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Wir Lebenskünstler: Übermensch oder Individualisierungsopfer? Lebenskunstphilosophie als soziologische Praxis 23.05.2011 Inken Titz, Bianca Böhm

Lebenskunstphilosophie als soziologische Praxis 23.05.2011 Inken Titz, Bianca Böhm

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Page 1: Lebenskunstphilosophie als soziologische Praxis 23.05.2011 Inken Titz, Bianca Böhm

Wir Lebenskünstler: Übermensch oder

Individualisierungsopfer?

Lebenskunstphilosophie als soziologische Praxis

23.05.2011

Inken Titz, Bianca Böhm

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Individualisierung nach Beck

Merkmale westlicher Gesellschaft:

Kontinuitätsbruch in der Gesellschaftsentwicklung (nämlich zwischen der alten Industrie- und der neuen Risikogesellschaft)

wachsende Individualisierung

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Individualisierung nach BeckDrei Dimensionen von Individualisierung:1. "Freisetzungsdimension": die Herauslösung

aus traditionalen Herrschafts- und Versorgungs- zusammenhängen;

2. "Entzauberungsdimension": Verlust von traditionalen Sicherheiten

3. "Kontroll- und Reintegrationsdimension": eine neue Art der sozialen Einbindung durch Institutionen

(Beck 1986, S.206)

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„ An die Stelle von Ständen treten nicht mehr

soziale Klassen, an die Stelle von sozialen

Klassenbindungen tritt nicht mehr der stabile

Bezugsrahmen der Familie. Der oder die

einzelne selbst wird zur lebensweltlichen

Reproduktionseinheit des Sozialen.“ (209)

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„Individuen werden innerhalb und außerhalb der Familie zum Akteur ihrer marktvermittelten Existenzsicherung und ihrer Biographieplanung und –organisation“ (209)

Marktabhängigkeit Keine traditionalen Arbeitsmöglichkeiten

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„Die freigesetzten Individuen werden arbeitsmarktabhängig und deshalb bildungsabhängig, konsumabhängig, abhängig von sozialrechtlichen Regelungen und Versorgungen,…“ (210)

Institutionenabhängige Kontrollstruktur

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„Die Kehrseite des Vorübergehenden, mit der die Arbeitslosigkeit eintritt, ist die Verwandlung von Außenursachen in Eigenschuld, von Systemproblemen in persönliches Versagen." (S. 150)

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Drei Bedeutungsdimensionen von Individualisierung

(Inhaltliche Einteilung und Überschriften entnommen aus: Beck-Gernsheim, E., Individualisierungstheorie: Veränderungen des Lebenslaufs in der Moderne)

 I. Befreiung aus traditionellen KontrollenII. Verlust traditioneller StabilitätenIII. Neue Bindungen, Zwänge, Kontrollen

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Makroebene Mikroebene

gesamtgesellschaftliche privater Lebensraum Prozesse

  

 Individualisierung= „biographische[] Folgen von

Modernisierungsprozessen“ (126)

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„Die soziale Mobilität hat ihr Korrelat in kognitiver und normativer Mobilität“ (132) (Berger / Berger / Kellner 1975)

  

„neue Formen des Lebenslaufs, neue Denk- und Verhaltensweisen, neue Anforderungen, Erwartungen, Ziele“, „Möglichkeiten, Konflikte, Zwänge“ (125)

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I. Befreiung aus traditionellen Kontrollen

Vormoderne Erweiterung Moderne Lebenswelt Lebenswelt Befreiung

Betonung von „Enge Erweiterung Lebensradius/ und Beschränkt- heit“ (127) Gewinn an Handlungs-

spielräumen und Wahlmöglich- keiten (128) / Biographische Freiräume (129)

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Vormoderne Moderne Lebenswelt Lebenswelt

Relativ geschlossene Pluralität von Bereichen = Lebenswelt

„gegensätzliche Bedeutungs- und Erfahrungswelten“ (129) Erweiterung des Subjekts

= des geistigen Horizonts= der inneren Autonomie

Emanzipation Selbstentfaltung

 Autoritätsverlust des Kollektivbewusstseins (129)

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II. Verlust traditioneller Stabilitäten Stabilitätsverlust

Traditionelle Individualisiertes Bindungen Risikozunahme Subjekt

Halt, Sicherung, Schutz Bedrohungen im

für den einzelnen (130) Lebenslauf:

„Je mehr Chancen es gibt, desto mehr Möglichkeiten

gibt es auch Chancen zu verpassen“ (130)

„Auflösung traditioneller

innerer Bindungen“ (= Werte, Glaubenssysteme)“ (131)

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„zunehmende Bindungslosigkeit auf immer mehr Ebenen“ (131)

= „innere ‚Heimatlosigkeit‘“ (131)

Bedrohungen:

a. „biographisch-strukturell“ (= Abstieg, Konkurrenzdruck, Entwurzelung, Isolation) (131)

b. „psychisch“ (= innere Leere, Versagensangst, Zerstörung innerer Autonomie, Entfremdung) (131)

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III. Neue Bindungen, Zwänge, Kontrollen „Abhängigkeitswandel“ Traditionelle

„institutionenabhängige“ Bindungen Individuen

Moderne bringt andere Arten der Abhängigkeit hervor:

„die neuen Wahlmöglichkeiten, die sich dem einzelnen eröffnen (zum

Beispiel Berufswahl), [sind] wiederum eingebunden […] in gesellschaftliche

Rahmenbedingungen, institutionelle Regeln und Vorschriften (zum

Beispiel Schullaufbahnen, Zeugnisse, Gesundheitszertifikate), die dem

einzelnen nicht zur Disposition stehen“ (133)

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„Formen der indirekten, vielfältig vermittelten, unsichtbar scheinenden Beeinflussung“ (133)

„Biographie wird zur ‚neuen Vergesellschaftungsform‘“ (135) = „institutionenabhängige Individuallage“ (Beck 1986, 210)

„Doppelgesicht“ von Individualisierungsprozessen (136)

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„traditionelle und die moderne Gesellschaft [haben] je eigene Formen sowohl der Vielfalt wie der Gleichförmigkeit“ (134)

  … oder negativer?

Adorno (1970): „evidenter Verfall von Individualität“ und „Standardisierung der Menschen“

Beck (1983): „noch nie war die individuelle Existenz so wenig individuell-autonom zu führen wie heute, wo die Individualisierung am weitesten fortgeschritten ist“

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Gab es Individualisierung schon immer?  „Individualisierung [ist] in einem allgemeinen Sinne nichts

Neues“ (139)

aber: veränderte Charakteristik in der heutigen Gesellschaftz. B.: „Massencharakter“ „Weitläufigkeit und Systematik des gegenwärtigen Individualisierungsschubes“ Demokratisierung

 „Das historisch Neue besteht darin, daß heute ganz

durchschnittlichen Individuen zugemutet wird, daß sie ihr Leben ‚selbst‘ führen“ (Kaufmann 1969)

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Oder gibt es Individualisierung noch kaum? „Individualisierungsprozesse [sind] Produkt

langer historischer Prozesse, die hier früher, dort später einsetzen“ (139)

= Individualisierung ist keine „Momentaufnahme“ (140)

 „Der Trend ist entscheidend, seine

Systematik, die mit fortschreitender Modernisierung verknüpft ist.“ (140)

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Exkurs: Übermensch(zitiert nach: Nietzsche, F., Also sprach Zarathustra)  „Und Zarathustra sprach also zum Volke:Ich lehre euch den Übermenschen. Der Mensch ist Etwas, das

überwunden werden soll. […]

Der Übermensch ist der Sinn der Erde. Euer Wille sage: der Übermensch sei der Sinn der Erde! […]

Ich beschwöre euch, meine Brüder, bleibt der Erde treu und glaubt Denen nicht, welche euch von überirdischen Hoffnungen reden! […]

  Zarathustra aber sahe das Volk an und wunderte sich. Dann sprach er

also:[…] Der Mensch ist ein Seil, geknüpft zwischen Thier und

Übermensch, – ein Seil über einem Abgrunde.“ 

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Bauman: Wir Lebenskünstler

„Wenn frei sein bedeutet, seine eigenen Wünsche und Ziele verfolgen zu können, dann muß man sagen, daß die konsumorientierte Lebenskunst der flüchtigen Moderne diese Freiheit zwar verspricht – ihr Versprechen aber nur in wenigen ausgewählten Fällen auch erfüllt.“(126)

„Du kannst ein anderer werden“ oder „Du musst ein anderer werden“?

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„Wer unser heutiges Leben in seinen tiefen Erfahrungen und oberflächlichen Erlebnissen als Künstler nachvollziehbar darstellen will … kommt um Metzgers Manifest und Rauschenbergs ‚Radierung‘ nicht herum, die den unmittelbaren Zusammenhang von Kreation und Destruktion aufzeigen, erhellen und nachprüfbar machen…“ (119)

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Die „flüssige“ Moderne „Wer kann schon wissen, welches Los bei der nächsten

Ziehung der Lebenslotterie gewinnt? Nur wer kein Los kauft, hat schon verloren ...“

 = Kontingenz der Lebensverhältnisse= maximal widersprüchliche und minimal berechenbare

Existenzbedingungen   „Abends brauchen wir Viagra, am nächsten Morgen die Pille

danach“ 

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Anbindung an Foucault 

Analyse der Veränderung von Machtausübung / -verhältnissen:schwer greifbar und nicht innerhalb politischer Grenzen,somit signifikante Auswirkungen auf die alltäglichen Lebensverhältnisse

 

 Das Phänomen der Macht als Unterscheidungskriterium von der „soliden“ Moderne und der „flüssigen“ Postmoderne:Panopticum als Schlüsselmetapher moderner Machtverhältnisse wird in der Postmoderne abgelöst durch eine „post-panoptische“ Charakterisierung

 

Keine Grenzziehung mehr zwischen „Drinnen und Draußen“Nur an den Grenzen der Gesellschaft besteht diese fort: Hier geht es um Ausschluss und Demütigung derer, die nicht mithalten können