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20 3/2014 LEIBNIZ | KRIEG UND KONFLIKTE

LEIBNIZ | KRIEG UND KONFLIKTE - IPK Gatersleben · wächshaus weiter gedeiht Tabak neben einem vier Meter hohen ä ÷ Ð ò á sagt Börner. Bestäubung SHU 6WDXEZHGHO Dann erklärt

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20 3/2014

L E I B N I Z | K R I E G U N D K O N F L I K T E

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L E I B N I Z | B I O D I V E R S I T Ä T

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zenwelt zu sichern —�XQG�GLH�(UQlKUXQJ�N�QIWLJHU�

Generationen.

22 3/2014

L E I B N I Z | D E R W E RT D E R V I E L FA LT

Es ist ein ausgesprochen kaltes

Herz, dem Andreas Börner da

seine Liebe schenkt. 28 Jahre

seiner Studien hat er ihm mitt-

lerweile gewidmet, ist um die

halbe Welt gereist, um es immer

von Neuem mit Leben zu füllen.

„Es ist der Anfang und das Ende

unserer Arbeit“, erklärt der For-

scher mit dem grauen Schnauz-

bart und den freundlichen Au-

gen, „ihr Herzstück.“ Ein Satz,

aus dem man nicht unbedingt

schließen würde, dass Börner

von einem Kühlhaus spricht:

dem Kern der Genbank des

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�������� ���� �������ϐ���������-schung (IPK).

Draußen scheint August-

sonne auf die 100 Hektar des

Instituts, drinnen überzieht

schon in der Schleuse zum

Kühlhaus Gänsehaut Andreas

Börners Unterarm. Er nimmt

eine schwarze Daunenjacke aus

einem Schrank, erzählt beiläu-

ϐ��� ���� ������������ ����������Krankenstand am Institut („Die

Kälte härtet scheinbar ab.“) und

zieht dicke Handschuhe an.

Als er die Sicherheitstür

zum Kühllager öffnet, schlagen

ihm -18 Grad Celsius entgegen.

Dahinter fällt Kunstlicht auf

deckenhohe Regalreihen. Auf

Knopfdruck rollen sie ächzend

auseinander und geben den

Blick frei auf Tausende mit Sa-

men gefüllte Gläser. Andächtig

dreht Börner eines davon in der

Hand. „Sehen sie, hier!“ sagt er.

„Die Urgroßeltern unseres Brot-

weizens.“

Riesige.|UQHU�$UFKHQ

��� ����� ������ �ϐ������������-

tionen, deren Saatgut Andreas

Börner und seine Kollegen in

Gatersleben lagern. Genbanken

���� ���� ���� ���� ����� �ϐ������-

archive. Riesige Körner-Archen,

in denen Wissenschaftler Tau-

sende Samenproben für die

Nachwelt erhalten: Getreide,

Gemüse, Gräser. Ihrer Arbeit

liegt ein Motiv zugrunde, das

der Moskauer Fabrikantensohn

und Biologe Nikolai Iwano-

witsch Vavilov vor nicht ganz

100 Jahren erstmals formulier-

te: das Erbgut möglichst vieler

�����ϐ������� �������� Ȃ� ������die Vielfalt für immer verloren

geht.

Vavilovs Sorge war nicht un-

begründet. Seit 1900 sind nach

Schätzungen der Ernährungs-

und Landwirtschaftsorganisa-

tion der Vereinten Nationen

ͷ� �������� ���� �����ϐ������-

sorten ausgestorben. In Europa

sind es sogar mehr als 90 Pro-

zent. „Generosion“ nennen Wis-

senschaftler das Schwinden der

Sorten.

Sie sei, erklärt Börner, als er

aus dem Kühlhaus kommt und

die Jacke zurück in den Schrank

hängt, vor allem darauf zu-

rückzuführen, dass Landwirte

nurmehr eine Handvoll hoch-

gezüchteter Sorten aussäen, die

besonders dicke Erträge ver-

sprechen. Ihre Vorfahren blei-

ben auf der Strecke: In 10.000

Jahren Zucht, sagt Börner, habe

���� ������� ���� �����ϐ�������von sich abhängig gemacht. Sie

seien darauf angewiesen, be-

wässert, beschnitten und geern-

tet zu werden. „Alleine können

sie meist nicht überleben.“

Ganze Ernten in Gefahr

Die Monotonie auf den Feldern

ist für den Menschen ein Pro-

blem. Sie bedroht die Ernäh-

rungssicherheit von morgen.

Wenn Krankheiten oder Schäd-

linge ganze Ernten gefährden,

durchleuchten Forscher und

Züchter die Genome alter Sorten

auf rettende Resistenzen. Auch

in Anbetracht des Klimawandels

ist die Arbeit von Genbanken

���������Ǥ� Ƿ��� ͷͲ� ����������-

sen die Sorten von heute hier

nicht mehr“, sagt Börner. Alter-

nativen aus von Hitze geprägten

Ländern wie Marokko könnten

helfen. „Sterben sie aus, haben

wir ein Problem.“

Schon Nikolai Vavilov, nach

dem sie in Gatersleben das Ge-

bäude der Genbank benannt

In Gewächshäusern und auf den Feldern des Instituts gewinnen Andreas �Ú�����������������������������������������������ò������������Ǥ�����������Ǧ���������������������ȋ��ǤȌǤ

„In 50 Jahren wachsen die

Sorten von heute hier nicht

mehr.“

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„Es wären noch weit mehr Pflanzen ausgestorben, hätte die Wissenschaft sie nicht gesammelt.“

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haben, sammelte deshalb auf

allen fünf Kontinenten Samen.

In Leningrad, dem heutigen St.

Petersberg, hortete er sie in der

ersten Saatgutbibliothek über-

haupt. Heute stehen weltweit

ͳǤͷͲ� ���������� ��������������Genbanken: in China, den USA,

������� Ȃ� ���� ������ ��� ������Ǥ�Die Anlage ist dem Bürgerkrieg

zum Trotz weiter in Betrieb.

Weder das Regime noch die Re-

bellen wollen auf die Samen ver-

zichten, wenn die Kämpfe eines

Tages beendet sind.

6XSHUJHQEDQNim Permafrost

Und dann ist da noch der „Sval-

bard Global Seed Vault“, eine

Art Supergenbank in der nor-

wegischen Arktis. Alle Gen-

banken der Welt, so der Plan,

sollen Dubletten ihrer Proben

in der 120 Meter tiefen Anlage

einfrieren, fernab von Kriegsge-

bieten, geschützt vor dem Ab-

schmelzen der Polkappen. Eine

Sicherungskopie im Permafrost

Spitzbergens.

Die Gänsehaut auf Börners

Unterarm hat sich inzwischen

geglättet. In Polohemd und

Jeans schreitet er durch die Gän-

��� ���� ������Ǥ� ���� ͳͷͲǤͲͲͲ�Proben zählt sie zu den zehn

größten Sammlungen ihrer Art.

3.212 Arten und 776 Gattungen

machen sie zur artenreichsten

Genbank überhaupt. Auf Expe-

ditionen haben die Mitarbeiter

des Instituts und seiner Vorgän-

gereinrichtungen sie nach dem

Zweiten Weltkrieg in Ländern

wie Usbekistan, China und Jor-

danien zusammengetragen.

Heute wären solche Sammel-

reisen nicht mehr möglich, sagt

Börner. Regierungen betrach-

ten ihr Saatgut als Ressourcen

von nationaler Bedeutung. Be-

sonders ehemalige Kolonien

werfen den westlichen Indus-

triestaaten und Saatgutkon-

zernen vor, ihre Flora lange

genug ausgebeutet zu haben.

Indien etwa lehnt es deshalb

ab, Saatgut in der internationa-

len Genbank in Spitzbergen zu

ver wahren.

Saatgut-Versandin alle Welt

Andreas Börner hat Verständnis

für das Misstrauen, auch wenn

es zur Folge hat, dass er harte

Verhandlungen führen muss,

um neue Proben fürs IPK zu

gewinnen. „Andererseits“, gibt

er zu bedenken, „wären noch

����� ����� �ϐ������� ���������-ben, hätte die Wissenschaft sie

nicht gesammelt.“ Gerade ma-

chen zwei Mitarbeiterinnen der

Genbank die Samen eines äthio-

pischen Weizens versandfertig.

Der Adressat: Äthiopien – wo

die Sorte inzwischen ausgestor-

ben ist.

Im Internet kann jeder die Mus-

ter aus der Sammlung des IPK

bestellen, Staaten, Forscher,

Züchter. Auch Privatpersonen

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melden sich. „Es kommt schon vor, dass sich einer nach der Kar-toffel seiner Jugend erkundet, die er in keinem Supermarkt mehr kriegt“, sagt Börner. Das Institut stelle das Material allen Menschen zur Verfügung, egal ob sie aus Amerika oder dem Iran kommen. „Schließlich geht es um Grundnahrungsmittel.“

„Echte Liebe ]X�GHQ�3ÁDQ]HQ´

Auch deshalb ist es Börner wich-tig, dass seine Mitarbeiter ihre Arbeit jeden Tag von Neuem mit Sorgfalt verrichten. Dass sie Ƿ������ ������ ��� ���� �ϐ������Dz�mitbringen. In Börner ist sie früh gereift. Er ist auf einem Bauern-hof groß geworden, den seine Familie seit Ende des 18. Jahr-hunderts betreibt. Als kleiner Junge lernt er von seiner Groß-mutter Salat, Möhren und Zwie-beln zu ziehen. Später studiert er Agrarwissenschaften mit dem ������������ �ϐ�������ò�������in Halle. „Einen anderen Plan als �����ϐ�������������������������ǤDz�ͳͻͺͷ��������Ú������������-

torand nach Gatersleben. Hier durchlebt er auch die Wendewir-

ren. „Alles stand damals in Fra-ge“, erinnert er sich. Im wieder-vereinigten Deutschland gibt es plötzlich zwei Genbanken – von denen eine geschlossen werden soll. „In ähnlich gelagerten Fäl-len hat es meist die Einrichtung im Osten getroffen“, sagt Börner. Das IPK wird eine der wenigen Ausnahmen: Die Proben der ehe-maligen BRD-Genbank wandern aus Braunschweig nach Sachsen-Anhalt.

Börner ist all die Jahre geblie-ben. Gleich links vom Instituts-eingang wohnt er. „Ich bin der Mitarbeiter mit dem kürzesten Weg zur Arbeit“, sagt er und lacht.

Ewiges LebenLQ�Á�VVLJHP�6WLFNVWRII

Inzwischen leitet Andreas Bör-ner am IPK die Arbeitsgruppe „Ressourcengenetik und Repro-duktion“. Ihre Mitarbeiter ver-wahren die Samen nicht einfach. Sie wachen darüber, dass die Proben nicht verunreinigt wer-den und erforschen, wie ihre Lagerung weiter verbessert wer-den kann. Die meisten Proben lagern als Samen in fünf Kühl-häusern. Andere werden als fer-

����� �ϐ������� ��� ��Ǧ�����Ǧ�����-ren konserviert oder mithilfe des ��������������������������ǣ� ���-190 Grad kaltem Flüssigstick-stoff kommt ihr Stoffwechsel vollkommen zum Erliegen. The-oretisch können Börners Schütz-linge so ewig überdauern.

Wenn er von all den Gur-ken, Leinsamen und Kürbissen spricht, die da schlummern, klingt Börner wie ein besorgter Vater: „So eine Genbank ist kein Museum – die Samen leben. Wir �ò����������ϐ�������������ò����wachen, wie es um sie steht.“ Eine Erbse könne schon mal 20 Jahre unter dem Küchentisch überleben. Mit einem Salatsa-men könne man so nicht um-springen. „Nach spätestens vier Jahren ist der mausetot.“

Schwungvoll betritt Börner ein Labor, in dem eine Studentin vor einem Dutzend Petrischalen sitzt, in denen sie Tomatensaat auf Filterpapier drapiert hat. Regelmäßig holen die Forscher Samen für sogenannte Keimpro-ben aus dem Kühlhaus, um zu testen, ob sie noch lebensfähig sind. Keimen von 100 Samen einer Sorte weniger als 70, wird sie in den Gewächshäusern und auf den Feldern des Instituts

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„So eine Genbank ist kein

Museum – die Samen leben.

Wir müssen sie pflegen und

darüber wachen, wie es um sie

steht.“

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N A C H R I C H T E N

ausgesät, um gesunden Ersatz für die Genbank zu gewinnen.

Aus der Ferne sehen sie aus wie eine Vorstadtsiedlung aus Glas. Wer das Vavilov-Haus ver-�¡���ǡ���������������������������angeordnete Gewächshäuser, in deren Innern sich grün die Sil-��������� ���� �ϐ������� �������-nen. Wassermelonen wachsen in ihnen, grüne Auberginen und fast schwarze Paprikas. Ein Ge-wächshaus weiter gedeiht Tabak neben einem vier Meter hohen ����Ǥ� Ƿ����� ����� �����ϐ�����Dzǡ�sagt Börner.

Bestäubung SHU�6WDXEZHGHO

Dann erklärt er, dass aus den aufgeschnittenen Tetrapaks, die in den Ecken einiger Ge-wächshäuser hängen, Bienen schlüpfen. Summend bestäu-���� ���� ���� �ϐ������Ǥ� �������sie einmal nicht hinterher, hel-fen Gärtner mit Staubwedeln aus.

Auf Fahrrädern überholt eine Gruppe Frauen Börner, der über einen schmalen Weg in Richtung Felder spaziert. „Wo-hin geht’s, Frau Schmidt?“ ruft Börner. „Zu den Tomaten“, ruft Frau Schmidt. Man würde hal-be Tage verlieren, wenn man zig Mal zwischen Feld und Ins-titut hin und her laufen würde. Bewerbungsgespräche beginnt Börner deshalb stets mit der-selben Frage: „Können Sie Rad fahren?“

Zehn Minuten später stapft er vorbei an Möhren, Bohnen und Schlafmohn („Unsere zweite Droge.“) über einen Acker. Ein Stück weiter stehen Sonnenblu-men, deren riesige Blüten mit Stoff verhüllt wurden, um sie vor ungewünschter Bestäubung und hungrigen Vögeln zu schützen. Wie eine Gruppe Außerirdischer mit weißen Schädeln wirken sie im Gegenlicht.

Ein engmaschiger Zaun schützt den Acker vor Hasen und Rehen, die die Arbeit eines gan-zen Sommers zunichtemachen können. Wenn ihn doch mal ei-nes der Tiere überwindet, trei-ben die Mitarbeiter es in einer langen Reihe vom Feld. Der viele Regen habe es ihnen dieses Jahr schon schwer genug gemacht, sagt Börner. „Einige Sorten wer-den wir kommendes Jahr wohl erneut aussäen müssen, um ge-sunde Samen zu gewinnen.“

Auf der anderen Seite der �����ϐ�¡���� �������ϐ����� ���������������� ���������������ϐ���-kamera die über 300 Tomaten-sorten der Genbank, die in die-sem Jahr im Anbau sind. Kleine Tomaten, eierförmige Tomaten. Und eine dicke gelbe Tomate na-mens „Golden King of Siberia“. Die Dokumentation ist ein wich-tiger Teil der Arbeit der Genbank: ���� �����������ϐ����������ǡ� ����den Samen entwachsen? Und steckt tatsächlich die Sorte in ihnen, die auf dem Glas im Kühl-haus vermerkt ist? Erst nachdem sie beschrieben wurden, werden �����ϐ���������������Ǥ����� �������

Frucht, ein Kürbis, verlässt im November das Feld.

&KHUU\WRPDWH�RGHU�„Golden King of Siberia“?Zurück im Vavilov-Haus wandert das frisch gewonnene Saatgut von Hand zu Hand. In einem La-bor kratzen zwei Mitarbeiterin-nen und ein Azubi an weißen Tischen Samen aus roten Papri-kaschoten und gelben Tomaten. Eine dritte Kollegin wäscht die Kerne, bevor sie ein paar Räume weiter bei 20 Grad Raumtem-peratur und zehn Prozent Luft-feuchtigkeit getrocknet werden.

Einige Getreide werden zu Forschungszwecken in ganzen Ähren getrocknet. Börners Lieb-������ϐ������ ������� ���������-weise, der er sich schon im Studium verschrieben hat. Kon-zentriert vermisst ein Doktorand die Ähren an einem Holztisch. Zwei Tische weiter trennt eine Kollegin kranke Gerstensamen von gesunden Gerstensamen. Aus einem Kofferradio schallt Musik.

Erst wenn das Saatgut ge-reinigt, getrocknet und geprüft wurde, füllen Börner und seine Kollegen es in Gläser und ver-stauen es ein weiteres Mal im Kühlhaus.

„Im Allerheiligsten“, sagt Börner. Der Kreislauf schließt sich fürs erste.

text: david schelp

fotos: fabian zapatka

„Können Sie Rad fahren?“ Mitarbeite-rinnen der Genbank auf dem Rückweg ins �������Ǧ����Ǥ�

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