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7/30/2019 Lenin - Werke 10 http://slidepdf.com/reader/full/lenin-werke-10 1/577 PROLETARIER ALLER LÄNDER. VEREINIGT EUCHI LENIN WERKE 10

Lenin - Werke 10

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    PROLETARIER ALLER LNDER. VEREINIGT EUCHI

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    HERAUSGEGEBEN AUF BESCHLUSSDES IX. PARTEITAGES DER KPR(B) U N D DES

    II. SOWJETKONGRESSES DER UdSSRDIE DEUTSCHE AUSGABE ERSCHEINT

    AUF BESCHLUSS DES ZENTRALKOMITEESDER SOZIALISTISCHEN EINHEITSPARTEI

    DEUTSCHLANDS

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    INSTITUT Ft lR MARXISMUS-LENINISMUS BEIM ZK DER KPdSU

    WI.LENINWERKE

    INS DEUTSCHE BERTRAGENNACH DER VIERTEN RUSSISCHEN AUSGABEDIE DEUTSCHE AUSGABEWIRD VOM INSTITUT FR MARXISMUS-LENINISMUSBEIM ZENTRALKOMITEE DER SED BESORGT

    DIETZ VERLAG BERLIN1970

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    W I.LENINBAND 10

    NOVEM BER 1905-JUNI1906

    DIETZ VERLAG BERLIN1970

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    Russischer Originaltitel:B . H . J 1 B H H H C 0 1 H H E H H H

    5. Auflage Dietz V erlag Berlin 1. Auflage 1958Printed in the German Democratic Republic Alle Rechte vorbehaltenLizenznummer 1Satz, Drude und Einband r LVZ-Druckerei Hermann Dundcer". Leipzig, III 18 138ES 1 C -6.50

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    VII

    V O R W O R T

    Die in Band 10 enthaltenen Arbeiten schrieb W. I. Lenin von Novem-ber 1905 bis zum 6. (19.) Juni 1906 whrend seiner Ttigkeit in Peters-burg nach der Rckkehr aus der Emigration.In den Artikeln ber die Reorganisation der Partei", Heer und Re-volution", Proletariat und Bauernschaft", Die sterbende Selbstherr-schaft und die neuen Organe der Volksmacht" und anderen, die in derlegalen bolschewistischen Zeitung Nowaja Shisn" erschienen, sind dieAufgaben der Partei in der Periode der ersten russischen Revolutiondefiniert.In der Broschre Der Sieg der Kadetten und die Aufgaben der Ar-beiterpartei" und in den nach der Niederlage des bewaffneten Aufstandsvom Dezember 1905 geschriebenen Artikeln zieht Lenin die Bilanz desersten Revolutionsjahres und verallgemeinert die gemachten Erfahrungen.In der Arbeit Die Revision des Agrarprogramms der Arbeiterpartei"wird das bolschewistische Agrarprogramm, das die Konfiskation derGutsbesitzerlndereien und die Nationalisierung des gesamten Grund undBodens fordert, dargelegt und begrndet.Breiten Raum nehmen in dem Band Arbeiten ein, die sich mit dem

    IV. (Vereinigungs-) Parteitag befassen: Taktische Plattform zum Ver-einigungsparteitag der SDAPR", Referate und Reden auf dem Parteitagund Bericht ber den Vereinigungsparteitag der SDAPR".Zum erstenmal in den Werken W. I. Lenins wird in dem vorliegendenBand der Artikel Unsere Aufgaben und der Sowjet der Arbeiterdepu-tierten" verffentlicht, in dem Lenin die Sowjets als Organe des Aufstandsund als Keimform einer neuen, der revolutionren Staatsmacht charakte-risiert.

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    VIII VorwortAn neuen Dokumenten sind in die Werke erstmalig verschiedene Stel-

    lungnahmen Lenins auf dem IV. (Vereinigungs-) Parteitag der SDAPRaufgenommen worden: die Rede zur Untersttzung des Abnderungs-antrags Muratows (Morosows) ber eine sozialdemokratische Parlaments-fraktion, die Resolution ber die Berichterstattung der Mandatsprfungs-kommission an den Parteitag, die Erklrung ber die Notwendigkeit einerBesttigung der Protokolle durch den Parteitag, die schriftliche Erklrungin der 17. un d die schriftliche E rklrung in der 21 . Sitzung des P arteitag s,auerdem die Reden und Antrge auf der Petersburger Stadtkonferenzder SDAPR (im Februar und Mrz 1906). Zum erstenmal werden in denWerken auch Lenins Artikel Resolution und Revolution" und Nichteinmal schachern wollen sie!" verffentlicht, die 1906 in der legalen bol-schewistischen Zeitung Wolna" erschienen. Beide Artikel sind gegen dieKadetten gerichtet.

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    UNSERE AUFGABEN UND DER SOWJETDER ARBEITERDEPUTIERTEN

    (Brief an die Redaktion)1

    Geschrieben 2.-4. (15.-17.) November 1905.Zuerst verffentlicht am 5. November 1940 Nach dem Manuskript.in der Prarvda" Nr. 308.

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    Erste Seite von W . I. Lenins M anuskriptUnsere Aufgaben und der Sowjet der Arbeiterdeputierten"November 1905Verkleinert

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    Genossen! Die Bedeutung und Rolle des Sowjets der Arbeiterdeputier-ten ist eine Frage, die jetzt bei der Petersburger Sozialdemokratie undbeim ganzen Proletariat der Hauptstadt auf der Tagesordnung steht. Ichgreife zur Feder, um einige Gedanken zu dieser brennenden Frage dar-zulegen, aber bevor ich das tue, halte ich es fr unbedingt notwendig,einen sehr wesentlichen Vorb ehalt zu machen. Ich u ere mich als Auen-stehender. Ich mu immer noch aus der verfluchten Ferne, aus dem ver-haten Emigranten-Ausland" schreiben. Und es ist fast unmglich, sichber eine solche konkrete, praktische Frage eine richtige Meinung zu bil-den, ohne in Petersburg gewesen zu sein, ohne jemals einen Sowjet derArbeiterdeputierten gesehen und mit den Arbeitskollegen einen Meinungs-austausch gepflogen zu haben. Ich berlasse es daher der Redaktion, zuentscheiden, ob sie diesen von einem nichtinf ormierten Menschen geschrie-benen Brief verffentlichen will. Ich behalte mir das Recht vor, meineMeinung zu ndern, sobald es mir endlich gelingen wird, mich mit derFrage nicht nur an Hand papierener" Unterlagen bekannt zu machen.

    Nun aber zur Sache. Mir scheint, Genosse Radin hat nicht recht, wenner in N r. 5 der Now aja Shisn" (ich habe nu r fnf Nu m m ern unseresfaktischen Zentralorgans der SDAPR gesehen)2 die Frage so stellt: So-wjet der Arbeiterdeputierten oder Partei? Mir scheint, man darf die Fragenicht so stellen, die Antwort mu unbedingt lau ten: Sowohl Sowjet derArbeiterdeputierten als auch Partei. Di e Frage - eine ue rst wichtigeFrage - besteht lediglich darin, wie die Aufgaben des Sowjets und dieAufgaben der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Rulands voneinanderabzugrenzen und miteinander zu verbinden sind.

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    4- W. I. LeninMir scheint, es wre nicht zweckmig, wenn sich der Sowjet voll und

    ganz irgendeiner einzigen Partei anschlieen wrde. Diese Meinung wirdden Leser wahrscheinlich wundern, und ich will (nicht ohne noch einmalauf das nachdrcklichste daran zu erinnern, da das die Meinung einesAuenstehenden ist) unmittelbar dazu bergehen, meine Ansichten zu er-lutern.Der Sowjet der Arbeiterdeputierten ging aus dem Generalstreik her-vor, er entstand auf Grund des Streiks und fr die Ziele des Streiks. Werfhrte den Streik und fhrte ihn siegreich zu Ende? Das ganze Proleta-riat, unter dem es, glcklicherweise in der Minderheit, auch Nichtsozial-

    demokraten gibt. Welche Ziele verfolgte der Streik? Zugleich konomischeund politische. Die konomischen betrafen das ganze Proletariat, alleArbeiter und zum Teil sogar alle Werkttigen, also nicht nur die Lohn-arbeiter allein. Die politischen Ziele betrafen das ganze Volk, richtigergesagt, alle Vlker Rulands. Die politischen Ziele bestanden in der Be-freiung aller Vlker Rulands vom Joch der Selbstherrschaft, der Leib-eigenschaft, der Rechtlosigkeit und Polizeiwillkr.Gehen wir weiter. Mu das Proletariat den konomischen Kampf fort-setzen? Unbedingt ja, darber gibt es unter den Sozialdemokraten keine

    zwei Meinungen und kann es keine zwei Meinungen geben. Soll dieserKampf allein von den Sozialdemokraten oder allein unter dem sozial-demokratischen Banner gefhrt werden? Ich glaube nein; ich bin nach wievor der Meinung, die ich (allerdings unter vllig anderen, jetzt schonberholten Bedingungen) in Was tun?" ausgesprochen habe, nmlichda es unzweckmig ist, die Mitgliedschaft in den Gewerkschaften undfolglich auch die Teilnehmerschaft am gewerkschaftlichen, konomischenKampf lediglich auf die Mitglieder der Sozialdemokratischen Partei zu be-schrnken.* Mir scheint, als Organisation verschiedener Berufe mu derSowjet der Arbeiterdeputierten danach streben, da ihm Deputier te allerArbeiter, Angestellten, Dienstboten , Tagelh ner usw. angehren, aller, dieberhaupt gemeinsam fr die Verbesserung des Lebens des ganzen werk-ttigen Volkes kmpfen knnen und wollen, aller, die wenigstens elemen-tare politische Ehrlichkeit besitzen, aller auer den Schwarzhundertern.Wir Sozialdemokraten aber werden unserseits bemht sein, erstens zu er-reichen, da (nach Mglichkeit) smtliche Mitglieder aller unserer Partei-

    Siehe Werke, Bd. 5, S. 467 -4 84 . Die Red.

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    Unsere Aufgaben und der Sorofet der Arbeiterdeputierten 5Organisationen den Gewerkschaftsverbnden angehren, und zweitens dengemeinsamen Kampf mit den Genossen Proletariern ohne Unterschiedihrer Anschauungen auszunutzen zur unermdlichen und unbeirrten Pro-pagierung der einzig konsequenten, der einzigen wirklich proletarischenWeltanschauung - des Marxismus. Fr eine solche Propagierung, freine solche Propaganda- und Agitationsarbeit werden wir unsere vlligselbstndige, prinzipienfeste Klassenpartei des politisch bewuten Prole-tariats, d. h. die Sozialdemokratische Arbeiterpartei Rulands, unbedingterhalten, festigen und ausbauen. Jeder Schritt des proletarischen, mit un-serer sozialdemokratischen, planmigen und organisierten Ttigkeit un-lsbar verbundenen Kampfes wird die Massen der Arbeiterklasse in Ru-land der Sozialdemokratie immer nher bringen.

    Aber diese Hlfte der Frage, die den konomischen Kampf betrifft, istverhltnismig einfach und drfte nicht einmal besondere Meinungs-verschiedenheiten hervorrufen. Anders steht es mit der zweiten Hlfteder Frage, die sich auf die politische Fhrung, den politischen Kampf be-zieht. Selbst auf die Gefahr hin, den Leser noch mehr in Erstaunen zusetzen, mu ich sofort sagen, da es mir auch in dieser Hinsicht unzweck-mig erscheint, vom Sowjet der Albeiterdeputierten die Annahme dessozialdemokratischea Programms und den Eintritt in die Sozialdemokra-tische Arbeiterpartei Rulands zu verlangen. Mir scheinen fr die Fh-rung des politischen Kampfes gegenwrtig sowohl der Sowjet (umgebildetin einer Richtung, ber die gleich gesprochen werden soll) als auch diePartei gleichermaen unbedingt notwendig zu sein.

    Vielleicht irre ich mich, aber mir scheint (auf Grund der in meinemBesitz befindlichen unvollstndigen und rein papierenen" Unterlagen),da der Sowjet der Arbeiterdeputierten in politischer Hinsicht als Keim-form einer provisorischen revolutionren Regierung betrachtet werdenmu. Mir scheint, der Sowjet mu sich so bald wie mglich zur proviso-rischen revolutionren Regierung ganz Rulands ausrufen oder (was das-selbe ist, nur in anderer Form) eine provisorische revolutionre Regierungbilden. .Der politische Kampf hat jetzt gerade eine Entwicklungsstufe erreicht,auf der sich die Krfte der Revolution und der Konterrevolution an-nhernd das Gleichgewicht halten, da die zaristische Regierung nicht mehrdie Kraft hat, die Revolution zu unterdrcken, die Revolution aber noch

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    W. I . Leninnicht stark genug ist, die Schwarzhunderterregierung vllig hinwegzu-fegen. Die Zersetzung der zaristischen Regierung ist vollstndig. Aberindem sie bei lebendigem Leibe verwest, verpestet sie Ruland mit ihremLeichengift. Der Zersetzung der zaristischen, konterrevolutionren Krftemu unbedingt sofort, unverzglich, ohne den geringsten Aufschub dieOrganisierung der revolutionren Krfte entgegengestellt werden. DieseOrganisierung macht gerade in letzter Zeit bewundernswert rasche Fort-schritte. Davon zeugen sowohl die Bildung von Abteilungen der revolu-tionren Armee (Verteidigungsgruppen usw.) als auch die rasche Ent-wicklung von sozialdemokratischen Massenorganisationen des Proleta-riats, sowohl die Grndung von Bauernkomitees durch die revolutionreBauernschaft als auch die ersten freien Zusammenknfte unserer proleta-rischen Brder im Waffenrock, der Matrosen und Soldaten, die sich denschweren und mhseligen, aber sicheren un d hoffnungsfrohen W eg zuFreiheit und Sozialismus bahnen.

    Gerade jetzt fehlt es an einer Zusammenfassung aller wirklich revolu-tionren, aller schon revolutionr ttigen Krfte. Es fehlt ein gesamtrussi-sches politisches Zentrum, das lebendig, frisch und stark ist durch seinetiefen Wurzeln im Volk, unbedingt das Vertrauen der Massen geniet,ber eine rastlose revolutionre Energie verfgt und mit den organisiertenrevolutionren und sozialistischen Parteien eng verbunden ist. Ein solchesZentrum kann nur vom revolutionren Proletariat geschaffen werden, dasden politischen Streik glnzend durchgefhrt hat, das jetzt den allgemei-nen bewaffneten Volksaufstand organisiert, das Ruland die halbe Frei-heit erkmpft hat und die ganze Freiheit erkmpfen wird.

    Es fragt sich, warum soll der Sowjet der Arbeiterdeputierten nicht dieKeimform eines solchen Zentrums sein? Weil im Sowjet nicht nur Sozial-demokraten sitzen? Das ist kein Minus, sondern ein Plus. Wir habenimmer gesagt, da ein kmpferischer Zusammenschlu der Sozialdemo-kraten mit den brgerlichen revolutionren Demokraten notwendig ist.Wir haben es gesagt, die Arbeiter aber haben es getan. Und es ist aus-gezeichnet, da sie es getan haben. Als ich in der Nowaja Shisn" einenBrief von Genossen Arbeitern las, die zur Partei der Sozialrevolutionregehren und gegen die Einbeziehung des Sowjets in eine der Parteienprotestieren, drngte sich mir von selbst der Gedanke auf, da dieseGenossen Arbeiter, in sehr vielem praktisch recht haben. Selbstverstnd-

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    Unsere Aufgaben und der Somjet der ArbeiterdeputieTten 7lieh gehen unsere und ihre Ansichten auseinander, selbstverstndlichkann keine Rede sein von einer Verschmelzung der Sozialdemokraten u ndder Sozialrevolutionre, aber davon ist ja auch keine Rede. Arbeiter, diedie Anschauung der Sozialrevolutionre teilen und in den Reihen desProletariats kmpfen, sind unserer festen berzeugung nach inkonse-quent, 'denn whrend sie ein wahrhaft proletarisches Werk tun, bewahrensie nichtproletarische Anschauungen. Gegen diese Inkonsequenz mssenwir unbedingt den entschiedensten ideologischen Kampf fhren, aber so,da darunter die aktuelle, brennende, lebenswichtige, von allen anerkannte,alle ehrlichen Menschen vereinigende revolutionre Sache nicht leidet.Wir halten nach wie vor die Anschauungen der Sozialrevolutionre frnicht sozialistische, sondern revolutionr-demokratische Anschauungen.Aber die Kampfziele verpflichten uns, bei vlliger Selbstndigkeit derParteien zusammenzugehen, und der Sowjet ist eben eine KampfOrgani-sation und soll es auch sein. Ergebene und ehrliche revolutionre Demo-kraten im gleichen Augenblick zu verjagen, in dem wir die demokratischeRevolution machen, wre Unsinn, ja Wahnwitz. Mit ihrer Inkonsequenzwerden wir leicht fertig werden, denn unsere Ansichten besttigt die Ge-schichte selbst, besttigt auf Schritt und Tritt die Wirklichkeit. Hatunsere Literatur sie den Sozialdemokratismus nicht gelehrt, so wird unsereRevolution sie den Sozialdemokratismus lehren. Inkonsequent sind natr-lich auch die Arbeiter, die Christen bleiben, die an Gott glauben, und dieIntellektuellen, die A nh nge r der (dreimal verma ledeiten!) Mystik sind -aber w ir werden sie keinesw egs' aus dem Sowjet, ja nicht einm al aus derPartei verjagen, denn wir sind fest davon berzeugt, da der wirklicheKampf, die Arbeit in Reih und Glied alle lebensfhigen Elemente von derWahrheit des Marxismus berzeugen und alles Lebensunfhige beiseitewerfen wird. An unserer eigenen Kraft aber, an der berragenden Strkeder Marxisten innerhalb der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Ru-lands zweifeln wir nicht einen Augenblick.

    Meines Erachtens ist der Sowjet der Arbeiterdeputierten als politischfhrendes revolutionres Zentrum keine zu breite, sondern im Gegen-teil eine zu enge Organisation. Der Sowjet mu sich zur provisorischenrevolutionren Regierung ausrufen oder eine solche bilden und hierzu unbedingt neue Deputierte nicht nur der Arbeiter, sondern auch erstensder Matrosen und Soldaten, die allerorts schon ihre Hand nach der Frei-

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    W. /. Leninheit ausstrecken, zweitens der revolutionren Bauernschaft und drittensder revolutionren brgerlichen Intelligenz heranziehen. Der Sowjet mueinen starken Kern fr die provisorische revolutionre Regierung aus-whlen und diesen Kern durch Vertreter aller revolutionren Parteien undaller revolutionren (aber natrlich nur der revolutionren und nicht derliberalen) Demokraten ergnzen. Wir frchten eine solche Breite undBuntscheckigkeit der Zusammensetzung nicht, sondern wnschen sie, dennohne Vereinigung des Proletariats und der Bauernschaft, ohne Kampf-gemeinschaft der Sozialdemokraten und der revolutionren Demokratenist ein voller Erfolg der groen russischen Revolution unmglich. Daswird ein zeitweiliges Bndnis zur Lsung der klar umrissenen nchstenpraktischen Aufgaben sein; die noch wichtigeren, grundlegenden Interes-sen des sozialistischen Proletariats, seine Endziele, aber werden von derselbstndigen und prinzipienfesten Sozialdemokratischen ArbeiterparteiRulands unbeirrt wahrgenommen werden.

    Man wird einwenden: Wird man bei einer breiten und buntscheckigenZusammensetzung ein fr die praktische Fhrung gengend festgefgtesund einheitliches Zentrum schaffen knnen? Ich will mit einer Gegen-frage antworten: Was lehrt die Revolution vom Oktober? 3 Hat sich dasStreikkomitee in der Praxis nicht etwa als allgemein anerkanntes Zen-trum, als wirkliche Regierung erwiesen? Und htte dieses Komitee nichtgern Vertreter jenes Teils der Verbnde" und des Verbands der Ver-bnde"4 in seine Reihen einbezogen, die wirklich revolutionr sind unddas Proletariat in seinem schonungslosen Kampf um die Freiheit wirk-lich untersttzen? Freilich mu der rein proletarische Hauptkern in derprovisorischen revolutionren Regierung stark sein, es drften beispiels-weise auf Hunderte von Arbeitern, Matrosen, Soldaten und Bauern nurDutzende von Deputierten der revolutionren Intellektuellenverbndekommen. Und ich glaube, das Proletariat wird es verstehen, in der Praxisbald die richtige Proportion herzustellen.Man wird einwenden: Kann man ein Programm fr eine solche Regie-rung aufstellen, das gengend vollstndig wre, um den Sieg der Revo-lution zu gewhrleisten, und gengend weitgespannt, um eine Kampf-gemeinschaft zu ermglichen, der jede Halbheit und Unklarheit, jedesVerschweigen und Heucheln fremd ist? Ich antworte: Ein solches Pro-gramm ist vom Leben schon voll und ganz aufgestellt worden. Ein solches

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    Unsere Aufgaben und der Sowjet der Arbeiterdeputierten 9Programm ist im Prinzip schon von allen bewuten Elementen ausnahms-los aller Klassen und Schichten der Bevlkerung einschlielich sogar recht-glubiger Geistlicher anerkannt worden. In diesem Programm mu anerster Stelle die vollstndige, tatschliche Verwirklichung der vom Zarenso heuchlerisch versprochenen politischen Freiheit stehen. Die Auerkraft-setzung aller Gesetze, welche die Rede-, Gewissens-, Versammlungs-,Presse-, Koalitions- und Streikfreiheit beeintrchtigen, und die Aufhebungaller Einrichtungen, die diese Freiheit beschrnken, mssen sofort undreal erfolgen, mssen praktisch gesichert und durchgefhrt werden. DiesesProgramm mu die Einberufung einer wirklich vom ganzen Volk gewhl-ten konstituierenden Versammlung enthalten, die sich auf das freie undbewaffnete Volk sttzt und die alle Macht und Gewalt besitzt, um neueZustnde in Ruland herbeizufhren. Dieses Programm mu die Bewaff-nun g des Vo lkes enthalten . Die Notw endigkeit einer solchen Bewaffnungwird von allen erkannt. Die schon begonnene und berall im Gang befind-liche Arbeit braucht nur zusammengefat und zu Ende gefhrt zu werden.Im Programm' der provisorischen revolutionren Regierung mu weiter-hin den vom zaristischen Ungeheuer unterdrckten Vlkerschaften un-verzglich wirkliche und volk Freiheit gewhrt werden. Ein freies Ru-land ist geboren worden. Das Proletariat steht auf seinem Posten. Es wirdnicht zulassen, da das heldenhafte Polen noch einmal zertreten wird. Eswird sich selbst in den Kampf strzen, und zwar wird es sich nicht mehrnur mit dem Mittel des friedlichen Streiks, sondern mit der Waffe in derHand sowohl fr Rulands als auch fr Polens Freiheit erheben. In die-sem "Programm m ssen der Ach tstunde ntag, den die Arb eiter schon eigen-mchtig" einfhren, und andere unaufschiebbare Manahmen zur Zge-"lung der kapitalistischen Ausbeutung verankert sein. Schlielich mu indiesem Programm unbedingt enthalten sein, da der gesamte Grund undBoden an die Bauern bergeht, da alle revolutionren Manahmen derBauernschaft zur Wegnahme des gesamten Grund und Bodens zu unter-sttzen,'sind (natrlich ohne da man die Illusionen hinsichtlich der aus^gleichenden" kleinen Boden nutzung frdert) und d a b erall revolutionreBauernkomitees gegrndet werden, wie sie sich schon jetzt von selbst her-auszubilden begonnen haben.

    Wer auer den Schwarzhundertern und der Schwarzhunderterregie-rung erkennt heute nicht die Unaufschiebbarkeit und praktische Dring-2 Lenin. Werk e, Bd. 10

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    10 W.I.Leninlichkeit dieses Programms an? Sind doch sogar die brgerlichen Liberalenbereit, es in Worten anzuerkennen! Wir aber mssen es mit den Krftendes revolutionren Volkes in die Tat umsetzen, wir mssen hierfr dieseKrfte mglichst schnell zusammenfassen, indem das Proletariat eine pro-visorische revolutionre Regierung ausruft. Natrlich kann der realeRckhalt einer solchen Regierung nur der bewaffnete Aufstand sein. Aberdie geplante Regierung wird ja auch nichts anderes sein als das Organdieses schon heranwachsenden und heranreifenden Aufstands. Man durftedie Bildung einer revolutionren Regierung praktisch nicht in Angriff neh-men, solange der Aufstand nicht Ausmae erreicht hatte, die allen sicht-bar, sozusagen allen greifbar waren. Gerade jetzt ist es aber notwendig,diesen Aufstand politisch zusammenzufassen, ihn zu organisieren, ihmein klares Programm zu geben und alle die schon zahlreichen und zahlen-mig rasch zunehmenden Abteilungen der revolutionren Armee zurSttze und zu Hebeln dieser neuen, wirklich freien und wirklich vomVolk getragenen Regierung zu machen. Der Kampf ist unvermeidlich, derAufstand ist unausbleiblich, die Entscheidungsschlacht ist schon ganz nahe.Es ist Zeit, den sich zersetzenden Zarismus offen herauszufordern, ihmdie organisierte Macht des Proletariats entgegenzustellen, sich im Nameneiner von den fortgeschrittenen Arbeitern errichteten provisorischenrevolutionren Regierung mit einem Manifest an das ganze Volk zuwenden.

    Jetzt sehen wir bereits klar, da sich im Sche des revolutionrenVolkes Menschen rinden werden, die dieses groe Werk zu leisten ver-mgen, Menschen, die der Revolution rckhaltlos ergeben sind, und, dieHauptsache, Menschen mit brodelnder, berschumender Energie. Jetztsehen wir bereits klar, da Elemente einer revolutionren Armee vorhan-den sind, die dieses Werk untersttzen wird, da sich alle ehrlichen, allelebendigen, alle bewuten Krfte in allen Klassen der Bevlkerung end-gltig vom Zarismus abwenden werden, sobald die neue Regierung demsterbenden Ruland der Fronherren und Polizeibttel den entschiedenenKrieg erklrt.

    Brg er! - m te es in dieser Kriegserklrung , in diesem Ma nifest derrevolutionren Regierung heien - Brger, w hlt! Do rt das ganz e alteRuland, alle finsteren Krfte der Ausbeutung, der Unterdrckung, derSchndung des Menschen. Hier ein Bund freier, in allen Staatsangelegen-

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    Unsere Aufgaben und der Sowjet d er ArbeiterdeputieTten 11heiten gleichberechtigter Brger. Dort ein Bund der Ausbeuter, der Rei-chen, der Polizeischergen. Hier ein Bund aller Werkttigen, aller leben-digen Krfte des Volkes, der ganzen ehrlichen Intelligenz. Dort dieSchwarzhunderter, hier die organisierten Arbeiter, die fr Freiheit, Auf-klrung und Sozialismus kmpfen.Brger, whlt! Hier habt ihr unser lngst vom ganzen Volk aufgestell-tes Programm. Das sind unsere Ziele, derentwegen wir der Regierung derSchwarzhunderter den Krieg erklren. Wir drngen dem Volk keinerleivon uns ausgeheckte Neuerungen auf, wir ergreifen lediglich die Initiativezur praktischen Verwirklichung dessen, ohne das man nach allgemeinemund einhelligem Urteil in Ruland nicht lnger leben kann. Wir kapselnuns vom revolutionren Volk nicht ab und unterbreiten jeden unsererSchritte, jeden unserer Beschlsse seinem Richterspruch, wir sttzen unsrestlos und ausschlielich auf die freie Initiative, die von den werkttigenMassen selbst ausgeht. Wir fassen ausnahmslos alle revolutionren Par-teien zusammen, wir rufen in unsere Reihen Deputierte jeder Bevlke-rungsgruppe, die bereit ist, fr die Freiheit, fr unser Programm zukmpfen, das die elementaren Rechte und Bedrfnisse des Volkes sichert.Wir reichen insbesondere den Genossen Arbeitern im Soldatenrock undunseren Brdern, den Bauern, die Hand zum gemeinsamen konsequentenKampf gegen das Joch der Gutsbesitzer und der Beamten, zum Kampf frLand und Freiheit.

    Brger! Rstet zum entscheidenden Kampf. Wir werden es derSchwarzhunderterregierang nicht gestatten, Ruland zu schnden. Wirwerden uns nicht hinters Licht fhren lassen durch die Versetzung einigerBeamten und die Entlassung einiger Polizisten, solange die groe Masseder Schwarzhunderterpolizei die Macht behlt, zu morden, zu plndernund dem Volk Gewalt anzutun. Mgen die liberalen Bourgeois sich biszu Bittgesuchen an diese Schwarzhunderterregierung erniedrigen. DieSchwarzhunderter lachen, wenn man ihnen damit droht, sie vor das altezaristische Gericht der alten zaristischen Beamten zu zitieren. Wir wer-den den Abteilungen unserer Armee den Befehl geben, die Helden derSchwarzhundertschaften, die das unwissende Volk unter Alkohol setzenund korrumpieren, zu verhaften, wir werden alle diese Scheusale, wie denPolizeimeister von Kronstadt, vor ein ffentliches, revolutionres Volks-gericht stellen.

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    12 W.I.LeninBrger! Alle, auer den Schwarzhundertern, haben sich von der zari-

    stischen Regierung abgewandt. Schliet euch um die revolutionre Regie-rung zusammen, stellt die Zahlung aller Abgaben und Steuern ein, richtetalle" Anstrengungen auf die Organisierung und Bewaffnung einer freienVolkswehr. Die wirkliche Freiheit wird Ruland nur in dem Mae ge-sichert sein, wie sich das revolutionre V olk als Sieger ber die Krfte derSchwarzhunderterregierung erweist. Im Brgerkrieg gibt es keineNeu-tralen und kann es keine geben. Eine Partei der Weien ist nichts als feigeHeuchelei. Wer dem Kampf ausweicht, der untersttzt das Treiben derSchwarzhunderter. Wer nicht fr die Revolution ist, der ist gegen die Re-volution. Wer kein Revolutionr ist, der ist ein Schwarzhunderter.; Wir bernehmen es, die Krfte fr den Volksaufstand zusammenzu-schlieen und vorzubereiten. Zum groen Jahrestag des 9. Januar darf inRuland von den Einrichtungen der Zarenmacht keine Spur mehr brig-geblieben sein. Mge der Frhlingsfeiertag des internationalen Proleta-riats schon ein freies Ruland vorfinden, ein Ruland mit einer frei ein-berufenen, vom ganzen Volk gewhlten konstituierenden Versammlung!

    So etwa denke ich mir die Entwicklung des Sowjets der Arbeiterdepu-tierten zu einer provisorischen revolutionren Regierung. Das sind dieAufgaben, die ich allen Organisationen unserer Partei, allen klassenbe-wuten Arbeitern, dem Sowjet selbst und sowohl dem bevorstehendenArbeiterkongre in Moskau als auch dem Kongre des Bauernbundes5 inerster Linie stellen wrde.

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    BER DIE REORGANISATION DER PARTEI6

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    :'Die Bedingungen fr die Ttigkeit unserer Partei verndern sich vonGrund aus. Die Versammlungs-, Koalitions- und Pressefreiheit ist erobert.Natrlich sind diese Rechte in keiner Weise gesichert, und es wre tricht,,wenn nicht gar verbrecherisch, sich auf die jetzigen Freiheiten zu verlas-jsen.vDer entscheidende Kampf liegt noch vor uns, und die Vorbereitungauf diesen Kmpf mu an erster Stelle stehen. Der konspirative Partei-apparat mu erhalten bleiben. Zugleich aber ist es unbedingt notwendig,die jetzige, verhltnismig grere Bewegungsfreiheit weitestgehendauszunutzen. Es ist unbedingt notwendig, neben dem konspirativen Appa1rat immer mehr neue, legale und halblegale, Parteiorganisationen (undsich an die Partei anlehnende Organisationen) zu schaffen. Ohne dieseletztere Arbeit ist es undenkbar, unsere Ttigkeit den neuen Verhltnis-sen anzupassen und die neuen Aufgaben zu lsen...Um die Organisation auf eine neue Grundlage zu stellen, ist ein neuerParteitag unerllich.Nach dem Statut soll er jhrlich einmal stattfinden,:diesmal im Mai 1906, aber jetzt ist es notwendig, ihn vorzuverlegen.Wenn wir den Augenblick nicht ntzen, werden wir ihn verpassen, indem Sinne nmlich, da das von den Arbeitern uerst stark empfundeneOrganisationsbedrfnis fehlerhafte, gefhrliche Formen zeitigen, irgend-welche Unabhngige"7 strken wird usw. Man mu sich schnellstens aufneue Art organisieren, die neuen Methoden zur allgemeinen Diskussionstellen und den neuen Kurs" khn und entschlossen festlegen.Der in der vorliegenden Nummer verffentlichte und vom Zentral-

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    14. W.I.Leninkomitee unserer Partei unterzeichnete Aufruf an die Partei8 legt diesenneuen Kurs nach meiner tiefsten berzeugung durchaus richtig fest. Wir,die Vertreter der revolutionren Sozialdemokratie, die Anhnger derMehrheit", haben wiederholt gesagt, da die vollstndige Demokrati-sierung der Partei unter den Bedingungen der konspirativen Arbeit un-mglich war, da das Prinzip der Whlbarkeit" unter diesen Bedingun-gen eine Phrase ist. Und das Leben hat unsere Worte besttigt. In derParteiliteratur wurde schon mehrfach (siehe die Broschre Eines Arbei-ters" mit Axelrods Vorwort, den Brief Eines Arbeiters" unter vielen" inder Iskra"9 und die Broschre Arbeiter ber die Spaltung der Partei")von ehemaligen Anhngern der Minderheit festgestellt, da es faktischnicht gelang, eine ernstliche Demokratisierung, eine wirkliche Whlbar-keit durchzufhren. Aber die Notwendigkeit des bergangs zum Prinzipder Whlbarkeit unter neuen Verhltnissen, beim bergangzur poli-tischen Freiheit, haben wir Bolschewiki immer anerkannt. Die Protokolledes III. Parteitags der SDAPR beweisen das besonders berzeugend, wennes berhaupt noch eines Beweises bedarf.

    Die Aufgabe ist also klar: den konspirativen Apparat einstweilen bei-behalten und einen neuen, legalen aufbauen. In Anwendung auf denParteitag lautet diese Aufgabe (deren konkrete Erfllung natrlich prak-tische Fhigkeit und Kenntnis aller Orts- und Zeitverhltnisse erfordert):den IV. Parteitag gem dem Statut einberufen und zugleich damit sofort,unverzglich beginnen, das Prinzip der Whlbarkeit anzuwenden. DasZK hat diese Aufgabe gelst: die Delegierten der Komitees fahren, for-mell als Vertreter der vollberechtigten Organisationen und real als Ver-treter der Parteikontinuitt, rechtmig mit beschlieender Stimme zumParteitag. Mit beratender Stimme hat das ZTC auf Grund des ihm zu-stehenden Rechts die von allen Parteimitgliedern, folglich auch von derMasse der zur Partei gehrenden Arbeiter, zu whlenden Delegierteneingeladen. Das ZK hat ferner erklrt; da es dem Parteitag sofort vor-schlagen wird, diese beratenden Stimmen in beschlieende umzuwandeln.Werden die vollberechtigten Delegierten der Komitees damit einverstan-den sein?

    Das ZK erklrt, da sie seiner Meinung nach unbedingt damit einver-standen sein werden. Ich fr meine Person bin fest davon berzeugt.Einer solchen Regelung kann man nicht anders als zustimmen. Es ist

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    ber die Reorganisation der Partei 15unvorstellbar, da die Mehrheit der Fhrer des sozialdemokratischen Pro-letariats damit nicht einverstanden sein wird. Wir sind berzeugt, da dievon der Zeitung Nowaja Shisn" uerst gewissenhaft registrierten Stim-men der Parteiarbeiter die Richtigkeit unserer Ansicht sehr bald best-tigen werden. Selbst wenn dieser Schritt (die Umwandlung der beratendenStimmen in beschlieende) zu einem Kampf fhren sollte, ist der Ausgangdoch unzweifelhaft.Man betrachte diese Frage von einer anderen Seite, nicht vom formalenStandpunkt aus, sondern der Sache nach. Droht der Sozialdemokratie Ge-fahr, wenn der von uns vorgelegte Plan durchgefhrt wird?Eine Gefahr knnte man darin sehen, da mit einemmal Massen vonNichtSozialdemokraten in die Partei strmen. Dann wrde die Partei inder Masse aufgehen, sie w rde aufhren, der bew ute V ortru pp der Klassezu sein, sie wrde in den Nachtrab geraten. Das wre unbedingt einebeklagenswerte Periode. Und diese Gefahr knnte zweifelsohne hchsternste Bedeutung erlangen, wenn bei uns Neigung zur Demagogie vor-handen wre, wenn die Grundlagen des Parteilebens (Programm, tak-tische Regeln, organisatorische Erfahrung) vllig fehlten oder schwachund brchig wren. Aber der springende Punkt ist eben, da diesesWenn" gar nicht vorhanden ist. Bei uns Bolschewiki hat es keinerleiNeigung zu Demagogie gegeben, im Gegenteil, wir haben die ganze Zeitentschieden, offen, und direkt selbst die geringsten Anstze zu Demagogiebekmpft, von den in die Partei Eintretenden Klassenbewutsein ver-langt, die gewaltige Bedeutung der Kontinuitt in der Parteientwicklungstets unterstrichen, Disziplin und Erziehung aller Parteimitglieder in einerder Parteiorganisationen propagiert. Wir haben unser feststehendes Pro-gramm, das von allen Sozialdemokraten offiziell anerkannt ist und kei-nerlei Kritik seiner wesentlichen Grundstze hervorgerufen hat (die Kri-tik einzelner Punkte und Formulierungen ist durchaus berechtigt undnotwendig in jeder lebendigen Partei). Wir haben taktische Resolutionen,die auf dem II. und III. Parteitag sowie in langjhriger Arbeit der sozial-demokratischen Presse konsequent und systematisch erarbeitet wordensind. Wir haben auch gewisse organisatorische Erfahrungen und einewirkliche Organisation, die eine erzieherische Rolle gespielt und zweifel-los Frchte getragen hat, die zwar nicht auf den ersten Blick sichtbar sind,aber nur von Blinden oder Verblendeten geleugnet werden knnen.

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    16 W. /. LeninNein, Genossen, wir wollen diese Gefahr nicht bertreiben. Die Sozial-

    demokratie hat sich einen Namen gemacht, hat eine Richtung geschaffen,hat Kader proletarischer Sozialdemokraten geschaffen. Und im gegen-wrtigen Zeitp unk t, da das heroische Pro letariat seine Kam pfbereitschaftund seine Fhigkeit, solidarisch und standhaft fr klar erkannte Ziele zukmpfen, in rein sozialdemokratischem Geist zu kmpfen, durch die Tatbewiesen ha t - in einem solchen Ze itpu nkt wre es direkt lcherlich;daran zu zweifeln, da die Arbeiter, die unserer Partei angehren oderdie morgen, der Aufforderung des ZK folgend, in sie eintreten werden,in 99 von 100 Fllen Sozialdemo kraten sind. Die Arbeiterklasse ist in-stinktiv und spontan sozialdemokratisch, und die mehr als zehnjhrigeArbeit der Sozialdemokratie hat schon sehr, sehr viel dazu beigetragen,diese spontane in eine bewute Einstellung zu verwandeln. Malt keineSchreckbilder an die Wand, Genossen! Verget nicht, da es in jederlebendigen und sich entwickelnden Partei stets unbestndige, wankel-mtige und schwankende Elemente geben wird. Aber diese Elementelassen sich von dem erprobten und fest zusammengeschweiten sozial-demokratischen Kern beeinflussen und werden sich weiterhin von ihmbeeinflussen lassen.

    Unsere Partei ist zu lnge in der Illegalitt gewesen. Sie ist in denletzten Jahren darin fast erstickt, wie sich euvDelegierter auf dem III. Par-teitag treffend ausdrckte. Die Illegalitt geht zu Ende. Darum mutigvorwrts, ergreift neue Waffen, verteilt sie an neue Leute, baut eureSttzpunkte aus, ruft alle sozialdemokratischen Arbeiter zu euch, reihtsie zu Hunderten und Tausenden in die Parteiorganisationen ein. Mgenihre Delegierten die Reihen unserer Zentralstellen neu beleben, mgedurch sie der frische Geist des jungen revolutionren Rulands einstr-men. Bis jetzt hat die Revolution alle theoretischen Grundstze des Mar-xismus, alle wesentlichen Losungen der Sozialdemokratie stets und stndiggerechtfertigt. Und die Revolution hat auch unsere, die sozialdemokra-tische, Arbeit gerechtfertigt, hat unsere Hoffnung auf den wahrhaft revo-lutionren Geist des Proletariats und unseren Glauben an ihn gerecht-fertigt. Werfen wir also alle kleinlichen Bedenken gegen die notwendigeReform der Partei beiseite, beschreiten wir sofort den neuen Weg! Davonwird unser alter konspirativer Apparat nicht betroffen (seine Anerkennungund Besttigung durch die sozialdemokratischen Arbeiter steht auer

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    ber die Reorganisation der Partei 17Zweifel; das ist durch das Leben und den Gang der Revolution hundert-mal eindringlicher bewiesen worden, als Beschlsse und Resolutionen esbeweisen k nnten). D as wird u ns auch neue, junge Krfte aus dem Scheder einzigen wirklich revolutionren und bis zu Ende revolutionrenKlasse zufhren, die Ruland bereits die halbe Freiheit erkmpft hat, dieihm die ganze Freiheit erkmpfen wird, die es ber die Freiheit zumSozialismus fhren wird.

    IIDer Beschlu des ZK unserer Partei ber die Einberufung des IV. Par-teitags der SD APR , der in N r. 9 der No waja Shisn" verffentlicht ist,macht einen entscheidenden Schritt zur vollen Verwirklichung des demo-kratischen Prinzips in unserer Parteiorganisation. Die Wahl der Dele-gierten zum Parteitag (die zunchst nur beratende Stimme haben, aberdann zweifellos mit beschlieender teilnehmen werden) soll binnen Monats-frist erfolgen. Alle Parteiorganisationen mssen daher so bald wie mg-lich darangehen, die personellen Kandidaturen und die Aufgaben des

    Parteitags zu errtern. Mit der Mglichkeit neuer Versuche der sterben-den Selbstherrschaft, die versprochenen Freiheiten zurckzunehmen undber die revolutionren Arbeiter, insbesondere ber ihre Fhrer, her-zufallen, mu man unbedingt rechnen. Darum ist es (vielleicht mit Aus-nahme besonderer Flle) wohl kaum angebracht, die richtigen Namen derDelegierten zu 'verffentlichen. Auf die Decknamen, deren Gebrauch unsdie Epoche der politischen Sklaverei gelehrt hat, darf man nicht ver-zichten, solange die Schwarzhunderter an der Macht sind. Es knnte auchnicht schaden - wieder nach alter W eise fr den Fall von V erh aftu n-gen" -, Ersatzleute der Delegierten zu whlen. Wir werden uns jedoch"nicht bei allen diesen konspirativen Vorsichtsmanahmen aufhalten, denndie" Genossen, die mit den rtlichen Arbeitsverhltnissen vertraut sind, 'werden sich bei allen diesbezglich auftauchenden Schwierigkeiten leichtzu helfen wissen. Die Genossen, die ber reiche Erfahrungen in der revo-lutionren Arbeit unter den Verhltnissen der Selbstherrschaft verfgen,sollen allen denen mit ihren Ratschlgen beistehen, die die sozialdemc^kratische Arbeit unter den neuen, freien" (freien einstweilen noch in

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    18 W.l. LeninAnfhrungszeichen) Verhltnissen beginnen. Selbstverstndlich erfordertdas von den Mitgliedern unserer Komitees viel T ak t: die frheren for-mellen Prrogativen verlieren jetzt unvermeidlich ihre Bedeutung, undes ist oft notwendig, wieder Von Anfang an" zu beginnen und den brei-ten Schichten der neuen Parteigenssen die groe Wichtigkeit eines kon-sequenten sozialdemokratischen Programms, einer konsequenten Taktikund Organisation zu beweisen. Man darf nicht vergessen, da wir esbisher allzuoft mit Revolutionren zu tun hatten, die nur aus einer be-stimmten sozialen Schicht hervorgingen, whrend wir es jetzt mit typi-schen Vertretern der Massen zu tun haben werden. Diese Vernderungerfordert eine nderung unserer Methoden nicht nur der Propaganda undAgitation (die Notwendigkeit grerer Popularitt, die Fhigkeit, richtigan eine Frage heranzugehen, die Kunst, die Grundwahrheiten des Sozia-Iismus auf sehr einfache, anschauliche und wirklich berzeugende Weisezu erklren), sondern auch der Organisation.

    Ich mchte hier auf eine Seite der neuen organisatorischen Aufgabennher eingehen. Das ZK ldt durch seinen Beschlu Delegierte aller Par-teiorganisationen zum Parteitag ein und fordert alle sozialdemokratischenArbeiter auf, solchen Organisationen beizutreten. Um diesen trefflichenWunsch in die Tat umzusetzen, gengt es nicht, die Arbeiter einfacheinzuladen", gengt es nicht, die Zahl der Organisationen vom frherenTypus einfach zu erhhen. Nein, dazu ist erforderlich, da alle Genossenmiteinander selbstndig und schpferisch neue Organisationsformen aus-arbeiten. Hier kann man keine im voraus bestimmten Normen geben,denn die ganze Sache ist neu; hier mu die Kenntnis der rtlichen Ver-hltnisse, vor allem aber die Initiative aller Parteimitglieder zur Geltungkommen. Die neue Forrn der Organisation oder, richtiger gesagt, die neueForm der grundlegenden Organisationszelle der Arbeiterpartei mu imVergleich mit den alten Zirkeln unbedingt breiter sein. Vermutlich wirddie neue Zelle auerdem eine weniger straffe, eine mehr freie", mehrlose"* Organisation sein mssen. Bestnde volle Koalitionsfreiheit undwren die staatsbrgerlichen Rechte der Bevlkerung vllig gesichert, som ten wir selbstverstndlich berall sozialdemokratische Ve rbn de grn-den (nicht nur gewerkschaftliche, sondern auch politische, also Partei-organisationen). Unter den gegenwrtigen Verhltnissen mu man auf

    * lose" bei Lenin deutsch. Der bers.

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    ber die Reorganisation der Partei 19allen W egen und mit allen Mitteln, die uns zu Gebote stehen, diesem Zielnher zu kommen suchen.Es gilt, sofort die Initiative aller Parteifunktionre und aller mit derSozialdemokratie sympathisierenden Arbeiter zu wecken. Es ist not-wendig, unverzglich berall Referate, Besprechungen, Versammlungenund M eetings ber den IV. Parteitag der SDAPR abzuhalten, die Auf-gaben dieses Parteitags populr und leicht falich darzulegen, auf dieneue Form der Organisation des Parteitags hinzuweisen und alle Sozial-demokraten aufzufordern, am Aufbau einer wirklich proletarischen sozial-demokratischen Partei auf neuer Grundlage teilzunehmen. Diese Arbeitwird eine Menge praktischer Erfahrungen vermitteln, in zwei bis dreiWochen (wenn die Sache energisch betrieben wird) aus der Mitte derArbeiter neue sozialdemokratische Krfte hervorbringen und das Inter-esse breitester Schichten fr die sozialdemokratische Partei wecken, diewir jetzt in Gemeinschaft mit allen Genossen Arbeitern zu reorganisierenbeschlossen haben. Unverzglich wird in allen Versammlungen die Grn-dung von Vereinen, Organisationen und Gruppen der Partei errtert wer-den. Jeder Verein, jede Organisation und Gruppe wird sofort ein Bro,einen Vorstand oder einen leitenden Ausschu whlen, kurzum, einestndige Zentralstelle, welche die Geschfte der Organisation fhrt, mitden lokalen Parteiinstanzen verkehrt, Parteiliteratur entgegennimmt undverbreitet, Beitrge fr die Parteiarbeit erhebt, Versammlungen, Lektio-nen und Referate veranstaltet und schlielich die Wahl der Delegiertenzum Parteitag vorbereitet. Die Parteikomitees werden es sich natrlichangelegen sein lassen, allen diesen Organisationen zu helfen und sie mitAufklrungsmaterial ber die Sozialdemokratische Arbeiterpartei Ru-lands, ihre Geschichte und ihre gegenwrtigen groen Aufgaben zu ver-sorgen.

    Ferner wre es an der Zeit, auch fr die Errichtung sozusagen lokalerwirtschaftlicher Sttzpunkte der sozialdemokratischen Arbeiterorganisa-tionen in Gestalt von Speisehusern, Teestuben, Bierhallen, Bibliotheken,Lesezimmern, tirs* usw. usf. Sorge zu tragen, die durch Parteimitglieder* Ich wei kein zutreffendes russisches Wort und bezeichne mit franzsischtir" einen Raum zum Scheibenschieen, wo allerlei Waffen vorrtig sind undjeder, der dazu Lust hat, gegen ein geringes Entgelt mit Revolvern oder Flin-ten nach der Scheibe schieen kann. In Ruland ist die Versammlungs- und

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    20 W.I.Leninbetrieben werden. Man darf nicht vergessen, da die sozialdemokratischenArbeiter auer von der selbstherrlichen" Polizej auch von den selbst-herrlichen" Unternehmern verfolgt und die Agitatoren aus den Betriebengeworfen werden, und deshalb ist es sehr wichtig, eine von der Willkrder Fabrikanten mglichst unabhngige Basis zu schaffen.berhaupt mssen wir Sozialdemokraten die gegenwrtige Erweite-rung der Handlungsfreiheit in jeder Weise ausnutzen^ und je mehr dieseFreiheit gesichert sein wird, um so entschiedener werden wir die LosungIns Volk!" ausgeben. Jetzt wird sich die Initiative der Arbeiter selbst ineinem Ausma zeigen, von dem wir gestern, als wir noch Konspiratorenund Zirkelveranstalter" waren, nicht einmal zu trumen wagten. Jetztist es so, da die Wirkung der sozialistischen Ideen auf die Massen desProletariats Wege einschlgt und einschlagen wird, die wir hufig garnicht verfolgen knnen. Dementsprechend wird es notwendig sein, freine richtigere Verteilung der sozialdemokratischen Intelligenz zu sor-gen*, damit sie sich nicht dort drngelt, wo die Bewegung schon auf eige-nen Fen steht und, wenn man sich so ausdrcken darf, mit eigenenKrften auskommt, sondern nach unten" geht, wo die Arbeit schwierigerist, die Bedingungen hrter sind und erfahrene und kenntnisreiche Men-schen dringend gebraucht werden, wo es bedeutend weniger Lichtquellengibt und das politische Leben schwcher pulsiert. Ins Volk" mssen wirjetzt sowohl im Falle von Wa hlen gehen, an denen die ganze Bevlkerung,Koalitionsfreiheit proklamiert. Die Brger sind berechtigt, sich auch zur Abhal-tung von Schiebungen zu versammeln, das kann niemanden in Gefahr bringen.In jeder greren Stadt Europas gibt es solche jedermann zugngliche Schie-stnde in Kellerrumen, zuweilen auerhalb der Stadt usw. Und fr die Arbeiterist es .g an z u nd gar nicht berflssig, schieen und mit Waffen umgehen zulernen. Selbstverstndlich werden wir erst dann ernsthaft und umfassend an dieseSache" gehen kn nen , wen n die Koalitionsfreiheit gesichert ist un d ma n jedenPolizeischuft, der sich unterstehen sollte, solche Einrichtungen zu verbieten, ge-richtlich belangen kann.* Ich hab e auf dem III. Parteitag den W unsch ausgesprochen, d a in denParteikomitees auf etwa acht Arbeiter zwei Intellektuelle kommen sollen. (SieheWerke, Bd. 8, S. 405. Die ked.) Wie veraltet ist dieser Wunsch!Jetzt wre zu wnschen, da in den neuen Parteiorganisationen auf ein Partei-mitglied der sozialdemokratischen Intelligenz einige hundert sozialdemokratischeArbei ter komm en. :

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    ber die Reorganisation der Partei 21sogar der entlegensten Winkel, teilnehmen wird, als auch (und das istnoch wichtiger) im Falle des offenen Kampfes, um die Reaktion der pro-vinziellen Vendee10 lahmzulegen und im ganzen Lande, bei allen Prole-tariermassen, die Verbreitung der von den groen Zentren ausgehendenLosungen zu sichern.Gewi, jedes Extrem ist von bel; um etwas wirklich Dauerhaftes undmglichst Mustergltiges" zuwege zu bringen, werden wir auch jetztnoch fters die besten Krfte in diesem oder jenem wichtigen Zentrumkonzentrieren mssen. Die Erfahrung wird zeigen, welche Proportion indieser Hinsicht eingehalten werden mu. Unsere Aufgabe besteht jetztnicht so sehr darin, Normen fr die Organisation auf den neuen Grund-lagen aufzustellen, als vielmehr darin; die breiteste und khnste Arbeitzu entfalten, um auf dem IV. Parteitag die bisherige Parteierfahrng zu-sammenzufassen und auszuwerten.

    . i n

    In den ersten beiden Abschnitten haben wir uns mit der allgemeinenBedeutung des Prinzips der Whlbarkeit in der Partei und der Not-wendigkeit neuer Organisationszellen und Organisationsformen beschf-tigt. Jetzt wollen wir noch eine uerst brennende Frage, nmlich dieFrage der Vereinigung der Partei untersuchen.Es ist fr niemanden ein Geheimnis, da die bergroe Mehrheit dersozialdemokratischen Arbeiter mit der Parteispaltung hchst unzufriedenist und die Vereinigung fordert. Es ist auch fr niemanden ein Geheimnis,da die Spaltung bei den sozialdemokratischen Arbeitern (oder bei denen,die Sozialdemokraten werden wollen) eine gewisse Abkhlung gegenberder Sozialdemokratischen Partei hervorgerufen hat.Die Hoffnung, da sich die Spitzen" der Partei von selbst vereinigenwerden, haben die Arbeiter fast aufgegeben. Die Notwendigkeit der Ver-einigung wurde sow ohl vom III. Parteitag der SDA PR als auch von derKonferenz der Menschewiki im Mai dieses Jahres offiziell anerkannt.Seitdem^ ist ein halb es Ja hr verflossen, aber die Verein igun g ist ka umeinen Schritt vorwrtsgekommen. Kein Wunder, da die Arbeiter an-fingen, ungeduldig zu werden. Kein Wunder, da der Eine Arbeiter

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    22 W. /. Leninunter vielen", der in der Iskra" und in einer von der Mehrheit" heraus-gegebenen Broschre (Arbeiter ber die Spaltung der Partei", heraus-gegeben vom ZK, Genf 1905) ber die Vereinigung schrieb, schlielichden sozialdemokratischen Intellektuellen mit der Faust von unten" drohte.Den einen Sozialdemokraten (den Menschewiki) mifiel damals dieseDrohung, die anderen (die Bolschewiki) fanden sie gerechtfertigt und imGrunde durchaus richtig.

    Mir scheint, da jetzt die Zeit gekommen ist, da die bewuten sozial-demokratischen Arbeiter ihre Absicht (ich sage nicht Drohung", denndieses Wort klingt nach Anschuldigungen und Demagogie, wir aber ms-sen das eine wie das andere unter allen Umstnden zu vermeiden suchen)verwirklichen knnen und mssen. In der Tat, jetzt ist die Zeit gekom-men oder kommt jedenfalls, da man das Prinzip der Whlbarkeit in derParteiorganisation nicht in Worten, sondern praktisch anwenden kann,nicht als eine schne, aber hohle Phrase, sondern als ein wirklich neuesPrinzip, das die parteilichen Bindungen wirklich erneuert, erweitert undfestigt. Die Mehrheit" hat durch den Mund des Zentralkomitees direktdazu aufgefordert, das Prinzip der Whlbarkeit sofort anzuwenden undeinzufhren. Die Minderheit geht denselben Weg. Die sozialdemokra-tischen Arbeiter aber bilden die gewaltige, die erdrckende Mehrheit inallen sozialdemokratischen Organisationen, Institutionen, Versammlun-gen, Kundgebungen usw.

    Somit besteht jetzt schon die Mglichkeit, nicht nur zu beweisen, d aman sich vereinigen mu, nicht nur Versprechungen zu erlangen, daman sich vereinigen wird, sondern sich wirklich zu vereinigen, und zwardurch einen einfachen Beschlu der Mehrheit der organisierten Arbeiterbeider Fraktionen. Dabei wird niemandem etwas aufgedrngt", denn dieNotwendigkeit der Einheit wird im Prinzip von allen anerkannt, und dieArbeiter haben die prinzipiell bereits entschiedene Frage nur praktischzu lsen.

    Man kann ja das Verhltnis zwischen den Funktionen der Intellek-tuellen und der Proletarier (Arbeiter) in der sozialdemokratischen Arbei-terbewegung wohl ziemlich genau m it der allgemeinen Formel au sdrcken:Die Intellektuellen verstehen es gut, Fragen prinzipiell" zu lsen, einSchema zu zeichnen und zu beurteilen, was man tun mu . . . die Arbeiteraber tun es, sie setzen die graue Theorie in die lebendige Praxis um.

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    ber die Reorganisation der Partei 2 3Und ich werde mich nicht im geringsten der Demagogie schuldig

    machen, die groe Rolle des Bewutseins in der Arbeiterbewegung keines-wegs herabsetzen und die gigantische Bedeu tung der marxistischen Th eorie,der marxistischen Prinzipien nicht im mindesten abschwchen, wenn ichjetzt sage: Wir haben sowohl auf dem Parteitag als auch auf der Kon-ferenz die graue Theorie" der Vereinigung der Partei aufgestellt. Ge-nossen Arbeiter! Helft uns, diese graue Theorie in die lebendige Praxisumzusetzen! Tretet in Massen den Parteiorganisationen bei! Macht ausunserem IV. Parteitag und aus der menschewistischen zweiten Konferenzeinen eindrucksvollen und groartigen Parteitag der sozialdemokratischenArbeiter! Befat euch gemeinsam mit uns praktisch mit der Frage derVere inigun g - soll es in dieser Frage ausna hm swe ise (es wird d as einejener Ausnahmen sein, welche die entgegengesetzte Regel besttigen!)ein Zehntel Theorie und neun Zehntel Praxis geben! Wahrhaftig, dieserWunsch ist gerechtfertigt, er ist historisch notwendig und psychologischbegreiflich. Wir haben so lange in der Emigrantenatmosphre theore-tisiert" (manchmal, gestehen wir's nur, ins Leere hinein), da es wahr-haftig nichts schadet, wenn wir jetzt ein klein wenig, ein ganz klein bi-chen den Bogen nach der andern Seite berspannen" und die Praxisetwas mehr in den Vordergrund rcken. In der Frage der Vereinigung,derentwegen wir, im Zusammenhang mit den Ursachen der Spaltung, eineUnmenge Tinte und einen Haufen Papier verbraucht haben, ist ein sol-ches Verfahren unbedingt am Platz. Besonders wir Emigranten sehnenuns nach der Praxis. Und berdies haben wir doch schon ein recht gutesund vollstndiges Programm der ganzen demokratischen Revolution aus-gearbeitet. Vereinigen wir uns also, um diese Revolution auch zu voll-bringen !

    Nowaja Shisn" Nr. 9, 13 und 14, Nach dem Text der10., 15. und 16. November 1905. Nomaja Shisn".Unterschrift: N.Lenin.

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    P R O L E T A R I A T U N D B A U E R N S C H A F T 1 1

    Der gegenwrtig in Moskau tagende Kongre des Bauernbundes setztwieder die wichtige Frage des Verhltnisses der Sozialdemokratie zurBauernbewegung auf die Tagesordnung. Diese Frage war fr die russi-schen Marxisten bei der Festlegung ihres Programms und ihrer Taktikstets aktuell. Schon im ersten, von der Gruppe Befreiung der Arbeit"1884 im Ausland verffentlichten Entwurf eines Programms der russirsehen Sozialdem okratie wurd e der Bauernfrage se hr ernste Aufmerksaitf-keit gewidmet. : Seitdem gibt es kein einziges bedeutenderes, allgemeinen Fragen ge-widmetes Werk von Marxisten, kein einziges sozialdemokratisches Presse-organ, das die marxistischen Ansichten und Losungen nicht wiederholt,nicht entwickelt und nicht auf einzelne Flle angewandt htte. 1Jetzt ist die Frage der Bauernbewegung nicht nur in theoretischer Hin-sicht, sondern im unmittelbarsten praktischen Sinn aktuell geworden. Jetztmu man unsere allgemeinen Losungen in direkte, vom revolutionrenProletariat an die revolutionre Bauernschaft gerichtete Aufrufe verwan-deln. Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, da die Bauernschaft als be-

    wuter Schpfer einer neuen russischen Lebensordnung auftritt. Unddavon, wie sich das Bewutsein der Bauernschaft entwickelt, hngen inhohem Mae Verlauf und Ausgang der groen russischen Revolution ab.Was will die Bauernschaft von der Revolution? Was kann die Revo-lution der Bauernschaft geben? Das sind die beiden Fragen, die jederPolitiker und insbesondere jeder klassenbewute Arbeiter, der ein Poli-tiker im besten, nicht durch brgerliches Politikastertum banalisiertenSinne dieses Wortes ist, lsen mu.

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    Proletariat und Bauernschaft 25Die Bauernschaft will Land und Freiheit. Darber kann es keine zwei

    Meinungen geben. Alle klassenbewuten Arbeiter untersttzen mit allenKrften die revolutionre Bauernschaft. Alle klassenbewuten Arbeiterwollen und streben danach, da die Bauernschaft alles Land und volleFreiheit erhalte. Alles Land - das bedeutet, sich mit keinerlei Teilzuge-stndnissen und Almosen zufriedengeben, das bedeutet, nicht auf eineVerstndigung der Bauern mit den Gutsbesitzern, sondern auf die Ab-schaffung des gutsherrlichen Grundeigentums ausgehen. Und die Parteides klassenbewuten Proletariats, die Sozialdemokratie, hat sich auf dasentschiedenste in diesem Sinne geuert: auf ihrem III. Parteitag, der imMai dieses Jahres stattfand, hat die SDAPR eine Resolution angenommen,in der direkt von der Untersttzung der revolutionren Bauernforderun-gen einsMielick der Konfiskation smtlidier Privatlndereien gesprochenwird. Diese Resolution zeigt klar, da die Partei der klassenbewutenArbeiter die Forderung der Bauern nach dem gesamten Grund undBoden untersttzt. Und in dieser Hinsicht stimmt die von der nderenHlfte unserer Partei auf ihrer Konferenz angenommene Resolutionmit der Resolution des III. Parteitags der SDAPR inhaltlich vllig ber-ein.

    Volle Freiheit" - das bedeutet Whlbarkeit der die ffentlichen undstaatlichen Angelegenheiten verwaltenden Behrden und Beamten. VolleFreiheit" - das bedeutet restlose Vernichtung einer Staatsgewalt, dienicht vollstndig und ausschlielich vom Volk abhngt, die vom Volk nichtgewhlt, dem Volk nicht rechenschaftspflichtig und durch das Volk nichtabsetzbar ist. Volle Freiheit" - das bedeutet, da nicht das Volk sichden Beamten unterordnen mu, sondern die Beamten sich dem Volkunterordnen mssen.Natrlich verhalten sich nicht alle Bauern, die fr Land und Freiheitkmpfen, vollauf bewut zu diesem Kampf, gehen nicht alle so weit, dieRepublik zu fordern. Aber die demokratische Richtung der Bauernforde-rungen steht auer Zweifel. Daher kann die Bauernschaft sicher sein, dadas Proletariat diese Forderungen untersttzt. Die Bauern sollen wissen,da das in den Stdten entfaltete rote Banner ein Banner des Kampfesfr die dringendsten und brennendsten Forderungen nicht nur der indu-striellen und landwirtschaftlichen Arbeiter, sondern auch der Millionenund aber Millionen kleiner Landwirte ist.3 Lenin. W erke. Bd. 10

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    26 W. I. LeninDie in den verschiedensten Formen und Arten erhalten gebliebenen

    berreste der Leibeigenschaft lasten noch immer als ein schweres Jochauf der ganzen Bauernmasse, und die Proletarier haben unter dem rotenBanner diesem Joch den Krieg erklrt.Aber das rote Banner b edeutet nicht nur, da das Proletariat die Bauern-forderungen untersttzt. Es bedeutet auch eigene Forderungen des Prole-tariats. Es bedeutet nicht nur Kampf fr Land und Freiheit, sondern auchKampf gegen jede Ausb eutung des Menschen durch den Menschen, Kampfgegen die Arm ut der Volksmassen, Kampf gegen die Herrschaft des Kapi-tals. Und hier erhebt sich vor uns die zweite Frage: Was kann die Revo-lution der Bauernschaft geben? Viele aufrichtige Freunde der Bauern(darunter zum Beispiel die Sozialrevolutionre) beachten diese Frage nicht,bemerken nicht, wie wichtig sie ist. Sie glauben, es genge, die Frage zustellen und zu lsen: Was wollen die Bauern, und es genge, die Antwortzu erhalten: Land und Freiheit. Das ist ein groer Irrtum. Die volle Frei-heit und die volle Whlbarkeit aller Beamten bis zum Staatsoberhaupteinschlielich werden die Herrschaft des Kapitals nicht abschaffen, denReichtum der wenigen und die Armut der Massen nicht beseitigen. Auchdie restlose Aufhebung des privaten Grundeigentums wird weder dieHerrschaft des Kapitals noch die Armut der Massen beseitigen. Auch aufdem Boden, der dem ganzen Volk gehrt, wird nur derjenige eine selb-stndige Wirtschaft fhren knnen, der ber Kapital verfgt, nur der-jenige, der Gerte, Vieh, Maschinen, Saatgutvorrte, berhaupt Geld-mittel usw. besitzt. Wer aber auer seinen Arbeitshnden nichts hat, wirdimmer ein Sklave des Kapitals bleiben, sogar in einer demokratischenRepublik, sogar dann, wenn der Grund und Boden dem ganzen Volk ge-hrt. Der Gedanke an eine Sozialisierung" des Grund und Bodens ohneSozialisierung des Kapitals, der Gedanke an die Mglichkeit einer aus-gleichenden Bodennutzung beim Fortbestehen des Kapitals und der Wa-renwirtschaft ist irrig. Der Sozialismus hat fast in allen Lndern EuropasZeiten durchgemacht, in denen diese oder hnliche Irrtm er von der M ehr-heit geteilt worden sind. Die Kampferfahrung der Arbeiterklasse hat inallen Lndern praktisch gezeigt, wie gefhrlich dieser Fehler ist, und dieproletarischen Sozialisten Europas und Amerikas haben sich jetzt von ihmvllig frei gemacht.

    Somit bedeutet das rote Banner der klassenbewuten Arbeiter erstens,

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    Proletariat und Bauernschaft 27da wir den Kampf der Bauern fr volle Freiheit und alles Land mit allenKrften untersttzen; zweitens bedeutet es, da wir dabei nicht stehen-bleiben, sondern weitergehen. Wir fhren auer dem Kampf fr Freiheitund Land den Kampf fr den Sozialismus. Der Kampf fr den Sozialis-mus ist der Kampf gegen die Herrschaft des Kapitals. Diesen Kampf fh-ren vor allem die Lohnarbeiter, die direkt und vllig vom Kapital ab-hngen. Die Kleinbesitzer dagegen verfgen zum Teil selbst ber Kapital,beuten nicht selten selbst Arbeiter aus. Deshalb reihen sich nicht alleKleinbauern unter die Kmpfer fr den Sozialismus ein, sondern nur die-jenigen, die sich entschlossen und bewut auf die Seite der Arbeiter gegendas Kapital, auf die Seite des Gemeineigentums gegen das Privateigentumstellenl

    Aus diesem Grunde sagen die Sozialdemokraten, da sie zusammenmit der ganzen Bauernschaft gegen die Gutsbesitzer und Beamten kmp-fen; auerdem aber kmpfen sie, die stdtischen Proletarier zusammenmit den lndlichen Proletariern, gegen das Kapital. Der Kampf fr Landund fr Freiheit ist ein demokratischer Kampf. Der Kampf fr die Ver-nichtung der kapitalistischen Herrschaft ist ein sozialistischer Kampf.Senden wir also dem Bauernbund, der beschlossen hat, einmtig undstandhaft, rckhaltlos und ohne Schwanken fr Volle Freiheit und fralles Land zu kmpfen, unsere heien Gre. Diese Bauern sind echteDemokraten. Die Irrigkeit ihrer Ansichten ber die Aufgaben des Demo-kratismus und des Sozialismus mssen wir ihnen geduldig und beharrlicherklren, denn sie sind Bundesgenossen, mit denen uns der gemeinsamegroe Kampf verbindet. Diese Bauern sind wirkliche revolutionre De mo -kraten, mit denen zusammen wir in den Kampf fr den vollen Sieg dergegenwrtigen Revolution gehen mssen und gehen werden. Dem Planeines Generalstreiks, dem Beschlu, da sich das nchste Mal die stdti-schen Arbeiter und die gesamte Dorfarmut eintrchtig, gemeinschaftlicherheben sollen - diesem Plan und Beschlu bringen wir die gr te undvollste Sympathie entgegen. Alle klassenbewuten Arbeiter werden alleAnstrengungen machen, um bei der Verwirklichung dieses Planes zuhelfen. Aber kein Bndnis der Welt, selbst mit den ehrlichsten undentschlossensten revolutionren Demokraten, wird die Proletarier dazubringen, ihr noch gre res und wichtigeres Ziel - den Kampf fr denSozialismus, fr die restlose Vernichtung der Herrschaft des Kapitals, fr

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    28 W. I. Lenindie Befreiung aller Werkttigen von jeder Ausbeutung - zu vergessen.Vorwrts, Arbeiter und Bauern, zum gemeinsamen Kampf fr Land undFreiheit! Vorwrts, Proletarier, die ihr in der internationalen Sozialdemo-kratie vereinigt seid, zum Kampf fr den Sozialismus!Nowaja Shisn" Nr. 11, Nach dem Text der12. November 1905. Nowaja Shisn".Unterschrift: N. Lenin.

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    P A R T E I O R G A N I S A T I O N U N D P AR TE I L IT E RA T U RDie nach der Oktoberrevolution in Ruland entstandenen neuen Be-dingungen fr die sozialdemokratische Ttigkeit haben die Frage derParteiliteratur auf die Tagesordnung gestellt. Der Unterschied zwischenillegaler und legaler Presse - dieses traurige Erbe der Epoche des leib-eigenschaftlichen, absolutistischen Rulands-beginntzu schwinden. DiesesErbe ist noch nicht tot, bei weitem nicht tot. Die Willkr der heuchleri-schen Regierung unseres Ministerprsidenten geht noch so weit, da dieIswestija Sowjeta Rabotschich Deputatow"12 illegal" gedruckt werden,

    aber die dummen Versuche, das zu verbieten", was sie nicht zu ver-hindern imstande ist, bringen der Regierung nichts ein als Schande undneue moralische H iebe.Solange ein Unterschied zwischen illegaler und legaler Presse bestand,wurde die Frage, was als Partei- und was nicht als Parteiliteratur zu be-trachten ist, uerst einfach und uerst falsch und unnatrlich gelst.Die gesamte illegale Presse war Parteiliteratur, wurde von Organisationenherausgegeben und von Gruppen geleitet, die so oder anders mit Gruppenpraktischer Parteiarbeiter in Verbindung standen. Die gesamte legalePresse war keine Parteiliteratur, weil die Parteien verboten w aren - abersie tendierte" zu der einen oder andern Partei. Unnatrliche Bndnisse,anormale Ehen", falsche Aushngeschilder waren unvermeidlich. Mankonnte nicht mehr unterscheiden zwischen den erzwungenen Unausge-sprochenheiten jener, die gewillt waren, die Auffassungen der Partei zumAusdruck zu bringen, und der Beschrnktheit oder Feigheit des Denkensjener, die zu diesen Auffassungen noch nicht herangereift, im Grunde alsokeine Parteileute waren.

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    30 W. I. LeninVerfluchte Zeit der sopischen Redeweise, der literarischen Knecht-schaft, der Sklavensprache, der geistigen Leibeigenschaft! Das Proletariathat dieser Niedertracht, die alles Lebendige und Frische in Ruland zuersticken drohte, ein Ende gemacht. Aber das Proletariat hat bisher nurdie halbe Freiheit fr Ruland erkmpft.Die Revolution ist noch nicht vollendet. Hat der Zarismus nicht mehrdie Kraft, die Revolution zu besiegen, so hat die Revolution noch nicht die Kraft, den Zarismus zu besiegen. Und wir leben in einer Zeit, da sichdiese widernatrliche Verbindung der offenen, ehrlichen, direkten undkonsequenten Parteilichkeit mit der unterirdischen, verdeckten, diplo-

    matischen" und aalglatten Legalitt" berall und in allem auswirkt. Diesewidernatrliche Verbindung wirkt sich auch in unserer Zeitung aus: HerrGutschkow mag noch so sehr witzeln ber eine sozialdemokratischeTyrannei, die es verbietet, brgerlich-liberale, gemigte Zeitungen zudrucken, die Tatsache bleibt dennoch bestehen, da das Zentralorgan derSozialdemokratischen Arbeiterpartei Rulands, der Proletari" 13 , bislangauerhalb der Grenzen des absolutistischen Polizeistaates Ruland er-scheint.Gleichviel, auch die halbe Revolution zwingt uns alle, sofort an eine

    Neuregelung der Dinge zu gehen. Die Literatur kann jetzt sogar legal"zu neun Zehnteln Parteili teratur sein. Und sie mu Parteili teratur wer-den. Im Gegensatz zu den brgerlichen Sitten, im Gegensatz zur brger-lichen Unternehmer- und Krmerpresse, im Gegensatz zum brgerlichenKarrierismus und Individualismus in der Literatur, zum Edelanarchis-mus" und zur Jagd nach Gewinn mu das sozialistische Proletariat dasPrinzip der Parteiliteratur aufstellen, dieses Prinzip entwickeln und esmglichst vollstndig und einheitlich verwirklichen.Worin besteht nun dieses Prinzip der Parteili teratur? Nicht nur darin,

    da fr das sozialistische Proletariat die literarische Ttigkeit keine Quelledes Gewinns von Einzelpersonen oder Gruppen sein darf, sie darf ber-haupt keine individuelle Angelegenheit sein, die von der allgemeinenproletarischen Sache unabhn gig ist . Nieder mit den parteilosen Literaten!Nieder mit den li terarischen bermenschen! Die li terarische Ttigkeitmu zu einem Teil der allgemeinen proletarischen Sache, zu einem Rd-chen und Schrubchen" des einen einheitlichen, groen sozialdemokra-tischen Mechanismus werden, der von dem ganzen polit isch bewuten

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    Parteiorganisation und Parteiliteratur 31Vortrupp der ganzen Arbeiterklasse in Bewegung gesetzt wird. Die lite-rarische Bettigung mu ein Bestandteil der organisierten, planmigen,vereinigten sozialdemokratischen Parteiarbeit werden.Jeder Vergleich hinkt", sagt ein deutsches Sprichwort. So hinkt auchmein Vergleich der Literatur mit einem Schrubchen und der lebendigenBewegung m it einem Mechanismus. Es werden sich sogar sicher hysterischeIntellektuelle finden, die ein Geschrei erheben ob eines solchen Vergleichs,der den freien Kampf der Ideen, die Freiheit der Kritik, die Freiheit desliterarischen Schaffens usw. usf. herabwrdigt, abttet, brokratisiert".Ein solches Geschrei wre im Grunde nur der Ausdruck von brgerlich-intellektuellem Individualismus. Kein Zweifel, das literarische Schaffenvertrgt am allerwenigsten eine mechanische Gleichmacherei, eine Nivel-lierung, eine Herrschaft der Mehrheit ber die Minderheit. Kein Zweifel,auf diesem Gebiet ist es unbedingt notwendig, weiten Spielraum fr per-snliche Initiative und individuelle Neigungen, Spielraum fr Gedankenund Phantasie, Form und Inhalt zu sichern. Das alles ist unbestritten,aber das alles beweist lediglich, da der literarische Teil der Parteiarbeitdes Proletariats den anderen Teilen der Parteiarbeit des Proletariats nichtschablonenhaft gleichgesetzt werden darf. Das alles widerlegt keineswegsdie in den Augen der Bourgeoisie und der brgerlichen Dem okratie fremd-artige und seltsame These, da die literarische Ttigkeit unbedingt undjedenfalls ein mit den anderen Teilen untrennbar verbundener Teil dersozialdemokratischen Parteiarbeit werden mu. Die Zeitungen mssenOrgane der verschiedenen Parteiorganisationen werden. Die Literatenmssen unbedingt Parteiorganisationen angehren. Verlage und Lager,Lden un d Leserume, Bibliotheken un d Buchvertriebe - alles dies m uder Partei unterstehen und ihr rechenschaftspflichtig sein. Diese ganzeArbeit mu vom organisierten sozialistischen Proletariat verfolgt undkontrolliert werden, das dieser ganzen Arbeit, ohne jede Ausnahme, denlebendigen Atem der lebendigen proletarischen Sache einhauchen und sodem alten, halb Oblomowschen*, halb krmerhaften russischen Prinzip:der Schriftsteller schreibt, wie's kommt, der Leser liest, wie's kommt, denBoden unter den Fen wegziehen mu.

    Wir behaupten selbstverstndlich nicht, da diese Wandlung des vonder asiatischen Zensur und der europischen Bourgeoisie verhunzten lite-* Oblomow - Titelheld eines Romans von I. A. Gontscharow. Die Red.

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    32 W. l. Leninrarischen Schaffens mit einem Schlag erfolgen kann. Der Gedanke, irgend-ein einfrmiges System oder die Lsung der Aufgabe durch ein paar Ent-schlieungen zu verknden, liegt uns fern. Nein, von Schematismus kannauf diesem Gebiet am allerwenigsten die Rede sein. Es handelt sich darum,da unsere ganze Partei, da das gesamte bewute sozialdemokratischeProletariat ganz Rulands diese neue Aufgabe erkennt, sie klar stelltund ihre Lsung allberall in die Hand nimmt. Der Gefangenschaft derleibeigenschaftlichen Zensur entronnen, wollen und werden wir unsnicht in die Gefangenschaft der brgerlich-krmerhaften Literaturverhlt-nisse begeben. Wir wollen und werden eine freie Presse schaffen, freinicht nur von der Polizei, sondern auch vom Kapital und vom Karrieris-mus, ja noch mehr, frei auch vom brgerlich-anarchistischen Individualis-mus.Diese letzten Worte mgen als ein Paradox oder eine Verhhnung derLeser anmuten. Wie denn! wird vielleicht ein Intellektueller, ein eifrigerFreund der Freiheit, ausrufen. Wie denn! Ihr wollt eine so delikate, indi-viduelle Sache wie das literarische Schaffen der Kollektivitt unterordnen!Ihr wollt, da die Arbeiter mit Stimmenmehrheit ber Fragen der Wis-senschaft, der Philosophie, der sthetik entscheiden! Ihr leugnet die abso-lute Freiheit des absolut individuellen geistigen Schaffens!Beruhigt euch, Herrschaften! Erstens ist von der Parteiliteratur undihrer Unterordnung unter die Parteikontrolle die Rede. Jeder hat dieFreiheit, zu schreiben und zu reden, was ihm behagt, ohne die geringsteEinschrnkung. Aber jeder freie Verband (darunter die Partei) hat auchdie Freiheit, solche Mitglieder davonzujagen, die das Schild der Parteibenutzen, um parteiwidrige Auffassungen zu predigen. Die Freiheit desWortes und der Presse soll vollstndig sein. Aber auch die Freiheit derVerbnde soll vollstndig sein. Ich mu dir im Namen der Freiheit desWortes das volle Recht einrumen, zu schreien, zu lgen und zu schrei-ben, was dir behagt. Du aber mut mir im Namen der Freiheit der Ver-bnde das Recht einrumen, mit Leuten, die das oder jenes sagen, einBndnis zu schlieen oder zu lsen. Die Partei ist ein freiwilliger Ver-band, der unweigerlich zunchst ideologisch und dann auch materiell zer-fallen wrde, wenn er sich nicht derjenigen Mitglieder entledigte, dieparteiwidrige Auffassungen predigen. Zur Festsetzung der Grenze aberzwischen dem, was parteimig und was parteiwidrig ist, dient das Partei-

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    Parteiorganisation und Parteiteratw 3 3Programm, dienen die taktischen Resolutionen und das Statut der Partei,dient schlielich die ganze Erfahrung der internationalen Sozialdemo-kratie, der internationalen freiwilligen Verbnde des Proletariats, das inseine Parteien stndig einzelne Elemente oder Strmungen einschliet,die nicht ganz konsequent, nicht ganz rein marxistisch, nicht ganz richtigsind, das aber auch stndig periodische Reinigungen" seiner Partei vor-nimmt. So wird es, meine Herren Anhnger der brgerlichen Freiheitder Kritik", innerhalb der Partei auch bei uns sein: Unsere Partei wirdjetzt mit einemmal zu einer Massenpartei, wir erleben jetzt einen jhenbergang zur offenen Organisation, zu uns werden jetzt unweigerlichviele (vom marxistischen Standpunkt aus) inkonsequente Leute stoen,vielleicht sogar manche Christen, vielleicht sogar manche Mystiker. Wirhaben gesunde Mgen, wir sind felsenfeste Marxisten. Wir werden dieseinkonsequenten Leute verdauen. Die Freiheit des Denkens und die Frei-heit der Kritik innerhalb der Partei werden uns nie vergessen lassen, daes eine Freiheit der Gruppierung von Menschen zu freien Verbnden gibt,die man Parteien nennt.

    Zweitens, meine Herren brgerlichen Individualisten, mssen wir euchsagen, da eure Reden ber absolute Freiheit eine einzige Heuchelei sind.In einer Gesellschaft, die sich auf die Macht des Geldes grndet, in einerGesellschaft, in der die Massen der Werkttigen ein Bettlerdasein unddas Huflein Reicher ein Schmarotzerleben fhren, kann es keine realeund wirkliche Freiheit" geben. Herr Schriftsteller, sind Sie frei vonIhrem brgerlichen Verleger? von Ihrem brgerlichen Publikum, das vonIhnen Pornographie in Rahmen und Bildern und Prostitution als Ergn-zung" zur heiligen" Bhnenkunst fordert? Diese absolute Freiheit istdoch eine brgerliche oder anarchistische Phrase (denn als Weltanschau-ung ist der Anarchismus die umgestlpte Brgerlichkeit) . Man kann nichtzugleich in der Gesellschaft leben und frei von ihr sein. Die Freiheit desbrgerlichen Schriftstellers, des Knstlers und der Schauspielerin ist nurdie maskierte (oder sich heuchlerisch maskierende) Abhngigkeit vomGeldsack, vom Bestochen- und vom Ausgehaltenwerden.

    Und wir Sozialisten entlarven diese Heuchelei, reien die falschenAushngeschilder herunter - nicht um eine klassenfreie Literatur undKunst zu erhalten (das wird erst in der klassenlosen sozialistischen Ge-sellschaft mglich sein), sondern um der heuchlerisch freien, in Wirklich-

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    34 W. /. Leninkeit aber mit der Bourgeoisie verbundenen Literatur die wirklich freie,offen mit dem Proletariat verbundene Literatur gegenberzustellen.Das wird eine freie Literatur sein, weil nicht Gewinnsucht und nichtKarriere, sondern die Idee des Sozialismus und die Sympathie mit denWerkttigen neue und immer neue Krfte fr ihre Reihen werben wer-den. Das wird eine freie Literatur sein, weil sie nicht einer bersttigtenHeldin, nicht den sich langweilenden und an Verfettung leidenden obe-ren Zehntausend" dienen wird, sondern den Millionen und aber Millio-nen Werkttigen, die die Blte des Landes, seine Kraft, seine Zukunftverkrpern. Das wird eine freie Literatur sein, die das letzte Wort desrevolutionren Denkens der Menschheit durch die Erfahrung und dielebendige Arbeit des sozialistischen Proletariats befruchten und zwischender Erfahrung der Vergangenheit (dem wissenschaftlichen Sozialismus,der die Entwicklung des Sozialismus, von seinen primitiven, utopischenFormen an, vollendet hat) und der Erfahrung der Gegenwart (dem heuti-gen Kampf der Genossen Arbeiter) eine stndige Wechselwirkung schaf-fen wird.

    An die Arbeit denn, Genossen! Vor uns liegt eine schwierige und neue,aber groe und dankbare Aufgabe - das umfassende, vielseitige, ma nnig-faltige literarische Schaffen in enger und unlsbarer Verbindung mit dersozialdemokratischen Arbeiterbewegung zu organisieren. Die ganze so-zialdemokratische Literatur soll Parteiliteratur werden. Alle Zeitungen,Zeitschriften, Verlage usw. mssen sich sofort an die Reorganisationmachen und Vorbereitungen dafr treffen, da sie auf dieser oder jenerGrundlage vllig in die eine oder andere Parteiorganisation eingehenknnen. Nur dann wird die sozialdemokratische" Literatur wirklichsozialdemokratisch werden, nur dann wird sie ihre Pflicht erfllen kn-nen, nur dann wird sie auch im Rahmen der brgerlichen Gesellschaftimstande sein, sich von der Sklaverei der Bourgeoisie frei zu machen undmit der Bewegung der wirklich fortgeschrittensten und bis zu Ende revo-lutionren Klasse zu verschmelzen.Nomaja Shisn" Nr. 12, Nach dem Text der13 . November 1905. Nowaja Shisn",Unterschrift: N. Lenin,

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    B E S C H L U S S D E S E X E K U T I V K O M I T E E SDES PETERSBURGER SOWJETSD E R A R B E I T E R D E P U T I E R T E NVOM 14. (27.) NOVEMBER 1905 B E R M A S S N A H M E NZ U M K A M P F G E G E N D I E A U S S P E R R U N G 1 4

    Brger! Mehr als hunderttausend Arbeiter sind in Petersburg und an-deren Stdten aufs Pflaster geworfen worden.Die absolutistische Regierung hat dem revolutionren Proletariat denKrieg erklrt. Die reaktionre Bourgeoisie vereinigt sich mit der Selbst-herrschaft in der Absicht, die Arbeiter durch Hunger zur Unterwerfungzu zwingen und den Freiheitskampf zu hintertreiben. 'Der Sowjet der Arbeiterdeputierten erklrt, da diese beispielloseMassenentlassung von Arbeitern eine Provokation seitens der Regierungist. Die Regierung mchte das Petersburger Proletariat zu isolierten Ak-tionen herausfordern; die Regierung mchte den Umstand ausnutzen, dadie Arbeiter der anderen Stdte sich mit den Petersburger Arbeitern nochnicht eng genug zusammengeschlossen haben, und die einen wie die an-dern einzeln niederschlagen.Der Sowjet der Arbeiterdeputierten erklrt, da die Sache der Freiheitin Gefahr ist. Doch die Arbeiter werden auf diese Provokation der Re-gierung nicht eingehen. Die Arbeiter werden eine Schlacht unter den un-gnstigen Bedingungen, unter denen die Regierung sie ihnen liefern will,nicht annehmen. Wir mssen und werden alle Anstrengungen machen,um den gesamten Kampf sowohl des Proletariats ganz Rulands und derrevolutionren Bauernschaft als auch des Heeres und der Flotte, die sichbereits heldenhaft fr die Freiheit erheben, zusammenzufassen.In Anbetracht dessen beschliet der Sowjet der Arbeiterdeputierten:1. Alle stillgelegten Betriebe sind sofort zu ffnen und alle entlassenenKollegen wieder auf ihren Arbeitsplatz einzustellen. Alle Volksschichten,

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    36 W. /. Lenindie nicht in Worten, sondern in der Ta t die Freiheit schtzen, werden auf-gefordert, diese Forderung zu untersttzen.2. Zur Untersttzung dieser Forderung hlt es der Sowjet der Arbeiter-deputierten fr notwendig, an die Solidaritt des gesamten russischenProletariats zu appellieren und es, falls die Erfllung obiger Forderungabgelehnt wird, zum politischen Generalstreik und zu anderen Formendes entschlossenen Kampfes aufzurufen.3. Zwecks Vorbereitung dieser Aktion hat der Sowjet der Arbeiter-deputierten das Exekutivkomitee beauftragt, mit den Arbeitern der ande-ren Stdte, mit dem Eisenbahner-, dem Post- und Telegrafenarbeiter-,dem Bauernverband und mit sonstigen Verbnden sowie mit dem Heerund der Flotte durch Entsendung von Delegierten und auf andere Weiseunverzglich in Verbindung zu treten.4. Nach Durchfhrung dieser Vorbereitungsarbeit wird das Exekutiv-komitee eine auerordentliche Versammlung des Sowjets der Arbeiter-deputierten einberufen, um einen endgltigen Beschlu ber den Streikzu fassen.5. Das Petersburger Proletariat hat alle Arbeiter und alle Gesellschafts-und Bevlkerungsschichten aufgefordert, die entlassenen Arbeiter mitallen Mitteln - materiell, moralisch und politisch - zu untersttzen.Nomaja Shisn" Nr. 13, Nach dem Text der14. November 1905. Notoaja Shisn".

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    E I N E M I S S G L C K T E P R O V O K A T I O N

    Der Beschlu des Sowjets der Arbeiterdeputierten*, den wir in derheutigen Nummer verffentlichen, kennzeichnet eine auerordentlichwichtige Etappe in der Entwicklung der Revolution.Regierung und Bourgeoisie, die sich verbndet haben, versuchen dasProletariat, dessen Krfte augenblicklich erschpft sind, zu schlagen. Aufdie Bekanntgabe der Einfhrung des Achtstundentags in den Fabrikenund Werken Petersburgs auf revolutionrem Wege antwortet die Bour-geoisie mit der Aussperrung.Die Verschwrung ist da. Man hat beschlossen,, den Streik durch Mas-senentlassungen von Arbeitern zu bekmpfen. Die Staatsbetriebe werdenstillgelegt, mit ihnen eine ganze Reihe von Privatbetrieben. Zehntausendevon Arbeitern sind aufs Pflaster geworfen. Man will das durch den vor-angegangenen Kampf erschpfte Petersburger Proletariat zu einer neuenSchlacht unter den ungnstigsten Bedingungen provozieren.

    Der Sowjet der Arbeiterdeputierten ist den Ratschlgen der sozial-demokratischen Vertreter gefolgt und hat beschlossen, die Verschwrungder Konterrevolution vor den Arbeitern aufzudecken und das Petersbur-ger Proletariat davor zu warnen, sich in die Falle locken zu lassen. Aufdie Herausforderung zum isolierten Kampf hat er mit dem Aufruf zurVereinigung des Kampfes in ganz Ruland geantwortet und unverzglichManahmen getroffen, um das Bndnis der revolutionren Arbeiter mitder revolutionren Bauernschaft und mit jenen Teilen des Heeres und derFlotte, die allerorts in Ruland den Aufstand beginnen, zu festigen.

    Zu einem solchen Zeitpunkt ist es wichtiger denn je, alle Bemhungenauf die Vereinigung der Armee der Revolution in ganz Ruland zu rich-ten, ist es wichtig, die Krfte zu schonen, die eroberten Freiheiten zu* Siehe den vorliegenden Band, S. 35 /36 . Die Red.

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    38 W. I. Leninverhundertfachter Agitation und Organisation auszunutzen und sich aufneue entscheidende Schlachten vorzubereiten. Mag sich die Selbstherr-schaft m it der reaktion ren Bourgeoisie vereinige n! M ag die liberale Bour-geoisie (reprsentiert durch die Tagung der Semstwo- und Stdtevertreterin Moskau15 ) der Regierung, die heuchlerisch von Freiheit redet undPolen mit Militrgewalt unterdrckt, weil es elementare Garantien derFreiheit verlangt, ihr Vertrauen aussprechen!

    Dem Bndnis der Selbstherrschaft und der Bourgeoisie mssen wir dasBndnis der Sozialdemokratie und der gesamten revolutionren brger-lichen Demokratie entgegenstellen. Das sozialistische Proletariat reichtder fr die Freiheit kmpfenden Bauernschaft die Hand und ruft sie zumgemeinsamen, vereinten Ansturm im ganzen Land auf.Darin eben liegt die groe Bedeutung des Beschlusses des Sowjets derArbeiterdeputierten. Wir Sozialdemokraten mssen dafr Sorge tragen,da die gesamte Partei dem Sowjet der Arbeiterdeputierten zu Hilfekommt. Wir streben nicht allein die demokratische Umwlzung an. 'Wir kmpfen fr den Sozialismus, d. h. fr die volle Befreiung der Werk-ttigen von jeder nicht n ur politischen, sondern auch konomischen U nte r-drckung. Wir vereinigen in unserer Partei nur diejenigen, die sich zudiesem hohen Ziel bekennen und keinen Augenblick ungenutzt lassen, umdie Krfte vorzubereiten, damit es erreicht wird.

    Aber gerade um der Erreichung unseres sozialistischen Zieles willenerstreben wir Sozialisten die entschiedenste Durchfhrung der demokra-tischen Revolution und die Eroberung der vollen Freiheit zum erfolg-reichen Kampf fr den Sozialismus. Und deshalb mssen wir mit denrevolutionren Demokraten, die mit der Regierung nicht schachern, son-dern gegen sie kmpfen wollen, die die Revolution nicht beschneiden, son-dern zu Ende fhren wollen - mssen wir mit diesen Menschen Hand inHand gehen, allerdings ohne uns mit ihnen zu verschmelzen. Es lebe alsodas Bndnis des sozialistischen Proletariats und des gesamten revolutio-nren Volkes! An ihrem gemeinsamen Ansturm werden alle Mchte derReaktion, alle Anschlge der Konterrevolution zerschellen.Nowaja Shisn" Nr. 13, Nadi dem Text der15. November 1905. Notvaja Shisn".Unterschrift: N.Lenin.

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    H E E R U N D R E V O L U T I O N

    Der Aufstand in Sewastopol greift stetig um sich. Die Entscheidungnaht. Die fr die Freiheit kmpfenden Matrosen und Soldaten entledigensich der Vorgesetzten. Es herrscht vllige Ordnung. Der Regierung gelingtes nicht, den niedertrchtigen Streich von Kronstadt zu wiederholen, esgelingt ihr nicht, irgendwelche Pogrome hervorzurufen. Das Geschwaderhat sich geweigert, in See zu stechen, und bedroht die Stadt, falls ver-sucht wird, die Aufstndischen niederzuwerfen. Das Kommando ber dieOtschakow" ha t der Leutna nt a. D . Schmidt bernomm en, der wegeneiner dreisten" Rede ber die bewaffnete Verteidigung der im Manifestvom 17. Ok tobe r versprochenen Freiheiten den Abschied erhalten hat te.Heute, am 15., ist nach einer Mitteilung der Rus" 16 die den Matrosengesetzte Frist zur Kapitulation abgelaufen.

    Folglich stehen wir vor einem entscheidenden Wendepunkt. Die nch-sten Tage - vielleicht Stunden - werden zeigen, ob die Aufstndischenden vollen Sieg davontragen, ob sie geschlagen werden oder ob es zueinem Vergleich kommen wird. Jedenfalls bedeuten die Sewastopoler Er-eignisse den vollstndigen Zusammenbruch des alten Sklavensystems imHeer, das die Soldaten in bewaffnete Maschinen verwandelte und sie zuWerkzeugen der Unterdrckung auch der bescheidensten Freiheitsbestre-bungen machte.

    Unwiederbringlich dahin sind die Zeiten, da die russische Armeeauszog - wie es 1849 der Fall wa r - , die Revolution auerh alb Ru landsniederzuwerfen.17 Jetzt ist die Armee unwiderruflich von der Selbstherr-schaft abgefallen. Sie ist noch nicht in ihrer Gesamtheit revolutionr ge-worden. Das politische Bewutsein der Soldaten und Matrosen ist noch

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    40 W. I. Leninsehr gering. Wichtig aber ist, da das Bewutsein schon erwacht ist, daunter den Soldaten eine eigene Bewegung begonnen hat, da der Geistder Freiheit allberall in die Kasernen eingedrungen ist. Die Kaserne warin Ruland fast durchweg schlimmer als jedes Gefngnis; nirgends wurdedie Persnlichkeit so getreten und unterdrckt wie in der Kaserne, nir-gends wucherten so ppig Mihandlung, Qulerei und Schmhung desMenschen. Und diese Kaserne wird jetzt zu einem Herd der Revolu-tion.

    Die Sewastopoler Ereignisse stehen nicht vereinzelt da und sind nichtzufllig. Wir wollen nicht ber frhere Versuche eines direkten Aufstandsin Flotte und Heer sprechen. Vergleichen wir mit dem Sewastopoler Branddie Petersburger Funken. Erinnern wir uns der Soldatenforderungen, diejetzt in verschiedenen Truppenteilen Petersburgs aufgestellt werden (siesind in der gestrigen Nummer unserer Zeitung verffentlicht). Welch be-deutsames Dokument ist diese Liste von Forderungen! Wie deutlich zeigtsie, da sich die Sklavenarmee in eine revolutionre Armee verwandelt.Und welche Macht wird jetzt die Verbreitung hnlicher Forderungen inder gesamten Flotte und im gesamten Heer verhindern knnen?

    Die Petersburger Soldaten wollen erreichen: Verbesserung des Essens,der Kleidung und der Unterknfte, Erhhung des Soldes, Verkrzungder Dienstzeit und der tglichen Ausbildungsdauer. Aber noch mehrRaum nehmen unter ihren Forderungen andere ein, die nur Soldaten auf-stellen konnten, die sich als Staatsbrger fhlen. Das Recht, in Uniformalle Versammlungen auf gleichem Fu mit allen Staatsbrgern" zu be-suchen; das Recht, in der Kaserne alle Zeitungen zu lesen und zu halten;Gewissensfreiheit; rechtliche Gleichstellung aller Nationalitten; vlligeAbschaffung aller Ehrenbezeigungen auerhalb der Kaserne; Abschaffungder Offiziersburschen; Abschaffung der Kriegsgerichte und berweisungaller Kriegsgerichtsverfahren an die ordentlichen Gerichte; das Recht aufKollektivbeschwerden; das Recht der Notwehr bei dem geringsten Ver-such eines Vorgesetzten, ttlich zu werden. Das sind die Hauptforderun-gen der Petersburger Soldaten.

    Diese Forderungen zeigen, da die Armee zum grten Teil schon mitden Sewastopolem solidarisch ist, die sich fr die Freiheit erhoben haben.Diese Forderungen zeigen, da die heuchlerischen Redensarten derLakaien der Selbstherrschaft ber die Neutralitt der Armee, ber die

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    Heer un d Revolution 41Notwendigkeit, die Armee von der Politik fernzuhalten usw., bei den Sol-daten nicht im geringsten auf Sympathie rechnen knnen.Die Armee kann und darf nicht neutral sein. Die Armee nicht in diePolitik hineinz iehen - das ist die Losung der heuchlerischen Lakaien derBourgeoisie und des Zarismus, die in Wirklichkeit stets die Armee in diereaktionre Politik hineingezogen und die russischen Soldaten in Hand-langer der Schwarzhundertschaften, in Helfershelfer der Polizei verwan-delt haben. Im allgemeinen Freiheitskampf des Volkes kann und darfman nicht abseits stehen. Wer sich zu diesem Kampf gleichgltig verhlt,der untersttzt die Ausschreitungen der Polizeiregierung, die die Freiheitversprochen hat, um die Freiheit zu verhhnen.Die Forderungen der Staatsbrger im Waffenrock sind die Forderungender Sozialdemokratie, die Forderungen aller revolutionren Parteien, dieForderungen der klassenbewuten Arbeiter. Die Eingliederung der Sol-daten in die Reihen der Freiheitsfreun