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24 © Ernst & Sohn Verlag für Architektur und technische Wissenschaften GmbH & Co. KG, Berlin · Stahlbau Spezial 2011 – Glasbau/Glass in Building Fachthemen DOI: 10.1002/stab.201120004 1. Entwurf 1.1 Architektonisches Konzept Die Verbindung der beiden Gebäude sollte mit einem Maximum an Trans- parenz und Leichtigkeit und einem Minimum an Materialeinsatz umge- setzt werden – eine schwebende Glasröhre, unaufdringlich, fein und elegant. Die glatte und durchgängige Glasfläche wurde deutlich von den Stahlringen abgesetzt, um eine klare Trennung der Funktionen Hülle und Konstruktion zu erhalten und dabei der Glashülle die größtmögliche Transparenz zu verleihen. Die Stahl- ringe sind in einem konstanten Ab- stand angeordnet und nehmen mit Punkthalterungen die gebogenen Glaselemente auf. Ein Querbalken nimmt nicht nur den Glasbelag auf, sondern dient gleichzeitig auch als Pfosten für das unter dem Glasbelag liegende Fachwerk, das die Queraus- steifung der Konstruktion über- nimmt. 1.2 Entwurfsvarianten Mit der Forderung, dass keine größe- ren horizontalen Kräfte in die Gebäu- de eingeleitet werden durften, lag fest, dass die Röhre nur als statisch be- stimmter Einfeldträger ausgebildet werden kann. Für die Lastabtragung in Längsrichtung wurden verschiedene Varianten untersucht (Bilder 2 bis 5). Neben der gewählten Unterspan- nung wurden auch Fachwerk- und Kastenträgerlösungen betrachtet. Die Entscheidung fiel auf die unterspann- te Lösung, da so die höchstmögliche Transparenz sowohl über als auch unter der Gehfläche entstand. 1.3 Tragprinzip der gewählten Variante Zusammen mit den außenliegenden, in den Ringen integrierten Druckgur- ten ergibt sich eine in die wesent- lichen Elemente aufgelöste Tragkon- struktion, deren Logik ablesbar ist und die die konstruktiven Elemente in ihrer Gesamtheit sehr filigran und transparent erscheinen lässt (Bild 6). Dass die beiden Unterspannseile mit dem ‚Umschlingen‘ der Stahlringe ei- ne Krümmung im Grundriss erhal- ten, erhöht nicht nur die Querausstei- fung, sondern erzeugt, in Interaktion mit dem liegenden Fachwerkträger, auch die notwendige Torsionssteifig- keit des Systems. Die besondere Form der Ringe ergab sich aus der Forderung nach Andreas Keil Klaus Straub Leicht und transparent – eine Glasbrücke in Lissabon Das „Centre of the Unknown“, eine erst kürzlich fertiggestellte biomedizinische For- schungseinrichtung der Champalimaud-Stiftung in Lissabon, Portugal, wurde von den Architekten Charles Correa Associates aus Mumbai, Indien, entworfen. Es besteht aus zwei Gebäudekomplexen, in denen die Forschungslabors, ein Auditorium und Ausstel- lungsbereich sowie die Büros der Stiftung Platz finden. Das „Centre of the Unknown“ befindet sich im Stadtteil Belém, hier mündet der Fluss Tejo in den Atlantischen Ozean. Diese Lage ist von besonderer historischer Bedeutung, denn von hier aus setzten die portugiesischen Pioniere im 15. und 16. Jahrhundert die Segel, um das „Unbekannte“ zu entdecken. Ein optisches Highlight ist die leichte, 21 m lange Glasbrücke mit einer Hülle aus gebogenen Scheiben, die die beiden Gebäudekomplexe miteinander verbindet. Eine filigrane unterspannte Stahlkonstruktion bildet zugleich die Unterkonstruktion für die äußere Glashülle. Auch die Gehfläche und die Brüstungen bestehen aus Glaselementen und verleihen der Gesamtkonstruktion das geforderte Maß an Eleganz und Transparenz. Der Aufsatz geht auf die unterschiedlichen Anforderungen dieser ungewöhnlichen Brücke ein und zeichnet dabei den Entwurfsprozess bis hin zur Fertigstellung nach (Bild 1). Light-weight and transparent – a glass bridge in Lisbon. The “Centre of the Unknown“, a recently completed biomedical research facility of the Champalimaud Foundation in Lisbon, Portugal, was designed by Charles Correa Associates from Mumbai, India. It comprises two building complexes set in a large public area that accommodate treat- ment units, research laboratories, an auditorium and exhibition area, as well as the offices of the Champalimaud Foundation itself. The ‘Champalimaud Centre for the Unknown’ is located in the Belém district of Lisbon, where the Tagus River flows into the Atlantic Ocean. Its location is of particular historical significance, as it is the place from where Portuguese pioneers set sail to discover the ‘unknown’ in the 15th and 16th centuries. A visual highlight is the light-weight steel and glass bridge that connects the two buildings. The glass envelope encasing the bridge consists of curved panels of laminat- ed glass. A filigree cable supported steel structure also forms the substructure of the glass envelope. The walkway and the railing also consist of laminated safety glass and thereby confer upon the entire structure the desired sense of elegance and transparen- cy. The technical report addresses the various requirements of this out of the ordinary bridge and outlines the bridge design from conceptual design to completion (Fig. 1).

Leicht und transparent eine Glasbrcke in Lissabon...Bild 4. Entwurf, Variante 3, Kastenträger unter der Gehfläche Fig. 4. Draft, Option 3, box girder under the walking surface Bild

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24 © Ernst & Sohn Verlag für Architektur und technische Wissenschaften GmbH & Co. KG, Berlin · Stahlbau Spezial 2011 – Glasbau/Glass in Building

Fachthemen

DOI: 10.1002/stab.201120004

1. Entwurf1.1 Architektonisches Konzept

Die Verbindung der beiden Gebäudesollte mit einem Maximum an Trans-parenz und Leichtigkeit und einemMinimum an Materialeinsatz umge-setzt werden – eine schwebendeGlasröhre, unaufdringlich, fein undelegant.

Die glatte und durchgängigeGlasfläche wurde deutlich von denStahlringen abgesetzt, um eine klareTrennung der Funktionen Hülle undKonstruktion zu erhalten und dabeider Glashülle die größtmöglicheTransparenz zu verleihen. Die Stahl-ringe sind in einem konstanten Ab-stand angeordnet und nehmen mitPunkthalterungen die gebogenen

Glaselemente auf. Ein Querbalkennimmt nicht nur den Glasbelag auf,sondern dient gleichzeitig auch alsPfosten für das unter dem Glasbelagliegende Fachwerk, das die Queraus-steifung der Konstruktion über-nimmt.

1.2 Entwurfsvarianten

Mit der Forderung, dass keine größe-ren horizontalen Kräfte in die Gebäu-de eingeleitet werden durften, lag fest,dass die Röhre nur als statisch be-stimmter Einfeldträger ausgebildetwerden kann. Für die Lastabtragung inLängsrichtung wurden verschiedeneVarianten untersucht (Bilder 2 bis 5).

Neben der gewählten Unterspan-nung wurden auch Fachwerk- undKastenträgerlösungen betrachtet. DieEntscheidung fiel auf die unterspann-te Lösung, da so die höchstmöglicheTransparenz sowohl über als auchunter der Gehfläche entstand.

1.3 Tragprinzip der gewählten Variante

Zusammen mit den außenliegenden,in den Ringen integrierten Druckgur-ten ergibt sich eine in die wesent-lichen Elemente aufgelöste Tragkon-struktion, deren Logik ablesbar istund die die konstruktiven Elementein ihrer Gesamtheit sehr filigran undtransparent erscheinen lässt (Bild 6).Dass die beiden Unterspannseile mitdem ‚Umschlingen‘ der Stahlringe ei-ne Krümmung im Grundriss erhal-ten, erhöht nicht nur die Querausstei-fung, sondern erzeugt, in Interaktionmit dem liegenden Fachwerkträger,auch die notwendige Torsionssteifig-keit des Systems.

Die besondere Form der Ringeergab sich aus der Forderung nach

Andreas KeilKlaus Straub

Leicht und transparent – eine Glasbrücke in Lissabon

Das „Centre of the Unknown“, eine erst kürzlich fertiggestellte biomedizinische For-schungseinrichtung der Champalimaud-Stiftung in Lissabon, Portugal, wurde von denArchitekten Charles Correa Associates aus Mumbai, Indien, entworfen. Es besteht auszwei Gebäudekomplexen, in denen die Forschungslabors, ein Auditorium und Ausstel-lungsbereich sowie die Büros der Stiftung Platz finden. Das „Centre of the Unknown“befindet sich im Stadtteil Belém, hier mündet der Fluss Tejo in den Atlantischen Ozean.Diese Lage ist von besonderer historischer Bedeutung, denn von hier aus setzten dieportugiesischen Pioniere im 15. und 16. Jahrhundert die Segel, um das „Unbekannte“ zuentdecken.

Ein optisches Highlight ist die leichte, 21 m lange Glasbrücke mit einer Hülle ausgebogenen Scheiben, die die beiden Gebäudekomplexe miteinander verbindet. Eine filigrane unterspannte Stahlkonstruktion bildet zugleich die Unterkonstruktion für dieäußere Glashülle. Auch die Gehfläche und die Brüstungen bestehen aus Glaselementenund verleihen der Gesamtkonstruktion das geforderte Maß an Eleganz und Transparenz.Der Aufsatz geht auf die unterschiedlichen Anforderungen dieser ungewöhnlichen Brücke ein und zeichnet dabei den Entwurfsprozess bis hin zur Fertigstellung nach (Bild 1).

Light-weight and transparent – a glass bridge in Lisbon. The “Centre of the Unknown“,a recently completed biomedical research facility of the Champalimaud Foundation inLisbon, Portugal, was designed by Charles Correa Associates from Mumbai, India. Itcomprises two building complexes set in a large public area that accommodate treat-ment units, research laboratories, an auditorium and exhibition area, as well as the offices of the Champalimaud Foundation itself. The ‘Champalimaud Centre for the Unknown’ is located in the Belém district of Lisbon, where the Tagus River flows intothe Atlantic Ocean. Its location is of particular historical significance, as it is the placefrom where Portuguese pioneers set sail to discover the ‘unknown’ in the 15th and 16thcenturies.

A visual highlight is the light-weight steel and glass bridge that connects the twobuildings. The glass envelope encasing the bridge consists of curved panels of laminat-ed glass. A filigree cable supported steel structure also forms the substructure of theglass envelope. The walkway and the railing also consist of laminated safety glass andthereby confer upon the entire structure the desired sense of elegance and transparen-cy. The technical report addresses the various requirements of this out of the ordinarybridge and outlines the bridge design from conceptual design to completion (Fig. 1).

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guter Belüftung bei gleichzeitig aus-reichendem Schutz gegen Schlagre-gen. Mit dem offenen Spalt in derGlasröhre unter dem Gehbelag unddem ‚aufgeklappten‘ Dachbereichentsteht die notwendige Luftzirku-lation. An heißen Sommertagen kann neben dieser natürlichen Be-und Entlüftung über Weitwurfdüsen,die an beiden Seiten der Gebäude-fassaden angebracht wurden, zusätz-lich Kaltluft eingeblasen werden.

2. Die Konstruktion der Glasbrücke2.1 Stahlkonstruktion

Die unterspannte Stahltragkonstruk-tion besteht im wesentlichen aus zweiseitlich angeordneten und horizontalverlaufenden Druckelementen, zweiTragseilen, zwölf vertikalen Ringen,die mit Ausnahme der Schrägrippeam Übergang zum Hauptgebäude, ingleichen Abständen von ca. 2 m längs

der Brückenachse angeordnet sind,sowie einer Unterkonstruktion fürden Glasboden (Bild 7).

Für die beiden Druckelementekam ein Sonderprofil aus S 355 J2 zurAusführung. Der Querschnitt des

freigeformten Hohlprofils mit seinenvier abgerundeten Kanten passt sich der Außenkontur der Spantenharmonisch an und weist eine Wanddicke von umlaufend 30 mmauf.

Bild 1. Campalimaud Centre for the Unknown, LissabonFig. 1. Campalimaud Centre for the Unknown, Lisbon

Bild 2. Entwurf, Variante 1, Fachwerkträger unter der Geh-flächeFig. 2. Draft, Option 1, truss under the walking surface

Bild 3. Entwurf, Variante 2, Fachwerkträger über der Geh-flächeFig. 3. Draft, Option 2, truss above the walking surface

Bild 6. BrückenquerschnittFig. 6. Cross section of the bridge

Bild 4. Entwurf, Variante 3, Kastenträger unter der GehflächeFig. 4. Draft, Option 3, box girder under the walking surface

Bild 5. Entwurf, Variante 4, unterspannter TrägerFig. 5. Draft, Option 4, cable-supported girder

Bild 7. Komponenten der Stahlstruktur, IsometrieFig. 7. Components of the steel structure, isometric view

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Elf der insgesamt zwölf ebenen,lotrechten Ringe stehen senkrechtzur Brückenachse. Der zwölfte Ringwurde parallel zur Fassade des an-schließenden Gebäudes ausgerichtet.Die Abweichung zur Senkrechten be-trägt hier 14,5°. Sämtliche Spanteneinschließlich der Anschlusslaschen,die der Befestigung der Glasklemm-halter dienen, wurden aufgrund derhohen Toleranzanforderungen aus30 mm dicken Stahlblechen (S 355 J2)gefräst. Die Kontur der Spanten weistneben einem 120 mm breiten Ring (R = 2,31 m), aus dem sich kontinuier-lich die Auskragung (R = 2,47 m) fürden überlappenden Dachbereich ent-wickelt, auch eine Querverbindungunterhalb der Lauffläche auf Höheder beiden Druckelemente auf. Die-ser Riegel bildet zusammen mit zu-sätzlichen, parallel zu den Druckgur-ten verlaufenden und um ca. 500 mmnach innen gerückten Randprofilendie Unterkonstruktion für den Glas-boden und die seitlichen Brüstungen.In Bezug auf die vierseitige Lagerungder Glasscheiben des Glasbodens er-geben sich auf diese Weise zehn glei-che Felder mit Kantenlängen von1970 mm × 2150 mm. Unterhalb desGlasbodens befindet sich schließlichein Verband aus sich kreuzendenZugstäben, der in Kombination mitder Glasunterkonstruktion für die er-forderliche Queraussteifung der Brü-ckenkonstruktion sorgt.

Die beiden Unterspannseile(VVS, D = 50 mm) unterhalb derDruckgurte verlaufen auf dreidimen-sionalen Kurven auf der Oberflächeeines fiktiven Zylinders, der durch diezwölf Spanten definiert wird. DieSeillinien beginnen über dem jeweili-gen Auflager der Brücke auf Höhe derDruckgurte und erreichen jeweils beiRippe 6 ihren tiefsten Punkt. Die sta-tische Höhe in Brückenmitte beträgtsomit 960 mm, der seitliche Abstandbeider Seile zueinander beträgt hier850 mm. Die Lage der Tragseile bezo-gen auf den Rippenquerschnitt wurdekonstruktiv so definiert, dass die Seilejeweils oberflächenbündig mit derAußenkante der Spanten abschlie-ßen. Somit war auch gewährleistet,dass die Seile bei der Montage relativeinfach von außen eingelegt und fi-xiert werden konnten.

Für die Seilumlenkung und Seil-klemmung an den Spanten wurdenFrästeile aus 50 mm bis 80 mm di-

ckem Vollmaterial individuell für je-den Umlenkpunkt angefertigt. An-schließend wurden die Umlenksättelin die vorgesehene Aussparung derentsprechenden Spante eingepasstund mit dieser schließlich ver-schweißt. Insgesamt 16 dieser kom-pakten und mit einer sattelförmigenNut versehenen Präzisionsteile wa-ren zur Führung und Klemmung derbeiden Tragseile erforderlich.

Die vollverschlossenen Seile be-sitzen an beiden Enden Gabelseilhül-sen. Die Seile mussten mit sehr hoherGenauigkeit gefertigt und abgelängtwerden, weil eine nachträgliche Jus-tierung der Seillänge z. B. überSpannschlösser aus nachvollziehba-ren Gründen planmäßig nicht vorge-sehen war. Der Anschluss an dieDruckgurte erfolgt jeweils mittelsBolzen an Auglaschen als integralerBestandteil der Druckelemente imAuflagerbereich.

Oberhalb der Druckelementestellen die Spanten die konsequenteFortführung der Glasunterkonstruk-tion für die Glashülle dar. Sie werdenlediglich im Dachbereich noch anvier Punkten über vier schlankeRohrprofile aus Edelstahl auf Distanzgehalten. Die Längsstreben im Über-kopfbereich halten die Spanten unteräußerer Lasteinwirkung immer aufgleichem Abstand und reduzieren diemaximalen Relativverformungen derGlasauflagerpunkte (Verrautung,Verwindung) auf ein vertretbaresMaß. Darüber hinaus gewährleisten

sie einen Mindestabstand zu den Fas-saden der anschließenden Gebäudeund verhindern bei extremen Bean-spruchungssituationen, wie sie z. B.bei einem Erdbeben auftreten kön-nen, größere Schäden an der Brü-ckenkonstruktion samt Gläsern.

2.2 Glaskonstruktion

Bei der Glashülle kommen grund-sätzlich zwei Typen von Glasschei-ben zur Anwendung, die sich durchihren Krümmungsradius unterschei-den. Typ 1 hat einen Biegeradius von2270 mm, bei Typ 2 sind es 2611 mm(Bild 8).

Darüber hinaus kann man dieScheiben in zwei weitere Gruppenunterteilen, die „Standardscheiben“im Feldbereich mit konstanter Kan-tenlänge von 1970 mm und die „Son-derscheiben“ im Anschlussbereich andie Gebäude. Die Standardscheibenwerden jeweils über vier Eckklemm-halter gehalten. Die Sonderscheibenwerden je nach Position und Größeüber vier bzw. sechs Klemmhalter ge-halten. Die maximale Größe einerStandardscheibe beträgt 1970 mm ×1337 mm, die einer Sonderscheibe2863/2528 mm × 1122 mm.

Der Aufbau der Glasscheiben derGlashülle besteht aus Verbund-Sicher-heitsglas mit SentryGlas® als Zwi-schenschicht (8 mm ESG/2.28 mmSGP/8 mm ESG). Aus bauklimati-schen Gründen besitzen sämtlicheScheiben eine Sonnenschutzbeschich-

Bild 8. Glaseinteilung und Glastypen der Glashülle (Explosionszeichnung)Fig. 8. Arrangement and types of glass sheets of glass envelope (exploded assembly)

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tung auf Position 3 (Sunergy Clear,AGC), die einen Gesamtenergiedurch-lassgrad der Verglasung von höchstensg = 0,52 gewährleistet. Die Scheibenim Überkopfbereich besitzen zudemeine transluzente Bedruckung auf Po-sition 2. Der Bedruckungsgrad steigt

abhängig vom Sonneneinstrahlwinkelkontinuierlich von 0 % auf maximal80 % an (Bild 9).

Die gekrümmten Glasscheibenwerden im Regelfall an den vierEcken ohne Durchbohrung über ein-fache Glasklemmhalter und Kreuz-rippen in der Fuge gehalten. Ledig-lich die Sonderscheiben am Über-gang zu den Gebäuden laufen überdie letzte Rippe hinweg, so dass hierdie Scheiben jeweils an der geradenKante geklemmt werden. Die Kon-taktfläche, die der Klemmhalter fürjede Scheibe bietet, beträgt ca. 60 mm× 30 mm. Ein entsprechend geform-tes Silikon-Pad (t = 3 mm) verhindertden direkten Kontakt zwischen Glasund Stahl (Bilder 10 bis 13).

Die 1,90 m × 2,15 m großen und52 mm dicken Scheibenpakete desGlasbodens bestehen aus insgesamtfünf teilvorgespannten Gläsern (TVG10/10/8/8/10, low iron), jeweils mit

einer PVB-Zwischenfolie laminiert.Die oberste Scheibe besitzt eine Anti-Rutsch-Oberfläche (CriSamar Step,Incus-S, SEVASA).

Darüber hinaus wurde aus opti-schen Gründen (verbesserte Tiefen-wirkung) und beleuchtungstechni-schen Gründen (verbesserte Licht-streuung bei seitlichem Lichteintrag)die unterste PVB-Folie transluzentausgeführt (Bilder 14 und 15).

Die 1,29 m × 1,93 m großenGlaselemente der Brüstungen beste-hen schließlich aus ESG 2 × 10 mm(low iron) mit PVB-Zwischenfolie(Bild 16).

Bild 9. Glasaufbau der gekrümmten Gläser der GlashülleFig. 9. Glass composition for curved glasses of glass en-velope

Bild 12. Glasbrücke, 1:1-Modell, typi-scher GlasklemmhalterFig. 12. Glass Bridge, mock-up, typicalclamp

Bild 10. Details zum Glasklemmhalterder gekrümmten Scheiben der GlashülleFig. 10. Details of clamps for thecurved glass sheets of the envelope

Bild 13. Glasbrücke, 1:1-Modell,typischer GlasklemmhalterFig. 13. Glass Bridge, mock-up, typicalclamp

Bild 11. Komponenten der Glasklemm-halter der Glashülle (Explosions-zeichnung)Fig. 11. Components of the glass clampof the glass envelope (exploded assembly)

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3 Bemessungskonzept und Lasten

Zur Bemessung der Brücke wurde derEurocode herangezogen. Die charak-teristischen Lasten wurden jeweilsaus den lokalen Regelwerken abgelei-tet.

Aufgrund der hohen Windge-schwindigkeiten (Küstenregion), derAnordnung der beiden Gebäudekom-plexe (Düseneffekt), des gewähltenQuerschnitts der Glasröhre (Sogflan-ken) und der gewünschten Öffnun-gen zur natürlichen Belüftung derBrücke (Innendruck) mussten lokaleWindlasten von bis zu 4,1 kN/m2 be-rücksichtigt werden.

Die Verkehrslast wurde mit5 kN/m2 angesetzt. Neben Tempera-tur- und Imperfektionslasten wurdenauch Schneelasten von 0,41 kN/m2

berücksichtigt. Da sich die Brücke ineinem Erdbebengebiet befindet,musste auch die Erdbebensicherheit

bei einer horizontalen Bodenbe-schleunigung von 1,173 m/s2 und ei-ner vertikalen Bodenbeschleunigungvon 1,056 m/s2 nachgewiesen wer-den. Über eine Modalanalyse unterAnwendung des Antwortspektrenver-fahrens wurde die Maximalantwortdes Systems berechnet, Schnittgrö-ßen und Verformungen überlagertund die so ermittelten Ergebnisseschließlich ausgewertet.

Zur Beurteilung der statischenBeanspruchung der verwendetenGläser ist neben der Windbelastung,den inneren und äußeren Lastenebenfalls die thermische Beanspru-chung zu berücksichtigen. Diese setztsich aus der Temperaturdifferenz zwi-schen Innenraum und Umgebung so-wie aus der vom Glas absorbiertenSolarstrahlung zusammen. Die ther-mische Beanspruchung hängt maß-geblich von den optischen und ther-mischen Eigenschaften der verwen-

deten Gläser ab. Sie lässt sich aufGrundlage der Materialeigenschaftenund der Klimaverhältnisse abschät-zen.

Zusätzlich zu den statischenNachweisen wurde auch eine Vielzahlan Versuchen durchgeführt, um diebei der Berechnung zugrunde gelegtenAnnahmen experimentell zu verifizie-ren. So wurde z. B. die Bruchfestigkeitder Seile aufgrund der sehr klein ge-wählten Umlenkradien von nur 10 dsüber einen Biegeversuch überprüftund die Tragfähigkeit der gebogenenScheiben und deren Resttragfähigkeitunter Berücksichtigung unterschiedli-cher Einbausituationen anhand vonBelastungstests mit Originalscheibenermittelt. Auch die Glasbrüstung wur-de im 1:1-Modell zunächst für stati-sche Lasten getestet. Anschließendwurde die geforderte Absturzsicher-heit mittels Pendelschlagversuchnachgewiesen (Bilder 17 und 18).

Bild 14. Detail zum GlasbodenFig. 14. Detail to the glass floor

Bild 15. Glasbrücke, 1:1-Modell, Glas-boden-Beleuchtung mit linearen LED-LeuchtenFig. 15. Glass Bridge, mock-up, glassfloor illumination with linear LEDlighting

Bild 16. Detail zur GlasbrüstungFig. 16. Detail of the balustrade

Bild 17. Glasbrücke, 1:1-ModellFig. 17. Glass Bridge, mock-up

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Eine dynamische Untersuchungder Brücke auf Schwingungsanfällig-keit ergab, dass die Fußgängerbrückemit einer Eigenfrequenz von 1,26 Hz(vertikal) zwar im kritischen Bereichliegt, dass aber aufgrund der gutenDämpfungseigenschaften insbeson-dere durch die gewählte Glaslage-rung ein schnelles Abklingen derdurch Fußgänger induzierten Eigen-schwingungen zu erwarten war. Die-ses gutmütige Verhalten hat sichschließlich bei einem Versuch an derfertiggestellten Brücke mit Testperso-nen bestätigt, so dass auf weiteredämpfende Maßnahmen verzichtetwerden konnte.

4 Berechnung

Die Berechnungen der Stahltrag-struktur wurden geometrisch nichtlinear am Gesamtsystem ohne Ansatzder Steifigkeiten der Glaselementedurchgeführt.

Die Glasscheiben des Glasbo-dens und der Brüstung wurden mitdem FE-Programm MEPLA berech-net. Für die Berechnung der geboge-nen Verbundglasscheiben der Glas-hülle wurde eine zweistufige Berech-nungsmethode gewählt, weil im Ge-gensatz zu ebenen Scheibenpaketendie Berechnung hier mit den gängi-gen FE-Programmen nicht oder nursehr umständlich möglich ist. In ei-

nem ersten Schritt wurde eine effekti-ve Glasdicke heff mit Hilfe des FE-Programms MEPLA iterativ be-stimmt, indem über die Variation derGlasdicke einer ebenen Einzelscheibederen Verformungen und Haupt-spannungen auf diejenigen der letzt-lich verwendeten Verbundscheibe„getrimmt“ wurden. Anschließendwurden die gekrümmten Scheibenmit der so ermittelten Ersatzdicke heffmit dem FE-Programm SOFiSTiKmodelliert und schließlich berechnet.

Für die Berechnung wurden ins-gesamt sechs Typen von Glasschei-ben analysiert. Dabei wurde ein Elas-tizitätsmodul des Silikon-Materials(Klemmhalter) von E = 15 MPa (30Shore-A) angenommen. Die maximalzulässige Spannung für TVG wurdegemäß ASTM E-1300 mit σ =93,1 MPa im Feld und 73,0 MPa imRandbereich angesetzt.

Da sich die Auflagerpunkte derGlasscheiben unter Windeinfluss ge-ringfügig gegeneinander verdrehen,wurden bei den Berechnungen auchVerwindungen von bis zu 15,5 mmberücksichtigt.

5 Fertigung und Montage der Brücke

Die Tragkonstruktion der Brückewurde im Werk komplett vorgefertigtund anschließend als ganze Einheitzur Baustelle transportiert. Der unter-

spannte Träger wurde dabei in derSollgeometrie, also nicht überhöht,aber um 180° gedreht zusammenge-schweißt und anschließend über Bal-lastierungen in eine zuvor ermittelteGeometrie gebracht, in der die ent-sprechend verkürzten Seile relativeinfach in spannungslosem Zustandvon oben in die Führungsnuten anden Spanten eingelegt, geklemmt undmit den Auglaschen im Auflagerbe-reich verbolzt werden konnten.

Die Scheiben des Glasbodenswurden auf der Baustelle noch vordem Einheben der Tragkonstruktioneingebaut. Anschließend wurde dieEinheit bestehend aus Unterbau samtElastomerlagern und Glasboden ein-gehoben, auf den Wandscheiben derGebäude an der vorgesehenen Stelleabgesetzt und dann über temporäreAbspannseile, die das Eigengewichtder noch fehlenden Stahl- und Glas-komponenten kompensieren sollten,in die Sollgeometrie mit horizontalenDruckgurten gebracht. Die aufgehen-den Ringsegmente oberhalb der Geh-fläche, ebenfalls jeweils als ganzeEinheiten bereits im Werk vorgefer-tigt, konnten nun ausgerichtet undmit dem Unterbau verschweißt wer-den. Sukzessive wurden dabei auchdie Längsstreben im Dachbereich er-gänzt. Schließlich wurden die gebo-genen Scheiben der Glashülle vonder Mitte beginnend montiert, dieBrüstungsscheiben befestigt und diemittlerweile kraftlosen Abspannseilerückgebaut (Bilder 19 und 20).

Bild 18. Glasbrücke, 1:1-Modell mit Originalscheiben zur Bemusterung und fürTestzweckeFig. 18. Glass Bridge, mock-up with original glass sheets for sampling and testing

Bild 19. Glasbrücke, Blick von innenFig. 19. Glass Bridge, view from inside

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6 Fazit

Die elegante Glasbrücke zeichnetsich durch ihr klares und sauberesDesign aus. Das Höchstmaß anTransparenz wurde durch Reduzie-rung der Stahlelemente auf ein Mini-mum und durch die Verwendung vongebogenen, vollvorgespannten Glä-sern, die mit einer speziellen Zwi-schenschicht mit überdurchschnittli-chem Resttragvermögen laminiertwurden, erreicht. Durch das geboge-ne Glas und die dezente Seilunter-spannung der Hauptträger werden dieGrenzen zwischen der Brücke unddem Himmel bis zur Unschärfe ver-wischt, so dass der Eindruck entsteht,die Brücke schwebe zwischen denGebäuden (Bild 21).

„Es ist eines der elegantestenDinge, die man je gesehen hat, einekristalline Verbindung zwischen zweigeschwungenen Wänden aus Lioz

Stein ... Ein wirklich wunderbaresSchmuckstück der Technik!“ (CharlesCorrea, Dez. 2010)

Projektdaten und ProjektbeteiligteProjektdaten:Baubeginn: 1/2010Fertigstellung: 9/2010Stahlkonstruktion: 20 tGlaselemente: 380 m2, davon 285 m2

gebogenes GlasBaukosten:ca. 0,9 Mio. €

Projektbeteiligte:Bauherr: Champalimaud Foundati-on, Lissabon, PortugalArchitekt: Charles Correa Associates,Mumbai, IndienObjekt- und Tragwerksplaner:schlaich bergermann und partner,StuttgartGlastechnische Beratung:Prof. Dr.-Ing. Jens Schneider, TUDarmstadt

Gebäudeklimatische Beratung:ifB Sorge, NürnbergAusführende Firma: Bellapart S.A.U.,Olot, SpanienGeneralunternehmer: HCI Constru-coes S.A., Lissabon, PortugalMota-Engil Engenharia e ConstrucaoS.A., Porto, PortugalProjektsteuerung: Glintt, Sintra, Por-tugal

Bildnachweis:

Bilder 1, 11, 15, 17 bis 21: BellapartBilder 2 bis 10, 12 bis 14, 16: schlaich

bergermann und partner

Autoren dieses Beitrages:Dipl.-Ing. Andreas Keil, Dipl.-Ing. Klaus Straubschlaich bergermann und partner,Beratende Ingenieure im Bauwesen Hohenzollernstraße 1, 70178 Stuttgartwww.sbp.de

Bild 20. Glasbrücke, Blick von untenFig. 20. Glass Bridge, view from below

Bild 21. Glasbrücke, Blick von der LandseiteFig. 21. Glass Bridge, view from landside