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Forstw. Cbl. 115 (1996), 213-222 1996 Btackwell Wissenschafts-Verlag, Berlin ISSN 0015-8003 Leitbild for die Vorrangfunktion Erholung im Alpenraum aus deutscher Sicht Guidelines for recreation as the priority function in the Alps from the German point of view Von U. AMMER und R. DETSCH Zusammenfassung Das Leltbild ftir den Erholungswald lm Gebirge hat davon auszugehen, dai~die Anforderungen an die alpinen W~lder zunehmen werden, Dies gilt sowohl ftir den Watd als Gestaltelement d'er Gebirgsland- schaft, als auch fiir seine Inanspruchnahme durch individuelle Freizeitaktivitat. Gleichzeitig werden die Belastungen durch den Tourismus, insbesondere durch die rasche Ausbreitung der sog, Trendsportar- ten, weiterwachsen. Es kommt hinzu, dal~ wegen der 6konomisch aut~erstschwierigen Situation der Gebirgsforstbetrie- be bzw. Waldbesitzer eine ausreichende Pftege der Gebirgsw~ilder nicht mehr sichergestellt ist. Dies wiegt urn so schwerer, ats die im Blick auf den Schutz- und Erholungswatd erfordertichen waldbaulichen Strategien Gebirgsplenterung oder femelartige Eingriffe vorsehen. Neben planerischen, gesellschaftspolitischen und rechtlichen Ma~nahmen zur Verringerung der touristischen Belastungen im Alpenraum sind finanzielte Hilfen fiir den Privatwald unumg~inglich. Summary Guidelines for alpine recreation must be based on the assumption that demands on alpine forests will continue to grow. This goes for the forest as a feature of the alpine landscape as well as for the claims made on it by individual recreational activities. At the same time increasing strain will be placed on alpine forests through tourism, especially due to the fast spreading of trendy sports. Moreover, the-extremely difficult economic situation of alpine forestry and private alpine forest owners no longer guarantees the proper tending of alpine forests. This is all the more serious since the requisite sdvicultural strategies for protection and recreation forests would involve selection or all-aged cutting measures. Financial support for private forest owners is essential, apart from careful planning and socio-poli- tical as well as legal actions to reduce the strain of tourism on the A1ps. 1 Einleitung Der Tourismus hat sich in den letzten zwei Jahrzehnten zu einer wettweiten Massenbewe- gung entwickelt. Technisierung der Wohn- und Arbeitswelt, wachsende Freizeit und Mo- bilit~it sowie steigender Lebensstandard sorgen dafiir, dat~ immer mehr Menschen Ausgleich, Abwechslung und sportliche Bet~tigung in der Natur suchen. Die Touristikbranche geh6rt denn auch zu den wenigen Wirtschaftszweigen mit unge- brochen positiver Entwicklung. Von den Auswirkungen der immer noch stei.genden Erho- tungsnachfrage besonders betroffen ist der Alpenraum. So stieg die Zahl der U'bernachtun- gen von 50 Millionen im Jahre 1938 auf heute fiber 500 Millionen (DIE ALPENKONVENT1ON 1994) und die Ergebnisse des jiingst in Briissel abgehaltenen ,,Europ~iischen Tourismusfo- rums" deuten darauf hin, dab diese Entwicklung noch nicht zu Ende ist. Es war weniger die Rede yon konkreten Entwicklungszieten fiir einen ,,nachhaltigen Tourismus" als yon der Notwendigkeit zur Liberalisierung und vonder vollen Unterst/itzung der Tourismusindu- strie durch die EU-Komrnission (HAMELE 1995). U.S. Copyright Clearance Center Code Statement: 00t5-8003/96/11505-0213 $ 11.00/0

Leitbild für die Vorrangfunktion Erholung im Alpenraum aus deutscher Sicht

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Forstw. Cbl. 115 (1996), 213-222 �9 1996 Btackwell Wissenschafts-Verlag, Berlin ISSN 0015-8003

Leitbild for die Vorrangfunktion Erholung im Alpenraum aus deutscher Sicht

Guidelines for recreation as the priority function in the Alps from the German point of view

Von U. AMMER und R. DETSCH

Zusammenfassung Das Leltbild ftir den Erholungswald lm Gebirge hat davon auszugehen, dai~ die Anforderungen an die alpinen W~lder zunehmen werden, Dies gilt sowohl ftir den Watd als Gestaltelement d'er Gebirgsland- schaft, als auch fiir seine Inanspruchnahme durch individuelle Freizeitaktivitat. Gleichzeitig werden die Belastungen durch den Tourismus, insbesondere durch die rasche Ausbreitung der sog, Trendsportar- ten, weiterwachsen.

Es kommt hinzu, dal~ wegen der 6konomisch aut~erst schwierigen Situation der Gebirgsforstbetrie- be bzw. Waldbesitzer eine ausreichende Pftege der Gebirgsw~ilder nicht mehr sichergestellt ist. Dies wiegt urn so schwerer, ats die im Blick auf den Schutz- und Erholungswatd erfordertichen waldbaulichen Strategien Gebirgsplenterung oder femelartige Eingriffe vorsehen.

Neben planerischen, gesellschaftspolitischen und rechtlichen Ma~nahmen zur Verringerung der touristischen Belastungen im Alpenraum sind finanzielte Hilfen fiir den Privatwald unumg~inglich.

Summary Guidelines for alpine recreation must be based on the assumption that demands on alpine forests will continue to grow. This goes for the forest as a feature of the alpine landscape as well as for the claims made on it by individual recreational activities. At the same time increasing strain will be placed on alpine forests through tourism, especially due to the fast spreading of trendy sports.

Moreover, the-extremely difficult economic situation of alpine forestry and private alpine forest owners no longer guarantees the proper tending of alpine forests. This is all the more serious since the requisite sdvicultural strategies for protection and recreation forests would involve selection or all-aged cutting measures.

Financial support for private forest owners is essential, apart from careful planning and socio-poli- tical as well as legal actions to reduce the strain of tourism on the A1ps.

1 Einleitung

Der Tourismus hat sich in den letzten zwei Jahrzehnten zu einer wettweiten Massenbewe- gung entwickelt. Technisierung der Wohn- und Arbeitswelt, wachsende Freizeit und Mo- bilit~it sowie steigender Lebensstandard sorgen dafiir, dat~ immer mehr Menschen Ausgleich, Abwechslung und sportliche Bet~tigung in der Natur suchen.

Die Touristikbranche geh6rt denn auch zu den wenigen Wirtschaftszweigen mit unge- brochen positiver Entwicklung. Von den Auswirkungen der immer noch stei.genden Erho- tungsnachfrage besonders betroffen ist der Alpenraum. So stieg die Zahl der U'bernachtun- gen von 50 Millionen im Jahre 1938 auf heute fiber 500 Millionen (DIE ALPENKONVENT1ON 1994) und die Ergebnisse des jiingst in Briissel abgehaltenen ,,Europ~iischen Tourismusfo- rums" deuten darauf hin, dab diese Entwicklung noch nicht zu Ende ist. Es war weniger die Rede yon konkreten Entwicklungszieten fiir einen ,,nachhaltigen Tourismus" als yon der Notwendigkeit zur Liberalisierung und vonder vollen Unterst/itzung der Tourismusindu- strie durch die EU-Komrnission (HAMELE 1995).

U.S. Copyright Clearance Center Code Statement: 00t5-8003/96/11505-0213 $ 11.00/0

214 U. Ammer und R. Detsch

Fiir den Wald im Alpenraum, der durch den Schutz vor Naturgefahren und Risiken aber auch als Erholungsst~itte selbst und ats Bestandteil einer attraktiven Erhotungstandschaft das Riickgrat f6r Freizeit und Erhotung darstelh, wird die Belastung dadurch weiter wachsen.

Auch wenn man unterstellt, daf~ mit den insgesamt rund 13.000 Liften und Seilbahnen (das sind 56% aUer Anlagen dieser Art in der Welt) die touristische Erschliet~ung im Alpenraum weitgehend abgeschlossen ist, wird die Belastung weiter zunehrnen: vor allem die Trendsportarten wie Mountain- und Downhill-biking, Snowboarding, Paragliding, Drachenfliegen und Klettern sowie die weitere Zunahme des Individualverkehrs werden neue Formen der Beunruhigung und Sch~idigung der Bergwatd6kosysteme mit sich bringen. Fiir die Betreuer des Waldes versch~irft sich die Situation noch dadurch, daf~ sich die 6konomischen Rahmenbedingungen fiir eine effektive, an den Schutz- und Sozialfunktio- nen orientierte Waldpflege seit Beginn der 90er Jahre dramatisch verschlechtert haben.

Die Frage ist, welches Leitbild fiir den Gebirgswald mit besonderer Erholungsfunktion vor diesem Hintergrund gezeichnet werden kann.

2 Bedeutung des Erholungswaldes und Anforderungen an seine Ges t ahung

Vielfach beschrieben ist die Rotle des Waldes for die physische und psychische Erholung der Waldbesucher.

Unter den physischen Wirkungen werden vor allem - die Ruhe im Innern der W~ilder - die yon Aerosolen gefiherte Waldluft -das schonende Lichtklima -das dutch geringere Temperaturschwankungen, eine verminderte Windgeschwindigkeit und eine hohe Luftfeuchtigkeit ausgeglichenere Klima und - die Bewegung (Wandern, Spazierengehen) an der frischen Luft als wichtigste Motive fur einen Waldbesuch benannt (vgl. auch AMMER u. PROBSTL 1991).

Im psychischen Bereich sind es neben dem Naturgenuf~ vor atlem die emotionale Reso- nanz, die Anregung zur Selbstbesinnung und Meditation und der Abbau yon Stret~ und Aggressionen, die Befragte als das Besondere an einem Waldbesuch benennen.

Die hohe Wertsch~itzung des Waldes f/.ir die Erholung (und dies durchaus im medizini- schen Sinne) gilt auch fiir den Bergwald.

So haben bei einer erst k6rzlich durchgef(ihrten Kurzumfrage im Spitzingseegebiet bei Schliersee 92% der befragten Besucher des Gebietes (vgl. Abb. 1) dem Wald eine hohe bzw. sehr hohe Bedeutung fiir die Erholung im Gebirge zugemessen. Neben den unmittelbaren Wirkungen des Bergwaldes auf die Erholungssuchenden spielt auch der Beitrag der W~ilder zu einer harmonischen Gebiets- bzw. Landschaftskulisse eine grof~e Rolle.

Im Blick auf die Wintersportaktivit~iten ist der Wald yon existentieller Bedeutung. Er sichert in vielen F~illen Abfahrten und Loipen vor Lawinen, Schneeverwehungen oder vor frfiher Ausaperung. Es steht auger Frage, daf~ ohne einen funktionsf~ihigen Gebirgswald die schutztechnischen und ~sthetischen Voraussetzungen f(ir einen qualifizierten Tourismus in der Alpenregion nicht gegeben w~iren (s. auch FREY 1994).

Uber die Art der Bewirtschaftung und der Pflege haben die Watdbesucher im Einzetnen keine konkreten Vorstellungen. Sie/iberlassen dies den Betreuern des Waldes, solange diese in der Lage sind, einen sch6nen, gesunden und strukturreichen Wald (vgl. AMMER u. PROBSTL 1991) hervorzubringen, normalerweise als Laub-/Nadelmischwald. Es spricht ffir die landschaftliche Einfiihlsamkeit der Waldbesucher im Gebirge (vgl. Abb. 2), daft sie dort ihre grunds~itzliche Vorliebe ffir Mischw~ilder zugunsten der Nadelw~ilder zur(ickstellen. Wichtig ist ihnen aber eine landschaftsgerechte Behandlung mit weichen Waldr~indern, eingelagerten Freifl~ichen und mit einem Verzicht auf harte Linien, sei es dutch Nutzungseingriffe oder dutch touristisch bedingte Schneisen, wie Befragungen mit Computer-manipulierten Bildern (vgl. auch die Abb. 3) gezeigt haben (AMMER, SCHADEL u. WEIDENBACH 1996).

Leztbdd fi~r dte Vorrangfunktion Erholung zm Alpenraum aus deutscher Sicht 215

Abb. 1. Bedeutung des Gebirgswaldes ftir die Erholung Ftg. L The importance of alpine forests for recreation

3 Touristische Nutzung und Bedrohung der Gebirgsw~ilder

Sieht man yon der globalen Bedrohung der Gebirgswald6kosysteme durch einen tiefgrei- fenden Wandel des Klirnageschehens, der hier nicht diskutiert werden solt, ab, dann bleiben vor allem zwei Entwicklungen, die zur grol~er Sorge Anlaf~ geben:

3.1 die Belastungen durch den Tourismus, 3.2 die 6konomischen und sonstigen Rahmenbedingungen fiir die Waldbewirtschaf-

tung.

zu 3.1

Der Umfang der klassischen Erholungsaktivit~iten wie Wandern, Klettern und Skitouren- gehen hat in den letzten Jahren z. T. dramatisch zugenommen. Nach Angaben yon LORCH (1995) rechnet man im gesamten Alpenraum mit 5-10 Millionen Menschen, die mindestens eine Wanderung unternehmen und etwa 100.000 Skitourengehern, die rund 1 Million Skitouren durchf~ihren. Die Zahl der aktiven Kletterer ist um 700% auf insgesamt 500.000 in der Alpenregion angestiegen. Allein in den letzten 8 Jahren sind 100 neue Kletterf~ihrer herausgekommen!

Die sogenannten Trendsportarten wie Paragliding, Snowboarding, Rafting, Moun- tain- oder Downhill-biking haben in ganz kurzer Zeit zus~itzliche Erholungssuchende in den Gebirgsraum gebracht und neue Fl~ichen beansprucht oder belastet. In den Alpen ~iben nach vorsichtiger Sch~itzung wenigstens 120.000 Menschen den H~ingegleitersport mehr

216 U. Ammer und R. Detsch

Abb. 2. Altgememe und regionalspezifische (Alpenraum) Pr~lferenz der Besucher f/.ir unterschiedliche Waldtypen Fzg. Z General and specific preference (alpine region) of tourists for different types of forest

oder weniger regelm~it~ig aus und die Mountainbikesportler d~irften nach LORCH (1995) im Hochsommer in den Alpen die 3 Millionengrenze {iberschreiten. Diese ,,Versportung" klassischer Freizeitaktivit~iten wie z. B. der Ubergang vom Radfahren zum Mountainbiking hat eine neue Qualit~it der St6rung und ScMdigung hervorgemfen, denn immerhin 13% der Mountainbikefahrer bewegen sich augerhaib von Wegen. Der skizzierte Trend geht einher mit einer generetten Entfremdung der Touristen zur Natur. War es fruher vor atlem das Bed(irfnis, die Natur zu erleben, so steht heute ,,das Spa~-haben", der Nervenkitzel oder die sog. Grenzerfahrung bei vieten der im Augenblick ,,schicken" Sportarten bzw. Freizeitbe- sch/iftigungen im Vordergrund. Die Natur ist clabei nur insofern wichtig, als sie einen faszinierenden Hintergrund oder Rahmen abzugeben hat und man sich der Illusion hingibt, sich im Einklang mit der Natur zu erholen.

Kennzeichnend for die Entwicklung im Tourismusbereich ist auch, daf~ die ,,Natursport- arten" zunehmend dutch ,,Outfitter" und gewerbliche Anbieter vermarktet werden. Die Zugeh6rigkeit zu Vereinen nimmt ab und damit auch die M6glichkeit, aufkl~rend und m~.Sigend Einflul~ zu nehmen.

F/.ir die Gebirgswald6kosysteme beruhen die direkten Belastungen der beschriebenen Aktivit~ten vor allem in einer fl~chenhaften, sich teitweise iiberlagernden St6rung der Wildtiere. Die Folgen sind eine Verlagerung der urspr/.inglichen Lebensrkume (z. B. der Gains in den Waldbereich) sowie die Notwendigkeit einer erh6hten Nahrungsaufnahme mit entsprechenden Verbif~- und Sch~lscMden. Hinzu kommen die BescMdigung oder Zerst6- rung von Jungpflanzen durch Skikantenschliff oder Mountainbike und mehr oder weniger grot~e Erosionssch~iden (s. auch AMMER u. MANGHABATI 1988).

Nicht zutetzt geht von nahezu allen Aktivit~iten ein mittelbarer Effekt auf die Gebirgs- 6kosysteme aus, der in der 6ffentlichen Diskussion Mufig zu kurz kommt: gemeint ist der Individualverkehr, der neben indirekten Auswirkungen der Zerschneidung und des Fl~i-

Leitbild fiir dze Vorrangfunktion Erholung im Alpenraum aus deutscher Sicht 217

Abb. 3. Beispiel eines Bildpaares (oben: Original; unten: computermaniputiert) zur Besucherbefragung am Spitzingsee Fig. 3. Example of picture pairs (original at above, computer manipulated at below) for tourist interviews at lake Spitzing

chenverbrauchs fiir Straiten und Parkfl~ichen durch die hohen Stickoxydimmissionen in den engen Gebirgstiilern eine existenzgef~ihrdende Wirkung auf die Vegetation, insbesondere die Schutzw~ilder, ausfibt. Aus einer Untersuchung von ALLENSBACH (1993, vgL Tab. i) geht hervor, daf~ die Skifahrer nach wie vor den privaten Pkw bevorzugen, auch wenn die Westdeutschen eine bessere Auslastung durch Mitfahrgelegenheiten anstreben.

zu 3.2

Hatten die Gebirgsforstbetriebe schon seit jeher durch die geringere Biomasseproduktion ihrer W~ilder und durch die erh6hten Kosten f/Jr die Holzernte (einschliet~lich Pflegemat~- nahmen und Transport) erhebliche 6konomische Nachteile gegeniiber den auf~eralpinen Betrieben, dann hat der Verfall der Holzpreise als Folge der Windwurfkatastrophen von 1990-1992 und anhaltend billiger Ostimporte vollends dazu geffihrt, dat~ nahezu jede Hotznutzung im Alpenraum defizit~iren Charakter erh~ilt. Unter diesen Pr~imissen ist die pflegliche Nutzung der Bergwaldbest~inde und damit deren Stabilit~it ernstlich in Gefahr, ganz abgesehen yon der strukturpolitischen Bedeutung der Forst- und Holzwirtschaft als Arbeitsplatz und Einkommensquelle im l~indlichen Gebirgsraum.

Nimmt man noch die sonstigen Rahmenbedingungen, wie die weiterhin knapp 1200 nicht abgel6sten Weiderechte allein irn deutschen Alpenraum und die noch immer zu hohen Wildbe- st~de hinzu, dann wird der Umfang der W~ilder, die in Zukunft ihre landeskulturellen Leistun- gen nicht mehr erfiillen k6nnen, deutlich zunehmen (AMMER u. SCHEIRING 1993).

4 Vorgaben fiir L6sungsans~i tze

4.1 Es ist davon anszugehen, dat~ es nicht nur aus rechtlichen, sondern vor allem auch ans gesellschaftspolitischen Griinden unm6glich ist, den z. T. in verdichteten Wohnquartieren

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Tabelle 1. Bevorzugte Verkehrsmittel zum Erreichen von Skigebieten (aus: ALLENSBACH 1993) Table 1. Preference for traffic means to access skiing areas (ALLENSBACH 1993)

Auf die Frage: ,,Mit welchem Verkehrsmittel sind Sie in den letzten 12 Monaten in Skigebiete gefahren?" antworteten Skifahrer in -

Westdeutschland Ostdeutschland 1989 1993 1993 % % %

Mit eigenem Pkw 62 55 66 In Pkw von anderen mitgefahren 24 26 15 Reisebus 18 19 2 Eisenbahn 4 4 11 Anderes 1 1 Bin in letzten 12 Monaten nicht in 18 21 21 Skigebiete gefahren

tebenden Menschen den Zugang zur freien Landschaft zu verwehren, wie es einzelne wohlmeinende Naturschtitzer fordern.

4.2. Es ist sehr wahrscheinlich, dag die Nachfrage nach Feriengebieten auch bei m6glicherweise sinkendem Realeinkommen - zumindest innerhalb der Bundesrepubtik Deutschland - erhalten bleibt, wobei die Gebirgsriiume einer besonders starken Nachfrage unterliegen werden.

4.3 Es ist anzunehmen, daf~ die in Gebirgsr~iumen fl~ichig ausgeiibten Aktivit~iten wie wandern, skifahren, ktettern, radfahren u. a. ungeschm~iiert nachgefragt und dutch die sog. Trendsportarten und was noch zu solchen werden kann, erg~inzt und erweitert werden.

4.4 Es mui~ leider unterstellt werden, daft die Benzinpreise so langsam steigen werden, daft noch ffir einen mittelfristigen Zeitraum der private Pkw das bevorzugte Reisemittel bleiben wird.

4.5 Es ist davon auszugehen, daf~ der Rohstoff Holz trotz seiner hervorragenden ()kobilan- zen in der Konkurrenz mit anderen Rob- und Wertstoffen nur langsam an Boden gewinnen wird, weit indirekte Umweltbetastungen in unserer Wirtschaft noch immer keinen Preis haben. Dies bedeutet, daf~ die Gebirgsforstbetriebe auf mittlere Sicht kaum eine Chance haben werden, Waldpflege und Holznutzung dutch die Verwertung des Rohstoffes Holz allein rentabel zu gestalten.

5 L6sungsans~i tze und Maf~nahmen

5.1 Generelle Empfehlungen und MaBnahmen zur Ordnung und Begrenzung yon Tourismus und Erholungsverkehr in den Alpen

5.1.1 Konsequentere Planung und Umsetzung derselben 5.1.1.1 Das Prinzip von Konzentration und Dekonzentration

Wenn eine bestimmte Besucherzahl in einer Landschaft verkraftet werden mug, dann sind die Sch~iden im 6kologischen Bereich am geringsten, wenn es gelingt, eine m6glichst grof~e Zahl von Besuchern auf Fliichen zu konzentrieren, die von Natur aus oder durch entspre- chende Ausstattung bzw. Pflege eine relativ hohe Belastbarkeit besitzen. Beispiele hierfiir sind gut angelegte und verantwortungsvoll pr~iparierte Skipisten mit einer sorgsamen Pflege, insbesondere einer vertriiglichen Nutzung (Mahd oder extensive Beweidung) im Sommer. Die Belastung der alpinen Okosysteme (z. B. dutch Beunruhigung yon Wildtieren) ist

Leztbild fi~r d~e Vorrangfunktion Erholung zm Alpenraum aus deutscher S~cht

Abb. 4. Beispiel einer Fachbro- sch/are zur Gestaltung schulischer Skiwochen (aus PROBSTL 1991) Fig. 4. Example of a brochure for organizing skiing courses in schools (PROBSTL 1991)

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N a t u r e r l e b e n - N a t u r b e w a h r e n I

P~idagogische Fachbroscht ire zur Gestal tung schulischer Skiwochen in den Alpen

praktisch dieselbe, ob die Piste von 500 oder yon 10.000 Skifahrern besucht wird. Parallel dazu mut~ dann jedoch eine Dekonzentration in 6kologisch besonders sensiblen Bereichen erfolgen, z. B. dutch ein Verbot des Tiefschnee- oder Variantenskifahrens.

5.1.1.2 Priifung der 6kotogischen Vertr~iglichkeit Die Planung und Anlage von Wegen, Langlauftoipen, Routen f(ir Skitouren oder das Zulassen von Felsen und Steilw~inden zum Klettern darf erst nach vorheriger 6kologischer Analyse und in Abstimmung mit derselben erfotgen: denn auch im Freizeitbereich mug das Instrument der Umweltvertr~iglichkeitspr(ifung bzw. Umweltvertr~iglichkeitsstudie konse- quent eingesetzt werden.

Das bedeutet, daf~ eine Zerschneidung der Lebensr~iume und St6reffekte - etwa bei den grogen Waldhfihnern - vermieden werden, oder dai~ Wege in geomorphologisch labilen Bereichen zur~ckzubauen bzw. entsprechend zu befestigen sind. Okologisch und touri- stisch abgestimmte Planungen f~ir vertr~igliche Skitouren im Allg~iu haben gezeigt, wetche M6glichkeiten der R(icksichtnahme gegeben sind, wenn solide, 6kotogische Anatysen vor- liegen und die Betroffenen in geeigneter Weise dar/.iber informiert werden.

5.1.2 Mehr und bessere Information Die Einsicht, daf~ etwas nicht, oder nut zu bestimmten Zeiten oder in bestimmtem Umfang ausgefibt werden kann und darf, ist ohne Information nicht zu erreichen. Umweltbildung und Umweltinformation sind also wichtige Wegbegleiter bei der Suche nach L6sungsan-

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s~itzen. Nur so l~it~t sich die Entfremdung meist jOngerer Menschen zur Natur tiberwinden. Da~ dies im Obrigen nicht nur for die jfingeren Besucher gilt, zeigt eine Umfrage unter 1300 Skifahrern im deutschen und 6sterreichischen Alpenraum. Hier gaben 74,4 % der Befragten an, dat~ for sie Umweltinformationen zum Skigebiet wichtig oder sehr wichtig sind (PROBSTL 1996). Die Beispiele for eine moderne Information der Offentlichkeit reichen von Lehrpfa- den tiber die umwettp~idagogische Begleitung yon Skischuiwochen (vgl. Abb. 4) bis hin zu Ffihrungen zu 6kologischen Themen. Es ist durchaus m6glich, die Freude am Skisport zu verbinden mit der spielerisch erlernten und praxisnah erlebten Umweltinformation. Die kleinen Umweltexperten dieser Lehrg~inge sind wichtige Multiplikatoren einer Gesellschaft, die noch weite Wege zu einem durchg~ingig umweltvertr~iglichen Verhalten zu gehen hat.

Hervorragend bew~ihrt haben sich auch sog. Rollenspiele, bei denen touristische Einrich- tungen bzw. Entwicklungen (z. B. der Bau eines neuen Hotels im Zusammenhang mit einer Waldrodung) in einer wirklichkeitsnah nachgestellten Situation auf die Umweltvertr~iglich- keit fiberpriift werden k6nnen.

5.1.3 Regelungen for den Verkehr Es ist unstrittig, da~ die mittelbar mit dem Tourismus und den Freizeitbet~itigungen in der freien Natur zusammenhiingende Umweltbelastung durch den Verkehr unvertr~igliche Ausmai~e angenommen hat. Von daher mOssen sich umweltpolitische L6sungsans~tze ganz ernsthaft dieser Frage annehmen. Obwoht es erste Versuche zur Reduktion des Individual- verkehrs in einigen Fremdenverkehrsorten gibt (Beispiel Oberstdorf, Zermatt u. a.) muf~ man doch zugeben, dat~ dies Tropfen auf einen heiflen Stein sind; denn immer noch wird die Anreise in die Erholungsgebiete und insbesondere in den Gebirgsraum ganz fiberwiegend mit dem privaten Pkw durchgef0hrt. Hier sind weitergehende und integrale Konzepte, etwa im Zusammenwirken zwischen den Touristikorten bzw. Fremdenverkehrszentren und der Bundesbahn, erforderlich. Ganz sicher mfissen abet auch generelie Weichenstettungen vorgenommen werden, wobei der Benzinpreis nicht tabu sein darf. Im tibrigen ist zu prOfen, ob nicht dutch weitere Verkehrsprojekte (Straiten, Tunnel usw.) noch mehr Touristen in den Alpenraum gelockt werden bzw. ob hierdurch deren Bereitschaft zum Umsteigen auf vertr~.gliche Verkehrsmittel sinkt.

H~rterer Bandagen bedarf es auch im Zusammenhang mit der Mufig illegitimen abet gedutdeten Nutzung von Atmerschiiei~ungen dutch den Individualverkehr, d. h. durch Touristen. Die Erfahrung, daf~ viele dieser ErscMief~ungen, trotz der verf~igten Sperrung, in unzul~issiger Weise genutzt werden, muf~ Anlaf~ sein, tiber weitere Almerschlie~ungen kritischer als bisher nachzudenken und/oder die Instrumente der Uberwachung und Durch- setzung von Verboten zu verbessern.

5.1.4 Konventionen und L6sungen auf freiwilliger Basis Bislang nicht ann~ihernd ausgesch6pft sind einvernehmliche L6sungen zwischen Natur- schutzorganen und Freizeitvereinigungen. Erste Erfolge mit freiwilligen Vereinbarungen wie etwa im Nationalpark ,,Les Ecrins", Frankreich, zum Thema Klettern oder Absprachen des Verkehrsvereins GraubOnden und Tourismusanbietern tiber ein umweltgerechtes Ri- verrafting auf den F1Ossen des Unter- und Oberengadins sprechen dafOr, diese M6glichkei- ten st~irker zu nutzen.

5.1.5 Verbote Sie sollten grunds~itzlich das letzte Mittel sein. Wir werden aber sicher in der Zukunft noch deutlicher die Frage stellen mfissen, ob alle denkbaren oder gewOnschten Aktivit~iten fiberall erlaubt sein k6nnen. Zu denken ist dabei vor allem an den im Gebirgsraum v6llig ausufern- den Gebrauch der Landschaft for das Mountainbikefahren. Grunds~itzlich auf Wege be- schriinkt, mul~ man vielleicht for diese Aktivit~it in Naturschutzgebieten zu generellen Verboten kommen, well sich zeigt, daft ein zunehmender Tell der Mountainbikefahrer

Leztbdd fur die Vorrangfunkuon Erholung im Alpenraum aus deutscher S*cht 221

rficksichtslos querfeldein f~ihrt. A.hnliches gilt fiir das Variantenskifahren in Schutzw~itdern und Aufforstungen. Auch bier muf~ eine Trennung in erlaubte und verbotene Bereiche erfolgen.

5.2 Leitbild Erholungswald

Das Leitbild des Erholungswaldes in den Alpen mu~ orientiert sein an den Kriterien - der Naturn~ihe - der Stabilit~t - des Strukturreichtums und - d e r Kleinfl~ichigkeit der forstlichen Nutzung und dies nicht zuletzt, well die meisten Erholungsw~ilder zugleich auch Schutzw~ilder darstellen und h~iufig genug dieses in erster Priorit~it.

Werden diese Kriterien im Rahmen einer intensiven Waldpflege beachtet, dann sind die waldbaulichen Wege zweitrangig, ob sie nun im einzelnen ,,femelartige Behandlung" oder ,,Gebirgsplenterung" vorsehen. Neuere Untersuchungen im Schutzwald der Nordalpenket- te haben best~itigt, dat~ die Boden- und Wasserschutzfunktion von Bergwaldbest~inden zuverl~ssig nur bei kleinfl~ichigen, femelartigen Eingriffen gew~ihrleistet ist. Eingriffe, die eine Absenkung des Bestockungsgrades auf unter 0,7 bis 0,6 zur Folge haben, ffihrten bei Gel~indeneigungen yon fiber 26 Grad zum 2- bis 4fach h6heren Wasserabflut~ bzw. Schweb- stoffaustrag (AMMER, BREITSAMETER u. ZANDER 1995).

Zum Leitbild eines funktionstfichtigen Gebirgswaldes geh6rt aber auch die Regelung der Wald/Wildfrage. Das Erfordernis der Schutzwaldsanierung ist zumindest im deutschen Alpenraum im wesentlichen das Ergebnis jahrzehntelanger Uberhege des Schalenwildes (vgl. AMMER 1985).

5.3 U m s e t z u n g des Leitbildes

Die Umsetzung des skizzierten Leitbildes wird nur m6glich sein, wenn es gesellschaftspo- litisch gelingt, Konsens dariiber zu erzielen, - daf~ nicht mehr alles vertretbar ist, was wiinschenswert und m6glich erscheint (was sowohl ffir diejenigen gilt, die im Gebirgsraum leben als auch fiir die, die sich in grol~er Zahl aufmachen, um die Sch6nheit und die sportlichen M6glichkeiten des Gebirgsraumes zu erleben); - dal~ die Walderhaltung Vorrang haben muf~ vor einseitigen, 6kologisch unvertr~iglichen jagdlichen Interessen, - und daf~ es im Rahmen des Bergwaldprotokolls zu leistungs- und zielorientierten finan- zietten Unterstfitzungen kommen muff, die die Waldbesitzer in die Lage versetzen, eine qualifizierte, an der Schutz- und Erholungsfunktion orientierte Waldpflege aufrechtzu- erhalten.

L i t e r a t u r

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Anschrift der Verfasser." Prof. Dr. U. AMMER und RUDIGER DETSCH, Lehrstuh] ffir Landnutzungspla- nun~, und Naturschutz, Forstwissenschaftliche FakultSt, Hohenbachern- strafe 22, D-85354 Freising