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EDITIONSWISSENSCHAFTLICHES/ PHILOLOGISCHES FACHVOKABULAR In der Einleitung, im Textkritischen Kommentar und in den Erschließungshilfen finden sich einige Fachbegriffe, die hier insbesondere für Studierende kurz erläutert werden: Adynaton: Rhetorische Sprechweise mit dem Ziel zu sagen, dass etwas auf keinen Fall möglich ist. Anakoluth : Satzbruch; ein Satz wird begonnen, aber nicht ,regelgerecht‘ zu Ende geführt. Apo koinou-Konstruktion: Bezeichnung für eine besondere syntaktische Konstruk- tion, bei der ein Wort oder ein Satzteil auf zwei andere Teile bezogen wird; im Nhd. ungebräuchlich, im Mhd. aber häufig anzutreffen. Beispiel: Ton 19 (BC), I, 4f.: die gedanke wa ˆren ie mı ˆn bester tro ˆst / Gegen den vinstern tagen ha ˆn ich no ˆt ; gegen den vinstern tagen bezieht sich einerseits auf tro ˆst ha ˆn (,habe Trost mit Blick auf die finste- ren Tage‘) und andererseits auf no ˆt ha ˆn (,spüre Not/Unheil mit Blick auf die finste- ren Tage‘). Apokope : Das Eliminieren einer Endsilbe oder eines Endvokals aus metrischen Gründen. Bindevariante (Bindefehler) : Weisen zwei oder mehr Handschriften gegenüber anderen sehr charakteristische Abweichungen in gleicher Weise auf, spricht einiges dafür, dass sie auf eine gemeinsame Vorlage zurückgehen. cap-finido-Verknüpfung : Ein Wort oder Satzteil am Ende einer Strophe wird zu Beginn einer folgenden Strophe wörtlich oder sinngemäß wiederholt. Diphthongierung: Vokalische Lautveränderung vom Mittelhochdeutschen zum (Früh-) Neuhochdeutschen: ı ˆ > ei, u ˆ > au, iu> eu. Diplomatische Transkription: Eine Abschrift von Handschriften, die möglichst alle Eigenarten (übergeschriebene Buchstaben, Abkürzungszeichen usw.) nachahmt; Lesarten im Apparat zu den Texten sind z. B. diplomatisch wiedergegeben. Dittographie : Versehentliche Doppelschreibung eines Wortes. Elision: Das Eliminieren eines Vokals meist im Wortinneren aus metrischen Gründen. Exzipierende Konstruktion: Eine Nebensatzkonstruktion besonderer Art: ohne Kon- junktion auf einen übergeordneten Satz folgend, meist verneint und im Konjunktiv Brought to you by | St. Petersburg State University Authenticated | 134.99.128.41 Download Date | 12/24/13 11:49 PM

Leich, Lieder, Sangsprüche () || EDITIONSWISSENSCHAFTLICHES/ PHILOLOGISCHES FACHVOKABULAR

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EDITIONSWISSENSCHAFTLICHES/PHILOLOGISCHES FACHVOKABULAR

In der Einleitung, im Textkritischen Kommentar und in den Erschließungshilfenfinden sich einige Fachbegriffe, die hier insbesondere für Studierende kurz erläutertwerden:

Adynaton: Rhetorische Sprechweise mit dem Ziel zu sagen, dass etwas auf keinenFall möglich ist.

Anakoluth: Satzbruch; ein Satz wird begonnen, aber nicht ,regelgerecht‘ zu Endegeführt.

Apo koinou-Konstruktion: Bezeichnung für eine besondere syntaktische Konstruk-tion, bei der ein Wort oder ein Satzteil auf zwei andere Teile bezogen wird; imNhd. ungebräuchlich, im Mhd. aber häufig anzutreffen. Beispiel: Ton 19 (BC), I,4f.: die gedanke waren ie mın bester trost / Gegen den vinstern tagen han ich not ; gegen den

vinstern tagen bezieht sich einerseits auf trost han (,habe Trost mit Blick auf die finste-ren Tage‘) und andererseits auf not han (,spüre Not/Unheil mit Blick auf die finste-ren Tage‘).

Apokope: Das Eliminieren einer Endsilbe oder eines Endvokals aus metrischenGründen.

Bindevariante (Bindefehler): Weisen zwei oder mehr Handschriften gegenüber anderensehr charakteristische Abweichungen in gleicher Weise auf, spricht einiges dafür,dass sie auf eine gemeinsame Vorlage zurückgehen.

cap-finido-Verknüpfung: Ein Wort oder Satzteil am Ende einer Strophe wird zu Beginneiner folgenden Strophe wörtlich oder sinngemäß wiederholt.

Diphthongierung: Vokalische Lautveränderung vom Mittelhochdeutschen zum (Früh-)Neuhochdeutschen: ı > ei, u > au, iu> eu.

Diplomatische Transkription: Eine Abschrift von Handschriften, die möglichst alleEigenarten (übergeschriebene Buchstaben, Abkürzungszeichen usw.) nachahmt;Lesarten im Apparat zu den Texten sind z. B. diplomatisch wiedergegeben.

Dittographie: Versehentliche Doppelschreibung eines Wortes.

Elision: Das Eliminieren eines Vokals meist im Wortinneren aus metrischenGründen.

Exzipierende Konstruktion: Eine Nebensatzkonstruktion besonderer Art: ohne Kon-junktion auf einen übergeordneten Satz folgend, meist verneint und im Konjunktiv

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Editionswissenschaftliches/Philologisches Fachvokabular714

drückt der exzipierende Satz eine Ausnahme von dem aus, was im übergeordnetenSatz gesagt ist. Beispiel: Ich singe niht, ez enwelle tagen - ,Ich singe nicht, es sei denn,es wird Tag‘.

Florilegium: Kleinere, thematisch meist geordnete Sammlung von Strophen, Liedernoder Tönen.

Genitiv der Relation: Auch: ,relativer Genitiv‘; bezeichnet eine Funktion dieses Kasus,die im Nhd. kaum noch anzutreffen ist (allenfalls mundartlich). Diese Funktionbesteht darin, eine Beziehung zwischen Satzteilen oder Sätzen herzustellen. Beispiel:Des [= der Genitiv] was er ein trurec man: ,In Bezug darauf (auf etwas, was zuvorgenannt wurde oder was noch folgt) war er ein trauriger Mann.‘

Hapax legomenon: Bezeichnung für ein Wort, das man bislang nur ein einziges Malgefunden hat; die Bestimmung der Bedeutung ist daher schwierig.

Hebungsprall: Zwei betonte Silben folgen ohne Senkung unmittelbar aufeinander.

Hiat : Aufeinandertreffen zweier Vokale (Endvokal trifft auf Anfangsvokal; z. B. so

enkan).

Homonymie: Bezeichnet die Eigenart, dass gleichlautende Wörter unterschiedlicheBedeutung haben. Beispiel: das Wort kissen kann im Mhd. ,das Kissen‘ und ,dasKüssen‘ bedeuten.

Konjektur : Bezeichnung für die Korrektur einer handschriftlichen Lesart.

Kontrafaktur : Im Lyrik-Kontext meist die Übernahme einer fremden metrisch-musi-kalischen Form (z. B. Strophe), die aber mit neuem, oft parodierendem Text gefülltwird.

Lectio difficilior : Damit bezeichnet man eine Textvariante, die gegenüber einer ande-ren schwieriger, anspruchsvoller ist; meist hält man sie für älter und näher amOriginal.

Leich: Eine hoch artifizielle lyrische Großform (hier Ton 1), die sich vor allemmetrisch deutlich von einem Lied unterscheidet. J Versikel.

Lombarde: farbiger Großbuchstabe.

Mischredaktion: Ein editorisches Verfahren, das darin besteht, aus mehreren, unter-einander variierenden Handschriften einen Editionstext herzustellen, der dann einphilologisches Konstrukt ist.

Oxymoron: Begriffkomplex, der in sich widersprüchlich ist, z. B.: ,süße Bitterkeit‘oder bei Walther in 77 V, 7: sanfte unsanfte.

Palindrom : Eine Zeichenkette, die von vorn nach hinten und umgekehrt bei gleicherBedeutung lesbar ist (Bsp.: Otto). Walther wendet das Prinzip auf Strophenebenean (vgl. Ton 58).

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Editionswissenschaftliches/Philologisches Fachvokabular 715

Performanz (performative Aspekte u.ä.): Im literaturwissenschaftlichen Zusammenhangversteht man unter ,Performanz‘ die konkrete Aufführung von Literatur, d. h. alsoden öffentlichen Vortrag, die Lesung, die Inszenierung eines lyrischen Dialogs usw.Hier spielen Elemente eine Rolle, die der Text selbst nicht enthält: Intonation,Gestik, Lautstärke, Musik.

Revocatio: Das explizite Zurücknehmen von etwas, das zuvor ausgesprochen wurde.

Trennvariante (Trennfehler): Weist eine Handschrift anderen gegenüber singuläre Vari-anten auf, spricht einiges dafür, dass sie auf eine andere Quelle zurückgeht.

Synalöphe: Verschmelzung von zwei Wörtern aus metrischen Gründen, wobei derauslautende Vokal des einen Wortes mit dem anlautenden des Folgewortes ver-schliffen wird.

Ton: Unter einem ,Ton‘ (mhd. don) versteht man ein metrisch-musikalische Grund-gerüst, das immer neu mit Text gefüllt werden kann.

Versikel: Ein Versikel stellt - einer Strophe ähnlich - eine Versgruppe in einemJ Leich dar. Anders als Strophen in einem Lied, die alle die gleiche Bauformaufweisen, können Versikel eines Leichs stark voneinander abweichen (wie auch inWalthers Leich, Ton 1).

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