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O. Schwandner Abteilung für Proktologie, Regensburger Enddarmzentrum, Krankenhaus Barmherzige Brüder Regensburg, Regensburg Langzeitwirkung der  Sakralnervenstimulationstherapie  bei chronischer Stuhlinkontinenz Fragestellung und Hintergrund. Bislang sind nur begrenzt Daten zu den Lang- zeiterfolgen der Sakralnervenstimula- tion (SNS) oder Sakralneuromodulation bei schwerer Stuhlinkontinenz publiziert worden. Ziel dieser Studie war die Unter- suchung der Ergebnisse der SNS mittels genauer Messinstrumente und Daten- sammlungen, mit Fokus auf die Lang- zeitwirkungen dieser Therapie. Es wur- den Daten über 5 Jahre analysiert. Die Pa- tienten dieser multizentrischen, prospek- tiven Studie über Stuhlinkontinenz wur- den nach 3, 6 und 12 Monaten beurteilt sowie danach jährlich nach der Implanta- tion des Geräts. Patienten und Methodik. Ausgewählt wurden Patienten mit chronischer Stuh- linkontinenz, bei denen eine konservative Behandlung erfolglos geblieben war oder die keine Kandidaten für weitere konser- vative Behandlungen waren. Patienten mit ≥50% Verbesserung im Vergleich zum Be- ginn in Bezug auf die Stuhlinkontinenze- pisoden pro Woche während eines 14-tä- gigen Teststimulationszeitraums erhiel- ten eine SNS. Die Patienten wurden mit einem 14-tägigen Darmtagebuch und den Fragebögen des Fecal Incontinence Quali- ty of Life und des Fecal Incontinence Seve- rity Index untersucht. Der Behandlungs- erfolg war als ≥50% Verbesserung gegenü- ber dem Anfang bei den Stuhlinkontinen- zepisoden pro Woche definiert. Alle nega- tiven Ereignisse wurden dokumentiert. Ergebnisse. Bei insgesamt 120 Patienten (110 Frauen; mittleres Alter: 60,5 Jahre) wurde eine Implantation vorgenommen. Die Grundlage für diese Studie bilden 76 dieser Patienten (63%), die im Minimum 5 Jahre (Maximum >8 Jahre) nachverfolgt wurden. Die Stuhlinkontinenzepisoden pro Woche gingen von einem Mittel von 9,1 am Anfang auf 1,7 nach 5 Jahren zu- rück. Dabei erreichten 89% (n=64/72) der Patienten eine Verbesserung ≥50% (p<0,0001) und 36% (n=26/72) sogar eine vollständige Kontinenz. Die Fecal Incont- inence Quality of Life Scores verbesserten sich ebenfalls signifikant für alle 4 Kate- gorien zwischen dem Anfang und nach 5 Jahren (n=70; p<0,0001). Bei 27 der 76 (35,5%) Patienten war eine Korrektur, ein Ersatz oder eine Explantation des Geräts notwendig. Schlussfolgerung. Der Behandlungs- erfolg und die verbesserte Lebensquali- tät bei Stuhlinkontinenz wird 5 Jahre und länger nach der Implantation der SNS auf- rechterhalten. Die Rate für Revision, Er- satz oder Explantation war akzeptabel, je- doch sollten zukünftige Anstrengungen eine weitere Verbesserung zum Ziel ha- ben. Kommentar Die prospektive Multizenterstudie zeigt eindrücklich, dass die SNS ein effek- tives und sicheres Verfahren zur Behand- lung der Stuhlinkontinenz im Langzeit- verlauf darstellt. Anhand standardisier- ter Ein- und Ausschlusskriterien und von der amerikanischen Food and Drug Ad- ministration (FDA) geprüfter Studien- protokolle konnte bei 76 von 120 Pati- enten (63%) im Rahmen des Langzeit- Follow-up (5 Jahre) gezeigt werden, dass die SNS einen positiven Einfluss auf die Symptomverbesserung hinsichtlich der Stuhlinkontinenz und der Lebensquali- tät hat. 36% der Patienten erreichen so- gar eine komplette Kontinenz. Interes- sant bleibt anzumerken, dass die Testpha- se nur 14 Tage betrug. Darüber hinaus war bei 27 der 76 Patienten mit 5-Jahres-Fol- low-up (35,5%) eine Schrittmacherrevisi- on, ein Ersatz oder eine Explantation not- wendig. Insgesamt waren unerwünschte Ereignisse jedoch meist konservativ be- herrschbar, wobei Schmerzen im Bereich des Schrittmachers und Parästhesien die häufigsten unerwünschten Ereignisse dar- stellten und septische Komplikationen sel- ten waren. Die vorgestellten Langzeitresultate de- cken sich mit den Erfahrungen der Mul- tizenterstudie, die bereits 2011 publi- ziert wurden (3-Jahres-Follow-up; [1]), so dass der einzig wesentliche Informa- tionsgewinn dieser Publikation im Ver- gleich zu den 3-Jahres-Resultaten darin besteht, dass der Effekt der SNS dauer- haft und auch bei Patienten mit mehr als 5 Jahren Nachbeobachtungszeit konstant bleibt. Andere Autoren bestätigen die po- sitiven funktionellen Ergebnisse der SNS, wobei Maeda et al. [2] über ein „favorab- le outcome“ bei nur 42,6% der Patienten berichten. Während die Langzeitergebnisse der vorgestellten Studie sich noch darauf be- ziehen, dass die Indikation zur SNS ein Originalpublikation Hull T, Giese C, Wexner S et al (2013) Long- term durability of sacral nerve stimulation therapy for chronic fecal incontinence. Dis Colon Rectum 56:234–245 coloproctology 2014 DOI 10.1007/s00053-014-0465-6 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014 1 coloproctology 2014| Journal Club

Langzeitwirkung der Sakralnervenstimulationstherapie bei chronischer Stuhlinkontinenz; Long-term durability of sacral nerve stimulation therapy for chronic fecal incontinence;

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Page 1: Langzeitwirkung der Sakralnervenstimulationstherapie bei chronischer Stuhlinkontinenz; Long-term durability of sacral nerve stimulation therapy for chronic fecal incontinence;

O. SchwandnerAbteilung für Proktologie, Regensburger Enddarmzentrum, Krankenhaus

Barmherzige Brüder Regensburg, Regensburg

Langzeitwirkung der Sakralnervenstimulationstherapie bei chronischer Stuhlinkontinenz

Fragestellung und Hintergrund. Bislang sind nur begrenzt Daten zu den Lang-zeiterfolgen der Sakralnervenstimula-tion (SNS) oder Sakralneuromodulation bei schwerer Stuhlinkontinenz publiziert worden. Ziel dieser Studie war die Unter-suchung der Ergebnisse der SNS mittels genauer Messinstrumente und Daten-sammlungen, mit Fokus auf die Lang-zeitwirkungen dieser Therapie. Es wur-den Daten über 5 Jahre analysiert. Die Pa-tienten dieser multizentrischen, prospek-tiven Studie über Stuhlinkontinenz wur-den nach 3, 6 und 12 Monaten beurteilt sowie danach jährlich nach der Implanta-tion des Geräts.

Patienten und Methodik. Ausgewählt wurden Patienten mit chronischer Stuh-linkontinenz, bei denen eine konservative Behandlung erfolglos geblieben war oder die keine Kandidaten für weitere konser-vative Behandlungen waren. Patienten mit ≥50% Verbesserung im Vergleich zum Be-ginn in Bezug auf die Stuhlinkontinenze-pisoden pro Woche während eines 14-tä-gigen Teststimulationszeitraums erhiel-ten eine SNS. Die Patienten wurden mit einem 14-tägigen Darmtagebuch und den Fragebögen des Fecal Incontinence Quali-ty of Life und des Fecal Incontinence Seve-rity Index untersucht. Der Behandlungs-erfolg war als ≥50% Verbesserung gegenü-ber dem Anfang bei den Stuhlinkontinen-

zepisoden pro Woche definiert. Alle nega-tiven Ereignisse wurden dokumentiert.

Ergebnisse. Bei insgesamt 120 Patienten (110 Frauen; mittleres Alter: 60,5 Jahre) wurde eine Implantation vorgenommen. Die Grundlage für diese Studie bilden 76 dieser Patienten (63%), die im Minimum 5 Jahre (Maximum >8 Jahre) nachverfolgt wurden. Die Stuhlinkontinenzepisoden pro Woche gingen von einem Mittel von 9,1 am Anfang auf 1,7 nach 5 Jahren zu-rück. Dabei erreichten 89% (n=64/72) der Patienten eine Verbesserung ≥50% (p<0,0001) und 36% (n=26/72) sogar eine vollständige Kontinenz. Die Fecal Incont-inence Quality of Life Scores verbesserten sich ebenfalls signifikant für alle 4 Kate-gorien zwischen dem Anfang und nach 5 Jahren (n=70; p<0,0001). Bei 27 der 76 (35,5%) Patienten war eine Korrektur, ein Ersatz oder eine Explantation des Geräts notwendig.

Schlussfolgerung. Der Behandlungs-erfolg und die verbesserte Lebensquali-tät bei Stuhlinkontinenz wird 5 Jahre und länger nach der Implantation der SNS auf-rechterhalten. Die Rate für Revision, Er-satz oder Explantation war akzeptabel, je-doch sollten zukünftige Anstrengungen eine weitere Verbesserung zum Ziel ha-ben.

Kommentar

Die prospektive Multizenterstudie zeigt eindrücklich, dass die SNS ein effek-tives und sicheres Verfahren zur Behand-lung der Stuhlinkontinenz im Langzeit-verlauf darstellt. Anhand standardisier-

ter Ein- und Ausschlusskriterien und von der amerikanischen Food and Drug Ad-ministration (FDA) geprüfter Studien-protokolle konnte bei 76 von 120 Pati-enten (63%) im Rahmen des Langzeit-Follow-up (5 Jahre) gezeigt werden, dass die SNS einen positiven Einfluss auf die Symptomverbesserung hinsichtlich der Stuhlinkontinenz und der Lebensquali-tät hat. 36% der Patienten erreichen so-gar eine komplette Kontinenz. Interes-sant bleibt anzumerken, dass die Testpha-se nur 14 Tage betrug. Darüber hinaus war bei 27 der 76 Patienten mit 5-Jahres-Fol-low-up (35,5%) eine Schrittmacherrevisi-on, ein Ersatz oder eine Explantation not-wendig. Insgesamt waren unerwünschte Ereignisse jedoch meist konservativ be-herrschbar, wobei Schmerzen im Bereich des Schrittmachers und Parästhesien die häufigsten unerwünschten Ereignisse dar-stellten und septische Komplikationen sel-ten waren.

Die vorgestellten Langzeitresultate de-cken sich mit den Erfahrungen der Mul-tizenterstudie, die bereits 2011 publi-ziert wurden (3-Jahres-Follow-up; [1]), so dass der einzig wesentliche Informa-tionsgewinn dieser Publikation im Ver-gleich zu den 3-Jahres-Resultaten darin besteht, dass der Effekt der SNS dauer-haft und auch bei Patienten mit mehr als 5 Jahren Nachbeobachtungszeit konstant bleibt. Andere Autoren bestätigen die po-sitiven funktionellen Ergebnisse der SNS, wobei Maeda et al. [2] über ein „favorab-le outcome“ bei nur 42,6% der Patienten berichten.

Während die Langzeitergebnisse der vorgestellten Studie sich noch darauf be-ziehen, dass die Indikation zur SNS ein

Originalpublikation

Hull T, Giese C, Wexner S et al (2013) Long-term durability of sacral nerve stimulation therapy for chronic fecal incontinence. Dis Colon Rectum 56:234–245

coloproctology 2014 DOI 10.1007/s00053-014-0465-6© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014

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Page 2: Langzeitwirkung der Sakralnervenstimulationstherapie bei chronischer Stuhlinkontinenz; Long-term durability of sacral nerve stimulation therapy for chronic fecal incontinence;

morphologisch intaktes Effektorgan vo-raussetzte, wird die Indikation zuneh-mend ausgeweitet, und Kurzzeitergebnis-se bei der Stuhlinkontinenz bei Patienten mit Sphinkterdefekten scheinen eben-falls vielversprechend zu sein [3, 4]. Zu-dem wurde die SNS auch bei Inkontinenz infolge komplexer Beckenbodeninsuffi-zienz, bei „gemischter“ Inkontinenz, bei pelvinen Schmerzsyndromen oder beim „anterioren Resektionssyndrom“ erfolg-reich initiiert [5].

Beeindruckt von der Effektivität der SNS bei Stuhlinkontinenz sollten nun die nächsten „Schritte“ eingeleitet wer-den: Überprüfung der „idealen“ Indikati-on, Festlegung von standardisierten Pro-tokollen (z. B. Dauer der Teststimulati-on), Evaluation bei „neuen“ Symptom-komplexen (z. B. „slow transit constipati-on“). Schließlich bleibt die Frage, ob die ermutigenden Kurzzeitergebnisse der tibi-alen Neurostimulation auch bei längerem Beobachtungszeitraum Bestand haben [6, 7]. Insbesondere erscheint es jedoch not-wendig, die Ätiologie der Stuhlinkonti-nenz in ihrer gesamten Breite objektiver vor der Therapiewahl zu berücksichtigen. Während die „traditionelle“ Sichtweise sich einseitig an der Sphinkterinsuffizienz orientierte, wissen wir heute, dass i. d. R. eine multifaktorielle Genese besteht und Veränderungen der Stuhlkonsistenz, ei-ne Störung der Koordination, eine beein-trächtigte Reservoirfunktion bzw. Sensi-bilität des Rektums, Prolapserkrankungen sowie die Beckenbodeninsuffizienz häufig sind. Nur wenn wir die vielfältigen Ursa-chen und klinischen Ausprägungsformen des Symptoms Stuhlinkontinenz berück-sichtigen, wird die Therapie erfolgreich sein – mit der SNS als festem Bestand-teil, wie die o. g. Langzeitdaten eindrück-lich belegen.

Korrespondenzadresse

Prof. Dr. O. SchwandnerAbteilung für Proktologie, Regensburger Enddarmzentrum, Krankenhaus Barmherzige Brüder RegensburgPrüfeninger Str. 86, 93049 [email protected]

Interessenkonflikt. O. Schwandner gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

Literatur

1. Mellgren A, Wexner SD, Coller JA et al (2011) Long-term efficacy and safety of sacral nerve stimulation for fecal incontinence. Dis Colon Rectum 54:1065–1075

2. Maeda Y, Lundby L, Buntzen S, Laurberg S (2013) Outcome of sacral nerve stimulation for fecal in-continence at 5 years. Ann Surg (Epub ahead of print)

3. Santoro GA, Infantino A, Cancian L et al (2012) Sa-cral nerve stimulation for fecal incontinence rela-ted to external sphincter atrophy. Dis Colon Rec-tum 55:797–805

4. Ratto C, Litta F, Parello A et al (2012) Sacral nerve stimulation in faecal incontinence associated with an anal sphincter lesion: a systematic review. Colo-rectal Dis 14:e297–e304

5. Schwandner O (2013) Sacral neuromodulation for fecal incontinence and „low anterior resection syn-drome“ following neoadjuvant therapy for rectal cancer. Int J Colorectal Dis 28:665–669

6. Thin NN, Horrocks EJ, Hotouras A et al (2013) Sys-tematic review of the clinical effectiveness of neu-romodulation in the treatment of faecal inconti-nence. Br J Surg 100:1430–1447

7. Thomas GP, Dudding TC, Rahbour G et al (2013) A review of posterior tibial nerve stimulation for fae-cal incontinence. Colorectal Dis 15:519–526

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