Lapidot.Fragwürdige Sprache

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  • 7/22/2019 Lapidot.Fragwrdige Sprache

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    XII

    2013

    Vandenhoeck & Ruprecht

    JAHRBUCH DES SIMON-DUBNOW-INSTITUTS

    SIMON DUBNOW INSTITUTE YEARBOOK

    Sonderdruck aus

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    Herausgeber

    Editor

    Dan Diner

    Redaktion

    Manuscript Editor

    Petra Klara Gamke-Breitschopf

    Redaktionsbeirat

    Editorial Advisory Board

    Aleida Assmann, Konstanz Jacob Barnai, Haifa Israel Bartal,

    Jerusalem Omer Bartov, Providence Esther Benbassa, Paris

    Dominique Bourel, Paris Michael Brenner, Mnchen Matti

    Bunzl, Urbana-Champaign Lois Dubin, Northampton, Mass.

    Todd Endelman, Ann Arbor David Engel, New York Shmuel Fei-

    ner, Ramat Gan Norbert Frei, Jena Sander L. Gilman, Atlanta

    Frank Golczewski, Hamburg Michael Graetz, Heidelberg

    Raphael Gross, London/Frankfurt a.M. Heiko Haumann, Basel

    Susannah Heschel, Hanover, N.H. Yosef Kaplan, Jerusalem

    Cilly Kugelmann, Berlin Mark Levene, Southampton Leonid

    Luks, Eichsttt Ezra Mendelsohn, Jerusalem Paul Mendes-Flohr,

    Jerusalem/Chicago Gabriel Motzkin, Jerusalem David N. Myers,

    Los Angeles Jacques Picard, Basel Gertrud Pickhan, Berlin

    Anthony Polonsky, Waltham, Mass. Rene Poznanski, Beer Sheva

    Peter Pulzer, Oxford Monika Richarz, Berlin Manfred Ruders-

    dorf, Leipzig Rachel Salamander, Mnchen Winfried Schulze,

    Mnchen Hannes Siegrist, Leipzig Gerald Stourzh, Wien StefanTroebst, Leipzig Feliks Tych, Warschau Yfaat Weiss, Jerusalem

    Monika Wohlrab-Sahr, Leipzig Moshe Zimmermann, Jerusalem

    Steven J. Zipperstein, Stanford

    Gastherausgeber der Schwerpunkte

    Guest Editors of the Special Issues

    Christhardt HenschelJan Eike Dunkhase

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    Inhalt

    Dan DinerEditorial . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9

    Allgemeiner Teil

    Jrg Schulte,LondonFrom Greek to Hebrew:

    Saul Tchernikhovsky and the Translation of Classical Antiquity . . . . 15

    Yaakov Ariel, Chapel Hill, N. C.From Faith to Faith:Conversions and De-Conversions during the Holocaust . . . . . . . . 37

    Saul Friedlnder,Los Angeles, Calif.Deutungen und Erklrungen:

    Tendenzen der Holocaust-Historiografie . . . . . . . . . . . . . . . 67

    Efrat Gal-Ed,DsseldorfAlltgliche Epiphanie zu Podu Iloaiei Zu Itzik Mangers poetischem Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . 81

    SchwerpunktJuden im Militr

    Verheiung und Erfahrung im 19. und 20. JahrhundertHerausgegeben von Christhardt Henschel

    Christhardt Henschel,LeipzigEinfhrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95

    Nikolaus Buschmann, OldenburgVom Untertanensoldaten zum Brgersoldaten?Zur Transformation militrischer Loyalittsvorstellungen um 1800 . . 105

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    Micha Baczkowski, KrakwIn Treue zu Kaiser und Vaterland Galizische Juden im Militr der Habsburger . . . . . . . . . . . . . . 127

    Franziska Davies,MnchenEine imperiale Armee Juden und Muslime im Dienste des Zaren . . . . . . . . . . . . . . . 151

    Christine G. Krger, GttingenKriege und Integration Deutsche und franzsische Juden im Vergleich . . . . . . . . . . . . 173

    Dietmar Mller,LeipzigErwnschte Soldaten unerwnschte Staatsbrger:Juden und das rumnische Militr (18661942) . . . . . . . . . . . . 195

    Natalia Aleksiun,New York/WarschauAs Citizens and Soldiers:Military Rabbis in the Second Polish Republic . . . . . . . . . . . . 221

    Martin Zckert,MnchenEine Minderheit unter anderen?Die Juden in der tschechoslowakischen Armee . . . . . . . . . . . . 243

    SchwerpunktHebrisch skularisieren

    Anverwandlungen einer heiligen SpracheHerausgegeben von Jan Eike Dunkhase

    Jan Eike Dunkhase,BerlinEinfhrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265

    Elad Lapidot,BerlinFragwrdige Sprache:Zur modernen Phnomenologie der heiligen Zunge . . . . . . . . . . 271

    Jos Martnez Delgado, GranadaSecularization through Arabicization:The Revival of the Hebrew Language in Al-Andalus . . . . . . . . . 299

    6 Inhalt

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    Jan Eike Dunkhase,BerlinLingua, non Scriptura:Spinozas hebrische Skularisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . 319

    Yael Almog,Berkeley, Calif.Sublime Readings:The Aesthetic Bible in Herders Writings on Hebrew Poetry . . . . . . 337

    Reimund Leicht,JerusalemFrhe christliche Hebraistik und Wissenschaft des Judentums:Zwei skulare Konzeptionen der hebrischen Literatur . . . . . . . . 353

    Anat Feinberg,HeidelbergVersuche und Versuchungen:Israelische Gegenwartsliteratur und hebrischer Sprachwandel . . . . 367

    Gelehrtenportrt

    Maja rbai,LeipzigVon der Semitistik zur Islamwissenschaft und zurck Paul Kraus (19041944) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 389

    Dubnowiana

    Polly Zavadivker, Swarthmore, Pa.Reconstructing a Lost Archive:Simon Dubnow and The Black Book of Imperial Russian Jewry.Materials for a History of the War, 19141915 . . . . . . . . . . . . 419

    Aus der Forschung

    Stefan Hofmann,LeipzigBrgerlicher Habitus und jdische Zugehrigkeit:Das Herrnfeld-Theater um 1900 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 445

    Inhalt 7

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    Literaturbericht

    Imanuel Clemens Schmidt,LeipzigAneignung und berschreibung

    Zur Interpretation frhneuzeitlicher christlicher Hebraistik . . . . . . 483

    Abstracts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 517

    Contributors . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 527

    8 Inhalt

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    Elad Lapidot

    Fragwrdige Sprache:

    Zur modernen Phnomenologie der heiligen Zunge

    Sprache und Zunge

    , einLogos habendes Lebewesen. Fr uns, die Aristote-les als einen Anfang unseres Wissens betrachten, stellen diese ihm zuge-schriebenen Worte eine der ersten Wesensbestimmungen des Menschendurch etwas wie Sprache dar. Ist aber Logos auf Altgriechisch tatschlichdasselbe wie Sprache auf Deutsch? Unsere Begegnung mit diesen Wrternwirft Sprachfragen auf. Fhrt doch die bliche bersetzung dieses griechi-schen Ausdrucks in eine andere unserer historischen Wissenssprachen, dasLatein, mit animal rationale den Logos weg von Sprache und hin zu Ver-nunft. Diese Bewegung ist dem Inhalt des Begriffs Logos wohl selbstnicht fremd. Wird Vernunft gegenber Sprache in diesem bergang desWissens zwischen verschiedenen Sprachen bevorzugt, um das Allgemeineals bersprachliches zu bewahren?

    Im aristotelischen Originaltext (Pol. 1.1253a) wird der menschliche (Logos) als Form der Mitteilung jedoch im Unterschied zum rein ani-malischen Laut, (Phon), bestimmt. Was wir das Logische, dasVernnftige nennen, existiert im Logos als mitteilendes Sprechen. In derSprache wird das Vernnftige zwischen den Menschen geteilt. Die Gemein-schaft der Sprache macht die menschliche Einheit aus, die Aristoteles insZentrum seines Textes stellt: die Einheit des Zusammenlebens, des einenHauses, der einen Stadt der Polis. Als sprechende Mit-Teilung, als geteilteRede, liegt die logische Einheit der politischen zugrunde.

    Das paradigmatische politische Projekt einer Stadt fr alle Menschen wie-derum, das einer Kosmopolis, steht an einem anderen Anfang unseres Wis-sens, in einer anderen Sprache. Der Turmbau zu Babel setzt voraus, dass (Gen 11,1), in Luthers Verdeut-schung: dass alle Welt einerlei Zunge und Sprache habe.

    Von Zunge, , so die wrtliche bersetzung von (langue,tongue), beziehungsweise von , wie die Septuaginta das originale (Lippe) wortgetreu bersetzt, spricht Aristoteles an der erwhntenStelle nicht. Er spricht von Sprache () als Begriff fr Sprechen (-

    ) im Allgemeinen. Und wird nicht eben dieses im Griechischen Allge-meine des Logos in den anderssprachigen Begriffen Lippe und Zungeunwiderruflich zersplittert? Scheint doch die universale menschliche Eigen-

    JBDI / DIYB Simon Dubnow Institute Yearbook 12 (2013), 271298.

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    schaft des Sprechens der nicht mehr logischen, vom Logos herrhrenden,der nicht mehr vernnftigen Bestimmung durch den menschlichen Krperberlassen zu werden. Die Universalitt des Sprechens wird durch die allge-meine Bewegung der Lippen ausgedrckt, als , eine Lippe, dieLuft durch den Mund berhaupt aus-drcken lsst. Demgegenber stehendie besonderen Bewegungen der Zunge, welche die Verschiedenheit derAus-Sprache hervorbringen. Auf dieser nicht mehr logischen, sondern reinphysischen und daher unaufhebbaren Verschiedenheit beruht die unvershn-bare Nichteinheit der verschiedenen Sprachen in ihrer Bestimmung alsZungen, i.1

    Die Verschiedenheit der Zungen scheint also der logo-politischen Ein-heit der Sprache entgegenzustehen. Zwar ist die Einheit der Sprache alsZunge mit einer politischen Einheit verbunden. Diese Einheit von Menschenist aber eine solche, die zugleich die unvershnliche Zersplitterung derMenschheit bedeutet. Und ist nicht eben das Babels tragische Lehre? AlsEinheit der Zunge stellt sich schlielich die Einheit des politischen Kollek-tivs, des Volkes, als kollektive Einzelheit dar, die von anderen Vlkerngrundstzlich ver- und geschieden ist: (Gen 10,5), jedes nachseiner Zunge. Einem landlufigen Verstndnis nach schliet die Sprachge-meinschaft die Allgemeinschaft aus.2 Sprache als Zunge wird vom Logisch-

    1 Der Begriff Zunge bezeichnet also ein bestimmtes Sprachsystem im Unterschied zumallgemeinen Phnomen der Sprache. Daher nimmt er im Folgenden eine zentrale Posi-tion ein, wenngleich dies den gelufigen Sprachgebrauch irritieren mag. Es sei jedochdaran erinnert, dass Zunge in dieser Bedeutung im deutschen Sprachsystem kein Neo-logismus ist und noch in der Revidierten Lutherbibel von 1984 vorkommt. Den Rckgriffauf diesen Begriff legt auch die moderne Sprachtheorie als Linguistik nahe, die terminolo-gisch stark von der romanischen lingua geprgt ist. Eine Gelegenheit dazu bietet diebersetzung von Ferdinand de Saussures grundlegender Unterscheidung zwischen lan-gage und langue, wo der letztere Begriff sowohl wrtlich als auch terminologisch demhier angefhrten Begriff von Zunge zu entsprechen scheint. Dieses Wort wird aller-dings von keiner der verschiedenen deutschen bersetzungen dieses Begriffspaars, die

    Tullio de Mauro in seiner kritischen Ausgabe von Ferdinand de Saussures Cours de lin-guistique gnrale erwhnt (hg. von Charles Bally und Albert Schehaye, Paris 2005,423, Anm.68), verwendet. Herman Lommel etwa hat diesen Unterscheid in seiner deut-schen bersetzung von Saussures Buch durch (menschliche) Rede (langage) undSprache (langue) ausgedrckt (Grundfragen der Allgemeinen Sprachwissenschaft, hg.von Charles Bally und Albert Sechehaye, Berlin 1967, 11, Anm.1).

    2 Da die Sprache-Zunge-Problematik hier lediglich die Darstellung einer konkreten Gruppevon Sprachphnomenen einleiten und diese verdeutlichen soll, kann sie an dieser Stelletheoretisch und historisch nicht weiter entwickelt werden. Zu den neuzeitlichen Topoidieser Diskussion zhlen etwa die Frage nach dem Zusammenhang von Sprache undnationeller Geisteskraft bei Wilhelm von Humboldt (ber die Verschiedenheit des

    menschlichen Sprachbaues und ihren Einfluss auf die geistige Entwicklung des Men-schengeschlechts, Berlin 1836, 2) und deren Fortsetzung im 20. Jahrhundert durch dierelativistischen Sprachhypothesen von Franz Boas, Edward Sapir und Benjamin Whorf(die Sapir-Whorf-Hypothese) (siehe hierzu Pieter A. M. Seuren, Sprachwissenschaft

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    Vernnftigen getrennt, das in keiner bestimmten Sprache mehr gesucht wird,sondern nur noch im Bereich einer rein formalen Sprache.3

    Schliet also Aus-Sprache Sprache aus? Luft die tatschlich gespro-chene Sprache dem vernnftigen Logos und damit der Kosmopolis zuwi-

    der? Dass diese Auffassung nicht selbstverstndlich ist, soll im Folgendendadurch geltend gemacht werden, dass eine Gegenauffassung in Erschei-nung gebracht wird. Ein Begriff von logischer Zunge wird hier nicht blohypothetisch entwickelt, sondern als wahrnehmbare Wirklichkeit in konkre-ten zeitgenssischen Sprachphnomenen erkennbar gemacht: dem Israeli-schen, dem Hebrischen, der magischen Sprache und der heiligen Zunge.Diesen Phnomenen entsprechen scheinbar grundverschiedene Sprach- undWeltverstndnisse: das skular-staatliche, das vlkisch-nationale, das mysti-sche und das religise. Sie werden jedoch als unterschiedliche Erscheinun-gen ein und desselben Sprachbegriffs dargestellt, der in ihnen auf unter-schiedliche Weise, auch negativ, seine Bestimmung erlangt. Dabei knnenan dieser Stelle weder alle Erscheinungsweisen dieses Begriffs ausge-schpft noch kann sein Wesen hinreichend dargelegt werden. Im Zentrumsteht seine aktuelle Wirklichkeit. Seine geschichtliche Wirklichkeit, dasheit die Sprachphnomene, in deren Gestalt er schon erschien, wird nurgestreift, seine potenzielle Wirklichkeit, das heit dass, was er sein kann,nur angedeutet. Dabei ist zu beachten, dass das Wirkliche oft nur insofern

    eine Verwirklichung der Mglichkeit ist, als es sie verneint.

    Das Israelische

    So steht auch der erste zu betrachtende Sprachbegriff das Israelische diametral zum gesuchten Begriff der allmenschlichen Zunge. Mit diesem

    Begriff bestimmt sich die Sprache und augenscheinlich trifft dies auf alleVlkerzungen zu nach dem Kollektiv, das sie spricht. Israelisch sei, wiees der Linguist Ghilad Zuckermann in seinem 2008 verffentlichten und in

    des Abendlandes. Eine Ideengeschichte von der Antike bis zur Gegenwart, Stuttgart2001, 142156; Lyle Campbell, The History of Linguistics, in: Mark Aronoff/Janie Rees-Miller (Hgg.), The Handbook of Linguistics, Maldan, Mass./Oxford/Victoria 2006, 97100). Zu erwhnen ist auch Saussures entscheidende Definition von langue als Systemvon Zeichen (Cours de linguistique gnrale, 26), das keine absoluten, nur relative Wertehat und daher keine vernnftige Norm (ebd., 106) kennt.

    3 Einer der wichtigsten Anstze der modernen formalisierten Logik bleibt Gottlob Frege,Begriffsschrift. Eine der arithmetischen nachgebildete Formelsprache des reinen Den-kens, Halle 1879, wo der Philosophie die Aufgabe zugeteilt wird, die Herrschaft desWortes ber den menschlichen Geist zu brechen (ebd., VI).

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    Israel heftig umstrittenen Buch erklrt, die Sprache, die die Israelis spre-chen.4 Dabei will sich diese Benennung aber nicht nach einem Volkskollek-tiv richten, etwa einem historischen Volk Israel. Vielmehr bezieht sie sichauf jene moderne Form des organisierten Zusammenlebens, die den Namen

    Staat Israel trgt. Besagte Israelis sind die Brger dieser Polis. DerName Israelisch scheint dem aristotelischen Sprachideal somit vortreff-lich Ausdruck zu geben, indem er die Zunge als die Gemeinsprache desGemeinwesens versteht.

    Was dieser Name sagt, ist jedoch nicht mit ihm gemeint. Der Untertitelvon Zuckermanns Buch Welche Sprache sprechen also die Israelis? knnte eine gute Frage sein, wenn damit tatschlich die Brger des StaatesIsrael gemeint wren, da diese doch allem Anschein nach keine gemeinsameSprache, sondern amtlich drei und praktisch noch mehr Sprachen sprechen.Zuckermann nimmt den Namen Israelis vielmehr in Anspruch, um be-stimmte israelische Brger zu bezeichnen, die eine bestimmte Zunge spre-chen. Das Verstndnis, welche Zunge dabei gemeint ist, setzt Zuckermannbeim israelischen Leser voraus: Die meisten Israelis glauben, dass dieSprache, die heute in Israel gesprochen wird, Hebrisch wre.5 Israelischwird also als Ersatz fr die heutzutage gelufigen Termini fr die von Israe-lis gesprochene Sprache Hebrisch, modernes Hebrisch, modernesisraelisches Hebrisch, israelisches Hebrisch oder den indexikalischen

    Terminus gegenwrtiges Hebrisch angefhrt.6

    Anders ausgedrckt: DieBezeichnung Israelisch ist eine weitere Bestimmung dessen, was manzunchst Hebrisch nennt. Diese weitere Bestimmung des Hebrischenbesteht darin, das Hebrische zu verneinen. Eine bekanntere Formulierungdieses Begriffs liegt in der seit den 1950er Jahren von israelischen Sprachwis-senschaftlern vertretenen These, das israelische Hebrisch sei nicht einfacheine neue Entwicklungsschicht des Hebrischen, sondern eine ganz neueSprache.7 Das Israelische ist demnach das nichthebrische Hebrische.

    Was bedeutet die Verneinung des Hebrischen? Sie stellt sich zunchst als

    das Projekt einer modernen Sprachwissenschaft dar. Diese wendet sich auf-

    4 Ghilad Zuckermann, Israeli, a Beautiful Language. Hebrew as Myth, Tel Aviv 2008(hebr.); der hebrische Untertitel lautet: Az eizo safa ha-Israelim medabrim? [WelcheSprache sprechen also die Israelis?].

    5 Ebd., 39.6 Ebd., 27.7 Ron Kuzar, Eich nora ha-ivrit ha-jisraelit. elek A [Wie das israelische Hebrisch ent-

    stand. Teil A], in: Ha-gada ha-semalit, 10. Januar 2005, i (11. Mrz 2013). Fr eine detaillierteBeschreibung der Entstehungsgeschichte der israelischen Sprachwissenschaft und desBegriffs israelisches Hebrisch vgl. ders., Hebrew and Zionism. A Discourse AnalyticCultural Study, Berlin/New York, 2001, 152173. Ihm zufolge ist Haiim B. Rosn derUrheber dieses Terminus.

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    klrerisch gegen die gelufige Meinung derjenigen, die glauben Hebrischzu sprechen. Dies wird aber nicht blo als Irrtum kritisiert. Vielmehr wirddie Kategorie des Hebrischen einer illegitimen Form von Wissen, einerGehirnwsche durch die zionistische Ideologie zugeschrieben.8 Die he-

    brische Bestimmung der Sprache sei somit keine Wissenschaft, kein ver-nnftiger Logos, sondern ein zionistischer Mythos, demzufolge dieSprache, die heute in Israel gesprochen wird, ein durch Wunder wiederbe-lebtes Hebrisch wre.9 Dieses Verstndnis wird nun verneint, da es sichvom linguistischen Sprachbegriff grundstzlich unterscheide. Fr Sprach-wissenschaftler gebe es nmlich, so besttigt der Linguist Ron Kuzar, eineweitere wichtige Stimme in der aktuellen Debatte ber das israelische He-brisch, weder eine Weltschpfung noch eine Wiederbelebung von Spra-che.10 Das Hebrische scheint also als Kategorie des bernatrlichenabgelehnt zu werden.

    In der Tat ist einer der zentralen Begriffe der zeitgenssischen Sprachwis-senschaft die Zunge als natrliche Sprache. Fr die moderne Wissenschaftbedeutet Natur etwas nicht Knstliches, das heit nicht von der VernunftHervorgebrachtes. Zunge als natrliche Sprache zu bestimmen, bedeutet,sie ausschlielich als Objekt von Wissen, aber nicht selbst als Wissen zu ver-stehen. Sprache im Sinne von Zunge gehre dem Menschen nicht als einemlogischen Lebewesen, sondern als einem Lebendigen ohne Logos. So wird

    der Zunge an sich jeder Inhalt abgesprochen. Sie wird ausschlielich alsFunktion, als soziophysische Ttigkeit des Lebendigen begriffen, das heitals der performative Akt des Sprechens. Das Wesen der Zunge liege daherim Sprecher.11 Die Zunge definiert sich als diese oder jene natrliche Spra-che je nach dem Sprecher, der sie als seine angeborene, native Sprache, alsovon Geburt an sprechen soll, das heit nach dem nativen Sprecher (NativeSpeaker).12 Ebenso wie sein Krper wird diesen seine Zunge nicht gelehrt,sondern physisch von seiner Mutter bertragen. Das Urphnomen der nati-ven Sprache ist daher dieMuttersprache.

    8 Zuckermann, Israeli, a Beautiful Language, 53.9 Ebd., 39.

    10 Kuzar, Eich nora ha-ivrit ha-jisraelit; an anderer Stelle kritisiert Kuzar den revivalistapproach als Verweigerung, die Entstehung des Hebrischen als sociolinguistic eventof language genesis, one among many others in the world, which can be subjected to ana-lysis by universal tools of the discipline zu betrachten (Hebrew and Zionism, 135).

    11 Vgl. Saussures Behauptung, die Sprache als langue existiere im Gehirn des Spre-chers (Cours de linguistique gnrale, 30).

    12 Vgl. etwa Noam Chomskys Kriterium fr grammaticalness von Stzen: acceptable fornative speakers (Syntactic Structures [1957], Berlin/New York, 2002, 13). Spter wirdthe ideal speaker-listener zum Kriterium; siehe ders., Aspects of the Theory of Syntax,Cambridge, Mass., 1965, 3.

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    Die hebrische Sprache, so stellen nun Kuzar und Zuckermann fest,wurde irgendwann nicht mehr von Mutter zu Kind bertragen und ist damitgestorben.13 Von ebendieser Feststellung geht aber auch der von ihnen ver-worfene Begriff des wiederbelebten Hebrischen aus, der damit gerade

    der Tatsache Rechnung tragen will, dass es aktuell doch eine lebendige Spra-che gibt, die sich auf das angeblich gestorbene Hebrisch bezieht. DieseBeziehung zum Hebrischen wird von den beiden Linguisten nicht bestrit-ten. Sie beziehen jedoch die israelische Sprache auf das Hebrische, um zukonstatieren, dass sie keine natrliche Entwicklung des Hebrischen ist.Das israelische Hebrisch stellt sich als eine frs Erste nur negative Infrage-stellung des natrlichen Begriffs von Sprache dar. Israelisch sei die Sprache,die nicht von nativen Sprechern auf ihre Nachkommen bertragenwurde14 eine native Sprache, die keine Muttersprache ist. Dadurch fhrtder Begriff des Israelischen zu einer regelrecht metaphysischen Fragestel-lung, vielleicht der meta-physischen Frage schlechthin nmlich der nachder Herkunft der Natur, das heit der Entstehung der nativen Sprache.15

    Innerhalb der von Kuzar und Zuckermann entworfenen Genealogien desIsraelischen und damit schlieen sie an entscheidende Richtungen der zeit-genssischen Sprachwissenschaft an16 sticht der Fachausdruck Kreolspra-che ins Auge. Bevor es ein wissenschaftlicher Terminus technicus wurde,hatte das vom portugiesischen ciroulo beziehungsweise spanischen criollo,

    letztlich vom lateinischen creare abgeleitete Wort Kreol17

    die Grundbe-deutung geschpft. Die Schpfung, die durch dieses Wort bezeichnetwird, liegt jenseits des organischen Werdens, ist in diesem Sinne bernatr-

    13 Zuckermann spricht von klinischem Tod (Israeli, a Beautiful Language, 72).14 Ebd., 32. Es ist interessant zu beobachten, wie Zuckermann das Israelische in spteren

    Texten, u. a. anhand des von ihm nunmehr bernommenen Begriffs Wiederbelebung,als Labor fr eine systematische Kritik herkmmlicher Sprachtheorien, wie z.B.August Schleichers Stammbaumtheorie, verwendet; siehe Zuckermann, Hybridity versus

    Revivability. Multiple Causation, Forms and Patterns, in: Journal of Language Contact VARIA 2 (2009), 4067; ders./Michael Walsh, Stop, Revive, Survive. Lessons from theHebrew Revival Applicable to the Reclamation, Maintenance, and Empowerment ofAboriginal Languages and Cultures, in: Australian Journal of Linguistics 31 (2011), H. 1,111127.

    15 Siehe Kuzar, Eich nora ha-ivrit ha-jisraelit; Zuckermann besttigt: Eine der Grundfra-gen des Israelischen betrifft die Entstehungsweise der Sprache (Israeli, a Beautiful Lan-guage, 36).

    16 Siehe Kuzar, Hebrew and Zionism, 120134; Zuckermann lehnt es zwar ausdrcklich ab,das Israelische als Kreolsprache zu klassifizieren (Israeli, a Beautiful Language, 29),schpft jedoch das erste Prinzip seiner Entstehungsthese (das Grnderprinzip) aus der

    Kreollinguistik (ebd., 47 f.; ders., Hybridity versus Revivability, 46 f.).17 Vgl. Jacqueline Knrr, Towards Conceptualizing Creolization and Creoleness, in: MaxPlanck Institute for Social Anthropology Working Papers, Working Paper Nr. 100, Halle/Saale 2008, 2 f.

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    lich, dabei aber nicht dem Gttlichen, sondern dem Menschlichen zugeh-rend. Sie vollzog sich im Zuge eines der grten weltpolitischen Projekteder Moderne, das tief von der portugiesischen und der spanischen Sprachegeprgt wurde: des neuzeitlichen Kolonialismus.

    Fr Kuzar und Zuckermann stellt das koloniale Projekt bezeichnender-weise deswegen den Inbegriff von Sprachschpfung dar, weil es die Stiftungvon Zusammenleben ohne gemeinsame Sprache, also ein radikal unlogi-sches politisches Unterfangen war. Ein Trauma der Sprache nennt esKuzar, fr den die klassische Geschichte der Entwicklung dieser [kreoli-schen] Sprachen darauf basiert, [] Sklaven aus Afrika zu holen, damit sieauf Plantagen in der Neuen Welt arbeiten.18 Nach diesem Narrativ ist in denersten Generationen dieser ihrem nativen Sprachraum gewaltsam entrisse-nen Sprachbrchigen jeweils eine brchige Sprache entstanden, Pid-gin-Sprache genannt. Einer verbreiteten Etymologie zufolge geht Pidginauf die chinesische Aussprache des englischen Wortes business zurck.Eine Pidginsprache bezeichnet also den Verfall einer Sprache, die durchAussprache ein pures Zeichen wird. Aus dieser Unsprache wurde eine neueSprache, die Kreolsprache, dadurch geschaffen, dass sie von Kindern vonGeburt an, gewissermaen natrlich gesprochen wurde.

    Auf das sogenannte Israelische kann aber dieser Begriff von Kreolspra-che nicht ohne Weiteres angewendet werden. Wie Kuzar und Zuckermann

    bemerken, ist das israelische Hebrisch gerade kein Geschpf mangelnderSprachpolitik, sondern das Ergebnis einer entschlossenen zionistischenIdeologie nationaler Wiederbelebung,19 also ein explizites Sprachprojekt.Kreolsprache als Grundbegriff fr das Verstndnis der israelisch-hebr-ischen Sprache zu nehmen bedeutet daher, den vollbewussten, ideo-logischenAspekt der Zunge alsprinzipiell unwesentlich zu betrachten. So erklrt sichdie Hervorhebung des Jiddischen als unbewusste Muttersprache dermeisten Wiederbeleber der Sprache, eine Hervorhebung, die die Vernei-nung des Hebrischen durch das Israelische begleitet.20 Die Verneinung des

    Hebrischen impliziert also, die Kreolsprache, das heit die unlogisch

    18 Kuzar, Eich nora ha-ivrit ha-jisraelit. Vgl. Zuckermann, Israeli, a Beautiful Language,47 f.

    19 Zuckermann, Israeli, a Beautiful Language, 30.20 Ebd., 26 und 47 f.; ders., Hybridity versus Revivability, 46; ders., Stop, Revive, Survive,

    115. Die Hervorhebung des Unbewussten liegt Zuckermanns Sprachgenetik zugrunde.Wenn er das Israelische nicht als Kreolsprache, sondern als semi-engineered hybridlanguage definiert, dann because the impact of the revivalists mother tongues was

    often subconscious (ders., A New Vision for Israeli Hebrew. Theoretical and PracticalImplications of Analzying Israels Main Language as a Semi-Engineered Semito-Euro-pean Hybrid Language, in: Journal of Modern Jewish Studies, 5 [2006], H. 1, 5771, hier59; ders., Israeli, a Beautiful Language, 46). Vgl. Kuzar, Eich nora ha-ivrit ha-jisraelit.

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    geschpfte Sprache, nicht nur der natrlichen Sprache gleichzusetzen, son-dern sie als Sprachideal durchzusetzen. Daran, dass die native Sprache nichtmehr als berlieferte Muttersprache, sondern als reine Kindersprachebegriffen wird, die dem Kind quasi spontan entspringt, lsst sich durchaus

    eine Vollendung des Begriffs von Zunge als natrlicher Sprache erkennen.21Dabei bleibt das Logische der Sprache nicht einfach unbeachtet, sondernwird vielmehr in seinen Gegensatz, die absolut gesetzlose Willkr, verkehrt:Native Sprecher irren sich nie!22

    Die vermeintliche Befreiung von Ideologie erfolgt dadurch, dass eben dieWirklichkeit, die durch Ideologie entstanden ist, als ideologiefreie, natrli-che Realitt gesetzt wird. Eine der wichtigsten Erscheinungen diesesZustands ist die Polis als status, als Staat.23 Der moderne Staat ist eine Polis,die keinen Grund braucht, sondern sich selbst absolut, souvern bestimmt.In diesem Sinne liegt dem Staat kein Logos zugrunde. Vielmehr liegt derStaat selbst der Zunge als logosfreier Staatssprache zugrunde. Eben dasdrckt das Israelische aus. Die Selbstbehauptung dieser Zunge vollziehtsich, wie im Titel von Zuckermanns Buch, vor allem in sthetischen Katego-rien: Israelisch ist eine schne Sprache. Seine wirkliche Bestimmungerhlt das israelische Hebrisch aber allein durch die Staatsgrenze. Erhellendist die Anekdote, mit der Zuckermann sein israelisches Manifest erffnet: Ererzhlt von einem Professor aus Cambridge, der auf dem Weg nach Israel im

    Flughafen von der israelischen Sicherheitskontrolle beiseite genommenwurde, nachdem er erklrt hatte, er unterrichte Hebrisch, jedoch das vomisraelischen Sicherheitspersonal Gesagte das nicht-mehr-hebrische Israe-lische also nicht verstehen konnte.24

    So ist das Israelische der Name der Sprache, die vom Sicherheitspersonalbestimmt wird. Seine linguistischen Frsprecher haben es sich unter derFahne emanzipatorischer Kritik der puristischen hebrischen Sprachideolo-gie dabei zur Aufgabe gemacht zu zeigen, dass israelische Native Speakertatschlich keiner Logik verpflichtet sind. Die Bestimmung der Zunge als

    gesprochene Sprache bedeutet hier, dass sie einzig und allein das ist, wasder gebrtige Israeli sagt egal ob, um ein typisches Beispiel zu zitieren, (assara schkalim, zehn Schekel, wo Zahladjektiv und Sub-21 Die Evolution der israelischen Sprache hat angefangen, als das Kind Ben Zion [Eliezer

    Ben Jehudas Sohn, der als das erste rein hebrisch erzogene Kind gilt] seinen Mund zumersten Mal aufmachte, wurde Zuckermann unlngst zitiert. Vgl. Tamar Rotem, Naaschnaschach anasch: eifo kan ha-schgia? [Naasch naschach anasch: Wo ist hier der Feh-ler?], in: Haaretz, 3. Februar 2013.

    22 Zuckermann, Israeli, a Beautiful Language, 56 (Hervorhebung im Original).23 Elad Lapidot, Schvuyey ha-milama [Die Kriegsgefangenen], in: Merav Mack (Hg.),Schvuyim [Gefangene], Jerusalem (im Erscheinen).

    24 Zuckermann, Israeli, a Beautiful Language, 11 f.

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    stantiv in ihrem Genus bereinstimmen) oder (esser schekel, wosie nicht bereinstimmen). Der letzte und hchste wissenschaftliche Belegfr das, was das Israelische wirklich ist, liegt in der bloen Aussage, dass esdie Israelis sagen.25 Solche Aussagen werden nur dadurch belegt, dass sie

    von Sprachwissenschaftlern stammen, die selbst Native Speaker sind. Siestellen sich so als Vertreter einer souvernen nationalstaatlichen Wissen-schaft par excellence dar, wo man als Objekt erforscht, was man selbst sagt.Die Verneinung des Hebrischen durch den Sprachbegriff Israelischerweist sich damit nicht als Kritik der Nationalideologie des Hebrischen,sondern als deren Vollendung.

    Das Hebrische

    Der Sprachbegriff, den die Selbstnennung Hebrisch zum Ausdruckbringt, wird am deutlichsten in einem hebrisch-hebrischen Wrterbuch,dem Neuen Wrterbuch von Avraham Even-Schoschan erkennbar. Dortdefiniert sich Hebrisch wie folgt:

    1. [neuhebrisch] Die antike historische Zunge der Juden, in der die heiligen Schrif-ten und die Mischna und die anderen Grundwerke der hebrischen Literatur entstanden

    und geschrieben wurden. Die hebrische Zunge ist in den letzten Generationen aufer-standen, nach einer Zeit der Eingefrorenheit whrend der Exilgenerationen, und sie ist

    jetzt die offizielle gesprochene Zunge im Staat Israel: die Neueinwanderer in Israel ler-nen Hebrisch. Hebrisch-Abendkurse.

    2. [talmudisch] [zur Zeit des Talmud] Eine Bezeichnung fr die aramische Zunge,die von Juden in der Zeit der Tanaim und Amoraim gesprochen wurde (Megila 18).26

    Laut des hebrischen Wrterbuchs ist Hebrisch die neue Selbstbezeich-nung einer antiken historischen Zunge, die sich frher anders nannte.Allerdings greift das sich explizit als neu wissende Hebrische zurck

    und bernimmt im Nachhinein die ursprngliche Bestimmung dieser Zunge.So versteht sich das Hebrische, in seiner Neuheit, als neuhebrisch, dasheit als die Erneuerung seiner selbst. In dem Wrterbucheintrag wird dieExistenz der anderen, frheren Selbstbestimmung dieser Zunge ausschlie-lich durch den Hinweis darauf belegt, dass ebendiese Zunge in einem be-

    25 Ebd., 107: Auf Hebrisch sagt man esser banot und assara banim. [] In der israelischenGrammatik ist das System anders und einfacher und die Polarisierung der Geschlechterist aufgehoben: Man sagt esser banot und auch esser banim. So sprechen eigentlich die

    meisten Israelis.26 Milon Even-Schoschan, Meudash u-meudkan lishnot ha-alpayim [Even-SchoschanWrterbuch, erneuert und aktualisiert fr das dritte Jahrtausend], 6 Bde., Bd. 4, o. O.2007, 1340.

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    stimmten historischen Moment mit Hebrisch eine andere Zunge bezeich-net hat, nmlich die aramische, und somit fr sich selbst einen anderenBegriff haben musste. Im Gegensatz zum Israelischen, das seine hebrischeGeschichte dadurch verneint, dass es sich gnzlich von ihr trennt, verneint

    also das Hebrische seine nicht hebrische Geschichte durch die Tilgungdessen, was es von ihr unterscheidet. Es ist dieses verneinende Verhltnis,das hier als Auferstehung und sonst auch als Wiederbelebung begriffenwird.

    Der Zunge Wiederbelebbarkeit zuzusprechen heit, ihr ein Sein ber dasMa des nur organischen Lebens hinaus zuzuerkennen. So wird die Zungenicht ausschlielich mithilfe natrlicher Kategorien verstanden; vielmehrerkennt man in ihr das Logische. Die zwei Beispiele, die das Wrterbuch frdie neuhebrische Verwendung der Bezeichnung Hebrisch anfhrt, wei-sen tatschlich darauf hin, dass die sich so nennende Zunge gelernt werdenwill. Zugleich aber bedeutet die Kategorie Wiederbelebung, das Wesentli-che der Zunge doch im natrlichen Leben zu sehen. Das, was im Sein derZunge nicht Leben ist, gilt auch wenn es wiederbelebbar ist als Tod, dasheit eine Existenz in einem mangelhaften Modus, der hier als Eingefro-renheit bezeichnet wird. Dieses so verneinte Sprachbewusstsein wird vomNeu-Hebrischen durch einen festgeschriebenen Logos, ein Buch, nmlichtalmudisch bestimmt. Die Wiederbelebung des Hebrischen manifestiert

    sich als die Aufhebung der Sprache des Talmuds.27

    Es liegt nahe, dieses Verhltnis als Skularisierung verstehen zu wollen.Die Skularisierung des Hebrischen soll meinen, diese Zunge sei verwelt-licht, das heit aus dem berweltlich-religisen Bereich in die weltlicheLogik und Politik versetzt worden. Wiederbelebung aber bedeutet, dassdas lebendige (Neu-)Hebrisch dem eingefrorenen Talmudischen nichtgleichgltig gegenbersteht, sich nicht als von ihm getrennt sieht. Das Reli-gise wird hier nicht als fr die weltliche Politik irrelevant, apolitisch ver-standen, sondern gerade weltlich-politisch problematisiert. Die talmudische

    Zunge wird dabei den Exilgenerationen zugeordnet. Die Wiederbele-bung, durch die das Hebrische auf das Talmudische bezogen ist, bewegt

    27 Da die Gemara berwiegend auf Aramisch verfasst ist, mag talmudisch wenigergeeignet zur Bezeichnung des nachbiblischen Hebrischen erscheinen als mischnaischoder rabbinisch. Ewen Schoschan folgt hier wohl Ben Jehuda, der in seinem Wrter-buch die frhe rabbinische Literatur im Allgemeinen Talmud nannte, weil die zwei Tal-mudim doch die wichtigste Quelle dieser Literatur seien, sie also verkrpern; siehe Elie-

    ser Ben Jehuda, Prolegomena, in: ders., Gesamtwrterbuch der alt- und neuhebrischenSprache, Jerusalem/Tel Aviv 1949, 58 (hebr.). In der Regel wird auer dem rabbinischenund dem modernen Hebrisch dazwischen noch das mittelalterliche Hebrisch unterschie-den; vgl. Angel Senz-Badillos, A History of the Hebrew Language, Cambridge 1993.

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    sich daher nicht weg von der religisen Sprache, sondern auf sie zu, um sieals solche zu bekehren: dieselben Wrter sollen etwas anderes sagen.28

    Zwei Momente dieser Bewegung sind hier herauszuheben: Das erste Mo-ment zeigt sich deutlich im Werk von Leopold Zunz (17941886), dem Be-

    grnder der Wissenschaft des Judentums. Sein epochemachender Schrittbestand darin, das Talmudische beziehungsweise Rabbinische als eineLite-ratur zu bestimmen.29 Dadurch wurde der Logos zwar als solcher erkannt,entsprechend seiner nicht inhaltlichen Seite aber als irgendetwas Geschrie-benes begriffen. Zunz zielte darauf ab, den so infrage gestellten Inhalt jenerLiteratur zu bestreiten und, insbesondere gegen die theologischen Vorurteile,zu zeigen, dass sie nicht religiser als alle anderen Literaturen sei unddaher den besondern Titel nicht vertragen knne.30 In diesem Sinnebestimmte er diese Literatur zwar nach ihrer Sprache, fasste diese jedochnicht als Logos, sondern als Volkszunge auf. Die talmudische Sprache seiLiteratur, die in der Zunge der Hebrer, auf Hebrisch, geschrieben wurdeund somit einen Teil der hebrischen Literatur darstellt. Seit dem babylo-nischen Exil gebe es aber keine Hebrisch sprechenden Hebrer mehr, wes-halb das Hebrische die tote Zunge eines toten Volks sei. Die talmudischeSprache ist fr Zunz diese tote Existenz.

    Diesem ersten Moment der Todeserklrung der talmudischen Sprache alshebrischer Zunge folgt dann das zweite Moment ihrer eigentlichen Wieder-

    belebung. Anschaulich wird dieses im Lebensprojekt von Eliezer BenJehuda (18581922), der die Wiederbelebung des Hebrischen mageblichbetrieben und verkrpert hat.31 Ben Jehuda formulierte sein Projekt vonAnfang an ausdrcklich logo-politisch: Die Wiederbelebung Israels undseiner Zunge im Land der Vter.32 In einem grundlegenden Schritt, der for-

    28 Hierin unterscheidet sich der bergang von der Kirchensprache Latein zu den National-sprachen, der die linguistische Skularisierung der christlichen Welt begleitete, von derEntstehung des Neuhebrischen. Fr eine weitere Diskussion dieses Unterschieds undanderer Schwierigkeiten, im Kontext der jdischen Moderne von Skularisierung zu

    reden, siehe Andrea Schatz, Sprache in der Zerstreuung. Die Skularisierung des Hebr-ischen im 18. Jahrhundert, Gttingen 2009, 2128. Schatz reichhaltiges Buch ist eine derwenigen wissenschaftlichen Monografen, die den begriffshistorischen Einschnitt zwi-schen laschon ha-kodesch, der heiligen Zunge, und dem Hebrischen berhaupt thema-tisieren. Sein Fokus ist die Haskala-Zeit, die hier nicht behandelt wird. Schatz Feststel-lung, dass die Maskilim es unternahmen, das Hebrische seinem neuen Autor, der

    jdischen Nation, ganz zu bereignen (280), berhrt sich eng mit dem hier Gesagten.29 Leopold Zunz, Etwas ber die rabbinische Literatur (1818), in: Gesammelte Schriften,

    Bd. 1, Berlin 1875, 131.30 Ders., Die jdische Literatur (1845), in: ebd., 4159, hier 43.31 Siehe Yoseph Lang, Speak Hebrew! The Life of Eliezer Ben Yehuda, Jerusalem 2008

    (hebr.).32 Eliezer Ben Jehuda, Ha-alom we-schivro. Ha-idan ha-rishon [The Dream and its Mean-ing. The First Period], in: ders., The Dream and its Fulfillment. Selected Writings, hg.von Reuven Sivan, Jerusalem 1986 (hebr.), 55117, hier 65.

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    mal an die aristotelische Logopolitik denken lsst, setzt er die Wiederbele-bung der Zunge der der Nation voraus. Die Polis soll auf dem Fundamenteines gemeinsamen Logos entstehen. Doch wie entwirft sich die Politik auf-grund jenes Logos, der sich als die Sprache der Hebrer versteht?

    Dies zeigt sich deutlich in der Satzung der Gesellschaft, die Ben Jehuda1889 in Palstina fr die Frderung der Sprache mitbegrndet hat.33 In derPrambel setzte sich diese Gesellschaft, die damit vielleicht alle spterenHebrisch sprechenden Gesellschaften in Palstina vorbildet, das Ziel, sichnicht in Angelegenheiten von Sekten und Meinungen einzumischen, son-dern nur eine einfache hebrische Gesellschaft zu sein, mit keiner besonde-ren Frbung in Angelegenheiten, die ihren Zweck nicht angehen. DieserZweck wird dann wie folgt bestimmt: unter den in Eretz Israel ansssigenJuden die verdorbenen Sprachen entwurzeln, den aschkenasischen undsephardischen Jargon usw., die die Herzen der sie Sprechenden zerteilenund sie so darstellen, als ob sie verschiedenen Vlkern angehrten. DasZiel besteht also darin, die Juden durch die Sprache von allen anderen Vl-kern abzusondern. Es liest sich als die Verkehrung der universalistischenVision, die der Name von Ben Jehudas Gesellschaft, (safabrura, reine Sprache beziehungsweise reine Lippe), ein der Bibel entliehe-ner Ausdruck, ursprnglich ausdrckt: (Dann aber will ich den Vlkernreine Lippen geben, da sie alle des HERRN Namen anrufen sollen und ihmeintrchtig dienen.) (Zef 3,9; Luther 1984). Das Hebrische soll die politi-sche Einheit der Juden im osmanischen Palstina 1889 als ein grundlosesAbgetrenntsein von der allgemeinen Bevlkerung begrnden. So entstehtdie Grundlage fr eine sich souvern bestimmende Polis, einen National-staat, dessen offizielle gesprochene Sprache (Even-Schoschan) zu seindie letzte Bestimmung des Hebrischen, den Sinn seines Lebens darstellt.

    Wie bereits oben gezeigt, liegt dieser Bestimmung eine anti-logischeSprachauffassung zugrunde. Um eine Staatssprache zu werden, muss die

    Sprache sich von allen inhaltlichen Bindungen lsen, sich von den Bchernbefreien. Dementsprechend lautet die Selbstbezeichnung von Ben JehudasSprachprojekt: Wiederbelebung der Zunge im Sprechen des Mundes.34

    Die gesprochene Sprache ist hier die natrliche Sprache, die durch die phy-sische Verschiedenheit der Mnder die Einheit des Logos zersprengen soll,nicht nur in Bchern, in heiligen Angelegenheiten oder der Weisheit [sollendie Juden das Hebrische verwenden], sondern vielmehr im Sprechen des

    33 evrat safa brura [Gesellschaft der reinen Sprache], in: Ha-fira, 25. September 1889, 3.34 Eliezer Ben Jehuda, Min ha-hakdama la-mavo ha-gadol la-milon [Aus dem Vorwort zurgroen Einleitung zum Wrterbuch], in: Ben Jehuda, The Dream and its Fulfillment,135166, hier 139.

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    Mundes, die Groen und die Kleinen, Frauen und Kinder, Jungen und Md-chen, in allen Lebenssituationen und zu allen Tag- und Nachtzeiten, wie alleVlker, jedes in seiner Zunge.35

    Der anti-logische Charakter dieses Sprachprojekts lsst sich an Ben Jehu-

    das konkreter Arbeit an der Sprache zeigen. Bekannt ist die merkwrdigeTatsache, dass er eine seiner wichtigsten Aufgaben bei der Wiederbelebungdes Hebrischen gerade darin sah, neue Wrter zu schpfen. Bezeichnender-weise ist das erste Wort, das Ben Jehuda erschaffen hat, (milon).36Dieses Wort, das ihm zuerst fehlte, bezeichnet sein eigenes Opus: das Wr-terbuch. Das Wrterbuch ist das Abbild der Sprache als eine Liste von Zei-chen, ohne Logos. Allerdings geht es in Ben Jehudas Werk nicht darum, diegesprochene Sprache zu dokumentieren, sondern sie schriftlich berhaupterst entstehen zu lassen. Im Unterschied zum Neuen Wrterbuch Even-Schoschans, das die gesprochene Sprache als Beleg zitiert und dadurchschon als israelisch-hebrisch betrachtet werden kann, ist Ben Jehudas Wr-terbuch ein historisches Wrterbuch des alten und neuen Hebrischen,das aus mehr als 500000 Zitaten aus literarischen Quellen besteht. DiesesBuch der Bcher grndet die gesprochene (neu-)hebrische Zunge auf dieZunge als Text, als Logos. Dabei wird aber der Text als Rohstoff behandelt,aus dem einzelne Wrter wie Diamanten aus Sedimentgestein gewonnenwerden.37 Die Literatur wird zum zerfleischten Korpus, sodass das Sprechen

    seinen historischen Logos nicht aus-, sondern vielmehr unterdrckt.Es verwundert also kaum, dass Ben Jehuda nach eigener Aussage nebendem Umstand, nicht in Jerusalem geboren zu sein, sein ganzes Lebenbedauerte, dass mein Sprechen von dem Augenblick an, da ich ein sprechen-de Seele wurde, nicht auf Hebrisch war.38 Die Zunge, welcher der groeLehrer des Hebrischen eigentlich den Weg bereiten wollte, war eine ange-borene. So endet seine Autobiografie denn auch mit der Erzhlung desEreignisses, das die Vollendung seines Lebenswerks darstellen sollte undgleichzeitig exakt so exakt sind die Geschichten von natrlichen Spra-

    chen selten zu datieren die Geburtsstunde des wiederbelebten Hebrischwar: Das erste hebrische Kind wird geboren. In diesem Kind, Ben Jehu-das erstem Sohn, sollte sich die Zunge von ihrem letzten Grund, von der

    35 Ebd., 138.36 Ders., Ha-alom we-schivro, 74 f.37 Von diesen Tausenden von Bchern, die ich gelesen habe, handeln die meisten von Din-

    gen, die ihrer Natur nach bei mir keine Lust erwecken knnten, sie zu lesen; viele vonihnen sind in einer schwierigen, unangenehmen Sprache geschrieben, und oft musste ich

    Dutzende und auch Hunderte von groen Seiten lesen, ohne ein einziges Wort oder eineeinzige Redensart zu finden, die fr meine Arbeit von Interesse sind (Ben Jehuda, Minha-hakdama, 163).

    38 Ben Jehuda, Ha-alom we-schivro, 56.

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    Sprachlehre, lsen und ihm als eine fr sich selbst seiende, native Spracheentspringen. Ihre volle Verwirklichung erreicht diese hebrische Zungesomit erst dann, wenn sie sich durch die Verneinung ihrer eigenenGeschichte bestimmt und sich das (nicht hebrische)Israelisch nennt.

    Die Magische Zunge

    Um nher zu jenem Begriff der Sprache zu kommen, den ihre hebrischeBestimmung unterdrckt, soll also vom Hebrischen nicht schlicht abgese-hen werden, wie es das Israelische tut, denn gerade dieses Absehen ist vom

    Hebrischen selbst intendiert. Vielmehr ist das (Neu-)Hebrische in seinerWahrheit, das heit als negativer Sprachbegriff, aufzunehmen. Dieser kri-tisch-reflexive Begriff des Hebrischen ist schon im theoretischen Bereichdes Sprachbewusstseins als eine ausdrckliche Fragestellung erschienen.Ihre Erscheinung hat diese Fragestellung in einem historischen Logos: dem1926 von dem 29-jhrigen Gerhard (Gershom) Scholem in Jerusalem anFranz Rosenzweig geschriebenenBekenntnis ber unsere Sprache.39 Dieserzweiseitige Text ist inzwischen nicht nur kanonisch geworden, sondern stellteine Art Urtext der Kritik des wiederbelebten Hebrischen dar Jacques

    Derrida nannte ihn eine Prophezeiung.40

    Das Bekenntnis bezeichnet sich selbst als eine kritische Selbstreflexion.An sich muss Selbstreflexion nicht zu Kritik fhren. So konnte ScholemsText auf Israelisch, in einer sprachlich fragwrdigen, sachlich aber dochmglichen bersetzung mit Bekenntnis zu unserer Sprache ( ) betitelt werden.41 Das Bekenntnis ber unsere Spra-che enthlt zwar das Bekenntniszu dieser Sprache als unsere. Dabei ver-gisst sich aber die Sprache der bersetzung als bersetzung und bersiehtdie Distanz, die dieses Bekenntnis von der hebrischen Sprache dadurch

    nimmt, dass es sich zu ihr und ber sie in einer anderen Sprache bekennt.

    39 Fr den Text und seinen biografischen Kontext siehe Michael Brocke, Franz Rosenzweigund Gerhard Scholem, in: Walter Grab/Julius H. Schoeps (Hgg.), Juden in der WeimarerRepublik, Stuttgart 1986, 127153. William Cutter verortet Scholems Text within thebroader language conversation of the time; vgl. ders., Ghostly Hebrew, Ghastly Speech.Scholem to Rosenzweig, 1926, in: Prooftexts 10 (1990), 413433, hier 421.

    40 Jacques Derrida, The Eyes of Language, in: Gil Anidjar (Hg.), Acts of Religion, NewYork/London 2002, 189227, hier 212. Galili Shahar beginnt einen Aufsatz ber Scho-lems Brief und seine Rezeption wie folgt: In the beginning were the words. These were

    the words Gershom Scholem wrote in December 1926, in Jerusalem; vgl. ders., The Sac-red and the Unfamiliar. Gershom Scholem and the Anxieties of the New Hebrew, in: TheGermanic Review 83 (2008), 299320, hier 299.

    41 Zuckermann, Israeli, a Beautiful Language, 204.

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    Damit offenbart sich die Mglichkeit eines anderen Verhltnisses zu Spra-che berhaupt: Die wesentliche Bestimmung unserer Sprache liegt nichtmehr in der Tatsache, dass man sie aktuell benutzt, sie insofern lebendig ist.Die Eigenheit der Sprache beruht nicht auf dem angeblich natrlichen Akt

    des Sprechens, sondern auf einer selbstbewussten, sich bekennenden Bezie-hung zu ihr, die ihr ein anderes Wesen zuspricht.

    Scholems Kritik des Hebrischen verortet sich ausdrcklich im Bereichdes Politischen. Die besprochene Problematik ist eine Drohung fr daszionistische Unterfangen. Dieser Entwurf von Polis wird an sich keines-wegs kritisiert.42 Die heute mehr als je gelufige Rede von den Arabernals Bedrohung wird nicht infrage gestellt. Scholems Besorgnis wird ledig-lich durch ein noch greres Problem erregt, das zum Scheitern der zionisti-schen Polis zu fhren drohe. Dieses Problem bezieht sich auf die logischeGrundlage der sich im Aufbau befindenden Polis, auf die Sprache, die ihrals Boden dienen soll. Die Sprache selbst wird hier also von vornherein alsein Projekt der Schpfer der neuen Sprachbewegung verstanden. DasHebrische wird nicht als natrliche Sprache betrachtet, sondern als artiku-lierter Sprachbegriff der Kritik unterzogen: Was ist es mit der Aktualisie-rung des Hebrischen?

    Ben Jehuda hatte das Projekt des (Neu-)Hebrischen als Wiederbelebungverstanden, die die talmudisch-logische Bestimmung als verstorben aufhebt.

    Scholem kehrt nun dieses Verhltnis durch den Begriff Aktualisierung um,indem das lebendig Gesprochene die Vollziehung des zuvor nur inpotentiaseienden Wesens dieser Sprache darstellt. In diesem Moment tritt die talmu-dische Sprache nicht mehr allein relativ zum Hebrischen in Erscheinung,sondern umgekehrt als dessen Basis, mithin selbststndig durch eine eigeneBezeichnung: die heilige Sprache.

    Die hebrische Bestimmung der Sprache wird also in ihrer Bezugnahmeauf die Heiligkeit kritisiert. Es geht hier aber nicht um eine Kritik an derSkularisierung der hebrischen Sprache,43 und Scholem beklagt auch nicht

    das Vergessen oder den Verfall von religisen Inhalten.44 Genau genom-men kritisiert er das Sprechen ber die Skularisierung der Sprache. Was

    42 Scholem, Bekenntnis ber unsere Sprache, 149. Christoph Schmidt zeigt, wie das inScholems Text besprochene Sprachproblem als nur eine der Facetten des Abgrunds desganzen zionistischen Projekts, das heit des theologisch-politischen Abgrunds des Zio-nismus angesehen werden kann; ders., Einleitung, in: ders./Eli Schonfeld (Hgg.), GodWill Not Stand Still. Jewish Modernity and Political Theology, Tel Aviv 2009 (hebr.), 717, hier 7.

    43 Stphane Moss, Sprache und Skularisation, in: ders., Der Engel der Geschichte. FranzRosenzweig, Walter Benjamin, Gershom Scholem, Frankfurt a. M. 1994, 215234, hier224.

    44 Ebd., 217.

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    infrage gestellt wird, ist das Selbstverstndnis des Neuhebrischen als einerverweltlichten Sprache: Man glaubt die Sprache verweltlicht zu haben.Aber das ist ja nicht wahr, die Verweltlichung der Sprache ist ja nur einefaon de parler, eine Phrase.45 Wie bereits Derrida hervorgehoben hat,46

    bedeutet dies nicht, dass die drei Wrter Verweltlichung der Sprache nurleere Worte seien. Da Verweltlichung die Selbstbestimmung des aktuali-sierten Hebrisch sei, stellen leere Worte jedoch das Wesen dieser Sprachedar. Dadurch erhlt der Ausdruck Verweltlichung der Sprache seineBedeutung. Er ist eben eine faon de parler, eineproblematische Art desSprechens. Die sich als skularisiert verstehende hebrische Sprache wresomit, so Derrida, eine Unsprache. Wie Derrida darlegt, offenbart sichdiese Unsprache in Scholems Text genau im Namen Skularisierung, derselbst einen Pseudo-Namen, ein Simulacrum von Name darstellt.47

    Die von Scholem verwendeten Bilder fr diese Unsprache sind die knst-lich konstruierten Sprachen Volapk und Esperanto. Das Neuhebrischewird nicht als pseudo-natrliche Kreolsprache, sondern als ein vernnftigesWesen begriffen. Dadurch mag diese Sprache berhaupt als etwasNegativesgesehen werden. Die Negation kommt der hebrischen Logik wiederumdadurch zu, dass sie eigentlich kein rein ausgedachtes Esperanto, sondernauf eine andere Sprache durch Verneinung bezogen ist, wie oben am Begriffdes Hebrischen selbst geltend gemacht wurde.

    Durch die Kritik des aktualisierten Hebrisch gelangt Scholem zueinem positiven Begriff von Zunge. Dieser Begriff indes hat in seinem Textallem Anschein nach mit dem Hebrischen nichts mehr zu tun. Er wird vonihm als eigene Aussage assertorisch gesetzt: Sprache ist Namen.48 DieserSprachsatz lsst sich zunchst als der Unsprache entgegengesetzt verstehen.Im Gegensatz zu leeren Worten, die an sich auf keine Wirklichkeit bezo-gen sind und durch die lebendige Verwendung blo als Zeichen fungieren,haben Namen ihren eigenen Inhalt. Die Namen haben ihr Leben. DerInhalt der Namen ist der Inhalt der Zunge selbst. Die Zunge hat Inhalt das

    besagt, die Zunge ist Sprache, die selbst spricht, selbst aussagt,Logos ist. Indiesem Sinne lsst sich zunchst Scholems Aussage deuten, im Namen seidie Macht der Sprache beschlossen. Weil Namen keine leeren Worte sind,betrifft die Zunge die Wirklichkeit, hat Wirkung, lsst etwas sehen. Es istbemerkenswert, dass Scholem diese Wirkung von Namen als Beschwrenbegreift. Die Wirklichkeit, auf welche die Zunge sich bezieht, ist also selbstkeine Sprache mehr. Im Grunde des Logos liegt etwas, was nicht mehr zu

    45 Scholem, Bekenntnis ber unsere Sprache, 149.46 Derrida, The Eyes of Language, 203.47 Ebd., 217.48 Scholem, Bekenntnis ber unsere Sprache, 150.

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    begrnden ist, ein Ding an sich, das, worauf Scholems Grundbegriff indiesemBekenntnis bezogen ist, der Abgrund: Im Namen ist die Macht derSprache beschlossen, ist ihr Abgrund versigelt [sic].

    Eben gegen diesen Abgrundjeder Sprache habe sich die Wiederbelebung

    des Hebrischen blind gemacht, wenn sie es dadurch zum Lebensboden zumachen gedachte, dass sie von ihrem eigenen Inhalt abgesehen habe. Der sogeschaffene Boden, das scheinbar Feste, der Berg, sei daher in Wirklichkeitein explosiver Vulkan. Die im Berg beherbergte Sprache fhrt, wie alleSprachen, ihr Eigenleben, hat ihren eigenen Inhalt zum Abgrund, mit demsie zum Bersten voll ist.49 Dadurch, dass man diese Sprache spricht,bringe sie selbst auch wenn man es nicht will ihre abgrndige Wirklich-keit zum Vorschein: Es steht nicht mehr in unserer Hand, die alten Namentagtglich zu beschwren, ohne ihre Potenzen wachzurufen.50 DiesePotenzen, eine Welt inpotentia, sind das, was durch die dnne Kruste deshebrischen Esperantos wie Lava Stephane Moss bemht den Vergleicheiner kollektiven Neurose51 auszubrechen drohe. Die Potenzen drohengegen den ausgesprochenen Willen ihrer Sprecher, vor allem im selbstbe-wusstlosen Sprechen ihrer (israelischen?) Kinder, Aktualitt zu werden.Angesichts dieses grundstzlich verkehrten Sprachverhltnisses ist das He-brische, abgesehen von dem bestimmten Inhalt seines eigenen Abgrunds,unheilsschwer.

    Nun ist aber dieser Abgrund der Abgrund einer heiligen Sprache.52

    Hei-lig meint nach dem bisher Gesagten nicht, dass diese Sprache einenAbgrund habe, weil dies auf jede Sprache zutrifft. Vielmehr bezieht sich hei-lig auf einen bestimmten religisen Inhalt, von dem sich der Zionismusdurch die skulare Scheinsprache abgelst wissen wolle. Mit religiserGewalt drohe also die verdrngte Wirklichkeit die zionistische Polis mittelseiner Revolution der Sprache wieder einzuholen. Der Sinn von diesemlogo-politischen Aufstand einer heiligen Sprache verhlt sich allerdingsrelativ zum zionistischen Unterfangen. Mit Recht weist Derrida darauf hin,

    dass die von Scholem prophezeite Apokalypse ebenso zweideutig ist wiedieser Begriff selbst:53 Sie kann eine bedrohliche anarchische Explosionungezgelter religiser Krfte (Moss) bedeuten,54 oder aber auch dieOffenbarung einer radikal anderen, vielleicht besseren Politik.

    49 Ebd., 149.50 Ebd., 150.

    51 Moss, Sprache und Skularisation, 228.52 Scholem, Bekenntnis ber unsere Sprache, 149.53 Derrida, The Eyes of Language, 204 f.54 Moss, Sprache und Skularisation, 229.

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    Scholem machte es sich zum wissenschaftlichen Lebensprojekt, den ver-drngten Abgrund der heiligen Sprache wieder zu ffnen und so zu einerbestimmten Erfllung seiner eigenen Prophezeiung beizutragen. Seine kon-stituierende Rolle fr die Erscheinung des Judentums im 20.Jahrhundert

    kann an dieser Stelle nur durch den Sprachbegriff beleuchtet werden, denScholem in den alten Bchern der heiligen Sprache findet und 44 Jahrenach seinemBekenntnis ans Licht der ffentlichkeit bringt.55 Nach Scholemist dieser Begriff, da er offenbarte Wahrheit und Sprache verbindet, wohleine der wichtigsten, vielleicht sogar die wichtigste Erbschaft des Judentumsan die Religionsgeschichte.56 Die Offenlegung dieses Grundbegriffs, derals das Selbstverstndnis dieser Sprache angesehen werden knnte, wirdvon Scholem allerdings in dem Bereich ausgefhrt, den seine Wissenschaftselbst umgrenzt, definiert und als die Literatur und das Denken der jdi-schen Mystiker zum Paradigma erhebt.57 Ins Zentrum dieses Bereichs stelltScholem die Kabbala. Den Begriff heilige Sprache bildet damit dieSprachtheorie der Kabbala.

    Magebend fr Scholems Herangehen an die Kabbala ist ihre Bestim-mung als mystisch. Seine Wissenschaft strebt somit danach, ihren Gegen-stand als geheimnisvoll offenzulegen, und setzt sich dem Paradox des Wis-sens des Unwissbaren aus. Dementsprechend stellt Scholem denSprachbegriff, den er 1970 aus dem Abgrund der heiligen Sprache schpft,

    als hchst aufschlussreiches Paradigma einer mystischen Sprachtheorie58

    dar. Aufschlussreich ist nun, dass dieser mystische Sprachbegriff wortwrt-lich das als Wesen der Sprache bezeichnet, was Scholem 1926 als seineneigenen Begriff der Sprache benannt hatte: den Abgrund, der im Namenversiegelt ist.59 Insofern vertrat Stephane Moss, als er Scholems bis dahinunbekanntesBekenntnis 1985 erstmalig verffentlichte, die fortan unange-fochtene Auffassung, dass sich dieses nur im Lichte der Sprachtheorie derKabbala verstehen lasse, mit gewissem Recht.60 Dadurch wird der Mystik-forscher Scholem selbst zum Mystiker, der einen mystischen Begriff der hei-

    ligen Sprache vertritt.In diesem Begriff wird aber das abgrndige Wesen der Sprache derart

    herausgearbeitet, dass das Logische, also was mehr als Mitteilung und Aus-druck an ihr ist, gerade mehr ist als je in die Verstndigung eingeht.61

    55 Gershom Scholem, Der Name Gottes und die Sprachtheorie der Kabbala, in: ders.,Judaica III. Studien zur jdischen Mystik, Frankfurt a. M. 1973, 771.

    56 Ebd., 7.57 Ebd.

    58 Ebd., 10.59 Ebd., 18.60 Moss, Sprache und Skularisation, 224.61 Scholem, Der Name Gottes und die Sprachtheorie der Kabbala, 7 f.

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    Das Wirkliche der Sprache wird als das unmittelbar Wirkende verstanden,eben als Beschwren, das nicht mehr der politischen Praxis angehrt, son-dern der Magie.62 Das Paradigma der heiligen Sprache als schpferischerZunge von Gott steht demnach ihrer Verstndlichkeit entgegen. Die Offen-

    barung des gttlichen Logos in der Zunge als Gotteswort, als Thora, seiunendlich bedeutungsschwanger, da sie letztendlich weit von menschli-cher Einsicht weg liegt.63 Das Grundwort der Thora, der Gottesname, wirdin dem Sinne als absoluter Name verstanden, dass er das Bedeutungslose,also kein Begriff und kein Logos ist.64

    Der von Scholem so erarbeitete Begriff der heiligen Sprache als Magieder Sprache65 begreift die heilige Sprache daher als nicht-begrifflich,nicht-instrumentalisierbar, nicht-informativ, nicht-kommunikativ und nicht-technologisch.66 Dieser Abgrund der Sprache verleiht ihr keine logischeTiefe mehr, sie geht in ihm unter. Im Rckblick auf das Bekenntnis von1926, wo dieser Abgrund als das Wesen aller Sprachen schlechthin gesetztwurde, kann Derrida sagen, dass es fr Scholem nur heilige Sprachegibt.67 Es gehrt aber zur Problematik der magisch-heiligen Sprache, dassihr Wesen ihrem Dasein widerspricht. Ihre Heiligkeit ist negativ, indem siesich dem lebendigen, alltglichen Sprechen als einer Profanierung wider-setzt.68 Unter den Lebenden muss diese heilige Sprache also in ihrem Wesenals tot gelten und dem mystischen Verstndnis, wie alle Geisteswesen, nur

    als Gespenst erscheinen. Es fllt auf, dass Scholems Sprachtheorie derKabbala, ganz anders als seinBekenntnis, keinen wesentlichen Zusammen-hang zwischen der Idee der mystischen Sprache und der Existenz einerbestimmten Zunge herausstellt; der Zunge nmlich, in der fast alle von ihmzitierten Texte geschrieben wurden, auf die sie sich alle beziehen und die siealle nicht die heilige Sprache, sondern, die heilige Zunge nennen: .

    Erst durch die negativen Bestimmungen der hier besprochenen Zunge dasIsraelische, das Hebrische und die magische Sprache wird der Blick freifr die positive Bestimmung, auf die sie sich alle beziehen. Diese soll im

    62 Ebd., 20 f.63 Ebd., 52.64 Ebd., 69.

    65 Ebd., 67.66 Derrida, The Eyes of Language, 211.67 Ebd., 201.68 Ebd., 212; Moss, Sprache und Skularisation, 226 f.

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    Folgenden in einem neuzeitlichen Logos zum Vorschein gebracht werden,der sie dadurch in ihrer Positivitt zeigt, dass er sie ausdrcklich gegen ihreaktuellen Erscheinungen behauptet.

    1961 verffentlichte Joel Teitelbaum, auch der Rabbiner von Satmar

    genannt, in Brooklyn, N. Y., einen Text, der sich als eine Rede der heiligenZunge ber sich selbst vorstellt: -,Die Rede ber die heilige Zunge. Diese Rede ist Teil seines Werks (WaJoel Mosche).69Die Betitelung folgt einem rabbinischen Brauch, nach dem der Verfasser sei-nen Vor- oder Nachnamen so in den Titel integriert, dass der Name sich derQualitt eines bloen Zeichens entkleidet und wieder als Wort zeigt. Aufdiese Weise verwandelt der Verfasser seine persnliche Identitt in Logosund wird fortan in der Literatur nach seinem Werk genannt. In seinem Vor-wort erklrt WaJoel Mosche die Bedeutung seines Namens.70 istein Zitat aus dem Urlogos der heiligen Zunge, der Thora, genauer: dem2. Buch Mose (hebr. , Namen). In diesem Vers (Ex 2,21) bezeichnet eine Handlung Moses ( -) gegenber seinem zuknftigen Schwiegervater Jitro aus Midian, die die Vorbedingung seiner Ehe mit dessen Toch-ter Zippora darstellt. Nach dem gelufigen Sprachgebrauch scheint aus der Wurzel .. . (einwilligen) zu stammen und wrde im vorliegendenKontext bedeuten, Moses willigte ein, bei dem Manne zu bleiben,71 dasheit sich in einem fremden Land niederzulassen und nicht nach gypten

    zurckzukehren, um seine Brder aus der Sklaverei zu befreien. Unter Ver-weis auf Talmud und Midrasch fhrt Teitelbaum in diesem Vers aufdie Wurzel .. ., (schwren) zurck. In der Logik der heiligen Zungebedeutet der Vers demnach, dass Moses nicht allein in das Unterlassen sei-ner Befreiungsaktion einwilligte, sondern es vielmehr schwor. Auf diesenSchwur bezieht sich die Rede ., Und Moses schwor

    Der Schwur Moses, ein wahrhafter Sprachakt, der anders als das magischeBeschwren nach auen selbstverpflichtend nach innen wirkt, wird dabeiinnerhalb eines allgemeineren Schwurs gedeutet. Dieser Schwur ist eine

    Selbstverpflichtung zu bestimmten politischen Grundstzen,72 die eine rab-

    69 Joel Teitelbaum, WaJoel Mosche, Brooklyn, N. Y., 1961.70 Ebd., 17 f.71 Revidierte Lutherbibel 1984.72 Ich teile also nicht die Auffassung, welche die Berufung auf diesen Schwur als quietistic

    apoliticism (Norman Lamm, The Ideology of the Neturei Karta. According to the Satma-rer Version, in: Tradition 12 [1971], H. 2, 3853, hier 41), passive conduct (Allan L.Nadler, Piety and Politics. The Case of the Satmar Rebbe, in: Judaism 31 [1982], H. 2,135152, hier 145; Zvi Jonathan Kaplan, Rabbi Joel Teitelbaum, Zionism, and Hungarian

    Ultra-Orthodoxy, in: Modern Judaism 24 [2004], H. 2, 165178, hier 173 f.) oder Exklu-sion von weltlichen und politischen Kategorien (Yitzhak Kraus, Yahadut ve-iyonut.schnayim she-lo yelchu yachdav. mishnato ha-radikalit shel R. Yoel Teiltelbaum. ha-admor misatmar [Judentum und Zionismus. Zwei, die nicht zusammengehen. Die radikale

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    binische Tradition aus ihrer Auslegung der Thora, genauer des Hoheliedesableitet (Bavli Ketubot, 111a). Der Schwurakt, der traditionell als aus dreiSchwren ( ) bestehend verstanden wird, begrndet damiteine Art Eidgenossenschaft,Israel, die sich verpflichtet, diesen Thora-Logos

    ihrer Polis zugrunde zu legen. Der wesentliche Teil des Schwurs ist nachTeitelbaum i, nicht als Mauer [nach dem Land Israel] zukommen.73 Raschi sieht darin Israels Verpflichtung, keine Polis mit star-ker Hand, also auf Gewalt zu grnden. Zur Polis soll vielmehr der Logosfhren, daher der zweite Teil des Schwurs, i, nicht dasEnde erzwingen. Das bedeutet nach WaJoel Mosche, sich nicht eigen-mchtig und vorzeitig eine Regierung zu nehmen.74 Da die GemeinschaftIsrael die heilige Zunge selbst als Logos zum Grund hat, wirkt das Abwei-chen von dieser Logik, das heit das Brechen des Schwurs, selbstzerstrend.Der dritte Teil des Schwurs ist das, was der Bruch desselben zur Folge hat:i, Ich werde euer Fleischwie die Gazellen und die Hirsche auf dem Felde preisgeben. Indem Israelden Logos bricht, den es zum Grund hat, ist es logisch zum Untergang verur-teilt.

    Angesichts der weltpolitischen Ereignisse des 20. Jahrhunderts wurde diegenaue Bedeutung dieses Schwurs seines kritischen Gehalts wegen unter-schiedlich interpretiert.75 Was den Rabbiner von Satmar zu einer Schlssel-

    figur im zeitgenssischen Diskurs macht, ist seine grundstzliche Auffas-sung, wonach der Zionismus, auch nach der Entstehung des Staates Israel,einen Bruch des Schwurs darstellt.76 Eine besondere Herausforderung stellt

    Lehre von R. Joel Teltelbaum. Der Admor von Satmar], in: Ha-iyonut 22 [2001], 3760,hier 51) versteht.

    73 Teitelbaum, WaJoel Mosche, 5.74 Ebd., 7. Auch hier beruft sich Teitelbaum auf Raschis Kommentar zu den Wrtern (dass sie nicht das Ende erzwingen). Eine andere Fassung des Schwurtex-

    tes jedoch lautet, beinahe im Gegenteil, (dass sie das Ende nicht ver-schieben).75 Mordechai Breuer z.B. bestreitet die Zentralitt, die Teitelbaum den drei Schwrenzuschreibt, und behauptet, dass sie berhaupt nicht als Halacha, das heit verbindlichesGesetz in der rabbinischen Tradition, zu verstehen seien; siehe ders., Ha-diyun bi-shloshetha-shvuot ba-dorot ha-aronim [Die Diskussion der drei Schwre in den letzten Genera-tionen], in: J. Ben Sasson (Hg.), Geula u-medina [Erlsung und Staat], Jerusalem 1979,4957; siehe auch Lamm, The Ideology of the Neturei Karta, 4245. Aviezer Ravitzkydagegen besttigt die zentrale theologisch-politische Bedeutung der Schwre; siehe ders.,Messianism, Zionism, and Jewish Religious Radicalism, Tel Aviv 1993 (hebr.), 277305.

    76 Die Forschung ist sich einig, dass Teitelbaums antizionistische Position the standard pre-war Orthodox stance on modern Jewish nationalism (Nadler, Piety and Politics, 137)

    war (gemeint ist der Zweite Weltkrieg). Siehe auch Kraus, Yahadut ve-iyonut, 3741;Rivka Schatz, Imut ha-safrut ha-aredit im ha-iyonut [Die Auseinandersetzung der ultra-orthodoxen Literatur mit dem Zionismus], in: Nativ 5 (November 1988), 8689, hier 86;Dalya Levi, Or li-yesharim. manifest anti-ioni ve-tguvot aadot [Or li-yesharim.

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    seine Ansicht dar, dass die schlimmste Folge des zionistischen Eidbruchsdie groen, wie Wermut bitteren Unglcke seien, dergleichen Israel, seit-dem es zum Volk wurde, nie befallen und welche wir unserer vielen Mis-setaten wegen in den letzten Jahren erlitten htten.77 Er meinte den Holo-

    caust.78Die Kritik des Zionismus versteht sich hier also als Selbstkritik in Bezug

    auf den eigenen Wortbruch. Dieses Verhltnis drckt die Kategorie aus, wel-cher WaJoel Mosche den Zionismus zuordnet: (Minut). Der Ausdruckleitet sich vermutlich von dem Wort (Min), Art, Gattung, ab. Im rabbi-nischen Denken bedeutet dieser Begriff den Widerstand gegen das rabbini-sche Denken, das nicht fremden, etwa heidnischen Grundstzen entspringt,sondern in diesem Denken selbst seinen Ursprung hat und sich mithin alsSelbstverleugnung, als Entartung desselben darstellt. Im christlichen Den-ken, das fr die Rabbiner als ein historisch besonders wirkmchtiger FallvonMinut galt, wird dieses Verhltnis Hresie genannt.79 In der zionisti-schen Ideologie erkennt nun WaJoel Mosche den schlimmsten Fall vonMinut, seitdem die Erde gegrndet worden. Denn die Zionisten, die sichdoch auf die heilige Zunge und ihre Gemeinschaft berufen, verkehren daslebendige Wort Gottes.80 In ihrem Mund wird Israel, das Wort fr dieWortgemeinschaft, nicht nur zum Namen einer Stadt, sondern auch eines

    Ein antizionistisches Manifest und einige Reaktionen], in: Ha-iyonut 19 (1995), 3165. David Sorotzkin verortet Teitelbaums Denken innerhalb der Entstehung der neuzeitli-chen jdischen Orthodoxie als kritische Antwort auf den modernen Staat, wobei er vonRabbiner Judah Lw, dem Maharal von Prag, ausgeht; siehe ders., Binyan ere shel matave-urban ere shel mala. ha-rabi mi-satmar ve-ha-askola ha-ortodoksit ha-radikalit [Auf-bau des Landes unten und Zerstrung des Landes oben. Der Rabbiner von Satmar und dieradikale orthodoxe Schule], in: Aviezer Ravitzky (Hg.), Ere yisrael ba-hagut ha-yehuditba-mea ha-esrim [Das Land Israel im jdischen Denken des 20. Jahrhunderts], Tel Aviv2005, 133167.

    77 Teitelbaum, WaJoel Mosche, 5.

    78 Dem Zionismus Verantwortung fr den Holocaust zuzuschreiben, ist ein hufiges Motivim ultraorthodoxen Diskurs; siehe Menachem Friedman, The Haredim and the Holocaust,in: The Jerusalem Quarterly 53 (Winter 1990), 86114; und Dina Porat, Shutafaw shelamalek. ha-ashamot ha-aredim (ha-ultra-ortodoksia ha-anti-ionit) ba-are bi-shnot ha-80 klapei ha-ionut bi-tkufat ha-shoa [Amaleks Komplizen. Die Anschuldigungen derCharedim (der antizionistischen Ultraorthodoxen) in Israel in den 1980er Jahren gegenden Zionismus in der Zeit des Holocaust], in: Ha-iyonut 19 (1992), 295324. KimmyCaplan beobachtet eine Vernderung des Diskurses seit den 1990er Jahren; siehe ders.,Have Many Lies Accumulated in Books? The Holocaust in Ashkenazi Haredi Histo-rical Consciousness in Israel, in: Yad Vashem Studies 29 (2001) 321376.

    79 Zur Geschichte und Interrelation der Kategorien Minut und Hresie siehe Daniel

    Boyarin, Justines Dialogue with the Jews: The Beginnings of Orthodoxy, in: BorderLines. The Partition of Judaeo-Christianity, Philadelphia, Pa., 2004, 3774, und die dortzitierte Forschung.

    80 Teitelbaum, WaJoel Mosche, 7.

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    souvernen Staates, wo alles vom fleischlichen Arm und von Waffenabhngt.81 Daher seien das Vertrauen in diesen Staat und das Vertrauen indie heilige Thora zwei vollkommene Gegenstze.82 Dies in der heiligenZunge zu beweisen, ist WaJoel Mosches Ziel. Uns interessiert hier der dritte

    Teil des Beweises,Die Rede ber die heilige Zunge, der die Verkehrung derSprache selbst zeigen will.

    Im Zentrum steht das Sprachverstndnis in seiner Verbindung zur Sprach-praxis. Kritisiert werden jene, die die Forderung, in der heiligen Zunge zusprechen, bekrftigen und diese Falle gelegt haben, um die Herzen derShne Israels fr ihre unreine Zunge zu fangen, die sie Hebrisch nennen.83

    WaJoel Mosches Kritik ist ebenso praxisorientiert. Sie gehrt zur rabbini-schen Gattung der Responsa, ist also eine Antwort des Rabbiners auf einepraktische Anfrage, die ihm, als einer Autoritt des rabbinischen Logos, voneiner Gemeinde vorgelegt wurde. Die Frage war, ob es nach diesem LogosGesetz sei, Kindern die heilige Zunge beizubringen.84 Diese Frage mag ver-wundern. Wird hier nicht die Grundlage dieser Gemeinde selbst, nmlichdie Vertrautheit mit dem Logos der heiligen Zunge, infrage gestellt? Kehrtsich diese Infragestellung, die sich fragend an das heilige Wort wendet, nichtgegen sich selbst? Es zeigt sich hier eine innere Distanz der heiligen Zungezu sich selbst, ein Abstand der Selbstreflexion, jenseits aller kindlichenNatrlichkeit. Die heilige Zunge ist keine spontane native Sprache, die ihr

    Leben allein in der Gesprochenheit hat, und sie soll auch keine solche wer-den. Deshalb kann ihr Erlernen nicht fr eine Selbstverstndlichkeit gehal-ten werden. Trotzdem erstaunt WaJoel Mosches Antwort, die inzwischenzur theoretischen Grundlage fr die Sprachpraxis einiger Gemeinden gewor-den ist. Im ersten Abschnitt seiner Rede zeigt er nmlich, dass es in der rab-binischen Tradition keine Verpflichtung und kein Gebot gibt, die Zunge zulehren.85

    Diese praktische Antwort fhrt zu einer tieferen Fragestellung. Denn auchwenn Sprachunterricht nicht zur Trivialitt werden soll, ist er doch von gro-

    81 Ebd.82 Ebd., 13.83 Ebd., 403.84 Die Anfrage bezieht sich genau gesagt auf Mdchen, fr die die Frage des Sprachunter-

    richts in Teitelbaums rabbinischer Tradition eine besondere Bedeutung hat, weil Mdchenin dieser Tradition prinzipiell nicht zum Thora-Lernen bestimmt sind. Vgl. Hayim Beer,Mi-leshon ha-KaBa li-leshon ha-SaTa. al maavakei ha-ortodoksia im ha-ivrit [Von derZunge des Heiligen sei er gesegnet zur Zunge der Sitra Ara. ber die Kmpfe der Ortho-doxie gegen das Hebrische], in: New Jewish Time. Jewish Culture in a Secular Age. An

    Encyclopedic View, Bd. 2, o. O. 2007 (hebr.), 272282, hier 277. Teitelbaums Antwortbezieht sich allerdings auf den Unterricht von der heiligen Zunge fr mnnliche Jungen[sic] (WaJoel Mosche, 433).

    85 Teitelbaum, WaJoel Mosche, 407.

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    em Nutzen und warum wurde er berhaupt nicht erwhnt?86 Diese Fragenach einem Grund veranlasst WaJoel Mosche dazu, die historische Existenzder heiligen Zunge als selbstbewusstes Sprachbewusstsein in den Blick zunehmen. Whrend das Verstndnis von Natursprache in der Ungesprochen-

    heit ber Generationen den Tod der Sprache sieht, erkennt WaJoel Moschedarin eine Hochleistung des Geistes. Im Gegensatz zu der zionistischenForderung, in der heiligen Zunge zu sprechen, weist der Rabbiner vonSatmar darauf hin, dass die rabbinische Tradition, anders als im Fall desErlernens der Zunge, dessen Gebot infrage steht, es konsequent und absolutvermieden hat, das Sprechen der Zunge als Gebot anzuerkennen. SchonEsra, der Schriftsteller, hat zur Zeit der Rckkehr aus dem babylonischenExil, auf die sich der Zionismus gern bezieht, das Sprechen in der heiligenZunge nicht allgemein verordnet, sondern stattdessen die bersetzung ein-gefhrt. In der inneren Logik dieser Gemeinschaft, die die Sprache als ihrepolitische Grundlage betrachtet, lsst sich also ein Widerstand gegen derenSprechen beobachten. Dieser Befund fhrt WaJoel Mosche zur positivenBestimmung der heiligen Zunge.

    Um die Heiligkeit der Zunge zu begreifen, verweist er auf ihre Benennungals solche in ihrer textuellen berlieferung.87 Die zentrale Stelle befindetsich im berhmten Thorakommentar von Rabbiner Moses Ben Nachman(Ramban) aus dem 13. Jahrhundert. In seiner Auslegung zu Exodus 30,13

    erklrt Nachmanides den Grund, warum unsere Lehrer die Zunge derThora die heilige Zunge nennen, wie folgt:

    " ,,,,"",, .,Sie ist die Zunge, in der der Heilige, er sei gesegnet und sein Name erhoben, mit sei-nen Propheten und seiner Gemeinde spricht [] und in der er mit seinen heiligenNamen genannt wurde El, Elohim, Zwaot, und Schaday, und Jod Heh, und dem gro-

    en besonderen Namen und in der er seine Welt erschuf und die Namen von Himmelund Erde und alles darin rief.88

    Heilig ist also die Zunge, die den Menschen von dem Heiligen, Gott, beige-bracht wurde, nachdem er mit ihr die Welt erschaffen und benannt hatte.Rabbiner Jesaja Horovitz (15651630), der von Teitelbaum zitierte Schelah,leitet daraus ab, dass die Namen in der heiligen Zunge keine beliebige,sozial- und kulturbedingte Zeichenkonvention darstellen, sondern vielmehr

    86 Ebd., 414.87 Ebd., 430 f.88 Sefer Ramban hu biur al ameshet umshei tora [Das Buch Ramban. Kommentar des

    Pentateuchs], Warschau 1881, Exodus 53.

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    mit den Dingen selbst verbunden sind.89 Aber anders als in der mystischenWort-Ding-Verbindung, die Logisches und Nicht-Logisches magisch ver-bindet, sind die von den Namen der heiligen Zunge genannten Dinge selbstlogisch erschaffen, gehren also dem Bereich des Logos mit an. Diesen

    Bereich, in dem Namen und Dinge vereint sind, nennt der Schelah ,Geistigkeit. Auf das Geistige greifen die Namen durch ihre -, Wurzeln, zurck, die in der heiligen Zunge die Bedeutungsradikale, das logischeWesen jedes Namens ausmachen. Dadurch werden in dieser Zunge alleNamen zu Begriffen. Die heilige Zunge kann daher als das aufgefasst wer-den, was Hegel den reinen Gedanken oder Logik nannte: die Darstel-lung Gottes, wie er in seinem ewigen Wesen vor der Erschaffung der Naturund eines endlichen Geistes ist.90

    Aus dem logischen Wesen der heiligen Zunge, die mit der Weltordnungselbst verbunden ist, ergibt sich wiederum die Gefahr ihres Missbrauchs.Fr die heilige Thora ist das Sndigen in Sprache abscheulicher, wenn esin der heiligen Zunge getan wird.91 Schlechte Ideen sind in der heiligenZunge noch schlechter, weil sie sich in ihr als Gottes Wort verkleiden. Hierinliegt fr WaJoel Mosche, dem Sohar folgend, die traumatische logo-politi-sche Bedeutung des Turmbaus zu Babel. In Babel versuchte die Menschheitmit der ihr vom Weltschpfer gegebenen Zunge eine Weltpolis zu grnden.Was an diesem Turmbauprojekt schlecht war, ist bei den Rabbinern umstrit-

    ten;92

    es ist aber mit jenem Vergehen vergleichbar, das ber die Menschheitdie vernichtende Sintflut brachte. Daraus folgt, dass es die schlimmsteKatastrophe der Welt ist, wenn Bse in der heiligen Zunge sprechen.93

    Eben eine solche Katastrophe glaubt WaJoel Mosche im Sprachprojektder Zionisten zu erkennen, welche die Kunst ihrer Vorfahren in der Zeit derSpaltung94 aufgenommen haben, um wie sie die heilige Zunge mit allenKrften in den Dienst der Unreinheit zu stellen.95 Das Hebrische ist dem-nach die Selbstverneinung der laschon ha-kodesch. Wie oben gezeigt, ver-steht und verhlt sich das Hebrische auch so. Die Idee der Volkszunge als

    Natursprache behauptet sich gegen die Idee der Zunge als Logos; das Werkder Wiederbelebung hebt die historische Existenz dieser Zunge praktisch

    89 Sefer shnei luot ha-brit [Das Buch der zwei Bundestafeln], Amsterdam 1698, Titel 13.90 G. W. F. Hegel, Wissenschaft der Logik (1812), Frankfurt a. M. 1986, 44.91 Teitelbaum, WaJoel Mosche, 422.92 Dieser Frage bin ich in einem anderen Text nachgegangen: Elad Lapidot, What is the Rea-

    son for Translating Philosophy? I. Undoing Babel, in: Lisa Foran (Hg.), Translation andPhilosophy, Bern 2012, 89107.

    93 Teitelbaum, WaJoel Mosche, 423.94 , eine rabbinische Bezeichnung fr den Zustand der Menschheit zur Zeit desTurmbaus zu Babel.

    95 Teitelbaum, WaJoel Mosche, 426.

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    auf. Fr das universale Projekt der heiligen Zunge ist das nationale Hebr-ische, das in das nationalstaatliche Israelische mndet, daher viel schlim-mer, tausende und zehntausende Male, malos und grenzenlos, als die ande-ren Vlkerzungen.96

    Das Jiddische

    Die Bitterkeit, mit der der Satmarer Rebbe seine Kritik erhebt, erschwertderen sachliche Rezeption im national orientierten modernen Sprachver-stndnis zustzlich. Zudem verhindert eine zu schnelle Grenzziehung zwi-

    schen nichtweltlich-religis und weltlich-skular leicht, im Begriff derheiligen Zunge Elemente einer alternativen, universellen Logopolitik undSprachethik zu erkennen, die weniger vor- als vielmehr nachmodern seinkann.97 Das Wesentliche ist, die heilige Zunge als Begriff eines schon ausge-sprochenen Logos zu verstehen: des aristotelischen Vernunftlogos in seinerkonkreten Offenbarung als Sprache in der Welt. Diese Weltlichkeit fhrt mitsich eine Dialektik der Selbstentfremdung (Minut) ein, deren Bewegung dielogopolitische Weltgeschichte ausmacht. Ihr Anfang heit Babel.

    Anders als in der Sintflut ist die Menschheit in Babel nicht untergegan-

    gen, sondern durch Gottes allerletzten direkten Eingriff in die Weltlogik dem Wunder, dass die heilige Zunge von ihnen genommen wurde98 gerettet worden. Die Verwirrung der universalen Sprache, durch die die ver-schiedenen Vlkerzungen entstanden sind, habe die heilige Zunge nicht aus-gelscht, sondern aus der nicht reflektierten natrlichen Gesprochenheit

    96 Ebd., 428.97 Der Ansatz, sich der modernen rabbinischen Denktradition als Ausgangspunkt fr ein kri-

    tisches Denken der Moderne anzunhern, kann hier nicht weiter ausgefhrt und begrndet

    werden. hnliche zeitgenssische Versuche erkenne ich bei Amnon Raz-Krakotzkin,Galut be-toch ribonut. le-bikoret shlilat ha-galut ba-tarbut ha-yisraelit [Exil in Souve-rnitt. Zur Kritik der Exilverneinung in der israelischen Kultur], in: Teoria u-vikoret 4(Herbst 1993), 2355 (die Beziehung zur jdischen Ultraorthodoxie als Selbstkritik,36); Jonathan Boyarin, Circumscribing Constitutional Identities in Kiryas Joel, in: ders./Daniel Boyarin, Powers of Diaspora, Minneapolis, Minn., 2002, 103129 (die Satmar-Polis, Kiryas Yoel, stellt eine Politik von diaspora und genealogy dar, als Alternativezur herrschenden Politik von individual and territorial liberty); Oded Schechter, Le-shonam ha-tame she-krauhu ivrit. Bein leshon ha-kodesh ve-ha-aramit. Le-geneologiashel ha-ivrit [Ihre unreine Zunge, die sie Hebrisch nennen. Zwischen der heiligenZunge und Aramisch. Zur Genealogie des Hebrischen], in: Mitaam 2 (2005), 110;

    Schechter erkennt bei WaJoel Mosche ein Exil-Bewusstsein, ein etwa dem kantischenSubjekt gegenberstehendes zerstreutes Bewusstsein, und betrachtet die heilige Zungeals eine Zunge, die keinen Namen, nur Beschreibung hat (6).

    98 Teitelbaum, WaJoel Mosche, 423.

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    heraus zum angestrebten Ideal erhoben. Babel ist damit der Anfang einertheologo-politischen Weltgeschichte, an deren Ende die heilige Zunge steht.Diese liegt der Weltpolis erst als Entwurf einer knftigen Welt zugrunde.Die knftige Weltpolis, als Vollendung der Geschichte, bezeichnet WaJoel

    Mosche mit dem fr das rabbinische politische Denken zentralen Begriff, die Tage des Messias. Erst dann wird die heilige Zunge wie-der, wie vor Babel, allgemein gesprochen, erst dann darf eine gesprocheneSprache als heilige Zunge behandelt werden. Dann aber werde ich den Vl-kern reine Lippe [ ] werden, damit sie alle den Namen JHWAanrufen und ihm eintrchtig dienen (Zef 3,9).99

    In der Zwischenzeit, im Exil (Galut), da die Lippen noch nicht alle reinsind, darf die Sprache noch nicht wieder eine einzige und heilige, selbstvers-tndliche native language werden. Nach der an Jehuda Halevis Kusarianknpfenden rabbinischen Tradition, auf die sich Teitelbaum beruft, wurdedie heilige Zunge seit Babel von keinem, nicht einmal von Abraham, alsUmgangssprache verwendet, sondern ausschlielich als Wort Gottes stu-diert. Die Entfernung vom gttlich-logischen Weltentwurf hat es notwendiggemacht, den Verkehr mit der heiligen Zunge immer wieder zu begrenzen,um die Gefahr ihrer Verkehrung zu bannen. Abermals wird Babel zu Ortund Namen einer Distanzierung von der heiligen Zunge, wenn der Talmud,zumal in seiner babylonischen Kanonisierung, das Studium des heiligen

    Logos in einer anderen Zunge, dem Aramischen, institutionalisiert. Da derstudierte Logos eine Sprache ist, wird sein Studium durch diese Umwand-lung allerdings nicht anderssprachig, sondern zweisprachig wie die Exis-tenz der heiligen Zunge selbst.

    Hierin mag der Kern der rabbinischen Logopolitik liegen. Anders als dienational-hebrische versteht sie sich als noch nicht perfekt; anders als diestaatlich-israelische aber doch als fortschrittsfhig. So ist die Welt-Logo-Politik im Kommen. In der Zwischenzeit lebt der kommende Weltbrgerzwischen den Zungen: den Vlkerzungen der Gegenwart und einer heiligen

    Zunge der Zukunft. Dieses Dazwischen ist nicht gekennzeichnet von derEntzweiung von eigener Muttersprache und fremder Weltsprache (Wissen-schaftssprache, Fachsprache, Handelssprache usw.) und auch nicht von derDiglossie100 von Dialekt und Hochsprache. Das Zwischensprachliche der

    99 bersetzung des Verfassers (nach Luther: Dann aber will ich den Vlkern reine Lippengeben, da sie alle des HERRN Namen anrufen sollen und ihm eintrchtig dienen.).

    100 Shlomo Morags Begriff der Sozioglossie von Wissenssprache und Alltagssprache istein besserer Ausdruck fr das hier beschriebene Verhltnis; siehe ders., The Study of the

    Language Traditions of the Jewish Communities of the Diaspora, in: ders./Moshe Bar-Asher/Maria Mayer-Modena (Hgg.), Vena Hebraica in Judaeorum Linguis. Proceedingsof the 2nd International Conference on the Hebrew and Aramaic Elements in JewishLanguages (Milan, October 2326, 1995), Mailand 1999, 315.

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    Rabbiner bildet vielmehr eine Mischsprache beziehungsweise einen Misch-sprachraum mit eigener Ethik. Dieses Sprachdasein nennt WaJoel Mosche, die verdorbene Zunge.101 Eben als verdorben wurdediese Sprachexistenz von der Haskala zugunsten des Hochdeutschen und

    des Hebrischen verworfen. Von der eschatologischen Perspektive der Rab-biner her gesehen ist sie aber die von der heiligen Zunge notwendig unter-brochene, gestrte, herausgeforderte Sprache der Galut, der Migration:Judeo-Aramisch, Judeo-Griechisch, Judeo-Arabisch und so fort, eine Kate-gorie von jdischen Sprachen, wo das Jdische weder das Heilige, noch dasHebrische, noch das Israelische ist, sondern vielmehr um es deutsch zusagen ein wesensverdorbenes Jiddisch.

    101 Teitelbaum, WaJoel Mosche, 421.

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