3
306 Berichte zur Wissenschaftsgeschichte 20 (1997) 306-308 Forschungsberichte und Spezialbibliographien Peter Brosche Laplace schreibt nach Gotha Summary: Around 1800, Laplace had an intense correspondence with his collea- gues in Gotha on problems in celestial mechanics, especially on the lunar theory. Most of these letters are not inciuded in Roger Hahn's New calendar of the cowe- spondence of I? S. Laplace (1 994). Schliisselworter: Briefwechsel, Himmelsmechanik, Zeitschriften (astronomische); Johann Tobias Burg, Pierre Simon Laplace, Franz Xaver von Zach; XVIII Jh., XIX Jh. Schon aus der verdienstvollen Zusammenfassung des Briefwechsels von Pierre Si- mon Laplace durch Roger Hahn in einem Kalendeu' erhalt man den Eindruck, dai3 Gotha fur Laplace keine terra incognita war. Gleichwohl sind darin nur zwei Briefe an Zach und einer von ihm aufgefuhrt; ansonsten handelt es sich um Erwah- nungen in Briefen an Dritte. Ein eigentlich leichter zuganglicher Teil dieses Brief- wechsels ist ubersehen worden: der unmittelbar veroffentlichte. Franz Xaver von Zach (1754-1832), dessen Zeitschriften die ersten astronomi- schen Fachblatter darstellten und der selbst einige Jahre von Gotha aus wichtigster Informationsvermittler im deutschen Sprachraum war, bezog seine Neuigkeiten aus Frankreich vor allem aus den Briefen von Jerame de Lalande (1732-1807). Zu- nachst referieren deshalb publizierte Briefe (oder Auszuge aus solchen) von La- lande an Zach auch die wichtigen Ergebnisse von Laplace. Dies ist schon in den Supplementbanden zu Johann Elert Bodes - Berliner -Astro- nomischem Jahrbuch am Ende des 18. Jahrhunderts der Fall, bleibt aber auch noch so, als Zach seine eigenen Zeitschriften herausgibt, 1798-1799 vier Bande der in Weimar bei Bertuch erschienenen Allgemeinen Geographischen Ephemeriden (AGE) und ab 1800 die bei Becker in Gotha bis 1813 erscheinende Monatliche Covvespondenz . . . (MC). Neben den quantitativ dominierenden Lalande2 tritt Johann Karl Burckhardt (1773-1825), der bei Zach gearbeitet und von diesem an Lalande empfohlen wor- den war. Er ging 1797 nach Paris, wurde 1799 eingeburgert und nach Lalandes Tod 1807 Astronom der Ecole militaire. Sein Portrait hangt in der Ehrenrotunde des Pariser Observatoriums. Als Spezialist fur Himmelsmechanik war er fur Laplace ein geeigneter Diskussionspartner; er hat auch die ersten beiden Bande von dessen Me'canique ce'leste erstmals ins Deutsche ubersetzt und der Herzogin Marie Char- lotte Amalie von Sachsen-Gotha-Altenburg gewidmet3. Es darf vermutet werden, dai3 der Brief von ,,Charlotte Saxe-Gotha" am 12.4.1801 an Laplace4 in diesem Zusammenhang entstanden ist. Burckhardt konnte naturlich besonders qualifiziert uber Laplace's Arbeiten berichten5. 0 VCH Verlagsgesellschaft mbH, D-69451 Weinheim 1997 0170-6233/97/0412-0306 $10.00+.25/0

Laplace schreibt nach Gotha

Embed Size (px)

Citation preview

306 Berichte zur Wissenschaftsgeschichte 20 (1997) 306-308

Forschungsberichte und Spezialbibliographien

Peter Brosche

Laplace schreibt nach Gotha

Summary: Around 1800, Laplace had an intense correspondence with his collea- gues in Gotha on problems in celestial mechanics, especially on the lunar theory. Most of these letters are not inciuded in Roger Hahn's N e w calendar of the cowe- spondence of I? S. Laplace (1 994).

Schliisselworter: Briefwechsel, Himmelsmechanik, Zeitschriften (astronomische); Johann Tobias Burg, Pierre Simon Laplace, Franz Xaver von Zach; XVIII Jh., XIX Jh.

Schon aus der verdienstvollen Zusammenfassung des Briefwechsels von Pierre Si- mon Laplace durch Roger Hahn in einem Kalendeu' erhalt man den Eindruck, dai3 Gotha fur Laplace keine terra incognita war. Gleichwohl sind darin nur zwei Briefe an Zach und einer von ihm aufgefuhrt; ansonsten handelt es sich um Erwah- nungen in Briefen an Dritte. Ein eigentlich leichter zuganglicher Teil dieses Brief- wechsels ist ubersehen worden: der unmittelbar veroffentlichte.

Franz Xaver von Zach (1754-1832), dessen Zeitschriften die ersten astronomi- schen Fachblatter darstellten und der selbst einige Jahre von Gotha aus wichtigster Informationsvermittler im deutschen Sprachraum war, bezog seine Neuigkeiten aus Frankreich vor allem aus den Briefen von Jerame de Lalande (1732-1807). Zu- nachst referieren deshalb publizierte Briefe (oder Auszuge aus solchen) von La- lande an Zach auch die wichtigen Ergebnisse von Laplace.

Dies ist schon in den Supplementbanden zu Johann Elert Bodes - Berliner -Astro- nomischem Jahrbuch am Ende des 18. Jahrhunderts der Fall, bleibt aber auch noch so, als Zach seine eigenen Zeitschriften herausgibt, 1798-1799 vier Bande der in Weimar bei Bertuch erschienenen Allgemeinen Geographischen Ephemeriden (AGE) und ab 1800 die bei Becker in Gotha bis 1813 erscheinende Monatliche Covvespondenz . . . (MC).

Neben den quantitativ dominierenden Lalande2 tritt Johann Karl Burckhardt (1773-1825), der bei Zach gearbeitet und von diesem an Lalande empfohlen wor- den war. Er ging 1797 nach Paris, wurde 1799 eingeburgert und nach Lalandes Tod 1807 Astronom der Ecole militaire. Sein Portrait hangt in der Ehrenrotunde des Pariser Observatoriums. Als Spezialist fur Himmelsmechanik war er fur Laplace ein geeigneter Diskussionspartner; er hat auch die ersten beiden Bande von dessen Me'canique ce'leste erstmals ins Deutsche ubersetzt und der Herzogin Marie Char- lotte Amalie von Sachsen-Gotha-Altenburg gewidmet3. Es darf vermutet werden, dai3 der Brief von ,,Charlotte Saxe-Gotha" am 12.4.1801 an Laplace4 in diesem Zusammenhang entstanden ist. Burckhardt konnte naturlich besonders qualifiziert uber Laplace's Arbeiten berichten5.

0 VCH Verlagsgesellschaft mbH, D-69451 Weinheim 1997 0170-6233/97/0412-0306 $10.00+.25/0

Peter Brosche: Laplace schreibt nach Gotha 307

Einen quantitativen und qualitativen Sprung in der Berichterstattung uber Laplace markiert der vierte Band der AGE (zweite Jahreshalfte 1799). Er beginnt nach einem Portrait von Laplace als Frontispiz auf Seite 1 mit einem sehr bemerkens- werten Beitrag von ihm, der nichts weniger enthalt als die Beweisfuhrung zu der sonst von ihm nur behaupteten Moglichkeit6, die Anziehung von Sternen konne so stark sein, dai3 sie ihr Licht wieder ,,zuruckholen", also schwarze Locher seien (im Rahmen der Newtonschen Mechanik). Lalande hatte daruber kurz an Zach ge- schrieben7, und Zach wird vielleicht eine Explikation von Laplace gewunscht ha- ben, die er auch erhielt und publizierte. (Wie alle anderen derartigen Beitrage und Briefe ubersetzte Zach sie ins Deutsche, ohne das eigens zu erwahnen; nur gele- gentlich zitierte er kurze Passagen im Original.) Dies ist der erste Beitrag von La- place fur Zach, und es ist wahrhaftig ein Originalbeitrag; denn Laplace hat nichts Aquivalentes an anderer Stelle veroffentlicht. Er ist jiingst ins Englische weiter- iibersetzt worden'. Der selbe Band der AGE enthalt dann auch noch eine Biogra- phie von Laplace und eine Bibliographie seiner Werke.

In der den AGE nachfolgenden Monatlichen Correspondenz gibt es nun a) weiter- hin Berichte anderer uber Laplacesche Arbeiten, b) Aufsatze von Laplace, die aller- dings auch Ubersetzungen, etwa aus der Connaissance des terns sein konnten, c) Zwischenformen zwischen Beitragen und Briefen sowie d) Briefe von Laplace an Zach und seinen Nachfolger Bernhard August von Lindenau (1780,1854).

Uber die beiden letzten Formen gibt die nachfolgende Tabelle eine Ubersicht; sie ist damit eine Erganzung des Calendar von Roger Hahn. Was die Zwischenformen anlangt, so sind sie einerseits durch nichterkennbare Bearbeitungen des Herausge- bers bedingt, der eine Einsendung j e nach Bedarf als 'Correspondenz-Nachricht' oder, gerade bei einem prominenten Autor vielleicht noch lieber, als Aufsatz frisie- ren konnte. Andererseits ist es aber gut vorstellbar, dai3 schon der Urheber, hier Laplace, sich gar nicht eindeutig fur das eine oder andere entschieden hatte. Indi- zien fur die Aufnahme in diese Kategorie waren Kiirze, Angabe eines prazisen Da- tums sowie eine personliche Wendung. Wenn das Datum im Revolutionskalender gegeben war, wird es hier in dieser Form miterwahnt. Die Vollstandigkeit der Wie- dergabe ist nie gesichert; unterschieden wird zwischen nicht erkennbarer und er- kennbarer Unvollstandigkeit. Bis auf den letzten Brief unserer Tabelle, den vom 22.11.181 1 an Lindenau, sind die Briefe nicht im Hahnschen Calendar enthalten. Die nur im franzosischen Revolutionskalender angegebenen Daten wurden mit Hilfe der Tabellen von Zach in MC 27 (1813), 305, umgewandelt und mit denen von Friedrich Karl Ginzel im dritten Band seines Handbuchs der Chronologze (Leipzig 1914) kontrolliert'.

Zum Inhalt der Briefe ist zu sagen, dai3 sie sich auf Himmelsmechanik und ihre Anwendungen beziehen, das heii3t zunachst auf die analytische Theorie der groi3en Planeten und der Kometen, dann aber auch speziell auf die Theorie des Mondes. Eine praktische Anwendung war die Laplacesche Theorie der Gezeiten. Er kum- merte sich durchaus auch um die Beobachtung der Meeresgezeiten, konnte es als ,Senator' und ,Kanzler' ja auch. Eine auch durch die Sonne-Mond-Konstellation bedingte Springflut veranlai3te ihn zur systematischen Vorausberechnung ,groi3er' Fluten. Extravagante ,Anwendungen' der Himmelsmechanik waren die schon er- wahnte auf die Lichtfortpflanzung und auf den moglichen Weg von Meteoriten vom Mond zur Erde.

Hinsichtlich der sehr komplexen Theorie der Mondbewegung war neben Zach der damals bei ihm weilende Johann Tobias Burg (1766-1834) de facto wohl auch ,Empfanger' der diesbezuglichen Laplaceschen Briefe. Diese Aussage wird gestutzt durch einen Brief von Laplace an Burg via Zach vom 1.9.1801 bei Hahn. Seine Lei-

Ber.Wissenschaftsgesch. 20 (1997) 306-308

308 Peter Brosche: Laplace schreibt nach G o t h a

stungen waren so gewichtig, dai3 er und Alexis Bouvard 1806 je 1 kg Gold als Preis der Pariser Akademie erhielten. Ahnlich wie Burckhardt darf er als qualifizierter Gesprachspartner von Laplace gelten. Ich habe jedenfalls den bestimmten Ein- druck, dai3 Laplace diese Diskussion par distance so ernst nahm wie die in seinem Pariser Umfeld.

Briefe von Laplace an die Herausgeber" der Monatlichen Correspondenz in Gotha Nr.

1

2 3

4

5

6 7 8

9 10 11

Datum"

17. 3. 1800 [26 VentBse 81 13. 6. 1800 26. 3. 1801 [5 Germinal 91 29. 5. 1801 [9 Prairal 91 9. 7. 1801 [20 Messidor ?] 19. 7. 1801 4.2. 1801" 24. 7. 1802 [5 Thermidor 101 < Nov. 1803 < Nov. 1804 22. 11. 1811

Charakterb

B

A B

B

B

B B B

A A B

Vollstandigkeit'

L

1

Abdruck in M C [Bd/S.=M/J]

4, 113 = Aug. 1801

2, 157 = Aug. 1800 4,120 = Aug. 1801

4, 131 = Aug. 1801

4,258 = Sept. 1801

4, 158 = Aug. 1801 5, 274 = Marz 1802 6,273 = Sept. 1802

8,468 = Nov. 1803 10,449 = Nov. 1804 24. 581 = Dez. 1811

(a: Falls im Revolutionskalender gegeben, so ist dieses Datum in [ ] hinzugesetzt. Die Briefe Nr. 5 und 6 konnten auch aus einem fruheren Jahr stammen, da eine Jahreszahl nicht angegeben wird - aber das ist unwahrscheinlich. - b: B = sicher Brief, A = Brief oder Aufsatz. - c: 1 = Vollstandigkeit moglich, 2 = einzelne Passagen.)

1 Roger Hahn: The new calendar of the correspondence of Pierre Simon Laplace. Berkeley Papers in

2 Zum Beispiel AGE 1 (1798), 465, und 2 (1798), 251. 3 Mechanik des Himmels von P. S. Laplace. Aus dem Franzosischen iibersetzt und mit erlauternden

Anmerkungen versehen von J. C. Burckhardt. Erster Theil, Berlin 1800, mit dem Widmungstext: Der Durchlauchtigsten Furstin Maria Carolina Amalia, regierenden Herzogin zu Gotha, widmet die- ses unsterblichen Werkes Uebersetzung zum offentlichen Zeichen seiner unbegrantzten und ehr- furchtsvollsten Dankharkeit J. C. Burckhardt:

History of Science XVI, Berkeley 1994

4 R. Hahn (wie Anm. l) , S. 47. 5 Zum Beispiel AGE 1 (1798), 230 und 686. 6 P. S. Laplace: Exposition du Systkme du Monde. Paris 1796, sowie 2. Auflage, Paris 1799 (ab der

dritten Auflage fehlt diese Behauptung). 7 AGE 1 (1798), 603. 8 Uber die Zusammenhange siehe P. Brosche: Ahn-Herr der Lichtahlenkung. Lichenberg-jdrbuch

9 Die Tabellen von Rudolf Wolf iin ersten Band seines Handbuchs der Astronomic (Zurich 1890) lie-

10 Empfanger ist Zach, auger Lindenau beim letzten Brief Nr. 11. Bei den Briefen Nr. 1, 3 und 4 de

11 Auf diesen Brief wird sich die Erwahnung cines Briefs vom Februar 1832 in M C 5 (1802), 247, be-

1992, 138-146, und: Errata 1993, 106.

fern fur 1801 jeweils ein urn einen Tag spateres Datum.

facto auch Burg.

ziehen.

Anschrift des Verfassers: Prof. Dr. Peter Brosche, Observatorium Hoher List, D-54550 Daun.

Ber.Wissenschaftsgesch. 20 (1997) 306-308