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Lehrbuch der Organischen Chemie

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Page 1: Lehrbuch der Organischen Chemie

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152 © 2014 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim Chem. Unserer Zeit, 2014, 48, 152 – 153

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schen Chemie in Kapitel 6 mit der1,2-Addition von Nucleophilen an dieCarbonylgruppe. Dies geschieht, be-vor der Leser etwas zu Acidität undBasizität bzw. zu konformativen Be-weglichkeiten von Molekülen erfah-ren hat. Des Weiteren kommt in die-sem Kapitel ein Nucleophil wie Me-thyllithium zum Einsatz, über das derunerfahrene Leser bisher keinerleiKenntnisse besitzt. Nachdem man eine Einführungsvorlesung über Or-ganische Chemie nach den Stoffklas-sen gehört hat, bereitet dieses Kapi-tel in der Tat ein Lesevergnügen.Doch ohne diese Vorkenntnisse mussman skeptisch sein, was ein Anfängerhiervon mitnehmen kann.

In Kapitel 7 werden die Konzep-te Delokalisierung, Konjugation undAromatizität eingeführt. Hier hätteman sich nur noch gewünscht zu er-fahren, wie man denn Aromatizitätexperimentell sichtbar machen kannzum Beispiel via Ringstromeffekteund deren Auswirkungen auf dieNMR-Spektroskopie. Kapitel 10 ist alsNucleophile Substitution an der Car-bonylgruppe überschrieben, aber esgeht eigentlich um Umacylierungre-aktionen der Carboxylgruppe. Kapi-tel 14 handelt von Chiralität, Enantio-meren und Diastereomeren. D.h. esgeht um die absolute und relativeKonfiguration (und nicht wie dieÜberschrift heißt „Stereochemie“). So beschreibt die Stereochemie denräumlichen Verlauf einer chemischenReaktion. Es ist jedoch hinlänglichbekannt, dass im angelsächsischenSprachraum diese Begriffe vermischtwerden und dies wurde bei derÜbersetzung wohl übersehen.

Nach den klassischen Mechanis-menkapiteln wie nucleophile Substi-tution, Eliminierungsreaktionen, derAddition von Elektrophilen an Alke-ne, Enolatchemie und der elektrophi-len Aromatensubstitution (hier fehlenDiazioniumsalze als schwache Elek-trophile die zu der wichtigen Klasseder Azofarbstoffe führen) erfährt man

D E R B U C H T I PP

Lehrbuch der Organischen ChemieDieses Lehrbuch der OrganischenChemie ist erfrischend anders alsdie meisten Lehrbücher. Es entwi-ckelt die Organische Chemie anhandvon Konzepten und weniger durchVermittlung von Fakten, so dass esVergnügen bereitet, dieses Buch zulesen. Etwas skeptisch bin ich dage-gen, es als (einzigen) Einstieg in dasFach Organische Chemie zu benut-zen. So wollen die Autoren dem Leserzunächst das Schreiben und Zeich-nen von Molekülstrukturen beibrin-gen und dies bevor man etwas darü-ber erfahren hat, dass der Kohlenstoffim Allgemeinen vierbindig ist. Da-nach wird das Konzept des Molekül-gerüstes und der daran angeknüpftenfunktionellen Gruppe(n) präsentiertund richtigerweise festgehalten, dassdie funktionelle Gruppe die chemi-schen und physikalischen Eigenschaf-ten eines Moleküls im Wesentlichenbestimmt. Danach begnügt man sichmit der Präsentation einer Liste vonfunktionellen Gruppen, deren Eigen-schaften werden allerdings ausge-klammert. Das Lehrbuch verlässtdann den traditionellen Pfad der Lehre der Organischen Chemie undbiegt gleich in Richtung der Eintei-lung von Organischer Chemie nachReaktionsmechanismen ein. Darineingestreut sind zahlreiche Konzept-Kapitel zu physikalischen Eigenschaf-ten organischer Moleküle, die manzur Diskussion und zum Verständnisder Reaktionsmechanismen braucht.Dazu zählen sehr gute Kapitel zumThema Acidität, Konformationsanaly-se, Spektroskopie. Vor allem die NMR-Spektroskopie wird früh eingeführt,um dem Leser zu zeigen, woher mandie Strukturen der organischen Mole-küle überhaupt kennt. Dies wird inmehreren über das ganze Buch ver-streuten Kapiteln in zunehmenderDetailliertheit gezeigt.

Nicht immer glücklich ist die Rei-henfolge der einzelnen Kapitel. Sobeginnt die Besprechung der unter-schiedlichen Reaktionen der Organi-

in Kapitel 23 sehr Interessantes zumThema Chemoselektivität sowie dermanchmal unvermeidlichen Verwen-dung von Schutzgruppen. Es folgt einKapitel zur Regioselektivitätsproble-matik und deren Steuerung an Handzahlreicher unterschiedlichster Reak-tionstypen. Kapitel 25 behandelt inmoderner und didaktisch vorbildli-cher Weise die Chemie der Enolatal-kylierung. Im Gegensatz dazu trägtdas Kapitel 26, das sich der Aldolre-aktion sowie der Claisen-Kondensati-on widmet, eher zur Verwirrung bei,falls man nicht schon einen klarenKompass für diese Chemie in der Ta-sche hat. Nach einem Kapitel überSchwefel-, Silicium- und Phosphorrea-genzien in der Organischen Chemie,die im Wesentlichen die Chemie derOlefinierungsreaktionen beinhaltet,erhält man in Kapitel 28 eine schöneEinführung in das Denken der Retro-synthese. Hier erfährt man, wie sichdie zuvor gelernten Reaktionen krea-tiv zum gezielten Aufbau von Ziel -molekülen anwenden lassen.

Danach folgt in zwei Kapiteln einsehr guter Exkurs in die Chemie derHeteroaromaten, deren Reaktionen,Eigenschaften und Synthesen. An-hand vieler Beispiele aus der Medizi-nalchemie wird die Bedeutung dieserSubstanzklasse evident. Kapitel 31beschäftigt sich dann mit gesättigtenHeterocyclen und stereoelektroni-schen Effekten. Hier werden sehr vie-le interessante stereoelektronischePhänomene zusammengefasst wieder anomere Effekt und dessen Rollebei der Spiroketalbildung, die Bestim-mung von Vorzugskonformationenüber Kopplungkonstanten und denKern-Overhauser-Effekt. Ringschluss-reaktionen, deren Geschwindigkeit,der Thorpe-Ingold-Effekt sowie dieBaldwin-Regeln finden sich ebenfalls.Spätestens hier merkt man, dass essich hier nicht um ein Lehrbuch fürden Einsteiger handeln kann, sondernden fortgeschrittenen Studenten an-spricht. Danach lernt man etwas zurStereokontrolle in cyclischen Mole-külen. Hier taucht die Fürst-Plattner-Regel auf und analoge Steuerungs-prinzipien bei der Alkylierung cycli-

Organische Chemie von J. Clayden, N. Greeves, S. Warren, Springer Spektrum, Heidelberg 2013,2. Aufl., gebun-den, 1450 Seiten,ISBN-13: 978-3642347153,89,99 4.

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Chem. Unserer Zeit, 2014, 48, 152 – 153 © 2014 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim 153

scher Enolate. Auch das Thema derSubstrat-dirigierten Reaktionen, d.h.das Schaffen cyclischer Übergangszu-stände durch Substrat-Reagenz-Asso-ziation, wird anhand der Henbest- Epoxidierung angerissen. Logischschließt sich dann Kapitel 33 zur Ste-reokontrolle in acyclischen Systemenan. Hier findet man eine didaktischgute Einführung zum Felkin-Anh- Modell bzw. dem Modell der Chelat-kontrolle. Ebensowenig fehlen dasModell der stereoelektronischen Kon-trolle bei der Addition von Elektro-philen an chirale Allylsilane sowiedas Zimmermann-Traxler-Modell zurRationalisierung der einfachen Dia-stereoselektivität bei der Aldolreak -tion. Danach wird der Leser in dieWelt der pericyclischen Reaktioneneingeführt. Man lernt etwas über Cy-cloadditionen und die zugrunde lie-genden Woodward-Hoffmann-Regelnsowie über sigmatrope und elektro-cyclische Reaktionen. Insgesamt wer-den alle wichtigen Aspekte dieserChemie in ansprechender Form prä-sentiert. Ein kleines Minus ist dierecht umständliche Erklärung desräumlichen Verlaufs der elektrocycli-schen Reaktionen. Eine einfacheGrenzorbitalbetrachtung wäre hierklarer gewesen. Es folgt ein sehr gu-tes Kapitel zur Nachbargruppenbetei-ligung, Umlagerungen und Fragmen-tierungen. In Kapitel 37 kommt derLeser dann zum ersten Mal mit Radi-kalen sowie deren Eigenschaften undReaktionen in Berührung. Hieran er-kennt man, wie fundamental andersdieses Lehrbuch im Vergleich zurklassischen Lehre der OrganischenChemie sich positioniert, in der nachder Einführung der Kohlenwasser-stoffe deren Funktionalisierungdurch radikalische Halogenierung dieersten Reaktionen organischer Mole-küle darstellen, die der Student ken-nenlernt. Diese Chemie taucht in die-sem Lehrbuch erstmals auf der Seite1080 auf. Es ist nichtsdestotrotz einsehr gutes Kapitel zur Radikalche-mie, das so moderne Methoden derRadikalerzeugung wie der Verwen-dung von Trikalkylboranen in Gegen-wart von Sauerstoff einschließt. Nach

den Radikalen folgt ein sehr umfas-sendes und erneut lesenswertes Ka-pitel zur Chemie der Carbene. Hierfindet sich auch ein Exkurs zu Über-gangsmetallcarbenkomplexen undderen Einsatz in der Alkenmetathese-reaktion, die erst kürzlich mit derVerleihung des Nobelpreises in Che-mie gekrönt wurde.

Ein Highlight dieses Buches istdas dann folgende Kapitel zur Ermitt-lung von Reaktionsmechanismen.Denn woher stammt denn das Wis-sen, das es uns erlaubt, all die unter-schiedlichen Mechanismen, die inden vorherigen Kapiteln präsentiertwurden, in dieser und keiner ande-ren Weise aufzuschreiben? Es wird

gezeigt, wie man durch kombinierteAnwendung von Hammet-ρ-Werten,Geschwindigkeitszeitgesetzen, kineti-schen Isotopeneffekten und der Akti-vierungsentropie zu belastbaren Aus-sagen bzgl. der zugrundeliegendenReaktionsmechanismen kommenkann.

Ebenso gut wie lesenswert ist dassich anschließende Kapitel zur asym-metrischen Synthese, das die asym-metrische Katalyse einschließt. DasKapitel beschränkt sich immer aufdie wichtigsten zugrundeliegendenPrinzipien und Reaktionen. Ausge-hend vom chiralen Pool, wird manüber die Racematspaltung an denEinsatz von chiralen Auxiliaren heran-geführt. Danach geht es direkt inRichtung asymmetrischer Katalysemit chiralen Übergangsmetallkomple-xen. Es fehlt weder die Noyori-Hy-drierungen noch die Sharpless-Oxida-tionsreaktionen. Auch die erst seit einem guten Jahrzehnt wieder mo-dern gewordene Organokatalyse hatbereits ihren Platz in diesem Lehr-buch.

In den beiden letzten Kapitelngeht es um die Organische Chemiedes Lebens. Hier hat man versucht,die Chemie alle der in der Natur vor-kommenden wichtigen Substanzklas-sen (Nucleinsäuren, Proteine, Zucker)abzuhandeln. Leider fehlt diesem Ka-pitel etwas die Tiefe, wie man sie ausvorherigen Kapiteln gewohnt ist.Möglicherweise war dies an dieserStelle bereits dem Umstand geschul-det, dass man bereits bei mehr als1400 Seiten angekommen war undder Umfang dieses Buches nichtnoch weiter ausgedehnt werden soll-te. Das Buch schließt mit einem Kapi-tel zur Organischen Chemie heuteund zeigt die Bedeutung des Fachesu.a. bei der Entwicklung und Synthe-se von lebenserhaltenden Medika-menten wie den HIV-Protease-Inhibi-toren Efavirenz und Indinavir.

FazitIn der Summe handelt es sich trotzeinzelner Kritikpunkte um ein ausge-zeichnetes Lehrbuch, das ich zwarerst dem etwas fortgeschrittenen Stu-denten, dann aber mit Nachdruck,empfehlen würde. Man sollte mindes-tens schon einmal eine Grundvorle-sung in organischer Chemie gehörthaben, bevor man dieses Buch wirk-lich gewinnbringend nutzen kann.Mit zunehmendem Studienfortschrittkann man dann empfehlen, sich dieBuchkapitel zu den in den Vorlesun-gen behandelten Themen anzueig-nen. Damit kann dieses Lehrbuch ei-ne wertvolle Ergänzung und ein stän-diger Begleiter für das Fach Organi-sche Chemie sein, letztlich sogar bishin zur Masterprüfung.

Kritisch kann man die Anordnungder einzelnen Kapitel diskutieren,doch wenn man das Buch wie aufdie oben empfohlene Weise nutzt,kann es wertvolle Dienste im Laufedes Studiums der Organischen Che-mie leisten.

Bernhard Breit, Freiburg

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MAN SOLLTE EINE

GRUNDVORLESUNG IN

ORGANISCHER CHEMIE

GEHÖRT HABEN, BEVOR MAN

DIESES BUCH GEWINN -

BRINGEND NUTZEN KANN.