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Lebensqualität bei Arthrose erhalten

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Page 1: Lebensqualität bei Arthrose erhalten

Gelenkschmerzen im Griff

Lebensqualität bei Arthrose erhaltenArthrosen zählen zu den häufigsten Ursachen für chronische Schmerzen im Alter und sind daher in Pflegeeinrichtungen von großer Relevanz. Auch wegen der häufigen Begleiterkrankungen von Senioren stellen sie einen erheblichen Anspruch an die Behandlung. Oberstes Ziel ist es, Operationen zu vermeiden oder zu verzögern – im Vordergrund aber steht die Lebensqualität.

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ArthroseGelenkverschleißArthritisChronische Schmerzen

KEYWORDS Einzelne oder mehrere schmerzhafte Gelenke (Mon/Oligo- bzw. Polyarthritis) werden bei verschiedenen entzündlich-rheumatologischen

Erkrankungen, aber auch bei Verletzungen, Fraktu-ren, Impingement-Syndromen oder Tumoren bei Beschwerden am Bewegungsapparat gefunden. Im Gegensatz dazu werden Arthrosen als degenerative

Erkrankungen mit Beteiligung des Gelenkknorpels betrachtetet, die als primäre Formen nach Überlas-tung und vorwiegend im Alter auftreten. Bei den sekundären Formen kommen ursächlich andere Vorerkrankungen in Betracht wie beispielsweise Rheumatoide Arthritis, Gicht, Psoriasisarthritis oder Kollagenosen (Tab. 1).

Die Einteilung der Arthrosen – zumindest der pri-mären Formen – sollte aufgrund der verschiedenen Pathomechanismen erweitert werden. Ähnlich wie bei entzündlichen Erkrankungen werden einzelne oder mehrere Gelenke symmetrisch oder asymme-trisch befallen. Im Falle der Finger sind fast aus-schließlich die Endgelenke mit typischer Knotenbil-dung (Heberden-Arthrose), die Mittelgelenke (Bouchard-Arthrose) oder Daumensattelgelenke (Rhizarthrose) betroffen. Diese Form betrifft häufig Frauen nach der Menopause und tritt symmetrisch und ohne offensichtliche Fehlbelastung oder Trauma auf. Vorwiegend einzelne oder wenige Gelenke be-treffende Arthrosen entstehen dagegen häufig nach jahrzehntelanger Überlastung und bei adipösen Men-schen. Aber auch Patienten ohne Übergewicht ent-wickeln arthrotische Veränderungen, die nahezu ausschließlich erst nach dem 40. Lebensjahr beobach-tet werden.

Gelenkschmerz kann vielfältige Ursachen habenIn der Anamnese finden sich meist langjährig beste-hende und im Verlauf zunehmende Beschwerden. Typisch ist ein Belastungsschmerz – im Gegensatz zu entzündlich-rheumatologischen Erkrankungen. Nur in sehr fortgeschrittenen Fällen tritt auch ein nächt-licher Ruheschmerz auf, der mit Überwärmung und einem Erguss verbunden sein kann (aktivierte Ar-throse). Finger, Knie, Hüften und Wirbelgelenke sind häufig betroffen, Sprunggelenke und Ellenbogen seltener. Fortgeschrittene Formen werden als Arthro-sis deformans bezeichnet.

Bei der Untersuchung durch den Arzt können Kre-pitation (knirschende Geräusche) und nach längerem

TAB. 1 DIFFERENTIALDIAGNOSEN

Mono- und oligoartikulär Polyartikulär

Gicht Gicht

Pseudogicht (Chondrocalcinose)

Pseudogicht (Chondrocalcinose)

Reaktive Arthritiden Rheumatoide Arthritis

Sarkoidose (Löfgren-Syndrom)

Psoriasisarthritis

M. Crohn / Colitis ulcerosa Spondyloarthritiden

Streptokokken Vaskulitiden

Borrelien

Posttraumatisch

Impingement-Syndrome

Bursitis

Insertionstendinopathie

Osteonekrosen

Diabetes mellitus

Akromegalie

Rheumatoide Arthritis

Psoriasisarthritis

Spondyloarthritiden

Kollagenosen

Frakturen

Tumore

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PflegeKolleg Chronische Schmerzen

Heilberufe / Das Pflegemagazin 2014; 66 (2)

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Typisch für Arthrosen ist der Belastungsschmerz.

Verlauf eine Kapselkontraktur (Fehlstellung), schmerzhafte Bewegungseinschränkung oder Insta-bilität auffallen. In der Labordiagnostik fehlen An-zeichen einer systemischen Entzündung oder andere rheumatologische Parameter wie Rheumafaktoren oder antinukleäre Antikörper. Werden diese dennoch gefunden, stehen sie in Zusammenhang mit einer anderen, möglicherweise autoimmunologischen Zweiterkrankung.

Im Röntgenbild zeigt sich meist eine mehr oder weniger stark ausgeprägte Verschmälerung des Ge-lenkspalts aufgrund von Knorpelsubstanzverlust,

zusätzlich finden sich Geröllzysten, Knochenverdich-tungen unter dem Gelenkknorpel (subchondrale Sklerosierung) und Knochenanbauten (osteophytäre Anbauten). An den Fingergelenken werden in fort-geschrittenen Fällen knöcherne Erosionen gefunden. Es gibt immer wieder eine Diskrepanz zwischen den radiologischen Veränderungen und dem klinischen Beschwerdebild: Geringe radiologische Verände-rungen können unerwartet viele Beschwerden ver-ursachen und umgekehrt.

Der Gelenkultraschall (Arthrosonographie) ver-schafft einen Überblick über das Ausmaß eines even-tuell vorhandenen Gelenkergusses, der bei einer klinischen Untersuchung nicht festgestellt werden kann, so z.B. an der Hüfte. Zudem lässt sich die Ak-tivität einer Synovialitis (Entzündung der Gelen-kinnenhaut) abschätzen. Mittels Magnetresonanzto-mografie (MRT) können darüber hinaus eventuelle Meniskusläsion am Knie, aber auch das Ausmaß des Knorpelsubstanzdefekts bestimmt werden. Außerdem kommen bei entsprechenden Fragestellungen (z.B. Verdacht auf Mikrofrakturen, Abgrenzung von Ar-thritiden) Computertomografie (CT) oder Ske-lettszintigrafie zum Einsatz.

Sekundäre Kniegelenksarthrose bei einer 79-Jäh-rigen. Bemerkenswert ist der erhebliche Knorpelsub-stanzverlust mit nahezu aufgehobenem Gelenkspalt, subchondraler Sklerosierung und Osteophyten.

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Was die Gelenkflüssigkeit verrätEine wichtige, aber häufig nicht eingesetzte diagnos-tische Maßnahme ist die Analyse der Gelenkflüssig-keit (Synovialflüssigkeit), die durch Punktion gewon-nen werden kann. Zellzahl (bei Arthrose 200 bis 2.000 Zellen/µl), Differenzierung der Leukozyten (Lym-phozyten bei Arthrose, vermehrt Granulozyten bei entzündlichen Arthritiden), Viskosität (erhöht bei Arthrose) oder das polarisationsmikroskopische Bild (Kristalle bei Gicht oder Pseudogicht) liefern den möglicherweise entscheidenden Hinweis für die wei-teren differentialtherapeutischen Schritte.

Bei einer autoimmunen Arthritis kann die Bestim-mung der Rheumafaktoren oder Anti-CCP-Antikör-per in der Gelenkfüssigkeit hilfreich sein. Beim Ver-dacht einer infektassoziierten Problematik kann die Analyse der Antikörper beispielsweise für Borrelien oder anderer Erreger diagnostisch weiter führen. Sollten sich in der Anamnese oder bei der Untersu-chung Anhaltspunkte für eine andere Differentialdi-agnose ergeben, muss diese weiter verfolgt werden. Hierzu zählen pathologische Veränderungen in den gelenknahen Weichteilen (Periarthropathien) wie Sehnen, Sehnenscheiden, Bänder und Schleimbeutel.

Wie bei jeder unklaren Schmerzsymptomatik sind auch eventuelle extrasomatische Momente zu berück-sichtigen. Außerdem muss bedacht werden, dass neben einer über möglicherweise lange Jahre entstan-denen Arthrose sich in jedem Lebensalter im selben Gelenk eine entzündliche Arthritis entwickeln kann. In diesem Fall gleicht das radiologische Bild dann einer Arthrose, obwohl eine zusätzliche und mögli-cherweise das klinische Bild bestimmende Arthritis

vorliegt. Wertvolle differentialdiagnostische Hinwei-se liefert dann die Analyse der Gelenkflüssigkeit.

Viele rheumatische Erkrankungen lassen sich mit serologischen Parametern weiter eingrenzen, darun-ter anti-CCP-Antikörper, Rheumafaktoren u.a. Als Ultima Ratio kann nach Ausschluss einer infektiolo-gischen Problematik auch ein Behandlungsversuch mit Steroiden in Betracht gezogen werden. Grund: Arthrosen sprechen nicht auf eine systemische Im-munsuppression an und bei Besserung der Beschwer-desymptomatik könnte auch eine entzündliche Ar-thritis vorliegen.

Multimodale Therapieoptionen sind unverzichtbar Zur Behandlung stehen nicht-medikamentöse, ein-schließlich operative Maßnahmen sowie medikamen-töse Therapieoptionen zur Verfügung. In jedem Fall sollte der Patient aber ausreichend aufgeklärt, zu einer Änderung des Lebensstils und eventuell zur Ge-wichtsreduktion mit diätetischer Umstellung angeregt werden. Auch eine Anbindung an Selbsthilfegruppen kann für den Patienten sehr wertvoll sein.

Neben einer Gehhilfe ist eine konsequente physi-kalische Therapie eine der wichtigsten nicht-medi-kamentöse Behandlungsmöglichkeit. Hier wird durch die gezielte Koordination der Muskelfunktion eine Stabilisierung des Gelenks erreicht und Beugekon-trakturen entgegengewirkt. Obwohl vermutet wird, dass wegen des belastungsabhängigen Charakters der Arthrose eine Immobilisierung einen positiven Ein-fluss hat, sollte diese nicht langfristig sein und durch regelmäßige, physiotherapeutisch dosierte Belastung ersetzt werden. Allerdings ist bisher nicht eindeutig geklärt, in welchem Ausmaß die Übungen erfolgen sollten. Weitere Maßnahmen sind Orthesen, weiches Schuhwerk oder Schuheinlagen. Noch nicht gänzlich geklärt ist, wie sich lokale Kälte oder Wärme auswir-ken, wobei letztere wahrscheinlich den synovialen Reiz aktiviert und somit die Krankheitsproblematik verstärkt. Interferenzstrom ist eine weitere konserva-tive Behandlungsoption bei Arthrose. Andere alter-nativmedizinische Verfahren wie Akupunktur können in einigen Fällen hilfreich sein.

Medikamentöse BehandlungMedikamentöse Therapien können bisher eine Ar-throse nicht heilen. Deshalb haben Pharmaka als symptomatische Behandlungsalternative zum Ziel, die Lebensqualität zu verbessern und den Funktions-verlust zu verzögern. Dieser ergibt sich durch mecha-nische Folgeschäden wie Kapselkontrakturen oder muskuläre Dysbalancen.

Paracetamol wird als erste Behandlungsoption empfohlen, ist aber aufgrund der begrenzten analge-tischen und antiphlogistischen Eigenschaften häufig nur eingeschränkt einsetzbar – zumal in höheren

TAB. 2 THERAPIE BEI ARTHROSE

Nicht medikamentös Medikamenös

Gewichtsreduktion bei Adipositas Paracetamol

Diätumstellung Externe tNSAR

Krankengymnastik tNSAR bzw. COX-2-Hemmer p. o.

Gehhilfe Metamizol p. o.

Ergotherapie Intraartikuläre Kortikosteroide

TENS (Radiosynoviorthese)

Orthesen und Schuheinlagen

Kälte bzw. Wärme

Operativ

evtl. arthroskopische Lavage

evtl. Debridement

Umstellungsosteotomie

TEP

Der Patient sollte aus-reichend aufgeklärt

und zu einer Änderung des Lebensstils und

eventuell zur Gewichts-reduktion angeregt

werden.

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PflegeKolleg Chronische Schmerzen

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▶ Erst die genaue Differenzialdiagnose ermöglicht eine zielgerichtete Behandlung bei Patienten mit chronischen Gelenkschmerzen.

▶ Bei älteren und eventuell adipösen Patienten ist Arthrose die häufigste Differenzialdiagnose. Die Anamnese für Infekte, Fieber, rheumatische Er-krankungen, chronische entzündliche Darm- erkrankungen oder Psoriasis lenkt aber möglicher-weise auf eine andere oder zusätzliche Genese der Beschwerden.

▶ Obwohl eine konventionelle Röntgendiagnostik häufig den typischen Befund einer Arthrose zeigt, sollten andere Differenzialdiagnosen bei entspre-chender Hinweisen bedacht und weiter unter-sucht werden.

▶ Therapeutische Maßnahmen sind in Abhängigkeit des Befalls (z.B. Gewichtsreduktion oder Ergothe-rapie) neben einer medikamentösen Therapie mit tNSAR oder COX-2- Hemmern die ersten Maßnah-men.

FA Z IT FÜ R D I E PFLEG E

PD Dr. med. Matthias F. SeidelFachbereichsleiter Internist. Rheumatologie Medizinische Klinik und Poliklinik III Universitätsklinikum Bonn Sigmund-Freud-Str. 25, 53125 Bonn [email protected] Literatur beim Verfasser

Dosen ein ähnliches Nebenwirkungsprofil wie bei traditionellen nichtsteroidalen Antirheumatika (tN-SAR) beobachtet wird. Diese sind bei Arthrose besser wirksam, allerdings sollten die möglichen Nebenwir-kungen unter Einschluss der gastrointestinalen, kar-diovaskulären, hepatischen und renalen Anamnese sorgfältig bei mittel- bis langfristiger Anwendung abgewogen werden. Unter Umständen kann aber durch den Gebrauch von tNSAR mit konsekutiver Schmerzbesserung der Verlauf einer Arthrose be-schleunigt werden. Inhibitoren der Cyclooxygenase-(COX)-2 haben den Vorteil, im oberen Gastrointe-stinaltrakt besser verträglich zu sein. Metamizol kann bei Unverträglichkeit oder Kontraindikationen von tNSAR oder COX-2-Hemmern eingesetzt werden. Klinische Studien zeigen für extern angewendete tN-SAR ebenfalls eine Wirksamkeit. In fortgeschrittenen Fällen kommen zudem intraartikuläre Injektionen mit Kortikosteroiden in Betracht. Diese sind aber aufgrund des Nebenwirkungsprofil (z.B. Osteonekro-sen oder Exazerbation bei Diabetes mellitus) einge-schränkt (maximal vier Injektionen pro Jahr und Gelenk) und ihre Wirksamkeit zeitlich begrenzt. Alternativ werden gelegentlich, aber mit ähnlicher Limitierung radiochemische Verfahren eingesetzt. Infiltrationen mit Lokalanästhetika bei z.B. Periar-thritis sind ebenso denkbar. Opiate sollten Ausnah-mesituationen vorbehalten bleiben, in denen sie entweder nur kurzfristig eingesetzt werden oder erst, wenn alle anderen Therapieoptionen ausgeschöpft und operative Maßnahmen nicht möglich sind.

Operative Verfahren (z.B. Débridement, Umstel-lungsosteotomie oder Endoprothese) sind indiziert, wenn konservative Therapiemaßnahmen ausge-schöpft sind. Ein Gelenkersatz ist meist dann erfor-derlich, wenn die Einschränkung der Lebensqualität des Patienten nicht mehr vertretbar ist.

Die verfügbaren medikamentösen Therapieopti-onen zielen vorwiegend auf eine Analgesie und lassen den natürlichen und zumeist progredienten Krank-heitsverlauf unberührt. Die Diagnose einer Arthrose oder anderer rheumatischer Erkrankungen veranlasst Patienten immer wieder, alternative Therapieopti-onen zu suchen. Häufig werden Phytotherapeutika angeboten, ohne dass die Wirksamkeit in randomi-sierten klinischen Studien belegt ist. Glucosamin, Chondroitin-Sulfat, Oxaceprol und Hyaluron-Säure gehören zur Gruppe der „Symptomatic Slow Acting Drugs“ (SYSADOA), zeigen aber einen unterschied-lichen klinischen Evidenzgrad. Angesichts der be-schränkten und häufig über viele Jahre erforderlichen Therapiemaßnahmen kommen auch ganz andere Stoffgruppen in Betracht – wie Antagonisten für Serotoninrezeptoren des Subtyps 3 (5-HT3-Rezeptor-Antagonisten), die bisher zur Behandlung der Che-motherapie-induzierten Nausea zugelassen sind. Diese Substanzen stellen eine sichere Option dar,

wenngleich noch keine klinischen Langzeitdaten bei Arthrose vorliegen.

Neue BehandlungsoptionenDas Risikoprofil für die bisher zugelassenen medika-mentösen Therapien wie traditionelle nichtsteroida-len Antirheumatika (tNSAR) bzw. Opiate haben in den letzten Jahren die Suche nach neuen Behand-lungsoptionen angeregt. Hierbei rückten Antago-nisten für den Nerve Growth Factor (NGF) zuneh-mend in den Fokus. NGF ist u.a. auch für die Chro-nifizierung von Schmerzen und neurogene Entzün-dungen verantwortlich. Eine vermehrte NGF- Syn-these wird bei vielen rheumatischen Erkrankungen, Arthrose eingeschlossen, beobachtet. Mittlerweile wurden Antikörper entwickelt, die gegen NGF ge-richtet sind. Sie werden in Studien u.a. bei Arthrose und anderen chronischen Schmerzzuständen unter-sucht.

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