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| EDITORIAL D ie Quantenphysik unterscheidet sich so grundlegend von der Alltagsphysik, dass sogar deren Gründungsvä- ter Schwierigkeiten mit der von ihnen geschaffenen Theo- rie hatten. Ein besonders krasses Beispiel ist der Messpro- zess, der immer wieder kontrovers diskutiert wurde. Albert Einstein zum Beispiel konnte sich nie mit der von Max Born stammenden stochastischen Interpretation der Wellen- funktion,der zufolge Messergebnisse einer Zufallsverteilung unterliegen, anfreunden. Einstein hat sein Unbehagen be- kanntlich in dem Ausspruch „Gott würfelt nicht!“ zusam- mengefasst. W erner Heisenberg hat ein anderes Mysterium des Messprozesses anhand des Lichtmikroskops be- schrieben. Er wählte diesen Versuchsaufbau, um zu de- monstrieren, dass Quantenteilchen durch die Wechselwir- kung mit einer Messapparatur grundsätzlich gestört wer- den und dass diese Störung mit der von ihm gefundenen Orts-Impuls-Unschärferelation im Einklang steht. Seitdem wissen wir, dass eine Ortsmessung grundsätzlich eine Änderung des Im- pulses bewirkt und eine Sequenz von Ortsmessungen daher nie den glei- chen Messwert liefert. Eine Ortsmes- sung ist also nie zerstörungsfrei. D iese Schlussfolgerung gilt jedoch nicht für alle Messgrößen. Es ist zum Beispiel pro- blemlos möglich, die Anzahl von Atomen in einem Beob- achtungsvolumen exakt zu bestimmen und dies mehrfach zu bestätigen. Ohne diese Fähigkeit wären die vielen schö- nen Experimente, die in den letzen Jahren mit einzelnen Atomen durchgeführt wurden,nicht möglich.In der Tat hat man sich daran gewöhnt, dass Materieteilchen beim Ab- zählen nicht einfach verschwinden. A ber warum glaubt man, dass die Quantenteilchen des Lichtes, die Photonen, bei der Detektion immer ver- schwinden müssen? Die Antwort ist einfach: Man hat sich daran gewöhnt, weil alle bisher konstruierten Lichtdetek- toren so funktionieren, dass ein Photon absorbiert und ein Photoelektron erzeugt wird. Seit Einsteins Arbeiten zum photoelektrischen Effekt ist diese Vorstellung des destruk- tiven Photonennachweises im Bewusstsein so fest veran- kert, dass man sich kaum vorstellen kann, dass es auch an- ders geht. W ie Stefan Kuhr in seinem Aufsatz auf Seite 303 in die- sem Heft beschreibt, ist es Forschern an der Ecole Normale Supérieure in Paris jetzt gelungen, zerstörungsfreie Photonenmessungen durchzuführen – genau wie dies mit Atomen schon immer möglich ist.Durch Verwendung eines besonders raffinierten Detektors können Geburt und Tod einzelner Mikrowellenphotonen in einem Strahlungshohl- raum erstmals in Echtzeit verfolgt werden. Die Bedeutung dieses spektakulären Experimentes für grundlegende Un- tersuchungen insbesondere zum quantenmechanischen Messprozess kann gar nicht überschätzt werden. S o können jetzt die von Wolfgang Pauli vor über fünfzig Jahren theoretisch beschriebenen Messungen zweiter Art durchgeführt werden. Messungen zweiter Art unter- scheiden sich von Messungen erster Art dadurch, dass nur die erste Messung ein zufälliges Ergebnis liefert und dass al- le weiteren Messungen dieses Ergebnis immer wieder be- stätigen.Im Gegensatz zu den Heisenbergschen Messungen besteht der Trick dabei darin, die mit der Messung verbundene Störung so zu verstecken, dass sie nicht sichtbar wird. Bei den zerstörungsfreien Pho- tonenmessungen ist dies die Phase des Lichts, die völlig ruiniert wird. Da man sich nicht für die Phase interes- siert,hat das keinerlei Konsequenzen. D as zerstörungsfreie Messen von Lichtquanten be- schränkt sich nicht auf einzelne Photonen. So ist es jetzt möglich,die Photonenzahlschwankungen sowohl von thermischem als auch von kohärentem Licht in Echtzeit zu verfolgen.Besonders interessant sind auch Viel-Photonen-Zu- stände, die sich in einem quantenmechanischen Überlage- rungszustand befinden. Solche Schrödinger-Katzen lassen sich jetzt zerstörungsfrei beobachten. Mit ihrem neuen Messverfahren haben die Forscher in Paris wahrlich ein neu- es, vielversprechendes Tor in die wundersame Welt der Quanten geöffnet. Leben und Sterben eines Photons Prof. Dr. Gerhard Rempe ist Direktor am Max-Planck- Institut für Quanten- optik in Garching und Professor an der Technischen Univer- sität München. Außerdem ist er Kurator von Physik in unserer Zeit. EIN NEUES TOR IN DIE WUNDERSAME WELT DER QUANTEN © 2009 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim www.phiuz.de 6/2009 (40) | Phys. Unserer Zeit | 271

Leben und Sterben eines Photons

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Page 1: Leben und Sterben eines Photons

| E D I TO R I A L

Die Quantenphysik unterscheidet sich so grundlegendvon der Alltagsphysik, dass sogar deren Gründungsvä-

ter Schwierigkeiten mit der von ihnen geschaffenen Theo-rie hatten. Ein besonders krasses Beispiel ist der Messpro-zess,der immer wieder kontrovers diskutiert wurde.AlbertEinstein zum Beispiel konnte sich nie mit der von Max Bornstammenden stochastischen Interpretation der Wellen-funktion,der zufolge Messergebnisse einer Zufallsverteilungunterliegen, anfreunden. Einstein hat sein Unbehagen be-kanntlich in dem Ausspruch „Gott würfelt nicht!“ zusam-mengefasst.

Werner Heisenberg hat ein anderes Mysterium desMessprozesses anhand des Lichtmikroskops be-

schrieben. Er wählte diesen Versuchsaufbau, um zu de-monstrieren, dass Quantenteilchen durch die Wechselwir-kung mit einer Messapparatur grundsätzlich gestört wer-den und dass diese Störung mit der von ihm gefundenenOrts-Impuls-Unschärferelation im Einklang steht. Seitdemwissen wir, dass eine Ortsmessunggrundsätzlich eine Änderung des Im-pulses bewirkt und eine Sequenz vonOrtsmessungen daher nie den glei-chen Messwert liefert. Eine Ortsmes-sung ist also nie zerstörungsfrei.

Diese Schlussfolgerung gilt jedochnicht für alle Messgrößen. Es ist zum Beispiel pro-

blemlos möglich, die Anzahl von Atomen in einem Beob-achtungsvolumen exakt zu bestimmen und dies mehrfachzu bestätigen. Ohne diese Fähigkeit wären die vielen schö-nen Experimente, die in den letzen Jahren mit einzelnenAtomen durchgeführt wurden,nicht möglich. In der Tat hatman sich daran gewöhnt, dass Materieteilchen beim Ab-zählen nicht einfach verschwinden.

Aber warum glaubt man, dass die Quantenteilchen desLichtes, die Photonen, bei der Detektion immer ver-

schwinden müssen? Die Antwort ist einfach: Man hat sichdaran gewöhnt, weil alle bisher konstruierten Lichtdetek-toren so funktionieren, dass ein Photon absorbiert und einPhotoelektron erzeugt wird. Seit Einsteins Arbeiten zumphotoelektrischen Effekt ist diese Vorstellung des destruk-tiven Photonennachweises im Bewusstsein so fest veran-kert, dass man sich kaum vorstellen kann, dass es auch an-ders geht.

Wie Stefan Kuhr in seinem Aufsatz auf Seite 303 in die-sem Heft beschreibt, ist es Forschern an der Ecole

Normale Supérieure in Paris jetzt gelungen,zerstörungsfreiePhotonenmessungen durchzuführen – genau wie dies mitAtomen schon immer möglich ist.Durch Verwendung einesbesonders raffinierten Detektors können Geburt und Todeinzelner Mikrowellenphotonen in einem Strahlungshohl-raum erstmals in Echtzeit verfolgt werden. Die Bedeutungdieses spektakulären Experimentes für grundlegende Un-tersuchungen insbesondere zum quantenmechanischenMessprozess kann gar nicht überschätzt werden.

So können jetzt die von Wolfgang Pauli vor über fünfzigJahren theoretisch beschriebenen Messungen zweiter

Art durchgeführt werden. Messungen zweiter Art unter-scheiden sich von Messungen erster Art dadurch, dass nurdie erste Messung ein zufälliges Ergebnis liefert und dass al-le weiteren Messungen dieses Ergebnis immer wieder be-stätigen.Im Gegensatz zu den Heisenbergschen Messungen

besteht der Trick dabei darin, die mitder Messung verbundene Störung sozu verstecken, dass sie nicht sichtbarwird. Bei den zerstörungsfreien Pho-tonenmessungen ist dies die Phasedes Lichts, die völlig ruiniert wird. Daman sich nicht für die Phase interes-siert,hat das keinerlei Konsequenzen.

Das zerstörungsfreie Messen von Lichtquanten be-schränkt sich nicht auf einzelne Photonen. So ist es

jetzt möglich,die Photonenzahlschwankungen sowohl vonthermischem als auch von kohärentem Licht in Echtzeit zuverfolgen.Besonders interessant sind auch Viel-Photonen-Zu-stände, die sich in einem quantenmechanischen Überlage-rungszustand befinden. Solche Schrödinger-Katzen lassensich jetzt zerstörungsfrei beobachten. Mit ihrem neuenMessverfahren haben die Forscher in Paris wahrlich ein neu-es, vielversprechendes Tor in die wundersame Welt derQuanten geöffnet.

Leben und Sterbeneines Photons

Prof. Dr. GerhardRempe ist Direktoram Max-Planck-Institut für Quanten-optik in Garchingund Professor an derTechnischen Univer-sität München.Außerdem ist erKurator von Physikin unserer Zeit.

EIN NEUES TOR IN DIE

WUNDERSAME WELT

DER QUANTEN

© 2009 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim www.phiuz.de 6/2009 (40) | Phys. Unserer Zeit | 271