch unter unge-störten Bedingungen zeitlich und räumlichsehr variabel ist. Ein Klimaszenario nach der

    Abb. 8Klimaszenario für Brandenburg: mittlerer Monatsgang der Lufttemperatur für die Zeitschei-ben 1980 bis 1990; 2020 bis 2030, 2040 bis 2050; (KRYSANOVA & WECHSUNG 2002; Methodenach WERNER & GERSTENGARBE (1997)

  • A. BRONSTERT, W. LAHMER, V. KRYSANOVA: KLIMAÄNDERUNG IN BRANDENBURG UND FOLGEN FÜR DEN WASSERHAUSHALT 77

    Methode von WERNER & GERSTENGARBE (1997),welches einen generellen Trend zu trockene-ren Verhältnissen zu Grunde legt, resultiertbeispielsweise in einer Erwärmung von imMittel 1,4 °C und einem mittleren Nieder-schlagsrückgang von 81 mm oder fast 14 %bis zum Jahr 2050, was also hinsichtlich derNiederschlagssumme klar von dem in Abbil-dung 9 gezeigtem Szenario abweicht.

    4 Auswirkungen auf den Wasserkreislauf

    Auswirkungen auf den Wasserhaushalt vonLandschaften sind bei Änderungen der kli-matischen Bedingungen grundsätzlich zu er-warten, da das Klimasystem direkt mit demWasserhaushalt gekoppelt ist bzw. der Was-serkreislauf als Teilsystem des Klimasystemsaufgefasst werden kann. Es ist aber wenigerwichtig, ob es überhaupt Einwirkungen gibt,sondern wie groß diese Einwirkungen sindund wie sie sich auf die unterschiedlichenProzesse des Wasserkreislaufs ausprägen.Zur quantitativen und prozessbezogenen Be-urteilung der Auswirkungen sind hydrologi-sche Modelle erforderlich, welche die rele-vanten Prozesse des Wasserkreislaufs nach-bilden können, die räumlich auflösend arbei-ten und die Bedingungen der betrachtetenLandschaft bzgl. Klima, Landnutzung,Grundwasser und Morphologie in Modell-parameter umsetzen können. Die Ergebnisse

    der Anwendungen solcher Modelle beruhendann im Wesentlichen auf den mathemati-schen Modellansätzen zur Beschreibung derhydrologischen Prozesse sowie den ange-setzten Änderungen der genannten Bedin-gungen der Landschaft. Beispiele zur Model-lierung des Landschaftswasserhaushaltes inBrandenburg sind z. B. in LUA (2000) gege-ben, wobei Klimaänderungen hier nicht be-trachtet wurden. Die im Folgenden dargestellten Aussagen zurÄnderung hydrologischer Prozesse infolge

    angenommener Änderungen der Klimabedin-gungen (Klimaszenarien, wie in Abschnitt 2und 3 erklärt) sind somit Rechenergebnissesolcher Modelle. Dabei wurden nur die Klima-bedingungen variiert, die anderen Modell-parameter sowie die Berechnungsansätzeder Modelle blieben unverändert.

    4.1 Verdunstung

    Der Einfluss der anthropogenen Klimaände-rung auf die Verdunstung lässt sich mit rela-

    Abb. 9Klimaszenario für Brandenburg: Niederschlag (Erklärung im Text, aus BÜRGER 2002); a) Winterhalbjahr b) Sommerhalbjahr

    Abb. 10Einfluss der Klimaänderungen auf den Wasserhaushalt: Modellierte mittlere Jahresganglinieder aktuellen Verdunstung, (KRYSANOVA & WECHSUNG 2002)

  • 78 NATURSCHUTZ UND LANDSCHAFTSPFLEGE IN BRANDENBURG 12 (3) 2003

    tiv kleiner Unsicherheit berechnen, da dieTemperatur von großer Relevanz für die Ver-dunstung ist und die Temperaturänderung inden Klimaszenarien mit relativ hoher Sicher-heit angegeben werden kann. Weitere wich-tige Variablen zur Berechnung der aktuellenVerdunstung sind die Bodenfeuchte und derGrundwasserstand, welche ihrerseits natür-lich wieder stark von den Niederschlagsver-hältnissen geprägt werden und daher mithohen Unsicherheiten behaftet sind. In Ab-bildung 10 ist für das zuvor genannte Klima-szenario nach WERNER & GERSTENGARBE(1997) das Modellergebnis zur aktuellenVerdunstung als Mittelwert für ganz Bran-denburg dargestellt (KRYSANOVA & WECHSUNG2002). Man erkennt, dass in den Frühjahrs-monaten aufgrund der erwarteten Tempera-turerhöhung mit einer geringen Zunahmeder aktuellen Verdunstung gerechnet wer-den muss. In Sommermonaten (Mai bis Au-gust) ergeben die Modellrechnungen abereine deutliche Abnahme, was auf dem Rück-gang des verfügbaren Bodenwassers (eineFolge geringerer Niederschläge und erhöhterVerdunstung im Frühjahr) beruht. In denSommermonaten ist somit mit einer deut-lichen Zunahme (in Raum und Zeit) vonWasserstressbedingungen zu rechnen. DerJahresmittelwert der aktuellen Verdunstungreduziert sich laut diesen Modellergebnissenum ca. 2,5 % von 411 mm auf 401 mm. Diesaisonalen Unterschiede sind teilweise nochdeutlich größer.

    4.2 Sickerwasser und Grundwasser-verhältnisse

    Das Sickerwasser unter der Wurzelzone(Grundwasserneubildung) lässt sich unter Ver-nachlässigung möglichen Landoberflächenab-flusses (was für Flachlandgebiete mit durch-lässigen Böden eine genügend genaue Annah-me darstellt) als Differenz zwischen Nieder-schlag und aktueller Verdunstung bilanzie-ren. In Abbildung 11 ist für das bereits zuvorgenannte Klimaszenario das Modellergebniszur Grundwasserneubildung als mittlere Jah-resganglinie für ganz Brandenburg darge-stellt (KRYSANOVA & WECHSUNG 2002). Manerkennt, dass vor allem aufgrund der höherenVerdunstung im Frühjahr (siehe 4.1) und ge-ringeren Niederschlägen im Herbst die Sicker-wassermenge von heute ca. 109 mm auf 63 mmunter Szenariobedingungen deutlich reduziertwird. Wichtig hierbei ist die Bedeutung desSickerwassers als „Restglied“ des Landschafts-wasserhaushaltes, d. h. relativ kleine Ände-rungen im Niederschlag und/oder der Ver-dunstung führen zu relativ großen Änderun-gen der Sickerwassermenge. Da die Sicker-wassermenge wiederum die Grundwasser-stände und diese – über die Wechselbeziehungzwischen Grundwasser und Oberflächenge-wässer – die Abflussbildung in den Fließge-wässern beeinflusst, gilt die Aussage der re-lative großen Bedeutung von Niederschlags-oder Verdunstungsänderungen ebenso fürGrundwasserstand und Gewässerdurchfluss.Von großem Interesse für den Landschafts-wasserhaushalt ist die flächenspezifische

    Abb. 11Einfluss der Klimaänderungen auf den Wasserhaushalt: Modellierte mittlere Jahresganglinieder Grundwasserneubildung (KRYSANOVA & WECHSUNG 2002)

    Abb. 12Einfluss der Klimaänderungen auf den Wasserhaushalt: Modellierte Grundwasserneubildungin flächendetaillierter Darstellung. Links: heutige Verhältnisse, rechts: Klimaszenario 2050(KRYSANOVA & WECHSUNG 2002)

    Ausprägung oben genannter Änderungen.Hier soll als Fallbeispiel nur die Situation fürdie Sickerwasserbildung dargestellt werden.Man erkennt deutlich, dass in einigen Berei-chen Brandenburgs ein überproportionalerRückgang der Grundwasserneubildung be-rechnet wurde, insbesondere in Nordwest-,West- und Südost-Brandenburg.

    4.3 Gewässerdurchfluss

    In Einzugsgebieten, in denen die Rate desGewässerdurchflusses von den Austausch-vorgängen zwischen Grundwasser und Ge-wässer dominiert wird, wirkt sich eine Ver-ringerung/Erhöhung der Grundwasserneu-bildung unmittelbar als eine Verringerung/Erhöhung der Durchflüsse im Gewässer aus.Somit ist der Gewässerdurchfluss in Bran-denburg ebenfalls als „Restglied“ der Was-serbilanz zu verstehen. Hinzu kommt aber

    ein weiterer sehr wichtiger Aspekt: die Aus-tauschraten zwischen Grundwasser undOberflächengewässer richten sich nach denDifferenzen der Wasserstände im Grund-wasserleiter und im Oberflächengewässer.Wenn der Wasserstand im Oberflächenge-wässer künstlich reguliert wird (durch Stau-anlagen, Pumpstationen), dann wird da-durch auch direkt die Austauschrate beein-flusst und damit auch der Gewässerdurch-fluss. Da die meisten Oberflächengewässerin Brandenburg einer Steuerung des Men-schen unterliegen, lassen sich Änderungender Durchflussdynamik auch nur unter Mit-betrachtung dieses Aspekts beurteilen. Einekombinierte Untersuchung und Modellierungverschiedener Umwelteinflüsse (wie z. B.Klimaänderung und Regelung der Wasser-stände) für Brandenburg liegt bislang nochnicht vor. Von daher können hierfür keineModellergebnisse gezeigt werden.

  • A. BRONSTERT, W. LAHMER, V. KRYSANOVA: KLIMAÄNDERUNG IN BRANDENBURG UND FOLGEN FÜR DEN WASSERHAUSHALT 79

    Eine alleinige Betrachtung der Klimaände-rungseinflüsse auf die Durchflussdynamikunserer Flüsse lässt sich direkt aus der Ände-rung der Sickerwassermenge ableiten. Daherwürde für die zuvor dargestellten Szenario-bedingungen der Grundwasserneubildung(z. B. Abb. 11, 12) eine entsprechende Re-duktion des Abflusses zu erwarten sein. Dievorherigen Bemerkungen bzgl. Unsicherheitder Ergebnisse und Wichtigkeit der zu Grun-de gelegten Szenarioannahmen und -me-thoden gilt für diesen Prozess entsprechend.

    4.4 Hochwasser

    Die spektakulären Hochwasser im Sommer1997 an der Oder und im August 2002 ander Elbe haben die Hochwasserfrage auch inBrandenburg in den Mittelpunkt des öffent-lichen Interesses rücken lassen. Dabei wirdauch immer wieder der mögliche Einflussvon Klimaänderungen auf Hochwasser the-matisiert. Die Beantwortung dieser Fragenist komplex und kann hier nicht im Detaildargelegt werden, weshalb hier auf ver-schieden Veröffentlichungen des Autors ver-wiesen wird (BRONSTERT & KÖHLER 2000;BRONSTERT et al. 2002; MENZEL et al. 2002). Zusammenfassend kann festgestellt werden,dass sich sowohl aufgrund der bereits beo-bachteten Zunahme der Wetterlagen „TrM“in den Sommermonaten (s. Abb. 3) als auchaufgrund der aus Klimaszenarien abgeleite-ten Verstärkung der Niederschlagsintensi-täten eine Intensivierung von Starkregen-ereignissen infolge der Klimaänderungen zuerwarten ist. Trotzdem kann insgesamt dasNiederschlagsdargebot rückläufig sein, daeine Zunahme von Starkniederschlägennicht zwangsläufig mit einer Erhöhung derGesamtniederschlagssumme einhergeht.Generell ist zu bedenken, dass die Hochwas-ser an den großen Flüssen Brandenburgs(Oder und Elbe) nicht in Brandenburg ent-stehen und deswegen die für Hochwasser-ereignisse relevanten Klimabedingungen inden Oberläufen dieser Flüsse (Beskiden, Rie-sengebirge, Altvatergebirge; Böhmen, Erz-gebirge, Thüringer Wald, ...) zu betrachtensind. Mit hoher Sicherheit kann bereits heutefür diese Flussgebiete festgestellt werden,dass aufgrund steigender Temperaturen miteinem weiteren Rückgang der Auftretens-häufigkeit von Eishochwasserereignissen zurechnen ist.

    5 Schlussfolgerungen und Ausblick

    Die anthropogene Klimaerwärmung, hervor-gerufen durch die Emission von Treibhausga-sen, macht sich sowohl global als auch regio-nal bereits heute bemerkbar und ist insbeson-dere durch eine Erhöhung der Temperatur derunteren Atmosphäre zu beobachten. Globalbeträgt dieser Wert über die letzten 40 Jahreetwa 0,7 °C, regional für Brandenburg etwa1 °C. Zudem ist teilweise eine geänderte Auf-tretenshäufigkeit bestimmter Wetterlagen-typen festzustellen, was ebenfalls mit der

    Klimaänderung in Zusammenhang gebrachtwerden kann. Bezüglich der Hochwasser-ereignisse ist für die großen Flüsse Branden-burgs (Oder und Elbe) dabei insbesonderedie beobachtete Zunahme der Wetterlagen„Troglagen über Mitteleuropa“ in den Som-mermonaten relevant. Eine gewisse, in denletzten Dekaden beobachtete Verschiebungdes Niederschlags von den Sommer- zu den Wintermonaten (Abnahme im Sommer, Zunahme im Winter) widerspricht nicht der festgestellten Änderung der Wetter-lagen, da eine Zunahme von Starknieder-schlägen nicht zwangsläufig mit einer Erhö-hung der Gesamtniederschlagssumme ein-hergeht.Bezüglich der künftigen, vom Menschen be-einflussten Klimabedingungen Brandenburgslässt sich vor allem die Zunahme der Tempe-ratur als gesicherte Erkenntnis festhalten,wobei für die nächsten 50 Jahre mit einerTemperatursteigerung von mindestens 1,5 °Czu rechnen ist. Ein systematisches und auf dem Stand desWissens befindliches Klima-Downscaling mitumfangreichen Anwendungen für Branden-burg ist für eine Verbesserung der Aussage-schärfe der Klimaänderungsfolgen insbeson-dere bezüglich der Entwicklung der Nieder-schlagsbedingungen essentiell!Die Anwendung geeigneter hydrologischerModelle ist Voraussetzung zur Quantifizierungder Aspekte Klimabedingungen ↔ Land-schaftswasserhaushalt ↔ Gewässerdurchfluss.Kleine Änderungen der klimatischen Rand-bedingungen (insb. Niederschlag) haben re-lativ große Auswirkungen auf „Restglieder“der Wasserbilanz. Deswegen sind – relativgesehen – die größten Veränderungen inner-halb des Wasserkreislaufs bezüglich derGrundwasserneubildung (Reduktion um biszu 40 %) und des Gewässerdurchflusses(hier allerdings stark von den Regelungendes Gewässerwasserstands abhängig) zu er-warten. Bezüglich der Entwicklung der Auenland-schaften entlang der Flüsse Brandenburgs istdie Klimaänderung sicherlich von Relevanzund sollte künftig in wasserwirtschaftlichePlanungen mit einbezogen werden. Aller-dings ist zu beachten, dass andere anthropo-gene Effekte (Änderung der Landnutzunginklusive Drainage oder Bewässerung, Fluss-baumaßnahmen, Regelung des Gewässer-standes) z. T. erheblichere Auswirkungen alsdie Klimaänderungen haben. Von daher isteine kombinierte Untersuchung und Bewer-tung anthropogener Aktivitäten auf denWasserkreislauf angeraten. Auch hierfür sind die genannten hydrologi-schen Modellierungen unabdingbar. Diesesollten künftig auch verbesserte Aussagenbzgl. der Unsicherheit bereit stellen. Zur Mo-dellvalidierung und zur Eingrenzung der Un-sicherheiten ist eine verbesserte Datenbasiserforderlich (Ausdehnung und Verdichtungkontinuierlicher Messreihen etc.) bzw. mussdurch spezielle Messprogramme ergänztwerden. Dafür ist eine enge Zusammenar-beit von Verwaltung und Wissenschaft an-geraten.

    LiteraturBARDOSSY, A.; CASPARY, H. J. 1990: Detection of ClimateChange in Europe by Analyzing European AtmosphericCirculation Patterns from 1881-1989. Theoretical andApplied Climatology 42: 155-167BRONSTERT, A. & KÖHLER, B. 2000: Simulation der Ein-flüsse anthropogener Klimaänderungen auf die Hoch-wasserentstehung: Eine Fallstudie in einem kleinenländlichen Einzugsgebiet im Ostharz. Ztschr. f. Kultur-techn. u. Landentw. 41 (5): 1-7BRONSTERT, A.; NIEHOFF, D. & BÜRGER, G. 2002: Effectsof climate and land-use change on storm runoff gene-ration: presentknowlgde and modelling capabilities.Hydrological Processes 16 (2): 509-529BÜRGER, G. 1996: Expanded downscaling for generatinglocal weather scenarios. Climate Research 7: 111-128BÜRGER, G. 2002: Selected precipitation scenarios acrossEurope. J. of Hydrology 262 (1-4): 99-110CASPARY, H. J. & BARDOSSY, A. 1995: Markieren die Win-terhochwasser 1990 und 1993 das Ende der Stationa-rität in der Hochwasserhydrologie infolge von Klima-änderungen? Wasser und Boden 47 (3): 18-24CONWAY, D. & JONES, P. D. 1998: The use of weathertypes and air flow indices for GCM downscaling. J. ofHydrology 213: 348-361GERSTENGARBE, F.-W. & WERNER, P. C. 1999: Katalog derGroßwetterlagen Europas (1881-1998) nach Paul Hessund Helmuth Brezowsky; 5. verbess., ergä. Aufl.; Pots-dam u. Offenbach1999; (http://www.pik-potsdam.de/dept/cli/gwl/welcome.htm)FRICKE, W. & KAMINSKI, U. 2002: Ist die Zunahme vonStarkniederschlägen auf veränderte Wetterlagen zu-rückzuführen? GAW Brief des Dt. Wetterdienstes Nr. 12. Meteorol. Observ. Hohenpeißenberg, Sept. 2002(http://www.dwd.de/de/FundE/Observator/MOHP/hp2/gaw/gaw_briefe/gaw_brief_012.pdf)IPCC 1996: Climate Change 1995. The science of cli-mate change. Contribution of working Group I to thesecond assessment report of the IntergovernmentalPanel on Climate Change. Cambridge University Press.572 pp.IPCC 2001: Climate change 2001. The scientific basis.Contribution of working Group I to the third assess-ment of the intergovernmental panel on climate chan-ge. Cambridge University Press. 881 pp.KRYSANOVA, V. & WECHSUNG, F. 2002: Impact of clima-te change and higher CO2 on hydrological processesand crop productivity in the state of Brandenburg. InBENISTON, M. (Hrsg.): Climatic change, implications forthe hydrological cycle and for water management. Ad-vances in Global Change Research 10: 271-300LAHMER, W. 2002: Trend and Climate Change ImpactAnalyses on the Mesoscale. In: HOLKO, L., MIKLANEK, P.and KOSTKA, Z. (Hrsg.): Interdisciplinary Approaches inSmall Catchment Hydrology – Monitoring and Research.Proc. of the Int. Conference 25-28 Sept. 2002. Bratis-lava: 127-131LUA (Landesumweltamt Brandenburg) 2000: Flächen-deckende Modellierung von Wasserhaushaltsgrößenfür das Land Brandenburg. Stud. Tagungsber. Bd. 27.LUA Potsdam 2000WERNER, P. C & GERSTENGARBE, F.-W. 1997: A proposalfor the development of climate scenarios. ClimateChange 8 (3): 171-182WILBY, R. L. & WIGLEY, T. M. L. 1997: Downscaling ge-neral circulation model output: a review of methodsand limitations. Progress in Physical Geography 21:530-48

    Anschriften der Verfasser:

    Prof. Dr. Axel BronstertLehrstuhl für Hydrologie und KlimatologieInstitut für Geoökologie, Universität PotsdamPF 60155314415 PotsdamE-Mail: [email protected]

    Dr. Werner LahmerDr. Valentina KrysanovaAbteilung Globaler Wandel und Natürliche SystemePotsdam-Institut für KlimafolgenforschungPF 60120314412 Potsdam

  • 80 NATURSCHUTZ UND LANDSCHAFTSPFLEGE IN BRANDENBURG 12 (3) 2003; 80–84

    Zusammenfassung

    Im Beitrag werden Verlauf und Folgen desElbe-Hochwassers 2002 in der Unteren Havel-niederung beschrieben. Besonderes Augen-merk legt der Autor auf den Zusammenhangzwischen Gewässergüteproblemen und in-tensiver landwirtschaftlicher Nutzung derPolderflächen, schneller Entleerung der Pol-der nach dem Hochwasserereignis und derVerringerung des Aufnahmevermögens durchdie Komplexmelioration, die zwischen1970und 1989 betrieben wurde.Aus ökologischer Sicht ist aus dem Sommer-hochwasser 2002 für das Gebiet der UnterenHavelniederung zu berücksichtigen, dass indie Flutungskonzeption klare Handlungsvor-gaben zur Vermeidung von Gewässergüte-problemen aufgenommen werden, die Flä-chennutzung in den Flutungspoldern an eine

    Überflutung angepasst wird, dass die Erhö-hung des Flutungsvolumens überdacht wird,eine Flutung der Flächen aus ökologischenGründen einzukalkulieren ist und die umge-hende Festsetzung der seit 1990 im Auswei-sungsverfahren befindlichen NSG zur Siche-rung der bereits angepassten Nutzung er-folgt.Zur Umsetzung der genannten 5 Punkte isteine neue Flutungskonzeption mit verändertenSchwerpunkten erforderlich. Der bestehendeNutzungskonflikt muss unter den geänder-ten gesellschaftlichen Rahmenbedingungenneu bewertet und entschieden werden. EineAnpassung der Landnutzung an die Bedin-gungen der Überflutungsgebiete und eineÖkologisierung der Flutungskonzeption selbstsind erforderlich.Zur schnellen Revitalisierung und Regenera-tion des unteren Havelgebietes werden vor

    allem die Wiederherstellung einer gesteuer-ten Mündungsdynamik und die Herstellungder biologischen Durchgängigkeit in der Un-teren Havel zwischen Brandenburg und derMündung vorgeschlagen.

    1 Einführung

    Zwischen dem 20.8. und dem 23.8.2002wurde erstmals der Scheitel eines Elbe-Hochwassers im Bereich der Unteren Havel-niederung durch Flutung des Havelschlau-ches und 5 der 6 vorhandenen Flutungs-polder gekappt (Abb. 1, 2). Zwischen dem23.8. und dem 13.9.2002 folgte die Ent-leerung. Begünstigt durch verschiedene Faktorensetzten bald mikrobiologische Abbauprozes-se unter starker Sauerstoffzehrung im Was-ser der überfluteten Flächen, insbesonderein den ackerbaulich genutzten Poldern, ein(Abb. 3), die etwa ab dem 1.9. zunehmendals Fäulnis wahrnehmbar wurden. Das ge-zielte Rückhalten von Havelwasser oberhalbRathenows zwischen dem 30.8. und dem6.9. reduzierte den Anteil sauerstoffhaltigenHavelwassers am Gesamtabfluss des PegelsHavelberg auf bis zu 25 % und begünstigte sodie Einstellung sauerstoffarmer Verhältnisseauch im Havelschlauch (Abb. 4).Das Absterben von Fischen und anderenWassertieren, wie Muscheln, Krebsen undKrabben, begann nach Augenzeugenberich-ten am 31.8. im Raum Havelberg und setztesich stromauf fort. Am 5.9. war auch derGülper See betroffen. Die tiefsten Sauerstoff-konzentrationen wurden flächendeckend imHavelschlauch, in den Poldern und im Gül-per See am 6.9. mit 0,2 bis 0,5 mg/l O2 ge-messen. Der entstandene Schaden für die Allgemein-heit durch verendete Fische wird vom Autorauf 5 Mio. € geschätzt. Dieser Schätzungliegt zugrunde, dass nach Hochrechnungenvon Individuenzählungen der Naturwachtetwa 15 bis 20 Mio. Fische, überwiegendJungtiere, umkamen. Nach KENDALL beträgt

    DAS GROSSE FISCHSTERBEN NACH DER FLUTUNG DER UNTEREN HAVELNIEDERUNG IM AUGUST 2002 HAT DEUTLICH GEMACHT, DASS FRAGEN NACH DER LANDNUTZUNG

    BISHER NUR UNZUREICHEND BEIM HOCHWASSERSCHUTZ BERÜCKSICHTIGT WERDEN. EINE VERBESSERTE HOCHWASSERSCHUTZKONZEPTION WIRD ANGEREGT.

    ROCCO BUCHTA

    Hochwasserschutz und Landnutzung in der Unteren Havelniederung –Schlussfolgerungen aus dem Elbe-Hochwasser vom August 2002

    Schlagwörter: Hochwasser, Untere Havelniederung, Ökologie, Retentionsraum, Anpassung der Land-nutzung, Flutungskonzept

    Abb. 1Einlasswehr Neuwerben während der Kappungsphase am 21.8.2002 Foto: M. Zebisch

  • R. BUCHTA: HOCHWASSERSCHUTZ UND LANDNUTZUNG IN DER UNTEREN HAVELNIEDERUNG 81

    Abb. 2Polder Warnau während der Flutung am 21.8.2002Deutlich ist im Bildvordergrund die Deichöffnungsstelle zu erkennen Foto: M. Zebisch

    Abb. 3Sauerstoffgehalt in der Havelund in ausgewählten Poldernvom 3.9. bis 2.10.2002Die Havel bei Albertsheimzeigt den Zustand beim Ein-strömen in das Überflutungs-gebiet, bei Strodehne wirdder Zufluss der Polder Twerlund Warnau wirksam, beiVehlgast auch der Zufluss ausden Poldern Flöthgraben undSchafhorst (Quelle: Messun-gen der NaturparkverwaltungWesthavelland)

    Abb. 4Anteil des Havelwassers amGesamtabfluss in HavelbergDer Gesamtabfluss setzt sichzusammen aus dem Zuflussan Havelwasser in Alberts-heim, den Zuflüssen aus demEinzugsgebiet stromab unddem in der Niederung ge-speicherten Elbewasser(Quelle: Abfragewerte derautomatischen Pegel Alberts-heim und Havelberg Stadt)

    der ökologische Wert eines Fisches bei Fisch-sterben ca. 0,30 €. Der ökologische Gesamt-schaden wurde bis heute nicht ermittelt; erdürfte aber weit darüber liegen.Die Flutung der Havelniederung selbst warfür das Ökosystem dem Augenschein nachweitgehend unproblematisch, sofern sichdas Ereignis auf Flächen der Flora-Fauna-Habitat(FFH)- und Europäische Vogelschutz-gebiete (SPA) erstreckte. Hier ist eine ange-passte Feuchtgrünlandnutzung bis heute er-halten geblieben. Hochwasser und auchSommerhochwasser prägten diese Landschaftschon immer. Die Umwandlung weiter Teileder Flutungspolder in Ackerland und Inten-sivgrünland sowie die schnelle Entleerungder Polder hingegen induzierten die benann-ten Gewässergüteprobleme maßgeblich, selbstunter Beachtung einer ungünstigen meteo-rologischen Ausgangssituation.Die Unterstützung des Ökosystems der Un-teren Havelniederung bei der Eigenregene-ration ist auch aus ökonomischen Gründennotwendig! Außerdem muss über eine Än-derung des gesamten Hochwassermanage-ments in diesem Raum nachgedacht werden.Dieser Artikel will dazu Anregungen ausökologischer Sicht geben.

    2 Ausgangslage undUrsachen

    2.1 Entwicklung des Retentionsraumes

    Noch vor 1970 betrug die Überflutungs-fläche der Unteren Havelniederung ca.38.000 ha (Abb. 5). Bei einem Wasserstandvon 26,85 m ü. NN am Pegel Havelberg, ei-nem etwa hundertjährigen Ereignis vor demBau des Gnevsdorfer Vorfluters, konnten523 hm3 Wasser aufgenommen werden(BLAU & THOMSEN 1967).Hatte der Bau der Wehrgruppe Quitzöbelzwischen 1935 und 1936 nur das Abschottender Havelniederung gegen Hochwasserspit-zen der Elbe zum Ziel, so galten die Planun-gen am 1953 fertiggestellten GnevsdorferVorfluter ergänzend dazu einer weiteren Ab-senkung der Wasserstände im Niederungs-gebiet auch bei gewöhnlichen Hochwasser-ereignissen. Die Maßnahmen an der UnterenHavel dienten zunächst dem Siedlungshoch-wasserschutz und der Landwirtschaft gleich-ermaßen, aber seit Ende des zweiten Welt-krieges vorrangig der Landwirtschaft. DasResultat der Ausbaumaßnahmen war einstärkeres Ansteigen von Hochwasserschei-teln in der Elbe unterhalb der Havelmün-dung (FRÖHLICH 1999).In den 60er und 70er Jahren machte mansich zunehmend Gedanken über das durchLandnahme gestiegene Hochwasserrisikobei den Elbeanliegern. Für das Gebiet derUnteren Havelniederung bedeutete das,zwischen fortschreitender landwirtschaftlicherFlächenintensivierung und technischem Hoch-wasserschutz abzuwägen. Große Teile derUnteren Havelniederung wurden eingepol-dert, wobei zunächst 10 Polder als Flutungs-polder ausgelegt wurden. Am 17.1.1990

    wurden per Bezirkstagsbeschluss 0005/90die Polder 7 bis 10 aus dem Flutungskonzeptherausgenommen (RAT DES BEZIRKES POTSDAM1990). Übrig blieben 10.000 ha Deichvor-land, im sogenannten Havelschlauch, und 6 Flutungspolder. Bezogen auf einen maxima-len Flutungswasserstand von 26,40 m ü. NN(Landesumweltamt Brandenburg 2002)könnte diese Fläche noch 300 hm3 aufneh-men (Konstruktion aus BLAU & THOMSEN1967, FRÖHLICH 1999). Damit wurden der

    Unteren Havelniederung durch Auspolde-rung von Flächen und eine um 45 cm ver-minderte Flutungshöhe trotz Flutungspolderca. 220 hm3 Aufnahmevermögen, also etwa42 %, entzogen (Abb. 6).Das Aufnahmevermögen der Unteren Ha-velniederung ist gleichzusetzen mit demRauminhalt des Geländes unter einem waa-gerechten Wasserspiegel der genanntenÜberflutungshöhe. Konkrete Aussagen zumVerlust an Aufnahmekapazität, dem soge-

  • 82 NATURSCHUTZ UND LANDSCHAFTSPFLEGE IN BRANDENBURG 12 (3) 2003

    nannten wirksamen Entlastungsvolumen,können aber nur unter Einbeziehung derVorfüllung der Niederung erfolgen. Hierwird immer wieder behauptet, ohne Flu-tungspolder würde die Niederung schon voreiner Flutung unkontrolliert volllaufen undein Scheitelkappungseffekt käme nicht mehrzustande. Um dieses Argument zu untersu-chen, sind verschiedene Szenarien mit unter-schiedlichen Vorfüllungen zu betrachten(Konstruktion aus BLAU & THOMSEN 1967,FRÖHLICH 1999). Beim „Zustand 1967“ ist ei-ne Vorfüllung der gesamten Niederung biszum Ausgangswasserstand anzusetzen, beim„Zustand 2002“ nur eine Vorfüllung des Ha-velschlauches. In beiden Fällen wird eineKappung des Elbscheitels über das Einlass-wehr Neuwerben und eine Entlastung überden Gnevsdorfer Vorfluter angenommen.Das Ergebnis ist offensichtlich (Abb. 7 bis 9).Es ist erkennbar, dass durch Auspolderungund Absenkung der Zielwasserstände auf26,40 m ü. NN, je nach Ausgangssituation,die Aufnahmekapazität von einstmals 280bis 410 hm3 auf heute 150 bis 200 hm3 re-duziert worden ist, was einen Entzug anKappungsvolumen von 47 bis 51 % ergibt.Selbst ein ungesteuertes Einströmen von El-bewasser in die Havelniederung hätte einenScheitelkappungseffekt zur Folge. So ergabenBerechnungen, dass beim Aprilhochwasservon 1895, dem höchsten Hochwasserereig-nis im Havelmündungsgebiet, etwa 150 bis200 hm3 Elbewasser in die Havelniederungeinflossen. Weiterhin wurden 180 hm3 Ha-velwasser am Abfluss gehindert, so dass dieNiederung insgesamt 300 bis 400 hm3 Was-ser aufnahm. Die Hochwasserspitze der Elbewurde dadurch um 11 % (ca. 60 cm) abge-baut (UHLEMANN 1987). Der Höchststand amPegel Havelberg betrug 26,99 m ü. NN (BLAU& THOMSEN 1967). Vergleicht man dagegendie gesteuerte Scheitelkappung im August2002 mit ca. 75 hm3 Entlastungsvolumenund einem Kappungsergebnis von ca. 41 cmbei einem maximalen Wasserstand von25,97 m ü. NN am Pegel Havelberg, so istfestzustellen, dass das erheblich größereÜberflutungsgebiet des Jahres 1895 auchohne Steuerung signifikante Entlastungs-effekte für die Elbe erzielt hatte.

    3 Entwicklung derFlächennutzung

    Der Einpolderung großer Flächen der Unte-ren Havelniederung folgte eine nicht mehran die Überflutung angepasste Flächennut-zung auf nahezu der gesamten Polderfläche.Die Umwandlung von Feuchtgrünland inAckerland war das vorrangige landwirt-schaftliche Interesse. Auch die Strukturendes verbliebenen Grünlandes änderten sichdrastisch. Durch Entwässerung und Etablie-rung energiereicher Süßgräser konnten die Er-träge von Hochwasserereignissen unabhän-

    gig gemacht und quantitativ sowie qualitativgesteigert werden. Solche Grünlandstandortesind gegen Nässe sehr empfindlich, womitsich eine Vernässung oder gar periodischeÜberflutung verbietet. Die Maßnahmen zurIntensivierung der landwirtschaftlichen Pro-duktion in den Poldern wurden im Rahmendes Komplexmeliorationsvorhabens „UntereHavel-Dosse“ durchgeführt. Nach Abschlussder großen Melioration folgten zahlreichekleinere Vorhaben in den noch verbliebenenÜberflutungsgebieten der Havel.Ökologische Belange spielten danach fastkeine Rolle. Lediglich Teile des verbliebenen

    Abb. 6Rauminhalt der Unteren Havel-niederung 1967 und 2002Die Teilwerte Deichvorland undFlutungspolder beziehen sich auf2002.

    Abb. 7 – 9Aufnahmekapazitäten der Unteren Havelniederung 1967 und 2002 bei unterschiedlichen Anfangswasserständen an der Wehrgruppe Quitzöbel(HW5 ≈ 25,0 m ü. NN / HW10 ≈ 25,2 m ü. NN/HW20 ≈ 25,4 m ü. NN/HW50 ≈ 25,6 m ü. NN/HW100 ≈ 25,8 m ü. NN) und einer maximalenFlutungshöhe von: 7 – 26,40 m ü. NN, 8 – 26,60 m ü. NN, 9 – 26,80 m ü. NN

    Abb. 5Überflutungsflächen in der Unte-ren Havelniederung 1967 und2002 (ohne Flutungspolder).

  • R. BUCHTA: HOCHWASSERSCHUTZ UND LANDNUTZUNG IN DER UNTEREN HAVELNIEDERUNG 83

    Havelschlauches wurden in den 70er Jahrenzum Feuchtgebiet nationaler, bzw. interna-tionaler Bedeutung gemäß Ramsar-Konven-tion und auch als EU-Vogelschutzgebietdurch die DDR gemeldet. Erst mit der Siche-rung großer Naturschutzgebiete entlang derUnteren Havel im Jahre 1990 endete dieschrittweise Entwässerung weiterer Gebieteendgültig. Heute unterliegen der gesamteHavelschlauch sowie einige Flutungspoldereinem Status innerhalb des europäischenSchutzgebietssystems Natura 2000 und be-finden sich als NSG im fortgeschrittenen Aus-weisungsverfahren. Das gesamte Schutzge-bietssystem unterliegt einem Verschlechte-rungsverbot bezüglich seines ökologischenZustandes.Zudem gibt es seit der Elbe-Erklärung vom5.9.1996 Bestrebungen zur Entwicklung na-turnaher Strukturen in der Unteren Havel.Im Rahmen dieser Erklärung wurde zwischenden Naturschutzorganisationen NABU, WWF,BUND und EURONATUR sowie dem Bun-desverkehrsminister vereinbart, die UntereHavelwasserstraße zwischen dem WehrBahnitz und der Havelmündung aufzugebenund einer Renaturierung zuzuführen. Vor-planungen wurden seit dem Juni 2000 durchdas Land Brandenburg (Landesanstalt fürGroßschutzgebiete) initiiert. Den Zeitplan re-gelt eine im April 2001 getroffene Vereinba-rung auf der Ebene der Länder Brandenburgund Sachsen-Anhalt, die unter Einbeziehungdes Bundesumweltministers, des Bundesver-kehrsministers und der Anliegerlandkreisezustande kam. Der Koalitionsvertrag 2002zwischen SPD und Bündnis 90/Die Grünenauf Bundesebene erhärtet diese Bestrebun-gen und stellt fest, dass die Untere Havel-wasserstraße bereits vor 2006 entwidmetund die Bemühungen zur Renaturierung be-schleunigt werden sollen.Das gesellschaftliche Schwergewicht der Nut-zungsansprüche für die Havel und Teile derHavelniederung liegt damit aktuell beim Er-halt und Schutz des Naturraumes sowie einerangepassten Erholungsnutzung. Außerdembesteht für den Havelschlauch und die Flu-tungspolder ein Vorrang für den Hochwas-serschutz. Landwirtschaftliche Nutzungsin-teressen stehen allerdings immer noch imKonflikt zu diesen Schutzbemühungen sowieden wasserwirtschaftlichen Vorrangnutzun-gen und Zielen. Insbesondere die unange-passten Nutzungen in den Flutungspoldernhaben die erheblichen Güteprobleme im Au-gust 2002 mit verursacht.Der Nutzungskonflikt muss unter diesen ge-änderten Rahmenbedingungen neu bewertetwerden. Eine Anpassung der Landnutzungan die Bedingungen einer Überflutung undeine Ökologisierung der Flutungskonzeptionsind erste Voraussetzung.

    4 Schlussfolgerungen

    Aus ökologischer Sicht sind aus dem Som-merhochwasser 2002 für das Gebiet der Un-teren Havelniederung folgende Lehren zuziehen:

    1 In die Flutungskonzeption sind klareHandlungsvorgaben zur Vermeidung vonGewässergüteproblemen infolge einer ge-steuerten Elbscheitelkappung aufzuneh-men. Neben der Berechnung der Flutungs-und Entleerungsszenarien sind Gewäs-sergütemodellierungen vorzunehmen undin die Entscheidungen der Sonderein-satzleitung einzubeziehen. Die Sonder-einsatzleitung und ihr Beraterstab sinddurch Gewässerökologen zu ergänzen.

    2 Die Flächennutzung in den Flutungspol-dern muss an eine Überflutung ange-passt werden. Dazu ist die Wieder-etablierung von Überflutungsgrünlandzu erreichen. Weiterhin sollten künftigkleinere Elbe-Hochwasser (mindestensbis 25,0 m ü. NN am Pegel Havelberg)wieder ungehindert über das Wehr Neu-werben in die Havelniederung und dieFlutungspolder hineinströmen können,um die Grünlandgesellschaften an eineregelmäßige Vernässung zu „gewöh-nen“. Die Anpassung der Flächennut-zung ist eine Schlüsselaufgabe, da nurdadurch künftig Gewässergüteproble-me, ökonomische und ökologische Schä-den vermieden werden können undgleichzeitig auch der ökonomischeDruck auf die Sondereinsatzleitung ver-mindert wird.

    3 Über die Erhöhung des Flutungsvolu-mens sollte ebenfalls nachgedacht wer-den, ohne dabei ökologische Aspekte zuvernachlässigen. Die Erweiterung desÜberflutungsgebietes auf die Grenzenvon 1967 und auch die Erhöhung derFlutungszielwasserstände bis 26,80 m ü. NN sind hier die effektivsten Mittel.Bei Einbeziehung dieser erheblichen bis-her ungenutzten Potenziale könnte aufdie Vorhaltung von kostspieligen Flu-tungspoldern sogar verzichtet werden.Die Flutung selbst könnte mit der Wehr-gruppe Quitzöbel auch weiterhin ge-steuert werden, ohne dass das Systeman Wirksamkeit verlieren würde oderökologische Nachteile hingenommenwerden müssten.

    4 Eine gezielte Flutung der Flächen bismindestens 25,00 m ü. NN am PegelHavelberg ist aus ökologischer Sicht, be-züglich der Gewässergüte und aus Kos-tengründen wünschenswert. Auch istdavon auszugehen, dass eine Unter-schreitung dieser Wasserstände im Flu-tungsfall ohnehin nur theoretisch inte-ressant ist. Die Verminderung der Auf-nahmekapazität durch diese „Vorbelas-tung“ würde maximal 30 hm3 betragen(Konstruktion aus BLAU & THOMSEN1967, FRÖHLICH 1999). Sie ist, auch an-gesichts der erheblichen ungenutztenPotenziale und der 2002 nicht einmal inAnspruch genommenen vorhandenenMöglichkeiten, unerheblich.

    5 Das Elbe-Hochwasser vom August 2002hat deutlich gemacht, dass eine optimaleAnpassung der Landnutzung an die Ver-hältnisse des Überflutungsregimes derHavel zwingend notwendig ist. Dieses

    Kriterium erfüllen die Schutzgebiete desNatura-2000-Systems bereits heute. Dieumgehende Festsetzung der seit 1990im Ausweisungsverfahren befindlichenNSG wäre die logische Konsequenz. DieSchutzgebiete beinhalten das gesamteDeichvorland der Havel und Teile derPolder Große Grabenniederung undFlöthgraben. Die zügige Festsetzung deroben genannten NSG wäre ein ersterSchritt zur dauerhaften Sicherung einerflussangepassten Nutzung wesentlicherTeile der Niederung.

    Zur Umsetzung der genannten 5 Punkte isteine neue Flutungskonzeption mit veränder-ten Schwerpunkten erforderlich. Die Neu-ausrichtung sollte sich an den Zielen kosten-günstigen Hochwasserschutzes mit Elbschei-telkappung über die Wehrgruppe Quitzöbel,nach Möglichkeit unter Nutzung der bishernicht genutzten Potenziale und einer Ver-besserung der ökologischen Situation in deninternational bedeutsamen Schutzgebietender Unteren Havelniederung orientieren.Die Landnutzung im Niederungsgebiet mussdiesen Zielen sowohl in den Schutzgebietenals außerhalb dieser untergeordnet werden.Dazu bedarf es neuer Instrumente der be-trieblichen Umstrukturierung und der Flä-chenbeihilfe in der Landwirtschaft.

    5 Unterstützung der Regeneration

    Die Untere Havel ist ein stark ausgebauterund vollständig stauregulierter Fluss. DieserUmstand vermindert das Eigenregenerations-vermögen, insbesondere dann, wenn höherenatürliche Frühjahrshochwässer der Elbe mitRückstau in die Havelniederung ausbleiben.Außerdem behindern die zahlreichen Stau-stufen die Zuwanderung von Organismenaus intakten Gewässerabschnitten. Zur schnellen Regeneration des nach derAusstickung zoologisch degradierten 40 kmlangen Flussabschnittes wird deshalb vomAutor vorgeschlagen:1 die Wiederherstellung einer gesteuerten

    Mündungsdynamik als Sofortmaßnahme.Gemeint ist die Einstellung des StauzielesHavelberg über das Wehr Neuwerbenund die Zulassung einer Stauzielschwan-kung innerhalb eines vorgegebenenRahmens. Der wesentliche Vorteil diesesVerfahrens ist ein weitgehend ungestau-tes Einströmen von Havelwasser in dieElbe bzw. auch umgekehrt. Damit wirdein kleineres natürliches Hochwasser imHavelmündungsgebiet (mit Wirkung biszum Wehr Garz bzw. den Gülper See)und die Fischwanderung ermöglicht.Diese beiden Vorteile prädestinieren die-se Maßnahme geradezu für eine schnel-le Erholung der Fischbestände im ge-schädigten Abschnitt.Das Frühjahrshochwasser 2002 hatte ei-nen Höchststand von ca. 350 cm (25,07 mü. NN) am Pegel Havelberg, ohne dasses zu Beeinträchtigungen kam. Begrenztman die „natürliche“ Mündungsdyna-

  • 84 NATURSCHUTZ UND LANDSCHAFTSPFLEGE IN BRANDENBURG 12 (3) 2003

    geforderte Anpassung der Landwirtschaft anneue Verhältnisse in der Überflutungsaueaußerhalb der Naturschutzgebiete eine bis-her nicht finanzierbare Extensivierung. Es isterkennbar, dass erheblicher Handlungsbe-darf bei der Rahmengesetzgebung und derBereitstellung angepasster Förderprogrammebesteht.Praktisch bedeutet eine Nutzungsanpassung,dass künftig eine nach Eintrittswahrschein-lichkeit einer natürlichen Überflutung ge-stufte Nutzung auf den Flächen erfolgenmuss. Da im Flutungsfall ein Zielwasserstandvon 26,40 m ü. NN erreicht werden soll,muss künftig eine Ackernutzung unterhalbdieser Höhe möglichst ausgeschlossen wer-den. Die Bewirtschaftung des Grünlandesmuss von den natürlichen Überflutungshäu-figkeiten abhängig gemacht werden. Grund-sätzlich sollen die Überflutungsflächen alssehr extensiv genutztes Dauergrünland ohnebzw. nur mit äußerst geringer Düngung be-wirtschaftet werden. Dies hat vor allem auchGründe in der Beeinflussung der Gewässer-güte, insbesondere im Flutungsfall. Exempla-risch kann in Tabelle 1 für den Bereich Garz-Unterpegel (Zeitreihe 1967 bis 1995) einsehr grober Bewirtschaftungsvorschlag ent-nommen werden, wobei vorausgesetzt wird,dass der Untergrund anorganisch ist und diemaximale Flutungshöhe 26,40 m ü. NN be-trägt.Es sollte sichergestellt werden, dass alle Flä-chen unterhalb 26,40 m ü. NN wieder an die

    natürliche Überflutungsdynamik der UnterenHavel angeschlossen und von einer Grün-landerneuerung ausgeschlossen werden, umstandorttypische Pflanzengesellschaften zufördern.Ein erster Schritt könnte die Zusammen-legung und Extensivierung von Grünland inden tiefen Lagen der Polder sein. Dazu sindFlurbereinigungsverfahren geeignet.

    Literatur BLAU; THOMSEN 1967: Bericht über die Ermittlung derSpeicherfähigkeit der Havelniederung unterhalb Ra-thenow. Forschungsanstalt für Schiffahrt Wasser- undGrundbau Berlin im Auftr. WasserwirtschaftsdirektionHavel. FRÖHLICH, W. 1999: Analyse der hydrologischen Aspek-te der Entstehung von Hochwasser an der Havel undderen Vorhersage. Bundesanstalt für Gewässerkunde.49 S.KENDALL, L. R. 1997: Corrections of and Additions toPublished Amer. Soc. Books Fisheries 22 (12): 21-22RAT DES BEZIRKES POTSDAM 1990: Beschluß-Nr. 0005/90vom 17.01.1990 – Beschluß zu Hochwassergebietenim Bezirk Potsdam UHLEMANN, H.-J. 1987: Berlin und die Märkischen Was-serstraßen. Transpress VEB Verlag für VerkehrswesenBerlin. 212 S.

    Anschrift des Verfassers:Rocco BuchtaNaturpark WesthavellandDorfstraße 5OT Parey14715 Havelaue

    Abb. 10Vorschlag für einegeänderte Stauhal-tung an der Havel-mündungDie Wirkung wäreeine weitgehendeDurchwanderbar-keit der Havelmün-dung für Fischeund eine regelmä-ßigere Überflutungder Havelwiesenbis Garz bzw. bis inden Gülper See.

    mik so wie in Abb. 10 dargestellt, dannwürde man berechenbare Verhältnissebehalten und dennoch entscheidendeVoraussetzungen für eine schnelleWiederbesiedlung der Unteren Havelmit Wassertieren schaffen.

    2 Außerdem ließe sich mit etwa 4 Mio. €die biologische Durchgängigkeit in derUnteren Havel zwischen Brandenburgund der Mündung innerhalb von 3 Jah-ren wieder herstellen. Die Realisierungkönnte durch die Länder und dieBundeswasserstraßenverwaltung in Zu-sammenarbeit, die Finanzierung eben-falls aus dem Katastrophenhilfsfonds, er-folgen. Die Maßnahme verbessert dieZuwanderungsmöglichkeiten für Wasser-tiere in die geschädigten Flussabschnitteund begünstigt so die Regenerierung.Die Realisierung sollte nach Möglichkeitvon der Mündung her erfolgen, da dasgrößere Wiederbesiedlungspotenzial inder Elbe zu erwarten ist.

    6 Spezielle Fragestellungender Landnutzung

    Das Sommerhochwasser 2002 und das an-schließende Fischsterben haben zu einerbundesweiten öffentlichen Diskussion überdie Ackernutzung in Überflutungsflächengeführt, die sich im 5-Punkte-Programm deralten und neuen Bundesregierung wider-spiegelt. Die Notwendigkeit der Anpassungder Flächennutzung wird danach kaum nochbestritten. Tatsächlich war die Ackernutzungin den Flutungspoldern die Hauptursache fürdie Sauerstoffzehrung. Dafür sprechen alleMessergebnisse. Der Druck aus der Regionim Hinblick auf eine schnelle Leerung derPolder und die damit verursachte großflächigeAusstickung der Gewässer der Havelniede-rung führten zu den o. genannten Schäden.Weiterhin entstand durch die Ackernutzungauch der Widerstand gegen die Öffnung derPolder. Nach der Flutung kam es zu hohenSchäden in der Landwirtschaft. Deshalb istdie Notwendigkeit der Anpassung der Flä-chennutzung wohl die zentrale Erkenntnisdes Sommerhochwassers.Auf die ökonomische und soziale Seite einersolchen Anpassung kann hier nicht einge-gangen werden. Es versteht sich aber vonselbst, dass dies nur in enger Abstimmungmit den Betroffenen und bei Kompensationsozioökonomischer Auswirkungen erfolgenkann. Dabei ist zu berücksichtigen, dass dieAuspolderung und Trockenlegung von über25.000 ha Überflutungsfläche im Bereichder Unteren Havelniederung zwischen 1970und 1990 einen bedeutsamen Produktivitäts-zuwachs für die Landwirtschaftsbetriebe mitsich gebracht hatte. Fortschreitende Niedermoorvernutzung underhebliche finanzielle Aufwendungen bei derUnterhaltung und dem Betrieb der wasser-wirtschaftlichen Anlagen sind Begleiterschei-nungen, die diese Art der Produktion unterExtremverhältnissen mindestens überden-kenswert macht. Andererseits bedeutet die

    Tabelle 1: Vorschlag für eine Anpassung der Flächennutzung an Überflutungswahr-scheinlichkeiten für den Bereich Garz bei einer Flutung bis maximal26,40 m ü. NN

    Höhe Überflutung Nutzungsart Düngung

    < 25,40 m ü. NN alle 5 Jahre Mahd nein< 25,60 m ü. NN alle 10 Jahre Mahd/Weide gering < 26,40 m ü. NN Flutungsfall Mahd/Weide mäßig> 26,40 m ü. NN alle 100 Jahre Acker bedarfsgerecht> 27,10 m ü. NN > 100 Jahre Bebauung –

  • NATURSCHUTZ UND LANDSCHAFTSPFLEGE IN BRANDENBURG 12 (3) 2003; 85–91 85

    Zusammenfassung

    Im Biosphärenreservat Flusslandschaft Elbe-Brandenburg werden im Rahmen eines Natur-schutzgroßprojektes 400 ha Überflutungs-aue an der Elbe nahe der Stadt Lenzen wie-der hergestellt. Das Projektgebiet liegt imNordwesten Brandenburgs auf halbem We-ge zwischen Hamburg und Berlin. Kernstückdieses Vorhabens ist die Rückverlegung ei-nes Hochwasserschutzdeiches auf einer Län-ge von 6,5 km bis zu 1,3 km in das Landes-innere. Zugleich wird mit der Revitalisierungvon Auwäldern auf einer Fläche von rund300 ha sowohl durch Initialpflanzungen alsüber spontane Sukzession der Flächenum-fang dieses Biotoptypes an der UnterenMittelelbe verdoppelt. Damit wird ein wich-tiger Beitrag für das europäische Netzwerk„Natura 2000“ geleistet. Wegen der Ent-schärfung der hydraulischen Engstelle des„Bösen Ortes“ und lokalen Effekten zur Sen-kung des Hochwasserscheitels zeigt diesesVorhaben neue Wege im ökologischen Hoch-wasserschutz und das Zusammenwirken vonNaturschutz und Wasserwirtschaft auf. Dargestellt werden die wichtigsten Rahmen-bedingungen dieses Projektes, die umfang-reiche bisherige Vorbereitung seit 1994 inmehreren eigenständigen und aufeinanderaufbauenden Vorhaben und die naturschutz-fachlichen Ziele. Besonders eingegangenwird auf die grundsätzlichen Probleme einessolchen Vorhabens wie Sicherung der lang-fristigen Finanzierung und Verbesserung derAkzeptanz bei der örtlichen Bevölkerung.Die künftige erfolgreiche Umsetzung derDeichrückverlegungen bedarf der Bündelungvon Interessen und der Bildung von lokalenwie überregionalen Allianzen.

    1 Einführung

    Ende August 2002 – die Welle des Sommer-hochwassers hatte den brandenburgischenElbabschnitt noch nicht vollständig passiert –übermittelten Bundesumweltminister J. Trittinund der Präsident des Bundesamtes für

    Abb. 1Übersicht über potenzielle Deichrückverlegungen an der Elbe. Das Projektgebiet in Lenzenist als Nr. 37 hervorgehoben (verändert aus HELMS et al. 2002)

    PIONIERARBEIT IN SACHEN DEICHRÜCKVERLEGUNG AN DER ELBE BEI LENZEN – ERSTMALS WIRD EIN GROSSES PILOTVORHABEN MIT SCHWERPUNKT ZUR SCHAFFUNG VON AUWÄLDERNUND ÜBERFLUTUNGSFLÄCHEN UMGESETZT.

    FRANK NEUSCHULZ, JOCHEN PURPS

    Auenregeneration durch Deichrückverlegung – ein Naturschutzprojekt an der Elbe bei Lenzen mit Pilotfunktion für einen vorbeugenden Hochwasserschutz

    Schlagwörter: Auenregeneration, Deichrückverlegung, Naturschutzgroßprojekt, Hochwasserschutz,Biotopmanagement

  • 86 NATURSCHUTZ UND LANDSCHAFTSPFLEGE IN BRANDENBURG 12 (3) 2003

    Naturschutz, Professor H. Vogtmann, dasSchreiben zur Mittelverteilung für das Na-turschutzgroßprojekt „Lenzener Elbtalaue“.Damit war der Startschuss für das Projekt zurUmsetzung einer großräumigen Rückverle-gung eines Hochwasserschutzdeiches an derElbe bei Lenzen gefallen (Lage s. Abb. 1).Über 400 ha Überflutungsaue sollen wiederhergestellt werden (Abb. 2). Was aufAußenstehende zu diesem Zeitpunkt – in derDramatik des „Jahrhunderthochwassers“ –wie ein politischer Schnellschuss gewirkt habenmag, war tatsächlich erst durch mehrjährigeVorarbeiten möglich geworden.Die Schaffung zusätzlicher Überschwem-mungsräume entlang der großen Fließge-wässer aus Gründen des Hochwasserschut-zes und Naturschutzes hatte bereits vor demElbhochwasser sehr hohe umweltpolitischePriorität. Die Realisierung solcher Projekte istangesichts der zu lösenden vielschichtigenProbleme allerdings sehr anspruchsvoll underfordert trotz zunehmender positiver politi-scher Willensbildung Ausdauer und einenlangen Atem der Akteure. Dies soll anhandder Erfahrungen in der Vorbereitung desLenzener Projektes belegt und diskutiertwerden.

    2 Die Projekt-voraussetzungen am Standort Lenzen

    Während des Elbhochwassers 2002 hatteder „Böse Ort“ bei Lenzen als besondereGefahrenstelle (Abb. 3) eine breite Aufmerk-samkeit in den Medien gefunden. Das Fluss-bett der Elbe verläuft an dieser Stelle in ei-nem außergewöhnlich scharfen Knick vonnahezu 90 Grad; die Deiche schnüren hierden Fluss bei Hochwasser besonders ein: DerÜberflutungsraum zwischen den Deichenschwindet im Verlauf des „Bösen Ortes“ von1.100 auf 400 m, wodurch hydraulisch dieWirkung eines Flaschenhalses entsteht (vgl.Abb. 4). Auf diese hydraulische Gefahren-stelle hatte die ELBSTROMVERWALTUNG (1898)bereits vor 100 Jahren ausdrücklich in „DerElbstrom“ hingewiesen. Doch bereits seiner-zeit ist der Vorschlag, den Deich an dieserStelle zurückzuverlegen, mit dem Hinweiskommentiert worden, „dafür fehle den Deich-verbänden das notwendige Geld“. 1963 führten Modelluntersuchungen eben-falls zur Empfehlungen einer Deichrückverle-gung, deren Realisierung jedoch am Grenz-gebietsstatus (im Projektgebiet verlief dieinnerdeutsche Grenze) und aus Kapazitäts-gründen des Deichbaus scheiterte (Kalfak,mdl. Mitt.)Nach der politischen Wende Anfang der1990er Jahre formulierte die Verwaltung desheutigen Biosphärenreservates Flussland-schaft Elbe eine um ökologische Aspekte er-weiterte Projektidee: Mit der Rückverlegung des Elbdeiches zwi-schen „Bösem Ort“ und Lenzen sollte nichtnur eine hydraulische Engstelle beseitigtwerden, sondern eine möglichst große Re-tentionsfläche und ein aus landschaftsökolo-

    Abb. 2Karte des Projektgebietes mit neuer Deichlinie, Lage der Schlitze im Altdeich und bereitsvorhandene Auenwald-Neuanlagen

    Abb. 3Deichverteidigung am „Bösen Ort“ bei Lenzen während des Elbehochwassers 2002, zeitweiligwaren hier über 1.000 Personen eingesetzt. Foto: F. Neuschulz

    Abb. 4Der „Böse Ort“ mit Blickrichtung nach Südosten (stromaufwärts), am Bildrand rechts dieOrtslage Schnackenburg in Niedersachsen Foto: J. Purps

  • F. NEUSCHULZ, J. PURPS: AUENREGENERATION DURCH DEICHRÜCKVERLEGUNG – EIN NATURSCHUTZPROJEKT AN DER ELBE BEI LENZEN 87

    gischer Sicht wertvoller Auenüberflutungs-raum entstehen. In diesen neu formuliertenZielkatalog wurde zusätzlich die Revitalisie-rung der ehemals im Elbtal weit verbreitetenAuenwälder aufgenommen. Der Flächenanteildieser Wälder entlang der großen Fließge-wässer hatte im Verlauf der vergangenenJahrhunderte aufgrund des starken Sied-lungs- und Nutzungsdrucks dramatisch ab-genommen. Heute sind an der Elbe nördlichMagdeburgs nur noch wenige Restbeständevorhanden.Dass das Potenzial für die Auwaldwiederher-stellung zwischen „Bösem Ort“ und Lenzenhoch ist, zeigen historische Karten, die andieser Stelle die Existenz des letzten großenAuwaldes der Prignitz, der Lenzener Kuh-blank, bezeugen (Abb. 5). Dieser Auwaldwar Anfang des 19. Jahrhunderts aus Geld-not der Stadt Lenzen der Axt zum Opfer ge-fallen (vgl. KÖHNLEIN 1996). Heute wird der Projektraum nahezu aufganzer Fläche von extensiver Gründlandbe-wirtschaftung geprägt und ist frei von jeg-lichen Siedlungen (Abb. 6). Diese Rahmen-bedingungen sind aus sozioökonomischerSicht besonders günstig für die Projektum-setzung (vgl. NEUBERT et al. 2001). Vorteilhaft für den Zeitpunkt der Deichrück-verlegung wirkt sich ferner aus, dass zwi-schen 1995 bis 2006 die brandenburgischenElbdeiche ohnehin saniert und mit einer Er-höhung und Verbreiterung an einen neuenBemessungswasserstand angepasst werden.Der Deichabschnitt in Lenzen ist mit Blickauf die Deichrückverlegung noch nicht sa-niert worden, damit die entsprechendenGeldmittel stattdessen anteilig in die Finan-zierung des Deichneubaus auf rückverlegterTrasse einfließen können.

    3 Bisherige Projektphasen

    Um die gesteckten Ziele realisieren zu können,konzipierte die Landesanstalt für Groß-schutzgebiete (LAGS) seit 1994 vorbereiten-de Projekte, die inhaltlich aufeinander auf-bauten und zum Teil zeitlich parallel umge-setzt wurden. Dazu zählen• ein EU-Life-Projekt „Brandenburgische

    Elbtalaue“ (Laufzeit 1994 bis 98, Investi-tionssumme sechs Mio. DM, vor allemfür Flächenerwerb (ca. 550 ha), ersteAuwaldinitialisierungen und Vorplanun-gen (vgl. NEUSCHULZ & LILJE 1997);

    • ein Forschungsvorhaben im Rahmen desForschungsschwerpunktes „Elbe-Ökolo-gie“, gefördert durch das Bundesministe-rium für Bildung und Forschung (BMBF),Laufzeit 1996 bis 2000, mit einem Finanz-volumen von 3,8 Mio. DM, Forschungenund Variantenuntersuchungen durch in-terdisziplinären Forschungsverbund;

    • kontinuierliche fachliche Begleitung so-wie Förderung projektrelevanter Vorha-ben zur Akzeptanzgewinnung in der Re-gion durch die LAGS (s. u.)

    • Einleitung eines Bodenordnungsverfah-rens (Laufzeit 2000 bis voraussichtlich2006) durch das Amt für ländliche Ent-

    wicklung Neuruppin zur Zusammenfüh-rung der im Landesbesitz befindlichenFlächen;

    • Bewilligung des Naturschutzgroßprojek-tes „Lenzener Elbtalaue“ durch das Bun-desamt für Naturschutz zur Umsetzungder Deichrückverlegung (2002 bis 2007).

    3.1 Flächenerwerb (EU-Life-Projekt) undBodenordnungsverfahren

    Wichtig war der frühzeitige Beginn des Flä-chenerwerbs im EU-Life-Projekt. Das Pro-jektgebiet befand sich in 1994 in der Hand

    von weit über 100 privaten Grundeigen-tümern. Nach anfänglich zurückhaltenderVerkaufsbereitschaft war es nach vielen Ein-zelgesprächen möglich, etwa die Hälfte derFlurstücke im Projektgebiet bereits lagerich-tig in Landesbesitz zu überführen. Für dieübrigen Flurstücke in der Hand nicht ver-kaufsbereiter Eigentümer mussten außerhalbdes Projektgebietes in räumlicher NäheTauschflächen gekauft werden. Der Land-tausch wird über das Bodenordnungsverfah-ren „Lenzen/Elbtalaue“ abgewickelt (2000bis ca. 2006). Dieses Verfahren war gemein-sam von landwirtschaftlichen Nutzern und

    Abb. 5Die Lenzener Kuhblank in historischer Darstellung der Kurhannoverschen Landesaufnahme1775. Nachdruck: Niedersächsisches Landesverwaltungsamt, Landesvermessung Hannover 1961

    Abb. 6Blick auf das von Grünlandnutzung geprägte Projektgebiet mit geplanter neuer Deichtrasse(rote Linie). Im Bildhintergrund die Stadt Lenzen mit Burganlage (Markierung mit Pfeil).

    Foto: J. Purps

  • 88 NATURSCHUTZ UND LANDSCHAFTSPFLEGE IN BRANDENBURG 12 (3) 2003

    der LAGS beantragt worden. Es dient alsvereinfachtes Flurbereinigungsverfahren nach§ 86 Flurbereinigungsgesetz neben der Ver-besserung der Agrarstruktur durch Zusammen-legung von Splitterbesitz und Arrondierung der landwirtschaftlichen Bewirtschaftungs-einheiten ausdrücklich der Landbereitstel-lung für die Elbdeichrückverlegung und derSchaffung eines Auwaldes. Ohne das Instru-ment der Bodenordnung wäre die Verfüg-barkeit über ein mehrere hundert ha großeszusammenhängendes Gebiet in ehemaligemprivaten Splitterbesitz nicht zu sichern. Rund9 Jahre nach Beginn des Flächenkaufes wirddie erforderliche Fläche nach so genanntervorzeitiger Besitzeinweisung voraussichtlich2004 zur Verfügung stehen.

    3.2 Auwaldinitialisierung

    Im Rahmen des o. g. EU-Life-Projektes sindauf ca. 70 ha Fläche Auenwälder im zukünf-tigen Überflutungsgebiet neu angelegt wor-den. Weil die spontane Wiederbesiedlungdes Gründlandes durch Gehölze nur sehrlangsam und in säkularen Zeiträumen zu er-warten ist (Hauptgründe: schwacher Samen-druck aufgrund großflächig fehlender Alt-bäume, hoher Fraßdruck auf Jungpflanzendurch Mäuse und Rehe, starke Wasserkon-kurrenz für junge Gehölze durch die vorhan-dene Vegetation), ist grundsätzlich für einekünstliche Unterstützung der natürlichen Suk-zession entschieden worden. Gepflanzt wurdein relativ geringen Pflanzdichten von 1.000bis 2.000 Pflanzen/ha unter Belassung größe-rer „Lücken“ für spontane Gehölzverjüngungund möglichst in truppförmigen Pflanzver-bänden zur Vermeidung schematischer (rei-henförmiger) Pflanzmuster. Um die Verwendung von autochthonemGehölzvermehrungsgut mit möglichst guterAnpassung an stark schwankende Wasser-stände zu gewährleisten, wurde eine lokaleBaumschule gegründet. Diese zieht bevorz