6
Copyright Springer-VDI-Verlag GmbH & Co. KG, Düsseldorf wt Werkstattstechnik online Jahrgang 107 (2017) H. 10 748 Titelthema – Aufsatz Das vom BMBF geförderte und vom PTKA Dresden betreute „For- schungs- und Technologiezentrum für ressourceneffiziente Leichtbau- strukturen der Elektromobilität (Forel)“ ist ein Netzwerk mit der Beteiligung namhafter Partner aus Industrie und Wissenschaft, die in einer Vielzahl von anwendungsnahen Forschungsprojekten neue Leichtbautechnologien rund um die Elektromobilität erforschen. Im Rahmen des übergeordneten Koordinationsprojekts werden unter an- derem Methoden und Richtlinien zur ganzheitlichen standardisierten Ökobilanzierung von Multi-Material-Leichtbaustrukturen erarbeitet. The centre for research and technology for resource-efficient light- weight structures of electric mobility (Forel) is funded by the Federal Ministry of Education and Research (BMBF) and supported by the Project Management Agency Karlsruhe (PTKA) Dresden. Forel is a network of substantial industrial and scientific partners that are participating in application-oriented research projects focussing on lightweight structures for electric mobility. The coordination project 1 Einleitung Der moderne Leichtbau trägt als Querschnittsdisziplin nach- haltig zur Entwicklung wettbewerbsfähiger innovativer Fahr- zeugtechnologien bei. Die Auswahl des richtigen Werkstoffs an der richtigen Stelle stellt nicht nur Konstrukteure vor Heraus- forderungen, sondern ist eine komplexe Fragestellung, die in- terdisziplinäre Antworten erfordert. Oftmals werden in frühen Entwicklungsphasen Entscheidungen getroffen, die den gesam- ten Wertschöpfungskreislauf des entstehenden Produkts prä- gen. So ist zwar bei der Festlegung auf eine konventionelle Metallbauweise der erreichbare Leichtbaugrad begrenzt, ande- rerseits stehen oftmals bewährte Fertigungstechnologien und Produktionsanlagen sowie etablierte Recycling-Kreisläufe mit hohen Sekundärmaterialquoten zur Verfügung. Durch den Einsatz von Faser-Kunststoff-Verbunden (FKV) kann beispielsweise bei Mobilitätsanwendungen wertvolle Mas- se eingespart und damit der Ressourcenverbrauch in der Nut- zungsphase substantiell reduziert werden. Nachteilig wirkt sich jedoch aus, dass es für FKV derzeit noch keine den Metallen ebenbürtige Recyclingtechnologie gibt. Der Ingenieur ist somit mit einer multikriteriellen Optimierungsaufgabe konfrontiert, für deren Lösung eine ganzheitliche Bilanzierung als Entschei- dungsgrundlage erforderlich ist. Das Life Cycle Assessment (LCA) ist bereits seit mehreren Jahrzehnten bekannt, standar- disiert [1] und insbesondere für die Bewertung von (Roh-)Ma- terialkreisläufen mit einer fundierten Datenbasis unterfüttert. So setzen gerade Materialhersteller aus der Stahl- und Kunst- stoffbranche das LCA bereits erfolgreich und weitgehend ein- heitlich ein. Ein wesentlicher Grund hierfür ist, dass der Einsatz von Sekundärmaterial bei artgleichen Werkstoffen wirtschaft- lich vorteilhaft ist, da er technisch sehr gut beherrscht wird und zudem die resultierenden Materialkennwerte durch Beimi- schungen kaum beeinflusst werden. Zukünftig rechnen Exper- ten jedoch mit einem verstärkten Einsatz von Mischbauweisen, wie verschiedene Studien zeigen (Bild 1). Für die ökologische Betrachtung von Prozessketten wurde von der LCA-Arbeitsgruppe des Europäischen Rates für Automo- tive R&D (Eucar) ein Leitfaden für die Durchführung von Auto- mobil-LCA eingerichtet, wobei der Lebenszyklus von der Roh- stoffentnahme bis zur Verwertung der Altfahrzeuge reicht [2]. Mit den politischen Forderungen nach geringem Flotten- verbrauch und zunehmender Elektromobilität verschiebt sich Leichtbau, Recycling, Werkstoffe Status und Möglichkeiten für das LCA im Leichtbau M. Gude, M. Müller, M. Stegelmann, I. Bischof, H. Lieberwirth, T. Krampitz Status and future prospects for LCA in lightweight design develops methods and guidelines for a holistic standardised ecologi- cal audit of multi material lightweight structures. Prof. Dr.-Ing. Maik Gude, Dipl.-Ing. Michael Müller, Dipl.-Ing. MBA Michael Stegelmann, Inka Bischof, B.Eng. Institut für Leichtbau und Kunststofftechnik ILK Technische Universität Dresden Holbeinstr. 3, D-01307 Dresden Tel. +49 (0)351 / 463-37915, Fax +49 (0)351 / 463-38143 E-Mail: [email protected] Internet: www.tu-dresden.de/mw/ilk Prof. Dr. Holger Lieberwirth, Dr.-Ing. Thomas Krampitz Institut für Aufbereitungsmaschinen IAM TU Bergakademie Freiberg Lampadiusstr. 4, D-09599 Freiberg Tel. +49 (0)3731 / 39 25 28, Fax +49 (0)3731 / 39 35 00 E-Mail: [email protected] Internet: http://tu-freiberg.de/fakult4/iam Dank Dieses Forschungs- und Entwicklungsprojekt wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) im Rahmenkonzept „Innovationen für die Produktion, Dienstleistung und Arbeit“ mit Mittel aus dem Energie- und Klimafonds gefördert und vom Projektträger Karlsruhe (PTKA) betreut. Die Verantwortung für den Inhalt dieser Veröffentlichung liegt bei den Autoren.

Leichtbau, Recycling, Werkstoffe Status und …Leichtbau, Recycling, Werkstoffe Status und Möglichkeiten für das LCA im Leichtbau M. Gude, M. Müller, M. Stegelmann, I. Bischof,

  • Upload
    others

  • View
    30

  • Download
    1

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Leichtbau, Recycling, Werkstoffe Status und …Leichtbau, Recycling, Werkstoffe Status und Möglichkeiten für das LCA im Leichtbau M. Gude, M. Müller, M. Stegelmann, I. Bischof,

Copyright Springer-VDI-Verlag GmbH & Co. KG, Düsseldorfwt Werkstattstechnik online Jahrgang 107 (2017) H. 10748

Titelthema – Aufsatz

Das vom BMBF geförderte und vom PTKA Dresden betreute „For-schungs- und Technologiezentrum für ressourceneffiziente Leichtbau-strukturen der Elektromobilität (Forel)“ ist ein Netzwerk mit der Beteiligung namhafter Partner aus Industrie und Wissenschaft, die in einer Vielzahl von anwendungsnahen Forschungsprojekten neue Leichtbautechnologien rund um die Elektromobilität erforschen. Im Rahmen des übergeordneten Koordinationsprojekts werden unter an-derem Methoden und Richtlinien zur ganzheitlichen standardisierten Ökobilanzierung von Multi-Material-Leichtbaustrukturen erarbeitet.

The centre for research and technology for resource-efficient light-weight structures of electric mobility (Forel) is funded by the Federal Ministry of Education and Research (BMBF) and supported by the Project Management Agency Karlsruhe (PTKA) Dresden. Forel is a network of substantial industrial and scientific partners that are participating in application-oriented research projects focussing on lightweight structures for electric mobility. The coordination project

1 Einleitung

Der moderne Leichtbau trägt als Querschnittsdisziplin nach-haltig zur Entwicklung wettbewerbsfähiger innovativer Fahr-zeugtechnologien bei. Die Auswahl des richtigen Werkstoffs an der richtigen Stelle stellt nicht nur Konstrukteure vor Heraus-forderungen, sondern ist eine komplexe Fragestellung, die in-terdisziplinäre Antworten erfordert. Oftmals werden in frühen Entwicklungsphasen Entscheidungen getroffen, die den gesam-ten Wertschöpfungskreislauf des entstehenden Produkts prä-gen. So ist zwar bei der Festlegung auf eine konventionelle Metallbauweise der erreichbare Leichtbaugrad begrenzt, ande-rerseits stehen oftmals bewährte Fertigungstechnologien und Produktionsanlagen sowie etablierte Recycling-Kreisläufe mit hohen Sekundärmaterialquoten zur Verfügung.

Durch den Einsatz von Faser-Kunststoff-Verbunden (FKV) kann beispielsweise bei Mobilitätsanwendungen wertvolle Mas-se eingespart und damit der Ressourcenverbrauch in der Nut-zungsphase substantiell reduziert werden. Nachteilig wirkt sich jedoch aus, dass es für FKV derzeit noch keine den Metallen ebenbürtige Recyclingtechnologie gibt. Der Ingenieur ist somit mit einer multikriteriellen Optimierungsaufgabe konfrontiert, für deren Lösung eine ganzheitliche Bilanzierung als Entschei-dungsgrundlage erforderlich ist. Das Life Cycle Assessment (LCA) ist bereits seit mehreren Jahrzehnten bekannt, standar -disiert [1] und insbesondere für die Bewertung von (Roh-)Ma-terialkreisläufen mit einer fundierten Datenbasis unterfüttert. So setzen gerade Materialhersteller aus der Stahl- und Kunst-stoffbranche das LCA bereits erfolgreich und weitgehend ein-heitlich ein. Ein wesentlicher Grund hierfür ist, dass der Einsatz von Sekundärmaterial bei artgleichen Werkstoffen wirtschaft-lich vorteilhaft ist, da er technisch sehr gut beherrscht wird und zudem die resultierenden Materialkennwerte durch Beimi-schungen kaum beeinflusst werden. Zukünftig rechnen Exper-ten jedoch mit einem verstärkten Einsatz von Mischbauweisen, wie verschiedene Studien zeigen (Bild 1).

Für die ökologische Betrachtung von Prozessketten wurde von der LCA-Arbeitsgruppe des Europäischen Rates für Automo-tive R&D (Eucar) ein Leitfaden für die Durchführung von Auto-mobil-LCA eingerichtet, wobei der Lebenszyklus von der Roh-stoffentnahme bis zur Verwertung der Altfahrzeuge reicht [2]. Mit den politischen Forderungen nach geringem Flotten -verbrauch und zunehmender Elektromobilität verschiebt sich

Leichtbau, Recycling, Werkstoffe

Status und Möglichkeiten für das LCA im LeichtbauM. Gude, M. Müller, M. Stegelmann, I. Bischof, H. Lieberwirth, T. Krampitz

Status and future prospects for LCA in lightweight design

develops methods and guidelines for a holistic standardised ecologi-cal audit of multi material lightweight structures.

Prof. Dr.-Ing. Maik Gude, Dipl.-Ing. Michael Müller, Dipl.-Ing. MBA Michael Stegelmann, Inka Bischof, B.Eng. Institut für Leichtbau und Kunststofftechnik ILK Technische Universität Dresden Holbeinstr. 3, D-01307 Dresden Tel. +49 (0)351 / 463-37915, Fax +49 (0)351 / 463-38143 E-Mail: [email protected] Internet: www.tu-dresden.de/mw/ilk

Prof. Dr. Holger Lieberwirth, Dr.-Ing. Thomas Krampitz Institut für Aufbereitungsmaschinen IAM TU Bergakademie Freiberg Lampadiusstr. 4, D-09599 Freiberg Tel. +49 (0)3731 / 39 25 28, Fax +49 (0)3731 / 39 35 00 E-Mail: [email protected] Internet: http://tu-freiberg.de/fakult4/iam

Dank Dieses Forschungs- und Entwicklungsprojekt wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) im Rahmen konzept „Innovationen für die Produktion, Dienstleistung und Arbeit“ mit Mittel aus dem Energie- und Klimafonds gefördert und vom Projektträger Karlsruhe (PTKA) betreut. Die Verantwortung für den Inhalt dieser Veröffentlichung liegt bei den Autoren.

Page 2: Leichtbau, Recycling, Werkstoffe Status und …Leichtbau, Recycling, Werkstoffe Status und Möglichkeiten für das LCA im Leichtbau M. Gude, M. Müller, M. Stegelmann, I. Bischof,

BMBF – Produktionsforschung

Copyright Springer-VDI-Verlag GmbH & Co. KG, Düsseldorf wt Werkstattstechnik online Jahrgang 107 (2017) H. 10 749

allerdings zunehmend die Bedeutung des automobilen Lebens-zyklus. Automobilhersteller gehen davon aus, dass die Umwelt-wirkungen der Abfälle sowie die Führung der Werkstoffe im Rohstoffkreislauf, einschließlich der Versorgungssicherheit der Fahrzeugindustrie mit Rohstoffen zukünftig in die LCA-Betrach-tung eine stärkere Relevanz erlangen [3].

Auf Basis der hier vorgestellten Analyse sollen daher mittel-fristig Richtlinien vereinbart werden, die es erlauben, eine ein-heitliche Vorgehensweise für das LCA auch im Multi-Material-Leichtbau zu definieren. Die Methode soll für verschiedene Werkstoffkombinationen und hybride Fertigungsverfahren (Bild 2) anwendbar sein und alle Produktlebensphasen ein-schließlich des Recyclings und des Wiedereinsatzes umfassen. Dazu wird herausgearbeitet, welche Hemmnisse derzeit noch verhindern, dass ein objektiver Vergleich zwischen unterschied-lichen Werkstoffen durchgeführt wird. Eine derartige Methode hat das Potential, die Produktenwicklung im Multi-Material-Leichtbau um neue, fundierte Gestaltungs- und Entscheidungs-möglichkeiten zu erweitern.

2 Status quo des LCA im Multi-Material-Leichtbau

Das LCA ist mit der DIN EN ISO 14044 bereits einheitlich geregelt. Dennoch existiert in unterschiedlichen industriellen Sektoren eine Vielzahl von Ansätzen zur Durchführung und Auswertung einer Ökobilanz. Weiterhin ist die Datenlage ins -besondere für die Bilanzierung neuartiger Werkstoffkreisläufe und Fertigungsverfahren unzureichend. In Einzelfällen sind zwar systematische Datenerhebungen durchgeführt worden [4], von einer vollumfänglichen Bilanzierung der Vielfalt an Leicht-bauwerkstoffen und deren Umweltbelastungen ist man momen-tan jedoch noch weit entfernt. Seitens der Automobilindustrie ist dennoch eine verstärkte Nachfrage nach Lösungen und Me-thoden gefragt. Der Integration des LCA in den Produktentwick-lungsprozess kommt dabei besondere Priorität zu [5].

Um den aktuellen Stand der LCA-Aktivitäten mit dem Fokus Leichtbau in der Automobilbranche detailliert analysieren zu können, wurden aktuelle wissenschaftliche Arbeiten hinsicht-lich der darin verwendeten Methodik ausgewertet. Dabei stan-den folgende Fragestellungen im Mittelpunkt:

– Welche Leichtbauwerkstoffe wurden bisher in Ökobilanzen analysiert?

– Welche Produktlebensphasen wurden berücksichtigt?– Welche Methoden wurden angewendet und sind diese mit -

einander vergleichbar?Arbeiten zum Thema LCA im Leichtbau verwenden zunächst ver-schiedene Ökobilanz-Datenbanken. EcoInvent [6–8] und GaBi [9–12] sind dabei die am weitesten verbreiteten Varianten. Seitens der Software-Oberfläche wird in [6, 7, 11] SimaPro verwendet, aber auch GaBi LCA [10–13] und Umberto [9, 11] finden breite Anwendung. Die Vielfalt der auf dem Markt ver-fügbaren Programme und Datenbanken resultiert aus den unter-schiedlichen Anforderungen der einzelnen Branchen, die das LCA einsetzen beziehungsweise aus dem jeweiligen Anwender-kreis und dessen Anforderungen [14]. Häufig werden auch ver-schiedene Lösungen miteinander kombiniert, um Datenlücken gezielt zu schließen. Als funktionelle Einheit wurde in [6–9, 11, 13, 15] ein einzelnes Bauteil beziehungsweise eine Bau-gruppe ausgewählt; in [12, 16] wurde eine Gesamtfahrzeug -bilanz durchgeführt. Die analysierten Leichtbauwerkstoffe rei-chen von Metallen [8, 11] über verstärkte und unverstärkte Kunststoffe [9, 12] bis hin zu Kombinationen der beiden ge-nannten Arten [6, 7, 16]. Die explizite Betrachtung von Hybrid-Bauweisen stand bisher nur sehr begrenzt im Fokus [13, 15].

Auch bei Auswertung der gesammelten Daten gibt es signi-fikante Unterschiede. Zwar wird in praktisch allen Arbeiten die CML-Methode (benannt nach dem „Centrum voor Milieukunde Leiden“) herangezogen, jedoch unterscheidet sich die Auswahl der zentralen Wirkungsindikatoren voneinander. So ist in [10, 13, 16] der Ausstoß von Treibhausgasen und in [15] der Primärenergiebedarf als Wirkungsindikator berücksichtigt. In [6, 7, 9, 11, 12] tauchen beide als Indikator auf. Weiterhin kommt vermehrt der sogenannte „fuel consumption value“ zum Einsatz [7, 10, 11]. Die in [6, 11–13] betrachteten Phasen de-cken tatsächlich den gesamten Lebenszyklus von der Rohstoff-gewinnung bis hin zum Recycling beziehungsweise der Depo-nierung ab. In anderen Arbeiten bleiben jedoch auch einzelne Phasen des Wertschöpfungskreislaufs unberücksichtigt [9].

Als Zwischenfazit kann somit festgehalten werden, dass das LCA derzeit einen immensen Bedeutungszuwachs erfährt und

AUDI 2025

InEco®2015

Stahl- und Eisenwerkstoffe

Nichteisenmetalle

Polymerwerkstoffe und Prozesspolymere

Sonstige Werkstoffe, Elektronik, Betriebsstoffe und Hilfsmittel

Prognose 2030

%%%

30

1538

17

45

20

20

1547

24

20

9

Rückblick2005

%

6010

20

10

1025

Anteil hochfester Stähle

16

Anteil CFK

Bild 1. Masseverhältnisse im Rückblick (2005) und in der Prognose für 2030 [22], als Prognose für einen Audi im Jahr 2025 [5] sowie für das Konzeptfahrzeug InEco (2015)

Page 3: Leichtbau, Recycling, Werkstoffe Status und …Leichtbau, Recycling, Werkstoffe Status und Möglichkeiten für das LCA im Leichtbau M. Gude, M. Müller, M. Stegelmann, I. Bischof,

BMBF – Produktionsforschung

Copyright Springer-VDI-Verlag GmbH & Co. KG, Düsseldorfwt Werkstattstechnik online Jahrgang 107 (2017) H. 10750

die Notwendigkeit gesehen wird, die Ökobilanzierung so früh wie möglich systematisch in den Produktentwicklungsprozess zu integrieren. Gleichzeitig muss jedoch konstatiert werden, dass die zur Verfügung stehenden Daten nicht ausreichend sind und dass die bekannten methodischen Ansätze nicht konse-quent beziehungsweise nicht einheitlich angewendet werden. In den analysierten Arbeiten unterscheiden sich sowohl die Definition der Zielstellung als auch die Vorgehensweise und die Auswahl der Bewertungsmethodik.

3 Recycling als wichtiger Bestandteil des LCA

Mit den neuen Werkstoffen und einhergehenden komplexen Leichtbaustrukturen rückt das Recycling am Ende des Lebens -zyklus verstärkt in den Fokus der LCA. Zwar decken die meisten Bilanzierungen das Recycling mit ab, allerdings werden für die Phase des Recyclings weitgehend standardisierte Prozessketten mit den dafür bekannten ökologischen Kennzahlen verwendet. Nur wenige Studien beschäftigen sich mit den Auswirkungen, die eine Verschiebung der Rahmenbedingungen auf die Prozess-kette hat. Für die Phase des Recyclings, das heißt der End-of-Life (EoL)-Aufbereitung stellen sich daher folgende spezifische Fragen [17]: 1. Welche Umweltauswirkungen haben verschiedene Leicht-

bauweisen?2. Welche Bedeutung hat die EoL-Phase gegenüber anderen

Lebenszyklusphasen?3. Welchen Einfluss haben verschiedene Technologievarianten?

Um gezielt recyclingspezifische Aussagen treffen zu können, müssen, wie in der Lirecar-Studie [2] gezeigt, bestimmte Be-dingungen der Lebenszyklusphasen (wie etwa die Nutzungspha-se) unverändert belassen werden. Zudem sind weitere Annah-men zum Stand der Technik (Materialwissenschaft, Recycling-technologien und andere) notwendig, um ergebnisverfälschen-de Effekte auszuschließen. Infolgedessen beziehen sich die resultierenden Aussagen nur auf die EoL-Phase mit dem zuvor definierten technologischen Standard. Der Einfluss unter-schiedlicher Leichtbauweisen auf die Umweltwirkung der Recyc-lingphase ist demnach bislang unberücksichtigt geblieben.

Zur Bewertung des gesamten Fahrzeuglebenszyklus sind entsprechende Erweiterungen in anderen Phasen vorzunehmen, da konstruktive Veränderungen an den Fahrzeugen auch Aus -wirkungen auf andere Bereiche des Lebenszyklus aufweisen. Die Auswahl der Parameter richtet sich insofern immer nach der Zielstellung der Untersuchung. Für die Analyse der Auswirkung ressourceneffizienter Leichtbaustrukturen sind neben der Hin-zunahme weiterer Phasen wie der Nutzung auch alternative Recyclingkonzepte zu berücksichtigen. Damit ergeben sich sehr schnell komplexe Prozessketten, in denen jeweils der Frage nachgegangen werden muss, welche Teilprozesse hinzugezogen und welche als unverändert angenommen werden sollen.

Obwohl die EoL-Phase für das LCA eines Fahrzeugs von wesentlicher Bedeutung ist, gehen bisher nur sehr wenige Ver-öffentlichungen auf die ökologische Wirksamkeit dieser ein. Ein möglicher Grund hierfür ist, dass in mehreren Studien nur ein geringer Einfluss der EoL-Verwertung von etwa 5 %, bezogen auf die gesamte Umweltwirkung des Lebenszyklus abgeleitet wurde. Häufig werden auch weitgehend standardisierte Recyc-lingprozesse mit Rückgewinnungsraten und Umweltwirkungen aus Literaturquellen eingesetzt [17]. Eine detailliertere Be-trachtung wird zumeist aufgrund der vermeintlich geringen Umweltwirksamkeit der Recyclingphase nicht durchgeführt oder es wird versucht, entsprechende Einflüsse über Sensitivitäts-analysen abzuschätzen.

Da aber zukünftig neue Werkstoffe und Werksstoffkombina-tionen im Fahrzeugbau zum Einsatz kommen, müssen zwangs-läufig konventionelle Aufbereitungsanlagen umgerüstet oder modernisiert werden [18]. Das heißt, dass sich die Prozesskette ändert und häufig komplexer wird. Dabei drängen sich in Bezug auf die nachfolgende ökologische Betrachtung der Prozesse allerdings aus Sicht der Recyclingindustrie folgende Fragen auf:– Welche Auswirkungen haben Leichtbauwerkstoffe auf kon-

ventionelle Recyclingprozesse und deren Prozesskennzahlen?– Wie sehen Anpassungsstrategien aus?– Gibt es alternative Recyclingprozesse und Recyclingrouten

oder werden diese sogar erforderlich? – Sind die abgebildeten Prozessketten mit den hinterlegten

Prozesskennwerten zukünftig noch tragfähig?

Bild 2. Im Forel-Technologieprojekt Leika wurde eine hybride Metall-CFK- Bodengruppe entwickelt und prototypisch mittels integrierter Prozess technologie gefertigt

Page 4: Leichtbau, Recycling, Werkstoffe Status und …Leichtbau, Recycling, Werkstoffe Status und Möglichkeiten für das LCA im Leichtbau M. Gude, M. Müller, M. Stegelmann, I. Bischof,

BMBF – Produktionsforschung

Copyright Springer-VDI-Verlag GmbH & Co. KG, Düsseldorf wt Werkstattstechnik online Jahrgang 107 (2017) H. 10 751

– Welche Mengenströme der jeweiligen Leichtbauwerkstoffe und -kombinationen sind nach welchem Zeitraum, insbe -sondere unter Berücksichtigung aktueller Veränderungen bei Mobilitätskonzepten wie etwa Car-Sharing und E-Mobilität, neu zu erwarten?

Diese und ähnliche Fragestellungen werden im Rahmen der Plattform Forel untersucht [19, 20]. Dabei wird ein holistischer Ansatz über den gesamten Lebenszyklus bis hin zum Wiederein-satz von Leichtbauwerkstoff-Rezyklaten in tragenden Fahrzeug-bauteilen verfolgt. Aus den bisherigen Untersuchungen kann geschlussfolgert werden, dass Recyclingprozesse zumindest für Leichtbaustrukturen eine viel größere Bedeutung in der Pro-zesskette haben, als bisher angenommen wurde und diese nicht nur die Verwertung der Altfahrzeuge (EoL) betreffen. Eine Pro-zesskette für die Erzeugung von Leichtbaustrukturen in Multi-Material-Bauweise gestaltet sich im Allgemeinen sehr komplex und mehrstufig, wobei in den meisten Prozessschritten Produk-tionsabfälle entstehen. Diese können innerhalb der LCA ent -weder als Abfälle über Recyclingprozesse mit entsprechenden Prozesskennzahlen ausgewiesen werden oder die Verwertung wird in abfallspezifische Kennzahlen der Fertigungsprozesse integriert. Welche Variante zu bevorzugen ist, ist abhängig vom Verwertungsweg der Abfälle.

Bereits in der Lirecar-Studie wurde darauf hingewiesen, dass bisher eher unzureichende ökologische Betrachtungen in die Bewertung einfließen und künftig mehr Rücksicht auf werk-

stoffliche, rohstoffliche oder energetische Verwertungswege der Recyclingprodukte genommen werden muss. In Bild 3 ist der Stoffkreislauf mit unterschiedlichen Anknüpfungspunkten zum Recycling dargestellt. In jeder Phase entstehen Produktions -abfälle, die sehr unterschiedliche stoffliche und granulometri-sche Eigenschaften aufweisen. In Abhängigkeit der Abfall -eigenschaften ergeben sich unterschiedliche Recyclingrouten, bei denen wiederum unterschiedliche Technologien zum Einsatz kommen. Abfälle können nach der Aufarbeitung entweder erneut in der Fertigung Verwendung finden oder zu Sekundär-rohstoffen verarbeitet werden, die dann wieder dem Stoffkreis-lauf zugeführt werden. Für die Durchführung der LCA muss die ökologische Wirksamkeit der unterschiedlichen Prozesse be-kannt sein. Dafür sind wiederum Kenntnisse der Prozessketten sowie deren Prozesskennzahlen und die Charakterisierung der Recyclingprodukte mit Kenntnis der Verwertungswege erforder-lich.

Die Auswahl der Recyclingprozesse selbst hängt wesentlich von der stofflichen Zusammensetzung der Produktionsabfälle sowie dem Verbauungszustand ab. Daraufhin können die ent-sprechenden Recyclingrouten zugeordnet werden. Die gültigen Rahmenbedingungen für die Auswahl einer Recyclingstrategie sowie geeignete Technologien sind im Rahmen von Forel er -mittelt worden [21]. Wie diese Prozesskettenanalyse aufgebaut sein kann, zeigt die schematische Darstellung in Bild 4.

Bild 3.

Bild 4.

Bild 4. Prozesskettenanalyse und -bewertung im Recycling

Primärrohstoff-gewinnung

Abfallentsorgung Recycling

Material-produktion

Produkt-herstellung

Nutzungsphase 1

Aufarbeitung

Nutzungsphase 2

Umweltwirkung

Umweltwirkung

Information

Energie

Information

Energie

Bilanzhülle

Bild 3. Stoffkreislauf und Schnittstellen mit dem Recycling

Page 5: Leichtbau, Recycling, Werkstoffe Status und …Leichtbau, Recycling, Werkstoffe Status und Möglichkeiten für das LCA im Leichtbau M. Gude, M. Müller, M. Stegelmann, I. Bischof,

BMBF – Produktionsforschung

Copyright Springer-VDI-Verlag GmbH & Co. KG, Düsseldorfwt Werkstattstechnik online Jahrgang 107 (2017) H. 10752

4 Zusammenfassung – Ableitung von Handlungsanweisungen für Leichtbau-Akteure

Der vorliegende Beitrag analysiert den Status und zukünfti-ge Perspektiven des LCA im Multi-Material-Leichtbau. Es konnte gezeigt werden, dass mehr denn je eine starke Nachfrage nach und die Notwendigkeit für eine vergleichbare und einheitliche Vorgehensweise gegeben ist. Zur zielorientierten und ressour-ceneffizienten Auswahl der Werkstoffe, Fertigungsverfahren und Recyclingtechnologien fehlen validierte und lebenszyklusüber-greifende Datensätze. Um diesen Missstand zu beheben, ist es erforderlich, dass die Akteure interdisziplinär zum einen an einer verbesserten Methodik arbeiten und zum anderen auch

hinsichtlich der Datengenerierung kooperieren. Ein standort-übergreifendes Zusammentragen und Abgleichen verschiedener Daten würde es ermöglichen, mit der technologischen Entwick-lung Schritt zu halten. Die Plattform Forel hat hierzu einen Runden Tisch initiiert, bei dem Teilnehmer aus Wissenschaft und Wirtschaft kooperieren, um gemeinsam Lösungskonzepte zu erarbeiten. Dazu gehört aus Sicht der Autoren der Einsatz von Szenario-Analysen, um technologische Entwicklungen und gesellschaftlich-politische Prognosen in die Überlegungen und Entscheidungsprozesse zu integrieren. Nur so können die ver-schiedenen Optionen schon in der Entwicklungsphase berück-sichtigt und jeweils die optimale Bauweise beziehungsweise der passende Werkstoff ausgewählt werden (Bild 5). →

Literatur

[1] N. N.: Normenausschuss Grundlagen des Umweltschutzes (NAGUS) im DIN. DIN EN ISO 14040, Berlin, 2009

[2] Ridge, L.: EUCAR – Automotive LCA Guidelines – Phase 2. Total Life Cycle Conference & Exposition, USA, 30.11.1998

[3] Krinke, S.: Ressourceneffizienz bei Volkswagen. Nationales Ressourcenforum, Berlin, 12.11.2014

[4] Hohmann, A.; Schwab, B.; Schüppel, D.; Reden, T.; Wehner, D.; Albrecht, S. et al.: MAI Enviro – Vorstudie zur Lebenszyklusanalyse mit ökobilanzieller Bewertung relevanter Fertigungsprozessketten für CFK-Strukturen. Stuttgart: Fraunhofer-Verlag 2015

[5] Seifert, H.: Nachhaltigkeit als Bestandteil der Produktstrategie – Ressourcenschonung und Energieeffizienz im Automobilbereich. Symposium Energieeffizienz und Ressourcenschonung in der Kunststofftechnik, WAK, Fürth, 23.02.2017

[6] Duflou, J.; Moor, J.; de Verpoest, I.; Dewulf, W.: Environmental impact analysis of composite use in car manufacturing. CIRP Annals – Manufacturing Technology 58 (2009) No. 1, pp. 9–12

[7] Poulikidou, S.; Schneider, C.; Björkl, A.; Kazemahvazi. S.; Wennhage, P.; Zenkert, D.: A material selection approach to evaluate material substitution for minimizing the life cycle environmental impact of vehicles. Materials & Design 83 (2015), pp. 704ff

[8] Das, S.: The life-cycle impacts of aluminum body-in-white automotive material. Journal of The Minerals, Metals & Materials Society 52 (2000) No. 8, pp. 41ff

[9] Müssig, J.; Schmeh, L. M.; Buttlar, H.-B.; von Schönfeld, U.; Arndt, K.: Exterior components based on renewable resources produced with SMC technology – Considering a bus component as example. Industrial Crops and Products 24 (2002) No. 2, pp. 132ff

[10] Delogu, M.; Del Pero, F.; Pierini, M.: Lightweight Design Solutions in the Automotive Field – Environmental Modelling Based on Fuel Reduction Value Applied to Diesel Turbocharged Vehicles. Sustainability 8 (2016) No. 11, pp. 1167

[11] Klocke, F.; Kampker, A.; Döbbeler, B.; Maue, A.; Schmieder, M.: Simplified Life Cycle Assessment of a Hybrid Car Body Part. Procedia CIRP 15 (2014), pp. 484ff

Bild 5. Bild 5. LCA im Produktentwicklungsprozess (in Anlehnung an [23])

Page 6: Leichtbau, Recycling, Werkstoffe Status und …Leichtbau, Recycling, Werkstoffe Status und Möglichkeiten für das LCA im Leichtbau M. Gude, M. Müller, M. Stegelmann, I. Bischof,

BMBF – Produktionsforschung

Copyright Springer-VDI-Verlag GmbH & Co. KG, Düsseldorf wt Werkstattstechnik online Jahrgang 107 (2017) H. 10 753

[12] Duval, D.; MacLean, H. L.: The role of product information in automotive plastics recycling: a financial and life cycle assessment. Journal of Cleaner Production 15 (2007) No. 11–12, pp. 1158ff

[13] Soo, V.; Compston, P.; Doolan, M.: Is the Australian Automo -tive Recycling Industry Heading towards a Global Circular Economy? A Case Study on Vehicle Doors. Procedia CIRP 48 (2016), pp. 10ff

[14] Lüdemann, L.; Feig, K.: Vergleich von Softwarelösungen für die Ökobilanzierung – eine softwareergonomische Analyse: Wissenschaftliche Gesellschaft für Technische Logistik; Logistics Journal: nicht referierte Veröffentlichungen (http://dx.doi.org/10.2195/lj_NotRev_luedemann_de_201409_01). Abgerufen am 11.10.2017

[15] Grujicic, M.; Sellappan, V.; He, T.; Seyr, N.; Obieglo, A. et al.: Total Life Cycle-Based Materials Selection for Polymer Metal Hybrid Body-in-White Automotive Components. Journal of Material Engineering and Performance 18 (2009) No. 2, pp. 111ff

[16] Soo, V.; Compston, P.; Doolan, M.: Interaction between New Car Design and Recycling Impact on Life Cycle Assessment. Procedia CIRP 29 (2015), pp. 426ff

[17] Schmidt, W.; Dahlqvist, E.; Finkbeiner, M.; Krinke, S.; Lazzari, S.; Oschmann, D.; Pichon, S.; Thiel, C.: Life cycle assessment of lightweight and end-of-life scenarios for generic compact class passenger vehicles. International Journal of Life Cycle Assessment 9 (2004) No. 6, pp. 405ff

[18] Lieberwirth, H.; Krampitz, T.: Entwicklungstendenzen für den Einsatz von Leichtbauwerkstoffen im Fahrzeug und Auswirkungen auf das Recycling. Kozmiensky, K. T.; Goldmann, D. (Hrsg.). In: Recycling und Rohstoffe Band 8. Nietwerder: TK-Verlag 2015

[19] Gude, M. et. al.: FOREL-Studie – Chancen und Herausforde -rungen im Ressourceneffizienten Leichtbau für die Elektromobilität. Dresden: FOREL; 2015 (http://plattform-forel.de/wp-content/uploads/2015/05/FOREL-Studie.pdf). Abgerufen am 11.10.2017

[20] Gude, M. et al.: FOREL Abschlussbericht Initiierungsphase; 2017 (https://doi.org/10.2314/GBV:896834905). Abgerufen am 11.10.2017

[21] Krampitz, T.; Lieberwirth, H.; Stegelmann, M.: Werkstoffvielfalt und hohe Komplexität. ReSource – Fachzeitschrift für nachhaltiges Wirtschaften 29 (2016) H. 4, S. 18–24

[22] N. N. Stoffstromanalyse nachhaltige Mobilität im Kontext erneuerbarer Energien bis 2030 – Endbericht an das Bundes -ministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU); 2009. (http://www.renewbility.de/wp-content/uploads/renewbility-i-endbericht-teil-1.pdf). Abgerufen am 11.10.2017

[23] Reuter, M.: The Niche of Metallurgy in Design for Sustain -ability. World of Metallurgy-Erzmetall 62 (2009) No. 5, pp. 276ff